Der Erfolg eines Instrumentalisten hängt von der Qualität seines Übens ab und nicht zuletzt vom konkreten Wissen, wie man effizient übt. Die vorliegende »Rezepte«-Sammlung soll dazu beitragen, das Lernen zu optimieren und zu beschleunigen. Beschrieben werden oft ungewöhnliche, aber in der Praxis erprobte Techniken. Es geht darum, Übeverhalten – sofern überhaupt möglich – in kompakte Begriffe zu fassen, die so klar sind, dass sie wirklich jederzeit verfügbar sind.

Vermittelt werden Tipps zur Erarbeitung einer Klangvorstellung, denn ohne diese ist Üben zwecklos. Darüber hinaus wird die Frage beantwortet: Was kann ich tun, um das vorgestellte Klangbild und die Realität zur Deckung zu bringen? – Ziel ist es, Musik zu verstehen, sich anzueignen, auszudrücken, darzustellen, zu erleben und erlebbar zu machen.

Gerhard Mantel (1930–2012), international erfahrener Cellist und Pädagoge, lehrte an der Musikhochschule Frankfurt und war Ehrenpräsident der deutschen Sektion der »European String Teachers Association« (ESTA). 1993 gründete er das Forschungsinstitut für Instrumental- und Gesangspädagogik e. V. und führte Kurse und Seminare im In- und Ausland durch.

Weitere Veröffentlichungen bei Schott Music: »Cello üben. Eine Methodik des Übens nicht nur für Streicher«, »Intonation. Spielräume für Streicher«, »Interpretation. Vom Text zum Klang« und »Mut zum Lampenfieber. Mentale Strategien für Musiker zur Bewältigung von Auftritts- und Prüfungsangst«.

 

 

Gerhard Mantel

Einfach üben

185 unübliche Überezepte für Instrumentalisten

 

 

 

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Bestellnummer SDP 55

ISBN 978-3-7957-8603-8

© 2014 Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz

Alle Rechte vorbehalten

Als Printausgabe erschienen unter der Bestellnummer ED 8724

© 2001, 2010 Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz

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Inhalt

Einleitung

Teil A: Was ist Üben?

I.  Übestrategien

1.  Üben nach dem »Prinzip Hoffnung« oder nach dem »Prinzip des Problemlösens«?

2.  »Stein auf Stein« oder »Entwicklerbad«?

