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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Der Golfschwung

2.1 Mensch und Modell

2.2 Das Doppelpendelmodell

2.3 Das Chippen

2.4 Der volle Schwung

2.5 Erweiterungen des Modells

3 Der Treffmoment

3.1 Coefficient of Restitution, COR

3.2 Impact ohne Loft

3.3 Impact mit Loft

4 Der Ballflug

4.1 Luftwiderstand und Magnus-Effekt

4.2 Die Wurfparabel

4.3 Ballflug mit Luftwiderstand

4.4 Ballflug mit Luftwiderstand und Spin

4.5 Hook und Slice

4.6 Hüpfen und Rollen

4.7 Optimaler Loft

4.8 Umwelteinflüsse

5 Das Putten

5.1 Der Impact

5.2 Die Puttlinie

5.3 Einlochen

6 Die Golfausrüstung

6.1 Der Golfschläger

6.2 Der Ball

7 Das Spiel

7.1 Die perfekte Runde

7.2 Der Schlüssel zum Erfolg

7.3 Das Handicap

7.4 Risikomanagement

Abkürzungen und Symbole

Stichwortverzeichnis

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Beachten Sie bitte auch weitere interessante Titel zu diesem Thema

Mathelitsch, L., Thaller, S.

 

Physik des Sports

 

2015

ISBN: 978-3-527-41304-1

Ebenfalls in digitalen Formaten erhältlich.

 

Hüfner, J., Löhken, R.

 

Physik ohne Ende

Eine geführte Tour von Kopernikus bis Hawking

 

2012

Print ISBN: 978-3-527-41017-0

 

Püschl, W.

 

Physik des Segelns

Wie Segeln wirklich funktioniert

 

2012

ISBN: 978-3-527-41106-1

Ebenfalls in digitalen Formaten erhältlich.

 

Ucke, C., Schlichting, H.J.

 

Spiel, Physik und Spaß

Physik zum Mitdenken und Nachmachen

 

2011

ISBN: 978-3-527-40950-1

Ebenfalls in digitalen Formaten erhältlich.

Autor

 

Prof. Dr. Iván Egry

RWTH Aachen

ivan.egry@rwth-aachen.de

 

Titelbild

 

www.depositphotos.com:

© ArenaCreative

Vorwort

„Mit Newton zum Tee“: Der Untertitel dieses Buches ist eine Reminiszenz an meine erste Begegnung mit Golf. Auf einer Urlaubsreise in England kamen wir an einem öffentlichen „Pitch and Putt“-Golfplatz vorbei. Der Eintritt betrug £ 5.00, „including tee“. Da ich Golf immer schon ausprobieren wollte, haben wir den Eintritt bezahlt. Nach Beendigung einer chaotischen Runde brachten wir die Schläger zurück und freuten uns schon auf eine Tasse Tee. Leider gab es statt des erhofften Heißgetränks nur eine Aufklärung über Bedeutung und Schreibweise von „tee“.

Ob Newton tatsächlich je am Tee stand, ist nicht überliefert, aber wahrscheinlich. Schließlich hat er auch eine wissenschaftliche Abhandlung über das Tennisspiel geschrieben und war an Sport interessiert. Sicher ist jedoch, dass seine „Philosophiae Naturalis Principia Mathematica“ auch für den Golfball gelten.

Die Idee zu diesem Buch entstand während langer Polarnächte auf der Raketenabschussbasis ESRANGE bei Kiruna (Schweden), wo wir wochenlang auf günstiges Wetter für den Abschuss unserer Forschungsrakete warteten. Ich danke meinen Mitstreitern Marc Engelhardt und Stephan Schneider vom Microgravity User Support Center der DLR in Köln für die professionelle wissenschaftliche und soziale Unterstützung während dieser Zeit.

Mit Eintritt in den Ruhestand hatte ich endlich Zeit, mich den wirklich wichtigen Dingen im Leben zu widmen. Ich habe die Idee aufgegriffen, ein paar Literaturrecherchen betrieben und schließlich ein Konzept für das vorliegende Buch erarbeitet, das ich guten Gewissens und guter Hoffnung einem Verlag vorlegen konnte. Erfreulicherweise war der Wiley-VCH Verlag interessiert und bereit, das Buch zu verlegen. An dieser Stelle gilt mein Dank Frau Ulrike Fuchs und Frau Anja Tschörtner, die mein Projekt in allen Phasen tatkräftig unterstützt haben.

