Janne Teller
Alles
worum es geht
Aus dem Dänischen
von Sigrid C. Engeler und
Birgitt Kollmann
Carl Hanser Verlag
Die Erzählung Warum erschien erstmals 2003 auf Französisch unter dem Titel Pourquoi? in Le Monde de l’Éducation, Paris, und 2007 auf Dänisch unter dem Titel Hvorfor? bei Gyldendal, Kopenhagen. || Sich so in den Hüften wiegend erschien erstmals 2004 auf Dänisch unter dem Titel Sådan med vuggen i hofterne og øjnene rettet mod jorden bei Gyldendal, Kopenhagen. || Bis der Tod uns scheidet erschien erstmals 2011 auf Dänisch unter dem Titel Til døden os skiller bei Gyldendal, Kopenhagen. || Die Vögel, die Blumen, die Bäume erschien erstmals 2011 auf Dänisch unter dem Titel Fuglene, træerne, blomsterne bei Rosinante, Kopenhagen. || Alles erschien erstmals 2004 auf Dänisch unter dem Titel Alt bei People’s Press, Kopenhagen.
ISBN 978-3-446-24449-8
© Janne Teller 2013
Alle Rechte der deutschen Ausgabe:
© Carl Hanser Verlag München 2013
Übersetzung: Sigrid C. Engeler (S. 18–27, 73–98, 127–140)
und Birgitt Kollmann (S. 9–17, 28–72, 99–124, 141–143)
Satz: Satz für Satz. Barbara Reischmann, Leutkirch
E-Book-Konvertierung: Beltz Bad Langensalza GmbH
Unser gesamtes lieferbares Programm und viele andere Informationen finden Sie unter www.hanser-literaturverlage.de
Erfahren Sie mehr über uns und unsere Autoren auf www.facebook.com/HanserLiteraturverlage oder folgen Sie uns auf Twitter: www.twitter.com/hanserliteratur
To Prof Turtle,
Who knows Alles, also
that horses have a way of
breathing – for everything.
Phrymphee, YLA
Inhalt
Warum?
Sich so in den Hüften wiegend und die Augen zu Boden gerichtet
Der türkische Teppich
Gelbes Licht
Bis der Tod uns scheidet
Die Vögel, die Blumen, die Bäume
Lollipops
Alles – was ich erzählen kann
Nachwort
Warum?
»Warum ich was gemacht habe?«
»Na das.«
»Die Straßenlaternen waren an.«
»Aber das war doch nicht der Grund?«
»Wofür?«
»Dafür.«
»Den Spaziergang?«
»Du weißt schon …«
»Das wüsstest du wohl gerne.«
»Das ist dir doch nicht mal eben so eingefallen?«
»Was soll mir eingefallen sein?«
»Ich meine, du musst doch einen Grund gehabt haben?«
»Einen Grund …?«
»Ja, bis … Ich meine …«
»Genau, was meinst du eigentlich?«
»Na ja, ich wollte sagen … es gibt eben Sachen, die tut man nur, weil man … sie tun muss. Weil jemand einem was getan hat, Eltern oder … Kumpel … oder …«
»… die Gesellschaft?«
»Ja, die Gesellschaft, die auch. Die vielleicht vor allem.«
»Manche Leute würden das sicher so sagen.«
»Dass die Gesellschaft schuld ist?«
»Ja.«
»Wie das?«
»Das weißt du selbst am besten.«
»Was weiß ich …?«
»Wieso die Gesellschaft schuld ist.«
»Wie soll ich das wissen?«
»Du bist doch einer von denen, die das sagen.«
»Schon … aber vielleicht kannst du’s etwas näher erklären?«
»Was?«
»Wie die Gesellschaft dich dazu gebracht hat.«
»Nein.«
»Nein?«
»Ja: Nein.«
»Du hattest doch etwas von Straßenlaternen gesagt?«
»Die brannten.«
»Ja und …?
