A schöne Leich

Hilde Schmölzer

Die Pest in Wien

Hilde Schmölzer

Die Pest in Wien



Der Schwarze Tod

Der »Schwarze Tod« war ein böser Mann auf wildem Pferd, auf unheildrohendem Schiff, auf gespenstischer Barke. Dann wurde er zum bleichen Pestmännlein, das schnell und leise seine schreckliche Arbeit verrichtete, zur Pestjungfrau, aus deren Händen das Gift rieselte, zum umherschleichenden blinden Weib und zur bläulichen Flamme, die sich von den Lippen der Sterbenden und Toten aus entwickelte, um auf verderblichem Flug das Land zu verseuchen.

Der fantastischen Vorstellungskraft des Mittelalters waren keine Grenzen gesetzt, alles schien möglich, alles schien wahrhaft zu sein. Die Menschheit, durch den Ausbruch der Seuche verängstigt und verwirrt und der furchtbaren Krankheit hilflos ausgeliefert, suchte Erklärungen im Wunder- und Mysterienglauben, im geheimnisvollen Walten der Natur, im unerbittlichen Strafgericht Gottes. Himmelserscheinungen kündigten das Übel an: Ein Komet von furchterregender Schwärze soll die Pest des 14. Jahrhunderts angezeigt haben, eine unheilbringende Konjunktion von Saturn, Jupiter und Mars unter dem 14. Grad des Wassermannes vorangegangen sein. Es wird von einer feurigen Kugel berichtet, die drohend über der Stadt geschwebt haben soll, bis ein glücklicherweise gerade zu diesem Zeitpunkt anwesender Bischof sie mittels Gebet zur Auflösung brachte. Aber weitere böse Vorzeichen sorgten für Angst und Schrecken: Schwarze, große Falter, riesige Spinnen, Schlangen, Mäuse, Würmer und Käfer begannen in ungeheurer Vielfalt und Zahl die Erde zu bevölkern, Vögel wurden unruhig, Leichenbegängnisse zeigten sich in den Wolken, sogar Blutstropfen und blutige Kreuze fielen vom Himmel und schwangere Weiber kamen mit Missgeburten nieder.

Tatsächlich war das 14. Jahrhundert reich an Katastrophen jeder Art. Mehrmals fielen in den Jahren vor der großen Pest riesige Schwärme von Wanderheuschrecken aus dem Osten ein, eine Tagebuchaufzeichnung Karls IV. beschreibt die Verwüstungen, die sie in Pulkau angerichtet haben, und die Zwettler Chronik meint, dass die Sonne von ihnen verdunkelt worden sei. Sie sollen fünf Zentimeter lang gewesen sein, sechs Flügel gehabt haben und Zähne, »die da glänzten wie Edelsteine«. Bei Tagesanbruch erhoben sie sich, fielen um etwa neun Uhr auf die Felder und fraßen alles kahl. Häufig wird von dem ungeheuren Gestank berichtet, der von den oft fußhoch auf den Feldern liegenden toten und verwesenden Tieren ausging. Die Ursache der Pest, so glaubten viele Ärzte, sei in diesem Gestank zu suchen.

Rund ein Jahrzehnt später, 1348, verheerten Erdbeben ganz Europa; in Österreich fanden sie einen Höhepunkt mit dem Sturz der Villacher Alpe, die tausend Tote unter sich begrub: »nach weynachten geschah ain grösser erdpidem in carnten in ainer stadt hayst villach, die zerfiel ueber all, die ringmauer leit noch heut des tags im graben, es geschah an pauli bekherung (25. Jänner) und was ain schöner tag, es zerfielen sich auch 10 gueter vesten, sich zerriss ein perg von einander und fiel in ein tieffen see (Bergrutsch in den ­Ossiacher See), es ertrencht der see wol 7 dörfer …«, heißt es in der Klosterneuburger Chronik. In dem nun folgenden, von Missernten und Hungersnöten begleiteten Chaos machte die Pest unter den geschwächten Menschen leichte Beute.

Es war nicht das erste Mal, dass sie Europa heimsuchte. Zwar dürfte es sich bei der »Pest des Thukydides«, der bereits 430 v. Chr. Perikles mit Tausenden von Athenern zum Opfer fiel, um eine Pockenepidemie gehandelt haben. Ebenso werden hinter der »Pest des Antonin« 200 n. Chr. Flecktyphus oder Pocken vermutet. Hingegen hat es sich bei der »Pest des Justinian«, die im sechsten nachchristlichen Jahrhundert das gesamte Abendland verwüstete, zweifellos um eine echte Pestepidemie gehandelt. Ob es von diesem Zeitpunkt bis zum »Schwarzen Tod« des 14. Jahrhunderts Pestepidemien in Europa gegeben hat, bleibt umstritten. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist die Seuche des Jahres 1187 die Pest gewesen. Als bewiesen gilt auch eine Pestepidemie in den Jahren 1329–32 in Italien, aus der uns die Legende des Pestheiligen Rochus überliefert ist. Bei den übrigen, mehrmals aufflackernden Seuchen hat es sich jedoch wahrscheinlich um andere Krankheiten gehandelt. Sicher ist, dass keine der vorangegangenen Epidemien das Ausmaß jener der Jahre 1348 bis 1350 erreicht hat, in der selbst nach jüngeren Schätzungen etwa 25 Millionen Menschen, das ist etwa ein Viertel der damaligen Bevölkerung Europas, den Tod gefunden haben.