Erstaunlicherweise gibt es kein deutschsprachiges Buch zur Physik des Golfspiels. Die meisten Autoren der englischsprachigen Bücher zu diesem Thema fürchten die Mathematik wie der Teufel das Weihwasser, sodass der interessierte Leser keine Chance hat, die vom Autor vorgestellten Resultate auch nur ansatzweise nachzuvollziehen. Ich habe versucht, denjenigen Lesern, die es genauer wissen wollen, diese Möglichkeit zu geben. Das Hauptaugenmerk liegt aber auf der Interpretation der Ergebnisse und nicht auf deren Herleitung. Als Orientierungshilfe sind wichtige Formeln eingerahmt.

Mein Dank geht auch an alle Kollegen und Verlage, die mir die Verwendung wichtiger Abbildungen aus ihren Veröffentlichungen gestatteten. Insbesondere danke ich Wim van Mook, Head Pro im Aachener Golf Club, der sich als Fotomodell zur Verfügung gestellt hat. Meiner Frau Sabine und Frau Susanne Schröder danke ich für das sorgfältige Lesen des Manuskripts und für ihre vielen konstruktiven Vorschläge.

Die Untertitel der einzelnen Kapitel sind Musiktitel verschiedener Interpreten, vorwiegend aus dem Jazz, meiner zweiten Passion neben dem Golfspiel.

Zum Schluss bleibt mir nur zu wünschen, dass meine Leser beim Studium dieses Buches ebenso viel Spaß haben wie ich beim Schreiben. Für Anregungen, Verbesserungen und Kritik wäre ich sehr dankbar.

Aachen, im Januar 2014

Iván Egry

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Einleitung

Lets get physical

„Wenn Du willst, dass der Ball weit fliegt, musst Du halt fest draufhauen.“ Wer hat nicht diese oder ähnliche Empfehlungen im Klubhaus gehört – oder schlimmer noch – selbst gegeben? Wenn es so einfach wäre, hätte dieses Buch nicht geschrieben werden müssen und die Golfpros wären arbeitslos. Paradoxerweise ist der Ausspruch aber richtig, zumindest wenn man ihn richtig interpretiert. Darum soll es in diesem Buch gehen. Wir wollen verstehen, was beim Golfspiel wirklich passiert und zwar in physikalischer Hinsicht. Den Gesetzen der Physik kann sich auch das Golfspiel nicht entziehen. Der Golfschwung, der Energieübertrag auf den Ball, der Ballflug und letztendlich das Springen und Rollen des Balls auf dem Boden unterliegen den Newton‘schen Bewegungsgleichungen der klassischen Mechanik. Selbstverständlich gibt es andere Aspekte des Golfsports, körperliche, mentale oder soziale, die das Ergebnis einer Golfrunde maßgeblich beeinflussen und der physikalischen Analyse nicht zugänglich sind. Hier soll es darum gehen, die mechanischen Prozesse zu verstehen, das heißt einen quantitativen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung herzustellen und die für Erfolg oder Misserfolg relevanten Parameter zu erkennen. In diesem Sinne ist dieses Werk ein „Verstehbuch“ und kein Lehrbuch.

An dieser Stelle ist eine Warnung angebracht: Golf lebt von der Anwendung automatisierter Abläufe. In diese bewusst einzugreifen, hat meistens negative Folgen. Wer während einer Golfrunde zu viel über seinen Golfschwung nachdenkt, wird eher schlechter als besser spielen. Dieses Phänomen hat Appel [1] treffend auf die Formel gebracht: „Paralyse durch Analyse“. Nur wenn die Analyse vor ihrer Anwendung, dem Golfspiel, erfolgt und ihre Konsequenzen durch Training in „Fleisch und Blut“ übergegangen sind, stellt sich langfristig eine Leistungssteigerung ein.

Die physikalischen Grundlagen von Sportarten waren schon immer ein aktives und attraktives Forschungsgebiet, Golf ist da keine Ausnahme. Das hat verschiedene Gründe. Zum einen führt das physikalische Verständnis langfristig zu Leistungssteigerung. Viele Sportartikelhersteller unterhalten eigene Forschungslabors, um ihre Produkte weiterzuentwickeln und konkurrenzfähig zu bleiben. Leider bleiben diese Forschungsergebnisse aus Gründen des Wettbewerbsvorteils meistens unveröffentlicht. Zum anderen ist die Anwendung mechanischer Gesetze auf Abläufe im Sport eine attraktive Möglichkeit, sich die Aufmerksamkeit der Studierenden zu sichern.

