In einer Gesellschaft erzählte einer der Anwesenden folgende Geschichte:
Einige Zeit nach seinem Einzug in Madrid lud der Grossherzog von Berg die vornehmsten Familien dieser Stadt zu einem Balle ein, den die französische Armee der neürworbenen Hauptstadt gab. Ungeachtet des Galaglanzes waren die Spanier sehr ernst, ihre Fraün tanzten wenig, und der grösste Teil der Geladenen setzte sich an die Spieltische. Die Gärten des Palastes waren glänzend genug erleuchtet, dass sich die Damen mit derselben Sicherheit in ihnen ergehen konnten, als wäre es heller Tag gewesen. Das Fest war kaiserlich schön. Nichts wurde aber auch gespart, um den Spaniern einen hohen Begriff von dem Kaiser zu geben, wenn es ihnen beliebte, von seinen Offizieren auf ihn zu urteilen. In einem Boskett nahe dem Palaste unterhielten sich zwischen ein und zwei Uhr morgens mehrere französische Krieger von den Wechselfällen des Krieges und von der Zukunft, die wenig erbaulich sein konnte, wenn man aus der Haltung der bei diesem Feste anwesenden Spanier einen Schluss ziehen durfte.
"Meiner Treu," sagte der Ober-Chirurg des Armeekorps, bei dem ich Generalzahlmeister war, "gestern habe ich den Fürsten Murat förmlich um meine Zurückberufung gebeten. Ohne gerade zu fürchten, dass ich meine Gebeine auf der Halbinsel zurücklassen müsse, ziehe ich es doch vor, die Wunden zu verbinden, die unsere guten deutschen Nachbarn geschlagen haben; ihre Säbel dringen nicht so tief in den Leib, wie die kastilianischen Dolche. Dazu kommt noch, dass die Furcht vor Spanien bei mir gleichsam zu einem Aberglauben geworden ist. Seit meiner Kindheit habe ich spanische Bücher gelesen, einen Haufen düsterer Nachtgeschichten und tausend Erzählungen von diesem Lande, die mich lebhaft gegen seine Sitten eingenommen haben. Und was meint Ihr wohl! Schon in der kurzen Zeit unseres Hierseins bin ich, wenn nicht der Held, doch wenigstens der Mitschuldige einer gefährlichen Intrige geworden, die so schwarz und finster ist, wie nur ein Roman der Lady Redcliffe sein kann. Ich folge gern meinen Vorgefühlen, und schon morgen mache ich mich aus dem Staube. Murat wird mir gewiss meinen Abschied nicht verweigern, denn Dank den Diensten, die wir leisten, haben wir immer wirksame Fürsprecher."
"Da Du Dich sobald davon machst, erzähle uns doch Dein Abenteür," forderte ihn ein Obrist auf, ein alter Republikaner, der sich um die schöne Sprache und Höflichkeiten der Kaiserzeit wenig kümmerte.
Der Chirurg blickte sorgfältig um sich, als wolle er jeden prüfen, der in seiner Nähe stände, und erst, als er sicher war, kein Spanier sei in seiner Nachbarschaft, begann er: "Gern, Obrist Hulot, denn wir sind hier nur Franzosen. Es sind nun sechs Tage her, dass ich gegen elf Uhr abends vom General Montcornet kam und mich nach meiner Wohnung zurückbegab, die nur wenige Schritte von der Wohnung des Generals entfernt ist. Da warfen sich plötzlich an der Ecke einer kleinen Strasse zwei Unbekannte oder vielmehr zwei Teufel über mich her und hüllten mir Kopf und Arme mit einem grossen Mantel ein. Ihr könnt es mir glauben, dass ich schrie wie ein getretener Hund; aber das Tuch erstickte meine Stimme, und ich wurde mit einer ausserordentlichen Gewandtheit in einen Wagen gehoben. Als mich meine Gefährten von dem Mantel wieder befreiten, richtete eine weibliche Stimme folgende Worte in schlechtem Französisch an mich:
