Am Fuß des Wörthersees
Copyright © 2014 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien
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Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien
ISBN 978-3-7117-2012-2
eISBN 978-3-7117-5220-8
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NEUE NACHRICHTEN AUS DER PROVINZ
Aus dem Leben eines Bademeisters
Du lieber Lessiak!
Wir leben Eishockey oder: Danke, liebe Gilda!
Das Nichts nichtet (Aus meinem versiegelten Tagebuch)
Der den Ast isst
Dieser Wind der fremden Kontinente
Mimi ist im Haus
Aus dem Dickdarm der Psyche
Bachmann. Jedermann. Sensenmann. Viele Jahre später …
Musils Direktor, mein Kopf und mein Kragen
Die Waldtaube
Die Ungeheuer
Mein Jakobsweg oder: Ich bin dann mal in der Notaufnahme
Mein Vater und das ewige Leben am 27. März
Am Ferienende
Alte Meister
Hotel Letzter Wille
Die innere Schönheit und die gute Haut
Der Pflasterstein
Beten mit Würde
Stille Nacht. Blutige Nacht. Eine Weihnachtsgeschichte in einer nicht einfachen Zeit
Die Abenteuer der Silvesternacht
Wild Obsessions
Letztes Jahr fragte mich ein bedeutender Rezensent auf der Wiener Buchmesse, wann ich denn endlich in die Hauptstadt übersiedeln werde. »Da unten in Kärnten« könne man als Schriftsteller doch wohl nur schwer existieren. »Ja stimmt«, gab ich zurück, aber »da unten« sei ich ja nur Bademeister; mein Schreibtisch stehe allseits umwölkt auf exterritorialem Gebiet. Niemand im Messepublikum interessierte sich für den exterritorialen Schreibtisch, alle hingegen dafür, was ich als Bademeister denn konkret tue.
Nun also: Vom ersten bis zum letzten Tag der Badesaison, also von 1. Mai bis 1. Oktober, betrete ich das Strandbad-Portal, eine Art Brandenburger Tor des Südens, und schreite zweimal täglich, einmal morgens nach dem Frühstück, einmal abends den mächtigen Steg der Strandbad-Bootsbrücke zu ihrem Plateau hinaus. Auf beiden Seiten liegen fast nackte Menschen Spalier und grüßen mich (oder schauen verschämt weg, falls sie etwas angestellt haben), denn sie erkennen in mir eine Respektsperson: Schriftsteller gibt es viele. Aber es gibt nur einen Bademeister! Und der steigt in das spiegelglatte, einmal curaçaoblaue, ein anderes Mal smaragdgrüne Wasser, lässt den Lustruf »Little Tahiti, ich komme!« in den Äther los, schwimmt eine große Runde – morgens unter dem tiefblauen Sommerhimmel, abends in den Sonnenuntergang oder ins Abendblutrot hinein –, kehrt zurück, legt sich wonneseufzend auf die Holzplanken nieder und lässt sich lufttrocknen.
Dolce far niente an der österreichischen Riviera, könnte man meinen, und für die übrigen Badegäste sehe ich wohl tatsächlich wie ein Nichtstuer des Südens aus, der sich einfach erholt und in die Luft schaut. Aber in Wirklichkeit beobachte ich auch beim trägen Seelebaumelnlassen messerscharf, wie neben dem Strandbad das schnittige rot-blau-silberne Polizeimotorboot mit der Nationalflagge am Heck, eine riesige Gischt erzeugend, in See sticht. Wer lenkt das Polizeiboot?, frage ich mich. Es ist ein leicht übergewichtiger Polizist in meinem Alter, der aber zum Ausgleich eine extrem coole pechschwarze Sonnenbrille trägt – und schon ist von allen Badegästen unbemerkt mein Kommissar erfunden, Johann Sichalich, der Bademeister unter den Kommissaren sozusagen. »Was für ein Glück, als Polizist in einer Stadt am See zu leben!«, denkt Sichalich. Wer kann sich heute noch eine private Motorbootlizenz leisten? Im Namen der Republik findet der gewissenhafte Beamte immer irgendeinen schönen Grund, dienstlich auf den See hinauszubrausen! Hollaroh! Ahoi! Wenn sonst nichts los ist, kann man durchaus auch einmal die Filmcrew eines Privatfernsehsenders mit laufender Kamera am Wasserweg zu einem Society-Side-Event ins Beachvolleyball-Stadion chauffieren. Helping is our success! Warum, fragen sich Sichalichs Mitarbeiter, sollte man nicht auch einmal den Reichen und Schönen helfen, also den Reichen, die sich die Schönen als eine Art Ganzjahreschristbaumschmuck halten und nicht wissen, was sie mit ihrem Geld anfangen sollen außer Volleyball zuschauen. Oder man sichert die Starnacht am Wörthersee gegen den See hin ab und versperrt Tony Christie den Weg nach Amarillo, wo Sweet Marie noch immer auf ihn wartet. (Schönheit, denke ich untätig am See, ist – das muss man fairnesshalber sagen – relativ. Ist Niki Lauda schön? Ist DJ Ötzi schön? Ist Otto Retzer schön?) In diesem Zusammenhang habe ich unlängst bei einem Kulturfestival einen schönen Satz aufgeschnappt, der lautete: »Der Schönere gibt nach.«