Der Klassiker in der physikalischen Analyse einer Sportart ist vermutlich das Buch von G.-G. Coriolis [2]. Darin beschäftigt er sich mit dem Billardspiel und den Effekten, die aus der Wechselwirkung der Ballrotation und der Reibung auf dem Billardtisch entstehen, also den sogenannten Effetbällen, bei denen die Bälle auf gekrümmten Bahnen und teilweise sogar rückwärts laufen. Bücher oder Artikel in Fachzeitschriften gibt es zur Physik des Sports [3, 4], insbesondere des Skifahrens [5], des Segelns [6], des Fußballs [7, 8], der Ballspiele [9] und natürlich des Golfs [10–12]. Die Einführung des Carving-Skis in den Skisport und des Fosbury-Flops in den Hochsprung sind prominente Beispiele für erfolgreich angewandte physikalische Analysen.

Für unser Thema relevant ist das Buch von Daish, „The Physics of Ball Games“ [9]. Neben Golf behandelt es auch Tennis, Baseball, Bowling und Billard. Wer der englischen Sprache mächtig ist, sollte dieses Buch unbedingt lesen. Neben der gründlichen Diskussion der wesentlichen physikalischen Grundlagen besticht es durch den unnachahmlich trockenen britischen Humor des Autors.

Zur Physik des Golfs gibt es zahlreiche Bücher und Fachaufsätze. Das Standardwerk ist „Search for the Perfect Swing“, das zuerst 1968 erschienen ist und 2005 neu aufgelegt wurde [13]. Es geht auf eine von der Golf Society of Great Britain in Auftrag gegebene Studie zurück, die erstmalig den Bewegungsablauf beim Golfschwung mithilfe stroboskopischer Aufnahmen erfasst und analysiert hat. In den 1990er-Jahren hat es eine Konferenzreihe gegeben, die sich mit den physikalischen Aspekten des Golfspiels befasste: „World Scientific Congress of Golf“. Die Verhandlungen dieser Reihe [14] (I (1990), II (1994), III (1999)) beinhalten viele interessante Fachbeiträge. In der angelsächsischen Literatur gibt es zwei weitere erwähnenswerte Bücher: „The Physics of Golf“ von Th. Jorgensen, das jetzt in zweiter Auflage vorliegt [10] und „The Science of Golf“, von J. Wesson, das 2009 erschienen ist [11]. Allen diesen Büchern ist gemeinsam, dass der Golfer als ein Doppelpendel modelliert wird, wobei die obere Pendelstange die Arme darstellt und die untere den Golfschläger. Dies ist das heute akzeptierte Modell des Golfschwungs, und auch in diesem Buch werden wir davon Gebrauch machen.

In der deutschsprachigen wissenschaftlichen Golfliteratur wird weniger die Physik als vielmehr die Biomechanik in den Vordergrund gestellt. Beispiele solcher Untersuchungen sind das Buch von S. Maier, „Der Top-Golfschwung“ [15] und die Diplomarbeit von S. Zunzer [16].

Heutzutage ist selbstverständlich auch das Internet eine ergiebige Quelle der Information. Wer einen perfekten Golfschwung in Zeitlupe sehen will, kann auf YouTube Tiger Woods bewundern [17]. Eine Sammlung von Hochgeschwindigkeitsvideos vieler Profigolfer findet sich bei Tourgolfvideos [18]. Einige Hersteller haben auf ihren Internetseiten die Grundzüge ihrer Entwicklungen skizziert, zum Beispiel die Firma Precept in Bezug auf Golfschläger [19] und Golfbälle [20]. Hersteller von Golfsimulatoren benötigen ein Programm, das aus den Anfangsbedingungen die Flugbahn des Golfballs berechnet. Dies wird zum Beispiel in [21] diskutiert. Ein guter Einstieg sind auch die Webseiten von Dave Tutelman [22], Jeffrey Mann [23] oder die deutschsprachige Seite bei Golfbälle.de [24]. Eine schöne Reihe von Videos zu „Science of Golf“, vermutlich für den Einsatz in Schulen, hat die USPGA in Zusammenarbeit mit dem Fernsehsender NBC produziert [25].