3.  Verbindliche Überegeln?

4.  Ziele des Übens

5.  Wahrnehmung

6.  Nachahmung

7.  Rotierende Aufmerksamkeit

II.  Wissen – Können – Übebiografie

1.  Wissen

1.1  Beschreibung von Fakten

1.2  Physiologisches Wissen

1.3  Psychologisches Wissen

1.4  Physikalisches Wissen über das Instrument

1.5  Physikalisches Wissen über den Körper

1.6  Physikalisches Wissen über Musik

1.7  Anatomisches Wissen

1.8  Musiktheoretisches Wissen

1.8.1  Intervalle hören

1.8.2  Intervalle den Fingerkonstellationen zuordnen

1.8.3  Harmonielehre

1.8.4  Struktur eines Werks

1.8.5  Stilistisches Wissen

2.  Können

3.  Übebiografie

3.1  Phasen der persönlichen Entwicklung

3.2  Phasen der Erarbeitung eines Werks

III.  Lernbausteine

1.  Chunks

2.  Schemata – Skripte

3.  Zahlen für das Gedächtnis

4.  Partiturbild

5.  Lautes Sprechen

IV.  Wiederholungen

V.  Pausen

VI.  Fehler

1.  Fehler als Informationsquelle

2.  Fehlerdefinition

3.  Absichtliche Fehler

4.  Weiterspielen bei Fehlern

5.  Fehler als fließender Übergang zu künstlerischer Gestaltung

VII.  Wie lang ist »Jetzt«?

Teil B: Bewegungen

VIII.  Funktionsbewegungen

1.  Alltagsbewegungen

2.  Gleichgewicht

3.  Teilbewegungen

3.1  Doppelhebelbewegungen

3.2  Beugung und Streckung des Unterarms

3.3  Handgelenkbewegungen nach allen Richtungen

3.4  Unterarmrollung

4.  Prinzip der Drehung

5.  Asymmetrische Bewegungen

IX.  Spannung und Entspannung

1.  Lockerheit

2.  Aufmerksamkeit auf verschiedene Körperpunkte

3.  Üben ohne Aufmerksamkeit

4.  Absichtliche Spannung

5.  Prinzip der Spannungsausbreitung

6.  Das Rückstoßprinzip

7.  Arbeitswiderstand

7.1  Reibung

7.2  Masse

8.  Arbeitsabstand

X.  Üben von Grundbewegungen – Reißverschlussprinzip

XI.  Sensibilisierungsbewegungen

1.  Schwank- und Drehbewegungen des Rumpfs

2.  Beckenbewegungen

3.  Beinbewegungen

4.  Schulterbewegungen

5.  Kopfbewegungen

6.  Augenbewegungen

7.  Sensibilisierungswirkungen zwischen rechts und links

8.  Bewegungskette Kopf – Hand – Finger

9.  Sensibilisierende Armbewegungen

10.  Handgelenkbewegungen

11.  Bewegungen in der Hand

12.  Sensibilisierungsbewegungen der Finger

XII.  Ausdrucksbewegungen

1.  Sanftes Nicken

2.  Kopfschütteln

3.  Ducken – Aufrichten

4.  Mimik

XIII.  Atem

XIV.  Training

1.  Sport auf dem Instrument?

2.  Training von Grundmustern

XV.  Sprache

1.  Musikalische Sprachanalogie

2.  Technisch genutzte Sprachanalogie

XVI.  Tastsinn

Teil C: Mentale Organisation

XVII.  Allgemeine Übeorganisation

1.  Vom Schweren zum Leichten

2.  Organisation und Lockerheit

3.  Zeitplanung vor Auftritten

XVIII.  Üben mit guter Laune

XIX.  Rhythmus und Tempo

1.  Rhythmische Puffer

2.  Freie Einsätze

XX.  Das Prinzip der Variation

1.  Rhythmische Varianten

2.  Rhythmische Umgruppierungen

2.1  Veränderung der Auftakte

2.2  Verschiebung des Taktstrichs

2.3  Umgruppierung des Rhythmus bei Sechsachteltakten

2.4  Synkopische Spiele

3.  Betonungen – Verlängerungen

4.  Unterteilungen

XXI.  Räumliche Orientierung

1.  Die räumliche Gliederung auf dem Instrument

2.  Spielfiguren der Finger

3.  Abmessen von Abständen

4.  Räumliche Vorstellungshilfen

XXII.  Verknüpfungsstrategien

1.  Fingernummern

2.  Prinzip des Addierens von Tönen

2.1  Hinzufügen von Tönen – vorwärts

2.2  Hinzufügen von Tönen – rückwärts

3.  Stoppen an bestimmten Stellen

4.  Analogiefallen

5.  Muster mit Anfangstönen

XXIII.  Textänderungen

1.  Langsam spielen

2.  Akzente

3.  Überspringen von Tönen und Takten

4.  Einfügungen

5.  Transponieren

6.  Änderung von Fingersätzen

XXIV.  Blattspiel

XXV.  Mentales Üben

Teil D: Interpretation

XXVI.  Gestaltung

1.  Umgang mit der Zeit

2.  Der Musiker als Regisseur und Dramaturg

XXVII.  Regiewerkzeuge

1.  Auffälligkeit als Mittel der Verknüpfung

2.  Ästhetische Fragestellungen

3.  Musikalische Klammern

3.1  Dynamische Klammern

3.2  Agogische Klammern

3.3  Artikulatorische Klammern

XXVIII.  Assoziationen

1.  Situative Assoziationen

1.1  Bilder

1.2  Landschaften

1.3  Räume

2.  Dynamische Assoziationen

2.1  Bewegungsassoziationen

2.2  Physikalische Assoziationen

2.3  Ereignisse – Erlebnisse

2.4  Gespräche – Dialoge

2.5  Erzählungen – Märchen

2.6  Menschen im Raum

Zusammenfassung

Einleitung

In den letzten Jahren ist eine beträchtliche Anzahl von Veröffentlichungen zum Thema »Üben« erschienen. Das Wissen sowohl über Übeziele und Zwischenschritte, über Bedingungen und Motivation als auch über die Physiologie des Übens wurde durch Forschungen zu Gehirnprozessen beim Lernen und Üben erheblich erweitert.

So hat z. B. die Sportwissenschaft neue Querverbindungen zwischen kognitiven und motorischen Prozessen erschlossen, die sich sogar der Sprache als analoger Lernhilfe für Bewegungsaufgaben bedienen. Auch andere wissenschaftliche Disziplinen, vor allem die Lernpsychologie, haben erheblich zu neuen Erkenntnissen beigetragen.

Die Inhalte der Publikationen zum Themenbereich »Üben« reichen von rein mechanistischen Bewegungsanweisungen einerseits, in denen vor lauter Technik und »Know-how« der künstlerische Mensch kaum noch vorkommt, bis hin zu ideologisch-ganzheitlich ausgerichteten Denkweisen andererseits, denen eine genaue Bewegungsbeschreibung schon suspekt ist.

Das vorliegende Buch stammt aus der Praxis und ist für die Praxis bestimmt. Es beabsichtigt, für den einzelnen Problemfall geeignete, oft ungewöhnliche, aber in der Übe-, Konzert- und Unterrichtspraxis erprobte »Rezepte« zu beschreiben. Es geht darum, Übeverhalten – in den Grenzen, in denen dies überhaupt möglich ist – in kompakte Begriffe zu fassen, die so klar sind, dass sie wirklich jederzeit zur Verfügung stehen. Die Summe all dieser Rezepte ist ein Arbeitskonzept, das den künstlerischen Menschen als Ganzheit begreift, auch da, wo die Aufmerksamkeit sich nur jeweils einem Detail zuwenden kann, das in einem »Rezept« komprimiert wird.

