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Dr. med. Gunter Frank

Gebrauchsanweisung
für Ihren Arzt

Was Patienten wissen müssen

Knaus

1. Auflage

Copyright © der Originalausgabe 2014

beim Albrecht Knaus Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Lektorat: Susanne Warmuth

Gesetzt aus der Rotation von Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-12383-3

www.knaus-verlag.de

Für meine Eltern

Inhalt

I. Einleitung

Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt … aber richtig!

II. Faktencheck

Wie Sie den allgemeinen Nutzen einer medizinischen Empfehlung überprüfen können

Checkliste, Teil 1: Fragen zum Nutzen einer medizinischen Empfehlung

Punkt 1: Wie ist der natürliche Verlauf meiner Erkrankung ohne Therapie?

Punkt 2: Hat die vorgeschlagene Therapie nachweislich Vorteile gegenüber einer Nichtbehandlung?

Punkt 3: Worin besteht der Vorteil der empfohlenen Maßnahme konkret?

Punkt 4: Hat die empfohlene Maßnahme Nachteile (Nebenwirkungen) und was bedeuten sie für mich?

Punkt 5: Gibt es andere Vorgehensweisen und Studien, die deren Nutzen geprüft haben?

Fakten und die Qualität von Information

Wie Sie die Qualität der Information beurteilen können

Checkliste, Teil 2: Fragen zur Qualität der erhaltenen Antworten

Punkt 6: Welche Qualität haben die Studien, mit denen die Empfehlung begründet wird?

Punkt 7: Werden die Studienergebnisse in relativen oder absoluten Zahlen wiedergegeben?

Punkt 8: Wie viele Patienten müssen behandelt werden, damit bei einem die gewünschte Wirkung oder eine schwere Nebenwirkung eintritt?

Punkt 9: Gibt es eine Bilder- oder eine Faktenbox, die Vor- und Nachteile einer Therapie übersichtlich und verständlich darstellt?

Punkt 10: Wer hat die Studie finanziert?

Die persönliche Checkliste

Faktencheck: Wunsch und Wirklichkeit

III. Faustregeln

Wie Sie den Nutzen einer medizinischen Empfehlung für sich selbst einschätzen können

Wie Herz und Hirn zusammenhängen

Intuition und Erfahrungswissen in der Medizin

Faustregeln: das Bauchgefühl in Worte gefasst

IV. Das Ziel

Aufbau einer partnerschaftlichen Arzt-Patienten-Beziehung

Warum Ärzte und Patienten ihre Beziehung neu regeln müssen

Die Zukunft gehört der partnerschaftlichen Arzt-Patienten-Beziehung

V. Patiententraining

Wie Sie sich auf Ihre neue Patientenrolle vorbereiten können

Macher, Zauderer oder reflektierter Entscheider: Welcher Patiententyp sind Sie?

Wenn-dann-Pläne: Damit Sie in schwierigen Situationen standhaft bleiben

Meine persönliche Gebrauchsanweisung

VI. Aufbruch

Das Jahrhundert der Patienten

Ein System im Burnout

Das Verkrankungssystem

Das Jahrhundert der Patienten

ANHANG

Workshop

Wie Sie das erwünschte Patientenverhalten mit Hilfe des Zürcher Ressourcen Modells (ZRM®) erfolgreich umsetzen

Quellenverzeichnis

Workshop

Weiterführende Links

Dank

Sachregister

I. Einleitung

Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt … aber richtig!

Versetzen Sie sich in eine der folgenden Situationen:

Sie sind bei Ihrem Hausarzt. Der misst den Blutdruck und sagt: Oh, Ihr Blutdruck ist viel zu hoch! Das ist gefährlich, das kann zu Herzinfarkt führen. Dann verschreibt er Ihnen blutdrucksenkende Medikamente.

Nehmen Sie diese Tabletten ein?

Oder: Sie sitzen in der Sprechstunde, und Ihr Arzt fragt Sie: Haben Sie eigentlich eine Zecken-Impfung? Er sagt, dass diese Impfung sicher vor FSME, einer bestimmten Form von Gehirnhautentzündung, schützt. Und die Gefahr, ohne Impfung daran zu erkranken, habe sich im letzten Jahr verdoppelt.