Sie war durch genuesische Schiffe von der Stadt Feodosia auf der Krim, einem genuesischen und venezianischen Handelsstützpunkt, nach Italien eingeschleppt worden. Und zwar waren die italienischen Handelsherrn – wie so oft in der Geschichte der Pest – von den Völkern des Ostens, in diesem Fall Tataren und Sarazenen, angesteckt worden, die ihre Stadt belagerten. Nach bereits dreijähriger Belagerung und kurz vor der Kapitulation brach die Seuche im feindlichen Heer aus und trieb die Tataren in die Flucht. Aber auch die Italiener flohen panikartig in ihr Heimatland, nachdem sich die ersten Opfer innerhalb der Mauern der Stadt gezeigt hatten. Doch der Schwarze Tod fuhr mit auf ihren Schiffen und verseuchte, von Italien ausgehend, ganz Europa.

Von Venedig drang er entlang der Handelsstraße nach Trient und über den Brenner ins Inntal. 1348/49 wütete er in der Steiermark und in Kärnten. Konrad von Megenberg, der Ende 1348 in Regensburg sein »Buch der Natur« geschrieben hat, die älteste in deutscher Sprache verfasste Naturgeschichte, erwähnt die Pest für 1348 in Südfrankreich, Italien und Tirol, »es stürben auch der selben jars (1348) gar vil laut in dem geperg (Tirol) und hie anzen (vor dem Gebirge in Bayern) in etsleichen steten, aber gar vil volkes starb in den nächsten jar danach in der stat ze Wienne in Oesterreich.«

Nach Wien und Niederösterreich ist die Pest zweifellos von Ungarn eingeschleppt worden, wo sie bereits im Jänner und Februar 1349 bezeugt ist. Von Ostern bis Michaelis (Ende September) wütete sie dann in Wien. »… an unser frawen tag zu der Liechtmess, do wart der sterb in allem Oesterreich gar gross, und doch besunder da ze Wienn, also daz man alle leut, arm und reich, muest legen in den gotsakker ze Sand Cholman. Und stürben so viel leut, an einem tag zweliff hundert leich …« Noch heute steigt Schrecken aus diesem Bericht in einer vergessenen Sprache auf, steigt wie eine ferne Berührung mittelalterlicher Denkweise herauf über die Jahrhunderte, lässt fragen nach dem Wie, dem Woher.

Wie war es damals, in der mittelalterlichen Stadt »ze Wienne«, über die uns spärlich, aber dennoch Chroniken, Aufzeichnungen, Erlässe und nicht zuletzt wunderbare Kunstschätze Auskunft geben? Was hat sich damals abgespielt in dieser Stadt an der Schwelle zum Spätmittelalter, als die Gotik ihre ersten bedeutenden Denkmäler schuf und Wien eine beachtete Handelsstadt geworden war?

Hilde Schmölzer

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© Foto: Sascha Manówicz

Zur Autorin

Hilde Schmölzer, geboren 1937 in Linz, lebt als freie Autorin in Wien. Studium der Publizistik und Kunstgeschichte. 25 Jahre freiberufliche Journalistin und Fotografin in Wien und München. Arbeit für den ORF. Zahlreiche Veröffentlichungen als Sachbuchautorin, u.a. „Die verlorene Geschichte der Frau“, „Phänomen Hexe“ und bei HAYMONtb „Die Pest in Wien“ (2015).

Impressum

Überarbeitete Neuauflage der bei der Österreichischer Bundesverlag Ges.m.b.H. 1985 erschienenen Originalausgabe „Die Pest in Wien“.

