Hartmut Barthelmeß
E-Learning –
bejubelt und verteufelt
Lernen mit digitalen Medien, eine Orientierungshilfe
© W. Bertelsmann Verlag GmbH & Co. KG
Bielefeld 2015
Gesamtherstellung:
W. Bertelsmann Verlag, Bielefeld
wbv.de
E-Book-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing GmbH, Dortmund
www.readbox.net
Umschlagabbildung:
Shutterstock, TCmakephoto
ISBN E-Book 978-3-7639-5530-5
Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Insbesondere darf kein Teil dieses Werkes ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form (unter Verwendung elektronischer Systeme oder als Ausdruck, Fotokopie oder unter Nutzung eines anderen Vervielfältigungsverfahrens) über den persönlichen Gebrauch hinaus verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Für alle in diesem Werk verwendeten Warennamen sowie Firmen- und Markenbezeichnungen können Schutzrechte bestehen, auch wenn diese nicht als solche gekennzeichnet sind. Deren Verwendung in diesem Werk berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese frei verfügbar seien.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Inhalt
Vorwort
Kurzfassung
Danksagung
1 Einführung
2 Ausgangssituation
Rahmenbedingungen für Bildungsorganisationen veränderten sich
Lernen als Teil des Lebens- und Arbeitsprozesses
Was macht E-Learning aus?
Digital Natives
3 Nach welchem Konzept sollten E-Learning-Technologieanwender handeln?
Eigenverantwortung und Selbstbestimmung fordern und fördern
Wissensaufbereitung, -vermittlung und -aneignung anders managen
Soziale Kommunikation, Lernkooperationen und Teilen von Wissen fördern
Bildungsverwaltung und Bildungsinfrastruktur optimieren
Resümee
4 Emanzipation der Lernenden
Erkenne dich selbst und ergänze dich selbst
Wissens- und Lernbedürfnisse ändern sich
Was soll durch Lernen erreicht werden?
Wie lernt man Wissen?
Vom Anfänger zum Experten
Wahrnehmungen und Emotionen
Der kulturelle und soziale Lebens- und Arbeitsraum
Resümee
5 Wissen, das uns und die Welt verändert
Teilen und Verteilen von Wissen
Was macht das Wissen so bedeutend – was unterscheidet es von Informationen und Meinungen?
Schema zum erweiterten Wissensreproduktionszyklus
Prozessphase 1 – Erkennen und Bestätigen
Prozessphase 2 – Konfektionieren und Kommunizieren
Prozessphase 3 – Vermitteln und Aneignen
Prozessphase 4 – Anwenden und Verwerten
Wie sicher ist Wissen?
Die personengebundene Wissensbasis – das Gedächtnis bleibt unentbehrlich
Management von Wissen
Resümee
6 Lehren und Lernen sind Kommunikationsprozesse
Menschliches Sein ist auf Kommunikation eingestellt
Phänomene in der Kommunikation
Wissen wird dominant über Sprache und Schrift kommuniziert
Im Zentrum des Lernens und Lehrens bleibt der Dialog
Resümee
7 Digitale Bildungsinfrastruktur
Dienstestruktur zur Unterstützung von Bildungsprozessen
Usability Engineering
Identitätsmanagement
Qualitätssicherung und Evaluation
Resümee
8 Management von Bildungsorganisationen
Gesellschaft, Bildungssystem, Lehren und Lernen
Warum fehlt uns der Mut, Hochschule anders zu denken?
Warum sind Hochschulen so, wie sie sind?
Warum bleiben Hochschulen in der E-Learning-Anwendung im Pilotmodus?
Was ist ein Projektstudium?
Eine verwaltungsarme Hochschule
Was sind die Folgerungen?
Resümee
9 Management von E-Learning-Projekten
10 Fazit
A Tafelbildverzeichnis
B Literaturverzeichnis
C Glossar
Vorwort
Die globale Digitalisierung beschleunigt und intensiviert nicht nur unsere eigenen Lebens- und Arbeitsbereiche, sondern auch die weltweite Ökonomie. Die Arbeitswelt fordert entsprechende Qualifikationen und Kompetenzen. Was bedeutet das für das Lernen? Müssen Lernprozesse für Individuen, für Verwaltungen und Bildungseinrichtungen, für die Gesellschaft und die Wirtschaft schneller, effizienter und nachhaltiger ablaufen?