Ein wichtiger Teil des Unterrichts besteht aus dem Angebot an künstlerischen Vorgaben durch den Lehrer: »So soll es klingen.« Solange es nicht »so« klingt, wird an Details gearbeitet, oft ohne Begründung, denn es gilt der Grundsatz: Der Lehrer weiß, was »richtig« ist – und der Schüler billigt ihm dies auch zu. Ein vorgestelltes Klangbild, als erste Säule des Übens, muss aber selbstverständlich »irgendwie« erarbeitet werden, sonst ist Üben zwecklos, denn ohne »Klangvorstellung« weiß ich gar nicht, was ich üben soll. Aber auch die Klangvorstellung ist nicht statisch, nicht fertig, sondern immer vernetzt mit den musikalischen Erlebnissen, den Bewegungsempfindungen, den sich wandelnden emotionalen Zuständen, mit der Biografie, mit dem sich weiterentwickelnden ästhetischen Urteil – und mit der Arbeit am Detail. Kurzum: Das Klangbild unterliegt einem ständigen Entwicklungsprozess.

Musikalische Zielvorgaben sind nötig, doch sind sie nur erreichbar, wenn der Lehrer einen konkreten Weg zur Lösung einer Aufgabe kennt, den er dem Schüler zeigen kann. Die zweite Säule des Übens ist also die Suche nach der Antwort auf die Frage: »Was kann ich machen, um Klangbild und Realität zur Deckung zu bringen?« Wichtig dabei ist: Die Suche nach neuen technisch-klanglichen Möglichkeiten erweitert auch meinen künstlerischen Horizont. Wenn ich eine Klangvorstellung besser, leichter, im Einklang mit mir selbst, also mit neuer Spiellust realisieren kann, wird dieses Ergebnis mich seinerseits zu weiteren Verfeinerungen meiner Klangvorstellung inspirieren.

Der Begriff »Rezept« – in diesem Buch etwas provokativ gebraucht – soll die Verbindung herstellen zwischen dem künstlerischen Ziel und der Frage, wie ich es erreichen kann. Vielleicht ergibt sich beim einen oder anderen Leser eine Erweiterung seiner »Diagnosefähigkeit« (im Sinne des »Erkenne dich selbst!«), sich selbst und sogar seinen Schülern und seinem Unterricht gegenüber.

Die Ergiebigkeit der vorliegenden Rezepte wird für verschiedene Spieler unterschiedlich sein. Sie sollen dazu beitragen, das Lernen zu optimieren und zu beschleunigen. Darüber hinaus möchte der Autor auch zur Entwicklung eigener Rezepte anregen. Die Verknüpfung der hier wiedergegebenen Anregungen mit eigenen Ideen kann zu ganz persönlichen Lern- und Übestrategien führen. So wird sich vielleicht zeigen, dass die Gesamtheit dieser Rezepte einige Antworten auf die Frage gibt: »Was kann ich mit meiner Übearbeit in jedem Einzelfall konkret verbessern?« – Dass der Erfolg eines Instrumentalisten von der Qualität seines Übens abhängt und auch und nicht zuletzt vom konkreten Wissen, wie man effizient übt, dürfte kaum jemand ernsthaft bestreiten wollen – nicht einmal der, der immer »üben muss«, statt sich die Zeit zu nehmen, etwas Neues über das Üben zu erfahren.

Der Autor ist Cellist und bittet die anderen Instrumentalisten um Nachsicht, wenn die Ausführungen etwas »streicherlastig« sind. In dem Buch Cello üben (Schott Musik International, Mainz 1987/1998) hat der Autor sich intensiv den speziellen Übefragen seines Instruments zugewandt. Zahlreiche Kollegen anderer Instrumente haben ihn durch Aufspüren analoger Probleme motiviert, allgemein gültige mentale Prozesse und Bewegungsprozesse beim Üben – für alle Instrumente – zu schildern. Verarbeitet werden viele neue Beobachtungen und Erfahrungen, die der Autor beim intensiven Üben, Unterrichten und Konzertieren in den letzten Jahren gemacht hat. – Für Bläser werden sicherlich einige hier beschriebene Rezepte gegenstandslos sein, weil die Art der Bewegungstechnik und die Bedeutung des Atems eine andere ist als z.B. bei Streichern und Pianisten. Die mentalen Prozesse des Übens und der musikalischen Gestaltung laufen aber ähnlich ab.

Im Zentrum von »Einfach üben« steht die ausführliche Behandlung von Sensibilisierungs- und Ausdrucksbewegungen. Musik ist äußere und innere Bewegung, die einander im Idealfall entsprechen. Zwei Spieler sind verschieden »bewegt« und bewegen sich deshalb verschieden. Der Hinweis auf die größere oder geringere Begabung enthebt uns nicht der Frage, was der eine anders als der andere macht.

