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Buchinfo

Eine Luna ohne Problemlösungen ist wie eine Blume ohne Wasser oder ein Feldhamster ohne Feld … Apropos: Den Hamstern will Luna gerne helfen, denn die sind vom Aussterben bedroht. Deshalb engagiert sie sich bei der Schülerzeitung und zeigt bei einem Artikel über die kleinen Nager vollen Einsatz. Daneben gibt es aber noch andere wichtige Dinge auf Lunas To-do-Liste. »Weltfrieden« zum Beispiel steht noch vor »Hausaufgaben machen«, doch am allerdringendsten ist: Gemüse züchten, das nach Schokolade schmeckt!

Autorenvita

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© privat

Hortense Ullrich hat über 60 Bücher für Kinder und Jugendliche geschrieben, von denen es 140 Übersetzungen in 25 Sprachen gibt; mit einer Gesamtauflage von über 4 Millionen Exemplaren. Zuvor hat sie als Journalistin und Drehbuchautorin gearbeitet. Acht Jahre verbrachte sie mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern in New York. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Bremen.

    LESEGÖREN– Hortense Ullrich– LUNA– macht’s möglich!– PLANET GIRL
Kapitel eins

»Na, lief doch super, oder?«, sagte ich zu meiner besten Freundin Pia, als wir das Klassenzimmer verließen.

Pia nickte. »Ja, danke für deine Hilfe, Luna.«

Ich war stolz wie Oskar und dachte kurz darüber nach, Pia diesen Satz noch mal wiederholen zu lassen. Es passierte nämlich nicht oft, dass jemand zu mir sagte: Danke für deine Hilfe.

Meist bekam ich Ärger, wenn ich Leuten half. »Misch dich nicht ein, Luna«, war der Satz, den ich ständig zu hören bekam. Vor allem von meiner Mutter. Und den ich regelmäßig ignorierte. Denn meine Mission lautete: Hilf, wo du kannst!

Ich hatte Pia gerade eine Strafarbeit erspart. Frau Kamprath, unsere Biolehrerin, hatte sie dazu verdonnert, weil Pia ihre Hausaufgaben nicht gemacht hatte. Und ich hatte gesagt, es wäre meine Schuld gewesen: »Aha, und wieso ist es deine Schuld, wenn Pia ihre Hausaufgaben nicht macht?«, hatte Frau Kamprath gefragt.

»Also, genau genommen war es Tippis Schuld.«

Sie stöhnte auf. »Muss ich mir jetzt eine lange Geschichte anhören oder kommst du bald zum Punkt?«

Die Frau hatte wirklich nicht sehr viel Geduld. Aber gut, die sechste Stunde war gerade vorbei, vielleicht war sie einfach nur erschöpft. Also hatte ich ihr die Kurzfassung präsentiert: »Mein Hamster Tippi war verschwunden, und da wir gerade das Zimmer meines Bruders neu tapezieren, hatte ich Angst, dass jemand aus Versehen Tippi unter eine Tapete an die Wand geklebt hätte und …«

Sie unterbrach mich. »Das hättet ihr ja wohl an der Beule erkannt, oder?«

Da hatte sie einen Punkt. Aber ich hatte keinen Hamster, deshalb wusste ich nicht, ob Hamster Beulen machen, wenn man sie aus Versehen an die Wand tapeziert.

»Ja, das hat Pia dann auch gesagt und wir waren ziemlich beruhigt. Aber trotzdem war Tippi verschwunden. Also mussten wir weitersuchen. Wir haben erst mal in meinem Zimmer nachgesehen, dann im Zimmer meiner Eltern, dann im …«

»Stopp! Wir gehen jetzt aber nicht alle Zimmer eures Hauses durch!«

Schade, das hatte ich gerade vorgehabt. Wenn man nämlich lange und umständlich erzählt, macht man die Leute mürbe, sie vergessen manchmal, dass sie sauer sind, und wollen einfach nur noch ihre Ruhe haben.