»Und was?«
»… haben die dich gestört?«
»Das ist doch normal, nachts um halb zwei, oder?«
»Was?«
»Dass die Straßenlaternen an sind.«
»Und das hat dich provoziert?«
»Wie kommst du darauf?«
»Du hast gesagt, das sei der Grund gewesen, weshalb du …«
»Ist dir das noch nie passiert?«
»Was?«
»Dass du die Straßenlaternen gesehen hast und auf einmal Lust hattest, ein Stück zu gehen?«
»Und die Eisenstange?«
»Die war verdammt rostig.«
»Lag sie einfach so auf der Straße …?«
»Ist doch eine Sauerei, so verrostetes Eisen einfach rumliegen zu lassen. Findest du nicht?«
»Äh … schon …«
»Das kann man doch nicht machen! Da könnte doch einer drüberfallen!«
»Das heißt, du hast nicht danach gesucht. Du hast sie einfach gefunden?«
»Gefunden? Gefunden nennst du so was? So verrosteten Schrott!«
»Als du sie aufgehoben hast, wusstest du da, was du damit machen wolltest?«
»Was würdest du denn mit einem so verflucht rostigen Stück Eisen machen?«
»Dann war es also der Rost, der …?«
»Der hat dermaßen gescheuert in der Hand! Nicht auszuhalten war’s. Kennst du das nicht?«
»Erzähl mir was von dir.«
»Du weißt doch schon alles: Hans Henrik Nielsen, siebzehn, geboren November 1985 in Kopenhagen. Bester Stürmer der Schule.«
»Aber das war ja wohl nicht der Grund …?«
»Du bist genau wie die anderen. Dabei hatte ich geglaubt, du wärst vielleicht anders. Wie alt?«
»Achtundzwanzig.«
»Zu spät.«
»Zu spät für was?«
»Du lernst das nicht mehr.«
»Was lern ich nicht mehr?«
»Zu verstehen.«
»Dich?«
»Nein, das Ganze.«
»Das, was du gemacht hast?«
»Das Ganze, verdammt noch mal.«
»Aber du verstehst das wohl, wie?«
»Möglich ist alles.«
»Aber wenn alles möglich ist, warum hast du dann ausgerechnet das gemacht?«
»Schon wieder das. Das und das und das! Was anderes hast du wohl nicht im Kopf.«
»Er ist so gut wie tot.«
»Ja, der wird wohl nicht mehr.«
»Macht dir das denn gar nichts aus?«
»Darauf kommt es doch nicht an.«
»Worauf denn?«
»Das ist es, was du nie begreifen wirst.«
»War es rassistisch motiviert?«
»Wie meinst du das?«
»Vielleicht magst du ja keine Migranten.«
»Was hat das denn damit zu tun?«
»Er war Araber. Ist Araber, meine ich.«
»Aha.«
»Also deswegen war es nicht?«
»Ha, ha, ha!«
»Es hatte nichts damit zu tun, dass vielleicht andere Migranten dir was getan haben? Das Moped gestohlen? Oder die Freundin ausgespannt?«
»Das soll ein Grund sein, einem anderen auf den Kopf zu springen?«
»Nein … ich dachte bloß …«
»Das ist doch Scheiße! Einem auf den Kopf springen, weil er dir das Moped geklaut hat! Mann, der Typ wird doch nicht mehr. Ich hab gesehen, wie ihm dieses weiße Zeug aus dem Kopf kam. Hirnmasse! Und du redest von Mopeds! Genau das meine ich!«
»Was meinst du?«
»Grenzenlos!«
»Du kommst gut klar in der Schule. Bist beliebt bei deinen Mitschülern. Deine Familie kommt mir besser vor als die meisten, dein großer Bruder ist Lehrer, deine Schwester studiert Biologie. Die ganze Welt steht dir offen.«
»Welche Welt denn?«
»Hör schon auf …«
»Womit?«
»Du kannst alles werden, worauf du Lust hast. Dänemark ist ein gutes Land, eine Demokratie, mit gleichen Rechten für alle. Europa steht dir offen, im Grunde die ganze Welt. Du hast grenzenlose Möglichkeiten …«
»Genau das sage ich ja.«
»… und auf einmal schließt du dich diesen Typen an und gehst hin und springst einem Mann auf den Kopf.«
»Welchen Typen?«
