Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
Prolog
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
Epilog
Kommentar
Journal
Leserkontaktseite
Glossar
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Nr. 2746
Start der REGINALD BULL
Jagd auf das ZbV-Schiff – der Resident der Liga hegt einen gewagten Plan
Marc A. Herren
Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt
Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Die Terraner – wie sich die Angehörigen der geeinten Menschheit nennen – sind längst in ferne Sterneninseln vorgestoßen.
Immer wieder treffen Perry Rhodan und seine Gefährten auf raumfahrende Zivilisationen und auf die Spur kosmischer Mächte, die das Geschehen im Universum beeinflussen.
Im Jahr 1516 Neuer Galaktischer Zeitrechnung steht die Milchstraße seit nunmehr zwei Jahren unter dem Einfluss des Atopischen Tribunals, das behauptet, im Rahmen der »Atopischen Ordo« für Frieden und Sicherheit zu sorgen.
Welche Auswirkungen die Atopische Ordo haben kann, erfährt Perry Rhodan in der Galaxis Larhatoon, der Heimat der Laren, die vor über eineinhalb Jahrtausenden als Mitglieder des Konzils der Sieben Galaxien eine beträchtliche Zeitspanne in der Milchstraße herrschten.
In der Milchstraße regieren faktisch längst die Atopischen Richter und treiben die Regierungen der galaktischen Völker vor sich her. Einer der ersten Befehle lautete, das Arkonsystem komplett an die Naats zurückzugeben.
Jüngst wurde Aurora, die Zentralwelt des Galaktikums, von ihnen mit einer Ordischen Stele versehen, und nun wenden die sich Atopen der Zentralwelt der Liga Freier Terraner zu: Maharani. Als Gegenreaktion kommt es zum START DER REGINALD BULL ...
Arun Joschannan – Der Resident der LFT plant einen riskanten Bluff.
Shalva Galaktion Shengelaia – Der Kamashite hat eine Beobachterin auf der Mentalen Veranda.
Penanser-Viriu – Der tefrodische Kommandant wird von Albträumen geplagt.
Sichu Dorksteiger – Die LFT-Chefwissenschaftlerin wartet auf den Jungfernflug des ZbV-Schiffes.
Shekval Genneryc – Der Onryone muss ein unangenehmes Gespräch entgegennehmen.
Darren Kendry – Der einsame Schürfer beobachtet eine unheimliche Flotte.
Schwarze Brandung.
Ich weiß, dass es ein Traum ist. Es kann nur ein Traum sein. Zu unwirklich erscheint mir der exotische Strand mit den riesigen Blumenbäumen, den dreibeinigen Tieren mit den langen Flatterohren; den appetitlich duftenden Früchten, die direkt aus dem weißen Korallensand wachsen.
Aber duften sie wirklich? Und höre ich tatsächlich das Tosen der Brandung dieses schwarzen Wassers? Spüre ich das warme Wasser, das Kribbeln des Sandes unter meinen nackten Fußsohlen?
Es kann nur ein Traum sein. Mein ewiger Albtraum vom schwarzen Wasser, das mich hinausziehen will, in mein Verderben.
Aber weshalb wache ich dann nicht auf? Wacht man nicht automatisch auf, wenn man den Traum als solchen entlarvt? Zerschlägt man da nicht einfach die falschen Bilder des ruhenden Verstandes?
Ich drehe mich, sehe den anderen zu, wie sie ausgelassen durch die schwarze Brandung toben, sich gegenseitig nass spritzen. Einige von ihnen sind nackt, sie konnten es nicht erwarten, sich dem Meer hinzugeben.
Keine falsche Scham, keine ängstliche Zurückhaltung, einzig pure Freude.
Und ich. Bin ich der Einzige, der sich vor dem schwarzen Wasser fürchtet, die Bedrohung körperlich spürt?
Ein tiefes, dunkles Grollen lässt mich erneut umdrehen. Und dann sehe ich es. Ein Monstrum. Ein riesiges Ding mit einem blauschwarzen, von der Gischt glänzenden Körper. Es kommt auf mich zu.