Lassen Sie sich impfen?

Oder: Ihr Arzt empfiehlt Ihnen eine bestimmte Krebsvorsorgeuntersuchung. Durch die Vorsorgeuntersuchung, sagt er, sinke das Risiko, an diesem Krebs zu sterben, um 25 Prozent.

Gehen Sie zu der Vorsorgeuntersuchung?

Oder: Sie haben starke Kopfschmerzen und gehen zum Arzt. Nach einem kurzen Gespräch empfiehlt er, ein Computertomogramm (CT) der Nasennebenhöhlen machen zu lassen, um herauszufinden, ob sie vereitert sind.

Lassen Sie die Untersuchung machen?

Oder: Sie erfahren, dass Sie an Krebs erkrankt sind. Ihr Arzt schlägt Ihnen eine Chemotherapie vor. Sie fragen, wie erfolgreich diese Therapie ist. Die Antwort lautet, dass sie Ihre Überlebenschance um 20 Prozent verbessert.

Entscheiden Sie sich für diese Therapie?

Was hätten Sie im Einzelfall getan? Und warum? Wären Sie der Empfehlung Ihres Arztes gefolgt? Weil er immer so nett ist? Weil er Sie so streng angesehen hat? Weil er es als Studierter ja schließlich wissen muss? Weil er sich auf Zahlen beruft (und Zahlen lügen bekanntlich nicht)? Egal wie, in keinem dieser Beispiele ist eine solide Grundlage für eine gute Entscheidung gegeben! Die angeführten Prozentzahlen sind sogar irreführend. Doch Sie brauchen unbedingt eine verlässliche Entscheidungsgrundlage – schließlich geht es um IHRE Gesundheit!

Die moderne Medizin und ihre Schattenseiten

In Deutschland gibt es inzwischen Millionen Patienten, die völlig unnötigerweise Tabletten einnehmen: Cholesterinsenker, Gerinnungshemmer, Medikamente gegen Diabetes und Bluthochdruck und vieles andere mehr. Hunderttausende unterziehen sich jedes Jahr sinnlosen Kniespiegelungen, Biopsien (operativen Gewebsentnahmen) oder anderen überflüssigen Operationen. Oder sie erhalten Chemotherapien, deren Sinn mit keiner seriösen Studie belegt ist – um nur einige Beispiele zu nennen. Alle diese Patienten haben keinen Nutzen von diesen Untersuchungen und Therapien zu erwarten, Nebenwirkungen jedoch sehr wohl. Und die können von Schmerzen, Konzentrationsstörungen, Verdauungsproblemen, Blut-, Leber- und Nierenkrankheiten bis hin zum Auslösen einer Krebserkrankung reichen. Hunderttausende werden deshalb jährlich in Krankenhäuser eingewiesen. Geht man von seriösen Schätzungen aus, dann sterben in Deutschland pro Jahr mehrere Zehntausend Menschen durch unnötig verordnete Medizin, und es gibt Autoren, die diese Zahlen noch weit höher ansetzen.

Wenn Sie sich allein auf der Basis der gerade geschilderten Patientensituationen für die von Ihrem Arzt vorgeschlagenen Maßnahmen entscheiden, dann ist die Gefahr groß, dass Sie ebenfalls zu dieser unaufhaltsam wachsenden Patientengruppe gehören werden. Damit wir uns nicht missverstehen: Ich lehne die moderne Medizin keineswegs ab, ganz im Gegenteil, ich bin froh, dass wir sie haben! In den letzten 200 Jahren konnten durch sie zahllose Krankheiten geheilt oder gelindert werden, denen die Menschen davor mehr oder weniger hilflos ausgeliefert waren. Doch die moderne Medizin hat auch ihre Schattenseiten. Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass sich Übertherapien und Nebenwirkungen nie ganz vermeiden lassen. Selbst dann nicht, wenn sich alle Beteiligten redlich bemühen. Wenn man zum Beispiel neue Verfahren testen möchte, muss man auch in Kauf nehmen, dass sie schaden könnten. Allerdings haben sich diese Nachteile in der heutigen Medizin in einem Maß verselbstständigt, das sich durch nichts rechtfertigen lässt. Sie werden nicht mehr hingenommen, um auf diesem Weg Neues und Besseres zu finden, sondern einzig aus dem Grund, hohe Gewinne zu erzielen und Karrieren zu ermöglichen.