Beim Thema »Regie« werden auch künstlerische Verhaltensweisen mit »Rezepten« in Verbindung gebracht. Manchem mag dies merkwürdig erscheinen, doch ist wohl unstrittig, dass derjenige Instrumentalist, der über einen großen, spontan abrufbaren Erfahrungsschatz von professionellen Verhaltensweisen bei der künstlerischen Arbeit verfügt, dem überlegen ist, der keine derartigen Arbeitsmethoden gelernt hat und sozusagen bei jeder Übesitzung »das Rad neu erfinden muss«. Die so oft beschworene »ganzheitliche Spontaneität« als Ausgangspunkt der künstlerischen Übearbeit schöpft die Möglichkeit des Übenden nicht aus: Der geistige Arbeitsprozess, der kreative Vergleich kommt nicht einfach »aus dem Bauch«! Das Glücksgefühl ganzheitlicher Spontaneität beim Musizieren – das »Flow«-Erlebnis – ist das Resultat, nicht der Anfang künstlerischer Arbeit.

Der Sinn und Zweck des vorliegenden Buches: Musik erleben, erlebbar machen, sich aneignen, verstehen, ausdrücken, darstellen und mitteilen.

Teil A: Was ist Üben?

I.  Übestrategien

1.  Üben nach dem »Prinzip Hoffnung« oder nach dem »Prinzip des Problemlösens«?

Bei verschiedenen Aufgabenstellungen zur Erarbeitung eines musikalischen Werkes – seien sie rein technischer oder auch technisch-musikalischer Natur – gibt es zwei grundsätzlich unterschiedliche Vorgehensweisen. Die eine heißt: »Wiederhole so oft und so lange, bis du es kannst.« Sie stützt sich auf das »Prinzip Hoffnung«. Massierte Wiederholung soll die Technik und womöglich sogar die musikalische Gestaltung absichern.

Dieses »Prinzip Hoffnung« wird von vielen Musikern selbst dann nicht in Zweifel gezogen, wenn sie trotz unzähliger Wiederholungen einer technischen oder musikalischen Aufgabe nicht zu einem wirklich befriedigenden Ergebnis kommen. Die »Analyse« eines beobachteten Fehlers erschöpft sich oft schon in der Feststellung: »Da war doch was …«

Das Üben nach dem »Prinzip Hoffnung« erzeugt folglich auch gleich dessen Gegenteil, nämlich das »Prinzip Enttäuschung«. Wer so übt, ist eigentlich dauernd enttäuscht, dass er noch nicht am Ziel ist.

Rezept 1

Nicht nach dem »Prinzip Hoffnung« üben! Man verliert Zeit und prägt den derzeitigen, noch unvollkommenen Zustand ein.

Anders die zweite Vorgehensweise, das »Prinzip des Problemlösens«: Hier wird der Weg, der zwischen dem jetzigen Ausgangspunkt und dem Ziel – auch dem Zwischenziel – liegt, gesehen. Die Schwierigkeiten auf diesem Weg werden berücksichtigt und das geeignete »Verkehrsmittel« sowie der vermutliche Arbeits- und Zeitaufwand mit einbezogen. Dieses Verfahren ist definiert durch Fragen wie:

 

  Was ist eigentlich konkret mein Problem?

  Was genau steht der Lösung des Problems im Weg?

  Verfüge ich über Methoden, die Hindernisse auszuräumen?

  Wenn nicht, wie komme ich an solche Methoden?

Diese Übeweise verlangt, dass ein Spieler ein Problem überhaupt definieren kann – und hier fehlt es oft an einer ausgebildeten Diagnosefähigkeit sowohl seitens der Lehrer als auch seitens der Schüler: Man verwechselt die Bewertung eines künstlerischen Gesamteindrucks mit der Fähigkeit, einzelne Bedingungen und Eigenschaften des gelungenen oder misslungenen Musizierens überhaupt detailliert zu erkennen.

Wenn ein Instrumentalist nach der zweiten Übemethode arbeiten möchte, muss er lernen, eine künstlerische Interpretation – oder etwas bescheidener ausgedrückt: eine komplexe Spielhandlung – in einzelnen Parametern wahrzunehmen, zu beurteilen, zu verstehen und zu beschreiben (s. S. 19).

Rezept 2

Ein Problem sollte so genau wie möglich und in allen seinen Teilaspekten beschrieben werden. Nur was man detailliert wahrnehmen und beschreiben kann, kann man detailliert üben. Wichtig: Nicht nur das Resultat beurteilen!

2.  »Stein auf Stein« oder »Entwicklerbad«?

Sieht man von den ersten Schritten des Anfangsunterrichts ab, vollzieht sich instrumentaler Fortschritt nicht nach dem beliebten »Stein-auf-Stein«-Beispiel des Hausbaus (»erst der Keller, später das Dach«) – so plausibel diese Vorgehensweise auch klingen mag.

