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Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog

Epilog:

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2490

 

Die dunklen Gärten

 

Angriff auf die Nadel des Chaos – Vergangenheit und Zukunft treffen sich

 

Wim Vandemaan

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

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Die Lage für Perry Rhodan und die Menschheit ist verzweifelt: Eine gigantische Raumflotte, die Terminale Kolonne TRAITOR, hat die Milchstraße besetzt. Sie wirkt im Auftrag der Chaotarchen, und ihr Ziel ist kompromisslose Ausbeutung.

Die Milchstraße mit all ihren Sonnen und Planeten soll als Ressource genutzt werden, um die Existenz einer Negasphäre abzusichern. Dieses kosmische Gebilde entsteht in der nahen Galaxis Hangay – ein Ort, an dem gewöhnliche Lebewesen nicht existieren können und herkömmliche Naturgesetze enden.

Mit verzweifelten Aktionen gelingt es den Menschen auf Terra und den Planeten des Sonnensystems, dem Zugriff der Terminalen Kolonne standzuhalten. Sie verschanzen sich hinter dem TERRANOVA-Schirm und versuchen, die Terminale Kolonne zu stören.

Um die Milchstraße zu retten, muss zuerst Hangay in eine normale Galaxis zurückverwandelt werden: In der Kernzone Hangays angekommen, führt Perry Rhodan seine Verbündeten in die Schlacht um die »Nadel des Chaos« – und in DIE DUNKLEN GÄRTEN …

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terranische Resident befiehlt den Angriff auf GLOIN TRAITOR.

WELTWEISER – Eine junge Geistesmacht tritt auf den Plan.

Colten Gossi – Der Terraner führt einen der drei Musketiere in die Schlacht um die Nadel des Chaos.

Dewlet Ghiray – Ein Friedensfahrer erinnert sich seiner Wurzeln und genießt den ersten Kampf.

Wiia-Na-Daj – Eine Kartanin lebt ihr neues Leben dank des Vibra-Psi.

Prolog

9. November 1347 NGZ

5.10 Uhr

 

»Wenn ich dann mal um ein paar historische Worte bitten dürfte, Eure Herrlichkeit!«

Rhodan grinste schief. »Das ist nicht der offizielle Titel«, rügte er den Swoon.

»Man wird amtlich«, raunte Dschingiz Brettzeck seiner Volontärin zu. Die junge Swoon nickte nachdenklich. Die Antigravplattform schwebte einen Arm weit neben Rhodans Kopf. Ihr Akustikfeld sorgte dafür, dass die Worte Brettzecks laut genug an Rhodans Ohren klangen.

»Ich dachte, du hättest erwogen, seriös zu werden«, sagte Rhodan. »Journalismus als Mittel der Dokumentation; der Archivar des Tages; aufbewahren für die nachfolgenden Generationen und etwas in der Art.«

»Etwas in der Art. Irgendwann gerne«, sagte der Swoon. »Aber warten wir diesen Tag und die folgenden ab. Dann können wir sicherer sein, ob mit nachfolgenden Generationen überhaupt noch zu rechnen ist. Wozu sonst noch große Umwälzungen herbeiführen in der Biografie?«

»Da wird wohl jemand alterspessimistisch?«, fragte Rhodan besorgt.

»Aber nie im Leben!« Dschingiz Brettzeck stellte den Akustikmodulator auf seriös und sonor. »Auf den Welten der Liga Freier Terraner schreiben wir den 9. November 1347 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Über Terrania City geht die Sonne auf. Hier, im Orterschatten der gelben Sonne Rendezvous-Gamma, zwei Millionen Lichtjahre von der Heimat entfernt, sammelt Perry Rhodan, der Terranische Resident, seine Flotten.«

Brettzeck war am 4. Juli 1347 NGZ mit einer Sondererlaubnis von Rhodan an Bord der JULES VERNE gekommen. Der Swoon hatte seine Bedingungen akzeptiert: keinen Versuch, die Ereignisse live in die Milchstraße zu übertragen; keine para-journalistischen Aktionen im Auftrag des Senders Augenklar. Oder in eigener Verantwortung.

Brettzecks Bemerkung, da müsste jemand ja eine Menge zu verbergen haben, hatte Rhodan mit dem Vorschlag gekontert, der Sender möge sich mit der Bitte, Brettzeck als eingebetteten Kriegsberichterstatter zu akkreditieren, an die Terminale Kolonne TRAITOR wenden.

