Katharina E. Volk
Roman
Zu diesem Buch
Daniela wurde letztes Jahr, genau zum Valentinstag, von ihrem Freund und Chef betrogen und verlor augenblicklich ihren Job. Seitdem hält sie sich gezwungenermaßen mit Taxifahren über Wasser und will dieses Jahr nur eins: den Valentinstag ignorieren. Gar nicht so einfach, wenn im Radio die Schnulzen dudeln und die Fahrgäste mit Rosensträußen unterwegs sind. Doch dann steigt Jan ein – ohne Blumen, aber auf der Suche nach einer spontanen Begleitung zur Silberhochzeit seiner Eltern. Daniela lässt sich überreden, und schon steht ihr Gefühlsleben völlig Kopf …
»Lassen Sie sich von diesem grauen Februartag nicht die Laune vermiesen, liebe Hörer. Denken Sie lieber daran: Schon in wenigen Tagen ist Valentinstag! Und zur Einstimmung spielen wir schon jetzt für Sie die schönsten …«
Rums! Mit einem gezielten Schlag habe ich den Einschaltknopf meines Radioweckers getroffen und den dämlichen, aufgekratzten Moderator zum Schweigen gebracht. Nehmen die im Sender am frühen Morgen schon Aufputschmittel? So viel gute Laune kann gar nicht natürlich sein, das geht nur unter Einfluss von Drogen. Nicht, dass ich morgens ohne eine Tasse Kaffee auch nur einen Schritt vor die Tür setzen würde. Aber im Sender müssen härtere Sachen rumgehen. Jetzt sitze ich jedenfalls senkrecht im Bett, und den Morgen hat mir nicht der graue Februartag vermiest, sondern der Moderator. Ich sollte endlich auf einen ganz normalen Wecker umsteigen, der meinetwegen piepst, klingelt oder schrillt – Hauptsache, er spricht nicht.
Genervt schwinge ich beide Beine über die Bettkannte und schlurfe Richtung Küche. Noch bevor ich die Packung mit den Filtertüten aus dem Regal nehmen kann, klingelt das Telefon. Ich werfe einen hoffnungsvollen Blick aufs Display. Vielleicht ist es ja mein Chef, der mir unverhofft für heute absagen will? Manchmal kriegt die Zentrale die Planung für die Aushilfskräfte nicht richtig auf die Reihe, und ich hätte heute überhaupt nichts dagegen, einfach wieder ins Bett zu gehen. Doch es ist meine beste Freundin Lena, die anruft.
»Hi Lena, bist du nicht damit beschäftigt, deine kleinen Kröten zu bändigen?« Lena und ich haben uns im Germanistikstudium kennengelernt. Während es mich in die bunte Welt der kreativen Werbung zog, ist Lena Grundschullehrerin geworden und versucht nun täglich, sich gegen kleine Zicken und Rüpel durchzusetzen. Dabei ist sie dafür eigentlich viel zu lieb und zu nett und auch zu emotional. Sie nimmt immer sehr viel Anteil an allem und versucht zu helfen, wo sie kann. Wenn sie um Verständnis bittet, weil sie den Drittklässlern abverlangt, ihren Müll zum Mülleimer zu bringen, ist sie über die trotzdem herumliegenden Butterbrotpapiere wirklich traurig. Ich dagegen habe mir in meinem momentanen Job als Taxifahrerin mittlerweile ein derart dickes Fell zugelegt, dass ich so eine Rasselbande vermutlich mit links bändigen würde. Aber so sind die Karten nicht gemischt. Zielstrebig waren wir beide. Während Lena allerdings nach ihrem Referendariat nun ihre erste Stelle als Lehrerin angetreten hat und wahrscheinlich gemächlich auf ein gesichertes Beamtenverhältnis zusteuert, bin ich nur noch als Taxifahrerin auf der Überholspur und von meinem eigentlichen Ziel weiter entfernt, als ich es mir noch vor einem Jahr hätte vorstellen können.
»Ich hab gerade eine Freistunde, und da fiel mir wieder ein, dass ich dich doch unbedingt einladen will!«, ruft Lena in den Hörer.
»Heute? Womit hab ich das denn verdient?«
»Nicht heute, sondern am Samstag. Und das musst du dir nicht verdienen. Ich will einfach nur nicht, dass du am vierzehnten Februar durchhängst!«
»Ich hänge nicht durch, ich hänge hinterm Steuer.«
»Ach, Daniela, ich weiß, wie hart du im Nehmen bist. Aber ich finde den Gedanken einfach furchtbar, dass du an all das zurückdenken könntest, was Chris dir angetan hat – und das ausgerechnet am Valentinstag! Ich kann das jedenfalls bis heute nicht fassen. Wenn er sich doch wenigstens einen anderen Tag ausgesucht hätte, um mit der blöden Kuh vom Catering zu schlafen!«
»Wäre mir auch lieber gewesen«, knurre ich unwillig in den Hörer. Bis gerade eben war es mir noch einigermaßen gelungen, die Erinnerung an den Valentinstag vor fast genau einem Jahr zu verdrängen.
