Inhalt

  1. Cover
  2. Impressum
  3. Jamie und Clyde
  4. Kapitel 2
  5. Kapitel 3
  6. Kapitel 4
  7. Kapitel 5
  8. Kapitel 6
  9. Kapitel 7
  10. Kapitel 8
  11. Kapitel 9
  12. Kapitel 10
  13. Kapitel 11
  14. Kapitel 12
  15. Kapitel 13
  16. Kapitel 14
  17. Kapitel 15
  18. Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Jamie und Clyde

1

Als ich durchs Fenster in ihr Zimmer stieg, war es schon lange nach Mitternacht. Sie stand vor dem Toilettentisch, betrachtete sich im Spiegel und massierte ihr Gesicht. Die Massage diente der Schönheitspflege, sollte die Durchblutung der Haut anregen und die Bildung von Fältchen um die Augen- und Mundwinkel herum verhindern – oder wenigstens verlangsamen. Denn ein paar feine Fältchen hatte sie nämlich schon, kaum erkennbar zwar, aber eben doch vorhanden, denn sie war kein Mädchen mehr, sondern eine Frau.

Sie hatte Kleid und Unterrock ausgezogen, und ich konnte sehen, dass alles an ihr noch bestens erhalten war, so richtig knackig und voll Saft, sodass sie es noch mit jedem jungen Mädchen aufnehmen konnte.

Was sie da auf der bloßen Haut trug, hatte sie gewiss im nobelsten Laden von New Orleans gekauft. Denn es war unverkennbar französisch.

Sie sah mich nun im Spiegel und wandte sich mit einer geschmeidigen Bewegung zu mir um.

Ich verharrte und legte meine Zeigefinger auf die Lippen. Oha, ich wusste schon vorher, dass sie nicht loskreischen würde. Zu dieser Sorte gehörte sie nicht. Sie war eine kaltblütige Abenteuerin, Glücksjägerin und Spielerin, die sich gewiss schon mehr als einmal in einer gefährlichen Situation behaupten musste. Ich hatte sie ja viele Stunden am Spieltisch studieren können. Sie war eine Frau von Format, von allerbester Klasse – eine Raubkatze.

In ihrem so verführerischen Unterzeug stand sie vor mir wie eine stolze Queen. Nein, sie genierte sich nicht.

»Ich muss zugeben«, sagte sie, »dass Sie ein ziemlich prächtiges Mannsbild sind, Mister – aber mir ist jetzt nicht danach, nicht nach einem Mann, meine ich. Am besten, Sie verschwinden wieder auf dem gleichen Weg, auf dem Sie gekommen sind. Das wäre für uns beide wohl die beste Lösung.«

Sie sprach sehr kühl. Ihre Worte mussten für jeden nach körperlicher Liebe lechzenden Mann wie eine kalte Dusche wirken.

Aber ich wollte ja keine Liebe von ihr, keine zärtliche Stunde – o nein, noch nicht. Das würde vielleicht später kommen. Ja, das hielt ich durchaus für möglich. Denn sie würde schnell herausfinden, dass wir zur selben Sorte gehörten.

Ich trat an den Tisch, auf dem eine Brandyflasche stand, nahm sie und trank einen Schluck. Es war bester Brandy.

Sie aber stand da und beobachtete mich.

»Ich bin gekommen«, sagte ich endlich, »um Ihnen meine Partnerschaft anzubieten. Oh, ich würde natürlich gerne mit Ihnen ins Bett gehen. Welcher Mann würde das nicht! Aber dazu ist im Augenblick keine Zeit. Gleich wird der wilde Junge kommen, dem Sie so viel Geld abgenommen haben mit Ihren wundervollen Kartentricks. Ohne Geld darf der sich bei seinem Vater nicht blicken lassen, denn es war der Erlös einer Treibherde. Und der wilde Junge kommt nicht allein. Seine Reiter – die Männer seines Vaters – halten zu ihm. Denn auch sie dürften ihrem Boss nicht mehr unter die Augen treten, wenn sie zuließen, dass der Junge …«

»Schon gut«, unterbrach sie mich. »Und das wissen Sie so genau?«

Ich nickte und grinste.