Auf uns.
Ich will schreien, aber es geht nicht. Es muss ein Albtraum sein! Das ist doch der letzte Beweis, oder etwa nicht?
Das Ding erhebt sich, greift mit einem Dutzend Tentakeln nach uns, um uns, seine Beute, in sein Reich zu ziehen und dort zu verschlingen.
Ich will mich abwenden, aber das funktioniert ebenfalls nicht. Meine Beine sind bis zu den Waden im Korallensand versunken. Selbst wenn ich meine Starre überwinden kann, wird mir die Flucht nicht gelingen.
Und so werde ich enden. Zusammen mit den anderen, für die ich persönlich verantwortlich bin.
Eine letzte Hoffnung bleibt mir: Falls dies tatsächlich nur ein Traum ist, werde ich spätestens in dem Augenblick aufwachen, wenn ich sterbe.
Ich halte den Atem an und warte auf das Unvermeidliche: auf meinen Tod oder auf das schweißgebadete Aufwachen in meiner Kabine.
Das Monstrum blickt mich an. Dann spricht es.
*
Penanser-Viriu stellte sich vor das Spiegelfeld und überprüfte den Sitz seiner Uniform.
Alles passte. Alles saß.
Wenn da nur sein Gesichtsausdruck nicht gewesen wäre. Und die eingefallenen Wangen, die dunklen Ringe unter den Augen.
Penanser wusste, dass er früher oder später etwas gegen seine Albträume unternehmen musste. Sie raubten ihm wertvolle Erholung in seiner ohnehin nur allzu knapp bemessenen Freizeit.
Aber was sollte er unternehmen?
Ein paar Sitzungen in der psychologischen Kammer, bei der sein Geist von Holoprogrammen durchleuchtet wurde, um anschließend durch induzierte Hypnose repariert zu werden?
Das hätte er vielleicht tun können, als er nur Kommandant der REGNAL-ORTON gewesen war. Aber nun befehligte er bereits einen ganzen Verband von Raumschiffen.
»Penanser-Virius Angriffsflotte.«
Das waren die exakten Worte des Maghan gewesen, als er den Befehl zum Zusammenzug der 2920 Schiffe gegeben hatte.
Penanser atmete tief durch.
Ja, nun war es definitiv zu spät, um einen Eintrag in die Krankenakte seines Dienstdossiers zu verursachen. Er zweifelte nicht daran, dass ein solcher Eintrag schneller weitergeleitet würde, als ihm Zeit bliebe, in der PsyKammer Platz zu nehmen.
Dabei waren es die gleichen Albträume, wie er sie schon als kleiner Junge gehabt hatte, als er in der von seinem Vater kommandierten Weltraumstation aufgewachsen war. Oder zumindest eine Variation von ihnen.
Jedes denkende Lebewesen, das sich durch Schlafphasen regeneriert, kennt Albträume, dachte er. Das ist ganz normal. Selbst dem Maghan können sie nicht fremd sein.
Penanser strich das Haar an den Schläfen glatt, nickte seinem Spiegelbild entschlossen zu und verließ seine Kabine. Er durfte nicht zu spät kommen.
*
»Ah, Penanser-Viriu!«
Der Angesprochene blieb vier Schritte vor dem Maghan stehen und salutierte.
»Ich begrüße dich, Maghan, an Bord der REGNAL-ORTON!«
Die Trivid-Bilder hatten nicht gelogen. Tamaron Vetris-Molaud war die stattliche und charismatische Erscheinung, wie sie mittlerweile in der gesamten Galaxis bekannt war. Dazu hatte das Sorgfaltsministerium nicht viel beitragen müssen.
Die intensiv blauen Augen durchbohrten Penanser, als wolle er ihn bis in den hintersten Winkel seiner Persönlichkeit ausloten.