»Haben wir längst. Aber die Pressearbeit der Kolonne ist eine schlicht chaotische.«

Rendezvous-Gamma lag etwa 20 Lichtjahre vom Angriffsziel entfernt. GLOIN TRAITOR, die Nadel des Chaos, war in der Akkretionsscheibe des riesigen Schwarzen Lochs Athaniyyon stationiert, fraß sich satt, transformierte Energien, erzeugte das Vibra-Psi, stülpte Hangay um in eine Negasphäre.

Nicht mehr lange.

Sie würden GLOIN TRAITOR angreifen und vernichten.

Sie wussten nur noch nicht, wie.

Sie – das waren das Einsatzgeschwader ARCHETIM, Atlans Hangay-Geschwader, die beiden SOL-Zellen, 2340 OREON-Kapseln und – seit Kurzem – etwas über 10.000 Trimarane und Einheiten anderer Bauart, die zur Ultima-Flotte der Noquaa-Kansahariyya gehörten. Der Verband der Neuen Kansahariyya Hangays stand unter dem Befehl der Kartanin Log-Aer-M’in. Sie war zugleich zuständig für die Vibra-Staffel.

Zum Einsatzgeschwader ARCHETIM gehörten drei Ultraschlachtschiffe der JUPITER-Klasse. Die MICHAEL FREYT, die ROD NYSSEN und die CONRAD DERINGHOUSE. Die Ultraschlachtschiffe durchmaßen am Äquator und an den Polen zweieinhalb Kilometer. Sie wären bei gutwilligen Astronomen als Kleinstplaneten durchgegangen.

Selbstverständlich hatten die Besatzungen eine kurze Instruktion erhalten, nach wem ihre Schiffe getauft waren: die ersten Generäle und sogar ein Solarmarschall des Solaren Imperiums. Wahre Helden, Gründungsväter.

Rhodan ließ sie für einen Moment vor seinem inneren Auge Revue passieren:

Deringhouse, sein Raumjäger im Wega-System von Topsidern getroffen, Haut und Haar verbrannt, sein langer Klinikaufenthalt;

Nyssen, drahtig, Raucher, wie er in ihren Streitgesprächen mit der Zigarette argumentierte, wie er daran sog, den Rauch auspaffte und die glühende Spitze auf Rhodan richtete: Ich darf Sie da mal auf ein paar Schwachstellen in Ihrer Argumentation hinweisen, Sir!;

Freyt, der immer so ernst schaute, dass man sich fragte, woher die Lachfalten um die Augen kamen. Ein Spötter: Wir werden GLOIN angreifen und vernichten, Mike. – Großartiger Plan, Sir. Sehr inspirierend. Ich hoffe, die Kolonne teilt unsere Begeisterung?

»Uns scheint, wir finden den Residenten in diesem Moment in sich gekehrt«, tönte Brettzeck. »Was findet er, der sein Inneres erforscht? Mut, den Einsatzbefehl zu geben? Oh ja, an Mut mangelt es dem Residenten nicht. Warum auch? Jedem unserer Schiffe stehen nur ein paar tausend feindliche Einheiten entgegen!«

»Es kommt nicht nur auf Quantität an, sondern auch auf ihre Qualität«, wandte Rhodan ein.

»Richtig. Denn die meisten unserer Schiffe sind zwar kleiner, dafür aber waffentechnisch wesentlich schlechter ausgerüstet als die Kolonnen-Schiffe.«

»Stimmt nicht.«

»Oh ja, an Selbstbewusstsein mangelt es dem Residenten nicht. Hat er doch in seiner Jugend Seite an Seite mit Resident David gegen einen gewissen Goliath gekämpft, Riese von Beruf.«

Rhodan lächelte. »Du machst mich älter, als ich bin. David lebte kurz vor meiner Zeit.«

»Immerhin war Goliath aber Haluter …«

»Philister.«

»Oder so. Jedenfalls gewaltig groß und technisch überlegen. David hat ihn dennoch besiegt. Mit einer List?«

»Nein. Mit einer Steinschleuder.«

»Man würde es nicht glauben, wäre man nicht selbst dabei gewesen wie Seine Erhabenheit. Warum hat Euer Freund und Vorgänger weiland eine Steinschleuder benutzt?«

Rhodan seufzte leise und dachte nach. »Schleudern sind preiswert, leicht herzustellen, die Munition liegt auf dem Boden. Man nimmt, was gerade zur Hand ist. Pfeile und Speere sieht man heranfliegen, aber Schleudergeschosse kaum.«

»Eine echte Überraschungswaffe«, erkannte Brettzeck.