»O ja, meine Schöne. Ich gehörte ja auch zu den Verlierern. Zwar hätte ich Sie bei einem Kartentrick erwischen können, doch ich hoffte zu sehr auf Ihre Dankbarkeit danach. Der Junge und seine Reiter dort unten in der Spielhalle luden mich sogar ein, mit ihnen zu kommen und mir mein verlorenes Geld wiederzuholen – aber ich ziehe eine Partnerschaft mit Ihnen vor, Lady.«

Sie starrte mich an.

Und noch bevor sie etwas sagen konnte, wurde vom Gang her mit einem kräftigen Tritt die Tür aufgetreten.

Drei Männer drängten herein, und der erste hielt einen schussbereiten Colt in der Faust. Ich zog und schoss in einem Sekundenbruchteil.

Die schöne Spielerin flüchtete an meine linke Schulter. Meine Rechte mit dem rauchenden Colt blieb also frei – und der Colt bedrohte die beiden anderen Männer in der offenen Tür und den wilden Jungen, der jetzt stöhnend mit einem Loch in der Schulter an der Wand lehnte und dem die Knie zitterten.

Einige Atemzüge lang war es still. Sie verharrten. Denn sie hatten begriffen, wie schnell ich schießen konnte.

»Kommt herein«, sagte ich. »Und macht die Tür hinter euch zu. Na los! Oder habt ihr was mit den Ohren?«

Sie gehorchten knirschend.

Und als sie die Tür geschlossen hatten, wurde es draußen auf dem Gang laut. Das Hotel, das zum Saloon und der Spielhalle nebenan gehörte, war voll besetzt. Der Schuss hatte einige Gäste geweckt, denn nicht alle waren mehr oder weniger betrunken zu Bett gegangen.

Auf dem Gang ertönten Stimmen. Der Portier war offenbar von unten heraufgekommen. Nach einer Weile klopfte es auch an unsere Tür. Eine Stimme fragte: »Miss Boston, sind Sie noch wach? Hat jemand in Ihrem Zimmer geschossen?«

Ich nickte der Schönen zu und bedrohte die Männer mit meinem Colt.

Sie rief scheinbar schlaftrunken durch die Tür: »Was ist denn los? Lasst mich doch schlafen. Was soll denn das? Geschossen? Ich habe nicht geschossen. Ich will schlafen.«

Sie gingen draußen weiter.

Und so nickte ich den Männern zu.

»Oh, ich weiß, dass ihr zur mächtigen Donovan Ranch gehört und dieser Junge da Big John Donovans einziger Sohn und ganz besonderer Stolz ist. Ihr könnt seine Wunde versorgen. Sie ist kaum mehr als eine Streifwunde, noch über dem Schlüsselbein. Aber erst gebt ihr eure Kanonen her. Nehmt sie vorsichtig heraus und werft sie aufs Bett. Na los!«

Wieder gehorchten sie. Denn es waren zwei erfahrene Burschen. Der Junge aber stöhnte nur. Er war noch nicht besonders hart. Weil er der Sohn eines mächtigen Mannes war, den man stets gewinnen ließ, war er an eine Niederlage nicht gewöhnt.

Ich nickte der schönen Miss Boston zu.

»Na los«, sagte ich. »Draußen unter dem Fenster stehen zwei Pferde. Wenn wir diese Burschen hier gefesselt im Zimmer zurücklassen, bekommen wir einige Stunden Vorsprung. Sie sollten etwas anziehen, womit Sie lange reiten können. Oder können Sie vielleicht gar nicht reiten, Schwester?«

Sie starrte mich mit dunklen, funkelnden Augen an.

»Und wie ich reiten kann«, fauchte sie.

Sie beeilte sich dann mächtig. Als sie fertig war, hatten die beiden Männer auch die Wunde ihres jungen Bosses versorgt. Wir fesselten sie dann mit den Unterröcken der schönen Miss Boston, die wir zu Stricken drehten. Auch ihre vielen Strümpfe und andere Dinge benutzten wir.