Der Kommandant des 2000-Meter-Schiffes der NEBERU-Klasse gestattete sich ein weiches Lächeln. Er hatte während seiner Karriere als Raumschiffskommandant immer wieder mit Würdenträgern zu tun gehabt. Freilich hatte sich von ihnen keiner zum Maghan ausgerufen. Aber wenn Penanser etwas wusste über Vorgesetzte und andere hohen Tiere, dann das, dass sie in ihren wichtigsten Spielfiguren in erster Linie Tatkraft und Zuversicht sehen wollten.
Und Tatkraft und Zuversicht würde er dem Tamaron bieten.
Tatsächlich gab Vetris das Lächeln zurück.
»Ich freue mich, dass der Zusammenzug deiner Flotte in der kurz bemessenen Frist ohne Probleme geklappt hat.«
»Es ist nur ein Beispiel für die Potenz des Neuen Tamaniums, Maghan.«
»So ist es. Dann lass mich dir zwei der potentesten Waffen vorstellen.« Vetris-Molaud hob den linken Arm und zwei Tefroder, die zuvor im Hintergrund gestanden hatten, näherten sich ihm. »Das sind Lan Meota und Satafar, Mitglieder unseres Mutantenkorps. Du wirst von ihnen gehört haben.«
Penanser-Viriu deutete eine kurze Verbeugung an. »Und ob ich von euch gehört habe. Es ist mir eine Ehre!«
Lan Meota, ein unscheinbar wirkender, etwas dicklicher Tefroder nickte ihm lächelnd zu, während Satafar ihn mit zusammengepressten Lippen und gerunzelter Stirn musterte. Penanser hatte sich auf die beiden Agenten vorbereitet, seit er die Auftragsakte mit der höchsten Klassifizierung erhalten hatte.
Obwohl er unterrichtet war, ließ Satafars Anblick seinen Magen ließ kurz zusammenziehen.
Satafar hatte den Körperbau eines etwa zehnjährigen Kindes – und das Gesicht eines verrunzelten Greises.
Penanser hatte es in seiner Flottenkarriere schon mit manchen Nichttefrodern zu tun gehabt. Einige von ihnen waren für das tefrodische Auge und Geschmacksempfinden von erlesener Hässlichkeit gewesen. Aber das war ganz normal für Fremdlebewesen.
Der Tefroder Satafar allerdings, dieser Widerspruch aus Jüngling und Greis, löste in Penanser eine instinktive Abscheu aus.
»Die beiden Agenten haben für das Neue Tamanium große Siege errungen«, sagte der Tamaron feierlich. »Was unseren Schiffen – unserer Flotte – nicht gelang, nämlich die Eroberung des Polyport-Hofes WOCAUD, bedeutete für sie nur einen Spaziergang. Dazu kommen weitere Erfolge, wie das Niederringen des Galaktischen Spielers Ronald Tekener oder das Vereiteln eines schändlichen Attentatsversuchs auf den Maghan des Neuen Tamaniums persönlich.«
»Wofür euch unser aller Dank gewiss ist«, sagte Penanser steif.
Noch konnte er die beiden Mutanten nicht richtig einschätzen. Lan Meota schien ihm der umgänglichere zu sein, aber Penanser wusste nur allzu gut, dass er die beiden Agenten nicht nach ihrem Aussehen beurteilen durfte.
Alle beide waren Mörder. Nicht wie er einer war, der in seiner Laufbahn dreimal den Befehl zum Abschuss von Raumschiffen samt Besatzungen hatte geben müssen.
Nein, Lan Meota und Satafar waren dazu ausgebildet worden, Auge in Auge zu töten. Er glaubte von sich, zu einer solchen Tat nur im Verteidigungsfall fähig zu sein.
Lan Meota hatte schon Leute getötet, indem er Organe von Lebewesen aus ihrem Körper teleportiert hatte. Meist handelte es sich dabei um das Herz oder das Gehirn des Trägers.
Im zarten Körper von Satafar steckte die Kraft eines Ertrusers, der seinen Feinden mit einem Fingerschnippen das Genick brechen konnte.
