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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2217

 

Die Femesänger

 

Im Bannkreis des Crythumo – die Motana erheben sich

 

Arndt Ellmer

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

 

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Wir schreiben November des Jahres 1331 Neuer Galaktischer Zeit. Die Lage in der Milchstraße ist aufs Äußerste gespannt. Ausgerechnet in dieser brisanten Situation gelten Perry Rhodan und Atlan als verschwunden. Tatsächlich sind sie im Sektor Hayok in einen bislang nicht sichtbaren Sternhaufen geraten, der von seinen Bewohnern »Sternenozean Jamondi« genannt wird.

Auf sich allein gestellt und auf dem Planeten Baikhal Cain gestrandet, laufen Perry Rhodan und Atlan den Kybb-Cranar in die Hände und werden von diesen als Arbeitssklaven im so genannten Heiligen Berg missbraucht. Dank der Unterstützung von Mitgefangenen können sie fliehen und sich in die Wälder zum Volk der menschenähnlichen Motana retten. Hier findet Atlan in Gestalt Zephydas eine neue Liebe.

Friede und Sicherheit sind jedoch nur eine Illusion: Die Kybb-Cranar fallen über die friedlichen Motana her. In letzter Sekunde erscheint der mysteriöse Nomade Rorkhete auf dem Plan. Mit den »Ozeanischen Orakeln« vermag er Perry Rhodan, Atlan und Zephyda vor dem Zugriff des Feindes zu retten – auf einem anderen Planeten treffen sie nun auf DIE FEMESÄNGER ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terraner nimmt den Kampf gegen die Kybb-Cranar auf.

Atlan – Der Arkonide wird zur Stütze der Motana.

Zephyda – Die junge Motana erfährt mehr über die Geschichte ihres Volkes und ihre eigene Bestimmung.

Rorkhete – Der Nomade liefert weitere Informationen über den Sternenozean von Jamondi.

Garombe und Anthloza – Die zwei Motana sind die wichtigsten Persönlichkeiten ihres Planeten.

Prolog

 

Anthloza roch den scharfen Schweiß der Flüchtenden, diesen Hauch der Erregung mitten in einer Gegend der Ruhe und Beschaulichkeit. Die Wälder westlich von Biliend zählten zum Niemandsland. Die Einwohner der größten Siedlung Curhafes bezeichneten diese Gegend auch als »Stummwälder«. Weder Vögel sangen, noch gab es nennenswertes Getier. Vereinzelt begegneten die Jägerinnen einem Glattpelz oder einer Rauhaut.

Meist handelte es sich um Gräbler. Ihre Vorliebe für unterirdische Gänge von schier endloser Länge war auf Curhafe Legende. Wenn nach starken Regenfällen der Boden einsank, traten die knietiefen Kanäle zu Tage. Aus der Ferne sah es aus, als hätten die beuteltierähnlichen Ithanten sinnlose Wasserrinnen in die Landschaft gegraben.

Im Schutz eines Angeberbuschs blieb Anthloza stehen. Dieses Strauchwerk trug seinen Namen, weil es zierliche Äste und Zweige sowie einen dünnen Stamm besaß, aber mit riesigen und wuchtig ausladenden Blättern aufwartete. Angeberbüsche wuchsen in Senken und Mulden, im Schutz von Waldungen und am Rand von windgeschützten Lichtungen.

Die Motana weitete die Nasenflügel, sog mit geschlossenen Augen die Luft ein. Sie nahm die Ausdünstung eines tagelang vernachlässigten Körpers wahr. Wir sind noch auf der Spur!

Anthloza untersuchte den Boden. Sie fand keine nennenswerten Abdrücke. Abrieb auf halb verdorrten Blättern hatte der Lufthauch davongeweht. Niedergetretene Grashalme hatten sich längst wieder aufgerichtet. Aus ihren Beobachtungen und dem leicht vorhandenen Geruch schloss die Jägerin auf einen Zeitraum bis zu zwei Stunden, seit die Flüchtende vorbeigekommen war. Sie hatte das Buschwerk als Deckung benutzt.

Die Jägerin huschte weiter, folgte der bisherigen Richtung. Die Spur führte nach Nordosten, und dafür gab es nur eine Erklärung: Die Flüchtende wollte zum Schienenstrang. An der nördlichen Peripherie von Biliend existierte eine kleine Bedarfshaltestelle. Wenn sie den Crythumo-Express dort bestieg, verlor sich ihre Spur.