Dann kletterten wir aus dem Fenster. Ich fing Miss Boston unten neben den Pferden auf. Sie wog gewiss etwas mehr als hundert Pfund. Und sie hatte auch die Reisetasche mit dem Geld bei sich, das sie gewonnen hatte und in der sich auch ihr eigenes Spielkapital befand. Es mussten fast zehntausend Dollar sein, so schätzte ich.

Wir ritten durch die sterbende Nacht nach Osten.

Denn im Westen lag die mächtige Donovan Ranch.

Im Osten lag auch der Mississippi.

Bevor wir die zurückgelassenen Männer knebelten, damit sie keinen Lärm schlagen konnten, sagte einer zu mir: »Mann, dies nimmt Big John Donovan nicht hin. Der lässt euch suchen bis ans Ende der Welt.«

Ich erwiderte ihm: »Bestellt ihm einen schönen Gruß und sagt ihm, dass er dankbar sein soll für die Lektion, die sein Sohn erhielt. Denn nun ist der wieder ein wenig weiser geworden.«

Ich dachte nochmals an meine Worte, indes wir ritten. Und ich hatte ein ungutes Gefühl. Dieser Big John Donovan, den ich noch gar nicht kannte, beschäftigte mich. Aber wir würden gewiss erst nach tausend Meilen wieder lange genug anhalten.

Und die schöne Miss Boston würde mit mir teilen müssen.

Wie mochte sie mit Vornamen heißen?

Ich fragte sie, indes wir nebeneinander ritten.

»Jamie, ich heiße Jamie«, erwiderte sie. »Und wie heißt du, Bruder?«

»Clyde, Clyde Yates«, erwiderte ich.

Und dann schaute ich wieder nach vorn, wo am Horizont der Morgen graute.

Ich hatte gleich schon erkannt, dass sie reiten konnte. Sie saß wie ein Cowgirl im Sattel, stand also mehr in den Steigbügeln, als dass sie im Sattel saß. Sie hatte in ihrem Gepäck auch Reitzeug gehabt. Nun trug sie einen geteilten Cordrock, eine Hemdbluse und eine Jacke. Wahrscheinlich machte sie überall, wo sie sich aufhielt, täglich ihren Ausritt. Das Reiten schien ihr Spaß zu machen. Sie bot einen erfreulichen Anblick im Sattel.

Wir sprachen kein Wort mehr, ritten nur in den grauen Morgen hinein.

Nach etwa zwei Stunden dann war die Sonne über die fernen Hügel gekommen und hatte die Nebel und den Tau getilgt.

Wir erreichten einen kleinen Creek, der von Buschwerk eingesäumt war. Jetzt hielten wir an, um die Pferde verschnaufen zu lassen und uns ein wenig zu erfrischen. Denn in der kleinen Ortschaft am Treibherdenweg hatten wir ja keine Zeit für eine Morgentoilette gehabt. Ich hatte außer den Pferden auch etwas Proviant besorgt.

Es gab Rauchfleisch und Brot.

Kauend betrachteten wir uns.

»Du reitest gut, Schwester«, sagte ich. »Du bist gewiss auf einer Ranch geboren und konntest reiten, bevor du deinen Namen schreiben lerntest – oder?«

Sie verzog kauend ihr schönes Gesicht. Sie war jedoch nicht im klassischen Sinne schön. Es war eine eigenwillige Schönheit, die man vielleicht auch apart nennen konnte, weil sie etwas Besonderes war. Diese Frau strömte etwas aus, wirkte rassig und klug.

»Ich wurde auf einer armseligen Farm geboren«, sagte sie, »nicht auf einer Ranch mit vielen Pferden. Ich hatte noch fünf Schwestern, und weil wir alle nur Mädchen waren und es keine Söhne gab, mussten wir wie Söhne arbeiten.«

»Aha«, machte ich nur. Denn ich wusste Bescheid. Wahrscheinlich war sie weggelaufen von daheim, sobald sie groß genug war, um Männern zu gefallen. Ja, darauf hätte ich gewettet. Und dann waren ihre Wege mehr als rau geworden.

Ich ahnte, dass ihr nichts mehr fremd war auf dieser Erde – vielleicht nur das Gute, nicht jedoch das Schlechte.

Sie fragte: »Was bin ich dir schuldig, Bruder Clyde?«

Da grinste ich und deutete auf die Reisetasche an ihrem Sattelhorn.