»Lan Meota ist dazu autorisiert, eine Einsatzgruppe zusammenzustellen, die das sogenannte ZbV-Schiff der Terraner entern und wenn möglich kapern wird.«
»Verstanden«, antwortete Penanser. »Allerdings habe ich in meinem Auftragsdossier keine nähere Beschreibung zu diesem ›Schiff zur besonderen Verwendung‹ gefunden.«
»Die werde nicht einmal ich dir liefern können. Das sehe ich allerdings nicht als großen Nachteil an. Die Spur dieses ominösen Geheimprojekts der Terraner führt nach Hol Annasuntha, zur Insel der Geborgenheit.«
Penanser ließ eine Augenbraue steigen. »Etwa zum Kharag-Sonnendodekaeder?«
»Genau dorthin. Wir haben den Hinweis erhalten, dass dieses Schiff durch den Ein-, respektive Ausflugspunkt des Situationstransmitters fliegen wird.«
»Verstanden«, sagte Penanser.
»Das will ich hoffen«, antwortete der Tamaron. »Wie lautet der Auftrag deiner Flotte?«
Unwillkürlich versteifte sich Penanser. »Der Auftrag lautet, das ZbV-Schiff zu entern und wenn möglich zu kapern, Maghan!«
»Korrekt.«
Vetris-Molaud machte drei Schritte auf Penanser zu und fügte leiser als zuvor hinzu: »Falls die Eroberung des Schiffes scheitert, hast du den Befehl, das Schiff restlos zu vernichten. Das Wichtigste ist, dass die Terraner nichts mehr vorfinden, das sie bergen und reparieren können.«
Penanser straffte sich. »Verstanden, Maghan.«
Sein Blick fiel auf Satafar. Der kleine Mutant hatte sein Greisengesicht zu einem hässlichen Lächeln verzogen.
14. Juni 1516 NGZ
Yogul-System
Oberst Ajax Torquil stand mit verschränkten Armen vor dem Haupt-Holoschirm der Zentrale der Kern-Kommandozelle PRAETORIAS.
Die 10.000 Fragmentraumer der Posbis schlossen die Angriffsformation, während sie sich mit reduzierter Geschwindigkeit der vorbestimmten Feuerlinie näherten.
Zehntausend Schiffe und PRAETORIA gegen die nominell doppelt so große Flotte der Onryonen, die auf ihrer relativen Position knapp außerhalb der Bahn des äußersten Planeten Yogul 38 in Kugelformation wartete.
An der Spitze der Formation stand der Raumvater HOOTRI, in der Holoschirm-Darstellung düsterrot leuchtend. Das Schiff Shekval Gennerycs.
»Erreichen der Feuerlinie in dreißig Sekunden«, meldete die Feuerleitstation.
Der Plophoser atmete tief ein.
Die Onryonen nannten ihre Flottenverbände »Raumrudel«. Oberst Torquil hatte während des Anfluges darüber sinniert, wo die Onryonen diesen Begriff entlehnt hatten. Ob es sich um eine präzise Übersetzung handelte und auf das Herdenverhalten einer onryonischen Tierart schließen ließ. Oder hatten sich die Onryonen in einem früheren Stadium ihrer Existenz selbst als »Rudel« betrachtet, wenn sie mit primitiven Waffen gejagt hatten?
Er hätte es gern gewusst. Oberst Torquil hatte die Oktoberschlacht von 1514 NGZ im Kreit-System intensiv studiert, um mehr über die taktischen Aspekte der onryonischen Schlachtführung zu erfahren. Was ihm fehlte, waren die psychologischen Hintergründe seines Gegners. Das Wissen über die Wurzeln des Wortes »Raumrudel« könnten ihm wichtige Hinweise auf das Denken und die möglichen Strategien der Onryonen vermitteln.
Auf Plophos gab es etliche Tierarten, die sich zu Rudeln zusammenschlossen. Manche unterschieden sich in ihrer Rangordnung und Aufgabenteilung stark voneinander.