»Also jedenfalls haben wir das gesamte Haus abgesucht; auch in der Waschmaschine haben wir nachgesehen, da ist er nämlich schon mal reingeschlüpft, und ich glaube, das ist für einen Hamster nicht gut. Selbst wenn man den Wollwaschgang einschaltet …«

»Luna! Komm zum Ende!«

»Okay. Also Tippi war nirgends zu finden. Ich war schon ganz traurig. Und dann fiel mir ein, dass Tippi gerne pfeift. Also hab ich gepfiffen, und was glauben Sie, was passiert ist?«

»Du willst mir jetzt nicht erzählen, dass dein Hamster zurückgepfiffen hat?«

»Doch. Aber raten Sie mal, wo er die ganze Zeit war.«

»In seinem Käfig?«

Diese Erklärung gefiel mir. War einfacher als die, die ich geplant hatte.

»Er war unter einem Salatblatt eingeschlafen! Ich hatte ihn nicht gesehen, als ich nachmittags in den Käfig geguckt hatte.«

»Und was hat das jetzt mit Pias Hausaufgaben zu tun?«

»Na ja, Pia hat mir ja die ganze Zeit geholfen, Tippi zu suchen und hat mich getröstet und so, deshalb konnte sie keine Hausaufgaben machen. Und als wir Tippi dann wiedergefunden hatten, war es bereits Abend und Pia musste ins Bett. Ihre Mam besteht nämlich darauf, dass sie pünktlich ins Bett geht, damit sie morgens auch immer ausgeschlafen ist. Für die Schule. Deshalb hat das mit den Hausaufgaben dann nicht mehr funktioniert. Also, Sie sehen, es war nicht Pias Schuld.«

Sie hatte mich müde angesehen. Dann hatte sie sich an Pia gewandt. »Vergiss die Strafarbeit, aber morgen legst du mir deine Hausaufgaben vor.«

Dann hatte sich Frau Kamprath wieder an mich gewandt. »Tja, nette Geschichte, Luna. Bring doch deinen pfeifenden Hamster nächste Woche mal mit in die Schule. Da wir dann anfangen, Nagetiere durchzunehmen, passt das doch prima.«

Ohne mit der Wimper zu zucken hatte ich genickt. »Klar.«

Frau Kamprath hatte mich mit hochgezogener Augenbraue angesehen, geseufzt und war gegangen.

»Und wo kriegst du jetzt einen Hamster her?«, fragte Pia.

»Och, das ist bestimmt kein Problem, die kann man doch kaufen. Ich frag mich nur, wie ich ihm so schnell das Pfeifen beibringen soll.«

Auf dem Weg nach draußen fing uns Herr Bolte ab. Der Physiklehrer von Paul. Mein Bruder Paul war ein Jahr jünger als ich und als Lehrerschreck verschrien. Was ihn rettete, war, dass er trotz allem ein guter Schüler war. Für ihn und seinen besten Freund Nils war die Schule ein einziger Abenteuerspielplatz. Mal galt es auszuprobieren, ob der Feueralarm funktionierte, mal, sich ins Sekretariat zu schleichen und eine peinliche Durchsage zu machen, oder Handzettel auf dem Schulhof zu verteilen, in denen für den nächsten Tag schulfrei angekündigt wurde.

Entsprechend oft trudelten dann auch Beschwerdebriefe bei uns ein. Mein Vater las die immer mit einem gewissen Stolz, meine Mutter hingegen mit zunehmender Verärgerung. Über Paul. Sie machte dann meinem Vater Vorwürfe, weil er eigentlich mit unserer Erziehung beauftragt war, da sie den ganzen Tag für ein Maklerbüro arbeitete. Seit er seinen Job als Redakteur einer Zeitschrift verloren hatte, arbeitete er als freier Journalist und kämpfte schreibend gegen große und kleine Ungerechtigkeiten. Dass seine Artikel selten veröffentlicht wurden, dämpfte seinen Enthusiasmus nicht die Bohne. Da er aber nun meist zu Hause war, sollte er für Pauls und meine Ernährung sorgen und darauf achten, dass sich unsere Schandtaten, wie meine Mutter es nannte, einigermaßen im Rahmen hielten.

»Du bist doch die Schwester von Paul Lichtenstein«, sagte Herr Bolte.

Ich überlegte, ob es Sinn machte, zu leugnen, aber er fuhr bereits fort: »Bitte richte doch deinen Eltern aus, dass ich sie dringend sprechen muss. Sie sollen mich heute Nachmittag anrufen, um einen Termin zu vereinbaren.«

Das war nicht gut! Ich hab es nicht gerne, wenn meine Eltern sich mit Lehrern unterhalten, denn selbst wenn es um Paul geht, früher oder später kommt die Rede immer auf mich und da ich eigentlich nie wirklich ein reines Gewissen habe, halte ich es für besser, wenn meine Eltern keinen Kontakt zu meinen Lehrern haben.