Rhodan nickte. David nahm einen Stein und schleuderte und traf den Philister an seiner Stirn, dass der Stein in seine Stirn fuhr und er zur Erden fiel auf sein Angesicht. »Ja. Goliath hat den Stein nicht kommen sehen, der ihn töten würde.«

Der Swoon steuerte seine Plattform so, dass die Aufzeichnungsoptik frontal vor Rhodans Gesicht schwebte. Um Brettzecks Regiethron und den Schemel für seine Volontärin, eine junge Swoon namens Chidem Azzinni, gruppierten sich etliche Aufnahme- und Speichergeräte. Ein optisches Feld vergrößerte das Gesicht des Swoon. Rhodan dachte: Er sieht aus wie ein gealterter Elfenkönig.

»Worauf wartest du noch?«

»Auf Kantiran.«

»Den neuen Patron der Friedensfahrer!«, sprach der Swoon im Tonfall eines Historikers, der seinem Publikum eine geschichtliche Person vorstellte, in die Aufnahmeoptik.

Es ist, dachte Rhodan, ja wirklich ein historischer Moment.

Wie würden spätere Epochen das Gespräch, das er mit Log-Aer-M’in und Kantiran führen wollte, eines Tages werten? Am 9. November 1347 NGZ gab der damalige Resident Rhodan den Befehl zum Angriff auf GLOIN TRAITOR. Das darauffolgende Debakel läutete den Zusammenbruch der vereinigten Widerstandskräfte ein.

Oder würde es heißen: In Rückschau auf diese Verzweiflungstat erkennen wir, dass die Verzweiflung Gewalten freisetzt, die dem übermächtigsten Gegner unberechenbar bleiben. Unverhofft verschieben sich die Gewichte. Außenstehenden mag es wie Zufall anmuten. Aber müssen wir nicht das, was alles entscheidet, mit Fug dem Willen zurechnen, der sich aufgebäumt hat gegen das scheinbar Unvermeidliche? So geschehen am 9. November im Jahrtausend der Kriege.

»Resident? Patron Kantiran ist am kleinen Besprechungssaal auf Deck 11-1 eingetroffen«, meldete eine anonyme, männliche Stimme aus der Zentrale der JULES VERNE. »Ich lasse ihn ein. Log-Aer-M’in ist auf dem Weg.«

»Ich komme.« Rhodan schloss den Magnetsaum seiner Bordkombination und nickte den Swoon zu.

»Es bleibt dabei, Resident? Startbefehl um eins-acht-null-null Terra Standard?«, fragte Brettzeck.

Der letzte Tag im Leben Tausender Terraner, Kartanin und verbündeter Intelligenzen war noch keine sechs Stunden alt; für viele würde er sich schneller dem Ende neigen als jeder Tag zuvor.

Sollte man den Angriff auf morgen verschieben? Auf übermorgen? Zeit wird so kostbar, wenn sie versiegt.

Noch immer trafen einzelne Schiffe bei Rendezvous-Gamma ein, meldeten sich über Sonden-Stafetten an, tauchten in den Ortungsschatten und nahmen die Parkpositionen ein, die ihnen von der JULES VERNE angewiesen worden waren.

CHEOS-TAI hielt sich bereit. Der Nukleus der Monochrom-Mutanten wartete auf den Einsatzbefehl. Noch war dem dritten Messenger der Zugang zum Zentrum der Galaxis verwehrt. Die Nadel des Chaos schirmte es durch den Kernwall ab.

Erst wenn GLOIN TRAITOR zerstört oder außer Funktion gesetzt war, konnte die Retroversion der Proto-Negasphäre Hangay beginnen.

Im zentralen Holo sah er die statistische Aufbereitung der Schiffszahlen, und die größte stach ihm sofort ins Auge: 10.800 Trimarane.

Unmittelbar darauf meldeten sich noch drei letzte Friedensfahrer mit ihren OREON-Kapseln an: die PENZZY, die HEILIGE SARUSA VON DER LICHTBRANDUNG und die DONNERBLAU.

»Resident?«, fragte Brettzeck. »Startbefehl um eins-acht-null-null Terra Standard?«

Rhodan lächelte matt in die Aufnahmeoptik der Plattform. »18 Uhr. Ja. Es bleibt dabei.«

 

*

 

Sie begrüßten einander knapp und formlos. Der Patron und die Oberkommandierende der Vibra-Staffel hatten nichts gegen die Anwesenheit der beiden Swoon einzuwenden.

Kantiran, Log-Aer-M’in und Rhodan setzten sich in drei weiße, bequeme Sitzschalen. Zwischen ihnen baute sich ein Holo auf.