Anthloza rannte schneller. Zwischen den Wipfeln der Bäume hindurch warf sie einen Blick zum Himmel. Eine Handbreite fehlte Ash noch bis zum höchsten Punkt ihrer täglichen Bahn.

Bald war Mittagszeit. Die Bahn fuhr exakt am Mittag.

Anthloza eilte leichtfüßig weiter. Ein paar hundert Schritte später vernahm sie ein leises Tappen. Ab und zu knackte ein kleiner Zweig unter Ledersohlen. Ein Stück links von ihr bewegte sich außerhalb ihrer Sichtweite jemand durch den Wald.

Voraus tauchte der Waldrand auf, der Ort ihres geplanten Zusammentreffens. Das Buschwerk rückte näher zusammen. Es bildete schmale Korridore, gerade breit genug, einer Motana das geräuschlose Vorwärtskommen zu ermöglichen.

Das leise Tappen setzte für ein paar Augenblicke aus. Es war näher gekommen, aber noch verdeckte das dichte Gebüsch die Sicht auf den Ankömmling.

Am letzten Baumstamm blieb Anthloza stehen. Fast gleichzeitig tauchte auf der anderen Seite eine zweite Gestalt auf, spähte um die Ecke.

Anthloza sah in das andere Gesicht. Die andere glich ihr, einschließlich der kleinen Grübchen in den Mundwinkeln. Lediglich die Frisur stimmte nicht überein. Während sie selbst das schwarze Haar kurz geschoren trug, fielen die Strähnen ihres Ebenbilds bis fast auf die Schultern.

»Nichts«, sagte Garombe, die Zwillingsschwester. »Und du?«

Anthloza berichtete in knappen Worten, was sie entdeckt hatte.

»Biliend-Nord also.« Garombe kniff die Lippen zusammen. »Sie nimmt den Zug.«

»Den wir nicht einholen können. Der nächste fährt erst in der Mitte des Nachmittags.«

Sie brauchten sich also nicht zu hetzen. Genau das kalkulierte die Flüchtende möglicherweise ein. Es gab ihr Zeit, ihre Spur zu verwischen.

»Weiter!«, stieß Garombe hervor. Sie kannte Anthlozas Gedanken, als seien es ihre eigenen.

Schulter an Schulter jagten sie über die Felder, durchquerten einen letzten Streifen Wald und erreichten die Ebene von Biliend. Weit drüben, fast am Horizont, tauchten vereinzelt Mitglieder des zehnköpfigen Kommandos auf. Anthloza nestelte an ihrer Lederweste. Sie zog die winzige Holzpfeife hervor, blies dreimal kurz hinein. Die Frauen hörten es, erspähten sie und wandten sich in ihre Richtung.

»Dieses eine Mal noch«, sagte Anthloza. Ihre Stimme klang heiser, der Tonfall gereizt, ja wütend.

»Dieses eine Mal noch«, erwiderte Garombe etwas leiser und sanfter.

Männer jagten und erlegten Wild, um ihren Teil zur Ernährung der Familien beizutragen. Frauen auf Ash Irthumo jedoch jagten Frauen, die sich nicht den Gesetzen unterwerfen wollten.

Keine Motana meldete sich freiwillig als Jägerin. Die Planetare Majestät bestimmte die tüchtigsten und seelisch stabilsten dazu.

Eines Tages wird alles vorbei sein! Garombe sah ihre grimmig entschlossene Miene.

»Nein, Anthloza. Es muss schon ein Wunder geschehen. Entweder kehren die Schutzherren zurück, oder die Kybb-Cranar rafft eine Seuche dahin. Wir selbst sind zu schwach.«

»Ja, das ist wohl wahr, Schwester. Dennoch ...«

Eine Weile hasteten sie schweigend ihrer Gruppe entgegen. Zwischen den Feldern trafen sie zusammen. Anthloza informierte sie über die Spur, die ihnen jetzt verloren ging, wo sie die Wälder hinter sich ließen.

In lockerem Trab setzten sie ihren Weg fort, Anthloza und Garombe vorneweg, die übrigen Frauen hinterher. Drei von ihnen trugen einen Bogen über der Schulter, getränkt mit Tierblut. Das war das äußere Zeichen ihrer Bereitschaft, ein gefälltes Urteil sofort zu vollstrecken. Aber die Frauen hätten sich lieber die Hand abgehackt, als auf eine Motana zu schießen oder sie gar zu töten. Die Bogen dienten allein dem Zweck, auftauchende Besatzer zu täuschen.

»Tod den Kybb-Cranar!«, zischte Anthloza.

»Tod den Kybb-Cranar!«, antworteten die Motana im Chor.