Die übrigen Badegäste werden mich, ihren Bademeister, wohl einfach für einen großen Faulpelz halten, denn am Abend desselben Sommertags liege ich ja dem Wasser entstiegen schon wieder untätig da und schaue melancholisch auf das Nordufer, wo hinter der Schiffswerft das majestätische, altehrwürdige Hotel Wörthersee steht, das viele Touristen mit dem berühmten Schlosshotel in der Veldener Bucht am anderen Ende des Sees verwechseln. Kaisergelb sind beide Paläste, aber in Velden haben finstere Politiker im Verein mit finsteren Bankmanagern viel finsteres Geld investiert und außerdem das rein architektonische Verbrechen begangen, direkt an das historische Schlosshotel den postmodernen Nervenheilanstaltsplattenbau zu fügen. Dorthin können die Verantwortlichen aber nicht eingewiesen werden, weil sie binnen weniger Jahre größtenteils entweder selbst verschuldet am Privatwaldfriedhof liegen oder im Knast schmoren. Viel Aufklärungsarbeit für meinen Kommissar, auch wenn sich ein Teil davon von alleine erledigt. Ja ja, die Bank! Die Bank in ihrer ursprünglichen Bedeutungsvariante war zum Sitzen da. Und die Bank im übertragenen, im finanzwirtschaftlichen Sinn ist nun auch wieder zum Sitzen (in seiner übertragenen Bedeutung) da: zum Einsitzen. Das Hotel hier am Nordufer, einer der letzten stummen Zeugen der großartigen Wörthersee-Jugendstil-Architektur, hat große Zeiten und illustre Gäste erlebt; jetzt ist es aber heruntergekommen, verfallen, zugesperrt und von seiner Fassade hängt ein riesiges Transparent, auf dem steht: »Zu verkaufen«. Dieses Transparent verdeckt ausgerechnet das Fenster des Zimmers, in dem – na wer wohl? – wohnt. Genau, mein Kommissar Johann Sichalich. Auf diese Weise kommt er, wenn er nicht gerade auf Mörderjagd ist, so wie ich, sein Schöpfer, dazu, zweimal täglich schwimmen zu gehen. Er muss hierzu nur die Werft passieren, wo die Ausflugsschiffe die Nacht verbringen. Ein Schiff der Flotte, die »Kärnten«, heißt seit diesem Jahr »Schlumberger«, auf einem anderen, dem alten Raddampfer »Thalia«, steht »Metaxa«. Sehr treffend! Neuerdings wird hier in der Gegend alles nach Alkohol umbenannt. Falls aus dem Bachmannpreis in ein, zwei Jahren nicht der Bachmann-Turner Overdrive geworden sein wird, dann auf alle Fälle der Wodka-Dostojewski-Award. Joseph Roth würde sich freuen!
Wirklich interessant für Sommerfrischler, Badegäste und Strandliegeleseratten wird ein Seekommissar natürlich erst durch sein Privatleben. Entweder hat er Beziehungsprobleme oder Haustiere: Meiner hat zwei Schwäne, Tristan und Isolde, die ihn jeden Morgen am Ufer erwarten, in die Seemitte eskortieren und ihm dort die neuesten Gerüchte zuflüstern, welche Untaten sich rund um den See abspielen. Da sein Ufer zu achtundneunzig Prozent von den Reichen und Schönen und Bankern verbarrikadiert und versperrt ist, kann man leider nur auf diese bedenkliche Weise fahnden und ermitteln … In den finsteren Zeiten hat sich hier nämlich ein Syndikat unter dem Decknamen »Freunde des Wörthersees« (die nicht genannt werden wollen) gebildet, das gegenwärtig ein wenig führerlos, dem aber noch immer nicht das Handwerk gelegt worden ist.
Unlängst wurde die Bevölkerung zur Landesverteidigungspflicht befragt. Sie votierte dafür, hat dabei aber leider übersehen, dass dieses Land (und seine Seen und deren Ufer) heute gar nicht mehr zu verteidigen ist. Wie soll man verteidigen, was einem längst gestohlen wurde? Es herrscht hier und heute Krieg. Aber es ist kein Krieg zwischen Staaten, sondern zwischen Reich und, sagen wir: Nichtreich. Dieser Krieg wird nicht mit Waffengewalt (sieht man vielleicht von der Familie des Waffenindustriellen ab), sondern mit Kontoständen ausgefochten. Und gerade im Krieg gilt: Wer zahlt, schafft an (oder um es mit den Worten eines greisen Eintagspropheten zu sagen: »Wer das Gold hat, macht die Regel.« Wer das Gold hat, macht das Goldufer).
Aus dem Dilemma am Seeufer gibt es scheinbar kein Entkommen. Dass die ganze Bevölkerung, auch wenn sie murrt und stöhnt und leidet, zum demokratischen Mittel des gewaltfreien Widerstands greifen und geschlossen auf die Straße gehen könnte und dort bliebe und die Wege zum See abschnitte, bis die Ufer wieder freigegeben und öffentlich zugänglich sind – daran glaube ich nicht mehr. Man würde schon gern, aber leider, leider: der Anstand! Die Angst vor Ungemach! Die Obrigkeitshörigkeit!