Wenn die Medizin Menschen krank macht

Bei älteren Patienten, die neu in meine Sprechstunde kommen, beobachte ich häufig, dass sie jeden Tag viele verschiedene Tabletten einnehmen, obwohl sie ihnen nicht guttun. Die völlig gesunde 70-jährige Frau zum Beispiel, die Diabetesmedikamente verordnet bekam, weshalb sie nun an Verdauungsbeschwerden leidet und dem Risiko ausgesetzt ist, nachts an einer von diesen Medikamenten verursachten Unterzuckerung zu sterben. Oder der 80-jährige Herr, der all seine Vitalität eingebüßt hat und mit seinem Leben nicht mehr zurechtkommt, weil sein Blutdruck durch Medikamente viel zu tief abgesenkt wurde. Oder die (nicht wenigen) 50-Jährigen, bei denen die verordneten Cholesterinsenker Muskelschmerzen verursachen, die nicht als typische Nebenwirkung erkannt werden. Mit der Folge, dass diese Patienten eine Odyssee zu Orthopäden und Neurologen – mit allen möglichen Zusatzdiagnosen und Untersuchungen – unternehmen, ohne Besserung zu erfahren. Und das alles nur, weil die Normwerte für Cholesterin (wie die für Blutzucker oder Blutdruck auch) seit Jahrzehnten immer wieder ohne seriöse medizinische Begründung gesenkt werden, um die Umsätze der Hersteller zu vervielfachen.

Immer häufiger kommen aber auch junge Patienten in meine Sprechstunde, die wegen ganz normaler Befindlichkeitsstörungen (Kopfschmerzen, Herzrasen oder Verdauungsbeschwerden) unverhältnismäßig aufwendige Untersuchungen, wie zum Beispiel Magen- und Darmspiegelungen oder CT -Untersuchungen, über sich ergehen lassen mussten. Dadurch erhalten sie oft eine Diagnose, inklusive der damit verbundenen Kontrolluntersuchungen, die aber in Wahrheit überhaupt keine Krankheitsbedeutung hat, sondern lediglich Ausdruck einer ganz normalen Streuung menschlicher Körpereigenschaften ist. Ich bin dazu übergegangen, meine Patienten nicht mehr in bestimmte Facharztpraxen oder Abteilungen der Universitätsklinik zu überweisen, weil dort ständig unreflektiert Verfahren angewendet werden – ob Kontrollherzkatheter oder aufwendige Laboruntersuchungen –, obwohl sie nie auf ihren Nutzen hin überprüft wurden.

Mit meinen Patienten bespreche ich diese Hintergründe und Zusammenhänge, ich beruhige sie und setze für sie überflüssige Medikamente ab, worauf sich die Befindlichkeit bei vielen deutlich bessert. So verlassen nicht wenige Patienten meine Praxis als gesunde Menschen, nachdem sie vorher von der Medizin künstlich zu Kranken und Gefährdeten erklärt worden waren.

Krankheit als Wirtschaftsfaktor

Behandlungsfehler und Fehleinschätzungen gab es früher auch, heute jedoch hat sich die »Verkrankung« von Patienten als System etabliert. Durch die fortschreitende Ökonomisierung der Medizin wird es immer interessanter, Patienten nicht zu heilen, sondern möglichst viele Menschen für krank zu erklären, um sie dann in verschiedene Stadien möglichst vieler Diagnosen einstufen zu können. So passiert es immer häufiger, dass Sie als ratsuchender Patient zum Arzt gehen und dort zum Bestandteil einer medizinischen Wertschöpfungskette gemacht werden, an dem vor allem Geld verdient werden soll. Diejenigen, die in diesem System – am Patientennutzen vorbei – erfolgreich agieren, werden belohnt, die anderen gehen pleite. Als Folge wird erfolgreiche Medizin immer mehr an der Erfüllung von Businessplänen gemessen, die Interessen der Investoren werden immer wichtiger als die Bedürfnisse der Patienten.