Ein geeigneter Vergleich mit dem Lernen wäre eher die Entwicklung einer Fotografie in der Entwicklerflüssigkeit: Dort treten zunächst nur schemenhafte Umrisse, dann die Einzelheiten immer klarer zutage.

Beim Üben ist immer der ganze Mensch beteiligt, auch wenn die Aufmerksamkeit sich beim Spielen und Üben nur auf jeweils einen Aspekt richten kann. Beim Aufbau von Fertigkeiten werden nicht einzelne Muskeln, sondern bei jeder Bewegung von vorneherein deren unbewusstes Zusammenspiel geübt. Ein einzelner Muskel ist nicht separat empfindbar. Die Schaltungen im Gehirn, die als Bewegungsempfindungen erlebt werden, beziehen sich folglich auch nicht auf einzelne Muskeln, sondern auf komplexe Bewegungskoordinationen. Dies schließt allerdings nicht aus, dass man sich beim Üben sehr wohl auf einen Teilaspekt dieser Gesamtbewegung konzentrieren kann und damit andere ignorieren muss.

3.  Verbindliche Überegeln?

Um nach der Strategie des Problemlösens üben zu können, ist ein »Arsenal« von Methoden erforderlich – und schon ist man beim »Rezept«, nämlich dem Wissen, wie man auf ein erkanntes Defizit bei einem bestimmten Lern- und Übeparameter adäquat und effizient reagieren kann.

Trotz der großen Individualität von Lernenden und Lehrenden gibt es bestimmte Regeln, nach denen sich musikalisches Bewegungslernen vollzieht. Wenn man beobachtet, dass jeder Instrumentalist eine ähnliche Zahl von Wiederholungen benötigt (die sich in einem schmalen Bereich von fünf bis neun bewegt), damit er einen neuen Bewegungszusammenhang erstmals flüssig spielen kann, drängt sich die Regelhaftigkeit des Lernens geradezu auf.

Trotz aller Vielfalt persönlicher Ausprägungen existieren also für alle Menschen verbindliche Wahrnehmungs- und Lerngesetze. Die sinnliche Wahrnehmung, basierend auf sich bewegenden akustischen, kinästhetischen oder visuellen Reizen, ist bei allen Lebewesen recht ähnlich und beim Menschen, wenn auch geprägt durch seine Kultur und Biografie, verblüffend regelhaft.

Es sage auch niemand, es gäbe keine konsensfähigen ästhetischen Regeln, denn alles sei Geschmackssache. Hier ein Beispiel: Wiederholte, »geklonte« Sequenzteile werden von je dem Hörer als langweilig empfunden. Die Variation von Sequenzteilen hingegen wirkt interessant und schafft Profil, provoziert Aufmerksamkeit und Vergleich und stiftet damit Zusammenhang im Sinne der »großen Linie«.

4.  Ziele des Übens

Es erscheint fast überflüssig, über Ziele zu sprechen, denn jeder, der übt, möchte »irgendwie« sein Spiel verbessern. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass eine realistische, erfüllbare Planung einen anderen Ablauf der Arbeit erzeugt und am Ende einer Übesitzung eine größere Befriedigung erreicht als ein ungeordnetes Drauflos-Üben. Diese Vorgehensweise fordert – und fördert – aber auch einen anderen, höheren Grad an Disziplin.

Planung erhöht so gesehen den Spaß am Üben und zwingt den Übenden darüber hinaus, die bei jeder Arbeit nötige Erfolgskontrolle einzuschalten, was sowohl kurz- als auch längerfristig die Motivation steigert.

Rezept 3

Üben mit konkreten Zielen und Erfolgskontrolle erhöht den »Lustgewinn« an der Arbeit. Also vorher fragen: »Was will ich heute lernen?« Und nachher: »Was habe ich heute gelernt?«

Unterschiedliche Zielsetzungen des Übens erfordern unterschiedliche Strategien (vgl. Teil C, S. 123ff.). Ziele können z. B. sein:

 

  Instrumentalstimme eines Werkes einrichten, Notentext neu lernen, Text auswendig einprägen.

  Technische Grundmuster pflegen (Staccato, Legato, Sprünge, Triller, Akkorde, Oktaven etc.).

  Klangqualität pflegen: Ansatz, Anschlag, Ansprache, Klangverlauf, Ausklang, Vibrato, Tonverbindungen und deren Variationsmöglichkeiten.

  Teilbewegungen analysieren, integrieren (z. B. Schulter, Handgelenk).

  Intonation kontrollieren und korrigieren (Streicher, Bläser).

  Rhythmus, Agogik, Tempo genau bestimmen.

  Geläufigkeit trainieren.

  Phrasierung genau definieren.

  Zur Vorbereitung für ein Konzert alles wiederholen.