'Wenn Ihr um Hilfe ruft oder Miene macht, zu entfliehen, wenn Ihr Euch nur die geringste zweideutige Bewegung erlaubt, so ist der Herr, der Euch gegenübersitzt, imstande, Euch ohne Bedenken niederzustossen. Haltet Euch also ruhig. Die Ursache Eurer Entführung sollt Ihr jetzt erfahren. Wollt Ihr Euch die Mühe geben, Eure Hände gegen mich auszustrekken, so werdet Ihr finden, dass Eure chirurgischen Instrumente zwischen uns beiden liegen, denn wir haben sie aus Eurer Wohnung holen lassen; sie werden Euch notwendig sein, denn wir führen Euch in ein Haus, wo Ihr die Ehre einer Dame retten sollt, die eben im Begriff ist, ein Kind zu gebären, das sie, ohne dass ihr Gemahl es weiss, diesem Euch gegenübersitzenden Edelmanne schenkt. Obgleich mein Herr seine Frau selten verlässt, da er noch immer leidenschaftlich in sie verliebt ist und sie mit der Aufmerksamkeit spanischer Eifersucht bewacht, so hat sie ihm dennoch ihre Schwangerschaft zu verbergen gewusst, und er hält sie für krank. Ihr sollt sie jetzt entbinden. Die Gefahren des Unternehmens gehen Euch nichts an, nur habt Ihr uns zu gehorchen, sonst würde der Geliebte, der, wie schon bemerkt, Euch gegenüber im Wagen sitzt und kein Wort Französisch versteht, Euch bei der geringsten Unbedachtsamkeit erdolchen.'
'Und wer seid Ihr?' fragte ich, und suchte die Hand der Sprecherin, deren Arm in den Ärmel eines Mantels gehüllt war.
'Ich bin die Kammerfrau meiner Herrin, ihre Vertraute, und bereit, Euch durch mich selbst zu belohnen, wenn Ihr uns in unserer misslichen Lage unterstützen wollt.'
'Gern,' antwortete ich, als ich mich mit Gewalt in ein gefährliches Abenteür hineingezogen sah. Unter dem Schutze der Dunkelheit überzeugte ich mich, ob Gesicht und Umrisse dieses Mädchens im Einklange ständen mit der Vorstellung, die ihre Stimme bei mir gebildet hatte. Dieses gute Geschöpf hatte sich ohne Zweifel gleich im voraus allen Zufälligkeiten dieser sonderbaren Entführung geopfert, denn sie beobachtete das gefälligste Schweigen, und der Wagen war kaum zehn Minuten durch die Strassen von Madrid gerollt, als sie schon einen Kuss von mir erhielt und mir denselben freundlich wiedergab. Der Liebhaber, der mir gegenüber sass, schien sich nichts daraus zu machen, dass ich ihn gegen meinen Willen mit einigen Fusstritten bedachte. Ich glaube, er beachtete sie nicht, weil er kein Französisch verstand.
'Nur unter einer Bedingung kann ich Eure Geliebte sein,' antwortete mir die Kammerfrau auf die Dummheiten, mit denen ich sie in der Hitze meiner improvisierten und auf Hindernisse aller Art stossenden Leidenschaft unterhielt.
'Und welches ist die Bedingung?'
'Ihr dürft nie zu erfahren suchen, wem ich angehöre. Wenn ich zu Euch komme, so wird das Nachts geschehen, und Ihr werdet mich ohne Licht empfangen.'
'Gut,' erwiderte ich.
Unsere Unterhaltung war bis zu diesem Punkt gediehen, als der Wagen an der Maür eines Gartens hielt.
'Jetzt werde ich Euch die Augen verbinden,' sagte die Kammerfrau zu mir, 'und dann stützt Euch auf meinen Arm, damit ich Euch führen kann.'
Sie schlang ein Taschentuch um meine Augen und band es fest an meinem Hinterhaupte zu. Ich hörte das Geräusch eines Schlüssels, der mit Vorsicht von dem schweigenden Geliebten, der mir gegenüber gesessen hatte, in das Schloss einer kleinen Pforte gesteckt wurde. Gleich darauf führte mich die Kammerfrau mit gebeugtem Körper durch die sandigen Gänge eines grossen Gartens, bis zu einem gewissen Platz, wo sie stehen blieb. An dem Widerhall unserer Schritte bemerkte ich, dass wir vor einem Hause standen.