»Das war so dermaßen unmöglich«, regt Lena sich weiter auf und schnaubt in den Hörer. »Du hattest ihm doch noch am Morgen diese süße selbst gebastelte und gefüllte Dose mit den Papierherzchen auf den Schreibtisch gestellt! Weißt du noch, wie wir lauter Lippenstiftküsschen auf jedes einzelne Herz geknutscht haben? Dass ich da mitgeholfen habe, musste er ja gar nicht wissen. Einen Kuss für jeden weiteren Tag des Jahres – unglaublich romantisch.« Mit Schaudern lausche ich Lenas Worten. Leider war ich vor einem Jahr tatsächlich noch zu derartig kitschigen Aktionen in der Lage und hatte mir eingebildet, Chris damit aus tiefstem Herzen zu erfreuen. Vielleicht hätte mir an jenem Morgen bereits der leicht spöttische Blick des Artdirectors Chris Bohrmann von der Werbeagentur Blick&Klick zu denken geben sollen. Dabei war meine Herzchendose überhaupt nicht als kreativer Agenturbeitrag gedacht, sondern ausschließlich für private Küsse aus der Büroschublade für zwischendurch. Aber Chris hatte seine Blicke bereits woanders, und es hatte auch schon ganz woanders Klick gemacht.
»Und dann erst das selbst gemachte Büchlein!«, ruft Lena, und ihre Stimme überschlägt sich beinahe. »Lauter klassische Liebesgedichte, von Hand abgeschrieben auf Seidenpapier, da hast du doch stundenlang dran gesessen, um Chris eine Freude zu bereiten! Aber an klassischen Gedichten können sich wohl nur Menschen erfreuen, die eine Seele besitzen, und Chris besitzt keine Seele, so viel ist sicher. Ich weiß sogar noch, wie du an dem Tag eigentlich tolle neue Seidenunterwäsche kaufen wolltest, für einen ganz speziellen Abend mit Chris. Irgendwas war dazwischen gekommen, und ich kann nur sagen: Gut, dass du das Geld damals gespart hast!«
Zähneknirschend denke ich im Stillen daran, dass glücklicherweise nicht mal Lena weiß, welche Art von Unterwäsche ich an jenem Abend wirklich tragen wollte: essbare Unterwäsche! Dass es so etwas überhaupt gibt, hatte ich rein zufällig übers Internet erfahren, und mir flugs die Anleitung vorgeknöpft. Dann war ich losgestürmt und hatte Backpapier, Kaubonbons und Fruchtgummi-Schnüre eingekauft. Den Schnitt aus Backpapier hatte ich schnell hinbekommen, das Ausrollen der im Ofen angewärmten Kaubonbons gestaltete sich schon etwas schwieriger. Aber schließlich hatte ich es geschafft, einen im wahrsten Sinne des Wortes sehr süßen Slip herzustellen, der tatsächlich tragbar gewesen wäre. Länger als für einen Abend oder nur für den Bruchteil des Abends hätte er ja sowieso nicht halten sollen. Doch das leckere Dessous kam nicht zum Einsatz, jedenfalls nicht plangemäß. Es flog, begleitet von einem Wutschrei, noch in der Nacht aus dem Fenster meiner Wohnung, dummerweise bis in den Vorgarten der Nachbarn, wo sich der gefräßige Cockerspaniel am nächsten Morgen den Magen daran verdarb. Mir wird jetzt noch schlecht, wenn ich an das alles zurückdenke. Und genau das wollte ich doch eigentlich vermeiden!