Der Tonfall ihrer Stimmen spiegelte gleichzeitig ihre Ohnmacht wider. Alle wussten, dass sie gegen die mächtigen Wesen im Crythumo nichts ausrichten konnten.

 

*

 

Biliend! Da lag sie, die Unvergleichliche. Unter den neun Siedlungen Curhafes stellte sie mit Abstand die lieblichste dar.

Von einer Anhöhe blickten die Motana auf die malerisch in die Landschaft eingebetteten Orte, Dutzende an der Zahl. In kleinen Gruppen lagen die Häuser mitten in den Wiesen und Feldern. Fußpfade und Wege für Fuhrwerke bildeten ein sternförmiges Muster, das die einzelnen Weiler miteinander verband. Mitten durch die Idylle zog sich das stählerne Band der Schienen, das Biliend mit den Siedlungen im Norden, Westen und Osten sowie mit dem Crythumo an der Küste verband.

»Eisenbahn des Todes« nannte der Volksmund dieses Beförderungsmittel. Es stammte aus uralten Zeiten, mehr wussten die Motana nicht. Zur überlegenen Technik der Kybb-Cranar passte es ebenso wenig wie zur technologiefreien Kultur der Motana. Den Ithanten traute auch keiner zu, die fünfzig Züge gebaut und die Gleise verlegt zu haben.

»Dort!« Garombe deutete nach Norden, wo sich hinter den Waldinseln Biliends eine graue Schlange durch die Ebene wand.

Sie kamen zu spät. Der Zug verließ soeben die letzte Station.

Die Motana lagerten und aßen ein wenig von den getrockneten Vorräten, die sie in den Beuteln am Gürtel mit sich führten. Sie taten es schweigend. Immer wieder wanderte ihr Blick nach Süden, wo irgendwo hinter dem Horizont das Crythumo aufragte. Auch dieses Mal stand am Ende der erfolgreichen Jagd die Fahrt zum Stützpunkt der verhassten Besatzer.

»Ihr Schutzherren, steht uns bei!«, sagte Anthloza nach einer Weile. »Weiter!«

Sie liefen weiter. Ihre raumgreifenden Schritte vermittelten ihnen ein Gefühl des Schwebens. Die Artgenossen auf den Feldern nahmen sie wahr, beachteten sie aber nicht. Zwei Reihen bewaffneter Frauen sprachen eine deutliche Sprache. Sie waren Kopfjägerinnen.

Nach einer Weile verlangsamte Anthloza das Tempo. Sie wollte ihre Kräfte und die ihrer Begleiterinnen schonen.

Ungehindert durchquerten sie mehrere der kleinen Dörfer, bis sie südlich des Bahnhofs Biliend-Nord auf den Schienenstrang stießen.

»Verteilt euch!«, sagte Anthloza. »Fragt jeden, den ihr antrefft!«

Die Regeln verlangten von den Motana, jeder Kopfjägerin bereitwillig Auskunft zu geben. Die meisten entzogen sich dieser Pflicht, indem sie sich entfernten. Für Anthloza und ihre Begleiterinnen galt es daher, so schnell wie möglich auszuschwärmen.

Anthloza und Garombe blieben am Schienenstrang. Der Geruch nach Metall und Öl lag in der Luft. Die feinen Partikel setzten sich in die Atemwege und beeinträchtigten den Geruchssinn.

Die beiden Kopfjägerinnen durchstreiften die Umgebung des Bahnhofs. Gebäude gab es keine, lediglich einen überdachten Warteplatz für die Reisenden.

Anthloza musterte das Gelände. In Sichtweite erstreckten sich mehrere Bodenwellen. In einer der Senken dazwischen wuchs Gebüsch. Die Zwillingsschwestern hielten darauf zu. Die Blätter der stacheligen Gewächse schimmerten dunkelgrün, zeigten Spuren von Roststaub. Anthloza bog vorsichtig die Zweige auseinander. Schritt für Schritt schob sie sich in das Innere des Gebüschs.

Das Gras war flach gedrückt. Hier war jemand gesessen. Ein paar Krümel einer getrockneten Brotfrucht bestätigten Anthlozas Verdacht. Sie kehrte nach draußen zurück »Da drinnen hat sie auf den Zug gewartet.«

»Dann ist sie jetzt auf dem Weg nach Norden«, bestätigte Garombe.

Anthloza war noch nicht überzeugt. Auch das konnte eine Finte sein, um die Jägerinnen in die Irre zu führen. Die Zeit hätte gereicht, um bis ins Zentrum von Biliend vorzustoßen und sich in den Waldinseln ein Versteck zu suchen.