»Leider wäre die Ungerechtigkeit am See nur noch durch ein anderes Unrecht, das Verbrechen der Politik nur durch ein anderes Verbrechen zu beseitigen!«, seufzte Kommissar Sichalich, als in meiner Gegenwart sein Handy läutete und sich ein Entführer meldete: Man habe den Erstgeborenen eines Seegrundgroßbesitzers gekidnappt. Wenn der Besitzer nicht bis Monatsende von sich aus zu einem angemessenen Preis an das Land zurückverkauft, dann …« Um Himmels willen! Sichalich war entsetzt! Ich schreckte aus meinem Nickerchen hoch. Offenbar war ich mitten auf dem Steg eingeschlafen. Aber ich arbeite auch im Schlaf; das heißt: Es arbeitet in mir, selbst wenn ich schlafe. Ein Präzedenzfall jedenfalls! Noch ganz traumverloren frage ich mich: Wie geht es weiter? Wie geht es dem Erstgeborenen und wo ist er? Soll ich den Krimi weiterschreiben? Wir stehen hier und seh’n betroffen: das Ufer zu. Und alle Fragen offen.
So wie ich für alle Badegäste sichtbar aber unsichtbar schwer arbeitend hier liege, liege ich im Grund schon mein Leben lang am See. Ich habe damit, als ich noch kein Bademeister und keine Respektsperson, sondern ein halbwüchsiger Bub war, auf dem südlichsten der drei mächtigen Stege begonnen, der sogenannten KAC-Brücke (gesprochen übrigens »Katz-Brücke«): Denn der sommerliche Strandbad-Lebensweg aller Stadtbewohner verläuft von Süden nach Norden. Die Jungen beginnen eben auf der KAC-Brücke, fachsimpeln über Eishockey und Fußball, spielen unter der Brücke einen (monogeschlechtlichen) »Hasch«, eine Mischung aus Verstecken- und Fangenspielen im Wasser, und schlendern dann hinüber zu den »Seelochale-Kickern«, deren ungekrönter König der legendäre Vater des legendären Eishockeystars Tommy Cijan war, der seine bloßfüßigen Gegner selber bloßfüßig in einer Telefonzelle oder auf einer Briefmarke austricksen konnte, wie man ehrfurchtsvoll von ihm behauptete – allerdings nur in einer Telefonzelle und nur auf einer Briefmarke. (Diesen Seelochale-Kickern hat mittlerweile das Beachvolleyball-Event den Garaus gemacht …) »Lochale« ist das Diminutiv zu »Loch« – ein Fußballtor (Fußballtörchen), das so klein ist, dass man keinen Torhüter zu seiner Bewachung braucht.
Spätestens ab der Matura oder der Gesellenprüfung wechselt die Bevölkerung beiderlei Geschlechts auf die mittlere Brücke zum »Meet and Greet«, zu »Casting«, »Friendship-Ticket« und eventueller Familienplanung. Hier ist das Zentrum der Schönheit (»Zugegeben«, habe ich einmal geschrieben, »hier geht es sehr oberflächlich zu; aber was für Oberflächen!«). Vor dreißig Jahren, als junger Mann, bin auch ich hier gelegen, sicherheitshalber auf dem Bauch (ich war noch immer keine Respektsperson, wenn auch schon ansatzweise Bademeister), und habe so getan, als interessierte mich das idyllische Seenpanorama mit dem Pyramidenkogel im Zentrum. Tatsächlich interessierten mich und meine nervös rauchenden Freunde aber ausschließlich die Mädchen, die über den Badelaufsteg stöckelten, und ganz wie die guten, alten Dadaisten haben wir sie bewertet von minus zwanzig bis plus zwanzig Punkte, und zwar wirklich jede Einzelne von 1. Mai bis einschließlich 1. Oktober. (Wir nannten uns die »fidelen Fellinis« oder »I vitelloni«.) Das war mehr als bloß ein Ferialjob. Das war viel Arbeit, unbezahlt und unbelohnt. Anbaggern war und ist nicht meine Art. Wäre ich damals schon Bademeister gewesen, hätte ich vor allem die pubertären und postpubertären Buben gestellt, die zu viert ein einziges armes Mädchen an allen vier Extremitäten packten und schadenfroh lachend in hohem Bogen in den See warfen. Im Grund semisexuelle Sommerfrischevergewaltigungen! Na wartet, Burschen! Ihr seid aufgeschrieben! Was da passieren kann! Es hat schon Tote gegeben, hat mir Sichalich erzählt. Und wenn nichts Schlimmeres geschieht, dann spritzt das Wasser, das das arme Mädchen beim Einschlagen aus dem See schleudert, direkt auf mein Notizbüchlein und verstümmelt meine schöne Geschichte zu einem unleserlichen Aquarell! Unerklärlicherweise solidarisiert sich das Sommerfrischevergewaltigungsopfer meistens ohnmächtig kichernd noch mit den Tätern (Stockholm-Syndrom am Wörthersee!). Keinen Respekt vor der Literatur! Meine Frau (plus zwanzig natürlich) habe ich später auf der Uni kennengelernt, die aber immerhin in Seenähe gebaut ist.