Benötigen wir gerade in dieser Beschleunigungsphase eine Entschleunigung, eine Konzentration auf das Wesentliche, ein Bewusstwerden und Mobilisieren des eigenen Potenzials, um effektiver lernen zu können?
Wie reagiert jeder Einzelne auf die Veränderungen im Lebens- und Arbeitsumfeld? Wie reagiert der Einzelne darauf, sich Wissen mit hoher Effizienz, in immer komplexeren Formen aneignen und es kreativ anwenden zu müssen?
Was muss der Einzelne stets im „Kopf“ haben, was kann er lediglich nachschlagen oder in kurzer Zeit „nachlernen“? Die Technik- und Technologieentwicklung verdeutlicht, dass der Mensch immer dann Werkzeuge erfand, wenn er physische und neuerdings auch psychische Grenzen überwinden musste. Nichts anderes passiert gegenwärtig. Angetrieben durch die Digitalisierung und die Globalisierung wollen und müssen wir das wachsende Wissen der Menschheit gut strukturiert verfügbar und verwertbar halten, deshalb werden hierfür Werkzeuge und Technologien entwickelt. Zugleich kommen wir an einer Effizienzsteigerung der geistigen Leistung jedes Einzelnen nicht vorbei. Wie ist das zu erreichen, ohne den Einzelnen dabei zu überfordern?
Mit dem Internet und den digitalen Medien waren die technologischen Voraussetzungen auch für eine Digitalisierung im Bildungsbereich gegeben – das war die Geburtsstunde für das E-Learning. Ich bleibe bei dem Begriff E-Learning, auch wenn mittlerweile für den gleichen Sachverhalt andere Begrifflichkeiten verwendet werden wie z.B. „Lernen mit digitalen Medien“ oder „Einsatz rechnergestützter Bildungstechnologien“.
Mehr leisten zu können bedeutet für den Einzelnen auch oft, es auch zu wollen – unabhängig davon, ob dieser lernbegabt ist. Die Veränderungen passieren so rasant, dass selbst Eliten und Lehrende Mühe haben, Schritt zu halten. Selbstvertrauen in das eigene Handeln jedes Einzelnen ist notwendig. Zum Thema „Lernen“ bedeutet dies, dass beruflicher Erfolg von der Fähigkeit, selbstverantwortlich und selbstbestimmt lernen zu können, direkt abhängig wird. Das bedeutet nicht, dass geführtes Lernen durch Lehrende entfällt. Es bedeutet vielmehr, dass der Einzelne selbst verantworten muss, was für ihn wichtig ist und wie er die höchste Lernintensität erreicht. Und das lebenslang. Es ist ein unternehmerisch wirkendes Denken in Lernangelegenheiten, eine „Lern-Ich-AG“, ein Leben lang. Schulisches Lernen auf Vorrat im Sinne einer einmaligen Wissensaufsummierung, welches dann für das Leben reichen muss, ist als Konzept längst überholt. Wir müssen umdenken, und das mit Bedacht.
Einige Vertreter in Bildungsorganisationen glaubten, dass das E-Learning nur ein Hype sei und es beim bisherigen Lernen bleiben würde. Andere überschätzten das technologische Potenzial von E-Learning und stellten sich eine dominant-virtualisierte digitale Welt des Lernens vor. Diese Spannbreite in den gegensätzlichen Auffassungen ist bis in die heutige Zeit erhalten geblieben. Welche Bildungstechnologien – klassisch und/oder digital – notwendig sind, bleibt umstritten. Wieso blieben Lernen, Lehren, Wissensaufbereitung, Kommunikation und Management einer Bildungsorganisation selektiv zu lösende Aufgaben, statt diese als zusammengehörig und als wechselseitig beeinflussende Komponenten zu sehen? Die Projektergebnisse mussten hinter den Erwartungen zurückbleiben.