Dies alles führt jedoch zu einem wachsenden Problem: In unserem Gesundheitssystem werden immer mehr Krankheiten nicht etwa geheilt, sondern verschlechtert oder sogar erst durch die Behandlung hervorgerufen. Solche von der Medizin verursachten Erkrankungen haben einen Namen: Man nennt sie iatrogene Krankheiten. Für diese »hausgemachten« Krankheiten und für überflüssige und gefährliche Therapien werden Milliarden Euro ausgegeben! Was könnte man nicht erreichen, wenn diese Geldmittel in die wirklich wichtigen Bereiche unseres Gesundheitssystems fließen würden: eine ausreichende personelle Ausstattung von Krankenhäusern und Altenheimen, die eine menschlich angemessene Pflege ermöglicht, eine gute hausärztliche Betreuung und Notfallversorgung auch auf dem Land, die Sicherung einer kostenfreien Hightech-Medizin für alle, die sie tatsächlich benötigen, und eine wirklich unabhängige und qualitätsvollere Forschung, als sie derzeit üblich ist.

Doch weil diese Fehlentwicklung zu einem extrem lukrativen Geschäft geworden ist, tut sich die Gesundheitspolitik sehr schwer, effektive Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Auch bei Krankenkassen oder Ärzteverbänden sehe ich im Moment kein echtes Interesse und keine überzeugende Strategie, wie man diesem Negativtrend Einhalt gebieten will. Ganz im Gegenteil, die fördern ihn sogar noch. Für Patienten wird es also immer gefährlicher, zum Arzt zu gehen. Diese bedrohliche Entwicklung einzudämmen, wird die größte medizinische Herausforderung des 21. Jahrhunderts sein.

Gekaufte Behandlungsleitlinien

Seit ich vor 20 Jahren Arzt geworden bin, erlebe ich die Entwicklung hin zu einer immer stärker profitorientierten Medizin, und manchmal verzweifle ich daran. Und weil mich immer mehr Patienten fragten, wie es zu solchen Missständen kommen konnte, bin ich dieser Frage nachgegangen. In meinem 2012 erschienenen Buch Schlechte Medizin habe ich die Mechanismen und Hintergründe dieser Misere detailliert analysiert und erläutert. Zum Beispiel, was der wahre Grund für die Absenkung der Normwerte für Cholesterin, Blutzucker oder Blutdruck ist, oder wie die konsequente Schönfärberei medizinischer Studien bis hin zu ihrer kompletten Fälschung abläuft, um unnütze oder gar gefährliche Medikamente besser verkaufen zu können.

Die Hochschulmedizin und ihre Verflechtung mit den Herstellern von Medikamenten und Medizinprodukten hat sich dabei als Dreh- und Angelpunkt erwiesen. Würde an den medizinischen Universitäten wissenschaftlich seriöser gearbeitet, müsste ein sehr großer Teil der derzeit etablierten Behandlungen in Frage gestellt werden, was aber dramatische Umsatzeinbrüche in der gesamten Pharmabranche nach sich ziehen würde.

Besonders folgenreich ist der finanzielle Einfluss der Industrie auf die Erstellung medizinischer Leitlinien, nach denen der niedergelassene Arzt in der Sprechstunde behandeln soll. Denn dies führt dazu, dass vielen praktischen Ärzten die verheerenden Folgen ihrer Behandlungsvorschläge gar nicht bewusst sind. Sie empfehlen sie ja guten Gewissens, in naiver Übereinstimmung mit der geltenden Lehrmeinung, nicht wissend, dass diese leider gekauft wurde. Es wird viel Geld gezahlt, damit sich schlechte Medizin immer weiter durchsetzt. In der Pharmabranche spricht man ganz offen über käufliche Hochschulmediziner. Sie haben sogar einen Namen: Mietmäuler.