Während Plophos-Katzen in erster Linie Einzelgänger waren, schlossen sie sich in der freien Wildbahn zu Jagdrudeln zusammen. Die schwächeren Tiere starteten Scheinangriffe, während sich die schnellsten unbemerkt in Position brachten, um die Beute überraschend von der Seite anzugreifen.
Andere Tierarten bildeten einen weiten Kreis, zogen ihn langsam enger. Wenn das Beutetier endlich die Widersacher bemerkte, war es in der Regel zu spät, um erfolgreich zu flüchten.
»Erreichen der Feuerlinie in zehn Sekunden!«
Ajax Torquil blickte auf die Zeitanzeige. 13.52 Uhr. Exakt sieben Minuten nach Ablauf des Ultimatums der Onryonen.
Die Feuerleitstation zählte die letzten fünf Sekunden des Countdowns mit. Bei »null« drangen die vordersten Fragmentraumer über den als »Feuerlinie« definierten Bereich ein, der eigentlich mehr eine Kugelschale denn eine Linie war.
Die HOOTRI und die anderen Onryonenschiffe gerieten in die Kernschussweite der Transformkanonen.
»Was sagen die Orterdaten?«, fragte Torquil laut.
»Defensivbewaffnung der Onryonen steht«, meldete die Ortungsstation. »Keine Anzeichen von aktiven Offensivwaffen!«
Torquil wartete, bis die Hälfte der Keilformation der Fragmentraumer die Feuerlinie überflogen hatte.
»Angriffsmanöver!«
Die Spitze des Keils korrigierte den Kurs um fünf Grad in die Tiefe in Relation zum Gegner.
»Feuer frei!«
Die Schlacht entbrannte.
*
An Bord der GLASTONBURY
Der 500-Meter-Schlachtkreuzer der MARS-Klasse materialisierte im Einsteinraum. Mit gedrosselter Geschwindigkeit näherte sich die GLASTONBURY Talos, dem fünften Planeten des Hephaistos-Systems.
Talos war mit seinen 17.378 Kilometern Durchmesser und der riesigen Oberfläche von fast 950 Millionen Quadratkilometern eine Supererde. Aufgrund der viel geringeren Dichte brachte er es aber nur auf eine Schwerkraft von 1,1 Gravos.
Das Hephaistos-System mit seinen insgesamt 23 Planeten war 11.836 Lichtjahre vom Solsystem und 7426 Lichtjahre von Omega Centauri entfernt.
Sowohl der weißgelbe Stern als auch sein einzig besiedelter Planet Talos waren von seinen terranischen Besiedlern getauft worden: Hephaistos fungierte in der griechischen Mythologie als Gott des Feuers und der Schmiedekunst und gehörte wie Zeus, Poseidon oder Aphrodite zu den zwölf olympischen Gottheiten. Talos wiederum war eines der geschmiedeten Werke von Hephaistos: ein bronzener Riese, der die griechische Insel Kreta bewachte.
Die Terraner lebten auf Talos mit Mehandor zusammen, mit denen zusammen sie eine starke Gemeinschaft bildeten. Insgesamt lebten rund zwanzig Millionen Lebewesen auf dem gesamten Planeten, wobei sich das Verhältnis zwischen Terranern und Mehandor ungefähr die Waage hielt.
Die Talos-Produktionsgesellschaft hatte sich auf den Bau von Frachtraumschiffen spezialisiert. In mehreren Dutzend subplanetaren und orbitalen Werften stellten sie die Komponenten für kleine, große und übergroße Frachtschiffe her. Zu den Sonderanfertigungen gehörten auch Gittergerüst-Spezialraumer und bisher ein Springer-Wurm, mit dem nicht nur Frachtcontainer, sondern auch Fremdraumer aufgenommen und transportiert werden konnten.
Talos produzierte in erster Linie für den Markt der LFT und der Mehandor, aber auch für andere Völker. Allerdings verzichtete man auf die Herstellung von Waffensystemen; von konventionellen Schutzschirmen und anderen Defensivsystemen einmal abgesehen.