Warum also ein weiteres Buch, wenn es doch schon so viele Bücher und Artikel zum Thema gibt? Zum einen existiert in deutscher Sprache kein Buch, das die Physik des Golfs umfassend behandelt, zum anderen werden neuere Entwicklungen, zum Beispiel auf dem Gebiet der Golfausrüstung, in den älteren Werken nicht erwähnt.

Jeder Autor fragt sich (oder sollte sich zumindest fragen), für wen er sein Buch schreibt, wer also seine potenziellen Leser sind. Dieses Buch wendet sich zum einen an physikalisch interessierte Golfer, die verstehen wollen, warum der Ball fliegt, wie er fliegt und zum anderen an Physiker und Naturwissenschaftler, die sehen wollen, wie Alltagsprozesse außerhalb der sterilen Laboratmosphäre physikalisch beschrieben werden können. Bei einer solch heterogenen Leserschaft stellt sich die Frage nach dem Einsatz oder der Vermeidung von Mathematik. Die Sprache der Physik ist die Mathematik, eine präzise Darstellung ist ohne sie nicht möglich. Die Mathematik ermöglicht die kompakteste und präziseste Formulierung physikalischer Sachverhalte, aber sie ist nicht die einzige Kommunikationsform. Wer alte physikalische Veröffentlichungen aus dem 19. und 20. Jahrhundert liest, wird erstaunt sein, mit wie wenig mathematischen Formeln die Autoren früher auskamen. In diesem Buch soll die Mathematik auf das Nötigste beschränkt werden. Um den Fluss des Textes nicht zu behindern, werden wichtige mathematische Ableitungen in Einschüben präsentiert, sodass der interessierte Leser sie nachvollziehen kann. Ansonsten vertrauen wir auf das leicht abgewandelte Motto „Ein Bild sagt mehr als tausend Formeln“ und geben physikalische Sachverhalte in Form von Diagrammen wider.

Wer ein Golflehrbuch in die Hand nimmt, wird zunächst viel über die Ansprechposition, den Stand, die Gewichtsverteilung und, vor allem, den Griff lesen können. In diesem Buch ist nichts davon zu finden: Unser Golfer ist ein Doppelpendel. Er kann nicht umfallen, und sein Handgelenk ist eine Achse. Das macht vielleicht den Unterschied dieses Buchs zu einem Golflehrbuch am deutlichsten. Wir interessieren uns für die Mechanik des Golfschwungs, nicht für seine körperliche Umsetzung. Der Aufbau des Buches folgt im Wesentlichen dem zeitlichen Ablauf des Golfspiels. Zunächst beschäftigen wir uns mit dem Golfschwung. Die Annahmen und Vereinfachungen, die vom realen Golfspieler zum Doppelpendelmodell führen, werden diskutiert. Darauf folgt die mathematische Analyse des Doppelpendelmodells mithilfe der Newton‘schen Bewegungsgleichungen. Die zu optimierende Zielgröße ist die Schlägerkopfgeschwindigkeit im Treffmoment. Es zeigt sich, dass der volle Golfschwung in zwei Phasen erfolgt und dass dem korrekten Einsatz des Handgelenks entscheidende Bedeutung zukommt.

Die Wechselwirkung zwischen Schlägerkopf und Ball ist Gegenstand des zweiten Kapitels. Dabei spielt die Schlägerkopfgeschwindigkeit als Vektor, das heißt mit Richtung und Betrag, die entscheidende Rolle. Hinzu kommt der Anstellwinkel (Loft) des Schlägers als wesentlicher Parameter. Der Zusammenstoß des Schlägerkopfs mit dem Ball ist nicht elastisch; der Ball wird verformt, und es geht Energie verloren. Im Treffmoment ist der Schlägerkopf in guter Näherung kräftefrei, daher bleibt der Impuls beim Stoßprozess erhalten. Nach dem Impact verlässt der Ball mit einer definierten Abfluggeschwindigkeit (Richtung und Betrag) und einer definierten Eigenrotation (Richtung und Betrag) den Schlägerkopf. Wie diese beiden vektoriellen Größen von der Geschwindigkeit und dem Anstellwinkel des Schlägerkopfs abhängen, wird in diesem Kapitel behandelt.

Im Kapitel drei wird der Ballflug untersucht. Hierzu gehören die Aerodynamik des Ballflugs sowie der Einfluss von Ballrotation und Balloberfläche auf die Flugbahn (Magnus-Effekt [26]). Dabei wird auch das Phänomen gekrümmter Flugkurven (Slice und Hook) diskutiert.

