Seit der Entdeckung der verschiedenen Wellenarten rückte die Frage nach dem Wesen der Strahlungen und ihrer Bedeutung für das Leben immer mehr in den Mittelpunkt des naturwissenschaftlichen Interesses. Auch der Laie will wissen, wie sich die Strahlen auf ihn und sein persönliches Leben auswirken können. Normalerweise denkt er bei seinen Fragen zunächst an das sichtbare Licht, etwa die Sonnenstrahlen, die an einem schönen Sommertag durch das Fenster fallen und wie goldene Fäden das Zimmer durchweben. Aber was hier sichtbar wird, sind gar nicht die Strahlen, sondern Staubteilchen, die im Licht aufleuchten. Grundsätzlich sind Strahlen Träger von Energie, die z. B. von einer Strahlenquelle, einem Energiezentrum wie der Sonne, einer Kerze, einem Heizstrahler, einem Lebewesen oder auch einem radioaktiven Mineral entweder sichtbar oder unsichtbar ausgesandt wird. Die stärkste Strahlenaussendung ist bei den radioaktiven Stoffen zu finden, deren Atome durch die heftige Wirkung sogar zerfallen können. Wer der Frage nach Ursache und Ursprung der Kernstrahlung nachgeht, erfährt in diesem Buch wesentliche Zusammenhänge.
Vorwort
1Strahlenalarm
2Was ist Radioaktivität?
3Atomzerfall
4Halbwertszeit
5Alpha-Zerfall
6Beta-Zerfall
7Gamma-Zerfall
8Neutronenstrahlung
9Wie radioaktive Strahlung gemessen wird
9.1Counts (Impulszählung)
9.2Gray
9.3Sievert
9.4Becquerel
10Strahlung und lebendes Gewebe
11Sicherheitsvorkehrungen
11.1Strahlenschäden und Grenzwerte
11.2Strahlenschutzmaßnahmen
12Strahlenschutz bei Experimenten
13Quellen radioaktiven Materials
13.1Leuchtziffern älterer Uhren
13.2Rauchmelder
13.3Glühstrumpf einer Camping-Gasleuchte
13.4Emaillierte Kochtöpfe
13.5Radongas
13.6Goldschmuck
13.7Proben von Uran235 und Uran238
13.8Mineralien
14Experimente mit einer Nebelkammer
15Bau eines Geigerzählers
16Transistor-Strahlendetektor
17Szintillations-Strahlendetektor
18Geigerzähler mit Glimmröhre im Netzbetrieb
19Geigerzähler mit Glimmröhren im Batteriebetrieb
20Fachlexikon
21AUSBLICK
21.1Warum brauchen wir die Kernfusion und nicht die Kernspaltung?
21.2Exotische Experimente zur Kernfusion
21.3Die Zukunftsaussichten der Kernfusion
Wenn Sie den Begriff „Radioaktive Strahlung“ in einem Gespräch erwähnen, erschrecken die meisten Menschen. Im Laufe der Jahre hat sich nukleare Strahlung als ein Schreckgespenst der modernen Technik entwickelt, hoch geschätzt für ihr energetisches Potenzial, aber gefürchtet wegen ihrer tödlichen Eigenschaften. Diese Befürchtungen sind unter anderem auf die verschiedenen Kernkraft-Unfälle – wie in Three Mile Island (USA), Tschernobyl (UdSSR), Fukushima (Japan) – sowie die Enthüllungen über die oberirdischen Atomtests in den 50er und 60er Jahren zurückzuführen, bei denen übermäßig viel Strahlung freigesetzt wurde.
Radioaktivität ist sicher kein Spielzeug. Aber trotz ihrer Unbeliebtheit gibt es eine Reihe von sicheren, intelligenten und nützlichen Experimenten, die Sie mit radioaktiver Strahlung durchführen können. Sie können einen tragbaren Geigerzähler bauen, um versteckte Strahlung aufzuspüren, Sie können Spuren von Radioaktivität in einer nebligen Atmosphäre aus Alkohol beobachten. Außerdem können Sie das Niveau der radioaktiven Strahlung in Ihrem Haus ermitteln, um zu sehen, ob Sie und Ihre Familie ungewöhnlich hohen Strahlenkonzentrationen ausgesetzt sind.