»Daniela …?«, höre ich Lena fragen. »Alles okay? Du sagst ja gar nichts.«
»Ich brauch jetzt erst mal einen Kaffee.«
»Ach – hatte ich dich geweckt? Tut mir leid, aber du hast doch hoffentlich keine Nachtschicht gemacht? Du weißt, dass das viel zu gefährlich ist!«
»Nein, keine Nachtschicht, und geweckt hat mich schon ein Radiomoderator, der auch nichts anderes im Sinn hatte als den Valentinstag.«
»Tut mir leid«, wiederholt Lena. »Aber du wirst um diesen Tag nicht herumkommen. Ich finde ja auch nur, dass der Valentinstag doch gar nicht um einen Mann kreisen muss. Lass uns einen Freundinnentag daraus machen! Im Gegensatz zu … du weißt schon wem … habe ich dich schließlich wirklich lieb.«
»Ich denk drüber nach – aber erst nach dem ersten Kaffee, okay? Und du verteil heute ruhig mal ein paar Ohrfeigen, wenn die Kurzen nicht spuren.«
»Du spinnst ja. Abgesehen davon, dass ich dann rausfliegen kann, ist das pädagogisch wirklich nicht zu empfehlen.«
»Freundliches Gesäusel für verzogene Gören aber auch nicht!«
Als ich endlich meine erste Tasse Kaffee des Tages in der Hand halte, stelle ich mich nachdenklich vor meinen geöffneten Kleiderschrank. Der Inhalt ist schon auf eine sehr überschaubare Menge an Klamotten zusammengeschrumpft, aber ein bisschen was geht vielleicht noch. Ich habe die Angewohnheit, mich von Dingen zu trennen, die mich an unangenehme Erlebnisse erinnern. Und das betraf seit meinem letzten Tag bei Blick&Klick den größten Teil meines Kleidersortiments. In der malvenfarbenen Bluse zum Beispiel war ich mit Chris mal beim Tanzen gewesen, im schwarzen Hosenanzug hatte ich mich von ihm zum Essen ausführen lassen, im weißen Häkelkleid hatte er mich bei einem Picknick am Fluss geküsst, und all die Pumps in Schwarz, Blau, Braun und Rot hatten quasi zum klamottentechnischen Pflichtprogramm für den Agenturalltag gehört. Diese Erlebnisse an und für sich waren zwar nicht unangenehm gewesen, aber ich will mich grundsätzlich durch nichts mehr an Chris erinnert fühlen. Jetzt finden sich in meinem Kleiderschrank noch Sneakers, ein paar Jeans, eine beigefarbene Cordhose und einige T-Shirts, Pullover und Jacken. Bei eBay hatten sich diverse Käufer regelrecht um die coolsten Teile gerissen. Mir bedeuteten sie gar nichts mehr. Ich war froh, sie schnellstmöglich loszuwerden. Shoppen gehen kann ich ja irgendwann später wieder, wenn ich Lust dazu verspüren sollte. Das war bis jetzt noch nicht der Fall. In meinem Job als Taxifahrerin ist es nur von Vorteil, so wenig schick und attraktiv wie möglich daherzukommen. Sogar meine schulterlangen braunen Locken stopfe ich meistens unter eine Mütze oder Kappe. Und trotzdem versucht noch so mancher Fahrgast eine plumpe Anmache oder will zum Gesprächseinstieg wenigstens wissen, ob der Job nicht gefährlich ist – so als Frau. Und jeder, der das fragt, kommt sich dabei wahnsinnig originell vor.
Da Lenas Anruf mich nun leider an die Unterwäsche erinnert hat, die ich in der Zeit mit Chris getragen habe, muss ich hier wohl auch noch übers Ausmisten nachdenken. Ich will gerade meine Slips in zwei Stapel, nämlich Chris-Slips und unbedenkliche Slips aufteilen, als das Telefon erneut klingelt.
Mit einem Blick erkenne ich, dass es leider wieder nicht die Taxizentrale ist, um mir einen freien Tag zu bescheren.
»Guten Morgen, Tante Edeltraut«, begrüße ich meine Lieblingstante. Ich kann sie zwar wirklich gut leiden, aber den Status als Lieblingstante hat sie auch deshalb, weil sie leider meine einzige Tante ist. Manchmal bilde ich mir ein, dass mein Leben insgesamt ganz anders verlaufen wäre, wenn ich viele Geschwister und eine lustige Reihe von Onkeln und Tanten gehabt hätte – eine Großfamilie eben, in der man den Kopf von Anfang an auf ganz natürliche Art und Weise zurechtgerückt bekommt. Dann wäre ich vielleicht nie auf einen gelackten Typen wie Chris hereingefallen, der seine miesen Charakterseiten vor mir allzu gut zu verbergen wusste. Weihnachten, Ostern und gemeinsame Familienurlaube hätten bestimmt auch mehr Spaß gemacht. Tante Edeltraut ist als Tante aber keinesfalls zu verachten und sicher ein interessanteres Exemplar als so manche der Durchschnittstanten, von denen Lena ab und zu aus ihrer Verwandtschaft berichtet.
»Du sollst mich Tante Eddi nennen, warum vergisst du das eigentlich immer?«, beschwert sich mein Tantchen sofort.