Rezept 4

Zwischenziele definieren, denn nur so können Fernziele erreicht werden – dies gilt auch für Tages- oder Stundenziele!

5.  Wahrnehmung

Um beim Üben etwas verbessern zu können, sind drei Voraussetzungen nötig:

 

  Ich muss wissen, was ich will.

  Ich muss wahrnehmen, was ich mache.

  Ich muss wissen, wie ich den Unterschied zwischen »wollen« und »machen« abbaue.

Der Punkt 1 betrifft die Ziele. Die Antwort auf die Frage »Was will ich?« scheint einfach und ist in Wirklichkeit doch so schwer. Sie hängt von der Persönlichkeit ab und basiert also auf der ganzen künstlerischen Biografie. Der Punkt 3 ist der Inhalt dieses Buchs. So drängt sich unabweisbar die Erkenntnis auf, dass ein Spieler nur insofern etwas richtig üben, also verbessern und damit ändern kann, wenn er sein Spiel genau wahrnimmt – siehe Punkt 2.

Da musikalische Wahrnehmung so oft mit musikalischer Bewertung verwechselt wird, definiert man die Unterschiede zwischen zwei Spielern lieber in Kategorien von Begabung, Niveau, Inspiration oder allgemeiner Künstlerschaft, statt die schwierigere Aufgabe anzupacken, solche Unterschiede zunächst einmal genau zu beschreiben und dann erst zu beurteilen.

Bei der Selbstwahrnehmung ist es ähnlich: Der Spieler fühlt sich mal besser, mal schlechter und spürt und bewertet eine unterschiedliche Gesamtqualität seines Spiels, ohne sich die Mühe zu machen, sie detailliert zu beschreiben. Um sinnvoll zu üben, muss ich in der Lage sein, einzelne Aspekte – Parameter – getrennt wahrzunehmen, noch bevor ich ihnen eine Bedeutung zumesse. Als frei herausgegriffenes Beispiel soll hier der Aspekt »konsonantische Tonansätze« dienen: Statt z. B. nur von »interessant« zu sprechen (Bewertung), muss ich die Tonansätze genau definieren können: »hier härter, dort weicher, hier kürzer, dort länger ausklingend« (Beschreibung). Die Bewertung wird dabei natürlich zu keinem Augenblick ausgeschaltet, sondern überwacht ein solches »objektives« Üben.

Jeder dieser Parameter kann mehr oder weniger starken Schwankungen unterliegen, und zwar sowohl in Form von ungewollten, störenden Unsicherheiten als auch von künstlerisch beabsichtigten Varianten. Diese Verläufe sind im Notentext nicht genau dargestellt und auch nicht exakt darstellbar. Künstlerisch »verwertbare« Wahrnehmung ist Wahrnehmung der Veränderung, und zwar der Veränderung von Parametern. Die wichtigsten Parameter sind:

  Tonhöhe

Die Feineinstellung der Intonation ist für Melodieinstrumente eine lebenslange Aufgabe. Ihre Variablen in Wahrnehmung und Ausführung sind:

 

–  melodisch bestimmte Tonhöhe (Stichwort: weite große Terzen),

–  harmonisch bestimmte Tonhöhe (Stichwort: enge große Terzen),

–  Zusammenspiel mit anderen Instrumenten (z. B. Klavier: hier temperierte Stimmung bei Akkorden),

–  vom Tempo bestimmte Tonhöhe (schnelles Tempo: leittönig, langsames Tempo: obertönig, harmonisch),

–  expressive Intonation (expressive Abweichungen von den Schemata; Vibratoausschlag, Portamentoverbindungen).

  Tondauer

Kein Ton ist mathematisch genau in der dem notierten Wert entsprechenden Länge spielbar. Abweichungen vom Metronom reichen von »schluderig« bis »faszinierend«. Eine (relative) Gleichmäßigkeit ist ein wichtiger Sonderfall in einer Skala von – je nachdem – sinnstiftenden oder auch sinnentstellenden Ungleichmäßigkeiten.

  Lautstärke

Sowohl die Wahrnehmung als auch die Ausführung von Lautstärkenuancen reicht von grober Unterscheidung (»laut oder leise«) bis zu extremer Differenzierung. Für den Spieler eines Melodieinstruments ist folgende Frage wichtig: Wie entfaltet, also verändert sich die Lautstärke auf einem einzigen Ton, auf einer Phrase?

  Tempo

Die Fähigkeit zu erlernen, den Pulsschlag eines Tempos möglichst genau zu bestimmen und im Bedarfsfall, gerade auf dem Podium, wieder zu finden, ist eine wichtige künstlerische Aufgabe.

  Klangfarbe

Ein Beispiel: Kann ich als Streicher oder Bläser hören, auf welche Weise sich im Verlauf eines Tons bzw. einer Phrase die Klangfarbe ändert?

  Geräusche

Auch Geräusche gehören zur Musik. Kann ich sie bestimmen, hervorbringen, verwerten, begrenzen?