'Jetzt still,' sagte sie mir ins Ohr, 'und wacht wohl über Euch selbst. Lasst kein einziges meiner Zeichen Euch entgehen; ich kann ohne Gefahr für uns beide nicht mehr zu Euch sprechen, und es handelt sich in diesem Augenblicke darum, Eür eigenes Leben zu retten.' Dann fuhr sie mit lauter Stimme fort: 'Meine Frau ist in einem Zimmer im Erdgeschoss; um in dieses zu gelangen, müssen wir durch das Zimmer ihres Gatten und an seinem Bette vorüber; hustet nicht, geht leise und folgt genau meinen Schritten, damit Ihr nirgends anstosst, noch mit dem Fusse von dem Teppich tretet, den ich auf den Boden gelegt habe.' Der Liebhaber murrte, wie ein Mann, der unwillig über zu langes Zögern ist. Die Kammerfrau schwieg, ich hörte eine Tür öffnen und fühlte die warme Luft eines Zimmers; wir schlichen mit Wolfsschritten, wie Diebe bei einem Einbruch. Endlich nahm mir die sanfte Hand des Mädchens meine Binde ab. Ich befand mich in einem grossen und hohen Zimmer, das von einer dampfenden Lampe schlecht erleuchtet wurde. Das Fenster war offen, aber durch den eifersüchtigen Edelmann mit starken Eisenstäben versehen. Ich stak in diesem Zimmer wie in einem Sacke. Auf der Erde, auf einer Decke, lag eine Frau, deren Haupt mit einem Schleier von Musselin bedeckt war; aber durch diesen Schleier leuchteten mit dem Glanze zweier Sterne ihre tränenvollen Augen, vor den Mund drückte sie mit Kraft ein Taschentuch und biss so fest darauf, dass ihre Zähne hineindrangen; nie hatte ich einen so schönen Körper gesehen, aber dieser Körper krümmte sich unter den Schmerzen, wie eine ins Feür geworfene Harfensaite. Die Unglückliche hatte zwei Bogen aus ihren Beinen gemacht und stützte sich gegen eine Art Kommode, mit ihren Händen hielt sie sich an zwei Stuhlbeinen, und alle Adern ihrer Arme waren schrecklich angeschwollen. So glich sie einem Verbrecher, der auf einer Folterbank gemartert wird. Übrigens liess sie keinen Schrei hören, und das dumpfe Krachen ihrer Knochen war das einzige Geräusch, das die Stille unterbrach. Wir drei standen stumm und unbeweglich. Das Schnarchen des Ehemannes verhallte in tröstender Regelmässigkeit. Ich wollte die Kammerfrau anblicken, aber sie hatte die Maske wieder vorgelegt, die sie ohne Zweifel auf dem Wege abgenommen gehabt hatte, und sah weiter nichts als zwei schwarze Augen und liebliche Umrisse. Der Liebhaber warf sogleich Tücher über die Beine seiner Geliebten und legte den Schleier, der ihre Züge verhüllte, doppelt zusammen. Als ich die Frau sorgfältig beobachtet hatte, erkannte ich an gewissen Zeichen, die ich erst unlängst bei einem der traurigsten Ereignisse meines Lebens bemerkt hatte, dass das Kind tot war. Ich neigte mich gegen die Kammerfrau, um ihr meine Bemerkung mitzuteilen. In diesem Augenblick zog der misstrauische Unbekannte seinen Dolch, allein ich hatte noch Zeit, der Kammerfrau alles zu sagen, die ihm darauf zwei Worte mit leiser Stimme zuflüsterte. Als der Liebhaber die Ursache meines Zauderns erkannt hatte, durchfuhr ihn ein leichter Schauder von den Füssen bis zum Kopfe, und ich glaubte durch die Maske von schwarzem Sammt hindurch zu erkennen, wie sein Antlitz bleich wurde. Die Kammerfrau benutzte einen Augenblick, wo der verzweifelte Mann die schon blau werdende Sterbende betrachtete, um mich mit einem warnenden Zeichen auf mehrere Gläser Limonade aufmerksam zu machen, die fertig zubereitet auf einem Tische standen. Ich begriff, dass ich, ungeachtet der schrecklichen Hitze, die meine Kehle austrocknete, nicht trinken dürfte. Der Liebhaber hatte Durst; er nahm ein leeres Glas, füllte es mit Limonade und trank. In diesem Augenblick bekam die Dame schreckliche Krämpfe, die mir den günstigen Augenblick zur Operation andeuteten; ich ergriff meine Lanzette und liess sie schnell und mit Geschick am rechten Arm zur Ader. Die Kammerfrau fing das reichlich hervorspringende Blut mit Tüchern auf, und die Unbekannte fiel dann in eine willkommene Ohnmacht. Ich waffnete mich mit Mut und