»Die Hälfte von dem, was da drin ist – nur die Hälfte. Und das ist fair. Oder bist du anderer Meinung?«

Sie dachte nach. Dann nickte sie.

»Ja, das ist fair. Doch was eigentlich ist auf dieser Erde fair? Möchtest du auch noch Dank in anderer Form?«

»Nur, wenn es dir Spaß machen sollte«, erwiderte ich – und ich grinste nicht dabei.

Sie sah mich von oben bis unten an. Dann blickte sie fest in meine Augen.

»Vielleicht würde es mir Spaß machen«, murmelte sie. »Denn du bist kein kleiner Bursche, du nicht. Du gehörst zu jener Sorte. Ich kann es wittern. Wir werden sehen. Meinst du, dass wir lange verfolgt werden?«

Ich nickte nur und blickte nach Westen.

Doch noch zeigte sich dort nichts. Das konnte es auch nicht, denn wir hatten einige Stunden Vorsprung. Und bis Big John Donovan alles erfuhr und nach uns suchen ließ, um uns bestrafen zu lassen, vergingen zumindest noch zwei Tage.

Aber dann würde etwas in Gang kommen.

Ich kannte diese mächtigen Cattle-Kings, die in ihren Kingdoms regierten wie die Fürsten und Könige. Um ihre Macht zu erhalten, ließen sie nichts durchgehen, was auch nur den leisesten Anschein von Majestätsbeleidigung haben konnte.

Jamie Boston hatte seinem Sohn am Pokertisch das Fell über die Ohren gezogen.

Und ich hatte ihm ein Loch in die Schulter geschossen und ihn dann mit seinen beiden Begleitern und Beschützern gefesselt im Hotelzimmer zurückgelassen.

Dies war jetzt gewiss schon in der kleinen Stadt bekannt, und bald würde man es auch im ganzen Land wissen.

Er konnte das nicht hinnehmen.

Und so mussten wir wahrhaftig damit rechnen, dass wir noch sehr lange Schatten auf der Fährte haben würden – vielleicht Wochen, Monate und Tausende von Meilen. Dies alles ging mir in den wenigen Sekunden durch den Kopf, indes sie auf meine Antwort auf ihre Frage wartete.

»Sehr lange«, erwiderte ich. »Ja, er wird uns sehr lange verfolgen lassen. Seine Leute werden es leicht haben, weil du so reizvoll bist. Jeder Mensch, der dich zu sehen bekommt, wird sich sofort wieder an dich erinnern. Deine Fährte ist leicht zu verfolgen, Jamie – es sei denn, du lässt dich eine Weile nicht unter den Menschen sehen. Verstehst du?«

O ja, sie verstand sofort.

»Das heißt also«, sagte sie, »dass ich irgendwo in den Bergen wie ein Trapper in der Einsamkeit leben müsste?«

»Ja, so ähnlich«, erwiderte ich. »Du kannst mit keiner Postkutsche fahren, in keiner Ortschaft übernachten – auch nicht mit den Schiffen auf dem Mississippi oder Missouri reisen. Alle Menschen, die dich sehen, werden sich an dich erinnern. Du müsstest dich verkleiden.«

Aber da schüttelte sie ärgerlich den Kopf.

»Bis ans Ende der Welt kann er uns nicht jagen lassen«, murmelte sie.

Ihr Blick wurde fester, forschender, kritischer. Und ich spürte, wie ihr Instinkt an mir herumtastete und in mich einzudringen versuchte.

Ich hielt ihrem Blick stand.

Und da fragte sie: »Bleiben wir zusammen?«

»Als Pärchen?« So fragte ich zurück.

Sie nickte.

»Ja, mit allen Konsequenzen, ja, als Pärchen. Aber erwarte nur nicht, Mister Clyde Yates, dass ich gleich in der ersten Nacht zu dir unter die Decke krieche, ob in einem Bett oder unter freiem Himmel. Erwarte das nur nicht. Da muss wohl noch eine Menge mehr zwischen uns stimmen – oder?«

Ich nickte.