Wenig beachtet wurde auch, dass Lehrende und Lernende gleichermaßen mit drei wesentlichen Veränderungen konfrontiert werden: zum einen mit dem Veränderungsdruck durch Innovationen aus dem Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien (verkürzt: durch Internet, Computer, Handy und digitale Medien) auf Wirtschaft, Transport und Kommunikation. Zum anderen durch die zunehmende Digitalisierung und Vernetzung von Wissensinhalten im Internet. Und letztlich durch die beschleunigte Wissensverwertung in der Wirtschaft, angetrieben durch die Globalisierung. Genau dieses zeitlich gleiche Auftreten von Veränderungen und das Wirksamwerden von Innovationen erzwingen, dass alles in den Bereichen Bildung und Ausbildung auf den Prüfstein gestellt wird: die klassischen Rollen der Lehrenden und Lernenden, die Wissensaufbereitung, die Infrastruktur, die Organisation und die Strukturen von Bildungseinrichtungen. Hierbei sollte auch die Frage gestellt werden, wo sich dadurch Probleme zugespitzt haben und welche Widersprüche zu lösen sind.
Aus welchen Gründen ist die Anwendung von E-Learning vor allem in Schule und in Hochschule so umstritten? Warum wird der technologische Fortschritt zum einen bejubelt und zum anderen verteufelt? Ist es die Angst vor einer durch die Wirtschaft forcierten „Ökonomisierung“ der Bildungsprozesse? Um den ablehnenden Stimmen gerecht zu werden, übersehe ich auch nicht, dass hinter dem Internet und den digitalen Medien, insbesondere für Kinder und Jugendliche, ein nicht zu unterschätzendes Sucht- und Verführungspotenzial steht.
Auf all diese Fragen versuche ich, eine Antwort zu finden. In unterschiedlichen Rollen − als Projektleiter zum Einsatz digitaler Medien, als Mitglied im Programmbeirat der Learntec, als Moderator in Messeforen der didacta und der Zukunft Personal, als Lehrender oder als Verantwortlicher für die Studienberatung und die Studienorganisation − habe ich die Veränderungsprozesse an der damaligen Universität Karlsruhe und heutigem KIT – Karlsruher Institut für Technologie – persönlich miterlebt. In all diesen Tätigkeitsfeldern stand für mich immer die folgende Frage im Mittelpunkt: Welche Konsequenzen ergeben sich wirklich aus der Digitalisierung und der Globalisierung für die Bereiche Lehre und Studium?
Charakteristisch war, dass man im Bereich der Lehre und im Studium jedwede Form von Experimenten mit Technologie-Innovationen zuließ, aber nachhaltigen Veränderungen skeptisch gegenüberstand. Unverständlich bleibt es mir bis heute, warum deutsche Universitäten als Zentren des Wissens beim digitalen Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft kaum eine Rolle spielen und in der Hauptsache mit sich selbst beschäftigt sind.
Genau das sind die Gründe, warum ich mich dazu entschlossen habe, dieses Buch zu schreiben, da nach meiner Ansicht mittlerweile auch die Informatik als Wissenschaft, die meinen Lebens- und Berufsweg bestimmt hat, von der von ihr selbst ausgelösten Entwicklung eingeholt wurde und sie nun die Weiterführung anderen überlässt.
Leipzig, Oktober 2014
Hartmut Barthelmeß
Kurzfassung
Bisher wurden Schulen und Hochschulen durch die Anforderungen geprägt, welche eine Industriegesellschaft stellte. Jetzt sind es die Anforderungen aus Digitalisierung und Globalisierung, welche Schulen und Hochschulen künftig erfüllen müssen. Auf diese Änderungen der Rahmenbedingungen reagieren Schulen, Hochschulen, Wirtschaft und Gesellschaft sehr unterschiedlich. Das ist die Ausgangssituation für den Einsatz von E-Learning. E-Learning ist eine Applikation der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) und führt zur Digitalisierung des gesamten Bildungsbereiches, einschließlich der Bildungsgeschäftsprozesse, der Bildungsinfrastruktur, der Kommunikation, des Wissens und der Vielzahl von Prozessen in Lehren und Lernen.