In diesem Buch erfahren Sie, was radioaktive Strahlung ist und wie sie lebende Organismen beeinflusst. Sie lernen, wie man eine Nebelkammer konstruiert und verwendet, wie man für die verschiedenen Arten von Strahlung Überwachungseinrichtungen baut und wie man damit den Strahlenschutz überprüft.
Radioaktive Strahlung wurde 1896 von dem französischen Chemiker Becquerel entdeckt. Man wusste jedoch noch nicht, woher diese Strahlung kam und welche Wirkungen sie auf Stoffe hat. Es dauerte bis ins 20. Jahrhundert, bis Wissenschaftler wie Bohr, Rutherford und andere die Theorie des Atomaufbaus entwarfen und erkannten, dass radioaktive Strahlung aus Atomen emittiert wird.
Ein Atom besteht aus einem Kern und einer Elektronenhülle. Der Kern besteht aus Protonen und Neutronen. Die Elektronen umkreisen den Kern wie in Abb. 1 dargestellt. Nukleare Strahlung kann auftreten, wenn das Atom seinen Zustand ändert, in der Regel durch Verlust oder Zugabe von Kernbausteinen oder Elektronen in der Hülle.
Abb. 1: Atomare Darstellung eines Wasserstoff- und eines Heliumatoms.
Von besonderer Bedeutung bei der Untersuchung der Radioaktivität ist das Atomgewicht und die Massenzahl eines Atoms. Das Atomgewicht (Z) repräsentiert die Anzahl der Elektronen um den Atomkern. Jedes Element hat ein charakteristisches Atomgewicht. Das Element Wasserstoff hat das Atomgewicht 1, weil nur ein Elektron um den Kern kreist. Die Atomgewichte der anderen Elemente kann man aus der Periodentabelle entnehmen.
Die Massenzahl (M) ist die Summe der Anzahl Protonen und Neutronen in Kern und wird in der Regel als kleine Zahl nach dem Namen des Elements geschrieben. An der Massenzahl kann man ein Isotop oder eine leicht modifizierte Form eines Atoms erkennen. Beispiel: Wasserstoff hat meist nur ein Elektron in der Hülle und normalerweise nur ein Proton im Kern, also ist die Massenzahl M = 1 und das Atomgewicht Z = 1 und man schreibt das Element einfach als „H“ statt „H1“. Es gibt aber auch Wasserstoffatome mit zusätzlichen Neutronen im Kern (siehe Abb. 2). Atomkerne, die von der Norm abweichen, nennt man Isotope. Im Falle des Wasserstoffatoms wäre die Darstellung dann „H2“ bzw. „H3“.
Abb. 2: Die drei Isotope des Wasserstoffatoms: Wasserstoff, Deuterium, Tritium. Von den Isotopen ist nur das Tritium mittelmäßig radioaktiv (jedoch reichen ein paar Kilo Tritium für eine Wasserstoffbombe mit einer Sprengkraft von einigen Megatonnen TNT).
Die Massenzahl (M) wird in der Regel nach dem Namen des Elements geschrieben, z. B. Uran235 oder Uran238. Bei beiden Erscheinungen handelt es sich um das Element Uran, aber um jeweils unterschiedliche Isotope. Diese verhalten sich bezüglich radioaktiver Strahlung völlig unterschiedlich, sind in ihren chemischen Reaktionen jedoch gleich.
Strahlung ist meist das Ergebnis von Atomzerfall. Der Zerfall hat seine Ursache im Aufbau der Isotope, z. B. H3 (genannt „Tritium“). H3 ist grundsätzlich instabil. Das Atomgewicht (Z) und die Massenzahl (M) sind nicht im Gleichgewicht. Beim Versuch das Gleichgewicht wiederherzustellen, wird ein Neutron umgewandelt in ein Proton und ein Elektron. Jetzt besteht der neue Kern aus zwei Protonen und einem Neutron, dies ist dasselbe wie Helium3 (Abb. 3). Als Nebenprodukt dieser Kernumwandlung wird das entstandene Elektron aus dem Kern ausgestoßen.