Auf der mittleren Strandbad-Brücke liegt heute nur noch Kommissar Sichalich auf verzweifelter Spätbrautschau, denn wie es sich für einen Kriminalisten gehört, ist seine Ehe zerbrochen, und tatsächlich trifft er hier eine alte Jugendliebe wieder. Beim ersten Rendezvous holt er sie mit dem Polizeimotorboot ab und lädt sie auf eine Spritztour ein. Ich will den schmökernden Badegästen auf ihren Sonnenliegen hier nicht zu viel verraten, aber natürlich stellt sich gerade bei der Sommerlektüre immer die Frage: Was wäre Crime ohne Sex?
Ich selbst bin mittlerweile, meinem Alter und meinem Familienstand entsprechend und weil ich mein biologisches Plansoll als erfüllt betrachte, auf die nördlichste, auf die Bootsbrücke gewechselt, sozusagen zur letzten Station.
Hier liege ich nun, ruhe aber nicht in Frieden, sondern schaue und sehe oft ganz etwas anderes als alle anderen. Im Wasser spiegeln sich Dinge, die für andere nicht oder noch nicht oder nicht mehr zu sehen sind. Bevor mir Kommissar Sichalich erschienen ist und sein Assistent Wunderbaldinger eine wilde Verfolgungsjagd mit dem Polizeimotorboot unternommen hat, habe ich Das Mädchen im See untergehen und hundertfünfzig Jahre später wieder auftauchen sehen, die biedermeierliche Liedermacherin Ottilie von Herbert, mit der ich zur Feier ihrer Auferstehung einen Fahrradausflug rund um den See unternommen und ihr die Mahlervilla gezeigt (und Mahler vorgestellt – und Mahler in einem Aufwaschen mit einem Päckchen Penicillin gleich auch das Leben gerettet) habe, das GTI-Treffen (da ist sie in Ohnmacht gefallen), Bachmann, Brahms, Janis Joplin, nicht nur Tiefes, auch Seichtes, eine Szene durfte sie in meiner Erzählung als postmortales Stubenmädel mit Roy Black spielen. Und am Ende habe ich Ottilie am Wörthersee sogar geküsst, was, wenn man unseren Zeitabstand von hundertfünfzig Jahren bedenkt, wirklich ein großes Kunststück war.
Die Sonne ist – dem momentanen Frühsommer entsprechend – nördlich der Gerlitzen untergegangen. Die Badegäste brechen auf, ich ziehe meinen Bademantel (nicht den von Udo Jürgens!) an, setze mich noch einmal hin und denke: Ich habe dem See viele Geschichten zu verdanken! Aber umgekehrt der See auch mir. Denn der See kann nicht schreiben. Ich schon. Und deswegen habe ich längst deponiert, dass ich gerne eines der pittoresken weißen Strandhüttchen auf der Strandbad-Liegewiese hätte, und über der Tür den Schriftzug »Egyds Seeheimat«. Das würde nicht gar so viel kosten (viel weniger zum Beispiel als ein zweiter Magistratsdirektor), wäre aber ein Politikum, und Politik am Wörthersee, das kann dauern … (Seit Jahren arbeitet man zum Beispiel am Großprojekt, eine Fußgängerbrücke über den Lendkanal in »Gert-Jonke-Brücke« umzubenennen. Tja, Geduld muss man haben, lieber Herr Jonke!) Fast täglich fragen mich Strandbad-Besucher, wann ich denn mein verdientes Lehen endlich bekomme. Als Bademeister ist mir schon bewusst, dass »baden gehen« auch die Bedeutungsvariante »scheitern« enthält. Wenn es um Hütten geht, sind die Paläste knausrig. Aber keine Sorge, liebe Badegäste und Brückennachbarn: Ein echter Bademeister geht nicht unter!
Früher als die Politiker sind die Touristiker und Hoteliers erwacht und paaren Natur und Kultur. Deswegen werde ich am Ende der Saison an Bord gehen, nicht auf die »Metaxa«, nicht auf die »Schlumberger«, sondern in das Polizeimotorboot zu Johann Sichalich, und während hinter uns lustig die rot-weiß-rote Flagge im Fahrtwind weht, werden wir übers Wasser flitzen, in Pörtschach anlegen und im Parkhotel beim Fünfuhrtee Sichalichs Geschichte erzählen.
Ein kalter Wind wehte durch Wien, als ich die U-Bahn-Station Krieau betrat und ein Messebesucher, der mir nachgelaufen war, um sich mein Buch signieren zu lassen, keuchend sagte: »Wie ich Sie beneide! Ich möchte auch gern Bademeister werden!«
Primus Lessiak
Unser Landle
D’r Herrgott håt glåcht
wie er’s Landle hat gmåcht,
håt si selber recht gwundert
über går so viel Pråcht.
Då seint Wiesn und Felder
und Wåld – weite Strich,
brave Leut, liabe Örtlan,
guate Ålbm, schians Viech.
Und mittn im Gårtn
zwa See, a feins Påår,
wie vom Herrgott die Augn,
so blau und so klår.
Und ringsum drei Hauptstädt,
dö seint wie drei Stern,
a neue, an ålte,
und ane kunt’s wern.
Dö neue is Klågnfurt,
dö alte Sånkt Veit,
dö dritte is Villach,
wia das wåchst, is a Freid.