»Normalerweise schreiben Sie doch immer Briefe«, sagte ich.

»Das zeigt ja nicht viel Wirkung.«

»Verstehe. Worum geht es denn? Vielleicht kann ich irgendwie helfen?«

»Der Junge treibt mich in den Wahnsinn.«

Ich nickte verständnisvoll. »Mich auch! Ich weiß, wovon Sie reden. Was hat er diesmal angestellt?«

Bolte schien verzweifelt genug, dass er sich mir anvertraute.

»Er hat ein Cola-Mentos-Experiment gemacht. Im Physikraum!«

»Im Ernst? Das funktioniert? Ich hab davon gehört. Hat was mit Chemie zu tun.«

Da ging der Physiklehrer in ihm mit ihm durch: »Die Reaktion zwischen Cola und Mentos ist keine chemische, sondern eine physikalische! In Cola ist sehr viel CO2, also Kohlenstoffdioxid enthalten. Das entweicht, wenn du eine Flasche öffnest. Und wenn du sie vorher schüttelst … na ja, den Effekt kennt jeder. Wenn du dann Mentos in die Flasche fallen lässt, lagert sich an der rauen Oberfläche der Mentos CO2 an. Es bilden sich Blasen, die lösen sich und steigen auf. Durch das Aufsteigen wird nun noch mehr CO2 freigesetzt. An dem dünnen Flaschenhals baut sich ein enormer Druck auf. Und zwar alles innerhalb von Sekunden. Das Gas reißt die Flüssigkeit mit sich und eine Fontäne spritzt aus der Flasche.«

»Ist ja irre!«

Bolte war auch gerade ganz begeistert. »Alles, was man dazu braucht, ist eine Zwei-Liter-Flasche Cola Light und eine Packung Mentos.«

Dann fiel ihm wieder ein, worum es eigentlich ging. »Aber das macht man selbstverständlich im Freien und nicht in einem Raum!«

Ich gab ihm recht. »Absolut!«

Er zog finster die Augenbrauen zusammen. »Dein Bruder Paul jedoch fand es wohl sehr witzig, das heimlich während des Unterrichts zu tun. Ich hab ihn zum Hausmeister geschickt, um Putzmittel zu besorgen, und dann sollte er wiederkommen und den Physikraum sauber machen.«

»Und er kam nicht«, riet ich.

Bolte nickte.

Ich nickte ebenfalls und seufzte. »Paul ist sehr vergesslich und zu leicht ablenkbar. Aber er ist deswegen bereits in Behandlung.«

»Wirklich?«

»Ja. Meine Eltern tun, was sie können. Sie sind sehr unglücklich darüber.«

Bolte wurde milder. »Hm«, machte er.

Ich sah eine Chance. »Wissen Sie was? Ich rede mit Paul und ich mach den Raum jetzt schnell sauber. Am besten belasten wir meine Eltern erst gar nicht mit der Geschichte.«

Er sah mich an. »Das ist wirklich sehr nett von dir.« Er überlegte. »Dann ist es also nicht nötig, dass ich mit deinen Eltern rede?«

»Nein. Sie kennen das Problem.«

»Gut. Also wenn du das für deinen Bruder übernimmst, vergessen wir die Sache.«

Er vielleicht, aber ich bestimmt nicht! Paul schuldete mir was. Und um ehrlich zu sein, muss ich zugeben, dass ich auch ein minibisschen ein schlechtes Gewissen hatte, denn ich hatte Paul darauf hingewiesen, wie viel Spaß Physik machen kann, wenn man sich nur mal um physikalische Experimente kümmert. Was er jetzt tat. Und wofür mich meine Eltern gelobt hatten. Aber nicht Pauls Interesse an Physik hatte zugenommen, sondern sein Interesse an Explosionen, Wasserfontänen und kleinen Bränden.

Herr Bolte ging.

Ich sah Pia an. »Sorry. Wir sehen uns dann heute Nachmittag.«

»Ich helf dir«, bot Pia an. »Ich hab Zeit. Meine Mutter kommt eh erst gegen Abend, sie muss ihre kranke Kollegin vertreten.«

Pia und ich waren nicht nur beste Freundinnen, sondern auch Nachbarn in unserer Reihenhaussiedlung. Pia wohnte nur zwei Häuser weiter, zusammen mit ihrer Mutter, die als Rezeptionistin in einem Hotel arbeitete.