Die beiden Motana gingen hinüber zum Warteplatz. Nach und nach trafen die Frauen ihres Kommandos ein. Kein Bewohner der Umgebung hatte etwas bemerkt. Und jene, die etwas über das Gebüsch und eine Frau hätten sagen können, waren in den Zug gestiegen und weggefahren.

Anthloza und Garombe setzten sich Rücken an Rücken. Sie hielten sich an den Händen fest. Immer wieder drückten sie fest zu, um sich gegenseitig Mut zu machen.

Kein Motana ließ sich sehen. Da, wo Jägerinnen lagerten, machten ihre Artgenossen einen großen Bogen. Als nach Stunden der Zug von Biliend-Süd kam, stieg außer ihnen niemand ein. Und ein Teil der Passagiere, die die Gruppe entdeckten, verließ die Wagen fluchtartig.

Wir sind Aussätzige!, dachte Anthloza wütend. Aussätzige im Namen der Planetaren Majestät.

Die Motana behandelten sie wie Parias. Während sie den Zug durchkämmten, rückten die Männer und Frauen so weit von ihnen ab, wie es irgendwie ging. Freundliche Grüße blieben unbeantwortet. Fragenden Blicken folgte ein hastiges Abwenden der Köpfe.

Früher hatte Anthloza geglaubt, sie könne sich eines Tages dagegen abhärten. Inzwischen wusste sie, dass es unmöglich war. Garombe und den anderen erging es nicht besser.

Im Gegenteil. Von Mal zu Mal wurde es schlimmer. In Anthlozas Gedanken schlichen sich depressive Elemente ein. Sie erwischte sich dabei, wie sie aus dem Fenster starrte und sich fragte, ob es nicht besser wäre, aus dem fahrenden Zug zu springen. Darin unterschied sie sich vermutlich nicht von der Frau, die sie verfolgten.

Die Kopfjägerinnen trafen sich in der Mitte des Zuges. »Nichts«, bestätigten sie. Die Flüchtende hielt sich tatsächlich nicht in diesem Zug auf.

Sie kehrten in einen der hinteren Wagen zurück und setzten sich zu den anderen Passagieren. Mit der Zeit tauten die Motana auf. Sie wussten um die Notwendigkeit ihrer Jagdtätigkeit und der »Quote«. Auf der anderen Seite gab es keinen, der nicht Verständnis für die Flüchtende aufbrachte.

Nach einer Weile verflachten die Gespräche. Anthloza und ihre Jägerinnen nutzten die Stunden, um zu schlafen. Als sie erwachten, näherte Ash sich dem Horizont. Ein lautes Pfeifen der Zug-Maschine wies darauf hin, dass sie Kogiand erreichten. Der Zug verlangsamte.

Anthloza zählte sechs ihrer Begleiterinnen ab. »Nehmt euch das Personal des Bahnhofs vor! Ihr anderen vier kümmert euch um die Umgebung. Garombe und ich bleiben am Schienenstrang.«

»Kehrt um!«, rief jemand. »Ihr habt hier nichts zu suchen.«

Andere Motana widersprachen. Wenn die Kopfjägerinnen gingen, kamen die Kybb-Cranar. Und das wünschte sich erst recht keiner.

 

*

 

Nicht weit entfernt ließen ein paar Fleddox ihr markerschütterndes Gebrüll ertönen.

»Anthloza, da!« Garombe kauerte an den Gleisen. Das Geröll der Dammbefestigung wies Steine auf, deren dunkle Unterseite nach oben zeigte. Eine Spur zog sich von den Schienen herab bis zum Gras der benachbarten Wiesen. »Sie ist abgesprungen!«

Anthloza benutzte erneut ihre Pfeife. Der durchdringende Ton reichte bis weit in die Stadt. Es dauerte nicht lange, dann standen alle Jägerinnen um sie herum.

»Der Wald im Südwesten muss ihr Ziel gewesen sein«, vermutete Garombe. Die übrige Umgebung Kogiands bestand aus unzugänglichen Felsbarrieren.

Die zwölf Motana verfielen in Laufschritt. Bevor sie den Wald erreichten, fächerten sie sich zu einer Reihe auf. In Sichtweite zueinander suchten sie den Waldrand ab.

Jetzt, da die Jagd in ihre heiße Phase trat, stellte sich bei Anthloza wieder dieses dumpfe Gefühl ein. Das Bewusstsein, etwas tun zu müssen, was sie nicht tun wollte, und doch nichts anderes tun zu können, erzeugte dieses Gefühl in ihr. Garombe erging es ähnlich. Die Schwester tauchte plötzlich neben ihr auf und nahm sie in den Arm.