konnte, nachdem ich eine Stunde gearbeitet hatte, das Kind in Stücken herausziehen. Als der Spanier begriff, dass ich seine Geliebte gerettet hatte, dachte er nicht mehr daran, mich zu vergiften. Dicke Tränen fielen in Zwischenräumen auf seinen Mantel. Die Frau stiess nicht einen Laut aus, aber sie zitterte wie ein wildes Tier, das in einer Schlinge gefangen ist, und der Schweiss rann in starken Tropfen von ihr. In einem furchtbar kritischen Augenblicke machte sie ein Zeichen, um uns auf das Zimmer ihres Gatten aufmerksam zu machen. Dieser hatte sich eben in seinem Bette gewälzt. Von uns vieren hatte sie allein das Geräusch der Decke oder des Vorhangs gehört. Wir lauschten, und durch die Öffnungen ihrer Masken hindurch warfen sich die Kammerfrau und der Liebhaber Flammenblicke zu, die zu fragen schienen: 'Sollen wir ihn töten?' Dann streckte ich meine Hand aus, als wollte ich ein Glas der Limonade nehmen, die der Unbekannte vergiftet hatte. Der Spanier glaubte, dass ich eins der vollen Gläser trinken wollte; leicht wie eine Katze sprang er hinzu, legte seinen langen Dolch über die beiden vergifteten Gläser und liess mir das seinige, indem er mir andeutete, den Rest aus demselben zu trinken. In diesem Zeichen und in seiner lebhaften Bewegung lagen so viele Gedanken, so viel Gefühl, dass ich ihm verzieh, wenn er auf meinen Tod gesonnen hat, um so jede Erinnerung an dieses Ereignis zu begraben. Als ich getrunken hatte, drückte er mir die Hand und hüllte selbst die Trümmer seines Kindes sorgfältig ein. Nach zwei Stunden voll Sorge und Furcht brachten wir, die Kammerfrau und ich, die Unbekannte wieder in ihr Bett. Der Liebhaber hatte bei einer so abenteürlichen Unternehmung alle Hilfsmittel zu einer Flucht bedacht und seine Diamanten daher auf ein Papier gelegt; jetzt steckte er sie, ohne dass ich es wusste, in meine Tasche. Nebenbei muss ich bemerken, dass ich das wertvolle Geschenk des Spaniers garnicht kannte und mein Bedienter am folgenden Tage den Schatz raubte, um mit diesem grossen Vermögen zu entfliehen. Ich sprach mit der Kammerfrau noch über die Vorsichtsmassregeln, die sie zu treffen hätte, und wollte gehen. Die Kammerfrau blieb bei ihrer Herrin, allerdings ein Umstand, der mich nicht sehr ermutigte; ich beschloss indes auf meiner Hut zu sein. Der Liebhaber packte das tote Kind und die Wäsche, mit der die Kammerfrau das Blut ihrer Herrin aufgefangen hatte, in ein Bündel zusammen. Er band es fest zusammen, nahm es unter seinen Mantel, fuhr mit der Hand über meine Augen, als wollte er mir sagen, dass ich sie schliessen sollte, und ging dann voraus, mich durch ein Zeichen auffordernd, den Zipfel seines Rockes zu ergreifen; ich gehorchte ihm, warf aber noch einen letzten Blick auf meine so zufällig erlangte Geliebte. Die Kammerfrau riss ihre Maske ab, als sie den Spanier draussen sah, und zeigte mir das lieblichste Gesicht von der Welt. Als ich mich wieder im Garten befand und die freie Luft einatmete, da, ich gestehe es, war mir, als fiele ein ungeheures Gewicht von meiner Brust. Ich ging in achtungsvoller Entfernung hinter meinem Führer her und beobachtete die geringste seiner Bewegungen mit der grössten Aufmerksamkeit. Als wir an der kleinen Pforte wieder angekommen waren, fasste er meine Hand und drückte mir das Petschaft eines Ringes, den ich an einem Finger seiner linken Hand gesehen hatte, auf den Mund, ich aber gab ihm zu verstehen, dass ich dieses beredte Zeichen begriffe. Auf der Strasse warteten unsere zwei Pferde; jeder von uns bestieg eins; mein Spanier bemächtigte sich meines Zügels, und nahm den seinigen zwischen die Zähne, denn in seiner Rechten hatte er das blutige Paket. Mit der Schnelligkeit des Blitzes ritten wir davon. Es war mir unmöglich, auch nur den geringsten Gegenstand zu merken, an dem ich später den Weg wieder hätte erkennen können, den wir gekommen waren. Mit Tagesanbruch befand ich mich vor meiner Tür und der Spanier entfloh nach dem Tore von Atocha hin."