Nach Erscheinen meines letzten Buches haben mich unzählige Leserbriefe erreicht, von Patienten, Ärzten, Krankenschwestern und -pflegern sowie von Wissenschaftlern, deren teils erschütternde Schilderungen die erschreckenden Ausmaße schlechter Medizin bestätigten.

Die Diagnose der Misere ist bekannt, wie lautet die Therapie?

Mit meinen beunruhigenden Analysen stehe ich keineswegs alleine da. Das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung etwa beschreibt in einem Forschungsbericht aus dem Jahr 2012 den Mangel an qualitativ hochwertigen Informationen in der Medizin und kommt zu dem Schluss:

»Dies verdeutlicht, wie Patienten im aktuellen Gesundheitssystem Opfer einer Kette unausgewogener und intransparenter Informationen werden.« Und weiter: »Ein Gesundheitssystem, das Steuergelder für unnötige oder sogar schädliche Tests und Behandlungen verschwendet und medizinische Forschung finanziert, die für Patienten nur begrenzt relevant ist, ist ineffizient.«

Den Schlüssel, um diese Missstände wirksam anzugehen, sieht das Max-Planck-Institut vor allem in einer besseren Information der Patienten.

»Eine kritische Masse informierter Patienten wird nicht alle Probleme lösen, aber die wichtigste Basis für eine bessere Versorgung sein.«

Die zentrale Rolle für eine Veränderung wird auch nach meiner Überzeugung dem »informierten Patienten« zukommen. Einem Patienten, der mit den entscheidenden Informationen versehen und damit in die Lage versetzt wird, zusammen mit seinem Arzt eine gute Entscheidung zu treffen. Eine Entscheidung, die nicht den ausufernden Interessen der Pharmaindustrie und der Klinik-AGs dient, sondern allein auf einen sinnvollen Einsatz guter Medizin zielt.

Aber es gibt noch mehr Personen und Institutionen, die inzwischen daran arbeiten, die Medizin zum Besseren zu verändern. Besonders im angelsächsischen Raum wächst die Bereitschaft, gegen die aktuellen Missstände vorzugehen, ebenfalls verbunden mit der Erkenntnis, dass dazu die Stärkung der Patientenkompetenz unabdingbar ist. Allein im vergangenen Jahr (2013) erschienen mehrere wegweisende englische Publikationen in deutscher Übersetzung. [1] Doch all diesen ausgezeichneten akademischen Ansätzen fehlt bisher die Breitenwirkung. Das hat meiner Meinung nach zwei Gründe:

Erstens ist es nicht einfach, medizinische Informationen so aufzubereiten, dass sie auch von Nichtfachleuten verstanden werden. Medizinische Studien sind komplex und ihre Ergebnisse nicht immer leicht zu interpretieren. Es gibt zwar Experten, die auf diesem Gebiet Hervorragendes leisten, beispielsweise Frau Professor Ingrid Mühlhauser von der Universität Hamburg oder das Harding-Zentrum für Risikokompetenz in Berlin. Doch für medizinische Laien fehlte bisher eine kompakte, verständliche Zusammenfassung des notwendigen Wissens, wie man gute von schlechter medizinischer Information unterscheiden kann.

Und zum Zweiten werden die psychologischen Barrieren nicht berücksichtigt, die sich ergeben, wenn ein Patient sein Recht auf hochwertige Information von seinem Arzt einfordern soll. Deshalb muss die Vermittlung von Sachinformation Hand in Hand gehen mit einem T raining, wie man Informationen auch in einer speziellen Situation, unter Angst und Druck, verlangen und bekommen kann. Gut informiert sein zu wollen, reicht nicht aus, man muss auch in der Lage sein, diese berechtigten Ansprüche durchzusetzen.