Die Einheiten der Flotten wurden durch verschieden gefärbte Punkte markiert. Das Einsatzgeschwader ARCHETIM leuchtete mattblau, ebenso die JULES VERNE und die beiden SOL-Zellen; die Schiffe der Noquaa-Kansahariyya blutrote Tropfen; die OREON-Kapseln smaragdgrün. CHEOS-TAI pulsierte langsam, wie das goldene Herz der vereinigten Verbände.

Rhodan sagte: »Wir müssen handeln, solange KOLTOROC außer Gefecht ist.«

»Die diensthabende Superintelligenz der Gegenseite«, hörte Rhodan Brettzeck kommentieren.

Kantiran nickte, Log entblößte leicht die Zähne.

Rhodan sagte: »Wir greifen GLOIN TRAITOR an. Ziel des Angriffs ist die Vernichtung der Nadel oder mindestens die weitestgehende Zerstörung ihrer Betriebsfähigkeit. CHEOS-TAI und der Nukleus stehen in Bereitschaft. Der dritte Messenger sollte nach der Außerbetriebsetzung von GLOIN TRAITOR in die Kernzone Hangays eindringen und seinen Teil zur Retroversion der Proto-Negasphäre beitragen können.«

»Die einfachsten Pläne sind die besten«, hörte Rhodan leise. Kantiran und Log reagierten nicht. Brettzeck hatte sich per Richtschall anscheinend allein an ihn gewandt.

»Wir greifen die Nadel an und zerstören sie«, fasste Kantiran zusammen. »Wie?«

»Wann?«

»Um 18 Uhr vereinbarter Standard-Zeit«, sagte Rhodan. »Das sollte beiden Seiten Zeit geben.«

»Zeit wofür?«, fragte Kantiran.

Rhodan sah ihn an.

»Die Raumschiffe der Noquaa-Kansahariyya sind für Hangay-Verhältnisse ausgezeichnet ausgestattet. Aber unmittelbar am Schwarzen Loch Athaniyyon sind sie nur eingeschränkt manövrierfähig. Sie können keinen irgendwie Erfolg versprechenden Angriff auf GLOIN TRAITOR fliegen.«

»Siehst du uns als Publikum der Schlacht?«, fragte Log.

»Ich sehe eure Schiffe nicht an der Front gegen GLOIN. Was wir brauchen, sind nicht eure Triebwerke, Schutzschilde, Kanonen. Was wir – oder sie – brauchen, sind die Kartanin der Vibra-Staffel.« Weil sie aufgrund einer Mutation durch das Vibra-Psi eine überlegene Orientierungsfähigkeit in der Proto-Negasphäre entwickelt haben. Geschenke des Feindes.

»Wer sind sie?«

»Wir«, erriet Kantiran. »Er redet von den Friedensfahrern.«

Rhodan nickte. »Eure OREON-Kapseln sind zwar am Ereignishorizont einsatzfähig. Und sie verfügen über durchaus mächtige Waffen. Doch unter den hyperphysikalischen Bedingungen der Proto-Negasphäre leidet ihre Orientierungs- und damit Flugfähigkeit. Leichte Beute für die Verteidiger von Athaniyyon. Fazit: Wenn wir angreifen wollen, brauchen wir das Beste aus beiden Welten.« Er wandte sich an Log-Aer-M’in. »Ich bitte die Pilotinnen der Vibra-Staffel ihre Schiffe zu verlassen – zumindest etwa 2400 von ihnen. Sie sollen die OREON-Kapseln der Friedensfahrer mit ihren Pilotenfähigkeiten ergänzen. Sodass die Kapseln in den Kampf geführt werden können.«

»Ja«, sagte Log-Aer-M’in.

»Ja«, sagte Kantiran.

34 Jahre ist er alt. In wenigen Jahren wird er biologisch älter sein als ich. Kein Mensch – kein Terraner, kein Arkonide – ist wohl ferner von zu Hause gezeugt worden als er: 150.000 Jahre in der Vergangenheit, fast 400 Millionen Lichtjahre von hier, in der Calditischen Sphäre von Tradom. Mein fremder Sohn. Wann werde ich ihn verlieren?

Er lächelte. »Gut. Dann haben die Partner von jetzt an zwölf Stunden Zeit, sich aufeinander einzuspielen.«

 

 

Region GLOIN

Die Gärten Gehennas

 

Der Kernwall flimmerte. Über die gesamte Mantelfläche jagten starke Schwankungen der Intensität wie leere Blitze. Der Wall erlosch nicht, er ging in einen Oszillationsmodus über.