Zudem hatte sich Talos dem Grundsatz verschrieben, die personellen Innenbereiche der Frachtschiffe angenehm-luxuriös zu gestalten, um optimale Bedingungen für lange Bordaufenthalte zu schaffen.
Wer auf einem Talos-Frachtraumer unterwegs war, sollte sich möglichst wohl und heimisch fühlen und damit für weite Strecken gerüstet sein.
Dies war ein weiterer Aspekt für Adams und Dorksteigers Entscheidung, Talos für den Bau des ZbV-Schiffes einzubinden.
Die GLASTONBURY schwenkte in den Orbit des Planeten ein.
Gwyn Draig, der Kommandant des Schlachtkreuzers, wartete alle Klarmeldungen aus der Zentrale ab, dann nickte er Sichu Dorksteiger zu.
Die Chefwissenschaftlerin der Liga Freier Terraner erhob sich. »Bist du bereit?«
Shalva Galaktion Shengelaia blickte sie an, während er etwas steif in seinem Sessel sitzen blieb. Zu Dorksteigers Verwunderung sah sie einzelne Schweißperlen auf der goldbraunen Stirn des Kamashiten glitzern.
»Alles in Ordnung?«
Geschwind erhob sich Shengelaia. »Alles in Ordnung.«
»Dein Team ist instruiert und bereit?«
»Wartet auf mich im Beiboothangar«, bestätigte der Kamashite.
Er kratzte sich nervös am Kopftuch, das er um seinen kahlen Hinterkopf gewickelt hatte. Es leuchtete im gleichen silberfarbenen Farbton wie seine Zähne und Fingernägel.
Gwyn Draig trat zu ihnen. »Es gibt keinen Grund, unsicher zu sein. Die ausgewählten Mitglieder aus meinem Landungsteam kennen ihr Metier. Zudem werden euch Sonden begleiten, über die wir mit euch jederzeit in Verbindung stehen.«
»Zudem handelt es sich um einen Werftplaneten«, fügte Sichu Dorksteiger hinzu. »Ich wäre gern selbst mitgekommen, aber ich darf hier nicht öffentlich in Erscheinung treten. Und in Maske gehen will ich ebenfalls nicht. Es gibt keinen Grund, die guten Leute von Talos vor den Kopf zu stoßen, falls die Tarnung auffliegen sollte.«
Shengelaia zog den Gürtel des erdbraunen Mantels enger um seine dürre Taille; für einen Kamashiten war er außergewöhnlich groß, und seine Statur verstärkte diesen Eindruck noch. »Ich habe keine Angst«, sagte er mit nun fester Stimme. »Es ist nur ... Es ist ein Abenteuer. Das schlägt mir ein wenig auf den Magen. Das ist alles.«
»Benötigst du ein paar Momente, um dich zu sammeln?«, wollte Sichu wissen.
»Nein, das brauche ich nicht. Ich ...«
Ein sanftes Klingen kam auf, als spiele jemand auf einem Glasinstrument. Draig, Dorksteiger und Shengelaia wandten den Kopf synchron in Richtung der Holosphäre, die sich von alleine aktiviert hatte.
Sie blickten in ein kugelartiges Gebilde, das scheinbar von Tausenden allerfeinsten Spinnfäden durchzogen war, an denen Millionen von funkelnden Tautropfen glitzerten. In der Mitte des Gespinsts saß ein Mädchen aus bläulichem Glas, das sie mit großen Augen musterte.
»Wie geht es dir?«, erkundigte es sich.
»Danke, gut«, antworteten Draig und Shengelaia wie aus einem Mund, da sie sich beide direkt angesprochen fühlten.
»Ich grüße dich, ANANSI«, sagte Sichu Dorksteiger freundlich. »Wie geht es dir?«
»Es geht mir gut.«
»Es freut mich, dass du mit uns Kontakt aufnimmst. Können wir etwas für dich tun?«
»Ich möchte mit dir sprechen. Komm zu mir.«
»Ich kann nicht«, antwortete Shengelaia. »Ich muss das Raumschiff für ein paar Stunden verlassen.«
ANANSI hatte nicht nur sie, sondern auch den Kamashiten direkt angesprochen. Die Bitte galt ihnen beiden. Dorksteiger warf dem Kommandanten einen fragenden Blick zu. Er schüttelte stumm den Kopf.