»Schlechter Gesellschaft. Wieso lässt du dich mit solchen Leuten ein?«
»Ich war alleine.«
»Vor mir musst du keine Angst haben.«
»Ha, ha, ha!«
»Ich bin kein Richter. Ich plauder nichts aus.«
»Ich war alleine.«
»Tritte und Schläge, Verletzungen praktisch am ganzen Körper, Nieren- und Leberriss, dreiundzwanzig Knochenbrüche, dazu noch ein offener Schädelbruch …«
»Ach ja …?«
»Hast du je Inzest erlebt?«
»Ha, ha, ha!«
»Sonstige körperliche Gewaltanwendung?«
»Ha, ha, ha!«
»Mobbing?«
»Ist jetzt bald mal gut?«
»Denk doch mal an deine Eltern …«
»Lass meine Eltern da raus. Die haben damit nichts zu tun.«
»Wer dann? Die Gesellschaft?«
»Aller guten Dinge sind drei. Hurra! Dann sagen wir’s doch einfach so. Hast du denn überhaupt nichts kapiert von dem, was ich gesagt hab?«
»Du hast gesagt, alles sei möglich.«
»Ja.«
»Warum hast du dann gerade das gemacht?«
»Das kapierst du sowieso nie.«
»Versuch’s doch …«
»Alles ist möglich.«
»Du hast es gemacht – weil alles möglich ist?«
»Ist doch egal, oder?«
»Wenn es egal ist, warum hast du’s dann gemacht?«
»Um zu sehen, was solche wie du dann sagen.«
»Aber es muss doch eine Grenze geben.«
»Genau.«
»Genau?«
»Genau das wollte ich rausfinden.«
»Jetzt versteh ich … Und wo ist die …?«
»Es gibt keine.«
»Keine was?«
»Grenze zu dem, was ihr gerne verstehen wollt.«
»Jetzt versteh ich gerade gar nichts.«
»Nur ist es das Falsche, was du nicht verstehst.«
»Es hatte irgendwas mit Grenzen zu tun …?«
»Mit dem Fehlen!«
»Ach so … Dir haben Grenzen gefehlt, stimmt’s …?«
»Nein, mir fehlt gar nichts! Dir. Euch.«
»Ich weiß sehr gut, dass man keinem auf den Kopf springen darf.«
»Ach ja?«
»Ja.«
»Wieso zum Teufel bin ich dann auf die Idee gekommen? Was glaubst du?«
»Das ist es ja, was ich … Du hast nie gelernt, wo die Grenze verläuft.«
»Also bin ich nicht schuld?«
»… Nein, eigentlich nicht …«
»Aber schließlich bin ich doch der, der gesprungen ist, oder?«
»Schon, aber …«
»Man kann verstehen, dass ich das gemacht habe?«
»… Alles in allem … Ja.«
»Du an meiner Stelle hättest dasselbe getan?«
»Äh … das weiß ich nicht …«
»Du bist natürlich nie in meiner Situation gewesen. Aber mal angenommen …?«
»Mal angenommen … Vielleicht ja …«
»Du verstehst es also?«
»…«
»Auf jeden Fall findest du es nicht merkwürdig, dass jemand in meiner Situation so was gemacht hat?«
»Nee … nein.«
»Wenn man an die fehlenden Grenzen denkt, das Licht der Straßenlaternen, den Rost an der Eisenstange, dann ist es durchaus verständlich, dass ich das getan hab?«
»… Ja-a …«
»Vor allem wegen der Straßenlaternen?«
»Ja … deswegen.«
»Da siehst du’s.«
»Was soll ich sehen?«
»Was ich gemeint habe.«
»Schreibst du das? Dass so was die Leute dazu bringen kann, sonst was zu machen.«
»Ja …«
»Dass man eigentlich nicht begreift, wieso so was nicht öfter passiert, wenn man bedenkt, dass die Gesellschaft keine Grenzen kennt?«
»… Äh … ja.«
»Verstehst du jetzt, was ich meine?«
»Ja-a …«
»Es ist nicht fair, Jugendliche solchen Situationen auszusetzen. Oder?«
»Nein.«
»Im Grunde ist es also merkwürdig, dass ich es nicht schon früher gemacht habe?«
»Warum … nicht?«
Sich so in den Hüften wiegend
und die Augen zu Boden gerichtet