© 2015

HAYMON verlag

Innsbruck-Wien

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ISBN 978-3-7099-3651-1

Umschlag- und Buchgestaltung nach Entwürfen von: hoeretzeder grafische gestaltung, Scheffau/Tirol

Umschlag: Eisele Grafik·Design, München, unter Verwendung von depositphotos/Klanneke (Schädel mit Kerze); Bigstock/Ruslan Ivantsov (Mauer); shutterstock/photolink (Ratte)

Bilder Innenteil: © Josephinum, Sammlungen und Geschichte der Medizin, MedUni Wien

Satz: Da-TeX Gerd Blumenstein, Leipzig

Autorenfoto: Sascha Manówicz

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Cover: Der Tod fährt Riesenrad

Jeder kennt sie, die „schöne Leich“ – aber was hat es damit tatsächlich auf sich? Kurzweilig und informativ spannt Hilde Schmölzer den Bogen vom Barock bis in die Gegenwart und erzählt vom besonderen Verhältnis der Wiener zum Tod: Schon die Habsburger schwelgten in monströsem Leichenpomp, im 19. Jahrhundert wurden die Grüfte des Stephansdoms für Schaulustige geöffnet, Sigmund Freud ist nicht von ungefähr der Erfinder des Todestriebs und der Wiener Walzer in Wahrheit alles andere als von oberflächlich beschwingter Heiterkeit geprägt.

Ein Fest für Freunde des schwarzen Humors, Wien-Fans und alle, die der Wiener Seele auf den Grund blicken wollen.

Hilde Schmölzer

A schöne Leich

Der Wiener und sein Tod

ISBN 978-3-7099-3630-6

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Cover: Mord in Wien

Die spektakulärsten, schauerlichsten und skurrilsten Kriminalgeschichten Wiens hat das wahre Leben geschrieben.

Packend und kenntnisreich erzählt die Autorin von Verbrechen, die sich tatsächlich zugetragen haben – vom Haus des Grauens in der Augustinerstraße, von genialen Ermittlern, überraschenden Geständnissen, kaltblütigen Mördern und vom fast perfekten Verbrechen – eine Pflichtlektüre für all jene, die schon immer die dunkle Seite Wiens kennenlernen wollten.

Helga Schimmer

Mord in Wien

Wahre Kriminalfälle

ISBN 978-3-85218-911-6

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Cover: Der Tod fährt Riesenrad

Wien um 1900. Die fünfzehnjährige Leonie ist verschwunden. Alle Indizien deuten darauf hin, dass das Mädchen entführt wurde. Kurz darauf geschieht ein zweites Verbrechen: In einer Gondel des Riesenrades wird ein toter Zwerg entdeckt. Der Privatdetektiv Gustav von Karoly wird von der besorgten Mutter Leonies mit den Ermittlungen beauftragt. Unterstützung bekommt er von Artisten und Hellseherinnen, Jockeys und Praterstrizzis. Nur der reiche, tyrannische Großvater Leonies hält nichts von Karolys Bemühungen. Hat er gar etwas mit dem Fall zu tun? – Spannend und mit viel Zeitkolorit erzählt Edith Kneifl einen historischen Kriminalroman, der die Leser bis zur letzten Seite fesselt.

»Ein unterhaltsames Lesevergnügen – vor allem für Fans dieser spannenden Zeit.«

Steirer Krone, Christoph Hartner

»Ein absolut geglücktes Lesestück«

Tiroler Tageszeitung

»Im klassischen Krimi-Plot spielen illustre Figuren in stimmigem Lokalkolorit.«

Oberösterreichische Nachrichten

Edith Kneifl

Der Tod fährt Riesenrad

Ein historischer Wien-Krimi

ISBN 978-3-85218-907-9

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Cover: Die Tote von Schönbrunn

Die schöne Kaiserin Sisi wurde eben erst zu Grabe getragen, da fallen gleich mehrere adelige Damen in der Nähe von Schloss Schönbrunn einem brutalen Serienmörder zum Opfer. Und alle haben sie auffallende Ähnlichkeit mit der jungen Kaiserin. Eindeutig ein Fall für den Privatdetektiv Gustav von Karoly. Aber ist er dem Frauenmörder von Schönbrunn gewachsen?

Mit Karolys zweitem Fall entführt Edith Kneifl noch tiefer ins Herz der Donaumonarchie und beweist ihr goldenes Händchen für das kriminelle Wien der Jahrhundertwende.

Edith Kneifl

Die Tote von Schönbrunn

Ein historischer Wien-Krimi

ISBN 978-3-7099-7330-1

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Table of Contents
Cover
Titel
Der Schwarze Tod
Die stat ze Wienne
Die Kloaken stanken zum Himmel
Wundärzte und Physici
Es hueben sich die buessleut an
Brunnenvergiftung und Judenmord
Ein lockeres, schlampiges Volk
Pestgutachten und Infektionsordnungen: Die Neuzeit beginnt
Wien im Jahre 1679
Gewissenloses Lumpengesind
Barocke Spektakel und der Floh unter der Perücke
Das Chaos
Die Legende vom lieben Augustin
Schnabeldoktoren und Pestwürmlien im Gebluet
Pestis manufacta die künstliche Pesterzeugung
Die Lehre von Gift und Gegengift
Nimm Camillenwasser 4 Loth
Amulett und Edelstein
Die Vorzimmer des Todes
Barocker Bürokratismus und Reinigungszeremonien
Der immerwährende Pestkordon
Magister Sanitatis
Pestheilige und Pestpatrone
Ein barockes Fest
Die letzte Pest des Jahres 1713
Die Laboratoriumspest von 1898
Anhang
Hilde Schmölzer
Zur Autorin
Impressum
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Wundärzte und Physici