Dö ane is greaßer,
dö åndern mehr klan,
dö sege håt an Lindwurm,
dö åndern håmt kan.
Kennst wohl unser Wåppn?
Drei Löwn seint drin,
mit schreckliche Tåtzn
gehnt se dahin.
Weiß-rot unsre Fårbn,
wia gfreut si mei Herz,
weiß-rot blüaht d’r Hadn,
i riach schon den Sterz.
Und dås karntnerische Liad
is bekånnt die Welt aus,
und der is ka Karntner,
der nit singt und nit jauzt.
Wir håltn föst zsåmm,
unsere Klåmmern seint Ståhl.
D’r karntnerischen Hamat
bleib ma treu allemål.
Tradition is saving the fire
And not worship of ashes
GUSTAV MAHLER
Ein paar Wochen vor der neunzigsten Wiederkehr des Tages der legendären Volksabstimmung im Süden Österreichs über den Verbleib der Region bei der Republik bin ich eingeladen worden, den Text eines Kärntner Liedes von Primus Lessiak zu interpretieren. Meine Auftraggeberin hatte dieses Lied vor Jahrzehnten in der Schule lernen dürfen – oder müssen, und fast alle der zehn Strophen kann sie, wie sie mir erzählt hat, noch heute auswendig. Ich dagegen, nur unwesentlich jünger als sie, habe das Lied als Dialektliteraturuninteressierter gerade zum ersten Mal gelesen.
Interessanterweise wirft dieses Gedicht Unser Landle als Erstes eine metaphysische, ja theologische Frage auf, denn die ersten Zeilen lauten:
D’r Herrgott håt glåcht
wie er’s Landle hat gmåcht.
Ein einigermaßen kritischer Geist muss sich da sofort fragen: Was gibt es bei der Erschaffung Kärntens zu lachen? Ist Kärnten nicht in einem Aufwaschen mit der restlichen Welt erschaffen worden? So kleinkariert und dienstbeflissen kann Gott der Herr ja nicht sein, dass er jedes Bundesland auf der ganzen Erde extra zusammenzimmert, bloß damit sich die Bewohner dort wie etwas ganz Besonderes vorkommen können! Muss man sich den Schöpfungsbericht jetzt so vorstellen, dass Gott mit heißem Bemühen und tierischem Ernst in sechs Tagen die ganze Welt mit allem Drum und Dran geschaffen hat, und am siebten Tag merkt er ganz knapp vor Arbeitsschluss, dass er dort, wo Tirol an Salzburg grenzt, ein Loch gelassen hat, was aber im Rahmen des Weltenbaus gar nicht schön ausschaut, und da hat er sich gedacht: Jetzt genehmige ich mir zum Abschluss schnell noch einen Spaß: Jetzt mache ich Kärnten! Handelt es sich bei diesem Gott um den Gott von Monty Python’s Flying Circus, die sich in ihrem Film The Meaning of Life bange fragen: »Are we just some of God’s little jokes?«
Nein, sind wir nicht, denn Primus Lessiak präzisiert:
Håt si selber recht gwundert
über går so viel Pråcht.
Aber was soll das für ein seltsamer Gott sein, der sich über seine eigene Schöpfung wundert, als stammte die Bauanleitung nicht eh von ihm? Hat der liebe Gott einen Urknall? Hat sich da etwas außerplanmäßig verselbständigt? Außerdem: Wozu lacht ein Gott? Und unter welchen Umständen? Klopft er sich dann und wann auch auf die Schenkel? War und ist einem Gott manchmal langweilig? Hat Gott ein Unterhaltungsbedürfnis? Schätzt er seichte Komödien, wenn er abends nach einem langen Alltag müde ist? Oder lacht er, weil es gesund ist? Ein Gott, der lacht, muss auch weinen, theoretisch jedenfalls, er wäre also ein wenig göttlicher und sehr menschlicher Gott, ein Gott, den der Mensch nach seinem Ebenbild geschaffen hat, nicht umgekehrt. Kein allmächtiger, kein allwissender, kein vollkommener Gott.
Mit wem könnte ich all die metaphysischen Fragen diskutieren? Primus Lessiak selbst ist ja vor fast einem Dreivierteljahrhundert gestorben. Ah ja, seine Exzellenz, den hochwürdigsten Herrn Bischof könnte ich in theologischen Dingen konsultieren. Aber der ist nicht leicht zu erwischen! Gerade habe ich den hochwürdigsten Herrn Bischof in der Zeitung abgebildet gesehen: Er hält einen Schal, obwohl Sommer ist, und auf dem Schal steht ÖSTERREICH. Aufgenommen wurde dieses Bild des Bischofs in der VIP-Lounge des neuen Klagenfurter Europameisterschaftsstadions, das früher einmal Hypo-Group-Arena geheißen hat. Aber Hypo ist in diesem Land kein Ehrenwort: Das Wort Hypo sollte man Gästen von außerhalb gegenüber am besten gar nicht erwähnen, es ist eine arge Hypothek.
Der hochwürdigste Herr Bischof ist nicht alleine auf dem Bild: Zu seiner Linken grinst Otto Retzer in die Kamera, zu seiner Rechten Isadora Fleck, der eine Wörtherseebajazzo, die andere Wörtherseemillionenerbin, hochwürdigst beide nicht gerade, zu beiden komme ich noch. Aber alle halten einen Schal, alle ziehen an einem Strang.