»Shalvas Ausflug kann ein paar Minuten warten«, sagte Dorksteiger lächelnd. »Wir kommen beide gern zu dir, wenn du das wünschst.«
Die Komponente ANANSI, die ausgeklügelte Verschmelzung von terranischer, siganesischer, swoonscher und ferronischer Technologie, erwiderte das Lächeln.
»Ich warte auf dich.«
Das Gespinst mit der mädchenhaften Gestalt verschwand. Shengelaia sah Dorksteiger verblüfft an.
»Auf die kleine Verzögerung kommt es nicht an. Ich bin gespannt, was uns ANANSI zu erzählen oder fragen hat.«
14. Juni 1516 NGZ
Yogul-System
Arun Joschannan verfolgte die Schlacht in der Bahn des äußersten Planeten von Yogul VII aus. Maharani war nicht nur die Hauptwelt der Liga Freier Terraner, sondern auch des 68 Siedlungswelten umfassenden Plejaden-Bundes.
Es war abends. Das Gefecht zwischen der LFT-Flotte und dem Raumrudel der Onryonen dauerte bereits fast sieben Stunden, ohne dass sich etwas Entscheidendes getan hatte.
Joschannans Augen brannten. In den ersten beiden Stunden hatte er kein Auge von der kleinen Holosphäre genommen, die in seinem Arbeitszimmer die Schlacht grafisch aufbereitete. Danach hatte er sich vermehrt seiner wahren Arbeit gewidmet, einzelne Gespräche mit seinem Stab und einigen Regierungsmitgliedern geführt, Befehle gegeben und Befehlsentwürfe seiner Mitarbeiter autorisiert.
Er versuchte, trotz der bedrohlichen Situation Zuversicht zu verbreiten und damit den anderen ein gutes Vorbild zu sein.
Innerlich litt er hingegen wie ein Schwein.
Es hatte erste Verluste an Menschenleben gegeben. Verluste, für die er höchstselbst verantwortlich zeichnete. Der Ausgang der Schlacht schien völlig offen. Joschannan wusste, dass die Onryonen im Bedarfsfall riesige Flottenverstärkungen aufbieten konnten. Die Schlacht im Kreit-System und das von der GALBRAITH DEIGHTON V entdeckte onryonische Flottenversteck hinter einem Paratron-Camouflage-Schleier hatten deutlich gezeigt, dass die Onryonen flottentechnisch weit mehr zu bieten hatten, als sie es die Milchstraßenbevölkerung bisher wissen ließen.
»Kampfanalyse!«, befahl er seiner Arbeitspositronik, die direkt mit LAOTSE verbunden war.
»Der Kampfverlauf hat sich seit deiner letzten Nachfrage nur marginal verändert«, meldete die künstliche Stimme. »Shekval Gennerycs Strategie ist eine völlig defensive. Daher konnten lediglich acht 1600-Meter-Raumer vernichtet und ein Raumvater stark beschädigt werden. Wir beklagen den Verlust von fünf LFT-BOXEN. In erster Linie lässt Genneryc seine Schiffe ausweichen. Sie agieren nicht, sie reagieren. Fliegen aus den Kernschussweiten unserer Geschütze, um sich kurz darauf erneut in Position zu bringen. Weder lassen sie sich zurückdrängen, noch zielen sie darauf, ihre Position zu verbessern oder nennenswerte Abschüsse zu erzielen.«
Joschannan seufzte.
In der Tat glich das Geschehen am Systemrand einem höchst komplizierten, unvorstellbar schnellen und nur von Positroniken beherrschbaren Ballett von Raumschiffbewegungen, fintierten Angriffen und spektakulären Feuersalven, die entweder in aktivierte Schutzschirme oder ins Leere gingen.