Es fehlte aber nicht nur an den nötigen sanitären Maßnahmen – auch die Ärzte standen der Seuche hilflos gegenüber. Allgemein wurden der Zorn Gottes und die Konstellation der Gestirne dafür verantwortlich gemacht, und als sicherstes Gegenmittel wurde die Flucht empfohlen. »Cito, longe, tarde«, geh früh, geh weit, komme spät, war ein altes Sprichwort, das bis ins späte siebzehnte Jahrhundert hinein seine Geltung hatte. Allzu häufig hielten sich die Ärzte selbst daran und folgten damit ihrem großen Vorbild, dem griechisch-römischen Arzt Galenus, der 166 n. Chr. vor der Pest aus Rom geflohen war. Mit bemerkenswerter Offenheit rät der angesehene Arzt und Gelehrte Chalin de Vinario seinen Kollegen, zu den Kranken eher auf Distanz zu gehen: »Da die Annäherung an die Kranken mit sicherer Gefahr verbunden ist, gibt es nur wenige Ärzte, die sich gegen enormes Honorar einer so großen Gefahr unterziehen. Sie tun gut daran, denn viele, die nicht die Klugheit hatten, davon abzustehen, sind in den Untergang ihrer Patienten hineingerissen worden und umgekommen. Keiner ist ja so blind und wahnsinnig, dass er sich mehr um das Heil des anderen als um das eigene bekümmert, zumal bei einer Krankheit, die derartig ansteckend ist.« Auch Guy de Chauliac, Leibarzt Papst Clemens’ VI., gibt die Inkompetenz der Ärzte offen zu: »Die Seuche war für Ärzte, da sie nicht zu helfen vermochten, höchst beschämend, umso mehr, als sie aus Furcht vor Ansteckung die Kranken nicht zu besuchen wagten, und wenn sie es taten, nichts verrichteten und folglich auch nichts gewinnen konnten, denn alle Kranken starben, ausgenommen einige wenige gegen Ende der Pest, die mit reif gewordenen Bubonen (Pestbeulen) davonkamen.« Trotzdem ist Guy de Chauliac, um seine Ehre zu retten, in Avignon geblieben, das während der Pest des Jahres 1348 bereits von sämtlichen Ärzten verlassen worden war. Er bezahlte diesen Heroismus auch mit einer Erkrankung, von der er allerdings genas. Erst im Jahre 1368 traf ihn, ebenso wie Vinario 1363, das klassische Schicksal des Pestarztes: Er ist an dieser Seuche gestorben. Man hat später für den Mangel an Vertrauen, den die Bevölkerung den gelehrten Ärzten entgegenbrachte, vielfach die Flucht gerade der berühmtesten Medici zu Pestzeiten verantwortlich gemacht. Wundärzte, so wird berichtet, seien deshalb beliebter gewesen, weil sie eher in der verseuchten Stadt geblieben waren. Tatsächlich war es so, dass die angesehenen Ärzte meist zusammen mit ihren Klienten, dem Herrscherhaus und dem hohen Adel, die Stadt verließen, während die Wundärzte, die das ärmere Volk behandelten, viel mehr Grund hatten zu bleiben. Sie waren auch billiger und standen schon deshalb dem einfachen Bürger näher, der kaum je einen gelehrten Arzt, sondern viel eher die »weise Frau« oder den Quacksalber kommen ließ. Und die ärztliche Kunst der damaligen Zeit war ja wirklich wenig geeignet, das nötige Vertrauen einzuflößen. Der unvermeidliche Aderlass und die Abführmittel, die man verabreichte, trugen in Pestzeiten im Gegenteil häufig zum beschleunigten Tod des ohnedies bereits geschwächten Patienten bei. Die relativ besten Erfolge wurden durch eine chirurgische Behandlung erzielt; das Aufschneiden und Aufbrennen der äußerst schmerzhaften Bubonen brachte für viele Erleichterung, oft sogar Rettung. Die vorgeschriebene Diät hingegen und die zahlreichen Kräutermixturen dürften wenig zu einer grundlegenden Besserung beigetragen haben.

Die Ursache der Krankheit wurde meist in einer verderbten Luft vermutet, weshalb überall eine Luftreinigung durch große Feuer aus wohlriechendem Holz angeordnet wurde, dem die verschiedensten Kräuter beigegeben waren. Das Ausräuchern blieb bis in die Barockzeit hinein große Mode. Statt die Ursache, nämlich Unsauberkeit und mangelnde Hygiene, wirksam zu bekämpfen, bekämpfte man die Wirkung, den Gestank. Dazu mussten nicht nur alle möglichen Räuchermittel, sondern auch Wässerchen und wohlriechende Mixturen herhalten, was, zusammen mit dem üblen Gestank von Abwässern und Unrat, ein ungeheures Geruchschaos ergeben haben muss.