Ein Gesetz hier, ein Gesetz da. Die Leute können doch ihre Meinung äußern, wie sie wollen. Tun sie ja auch. Egal, ob sie was zu sagen haben oder nicht. Fast wünscht man, sie würden es lassen. Als ob sie den Mund auch nur einen Moment lang halten könnten! Nein! Irgendwer findet immer, er hätte etwas zu sagen. Auch wenn es Mist ist. Sie sagen es, als wüssten sie es nicht besser. Wenn man nichts Anständiges zu sagen hat, soll man den Mund halten. Aber: Manchmal muss man auch mal was sagen, was nicht so anständig ist. Die sind es doch, die sich nicht gerade anständig aufführen. Übrigens sind das oft die von der anderen Bahnseite. Die kenne ich. Die haben nichts Gutes im Sinn. So sind sie aufgewachsen. Vielleicht liegt es auch in den Genen. Ich meine, vielleicht muss es ja so sein, wenn man unten am Bahndamm zur Welt kommt. Die sind ein bisschen dümmer als wir anderen. Sonst würden die doch wohl nicht so gehen? Das hab ich neulich zu meinem Nachbarn gesagt. Wie der gelacht hat! Und genickt. Da hab ich es an die Zeitung geschrieben. Nicht ganz so, mit etwas anderen Worten, aber ich hab es gemacht. Einer muss ja die Wahrheit sagen. Sonst stecken die uns noch an mit ihren Schweinereien. So wie die gehen, mit diesen wiegenden Hüften und mit gesenktem Kopf. Völlig inakzeptabel. Schauen zu Boden, als hätten sie etwas zu verbergen. Haben sie bestimmt auch. Das habe ich geschrieben. Die unten am Bahndamm, die haben was zu verbergen. Was, das sollen wir anderen nicht wissen. Etwas Anständiges kann das nicht sein. So was verbirgt ja niemand. Man sollte ihnen die Kinder wegnehmen. Das tut keinem gut, so heranzuwachsen. Wenn man ihre Kinder auf unserer Seite aufwachsen ließe, würden sie bestimmt so gehen wie wir. Das wäre bald kein Problem mehr. Aber was, wenn ihnen das im Blut liegt, das mit den Hüften? Und dem gesenkten Kopf? Dann würden unsere Nachkommen bald auch so gehen. Wo kämen wir da hin? Nein, das wäre nicht gut. Ich hab das der Zeitung vorgeschlagen, aber ich zieh das besser zurück.
Man sollte einen Zaun errichten, ja, genau. Einen, über den keiner drüberklettern und durch den keiner durchsehen kann. Dann können sie so rumlaufen, solange sie wollen, mit diesem wiegenden Gang und dem gesenkten Kopf. Den Blick zu Boden! Das werde ich schreiben. Das schadet doch keinem, trennt bloß die Hasen von den Kaninchen, und so etwas muss nun mal sein. Das hab ich neulich geschrieben, das mit dem Zaun. Aber inzwischen hab ich darüber nachgedacht, und nun meine ich, dass man das eigentlich nicht machen kann. Nicht, das zu schreiben, das ist in Ordnung, aber einen Zaun errichten und die unten am Bahndamm sich selbst überlassen. Schuldet man denen nicht, als Christ oder wie auch immer, jedenfalls um der Mitmenschlichkeit willen, schuldet man ihnen da nicht, sie zu zivilisierten Menschen zu machen, wie wir es sind? Es ist nur eine Frage des Bildungszugangs, ob man mit wiegenden Hüften und gesenktem Kopf leben muss. Den Blick zu Boden gerichtet. Wie die Tiere. Das ist es. Das ist unsere Nation. Das alles, auch die andere Seite des Bahndamms. Wer weiß, der eine oder andere könnte doch heimlich über den Zaun klettern. Zuallererst muss man alles tun, um ihnen beizubringen, sich wie anständige Menschen zu benehmen. So wie wir. Sieh nur, mit welcher Freude wir aufrecht gehen, mit erhobenem Kopf und die Augen geradeaus. Unübersehbar, dass wir nichts haben, was wir verbergen oder wofür wir uns schämen müssten. Das schreibe ich an die Zeitung. Dass es ein Menschenrecht ist, aufrecht zu gehen mit erhobenem Kopf und den Augen geradeaus.