"Und Du konntest gar nichts entdecken, woran man später jene Frau hätte wiedererkennen können?" fragte der Obrist den Chirurgen.
"Nur ein einziges Mal," antwortete dieser.
"Als ich die Unbekannte zur Ader liess, bemerkte ich an ihrem Arm, ein wenig über der Mitte desselben, ein kleines Mal, etwa wie eine Linse gross und von braunen Haaren umgeben."
In diesem Augenblicke erbleichte der Chirurg, der die gelobte Verschwiegenheit verletzt hatte; aller Augen hefteten sich auf die seinigen und folgten dann der Richtung seines Blickes. Die Franzosen sahen einen Spanier, der in einen Mantel gehüllt war, und dessen Augen durch ein Gebüsch von Orangen blitzten. Kaum hatten indes die Offiziere ihre Blicke auf diesen Mann gerichtet, als er mit der Leichtigkeit einer Sylphe entfloh. Ein Hauptmann verfolgte ihn schnell. "Teufel, meine Freunde!" rief der Chirurg aus, "dieses Basiliskenauge hat mich zu Eis erstarrt. Ist es mir doch, als hörte ich Totenglocken läuten! Empfangt mein Lebewohl, Ihr werdet mich hier begraben!"
"Bist Du dumm," meinte der Obrist Hulot. "Falcon verfolgt den Spanier und wird uns schon Rechenschaft zu geben wissen."
"Da kommt er!" riefen die Offiziere aus, als sie den Hauptmann atemlos zurückkehren sahen.
"Zum Teufel!" versetzte Falcon, "der ist, glaube ich, über die Maür gesprungen. Ein Hexenmeister kann er nicht sein, also muss er hier ins Haus gehören! Der kennt hier alle Wege und Schliche, deswegen ist er mir so leicht entgangen."
"Ich bin verloren!" versetzte der Chirurg mit trüber Stimme.
"Beruhige Dich," antwortete ich, "wir werden der Reihe nach bis zu Deiner Abreise bei Dir wachen. Heute Abend begleiten wir Dich!"
In der Tat führten drei junge Offiziere, die ihr Geld beim Spiel verloren hatten, den Chirurg in seine Wohnung zurück, und einer von ihnen erbot sich, bei ihm zu bleiben. Am zweiten Tage darauf hatte der Chirurg seine Versetzung zu einem in Frankreich stehenden Heere erlangt und traf alle Vorbereitungen, um in Gesellschaft einer Dame abzureisen, die von Murat eine starke Bedeckung erhielt. Zuletzt speiste er noch einmal in Gesellschaft seiner Freunde, als ihn sein Bedienter benachrichtigte, dass eine junge Dame mit ihm sprechen wolle. Der Chirurg ging sogleich mit drei Offizieren hinaus, da er irgend eine Falle befürchtete, und die Unbekannte konnte ihrem Geliebten nur noch zurufen: "Nimm Dich in acht!" und stürzte tot nieder. Es war die Kammerfrau, die, als sie sich vergiftet fühlte, noch zur rechten Zeit anzukommen gehofft hatte, um den Chirurg zu warnen.
"Teufel, Teufel!" rief der Hauptmann Falcon aus, "das heisst lieben. Aber auch nur eine Spanierin kann noch zu ihrem Geliebten laufen, wenn ihr der Tod schon auf der Zunge sitzt."