Abb. 3: Kernfusion eines Tritiumatoms zu Helium mit Emission eines Elektrons.
Ähnlich wie bei einer chemischen Reaktion wird der radioaktive Atomzerfall mit einer Gleichung beschrieben. Die Reaktionsgleichung für Tritium in stabiles Helium3 lautet:
Tritium → Helium 3 + 1 Elektron.
Die Gleichung ist wie folgt zu lesen: Tritium atomar verwandelt sich in Helium3 plus die Freisetzung eines Elektrons. Im Falle von Tritium führt der Atomzerfall zu einem Element, das in der Periodentabelle höher steht. Nicht alle atomaren Reaktionen verlaufen so. Zum Beispiel Uran238 zerfällt in Thorium234, das niedriger in der Tabelle steht, unter Abgabe eines „Alphateilchens“. Die Reaktionsgleichung für Uran238 ist:
Uran238 → Thorium234 + Alphateilchen
Interessanterweise ist Thorium 234 auch ein instabiles Isotop, sodass dieses wieder in weitere Bestandteile zerfällt. Tabelle 1 zeigt die Zerfallsreihe von Uran 238, welches in immer stabilere Atome zerfällt bis hin zum Element Blei. Aus der Tabelle können Sie leicht ersehen, dass der Zerfall des ursprünglichen Uran 238 über mehrere Zustände hinweg bis zum stabilen Blei erfolgt. Dieser Prozess dauert mehrere Billionen Jahre.
Wahrscheinlich haben Sie schon einmal die Begriffe Kernspaltung und Kernfusion gehört. Diese beschreiben grob die Art der atomaren Reaktion, die einem Isotop widerfährt. Spaltung findet statt, wenn die Atome eines Elements oder Isotops nach dem Zerfall im Periodensystem niedriger stehen, Fusion findet statt, wenn das Atom in ein Element oder Isotop umgewandelt wird, das im Periodensystem höher steht.
Tabelle 1: Uran238 Zerfallsreihe
Element | Masse/Atomgewicht | Emissionsschwerpunkt |
Uran | 238/92 | alpha |
Thorium | 234/90 | beta, gamma |
Protactinium | 234/91 | beta, gamma |
Uran | 234/92 | alpha, gamma |
Thorium | 230/90 | alpha, gamma |
Radium | 226/88 | alpha, gamma |
Radon | 222/86 | alpha, gamma |
Polonium | 218/84 | alpha, beta |
Blei | 214/82 | beta, gamma |
Astatine | 218/85 | alpha |
Bismuth | 214/83 | alpha, beta, gamma |
Polonium | 214/84 | alpha, gamma |
Thallium | 210/81 | beta, gamma |
Blei | 210/82 | alpha, beta, gamma |
Bismuth | 210/83 | alpha, beta |
Polonium | 210/84 | alpha, beta |
Thallium | 206/81 | beta |
Blei | 206/82 | stabil, zerfällt nicht mehr |
Wie in Abb. 4 gezeigt, weisen Isotope eine Halbwertszeit auf. Das ist diejenige Zeit, nach der die Hälfte des Ausgangsmaterials in andere Formen umgewandelt wurde. Für reines Uran238 dauert es 4,47 Billionen Jahre, bis die Hälfte in Thorium234 zerfallen ist. Thorium234 hat jedoch nur eine Halbwertszeit von 24,1 Tagen. Es zerfällt zunächst in Protactinium234 (gleiche Massenzahl wie Thorium234, aber anderes Atomgewicht). Die Halbwertszeit von Protactinium ist wiederum nur 1,17 Minuten.
Sobald ein Isotop in ein neues Material umgewandelt wird, entstehen radioaktive Emissionen. Die vier wichtigsten Arten solcher Emissionen sind Alpha-, Beta- und Gamma- und Neutronenstrahlung.
Abb. 4: Typische Kurve für den Verlauf des Zerfalls einer radioaktiven Substanz. Mit jeder Verdoppelung der Jahre zerfallt die Hälfte der Atome.