Ein einigermaßen kritischer Geist muss sich da sofort fragen: Was macht ein geistlicher Führer im VIP-Bereich? Beim Kirchtag der Besseren sozusagen, beim Kirchtag der Reichen und Schönen, Börsenspekulanten und Finanzjongleure. Dort, wo statt der Bratwurst des Volkes Tagliatelle ai funghi gereicht werden, Langusten, Hummer, Kaviar und die eine oder andere Wildbretspezialität, Symphonie vom Alpenlachs, Polenta mit Onsen-Ei und Rondell von Sommertrüffeln? Worüber unterhält sich ein geistlicher Führer im VIP-Bereich mit seinen Mit-VIPlern? War Jesus Christus jemals im VIP-Bereich? Hat sich Jesus Christus mit den Schönen und Reichen, Mächtigen und Prominenten vergnügt? Und noch etwas: Hält Gott nach seinem Kärntner Schöpfungswitz auch noch zu Österreich? Wie macht das Gott bloß bei all den Länderspielen? Nein, ich glaube, Gott hat diesmal zur Schweiz gehalten, sonst hätte die ja nicht gewonnen. Und das trotz Zwingli, Calvin, Hus …
Kaum hat der VIP-Fotograf seine Arbeit getan, stelle ich mir vor, wird der hochwürdigste Herr Bischof Otto Retzer zu seiner Linken gütig strahlend ansatzweise umarmt und gesagt haben: »Du bist so ein wertvoller Mensch!« Dann wird er Isadora Fleck zu seiner Rechten umarmt, gelächelt und gesagt haben: »Du bist so ein wertvoller Mensch!« So hat er es in seinem hauseigenen Seminar für Führungskräfte »Mit Jesus Christus den Menschen nahe sein« gelernt, und es stimmt ja auch. Trotzdem sind die VIP-Bereiche das gesellschaftliche Unglück des beginnenden 21. Jahrhunderts und zur Arbeitserleichterung der Pressefotografen erfunden worden. Früher mussten die Armen bedeutende Leute mit Argusaugen aus dem Publikum picken. Heute wird fotografiert, wer im VIP-Sektor ist. Wer nicht, der nicht. In den VIP-Bereich kommt man, das heißt, ein VIP ist man, indem man viel dafür bezahlt – oder sich einladen, also bezahlen lässt. Basta. Einfach eine Frage von Geld, Eitelkeit und Marketing. Was also macht der Bischof da? Volksnähe demonstrieren, höre ich eine Frauenstimme aus seinem Souffleurkasten nuscheln. Aber bei allem Respekt: Volksnähe demonstriert man gerade nicht im VIP-Bereich! Der VIP-Bereich ist gut bewacht und von Bodyguards hermetisch vom Volk abgeriegelt! Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr, als dass es da zu zwischenmenschlichen und zwischenklassigen Begegnungen kommen könnte! Die armen Seelen müssen leider draußen bleiben. Zur Ehrenrettung des Bischofs sei gesagt, dass er auf dem Bild nicht so ausschaut, als würde er sich wirklich wohl fühlen. Aber was macht er dann da? Wer um Himmels willen hat ihn da hineingeritten? Kann man es dem kleinen Mann verdenken, wenn er sich denkt: Na ja, ist halt einfach eine der Figuren aus der Upperclass, der Establishmentsquotenmystiker zwischen Cashflow und Gaudimax.
Immer ist der hochwürdigste Kärntner Bischof auch wieder nicht im VIP-Bereich! Wenige Tage später habe ich ihn schon wieder in der Zeitung gesehen: Diesmal sitzt er an einem Tisch mit dem strahlenden Genusslandesrat und unterschreibt einen Vertrag. Einen Genussvertrag wahrscheinlich. Auf der Tischplatte steht eine Spielzeugkirche, hinter den beiden weltlichen und geistlichen Herren eine Wand, auf der steht: »Stabil und verlässlich für Kärnten: Der Genusslandesrat«. Ein einigermaßen kritischer Geist muss sich da sofort fragen: Ist Jesus Christus jemals vor einer Wand gesessen, auf der gestanden ist: »Stabil und verlässlich für Judäa: Herodes«? Und was steht nun in diesem Vertrag? Dass das Land Kärnten die Diözese bei der Instandsetzung der Steinplattldächer der Kirche in Maria Pulst und anderswo mit vierhundertfünfzigtausend Euro unterstützt. Das sind – wegen der beinharten Einsparungsmaßnahmen – zwar hunderttausend Euro weniger als im Vorjahr, aber erstens ist es ein »kulturpolitischer Faktor«, zweitens besser als nichts. Oh Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Steinplattldach, aber lass vierhundertfünfzigtausend Euro rüberwachsen, so bin ich auch zufrieden. Zur Ehrenrettung des hochwürdigsten Herrn Bischof soll gesagt sein, dass er aber auch hier gar nicht so zufrieden ausschaut, sondern als hätte er ein bisserl einen Magenkrampf.