Nach all den richtigen und wichtigen Analysen des beklagenswerten Zustands der Medizin wird es nun Zeit zu handeln. Patienten dürfen nicht mehr wehrlos diesen Missständen ausgesetzt werden. Sie müssen auf Augenhöhe mitentscheiden können, welches die richtige medizinische T herapie für sie ist. Deshalb habe ich mir überlegt, wie man Patienten wirkungsvoll stärken kann, und eine Anleitung entwickelt, mit der sie erkennen können, welche medizinischen Empfehlungen wirklich ihrer Gesundheit dienen, und welche Empfehlungen ganz andere Interessen verfolgen. Eine Anleitung, die Patienten in die Lage versetzt, gemeinsam mit ihrem Arzt eine gute Entscheidung zu fällen und sich vor gefährlichen Übertherapien zu schützen.

Gebrauchsanweisung: Bitte vor dem Arztbesuch lesen

Der Leitfaden, den Sie in Händen halten, behandelt all diese Themen in einer umfassenden, zugleich aber einfachen, praktikablen Form. Als Erstes beschäftigen wir uns mit den harten Fakten: Wissenschaft, Studien, Zahlen und Statistik. Doch keine Sorge, ich habe dieses Kapitel so einfach wie möglich verfasst und mit vielen konkreten Beispielen versehen, so dass auch Leser ohne besonderes mathematisches Interesse die Zusammenhänge gut verstehen werden. Ich stelle Ihnen dort eine 10-Punkte-Checkliste vor, mit der Sie durch klar definierte Fragen zu Krankheit, Diagnostik und Therapie herausbekommen können, was der tatsächliche Wissenstand bezüglich Ihrer Erkrankung ist. Außerdem hilft Ihnen diese Checkliste, die Qualität der ärztlichen Antworten zu beurteilen.

Im nächsten Kapitel spielen Zahlen dann gar keine Rolle mehr: Dort geht es um Ihre (Bauch-)Gefühle und warum diese für eine gute medizinische Entscheidung ebenfalls sehr wichtig sind. In der Medizin gibt es auf die Frage, welche Therapie in welchem Fall die bessere ist oder ab wann man überhaupt behandeln sollte, häufig keine klare Antwort. Wie soll man mit dieser Unsicherheit umgehen? Es spricht vieles dafür, dass man gerade bei komplexen Fragestellungen und in unsicheren Situationen seiner emotionalen Intelligenz vertrauen kann; sie hilft uns, eine gute Entscheidung »aus dem Bauch heraus« zu treffen. Ich werde Ihnen zeigen, wie Sie diese Fähigkeit in Ihrer Patientenrolle einsetzen können, beispielsweise mit der Formulierung passender Faustregeln, und wie Sie spüren, welcher Arzt für Sie der richtige ist und welcher vielleicht nicht.

Psychologische Rückendeckung

Natürlich ist mir bewusst, dass es vielen Patienten – Checklisten hin und Faustregeln her – weiterhin schwerfallen wird, beim Arzt qualitativ hochwertige Information einzufordern. Das klassische Rollenbild der Arzt-Patienten-Beziehung sieht einen selbstbewussten, auf Antworten bestehenden Patienten nicht vor. Wenn Patienten ärztliche Empfehlungen erst hinterfragen möchten, bevor sie ihnen zustimmen, reagieren viele Ärzte überrascht bis überheblich. Patienten bekommen ein schlechtes Gewissen, und viele trauen sich dann nicht mehr, ihre berechtigten Vorhaben umzusetzen, also auf der kompetenten Beantwortung ihrer Fragen zu bestehen. Denn der Arzt ist für viele immer noch eine unantastbare Respektsperson, der man mit vorbehaltloser Dankbarkeit, aber nicht mit Kritik begegnen sollte. Sogar ansonsten selbstsichere und gut informierte Menschen, die normalerweise kein Problem damit haben, ihre Interessen zu vertreten, stehen oft hilflos vor dieser Hemmschwelle.