Wir gingen zum Hausmeister.

»Paul ist doch nicht wirklich in Behandlung?«, erkundigte sich Pia.

»Nein. Aber ich sollte es meinen Eltern vielleicht mal vorschlagen. Die Alternative wäre, ihn zur Adoption freizugeben.«

Ich schrieb meinem Vater schnell eine WhatsApp, um ihn wissen zu lassen, dass ich nicht zum Mittagessen da wäre, dann machten wir uns an die Arbeit.

Kapitel zwei

Als wir den Physikraum wieder picobello in Ordnung gebracht hatten, gingen wir. Ich war inzwischen ausgehungert. Auch Pias Magen knurrte sehr laut.

»Mein Vater hat geschrieben, dass er mir was vom Mittagessen aufhebt. Ist bestimmt genug für uns beide.«

»Was hat er denn gekocht?«

»Er kocht nicht, er taut auf. Lasagne. Tiefgekühlte.«

»Solange er sie vor dem Servieren warm macht, ist das in Ordnung.«

»Tut er. Hat er inzwischen gelernt.«

Auf dem Heimweg kamen wir an einer Eisdiele vorbei. Ich stoppte und sagte zu Pia: »Schau dir das an!«

»Was? Die Eisdiele? Die ist schon länger da.«

»Nein, ich meine das Rad!«

Um die Ecke der Eisdiele, an eine Hauswand gelehnt, stand ein Jungenfahrrad.

Pia wunderte sich. »Wieso soll ich mir das ansehen? Sieht gut aus, scheint ganz neu zu sein.«

»Es ist neu! Und es gehört Paul. Er hat es letzte Woche erst bekommen. Meine Eltern haben ihm einen langen Vortrag gehalten von wegen, er soll es immer abschließen. Aber: Es ist nicht abgeschlossen! Das ist doch eine Einladung für Fahrraddiebe! Sein letztes Rad wurde ihm nämlich geklaut.«

»Na, dann lass uns in die Eisdiele gehen und es ihm sagen.«

»Nein, ich mache etwas anderes. Ich werde ihm eine Lektion erteilen!«

Pia sah mich fragend an.

»Ich werde es mitnehmen, dann denkt er, es wurde geklaut.«

»Das ist aber nicht sehr nett. Vor allem für jemand, der Leuten eigentlich immer helfen will.«

»Das ist auch eine Art Hilfe. Ich tue damit etwas Gutes für Paul.«

Pia schien nicht so sehr davon überzeugt zu sein, aber sie zuckte mit den Schultern und sagte: »Na, wenn du meinst …«

Ich schnappte mir das Rad, schob es nach Hause und wir stellten es bei Pia im Hausflur ab. Dann gingen wir zu mir.

Mein Vater war nicht zu Hause, aber es lag ein Zettel in der Küche: Bin mit Kurt eine Nachttischlampe kaufen. Essen steht auf dem Tisch.

Kurt! Oje, mein armer Vater! Kurt war ein ehemaliger Kollege von ihm, der sich, seit sich seine Freundin von ihm getrennt hatte, an meinen Vater hängte, ihn voll in Beschlag nahm und sich nicht abwimmeln ließ.

Der Tisch war liebevoll gedeckt, mit Sets und Servietten, aber das, was mein Vater als Essen bezeichnete, waren eine Packung Vollkornkekse und zwei Äpfel. Was war da denn schiefgegangen? Egal, Pia und ich hatten Hunger. Wir hätten auch eins von den Tischsets gegessen. Na ja, vielleicht nur, wenn Nutella drauf gewesen wäre.

Danach setzten wir uns ins Wohnzimmer und warteten auf Paul.

»Wirst du ihn wegen der Cola-Mentos-Sache rundmachen?«, fragte Pia.

Ich dachte nach. »Nein, das heb ich mir auf für ein anderes Mal. Kann ich sicher irgendwann gut brauchen.«

Wir hörten, wie Paul und Nils ins Haus gestürmt kamen und sich unterhielten.

»Wahnsinn, was man alles kaufen kann!«

»Mann, echt, das wird der Hammer!«

»Wir müssen nur irgendwo die Kohle auftreiben.«

Ich stöhnte innerlich. Sie hatten irgendwas angestellt. Oder planten es in der nahen Zukunft.