Ein Vertrag ist aber immer ein Abtausch von Leistung und Gegenleistung. Von der Gegenleistung der Diözese steht in der Zeitung allerdings nichts, und ein einigermaßen kritischer Geist muss sich daher sofort fragen: Worin könnte denn diese Gegenleistung bestehen? Na, zum Beispiel könnte der Herr Bischof dem Herrn Genusslandesrat garantieren, dass jetzt nach der Vierhundertfünfzigtausend-Euro-Kontobewegung die Schneisen der Hoffnung auch im Nebel zum Glück wieder sichtbar geworden sind. Vor allem aber könnte der hochwürdigste Herr Bischof dem Genusslandesrat versichern, dass die katholische Kirche ihm keine Moralpredigten halten wird wegen dubiosen Bankverkäufen und Zwölf-Millionen-Euro-Steuerberaterhonoraren für »zwei arbeitsintensive Monate« für eine »Landeshauptmanninformation« und einen Sechs-Millionen-Euro-Patriotenrabatt, der wer weiß in welche Kanäle fließt. Für solche Moralpredigten sind in diesem Land bekanntlich nicht Vertreter der Kirche, sondern Künstler zuständig, die deswegen aber auch keine vierhundertfünfzigtausend Euro Unterstützung kriegen, denn bei solchen Künstlern ist dann auch der kulturpolitische Faktor politisch irrelevant. Die sollen sehen, wo sie bleiben! Das kann der Bischof freilich noch nicht wissen, weil er kein Seismograf und seiner Zeit nicht voraus ist. Seiner Zeit voraus ist der Dichter, und deswegen weiß er schon, dass der Genusslandesrat wenig später zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt werden wird. Aber man hört den Dichter nicht, denn er sitzt ja nicht im VIP-Bereich, sondern unter ganz normalen Leuten. D’r Herrgott håt glåcht … Sicher wird der Bischof den Genusslandesrat nach der Vertragsunterzeichnung zum Abschied umarmt und gütig gesagt haben: »Du bist so ein wertvoller Mensch!«
Das bringt mich wieder zu Primus Lessiak, der am 5. März des Jahres 1878 in Köttmannsdorf im gemischtsprachigen Gebiet Kärntens geboren und dort auch aufgewachsen ist. Sein Vater war Volksschullehrer, seine Mutter Josefine Sablatnig trug ebenfalls einen slowenischen Namen. Sein Onkel Primus Lesiak, damaliger Pörtschacher Bürgermeister, Feuerwehrobmann und Gaststättenbesitzer, schrieb sich mit nur einem S. Die Volksschule besuchte Primus der Jüngere in Köstenberg ob Velden, das Gymnasium in Klagenfurt, und Kärnten bedichtete er wie folgt entschlossen weiter:
Då seint Wiesn und Felder
und Wåld – weite Strich,
brave Leut, liabe Örtlan
guate Ålbm, schians Viech.
Bei allem Respekt: Wiesen und Felder und Wälder sind ja nichts Besonderes, die gibt es überall. Na gut, im Irak und in der Libyschen Wüste vielleicht weniger. Aber was haben Libyen und der Irak mit Kärnten zu tun? Du lieber Lessiak! Erst Strophe zwei, und dir fällt schon nichts mehr ein! Bei allem Respekt: Die Behauptung von »braven Leuten« ist genauso klischiert, als wollte man grosso modo das Gegenteil behaupten. Belege und Indizien gäbe es für beides genügend! Und was genau ist ein »liaber Ort«? Ein Ort braucht eine Bahnstation, eine Busstation, eine Rotkreuzstation, ein Postamt, eine Polizeiwachstube, einen Arzt, ab einer bestimmten Einwohnerzahl ein Krankenhaus, na ja, einen Friedhof natürlich leider auch, möglichst nicht angrenzend, ein Theater, ein Literaturhaus, ein literarisches Leben. Ein Ort braucht Arbeitsplätze, eine Auto-Reparaturwerkstätte, ein Kulturhaus, ein Gasthaus, ein Kaffeehaus, eine Buchhandlung, einen Sportplatz, Schulen, Kanalisation, Fernwärme, Straßenbeleuchtung, Müllabfuhr. Liab bin ich selber.
Und mittn im Gårtn
zwa See, a feins Påår,
wie vom Herrgott die Augn,
so blau und so klår.
Du lieber Primus Lessiak, jetzt haben wir uns noch nicht einmal geeinigt, ob es Gott überhaupt gibt, ob er, falls ja, überhaupt ein Herr ist, ist er bei dir auch schon Mensch geworden und hat Augen, noch dazu blaue Augen, um Gottes willen, hoffentlich ist er nicht auch noch blond! Weder die Augen Gottes noch die Seen sind in Wirklichkeit blau, sie zeigen sich in allen Farben von smaragdgrün bis türkis (das sind Adjektiva, lieber Lessiak, da schaust du aber!) und es gibt nicht zwei, sondern, wie die Kärnten Werbung ja hinlänglich hinausposaunt hat, über zweihundert Seen mit Trinkwasserqualität, wobei die Frage, was schon ein See und was noch ein Teich ist, so schwer zu beantworten ist wie die, die alle Briten beschäftigt, was nämlich noch ein Hügel und was schon ein Berg ist. Der größte und mir in jeder Hinsicht am nächsten liegende See ist jedenfalls der Wörthersee, und auch der wirft Fragen auf.