Das half. Nicht so, dass die unten am Bahndamm aufgehört hätten, mit wiegenden Hüften und gesenktem Kopf zu gehen, aber es zu schreiben. Es gedruckt zu sehen. Ich hab das Meine getan für den Anstand, die Nation. Andere sind der gleichen Meinung. Das ist sehr ermutigend. So als käme etwas in Gang. Wir stehen zusammen. Auf dieser Seite des Bahndammes. Bereit, die vom Bahndamm unten auf unser Niveau hochzuziehen. Man könnte sie auch dem Erdboden gleichmachen, die Gegend unten am Bahndamm. Damit wäre das Problem ein für alle Mal gelöst. Die Bewohner schicken wir auf eine Insel, wo sie trainieren können, aufrecht und mit erhobenem Kopf zu gehen, die Augen geradeaus. Die es lernen, können die Erlaubnis erhalten, herzukommen, unter uns zu leben. Inseln gibt es genug. Vielleicht, vielleicht sollten die Zurückkommenden einen besonderen Hut tragen, eine farbige Schirmmütze. Vielleicht orangefarben. Damit man sich nicht unwissentlich mit ihnen mischt. Zu wissen, mit wem man es zu tun hat, ist ja wohl ein Menschenrecht. Das alles habe ich nicht geschrieben. Noch nicht. Das dachte ich, als ich in der Zeitung die Antwort von dem da unten am Bahndamm sah. Der hat geschrieben, dass keiner ein besserer Mensch sei als andere und dass keine Art zu gehen richtiger sei als andere. Das stand da! Dass sie dort unten am Bahndamm, auch wenn es für uns von oberhalb des Bahndamms vielleicht fremd klinge, gern auf ihre Art gingen. Es gebe unendlich viel zu sehen, wenn sie beim Gehen zu Boden blickten. So etwas müssen wir uns anhören! Danach kam mir die Idee, die Gegend dem Erdboden gleichzumachen. Und die zu dem Training auf der Insel. Jetzt habe ich das geschrieben. Macht die Gegend dem Erdboden gleich und schickt sie in ein Trainingslager auf eine Insel, wo sie richtig gehen lernen, schrieb ich. Aus Rücksicht auf die Nation. Und sie selbst. Sie könnten uns andere anstecken, und wo kämen wir da hin? Und erst diese Respektlosigkeit: Es gebe keine Grenzen für das, was sie sehen, wenn sie beim Gehen zu Boden blicken. Ich werde ihnen was zu sehen geben.