Einer der bedeutendsten Ärzte seiner Zeit, Galeazzo di Santa Sofia, ein paduanischer Gelehrter, der sich seit 1394 an der Universität Wien nachweisen lässt und Leibarzt der Habsburger gewesen war, hielt die Fäulnis der im Meer umgekommenen und wieder ausgeworfenen Heuschrecken, vereint mit astralischen und ­tellurischen Einflüssen für die Ursache der Pest. Außerdem meint er in seinem Arzneibuch, dass die Armen zur Zeit einer Hungersnot die wilde Melde (ein spinatähnliches Unkraut) als Gemüse verwenden, dadurch an Pestilenz erkranken und auch wohlhabende Stände infizieren. Der schöne Beiname »Scheißmelde« (­scheissmelten) deutet allerdings eher auf eine durch den Genuss hervorgerufene Darmerkrankung hin. Die Pestbeulen behandelte Galeazzo – so wie auch andere Ärzte – mit erweichenden Umschlägen, die aus einem Brei von zerstoßenen Feigen und zerkleinerten Zwiebeln, mit Hefe und Butter gemischt, bestanden. Nach erfolgter Eiterung und chirurgischer Behandlung wurden wieder Zugmittel aufgelegt, um den Eiterfluss in Gang zu halten. Auch Galeazzo di Santa Sofia starb mit einem Großteil seiner Familie im Jahre 1427 in seinem Heimatort an der Pest.

Der in ganz Italien gefeierte Arzt Gentilis von Foligno vertrat hingegen die Ansicht, dass die Krankheit aus einer durch verpestete Luft entstandenen faulen Verderbnis des Blutes, der Lunge und des Herzens herrühre. Zu dieser Erkenntnis war er durch die Öffnung mehrerer Pestleichname gekommen, wobei er angeblich in der Nähe des Herzens eine kleine, mit Gift gefüllte Blase gefunden hatte, die eine Vergiftung des gesamten Körpers bewirkte. Er empfahl daher neben der obligaten Luftreinigung auch eine entsprechende Reinigung des Körpers von bösen Säften durch Aderlass und Abführmittel, darüber hinaus herzstärkende Mittel, eine zweckmäßige Lebensweise und Diät.

Wie schon gesagt, handelt es sich hier um die Heilmethoden der erfahrensten Ärzte – welche Mittel die zahlreichen kleinen Wundärzte, Bader und Quacksalber verordneten, wagt man sich gar nicht auszudenken. Wie hoffnungslos die damalige Medizin im Dunkeln tappte, beweist auch ein langatmiges und abenteuerliches Gutachten, das die medizinische Fakultät zu Paris, die berühmteste des 14. Jahrhunderts, unter dem Eindruck der Pestepidemie im Jahre 1348 ausgearbeitet hat. Es wurde von König Philipp VI. in Auftrag gegeben und sollte die Ursachen der Pest erklären und entsprechende Gegenmittel empfehlen. Der Kuriosität halber, und weil dieser Text sehr viel von der damaligen Geisteshaltung verrät, sei er auszugsweise hier wiedergegeben:

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Aderlassmann, Deutscher Flugblattholzschnitt, 15. Jahrhundert