Die mit einem Schlag erreichte Weite setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: dem Ballflug durch die Luft (Carry) und dem Aufspringen sowie Rollen des Balls auf dem Boden. Auch das Springen und Rollen eines Golfballs lässt sich mathematisch beschreiben, sodass sich Beziehungen aufstellen lassen zwischen Anfangsgeschwindigkeit und Spin des Balls und der erzielten Flug- und Gesamtweite. Aus diesen Überlegungen lässt sich eine Aussage über den optimalen Loft eines Schlägers, speziell des Drivers herleiten [27].

Das Putten wird in einem eigenen Kapitel ausführlich diskutiert, insbesondere die Frage, wann der Ball ins Loch fällt und wann nicht. Am einfachsten lässt sich dies beantworten, wenn der Ball mittig auf das Loch trifft, aber auch dezentrale Putts lassen sich analysieren.

Ein weiteres Kapitel ist der Golfausrüstung gewidmet, das heißt dem Schläger und dem Ball. In diesem Kapitel geht es um Kontinuumsmechanik und Materialwissenschaften. Die meisten Golfer schauen zumindest beim Driver zunächst auf den Schlägerkopf. Was ist die optimale Masse, welche Materialien kommen zum Einsatz, wie ist die Geometrie des Schlägerkopfs? Wir werden diese Fragen diskutieren. Mindestens so wichtig wie der Schlägerkopf ist der Schaft. Im Gegensatz zu der vereinfachenden Annahme des Doppelpendelmodells ist der Schaft elastisch. Bei richtiger Auswuchtung und korrektem Einsatz kann man diese Elastizität ausnutzen, um die Schlägerkopfgeschwindigkeit weiter zu erhöhen. Auf der anderen Seite führt die Elastizität des Schaftes aber auch zu unerwünschten Vibrationen. Hier hilft die mathematische Analyse, einen guten Kompromiss zu finden. Schließlich gilt es, den Golfball näher zu betrachten. Er ist mitnichten ein mathematischer Massenpunkt, sondern ein komplex aufgebauter Körper, der durch seine Masse, Trägheitsmoment, Elastizitätsmodul und Oberflächenbeschaffenheit definiert ist. Der Golfball muss verschiedene, sich zum Teil widersprechende Bedingungen erfüllen: Er soll weit fliegen, wenig Luftwiderstand besitzen, viel Auftrieb erzeugen, weit und spurtreu rollen und dabei unverwüstlich und erschwinglich sein. Je nachdem, wie die Prioritäten zwischen diesen Anforderungen gesetzt werden, entstehen unterschiedliche Designs. Eine besonders wichtige Rolle spielt dabei die Oberflächenbeschaffenheit, das heißt die Anzahl, Anordnung und Topologie der sogenannten „Dimples“, der „Grübchen“ auf der Balloberfläche. Sie verringern den Luftwiderstand erheblich. Obwohl es viele Golfer nicht glauben wollen, ist es doch Tatsache, dass ein Golfball mit glatter Oberfläche ohne Dimples weniger weit fliegt als einer mit Dimples. Dies ist ein komplexes aerodynamisches Phänomen und hat mit der Ausbildung einer turbulenten Grenzschicht zu tun. Wir werden auch das detailliert diskutieren.

Bei allen Fragen der Golfausrüstung ist zu beachten, dass dem technischen Fortschritt durch die Regeln des Royal and Ancient Golf Club (R&A) und der United States Golf Association (USGA) Grenzen gesetzt sind. Man kann sie im Internet nachlesen [28]. Diese Beschränkung ist sehr sinnvoll, damit die heutigen Golfplätze noch Herausforderungen und interessanten Sport bieten können. Zudem fördern Einschränkungen in der Regel die Kreativität und Innovationsfreudigkeit der Ingenieure, sie sind also nicht per se technikfeindlich.

Das letzte Kapitel behandelt das strategische Golfspiel, das „Course Management“. Hier geht es um die Frage, wie man, statistisch gesehen, das Verhältnis von Risiko zum Ertrag optimiert. Solche Fragen lassen sich mit Methoden der Entscheidungstheorie [29] und der Theorie von Wettspielen angehen. Einige Gedanken zu einem fairen Handicap-System runden dieses Kapitel ab.