Von der Zeitung habe ich Antwort bekommen, aber mir ist fast die Luft weggeblieben. Das Wort ausrotten, das wollen sie nicht drucken. Dabei steht es nur in einem Nebensatz. Dass, wer nicht mit auf die Insel will, auf andere Weise ausgerottet werden muss. Im ersten Teil des Satzes geht es darum, dass es für alle Beteiligten das Beste ist, und erst nach dem Komma kommt der Rest. Ich sehe es ja ein, dass es missverständlich sein kann. Wenn man es unbedingt missverstehen will. Aber so ein Nebensatz! Ich habe das Problem auf andere Weise gelöst. Das Wort Problem brachte mir die Lösung. Dann schrieb ich: Menschen mit unterschiedlichem Gang voneinander zu trennen, ist für alle Beteiligten die beste Lösung, und wenn gewisse Leute unten am Bahndamm nicht ins Trainingslager auf die Insel wollen, muss das Problem auf andere Weise ausgerottet werden. Die Zeitung hat es so abgedruckt, und die Leute haben verstanden, was ich meinte. Jedenfalls viele. Noch immer erhalte ich dazu Briefe. An dem Wort ausrotten ist nichts verkehrt. Das Problem habe ich bereits gelöst. Nur ist da noch das andere. Wir sind viele, die verstehen, worum es geht. Dass das Problem ausgerottet werden muss. Unterdessen wächst das Problem jedoch. Das hängt mit der Fortpflanzung zusammen, aber das ist das Wenigste, das ist nichts Neues. Aber da ist die Anzahl der Zuschriften. Dagegen. Nicht nur von unten am Bahndamm, sondern auch von einigen von unserer Seite des Bahndamms. Verräter! So habe ich sie in dem genannt, was ich gerade geschrieben habe. Wie soll man das denn sonst nennen, wenn einer nicht dabei mitmachen will, das Problem auszurotten, das uns auf unserer Seite, oberhalb des Bahndamms, droht. Der Nation. Das habe ich gesagt, als sie von der Zeitungsredaktion anriefen und meinten, das Wort Verräter sei vielleicht etwas abseitig. Abseitig?, habe ich gerufen. Die sind abseitig! Die nicht dabei mitmachen wollen, das Problem auszurotten. Was ist mit der Nation? Vergessen Sie nicht: diese wiegenden Hüften und der gesenkte Kopf, sodass die Augen Dinge am Boden finden können! Wo kämen wir denn da hin! Ich sagte diesem Redakteur die Wahrheit, auf der Stelle. Dass auch er ein Verräter sei, wenn er einen Beitrag nicht abdrucken wolle, bloß weil darin das Wort Verräter vorkommt, bezogen auf alle, die beim Ausrotten des Problems nicht mitmachen wollen. Auf der Stelle. Das hätte längst getan werden müssen. Wir hätten heute nicht hier gestanden und spekuliert, ob die Insel wohl groß genug ist. Das Problem wäre wesentlich kleiner gewesen. Vielleicht hätte es nicht einmal ein Problem gegeben. Selbst eine kleine Insel wäre groß genug gewesen. Das ist mehr als Verrat, das ist staatsgefährdendes Handeln. Allein der Gedanke, dass das Problem nicht umgehend ausgerottet werden muss. Wir benötigen sämtliche Kräfte für Argumente gegen alle ihre verräterischen Einwände. Unterdessen wird das Problem nicht nur nicht ausgerottet, sondern wächst und Wächst und WÄCHST … Man sieht es förmlich. Spürt, wie man von wiegenden Hüften umringt ist, von nach unten gewandten Gesichtern, von Blicken, die zu Boden gerichtet sind. Immer weniger Platz, um mit erhobenem Kopf und nach vorn gerichteten Augen aufrecht zu gehen. Oder überhaupt zu gehen. Mehr sage ich nicht, habe ich zum Zeitungsredakteur gesagt. Einer anderen Zeitung. Dort haben sie mir recht gegeben. Aber das Gesetz, sagte der Mann. Das Gesetz, darauf müssen wir Rücksicht nehmen. Und die Freiheit?, frage ich. Was ist damit? Kann man nicht mehr denken, was man will? In seinem eigenen Land? Bin ich plötzlich gezwungen, mich für das Gesetz zu interessieren? Ich, der nichts anderes will, als dass die Menschen ordentlich aufrecht gehen, mit erhobenem Kopf und den Augen geradeaus. Habe meinen Nachbarn gefragt. Er sagt, ich soll mich nicht ums Gesetz kümmern. Er kennt es. Da ist nur die Rede von Rasse, Farbe, Herkunft, Glaube und Geschlecht. Kein Wort über das Gehen mit wiegenden Hüften und gesenktem Kopf. Die Augen zu Boden gerichtet. Ich schreibe das noch einmal. Dieses Mal an eine dritte Zeitung: dass es an der Zeit sei, den Weg zu versperren, der geradewegs in die Hölle führt. Eine Rutschbahn sei sie, diese volksschädliche, fanatische Toleranz. Das darf man ruhig schreiben: dass wir gezwungen sind, das Problem auszurotten, ehe es zu spät ist. Ein für alle Mal.