Ausgehend von diesem Sachstand ermöglicht E-Learning als Applikation und Hochtechnologie, Lehren und Lernen frei von bisherigen Organisationszwängen und historisch gewachsenen Konventionen neu zu denken. Es ermöglicht, auf die Potenziale und Neigungen der Lernenden zu reagieren, talentierte und weniger talentierte Lernende differenziert zu unterstützen, selbstbestimmtes und selbstverantwortliches Lernen zu fördern. Wir Menschen wissen mittlerweile viel über uns selbst, insbesondere durch die Neurowissenschaften. Auch dass wir uns von der Massenunterrichtung trennen müssen, die der Logik einer industriellen Massenfertigung folgt. Denn E-Learning ermöglicht einerseits ein individualisiertes Lernen, und andererseits unterstützt es eine bisher so nicht erwartete soziale Vernetzung, Kommunikation und Kooperation. Und das ist etwas Neues.
Mit dem neuen Leitmedium Internet verändert sich auch die Aufbereitung und Verwendung von Wissen. Es ist digitalisiert weltweit verfügbar, und ein Zugang ist unabhängig von Zeit, Ort und sozialer Herkunft möglich. Individuen als Wissensträger vernetzen sich und teilen Wissen. Auch das ist neu.
Das sind erst einmal nur Möglichkeiten und Produktivitätspotenziale, die sich nicht von selbst entfalten. Es muss gewollt sein und professionell gemacht werden. Es wird besonders betont, dass es eindeutig sein muss, welche Ziele mit der Hochtechnologie E-Learning erreicht werden sollen und welches Konzept diesen Zielen am besten entspricht. Eine Technologie folgt dem Konzept und nicht in umgekehrter Reihenfolge. Das wird von E-Learning -Anwendern mal mehr oder weniger befolgt. Hier liegen die eigentliche Gründe für die sehr unterschiedliche Wirksamkeit von ELearning. Deshalb auch bejubelt und verteufelt.
Danksagung
Die vorliegende Arbeit hat ihre entscheidenden Wurzeln in der jahrelangen Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Peter Deussen an der Universität Karlsruhe (heute: KIT – Karlsruher Institut für Technologie), Fakultät für Informatik. 1997 gründeten wir gemeinsam das Zentrum für Multimedia. In dieser Zeit entstand auch am Standort Karlsruhe eine intensive Zusammenarbeit mit den Gründern der Learntec, Prof. Dr. Uwe Beck und Prof. Dr. Winfried Sommer, die bis heute anhält und für die ich sehr dankbar bin. Beide haben das Buchmanuskript kritisch gelesen und mir dabei geholfen, meine mitunter sehr persönlichen Auffassungen noch einmal zu hinterfragen.
Eine Reihe von weiteren Anregungen und Einsichten erhielt ich auch von den jährlich stattfindenden MMK-Tagungen (MMK: Mensch-Maschine-Kommunikation). Hier treffen sich seit über 30 Jahren selbstorganisiert (ohne eine institutionelle Trägerschaft) Interessierte aus Hochschule, Wirtschaft und Gesellschaft; sie analysieren und diskutieren technisch-technologische und gesellschaftliche Entwicklungen zum Themenfeld „Mensch-Maschine-Kommunikation“ und jeder Teilnehmer hat das Recht, diese Ergebnisse als „Open Content“ zu verwerten.
Viele interessante Anregungen und Hinweise verdanke ich Gesprächen mit Informatik-Studierenden, wie Thomas Mann, Dirk Reinbold und Günther Reimann, die heute alle im Berufsleben stehen.
Als kritischer Vertreter der Generation Y oder der „Digital Natives“ unterstützte mich meine Großneffe Jörn Dornbusch. Seine ganz andere Sicht, insbesondere die Art und Weise, Inhalte zu visualisieren, hat das Ganze bereichert.
Leipzig, Oktober 2014
Hartmut Barthelmeß