»Noch dieses eine Mal!«, rief Garombe ihr in Erinnerung. »Wir sollten es so schnell wie möglich hinter uns bringen.«

Sie fanden die Stelle, wo die Flüchtende in den Wald eingedrungen war. Wieder roch Anthloza den Schweiß der Angst, den die Frau hinterließ. Diesmal war er nicht ganz so intensiv wie in den Wäldern von Biliend. Die Flüchtende hatte ihren Vorsprung auf drei Stunden ausgebaut, den zeitlichen Abstand zwischen den beiden Zügen.

»Ihr nach!« Anthloza knirschte mit den Zähnen. Es kam ihr vor, als hätte sie das Todesurteil über die Frau gesprochen.

In einer breiten Reihe drangen die Kopfjägerinnen in den Wald ein. Sie blieben auf gleicher Höhe und in Hörweite.

Die Dämmerung setzte ein. Das Zwielicht des Waldes verwandelte sich innerhalb kurzer Zeit in nächtliches Dunkel. Die Augen der Jägerinnen passten sich schnell an. Ihr empfindliches Gehör unterschied problemlos zwischen eigenen und fremden Geräuschen.

Anthloza ließ sich von Garombe führen. Sie hielt die Augen geschlossen, konzentrierte sich ausschließlich auf ihren Geruchssinn. Nicht immer hinterließ die Flüchtende eine deutliche Spur für die Nase. Es zeugte von starkem Stress und auch von Verzweiflung. Sobald sie den Aufenthaltsort der Frau ausfindig gemacht hatten, war höchste Vorsicht geboten.

Eines, das wusste Anthloza seit ihrer ersten Jagd, würde sie sich nie verzeihen: wenn eine der Flüchtenden sich tötete. Mit Garombe hatte sie für diesen Fall abgesprochen, was sie dann zu tun gedachte. Selbst wollte sie auf keinen Fall weiterleben. Aber sie würde ihrem Tod einen Sinn geben, indem sie einen Kybb-Cranar tötete.

Der Geruch nach Angstschweiß wurde intensiver. Anthloza verlangsamte ihre Schritte. Sie vermutete die Flüchtende nicht weit voraus. Die Flucht forderte ihren Tribut: Die Frau war müde und suchte einen Platz zum Schlafen. Garombe und Anthloza blieben stehen. Die Jägerinnen hörten ihre Schritte nicht mehr, hielten ebenfalls an.

Anthloza vernahm ein leises Rascheln. Der Wind trug es ihr zu. Es kam von vorn, und mit ihm erreichte sie erneut dieser Geruch.

Todesangst!

»Ich mache das allein«, flüsterte die Kopfjägerin. »Bleibt, bis ich euch rufe!«

Garombe ließ ihren Arm los. Anthloza duckte sich und schlich weiter. Das Rascheln verstummte. Aber der Wind wehte ihr noch immer den Geruch entgegen. Die Flüchtende merkte nicht, dass er sie verriet. Sie nahm ihn selbst nicht wahr.

Anthloza huschte vorwärts. Sie duckte sich tiefer, schlüpfte unter Zweigen hindurch. Nach einer Weile sank sie auf die Zehen- und Fingerspitzen und bewegte sich so vorwärts.

Dichtes Gebüsch tauchte vor ihr auf, eine Wand aus Ranken und Schlinggewächsen. Es musste die Flüchtende ungeheure Kraft gekostet haben, in das Dickicht einzudringen.

Anthloza schob sich ins Innere des Dickichts, das sich ihr als kuppelartiger Hohlraum darbot. Die Frau lag zusammengekauert am Boden. Gleichmäßige Atemzüge kündeten davon, dass sie schlief.

Du hast es verdient nach der langen Flucht, dachte Anthloza. Sie legte ihren Kopf auf das feuchte Moos. Aber ich kann dir den Transport nicht ersparen. Du bist auserwählt. Wäre dir die Flucht geglückt, hätte eine andere Frau dein Schicksal ereilt, auf die das Los nicht gefallen ist. Das wäre noch ungerechter als das, was dir widerfährt.

Die ganze Nacht über wachte Anthloza neben der Schlafenden. Die Jägerinnen kreisten das Dickicht ein. Als der Morgen graute, richtete sich die Anführerin der Kopfjägerinnen auf. Sie kniete neben die Liegende, strich ihr sanft über das Haar. »Es wird alles gut, glaube mir.«