»Tut mir leid, Tante Eddi«, murmele ich und setze mich im Schneidersitz auf den Teppich vorm Kleiderschrank. »Was gibt’s denn?«
»Ich lade dich hiermit ein, um den Valentinstag mit mir zu feiern!«
»Sei mir nicht böse, Tante Eddi, aber das ist wirklich kein Tag, den ich feiern möchte«, stelle ich schnellstens klar. »Lass uns bei anderer Gelegenheit irgendwas anderes feiern, zum Beispiel den Märzbeginn oder sonst was.«
»Quatsch«, entgegnet Tante Eddi energisch. »Ich weiß genau, warum du diesen Tag nicht magst. Du denkst immer noch an diesen Schnösel!«
»Ich würde überhaupt nicht mehr an ihn denken, wenn mich nicht alle ständig daran erinnern würden!«, rufe ich aus und werde langsam sauer. »Man kann so einen Tag doch auch einfach ausfallen lassen, indem man ihn als völlig normalen Wochentag betrachtet.«
»Das kann man eben nicht«, widerspricht Tante Eddi. »Schon mal deshalb nicht, weil alle anderen es ja auch nicht tun. Wir beide gehen schön Essen und beglotzen uns all die unglücklichen Paare, die sich dann an den Tischen im Restaurant gegenübersitzen und anschweigen. Und dann freuen wir uns, dass uns so etwas erspart geblieben ist!«
Seufzend schüttele ich den Kopf. So lieb das sicher von ihr gemeint ist – ich habe wirklich keine Lust, mit meiner fast sechzigjährigen Tante Eddi in einen Topf geworfen zu werden. Sie hat immerhin vier gescheiterte Ehen hinter sich, und außerdem hat sie eine erwachsene Tochter namens Daria. Tante Eddis Familienplanung ist also abgeschlossen, und nach vier Ehen hat man sicher auch mal genug. Das ist aber eine vollkommen andere Ausgangslage. Ich greife zu einer Notlüge: »Lena hat mich für diesen Tag schon eingeladen, ich kann wirklich nicht, Tante Eddi.«
»Wir können ja auch ein ausgedehntes Kaffeetrinken daraus machen, und zu Lena kannst du später immer noch gehen!«
»Ich werde am vierzehnten Februar tagsüber arbeiten und hinterm Steuer sitzen«, erkläre ich.
»Das ist ein Jammer«, bedauert meine Tante. »Ein ganz großer Jammer. Du warst die beste Texterin der Agentur, und ich bin sicher, dass man dich in anderen Agenturen mit Kusshand nehmen würde. Du solltest dich endlich wieder bewerben. Von nichts kommt nichts!«
»Ich will mit dieser künstlichen Blödbranche aber nichts mehr zu tun haben«, erkläre ich.
»Dann bewirb dich woanders! Du hast Talent und eine schnelle Auffassungsgabe, und ich kenne niemanden, der so gut formulieren kann wie du. Da gibt es doch noch mehr Bereiche, in denen Leute gebraucht werden«, ruft Tante Eddi aufgebracht.
Ich gebe ja zu, dass mir bis jetzt die Energie dafür gefehlt hat. Aber der Taxijob ist halt auch reichlich anstrengend.
»Übrigens«, fügt Tante Eddi hinzu, »Daria hat jetzt in New York ein Unternehmen für Biosäfte gegründet, die sie den Leuten während der Mittagspause ins Büro liefert.«
»Das ist schön für Daria«, lobe ich brav und denke mir insgeheim, dass Amerika mir gestohlen bleiben kann. Schließlich wurde die Kommerzialisierung des Valentinstags dort quasi erfunden. Und selbst wenn Daria im Herbst Kürbissuppen an die New Yorker ausliefern sollte, werde ich hier in Deutschland genauso wenig Halloween feiern.
»Sie hat sich ja zuerst auch nicht getraut«, erläutert Tante Eddi ungefragt weiter. »Aber dann hat sie den Sprung ins kalte Wasser doch gewagt, und sie wird inzwischen von einem sehr gut aussehenden jungen Mann bei ihren Aktivitäten unterstützt.«
»Sag mal – willst du mich ärgern, Tante Edeltraut?«
»Quatsch, ich will dich ein bisschen motivieren, mein Kind!«
Es ist wohl an der Zeit, den Spieß umzudrehen. »Wie wäre es denn, wenn du am vierzehnten Februar zu einem Tanztee gehst«, schlage ich meiner Tante vor. »Oder du schaltest eine Annonce und lässt dich davon überraschen, wer zum Valentinstag mit dir ausgehen will. Ich bin sicher, dass es eine ganz Reihe Männer gibt, die auch gescheiterte … äh, die auch ein bisschen einsam sind, und die dir allzu gern eine Freude bereiten würden mit etwas Tee, Kuchen und – Kuscheln?«