Allerdings wunderte ich mich etwas über seine gute Laune, wo doch gerade sein Fahrrad geklaut worden war.

»Paul?«, rief ich aus dem Wohnzimmer.

»Mist, meine Schwester. Kein Ton.«

»Paul! Komm doch mal bitte.«

»Keine Zeit.«

»Ich weiß, was du vorhast! Also komm jetzt, sonst sag ich es Mam.«

Pia flüsterte: »Was hat er denn vor?«

»Keine Ahnung. Aber er hat immer was vor, also kriege ich ihn damit jedes Mal.«

Mürrisch erschien er im Wohnzimmer.

Ich lächelte ihn überfreundlich an.

»Na, was macht dein neues Fahrrad?«, fragte ich lauernd.

»Alles okay. Wieso interessiert dich das?«

»Kommst du gut damit zurecht?«

Paul sah mich sehr irritiert an. »Was geht dich das an?«

»Schließt du es auch immer brav ab?«

»Ja! Was soll das Verhör?«

Ich warf Pia einen Blick zu. Unglaublich, wie cool er das abhandelte.

»Kann ich es mal sehen?«

»Sag mal, spinnst du?«

Aha!

»Wo ist es denn?«

Paul schüttelte den Kopf. »Du hast echt ’ne Vollmeise! Guck halt zum Küchenfenster raus. Es steht im Vorgarten. Abgeschlossen!« Dann ging er hoch in sein Zimmer.

Ungläubig schaute ich Pia an, dann rannten wir beide nach draußen. Da stand Pauls Rad!

Ich war sprachlos. Wie kam sein Rad hierher?

»Meinst du, er war bei euch und hat es dort geholt?«

Pia biss sich auf die Lippen und sah mich bedauernd an.

»Was ist? Lass uns nachsehen!«, rief ich und zog Pia mit.

Als wir ihre Haustür aufgeschlossen hatten, fiel ich aus allen Wolken. Dort stand immer noch das Rad, das ich von der Eisdiele mitgenommen hatte. Oh mein Gott!

»Mist!«, rief ich. »Verflixt noch mal!« Ich starrte Pia entsetzt an. »Ich glaube, ich hab ein Rad geklaut!«

Pia nickte bloß.

»Lass es uns schnell wieder zurückbringen!«

»Das kommt davon, wenn man zwanghaft Gutes tun will«, seufzte Pia.

Als wir an der Eisdiele ankamen, zuckte ich zusammen. Dort stand ein Junge mit seiner Mutter und die beiden hatten ganz offensichtlich Streit.

Als er mich mit dem Rad sah, deutete er auf mich und rief: »Die hat mein Rad geklaut!«

Seine Mutter fuhr mich wütend an. »Das ist ja ungeheuerlich! Jetzt stehlen nett aussehende Mädchen schon Fahrräder! Ich werde dich anzeigen.«

»Aber nein, Sie verstehen nicht, das war ganz anders!«, verteidigte ich mich.

Der Junge zerrte mir das Rad aus der Hand und funkelte mich wütend an.

Die Frau stemmte die Arme in die Seite und sagte angriffslustig: »Ach ja? Dann erklär mal.«

»Ich wollte das Rad nicht stehlen. Das war nur als Warnung gedacht. Ich wollte es wegnehmen und dann aber selbstverständlich zurückgeben. Sozusagen als Lektion. Weil … viele Kinder nicht glauben, dass ihr Rad gestohlen werden könnte, wenn sie es nicht abschließen.«

Sie drehte sich zu ihrem Sohn: »Du hast es nicht abgeschlossen?«

Kleinlaut murmelte er: »Nein.«

»Wie oft habe ich dir gesagt …« Sie brach ab und wandte sich wieder an mich. »Weißt du was? Das war eine sehr gute Idee von dir. Ich denke, er hat jetzt seine Lektion gelernt.«

Sie zog ihr Portemonnaie hervor, holte fünf Euro raus, drückte sie mir in die Hand und sagte: »Danke. Kauft euch davon ein Eis.«

Dann zog sie ihren Sohn am Arm davon.