»Wir, die Mitglieder des Collegiums der Ärzte zu Paris, haben nach reiflicher Überlegung und Beratung über das jetzige Sterben den Rat unserer alten Meister in der Kunst eingeholt und wollen hiermit die Ursachen dieser Pestilenz deutlich und offener an den Tag legen, als nach den Regeln und Grundsätzen der Astrologie und Naturwissenschaft geschehen könnte. Demnach erklären wir: Es ist bekannt, dass in Indien, in der Gegend des großen Meeres, die Gestirne, welche die Strahlen der Sonne und die Wärme des himmlischen Feuers bekämpfen, ihre Macht besonders gegen jenes Meer ausübten und mit seinen Gewässern heftig stritten. Daher entstehen oft Dämpfe, welche die Sonne verhüllen und ihr Licht in Finsternis verwandeln. Diese Dämpfe wiederholen ihr Auf- und Niedersteigen achtundzwanzig Tage lang unaufhörlich, aber am Ende wirkten Sonne und Feuer so gewaltig auf das Meer, dass sie einen Teil desselben an sich zogen und sich das Meeresgewässer in Dampfesgestalt emporhob. Dadurch wurden nun in einigen Gegenden die Gewässer dermaßen verdorben, dass die Fische in denselben starben. Dieses verdorbene Wasser aber konnte die Sonnenhitze nicht verzehren und ebenso wenig konnten anderes gesundes Wasser, Hagel oder Schnee und Reif daraus entstehen. Vielmehr verbreitete sich dieser Dampf durch die Luft in viele Weltgegenden und hüllte dieselben in Nebel ein. Solches geschah in ganz Arabien, einem Teil von Indien, auf Kreta, in den Ebenen und Tälern Mazedoniens, in Ungarn und Albanien und Sizilien. Kommt eben dasselbe nun auch noch nach Sardinien, so bleibt kein Mensch am Leben, und das Gleiche wird auch auf allen Inseln und in den anstoßenden Ländern der Fall sein, wohin dieser verdorbene Seewind aus Indien kommt oder bereits gekommen ist, solange die Sonne im Zeichen des Löwen steht. Wenn die Bewohner jener Gegenden nicht nachfolgende oder ähnliche Mittel und Vorschriften anwenden und befolgen, so künden wir ihnen den unausbleiblichen Tod an, wenn anders die Gnade Christi ihnen das Leben nicht erhält … Wir sind des Dafürhaltens, dass die Gestirne mit Hilfe der Natur sich bestreben, durch ihre göttliche Macht das Menschengeschlecht zu schützen und zu heilen, sofort mit den Sonnenstrahlen den Nebel zu durchbrechen, durch die Kraft des Feuers wirkend. Es wird demnach binnen zehn Tagen und bis zum 17. des nächsten Monats Juli dieser Nebel sich in einen stinkenden, schädlichen Regen verwandeln, wodurch die Luft wieder sehr gereinigt werden wird. Sobald nun dieser Regen sich durch Donner oder Hagel ankündigt, soll jedermann von euch sich vor der Luft hüten und sowohl vor als auch nach dem Regen starkes Feuer von Rebholz, grünem Lorbeer oder anderem grünen Holz anzünden. Auch soll man Wermut und Chamomillen in großer Quantität auf den öffentlichen Plätzen, in anderen stark bewohnten Gegenden und in den Häusern verbrennen. Bevor nun die Erde nicht ganz wieder ausgetrocknet ist und noch drei Tage danach soll niemand auf das Feld gehen. Während dieser Zeit soll man nicht vielerlei Speise zu sich nehmen und sich vor der Kühle des Abends, der Nacht und des Morgens in Acht nehmen. Schwimmendes oder fliegendes Geflügel, junge Schweine, altes Ochsenfleisch und überhaupt fettes Fleisch soll man nicht essen. Dagegen esse man Fleisch, das sein gehöriges Alter hat, warmer und trockener Natur ist, keineswegs aber hitzend und reizend. Brühen mit gestoßenem Pfeffer, Ingwer und Gewürznelken versetzt soll man essen, besonders sollen das jene tun, welche gewohnt sind, mäßig und mit Auswahl zu speisen. Schlafen bei Tage ist nachteilig; man schlafe nachts bis Sonnenaufgang oder etwas länger … mit Regenwasser soll man nicht kochen und jedermann hüte sich vor dem Regen … Um den Leib gehörig offen zu erhalten, soll man, wenn es nötig wird, ein Klistier oder andere leichte Mittel anwenden. Bäder sind schädlich. Der Weiber muss man sich bei Todesgefahr enthalten und denselben weder beiwohnen noch mit ihnen in einem Bette schlafen. Das soll sich jedermann wohl gesagt sein lassen, besonders jene, die am Meere oder auf einer Insel wohnen, wohin der ­schädliche Wind gedrungen ist.«

Die ganze mittelalterliche Gedankenwelt, der Glaube an den überragenden Einfluss höherer Mächte, neben denen sich der Mensch klein und armselig ausnimmt, ist in diesen Zeilen enthalten.

Etwas besser als um das Wissen über die Heilmethoden war es um jenes über ansteckungsverhütende Maßnahmen bestellt.

Man stützte sich dabei auf die Erfahrung und kam so zu oft durchaus richtigen Erkenntnissen. So existiert ein interessantes Pestreglement aus dem 15. Jahrhundert in der Bibliothek des Palazzo Riccardini in Florenz, das in sechzehn Punkten die Vorsichtsmaßregeln beschreibt, die Ärzte bei dem Besuch von Kranken zu beachten hätten. Wenn hier die häufige Lüftung des Krankenzimmers und das tägliche Wechseln von Tüchern, Decken und Wäsche empfohlen wird, so entspricht dies ebenso modernen Anschauungen wie die angeordnete Vorsicht bei der Untersuchung des Harns, des Stuhles und die Forderung nach sofortiger Entfernung sämtlicher Ausscheidungen, weil sich gerade darin die Bakterien in hoher Konzentration befinden.

Interessant ist auch eine Ansicht, die durch etliche erhaltene Illustrationen belegt wird: Danach hatte der Kranke bei dem Besuch eines Arztes immer hoch gelagert zu sein, denn nach der Lehre von Avicenna und Averroes (islamische Ärzte des 11. bzw. 12. Jahrhunderts) stiegen die Gifte nach oben. Erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts rückte man von dieser alten arabischen Anschauung ab. Und erst dann hielt man es auch nicht mehr für ungesund, in einem höheren Stockwerk zu wohnen.