Referenzen

1 Appel, H. (2000) Physikalische Aspekte des Golfspiels. Physikalische Blätter, 56, 25.

2 Coriolis, G.G. (1835) Theorie Mathematique des Effets du Jeu de Billard, Carilian-Goeury, Paris.

3 Armenti, A. 1992, 2008 The Physics of Sports, American Institute of Physics, New York.

4 Haake, S. (2000) Physics, Technology and the Olympics. Physics World, 29; Yeadon, F. The Physics of Twisting Somersaults. ibidem, 33; Takagi, H., Sanders, R. Hydrodynamics makes a Splash. ibidem, 39

5 Lind, D., Sanders, S.P. (2004) The Physics of Skiing (2. Aufl.), Springer, New York.

6 Püschl, W. (2012) Physik des Segelns, Wiley-VCH, Weinheim.

7 Wesson, J. (2002) Football Physics. Physics World, 41.

8 Falta, J. (2006) König Fußball. Physik Journal, 5, 35.

9 Daish, C.B. (1972) The Physics of Ball Games, The English University Press, London.

10 Jorgensen, Th.P. (1999) The Physics of Golf (2. Aufl.), Springer, Heidelberg.

11 Wesson, J. (2009) The Science of Golf, Oxford University Press, Oxford.

12 Penner, A.R. (2003) The physics of golf. Rep. Prog. Phys., 66, 131.

13 Cochran, A., Stobbs, J. (2005) Search for the Perfect Swing, (2nd edn.), Triumph Books, Chicago.

14 Cochran, A., Farrally, M. (Hrsg.) Science and Golf: I (1990), II (1994), III (1998), IV (2002), Proceedings of the World Scientific Congress of Golf, E. & F.N. Spon, London.

15 Maier, S. (2003) Der Top Golfschwung, Kovac-Verlag, Hamburg.

16 Zunzer, S. (2008) Zur Physik des Golfspiels, Diplomarbeit Uni Graz.

17 http://www.youtube.com/watch?v=Wc9Wb9JkpTE

18 http://tourgolfvideos.com/

19 http://www.preceptgolf.com/en/scienceclubs/index.htm

20 http://www.preceptgolf.com/en/scienceballs/index.htm

21 http://www.golf-simulators.com/physics.htm

22 http://www.tutelman.com/golf/

23 http://perfectgolfswingreview.net/index.html

24 http://www.golfbaelle.de/Physikim-Golfsport.html

25 http://www.nbclearn.com/golf

26 Lüders, K., Pohl, R. (2009) Einführung in die Physik, Bd. 1 (20. Aufl.), Springer Verlag, Berlin.

27 Penner, A.R. (2001) The physics of golf: The optimum loft of a driver. Am. J. Physics, 69, 563.

28 http://www.randa.org/en/Equipment/A-guide-to-the-rules-on-clubs-and-balls.aspx

29 Laux, H., Gillenkirch, R., Schenk-Mathes, H. (2012) Entscheidungstheorie, (8. Aufl.), Springer, Berlin.

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Der Golfschwung

It don‘t mean a thing if it ain‘t got that swing

2.1 Mensch und Modell

Der Golfschwung ist der einzige Teil des Golfspiels, den der Spieler aktiv gestaltet. Sobald der Ball in der Luft ist, ist kein Eingreifen mehr möglich; der Spieler ist zum Zuschauen verurteilt. Daher ist es nicht verwunderlich, dass jeder ambitionierte Golfer, Amateur oder Pro, viel Zeit und Geld investiert, um an seinem Golfschwung zu arbeiten. Womit wir bei der Frage wären, welche Anforderungen an den Golfschwung zu stellen sind und was das Training bewirken soll. Schlicht gesagt soll der Golfschwung die von den Muskeln zur Verfügung gestellte Energie über Knochen und Gelenke auf den Ball so übertragen, dass dieser mit maximaler Anfangsgeschwindigkeit in die gewünschte Richtung fliegt. Dabei soll auch eine Eigenrotation des Balls, der Spin, erzeugt werden. Wichtig ist außerdem, dass der Golfschwung reproduzierbar ist, das heißt, konsistent gleiche Ergebnisse liefert.