Ich starrte ungläubig auf das Geld in meiner Hand. Als ich mich von meinem Schock erholt hatte, sagte ich zu Pia: »Siehst du, es war doch für was gut.«

Pia grinste und schüttelte den Kopf. »Unglaublich! Hey, dann lass uns jetzt Eis essen gehen.«

»Nein. Irgendwie hab ich doch ein schlechtes Gewissen. Das Eis würde mir jetzt nicht schmecken.«

»Du bist schon merkwürdig.«

»Ich weiß.«

Ich hob den Fünfeuroschein hoch. »Damit sollten wir was Gutes tun.«

Pia stöhnte. »Mach doch mal Pause!«

»Oder wir gehen jetzt ganz systematisch vor.«

»Beim Fahrräderklauen?«

»Nein! Dabei, Kindern, die ihre Räder nicht abschließen, heilsame Lektionen zu erteilen. Die Eltern sind uns dankbar, siehst du doch.«

»Auf gar keinen Fall! Hast du den Part nicht gehört, wo sie mit der Polizei gedroht hat?«

»Vielleicht wäre die Polizei uns auch dankbar?«

»Luna! Nein!«

Das klang ziemlich endgültig. Ich gab auf.

Kapitel drei

Als ich nach Hause kam, war mein Vater in der Küche über den Tisch gebeugt und bemühte sich, eine kleine Lampe zusammenzuschrauben. Kurt stand mit den Händen in den Hosentaschen daneben und quatschte ihm die Ohren voll. Die beiden hatten mich nicht bemerkt, obwohl ich im Flur direkt vor der Küchentür stand.

Paps starrte verbissen auf die Einzelteile der Lampe und Kurt hob immer wieder theatralisch die Hände in die Höhe, während er darüber jammerte, dass seine Freundin ihn einfach so und ohne Grund vor die Tür gesetzt hatte.

»Ich weiß echt nicht, wieso sie sich von mir getrennt hat.«

Mein Vater öffnete den Mund, um zu antworten, dann schloss er ihn wieder. Kurt schaute meinem Vater über die Schulter und meinte: »Ich glaube, du hast den Fuß der Lampe nicht richtig angeschraubt. Mach das doch noch mal.«

Die Lippen meines Vaters wurden etwas schmaler. Aber ergeben fügte er sich, schraubte den Fuß ab und wieder an.

Kurt betrachtete die Lampe kritisch. »Gefällt mir nicht. Vielleicht hätte ich doch die andere nehmen sollen. Trudi hat immer solche Sachen entschieden. Ich hab ihr da völlig freie Hand gelassen.« Pause, Seufzer. »Deshalb verstehe ich ja auch immer noch nicht, wieso sie meinte, sie könne nicht mehr mit mir zusammenleben.«

Ich hatte eine vage Idee, dachte aber, es wäre unhöflich, es ihm zu sagen. Ich räusperte mich bloß.

Mein Vater blickte auf und lächelte mich geschwächt, aber erfreut an. »Hey, Luna! Alles klar?«

»Ja, alles bestens. Und bei dir?«

Kurt antwortete stattdessen. »Hallo, Luna! Ihm geht’s prächtig. Aber frag nicht, wie’s mir geht.«

»Gut, dann lass ich das. Danke für den Hinweis.«

Als ich sah, dass Kurt sich wohl nicht davon abhalten lassen würde und bereits zu einer weinerlichen Schilderung seines Lebens ansetzte, wandte ich mich schnell an meinen Vater: »Paps, danke fürs Mittagessen. Aber sag mal, das war etwas … ungewöhnlich. Vollkornkekse und Äpfel?«

Bevor mein Vater antworten konnte, sagte Kurt: »Da muss ich Frank in Schutz nehmen. Eigentlich hatte er Lasagne für dich gemacht, aber die hab ich gegessen.«

»Ach was!«

»Ich konnte nicht anders. Trudi hat immer Lasagne für mich gemacht …« Er schluckte, musste kurz unterbrechen, dann fuhr er mit leidender Miene fort: »Außerdem, seit ich allein lebe, bekomme ich ja keine warmen Mahlzeiten mehr, und es ist etwas Besonderes, wenn jemand für mich kocht.«

»Aber er hat nicht für dich gekocht!«, warf ich ein.

Kurt sah meinen Vater Hilfe suchend an.

Der meinte sehr matt: »Vielleicht rufst du mich beim nächsten Mal einfach vorher an und sagst, dass du vorbeikommst, dann kann ich gleich für mehr Leute kochen.«

»Gut, dann plan mich schon mal für morgen ein.«