Während also in Italien und Frankreich die fortschrittlichen Geister zu finden waren, sah es in deutschen Landen auf dem Gebiet der Medizin und Wissenschaft sehr viel düsterer aus. Die Universität in Wien war zur Zeit des großen Pestausbruchs im Jahre 1349 noch nicht gegründet, wer Arzt werden wollte, studierte in Paris oder besser noch in Padua, das sich im 14. Jahrhundert zu einem Zentrum epidemiologischer Untersuchungen entwickelt hatte. Die Volksmedizin hingegen ist ursprünglich wohl hauptsächlich Angelegenheit jener »weisen Frauen« gewesen, die später als Hexen verbrannt wurden. Vor allem der Bereich der Frauenheilkunde und Geburtshilfe lag bis zur Entstehung einer institutionalisierten medizinischen Wissenschaft an den Universitäten völlig in ihren Händen. Ihr – häufig noch von heidnischen Vorstellungen geprägtes – Naturwissen trat jedoch in Konkurrenz mit der Geistlichkeit, die sich ebenfalls als Bewahrerin der Heilkunde fühlte. Beinahe jedes Kloster, das auch für die Pflege der Alten und Kranken zuständig war, hatte eine Krankenanstalt und die Ärzte der Babenberger waren noch Priester gewesen. So wie etwa der Arzt Herzog Albrechts II., Meister Albrecht, Chorherr zu Passau und Pfarrer zu Gars. Je mehr die auf wissenschaftlich-theoretischen Erkenntnissen beruhende Medizin jedoch an Einfluss gewann, desto mehr wurden Frauen und auch Geistliche aus dem Gebiet der Heilkunde verdrängt. Die Ärzte der Habsburger gehörten meist schon dem Stand der »buocharzet« an, das heißt, dass sie wissenschaftlich ausgebildete »Weltliche« waren.

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Arzt besucht einen Pestkranken, der den damaligen Anschauungen zufolge hoch gelagert sein musste. 15. Jahrhundert

In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts überwog jedoch noch der Wundarzt oder Chirurgus, der als bloßer Erfahrungskünstler vornehmlich für äußere Wunden zuständig war, außerdem Brüche, Steine und Gries operierte und daher auch Schneidarzt (incisor) genannt wurde. Auch pflegte der (seltene) studierte Arzt, der sogenannte Physicus, die nähere Behandlung dem untergeordneten Wundarzt zu überlassen. Seine Aufgabe beschränkte sich meist auf Pulsfühlen, Diagnosestellen und Aufschreiben des Rezeptes. Dem untergeordneten Stand der Heilkunst gehörten in Wien außerdem die zahlreichen Bader und Barbiere an.

Die heftige Rivalität, die zwischen ausgebildeten Ärzten und Vertretern der häufig mit magischen und zauberischen Mitteln arbeitenden Volksmedizin bestand und die sich bis in das 18. Jahrhundert verfolgen lässt, dürfte sich ebenfalls in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts herausgebildet haben. Die erste Verordnung, die sich gegen die bekämpften »Curpfuscher« wandte, erschien 1391.

1406 erwirkte dann die Fakultät vom zuständigen Passauer Bischof Georg von Hohenlohe gegen alle der Fakultät nicht einverleibten Praktizierenden den Bannbrief, der nicht nur für Wien, sondern auch für die ganze Passauer Diözese Geltung hatte und in der damaligen Zeit als äußerst schwere Strafe galt.

Man muss davon ausgehen, dass die Ärzte im Mittelalter einen schweren Stand hatten, vor allem gegenüber der Theologie. Auch an der Wiener Universität wurde zuerst als wichtigste die theologische Fakultät eingerichtet, das Universitätsviertel hieß »pfaffenstat«, also Priesterstadt, und erst mit erheblicher Verspätung, nämlich 1390, folgte die Fakultät für Medizin. Das passte auch genau in die mittelalterliche Vorstellungswelt, wonach die medizinische Wissenschaft minderwertig war, »weil sie nur die Pflege des Körpers, nicht aber die des Geistes zu ihrem Gegenstand hat«. Ein kleines, anonymes Handbuch für Ärzte aus dem 13. Jahrhundert berichtet, dass der Arzt nach Eintritt in das Haus des Patienten zuallererst die Angehörigen fragen soll, ob der Kranke auch gebeichtet und das heilige Sakrament empfangen hat, denn »die Seele ist mehr wert als der Körper, also ist auch ihr Heil allem anderen vorzuziehen. Man veranlasse den Kranken um Gottes willen, sein Seelenheil zu suchen. Wenn er es noch nicht getan, möge er es ja sofort tun oder versprechen, es zu tun, denn gar oft rühren die Krankheiten von unseren Sünden her.« Mindestens bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts stand vor allem der Geistliche, nicht der Arzt, am Totenbett. Die Kirche war es, die Heil und Tröstung versprach, ihr vermachte man testamentarisch sein Hab und Gut, damit in »ewigen Messen« für das Seelenheil gebetet wurde, wobei der Grundsatz galt: Je mehr Geld, desto mehr Messen, umso weniger Sünden – eine etwas absonderliche Verquickung von materiellen Gütern und geistigem Heil, wie sie ja in den Ablassbriefen ihre ausgeprägteste Form erfahren hat.