Dem Phänomen des Golfschwungs kann man sich auf verschiedene Art und Weise nähern und jeweils unterschiedliche Aspekte in den Vordergrund stellen. Zunächst einmal gibt es die physiologische Seite, die die Vorgänge im Körper des Golfspielers untersucht. Das ist das Gebiet der Biomechanik und der funktionellen Anatomie. Sie untersucht zum Beispiel, welche Muskelgruppen in welchem Ausmaß am Golfschwung beteiligt sind. Die Vorgehensweise ist empirisch, d. h. es werden Versuchsreihen mit Probanden unterschiedlichen Könnens durchgeführt und die Ergebnisse statistisch ausgewertet. Beispiele solcher Untersuchungen sind die Arbeiten von Maier [1] und Zunzer [2]. Abbildung 2.1 zeigt die beim Golfschwung beteiligten Muskelgruppen. Aus solchen Studien lassen sich Trainingsprogramme ableiten, wie zum Beispiel in dem Buch „Golfanatomie“ von Davies und DiSaia [3] beschrieben.

Um den genauen zeitlichen und örtlichen Bewegungsablauf bestimmter Körperteile sowie des Schlägers und insbesondere des Schlägerkopfs zu bestimmen und dreidimensional zu rekonstruieren, ist es notwendig, Hochgeschwindigkeitskameras einzusetzen. Schließlich dauert der gesamte Abschwung weniger als 0,3 s; darüber hinaus ist die Schlägerkopfgeschwindigkeit so hoch, dass kurze Belichtungszeiten erforderlich sind, um Bewegungsunschärfe zu vermeiden. Pionierarbeit in dieser Richtung leistete Harold „Doc“ Edgerton. Er hat bereits im Jahre 1938 stroboskopische Aufnahmen von Golfern angefertigt. Das MIT-Museum hat ihm eine Ausstellung gewidmet [4]. Später hat C. B. Daish im Rahmen der von der Golf Society of Great Britain 1968 veröffentlichten Studie „Search for the Perfect Swing“ [5] weitere solche Aufnahmen gemacht. In Abb. 2.2 ist ein von Edgerton mit der Multiflash-Technik aufgenommener Golfschwung von D. Shute gezeigt. Der Abstand der Blitze beträgt 10 ms, die Gesamtdauer der Aufnahme eine halbe Sekunde. Da die Zeitabstände zwischen den einzelnen Bildern konstant und bekannt sind, lässt sich zum Beispiel die Geschwindigkeit des Schlägerkopfs ermitteln. Diese und ähnliche Studien liefern das erforderliche empirische Material, auf dem die mathematisch-physikalische Modellierung, die wir weiter unten besprechen werden, aufbaut.

Abb. 2.1 Beim Golfschwung beteiligte Muskelgruppen. © Sabine Maier. Verwendung genehmigt.

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Abb. 2.2 Stroboskopische Aufnahme eines Golfschwungs von D. Shute aus dem Jahre 1938. © 2010 MIT. Verwendung genehmigt.

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Wie jeder Golfer weiß, spielt neben dem körperlichen auch der mentale Aspekt eine entscheidende Rolle. Dies ist das Feld der Sportpsychologie, das wir hier nicht betreten wollen. Es genügt, darauf hinzuweisen, dass die mentalen Probleme beim Golfspiel durch destruktive Interaktion zwischen bewussten und unbewussten Signalen an die beteiligten Muskeln entstehen. Der Treffmoment zwischen Schlägerkopf und Ball ist so kurz und die Schlägerkopfgeschwindigkeit so hoch, dass es praktisch unmöglich ist, visuelle und sensorische Eindrücke im Gehirn zu verarbeiten und an die Muskeln rückzukoppeln. Sobald der Schläger im Abschwung ist, muss man – im Vertrauen auf die erworbenen Fähigkeiten – das Gehirn ausschalten und den Muskeln die Kontrolle überlassen, oder – wie es Pohl in seiner Einführung in die Physik [6] so trefflich im Hinblick auf die Drehimpulserhaltung beim Salto formulierte: „Zum Springen gehört in erster Linie Mut. Für die nötigen Drehungen sorgt schon automatisch der Erhalt des Drehimpulses.“ Die mentale Aufgabe beim Golfspiel besteht also darin, seinen Mut zusammenzunehmen und die Gesetze der Physik wirken zu lassen. Dieses Stadium wird in der Psychologie oft als „unbewusste Kompetenz“ bezeichnet.