Warum heißt der Wörthersee Wörthersee?, fragt der Gesellschaftsreporter mit der Eierspeisfrisur den Klagenfurter Bürgermeister (für ihn gilt die Unschuldsvermutung), der gerade keinen anderen Ansprechpartner hat, am VIP-Buffet des Beachvolleyball-Turniers beim Klagenfurter Strandbad vor laufender Kamera, und der Bürgermeister wirkt konsterniert. So eine blöde Frage so plötzlich und so aus dem Nichts heraus! Er ist ja gar nicht vorbereitet! Wo sind jetzt die Berater und Sprecher und die Einflüsterer? Ganz allein ist er hier zwischen Lachs und Kaviar, mutterseelenallein zwischen Sekt und Prosecco und Aperol Sprizz. Erwischt! Der Bürgermeister von Klagenfurt am Wörthersee wirkt eigentlich immer konsterniert. Deswegen wechselt er auch ohne Unterlass seine Büroleiter und Magistratsdirektoren, aber er wirkt von Büroleiter zu Büroleiter und von Magistratsdirektor zu Magistratsdirektor nur noch konsternierter. Sie kosten auch eine Menge: Sie und die Prozesse, die sie gegen die Stadt führen und gewinnen … Zum Glück im Unglück zahlt die ja nicht der Bürgermeister, sondern die Bürger zahlen sie, auch wenn sie das vielleicht gar nicht wissen und nicht wissen wollen. Stattdessen dreht der Bürgermeister lieber ein Imagevideo und begrüßt die Gäste aus nah und fern »am Fuß des Wörthersees.« Auch den Fuß des Wörthersees bezahlt nicht der Bürgermeister. Die Bürger bezahlen den Fuß und das Video und das Image. Am Ende des Videos greift sich der Bürgermeister Django Janeschitz an die Brust, und – wenn schon keinen Herzinfarkt im direkt kardiologischen Sinn, so einen Herzschmerzinfarkt im Schlagerparadesinn simulierend singt er: »Wenn’s Licht der Hamat ausgeht, deckt’s mi mit Hamaterdn zua.« Mochma.
Sie als Klagenfurter Bürgermeister müssen doch wissen, warum der Wörthersee Wörthersee heißt, hakt der Wiener Gesellschaftsreporter nach. Selber so eine Pfeife (für ihn gilt die Unschuldsvermutung), und dann so schwierige Fragen stellen! Ich bin ja rein zufällig Bürgermeister, hätte der Bürgermeister antworten können, aber die Antwort ist ihm auf die Schnelle nicht eingefallen. Hätte ich vor vielen Jahren an jenem Tag am Tennisplatz den einen Menschen nicht getroffen, den ich getroffen habe, wäre ich heute nicht Bürgermeister, sondern Platzwart. Ein Platzwart muss nicht wissen, warum der Wörthersee Wörthersee heißt. Hab ich Geschichte studiert?, denkt der Klagenfurter Bürgermeister. Hab ich Literatur studiert? Hab ich Geografie studiert – oder was man halt studiert haben muss, um so eine schwierige Frage beantworten zu können. Nein, studiert hat der Klagenfurter Bürgermeister nicht.
Dann überschlug und erschlug sich der millionenakrobatische Herr Verbrecher Landeshauptmann völlig betrunken, und bei den anschließenden Trauerwahlen wurde der Tennislehrer Bürgermeister. Das Ausland mag seinen Kopf schütteln, solang es nicht unseren schüttelt. Seither ist unter den Einäugigen der Blinde Bürgermeister! Jetzt stellt der Gesellschaftsreporter dem Ski-Olympiasieger dieselbe Frage und – da schau her – der weiß es auch nicht! Jetzt freut sich der Klagenfurter Bürgermeister: Das relativiert doch einiges! Er hat sich gedacht, er kommt hierher in den VIP-Bereich des Beachvolleyball-Turniers zum Repräsentieren und Händeschütteln und Griasdimachen, und dann geht’s gleich zu wie in der Schule! Direkt eine Prüfungssituation! Solche Prüfungssituationen waren dem jetzigen Bürgermeister immer schon ein Gräuel, und deswegen hat er als ersten Karriereschritt die Schule abgebrochen. Hauptschulenthauptung. Ganz und gar: Die Schule war nicht seine(s). Nur jetzt nicht gar so dämlich dreinschauen, denkt er, die Kamera läuft erbarmungslos! Otto Retzer, hilf!
Otto Retzer, vormals Kellner, zwischenzeitlich Idiotendarsteller in einer Fernsehserie, nunmehr Entertainer (Witzerzähler) und Motorbootkamerad von Isadora Fleck, der Milliardärswitwe, kurzum und im Insert »König vom Wörthersee« (froh zu sein bedarf es wenig, und wer froh ist, ist ein König …), düst über diesen Wörthersee, bedauert nebenbei, dass man heutzutage nicht mehr besoffen über den Wörthersee düsen darf, weil einen die Wasserpolizei, früher selbst trinkfest, heute humorlos abstrafen würde, springt herbei und macht einen Ablenkungswitz. Aber der Witz ist kurz, die Sendung ist lang, und die Frage, warum der Wörthersee Wörthersee heißt, ist, wie der Bürgermeister schmerzlich feststellt, nach wie vor unbeantwortet.