Ja, sie sah es wohl richtig. Zwischen uns musste noch eine Menge mehr zum Einklang kommen, bevor wir ein richtiges Pärchen wurden.

Aber eines stand jetzt schon fest: Wir gehörten zur gleichen Sorte. Wir waren Glücksjäger, Spieler, Abenteurer.

Und wenn wir ein Pärchen werden sollten, dann würden wir ein Wolfspärchen sein, immerzu auf der Suche nach Beute, nach dem großen Coup.

Wie groß musste die Beute sein, damit wir genug hatten?

Ich ahnte, darauf würde es ankommen, denn wenn wir irgendwo und irgendwann zu gierig waren, konnten wir alles verlieren, und wenn wir unsere Ansprüche zu niedrig schraubten, würde der eine vom andern enttäuscht sein.

Ich trat nicht zu Jamie, versuchte nicht, sie zu berühren, sie also in meine Arme zu nehmen, um auszuprobieren, was sie zu geben bereit war.

Nein, es war jetzt nicht die Zeit und die Stimmung dazu.

»Reiten wir weiter«, sagte ich und trat zu den Pferden, um ihnen die gelockerten Sattelgurte wieder strammzuziehen.

2

Wir ritten den ganzen Tag und erreichten am frühen Abend eine kleine Siedlung an einem kaum benutzten Wagenweg, auf dem wahrscheinlich nur jede Woche einmal eine Postkutsche verkehrte und auch sonst kaum Verkehr war.

Die Siedlung bestand aus einigen Adobehäusern – und einer Reihe Hütten, Schuppen und Corrals, die sich um die Poststation und einen Store gruppierten.

Wahrscheinlich lebten dort kaum mehr als ein Dutzend Menschen.

Ich sagte zu Jamie: »Wir müssen zum Store und uns dort ausrüsten, um längere Zeit den Menschen fernbleiben zu können. Wir müssen auch ein Packtier haben.«

Und so ritten wir hinüber.

An der Hauswand zwischen den Eingängen zur Poststation und dem Store saß ein Mann in einem Lehnstuhl. Da und dort zeigten sich einige Männer, Frauen und Kinder. Ein großer Hund kam drohend angelaufen, so als müsste er diese armselige Siedlung vor uns beschützen.

Doch der Mann im Lehnstuhl sagte: »Hau ab, Hurensohn, hau ab!«

Der Hund gehorchte sofort. Er drehte ab und verschwand um die Hausecke.

Wir hielten vor dem Storeeingang an, und der Mann erhob sich und trat zu uns.

Er starrte Jamie ungläubig an und sagte dann staunend: »Ja gibt’s denn das wirklich? Oh, diese verdammte Welt wird doch manchmal wunderschön. Was soll’s denn sein? Womit kann ich der Lady und dem Gent dienen?«

Er war ein schmieriger, ungewaschener Bursche, der gewiss längst schon resigniert hatte, weil er hier am falschen Platz investierte. Denn aus diesem armseligen Ort würde nie eine Stadt werden.

Ich sagte vom Sattel nieder: »Wir brauchen ein Packtier und alle Dinge für einen langen Ritt.«

»Da sind Sie hier richtig«, sagte er und stieß einen lauten Pfiff aus.

Drüben bei dem Stall und den Corrals zeigte sich ein kleiner Mann.

»Shorty, bring das Maultier und einen Packsattel her!« So rief er, indes wir absaßen. Wir traten in den Store. Er war zugleich auch eine Art Saloon. Denn an der einen Wand war eine Theke mit einem Flaschenregal dahinter und Gläsern.

»Wir haben hier auch Bier – selbstgebraut«, sagte der Mann. Er starrte uns erwartungsvoll an.

»Meine Frau kann Ihnen drüben in der Gaststube der Station ein Abendbrot auftischen – für einen Dollar insgesamt. Soll ich ihr Bescheid sagen?«

Wir nickten gleichzeitig.

Dann ließ ich mir ein Stück Papier und einen Bleistift geben und schrieb die lange Liste aller Dinge, die wir kaufen wollten – angefangen von der Kaffeekanne und vom Kandiszucker bis zu den Wolldecken, Segeltuchplanen und Regenumhängen, einer Schrotflinte und einem Spencer-Karabiner mit genügend Munition.