Das also sind die Folgen von ESCHERS Manipulation, das ist das Ergebnis meines Lebens, hatte Laurence Savoire gedacht.

Beobachten. Abwarten. Fliegen …

Er flog. Herausgelöst aus allem, aus dem schattenhaft-lichten Verbund der ehemaligen Prozessoren. Allein.

Er beobachtete.

 

*

 

»Für alles in der Welt gibt es einen Namen, und es gibt sogar Namen für Dinge, die es nicht gibt, für Gegenstände und Kreaturen, die der Fantasie entspringen: hilfreiche Geister, die eine Ewigkeit in einer Flasche zugebracht haben, um endlich demjenigen zu dienen, der die Flasche entstöpselt und den inhaftierten Geist befreit.

Dschinn, Elfen und Sphingen.

Man glaubt an übelwollende Mächte, die im Dunkeln lauern, im Verschwiegenen, in den tiefsten Tiefen, dort, wohin unsere Sinne nicht reichen, in den unzugänglichen Territorien der Wirklichkeit.

Warum?

Weil es uns, den Bewussten, immer noch lieber ist, die Finsternisse von Dämonen bewohnt zu glauben, als uns die Leere vorstellen zu müssen als das, was sie ist: leer, bodenlos, wesenlos.

Selbst wenn wir uns Gehenna als den entflammten Schwefelsee denken, als den ewigen Schmerzenspfuhl, in dem wir als Unrat verbrennen, verstecken wir in diesem Schreckensbild Hoffnung: dass dort an den Gestaden der höllischen Ozeane der Moloch als Wächter steht, eine Staue aus glühender Bronze, die, wenn sie auch keine Gnade kennt, doch den Schmerz verstehen würde, den wir leiden, sodass im Furchtbarsten doch ein Trost wäre: nicht allein zu sein in unserer ewigen Qual; nicht allein zu sein; nicht allein.«

Hoffnung? Hoffnung worauf?

»Dass wir etwas finden. Einen Bottich. Einen Kübel. Eine Scherbe. Etwas, als Schiffsleib brauchbar. Einen Knochen zum Rudern. Etwas als Mast. Etwas – und wäre es Haut, die seit Äonen in Flammen steht –, das zum Segel taugt, das wir setzen, um über die Schwefelsee zu fahren, fort.«

Fort? Wohin? Wohin treibt dich deine Sehnsucht, Dr. Savoire?

Dr. Laurence Savoire – das von allem Fleisch enthüllte Bewusstsein, das den Sinnen und Netzwerken der Neuronen enthobene Selbst von Dr. Laurence Savoire – versuchte zu lachen. Es gelang überraschend gut. Es war ein lichtes, zinkweißes Lachen, durchzogen von umbrafarbenen Äderchen Unsicherheit. Wilbuntir Gilead? Sybel Bytter? Nein. »Du bist wer?«

Ich bin die tote Abigail Mahon. Du wirst lernen, uns besser auseinanderzuhalten. Jedenfalls, wenn dir danach ist. Aber wer weiß. Meine Güte, manchmal fällt es schon uns selbst schwer, uns auseinanderzuhalten. Erstens überhaupt als Prozessoren von ESCHER und zweitens jetzt, nach unserer Entrückung in den WELTWEISEN. Du hast dich kurz nach unserer Entrückung gelöst. Warum?

Ah, dachte Savoire, natürlich. Ich erinnere mich. Ich weiß es nicht. Vielleicht war ich noch zu … zu verbunden mit dem Körperlichen.

Ach ja, die Körper …

»Dann ist das dort auch nicht die Hölle?«

Die Hölle? Ihr Lachen war von einem leuchtenden Smaragdgrün, durchsichtig und abgrundtief. Es ist etwas viel Schlimmschöneres, Dr. Laurence.

Dr. Laurence Savoire sah sich um – augenlos, denn er besaß kein Auge mehr, nichts, was elektromagnetische Wellen hätte wahrnehmen können. Das, was er sah, wurde ihm nicht durch Licht vermittelt. Es bot sich seinem Geist unmittelbar dar, mit der Unverhülltheit, der Schamlosigkeit eines Tieres. Auf obszöne Art offen.

Dies sind mehrfach zusammenhängende Räume, raunte es ihm aus den Tiefen seines eigenen Selbst zu – oder?

Die da gesprochen hat ist Vanika Hoog, dachte Abigail Mahon ihm zu. Eine 5-D-Arithmetikerin.