Der Chirurg versank in tiefes Nachdenken. Um die unheilvollen Vorgefühle, die ihn quälten, zu ersticken, setzte er sich wieder an den Tisch und trank unmässig, wie auch seine Gäste taten. Als alle halb berauscht waren, begaben sie sich frühzeitig zur Ruhe. Mitten in der Nacht wurde der Chirurg durch ein schrillendes Geräusch erweckt, das von den Ringen seiner Bettvorhänge herrührte, die heftig an den Stäben zurückgerissen wurden. Er richtete sich von seinem Lager auf und war eine Beute jenes mechanischen Zitterns, das uns bei einem solchen Erwachen zu ergreifen pflegt. Da sah er vor sich einen Spanier, der in einen Mantel gehüllt war und ihm denselben Flammenblick zuwarf, der am Abend des Balles durch das Orangengebüsch geleuchtet hatte. Der Chirurg schrie auf: "Zu Hilfe, zu Hilfe! Zu mir, meine Freunde!" Der Spanier antwortete auf dieses Angstgeschrei nur mit einem bittern Lächeln.
"Das Opium wächst für jedermann!" versetzte er dann. Als er diese Worte gesagt hatte, zeigte er auf die drei in festem Schlaf liegenden Freunde und zog dann unter seinem Mantel einen frisch abgeschnittenen Fraünarm hervor, den er mit einer lebhaften Bewegung dem Chirurg zeigte, um ihn auf ein Mal aufmerksam zu machen, welches jenem ähnlich war, das dieser so unklugerweise beschrieben hatte.
"Ist es derselbe?" fragte er.
Beim Scheine einer Laterne, die neben das Bett gestellt war, erkannte der Chirurg den Arm wieder und antwortete durch sein Staunen. Ohne weitere Erörterungen senkte der Gatte der Unbekannten seinen Dolch in das Herz des Chirurgen."
"Ihre Erzählung ist furchtbar schwer zu glauben," sagte ein Zuhörer zu dem Erzähler. "Können Sie mir wohl erklären, wer sie Ihnen erzählt hat, ob der Tote oder der Spanier?"
"Mein Herr," antwortete der Erzähler, "ich habe den armen Mann gepflegt, da er erst fünf Tage später unter schrecklichen Leiden starb. Zur Zeit des Feldzuges, der unternommen wurde, um Ferdinand VII. wieder einzusetzen, wurde ich zu einem Posten in Spanien ernannt, kam aber glücklicherweise nicht weiter, als nach Tours, denn man machte mir Hoffnung auf die Einnehmerstelle von Sancerre. Am Abend vor meiner Abreise war ich auf einem Ball bei Frau von Listomere, wo sich auch mehrere angesehene Spanier eingefunden hatten. Als ich den Spieltisch verliess, bemerkte ich einen spanischen Grande, einen Afrancesado im Exil, der seit fünfzehn Tagen in der Touraine angekommen war. Erst sehr spät war er zu diesem Ball gekommen. Er erschien zum ersten Male vor Leuten und besuchte die Salons in Begleitung seiner Frau, deren Arm durchaus unbeweglich war. Wir wichen schweigend auseinander, um dieses Paar hindurchgehen zu lassen, das wir nicht ohne tiefe Bewegung sahen. Denkt Euch, ein lebendiges Gemälde von Murillo. Unter gewölbten und schwarzen Braün zeigte der Mann ein starres Flammenauge; sein Antlitz war eingefallen, und sein kahler Scheitel zeigte glühende Tinten; sein Körper war so leidend, dass man ihn nur mit Beben ansehen konnte. Und diese Frau! Man kann sie sich gar nicht vorstellen, ohne sie gesehen zu haben. Sie hatte jenen bewunderungswürdigen Wuchs, für den die spanische Sprache ein besonderes Wort geschaffen hat; obgleich bleich, war sie noch immer schön; ihre Gesichtsfarbe war blendend, infolge eines für eine Spanierin sonst unerhörten Privilegiums; aber aus ihren Blicken strahlte die ganze Sonne Spaniens, und sie trafen den, der sie ansah, wie geschmolzenes Blei.
"Meine Dame," fragte ich die Dame gegen Ende der Soiree, "durch welchen Zufall haben Sie Ihren Arm verloren?"
"Im Unabhängigkeitskriege," antwortete sie mir.