  Akkorddisposition (beim Klavier)

Kann ich die Unterschiede in der Lautstärke der einzelnen Töne in einem Akkord hören?

  Vibrato

Kann ich Unterschiede in den Parametern Frequenz und Amplitude, deren Verhältnis und deren Veränderung wahrnehmen und hervorbringen?

  Artikulation (Tonbeginn / Tonende)

Fast das gesamte gesprochene Alphabet steht zur Verfügung, um Ansätze oder Ausklänge zu symbolisieren. Ebenso wie ein Wort mit einem Konsonanten anfängt (auch der Kehlverschlusslaut bei Vokalen ist ein Konsonant), hat auch jeder Ton einen »Einschwingvorgang«, der mit einem Sprachkonsonanten zu vergleichen ist. Ein harter Fingeraufsatz auf dem Cello klingt z. B. wie ein »p«, ein weicher Bogenansatz wie ein »w«. Kann ich die Unterschiede hören und erzeugen? Höre ich den Raumklang, die Pedalquantität und -qualität beim Klavier? Und auch den Nachhall, der für die Artikulation eine wichtige, oft vergessene Rolle spielt?

  Variation vergleichbarer musikalischer Gebilde

Kann ich zwischen ähnlichen musikalischen Gebilden, z. B. Sequenzteilen oder Wiederholungen, Unterschiede hören und hervorbringen?

Rezept 5

Der Notentext zeigt nur Tonhöhe und (ungefähre) Tonlänge sowie einige ungenaue Vortragsbezeichnungen an. Die wichtigsten künstlerischen Parameter muss der Spieler selbst finden.

Die meisten dieser Parameter kommen in der Musik gleichzeitig mit anderen vor. Ihre Gesamtheit und ihre Interaktion sind der Gegenstand künstlerischer Arbeit. Beispiel: Gelingt es, das Zusammenspiel von Crescendo und (Mikro-)Accelerando und dann in der Folge Ritardando und Diminuendo an einem Phrasenende zu erleben, dabei sogar noch bewusst zu steuern und womöglich sogar zu genießen? Künstlerisches Spiel zeigt sich im Zusammenwirken mehrerer Parameter. Die Detailarbeit aber bedarf der Konzentration auf einen einzelnen ausgewählten Parameter.

Darüber hinaus stellt sich die Frage: Kann ich eine geglückte Version wiederholen? Wenn ich nicht über die Parameter verfüge, die ja meine Arbeit bestimmen (Bogenführung, Atemführung, Anschlagsvarianten), gelingt dies nur ausnahmsweise, zufällig.

Es wird oft behauptet, jemand habe eine »ganz klare« künstlerische Vorstellung, die nur einer adäquaten technischen Realisation harre. In Wirklichkeit entwickelt sich das künstlerische Vorstellungsbild im kreativen Ausprobieren, Vergleichen und Wiederholen weiter. Dieses Bild bleibt auch nicht starr, sondern ändert sich mit der Wahrnehmung dessen, was ich höre, ja selbst was ich in meiner Bewegung empfinde. Meine künstlerische Vorstellung ändert sich also mit meiner Wahrnehmung.

Die Verfeinerung und Fokussierung der Wahrnehmung kann vom Beginn des Unterrichts an geschult werden. Dies geht allerdings nur, wenn der Schüler lernt, Unterschiede in allen musikalischen Parametern von sich aus wahrzunehmen und miteinander zu vergleichen.

Beim Üben muss ich natürlich jeden einzelnen Durchgang bewerten, und zwar als Ganzes und in Bezug auf den geübten Parameter. Wenn sich die Bewertung allerdings darin erschöpft, ob ich etwas »richtig« oder »falsch« im Hinblick auf den Notentext gespielt habe, kann ich nicht damit rechnen, meine Wahrnehmung oder die eines Schülers zu verfeinern, was ja die Voraussetzung für die Verbesserung des Spiels ist. Wenn der Lehrer ununterbrochen sagt, was »richtig« ist, wird die Differenzierung der Wahrnehmung verhindert. Ein solcher Unterricht kann dem Schüler irreparablen Schaden zufügen.

Rezept 6

»Richtig« und »falsch« sind buchhalterische, keine künstlerischen Bewertungen. Änderungsmöglichkeiten offen halten!

6.  Nachahmung

Es herrscht bei Musikern leider eine Abneigung gegen das »Nachmachen«; es gilt als minderwertig, weil es nicht »von innen heraus« kommt. Allerdings kommt sehr vieles, was man neu lernt, keineswegs »von innen heraus«, sondern wird durch Anregung von außen an einen Lernenden herangetragen, der es verarbeitet und im Idealfall so sehr zum Eigenen transformiert, dass er vergessen hat, wo er es gelernt hat. (Der Lehrer sollte dies mit Schmunzeln, nicht mit Schmollen quittieren!)