2.1.1 Reduktion der Freiheitsgrade

Kommen wir nun zur physikalischen Beschreibung des Golfschwungs. Für diese Methode ist charakteristisch, dass sie nicht den realen Prozess beschreibt, sondern sich zunächst ein Modell macht, das einerseits die wesentlichen Züge des eigentlichen Problems enthält, andererseits aber einfach genug ist, um einer mathematischen Analyse zugänglich zu sein. Die Kunst besteht darin, ein Modell zu definieren, das diese Forderungen erfüllt. Große Geister der Vergangenheit, darunter Goethe, haben diese Methodik scharf kritisiert und den Physiker als „terrible simplificateur“ [7] beschimpft; dennoch ist sie die Grundlage des Erfolgs dieser Wissenschaft.

Sehen wir uns also unter dem Aspekt der Modellbildung einen Golfer in der Ansprechposition an (Abb. 2.3) und zählen erst einmal die Anzahl der Freiheitsgrade, wobei wir jedem Gelenk je nach seiner Konstruktion ein bis drei Freiheitsgrade zuordnen. Dies ist etwas willkürlich und dient nur der groben Orientierung. Zum Beispiel haben Scharniergelenke wie das Knie nur einen Freiheitsgrad, d. h. eine Richtung der Beweglichkeit. Das Schultergelenk gestattet aufgrund seiner komplizierten Konstruktion eine dreidimensionale Bewegung. Die meisten anderen Gelenke haben zwei Freiheitsgrade. Wir erhalten also folgende Anzahl von Freiheitsgraden: Knöchel = 2, Knie = 1, Hüfte = 2, Schulter = 3, Ellenbogen = 2, Hände = 2, insgesamt 12. Bei einer vollständigen physikalischen Beschreibung muss jedem Freiheitsgrad eine unabhängige Variable zugeordnet werden.

Als Nächstes bleibt zu klären, welcher Anteil des Golfschwungs durch das Modell beschrieben werden soll. Bekanntlich besteht der Golfschwung aus Aufschwung, Abschwung und Durchschwung. Für den Ballflug und daher für die physikalische Modellierung ist allein der Abschwung entscheidend. Sobald der Ball den Schlägerkopf verlässt, gibt es zwischen beiden keine physikalische Wechselwirkung mehr; der Durchschwung spielt für den Ballflug keine Rolle. Genauso verhält es sich mit dem Aufschwung. Wie Körper und Schläger in die Anfangsposition gebracht werden, ist – im physikalischen Sinne – für den Abschwung unerheblich. Warum also legen Trainer so viel Wert auf den Auf- und Durchschwung? Die Antwort liegt im physiologischen und mentalen Bereich. Der Golfschwung soll für einen halbwegs trainierten Menschen durchführbar und nicht gesundheitsschädigend sein. Abrupte Beschleunigungen positiver und negativer Art (Abbremsen) müssen also vermieden werden. Zudem soll der Aufschwung die zum Schlag erforderliche Körperspannung aufbauen und das sogenannte „Muskelgedächtnis“ aktivieren. Die Konzentration auf den Durchschwung ist eine typische Ersatzhandlung: Da der Zeitpunkt des Ballkontaktes („Impact“) zu kurz ist, um auf ihn einwirken zu können, konzentriert man sich auf die darauffolgende Phase in der Hoffnung, dass man den Treffmoment rückwirkend beeinflussen kann. Durch die Ausführung eines sauberen Durchschwungs produziert man sozusagen nebenbei auch einen sauberen Ballkontakt.

Abb. 2.3 Ansprechposition beim Golf und am Schwung beteiligte Gelenke.

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Betrachten wir den Abschwung etwas genauer. Er beginnt mit der Aktivierung der großen Rumpfmuskulatur: Zunächst dreht die Hüfte, dann die Schultern. Es folgen die Arme und schließlich das Handgelenk. Nach heutiger Lehrmeinung bleibt der linke Arm beim Abschwung gestreckt, das heißt, der Ellenbogen ist fixiert. Das war nicht immer so: Harry Vardon (1870–1937), einer der besten Golfer seiner Zeit, war berühmt dafür, dass er seinen Ellenbogen im Aufschwung abwinkelte und im Abschwung aktiv streckte. Diese Technik führte zu größerer Weite, aber zu einem für den Durchschnittsgolfer schwer zu kontrollierenden Schwung. Zusammenfassend kann man feststellen, dass die kleinen, flinken rumpffernen Muskelgruppen im Verhältnis zu den großen, trägen Muskeln verzögert einsetzen. Diese Verzögerung, insbesondere des Handgelenks, das sogenannte „Late Release“ wird uns später noch beschäftigen.

2.2 Das Doppelpendelmodell

Abb. 2.4Abb. 2.5