Als Patient ist jeder Mensch in einer ganz besonderen Situation. Hier spielen Ängste und der daraus entstehende Druck eine große Rolle. Aus verschiedenen Experimenten weiß man, dass Menschen unter Angst Schwierigkeiten haben, an rationalen Verhaltensvorsätzen festzuhalten, und stattdessen oft resigniert aufgeben. Deshalb folgt als Nächstes ein psychologisches Trainingsprogramm. Dieses Training wird Sie dabei unterstützen, auch unter Angst und Druck an einem selbstbewussten Patientenverhalten festzuhalten und auf soliden Informationen zu bestehen. Außerdem können Sie mithilfe eines kleinen Tests herausfinden, zu welchem Patientenverhalten Sie neigen. Manche Patiententypen möchten zwar bessere Informationen beim Arzt erhalten, sind aber aufgrund ihrer Persönlichkeit nicht in der Lage, dabei hartnäckig und zielgerichtet vorzugehen. Wie es unter solchen Voraussetzungen dennoch gelingt, sein Wunschverhalten umzusetzen, zeigt Ihnen ein spezieller Selbstmanagement-Workshop im Anhang des Buches. Wenn Sie diesen Workshop durcharbeiten – und Sie werden merken, dass dies ziemlich viel Spaß macht –, dann werden Sie mit einem selbstbewussteren Auftreten gegenüber Ihrem Arzt belohnt werden. Das verspreche ich Ihnen.

Der informierte Patient – die Chance für ein besseres Gesundheitssystem

Viele Ärzte werden den neuen, informierten, selbstbewussten Patienten begrüßen, andere werden vielleicht eine Weile brauchen, um umzudenken. Doch in Zukunft wird ein partnerschaftliches Arzt-Patienten-Verständnis immer wichtiger werden. Im 21. Jahrhundert liegt hier das größte Potenzial für eine bessere Medizin im Kampf gegen die Probleme, die die Medizin selbst verursacht und die systematisch zu unnützen und gefährlichen Fehl- und Übertherapien führen. Mit der neuen Partnerschaft zwischen Patienten und Ärzten wird die wichtigste Voraussetzung dafür geschaffen, dagegen erfolgreich anzugehen. Nicht nur weil informierte Patienten auch Ärzte davor schützen, falsche Therapieentscheidungen zu treffen, sondern vor allem weil informierte Patienten für sie die besten Verbündeten sind, um sich gegen die überbordende Ökonomisierung der Medizin zur Wehr zu setzen, die auch uns Ärzten zunehmend die Freude an der Arbeit nimmt.

Unser Gesundheitssystem ist in Gefahr. Wissenschaftliche Redlichkeit, Anstand und Menschlichkeit in der Medizin werden immer mehr einer falsch verstandenen Marktwirtschaft untergeordnet. Welche Folgen das jetzt schon hat und was uns in Zukunft droht, darum geht es im Schlusskapitel. Denn die aktuelle Gesundheitspolitik ist auf dem besten Weg, das Gesundheitssystem zu einem rein profitorientierten Gesundheitsmarkt umzubauen, zum Nachteil von Patienten und Ärzten.

Die Medizin soll für die Patienten da sein und nicht, um sie des Profites wegen krank zu machen. Es wird höchste Zeit, energisch dafür einzutreten. Patienten, die gut informiert die richtigen Fragen stellen und selbstbewusst auf Antworten bestehen, werden in Zukunft die entscheidende Triebkraft für eine ehrlichere, nebenwirkungsärmere und damit bessere Medizin sein. Doch bis es so weit ist, können Sie sich und Ihre Familie, ausgerüstet mit dieser Gebrauchsanweisung für Ihren Arzt, schon jetzt deutlich besser vor den Exzessen der modernen Medizin schützen.

[1] Die Diagnosefalle. Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden von H. Gilbert Welch, Lisa M. Schwartz und Steven Woloshin; Die Pharma-Lüge. Wie Arzneimittelkonzerne Ärzte irreführen und Patienten schädigen von Ben Goldacre; Wo ist der Beweis? Plädoyer für eine evidenzbasierte Medizin von Imogen Evans und anderen; Bessere Ärzte, bessere Patienten, bessere Medizin. Aufbruch in ein transparentes Gesundheitswesen von Gerd Gigerenzer, J. A. Muir Gray (Hrsg.).