Die Alternativen für erfolgreiches Üben heißen nicht, ob man »von innen« oder »von außen« lernt, sondern ob man »im eigenen Saft schmort« oder sich inspirierenden Einflüssen öffnet. Die Angst vor dem Verlust der eigenen Originalität geht oft so weit, dass Musikstudierende sich scheuen, ein in Arbeit befindliches Werk auf einem Tonträger anzuhören. Natürlich kann das Anhören einer Aufnahme das Interpretationskonzept beeinflussen; deshalb ist es ratsam, sich am besten mehrere Interpretationen anzuhören – das schärft das Urteil und zwingt zu eigener Entscheidung.

Kinder lernen zunächst nur durch Nachahmung, lange bevor es ihnen gelingt, Begriffe zu bilden und logische Zusammenhänge zu erfassen und eigenständig zu verarbeiten. Auch der Erwachsene kann sich dem so genannten »Carpenter-Effekt« nicht entziehen: Sicherlich hat jeder schon einmal beim Verfolgen eines Boxkampfes oder Tennismatches bei sich selbst körperliche Impulse gespürt, die dem Geschehen am Bildschirm analog sind, wie z. B. ein Zucken im Arm bei einem beobachteten Schlag.

Es ist heute unbestritten, dass alle emotionalen Bewegungen auch muskuläre Bewegungen sind, selbst wenn diese unsichtbar bleiben. (Ein Beispiel: Schon meine Stimmbänder [Muskeln] ändern ihren Zustand entsprechend meiner »Stimmung«.) Ich kann also schon beim Üben imaginieren, dass meine Zuhörer nicht nur einen geistigen, sondern zudem einen muskulär-emotionalen »Resonanzeffekt« empfinden. Ähnliches geschieht umgekehrt bei mir, wenn ich beispielsweise einen bewunderten Künstler beobachte.

Der Künstler auf dem Podium lebt letzten Endes in hohem Maße von diesem Effekt, versucht er doch, in einer Art »Resonanzeffekt« musikalische Bewegungen in emotionale Bewegungen bei seinem Hörer umzuwandeln, die bei diesem durchaus bis zu körperlicher Bewegung gehen können (Stichwort: »Schunkeln«).

Die immer noch grassierende Genieideologie, die die pädagogische Verantwortung der »Begabung« und der »Originalität« des Lernenden zuschiebt, verhindert das, was z. B. beim NLP (Neuro Lingual Programming, einer erfolgreichen Lernmethode aus Amerika, die auch in Deutschland immer bekannter wird) als »Modelling« bezeichnet wird. Modelling bedeutet hier das – versuchsweise – extreme Imitieren von bewunderten Vorbildern, und zwar angefangen von Aspekten der Lebensplanung bis hin zu alltäglichem Verhalten, ja zur Körpersprache. In jedem anderen Bereich von Wissensaneignung und Berufsqualifikation ist es eine Selbstverständlichkeit, Vorbildern konkret nachzueifern, nur bei Musikern hat dies einen »moralischen« Beigeschmack. Nachahmen ist (nicht nur für Kinder!) ein wichtiger Lernkanal und kann bis in Einzelheiten als Lern- und Ausdruckshilfe eingesetzt werden. Man kann dies in einer Gruppe mit mehreren Schülern sehr gut üben: Gegenseitiges Imitieren macht viel Spaß und bringt gleichzeitig einen großen unterschwelligen Lernerfolg. Imitation ist nur möglich, wenn man Details beobachtet.

Die Imitation kann sogar bis hin zur Karikatur reichen. Karikatur entsteht nur da, wo durch scharfe Detailbeobachtung charakteristische, wichtige Eigenschaften von unwichtigen unterschieden werden; die Übertreibung solcher Eigenschaften ist Karikatur. (Hier ist die »freundliche«, nicht die so oft zu beobachtende sarkastische Karikatur durch den überlegenen Lehrer gemeint!)

Rezept 7

Von Vorbildern kann man lernen. Sich gegenseitig zu imitieren zwingt zur Detailbeobachtung.

Nachahmung erzeugt Resonanzeffekte bei Spieler und Hörer und erweitert den Erlebnishorizont.

7.  Rotierende Aufmerksamkeit

Während des Spiels ist die musikalische Wahrnehmung eines Übenden insofern eingeschränkt, als er neben den gehörten musikalischen Eindrücken auch einen dichten Strom von motorischen, muskulären Eindrücken verarbeiten muss. Diese haben in vielen Fällen eine so starke Eigendynamik, dass die ursprünglichen musikbezogenen Ideen einfach »überspült« werden.

Die Körperbewegungen beim Instrumentalspiel haben eine beachtliche Eigengesetzlichkeit. Ihre Empfindungen sind sehr stark; sie decken sich zunächst keineswegs mit den musikalischen Empfindungen. Das bedeutet, dass das künstlerische Vorstellungsbild oft einfach nicht stabil genug ist, um sich gegen die technisch manchmal einengenden Vorgaben des Instruments und des Körpers durchzusetzen.