Es war eine lange Liste.

Jamie saß indes auf einigen Säcken in denen sich Mais und Bohnen befanden und aß eine große Salzgurke, die sie mit einem geschickten Griff aus dem Laugenfass holte.

Der Stationsmann hatte seiner Frau Bescheid gesagt und kam wieder herüber. Ich gab ihm die Liste und ging dann mit Jamie hinaus. Bevor wir in den Gastraum der Station traten, blickten wir uns noch einmal um.

Von Osten her krochen die Schatten der Nacht heran.

Im Westen war die Sonne verschwunden.

Überall in der kleinen Siedlung brannten nun die Lampen.

Es war ein stiller Abend.

Wir ahnten noch nicht, dass sich alles schlagartig ändern würde.

Es war eine halbe Stunde später – und wir hatten unser Abendbrot schon fast vertilgt –, als draußen Hufschlag ertönte. Dann waren die Reiter draußen vor der Station. Wir hörten ihre heiseren Stimmen. Sie stießen freudige Rufe aus, etwa so, wie es wilde Burschen tun, wenn sie hungrig und durstig an einem Ziel ankommen, wo sie sich laben können.

Dann kamen sie auch schon herein – staubig, verschwitzt, wild und anmaßend. Oha, ich sah gleich, zu welcher Sorte sie gehörten. Das waren böse Pilger, Burschen, die sich durch Kühnheit behaupteten und stets alles riskierten.

Es waren drei. Sie drängten sporenklirrend herein, hielten an und verharrten einige Sekunden, weil ihre Augen sich an den Lampenschein gewöhnen mussten.

Oha, ich wusste schon vorher, was kommen würde.

Denn als ihre Augen sich an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, sahen sie Jamie. Natürlich sahen sie auch mich, aber mir schenkten sie vorerst wenig Beachtung.

Sie starrten Jamie an, traten langsam und immer noch staunend näher. Ich hatte längst schon meinen Colt herausgenommen und unter dem Tisch auf meinem Oberschenkel liegen. Das tat ich schon beim Klang des sich rasch nähernden Hufschlages.

Nun wartete ich ab. Ja, ich machte mir Sorgen, denn ich wollte keinen Streit, keinen Ärger. Ich wollte Frieden.

Doch diese drei Wilden da würden Verdruss machen, dies ahnte ich.

Sie blieben dicht vor unserem Tisch stehen.

»Seht euch das an«, sagte einer, »seht euch das an. Das ist es! Das ist es!«

»Was ist es, Lefty?« Sein Nachbar fragte es grinsend.

»Die da! Seht sie euch an. Sieht sie nicht so aus wie die Schöne, die ich euch immer beschrieben habe, wenn wir uns gegenseitig unsere Traumweiber beschrieben?«

»Ja, so sieht sie wirklich aus.« Der andere Mann grinste.

Der dritte aber sagte: »Doch sie hat einen Freier bei sich. Die ist bereits versorgt. Essen wir erst mal was.«

Sie wandten sich tatsächlich ab und setzten sich an den anderen Tisch. Die Frau des Stationsmannes kam aus der Küche.

»Wir haben Hunger und Durst«, so klang es dreistimmig. Einer fügte hinzu: »Beeilung! Sonst kommen wir in die Küche und versorgen uns selbst. Beeilung!«

Die Frau verschwand blitzschnell.

Ihr Mann ließ sich nicht blicken. Er blieb im Store. Vielleicht war er wirklich noch dabei, unsere Einkäufe zusammenzustellen.

Die drei Kerle setzten sich so, dass sie Jamie anstarren konnten.

»Vielleicht hat sie einen zu dicken Hintern und krumme Beine«, sagte einer, »und sieht nur oben so heiß aus. He, Süße, steh mal auf und komm hinter dem Tisch hervor, damit wir dich richtig betrachten können. Vielleicht kommen wir dann schneller ins Geschäft. Wir sind spendabel. Na los!«

Ich seufzte leise.

Denn sie steuerten brutal ihr Ziel an. Ich sollte kneifen, dies zu erkennen geben – und dann war Jamie in ihrer Hand.