Die noch junge, wenngleich durch die medizinischen Werke der Griechen, die eben über den Orient nach Italien gelangt waren, positiv inspirierte medizinische Wissenschaft konnte sich gegen eine solche Übermacht nicht behaupten. Zumal der Arzt eben auch in der allgemeinen Volksmeinung kaum Rückhalt fand. Seine Behandlung war im Grunde nebensächlich. Hatte eine Heilmethode Erfolg, wurde dies in erster Linie dem Gebet und den Spenden zugeschrieben, verlief sie unglücklich, war der Glaube zu schwach, das Gebet zu wenig inbrünstig gewesen.

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Magister Sanitatis

Es ist interessant und aufschlussreich, sich heute, in unserem spätindustriellen Zeitalter, da die Wissenschaft ihre einstige Leuchtkraft zu verlieren beginnt und es eher wieder ans Gottsuchen geht, die ungeheuren Schwierigkeiten zu vergegenwärtigen, mit denen im wissenschaftlichen Aufbruchszeitalter gekämpft werden musste. Häufig wurden Ärzte für ihren Einsatz, der sie nicht selten in Lebensgefahr brachte, hinterher auch noch bestraft. Rolandus Capellutus Chrysopolitanus schreibt über die Pest im Parma des Jahres 1468: »Nachdem die pestilenzialische Seuche nachgelassen, sind die Medici und Ärzte, so den Kranken bedient, von den Befehlshabern angehalten und in das Gefängnis gelegt worden, welche denselben tausenderlei Mörderei und Totschläg nachgesagt, auch nachmalen das Geld, so die Medici mit großer Mühe und Arbeit, auch höchster Gefahr ihres Lebens verdient hatten, ihnen mit Gewalt abgenommen.« Ein Arzt musste sich auch hüten, zu erfolgreich zu sein, weil er dann Gefahr lief, der Zauberei beschuldigt, ins Gefängnis geworfen oder gar verbrannt zu werden. Manchmal wurden Ärzte sogar verdächtigt, Urheber oder Anstifter der Seuche zu sein.

Weil die Angst des Volkes vor Teufeln, Zauberern und Hexen übermächtig, die Wissenschaft jedoch noch schwach war, suchte man sich zu schützen durch Amulette, Beschwörungsformeln und abenteuerlichen Gegenzauber. Als Heilmittel wurden Krötenschleim, zerstoßene Edelsteine und in scharfem Essig aufgelöste Perlen verordnet. Guy de Chauliac empfiehlt Aloepillen und armenischen Bolus. Die am meisten gepriesene Arznei bis in die Barockzeit hinein war jedoch der sogenannte Theriak, der aus einer Vielzahl von verschiedenen Kräutern zubereitet wurde und dessen Entstehungsgeschichte durchaus sagenhaften Charakter besitzt. Er soll nämlich von Mithridates, König von Pontos, erfunden worden sein, seine weitere Vervollkommnung besorgte dann Neros Leibarzt Andromachus, der ihn auch in Hexametern besungen hat, bis er schließlich, von Galenus auf eine neue Formel gebracht, als absolut sicheres Mittel in jeder Apotheke zu finden war. Es gab ihn als echten Triaca di Venezia, den sich allerdings nur die Reichen leisten konnten, und als Theriak pauperum, der für die Armen reserviert war. Als unumgängliches Vorbeugungsmittel galt weiters der aus aromatischen Arzneien wie Rosen, Zimt und Ambra zusammengestellte und der Vertreibung böser Dünste dienende Riech­apfel, der allerdings bei seiner Herstellung weder Sonnen- oder Mondstrahlen noch den Strahlen anderer Gestirne ausgesetzt werden durfte. Auch das Kauen von Früchten des Wacholderstrauches und des Lorbeerbaumes sowie von Lärchen-, Fichten- oder Tannenrinde galt als probates Mittel.

Wie grausam und schrecklich die Menschen das »große Sterben«, wie die Seuche damals in Deutschland genannt wurde, erlebt haben, kommt in den überlieferten Beschreibungen zum Ausdruck. Sticker zitiert in seinen umfangreichen »Abhandlungen zur Seuchengeschichte und Seuchenlehre«»«»«»«