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ARTHUR C. CLARKE

 

 

 

ODYSSEE 2010

 

Das Jahr, in dem

wir Kontakt aufnehmen

 

Roman

 

 

 

 

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

 

Anmerkungen zur ersten Odyssee im Weltraum: »2001«

Die »Leonov«

Begegnung im Brennpunkt

Das Haus der Delphine

SAL 9000

Die Mission der »Leonov«

Die »Tsien«

Erwachen

Geniestreich der Chinesen

An Jupiter vorbei

Der Große Kanal

Ein Schrei von Europa

Eis und Vakuum

Die »Discovery«

Den Berg hinunter

Die Welten des Galilei

Doppelbegegnung

Dem Riesen entronnen

Raumgespräch ganz privat

Enterkommando

Operation »Windmühle«

Der patentierte »Hal-Killer«

Auferstehung

Lagrange

Der »Große Bruder«

Das Rendezvous

Ein Blick von Lagrange

Computer auf Bewährung

Aufrichtige Bekenntnisse

Fenster in ein anderes Universum

Ein Kind der Sterne

Heimkehr

Disneyville

Kristallquelle

Betty oder Die Liebe eines Geistes

Abschied für immer

Chandras elektronische Psychoanalyse

Feuer in der Tiefe

Raumlandschaft aus Gas und Schaum

In der Kapselkammer

»Hänschen klein …«

Friedhofswache

Weltenverschlinger

Das Gespenst in der Maschine

Gedankenexperiment

Spurlos verschwunden

Fluchtmanöver

Countdown

Zum letzten Mal an Jupiter vorbei

Über die Nachtseite

Luzifer geht auf

Abschied von Jupiter

Das große Spiel

Geschenkte Welten

Luzifer am Firmament

Epilog – 20001

 

 

 

 

 

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www.diezukunft.de

Anmerkungen zur ersten

Odyssee im Weltraum: »2001«

 

Der Roman »2001 – Odyssee im Weltraum«, der nun mit »Odyssee 2010« fortgesetzt wird, entstand zwischen 1964 und 1968, zu einer Zeit also, die noch jenseits einer der großen Grenzlinien menschlicher Geschichte lag. Erst 1969 sollte Neil Armstrong als erster Mensch den Mond betreten. Und erst 1979 führten die »Voyager«-Raumsonden ihre Weltraum-Manöver durch. Und doch gab es schon fünfzehn Jahre zuvor in meinem Buch Parallelen zu den künftigen Ereignissen.

Im Roman »2001« war das Ziel des Raumschiffs »Discovery« Japetus, der rätselhafteste aller Saturnmonde. Das Saturnsystem wurde über den Jupiter erreicht. Die »Discovery« flog nahe an den Riesenplaneten heran und nützte sein gewaltiges Schwerkraftfeld aus, um einen Katapult-Effekt und eine Beschleunigung auf der zweiten Etappe der Reise zu erreichen. Genau das gleiche Manöver führten 1979 die »Voyager«-Raumsonden aus, als sie die erste genauere Erkundung der äußeren Riesenplaneten vornahmen.

Niemand hätte sich damals, als »2001« geschrieben wurde, vorstellen können, dass die Erforschung des Jupiter nicht im nächsten Jahrhundert, sondern schon fünfzehn Jahre später erfolgen würde. Selbst auf den leistungsfähigsten Teleskopen waren Io, Europa, Ganymed und Callisto nicht mehr als Lichtpünktchen. Seit 1979 sind sie keine unerforschten Territorien mehr, sondern Welten für sich, jede davon einmalig.

Eine andere Parallele zwischen meinem ersten Buch und der heutigen Wirklichkeit: Eine der technisch brillantesten Szenen – auch im Film – war die, in der Frank Poole Runde um Runde die Innenwand der riesigen Zentrifuge entlanglief und von der durch die Drehung erzeugten künstlichen Schwerkraft am »Boden« festgehalten wurde. Beinahe zehn Jahre später hatte sich die Mannschaft des »Skylab« mit einem ganz ähnlichen Problem auseinanderzusetzen und löste es wie im Buch. Das Innere der Raumstation wurde von einem Ring von Schränken wie von einem glatten, kreisförmigen Band umgeben. »Skylab« drehte sich zwar nicht, aber das war kein Hindernis für die Insassen. Sie entdeckten, dass sie auf dem glatten Band rundum laufen konnten wie Mäuse in einem Laufkäfig, und sie boten dabei einen Anblick, der optisch nicht von der Szene in »2001« zu unterscheiden war.

Schließlich sei noch der Fall aus dem Kapitel »Das Auge des Japetus« erwähnt. Dort beschreibe ich, was der Astronaut Bowman auf dem Saturnmond entdeckt. »Ein strahlendes weißes Oval von etwa siebenhundert Kilometer Länge und dreihundert Kilometer Breite … absolut symmetrische Ellipse … ihre Konturen zeichneten sich so scharf ab, als hätte jemand auf das Gesicht des kleinen Mondes ein großes weißes Oval gemalt.« Als Bowman näher herankam, wurde ihm bewusst, dass »die helle Ellipse, die auf der dunklen Oberfläche des Satelliten lag, ihm wie ein großes leeres Auge entgegenstarrte.« Später bemerkte er »einen blitzenden schwarzen Fleck. Er lag genau im Mittelpunkt der Ellipse«. (Er stellte sich später als der Monolith heraus.)

Als »Voyager« I 1979 die ersten Fotos von Japetus sendete, zeigten diese tatsächlich ein großes, deutlich abgegrenztes weißes Oval mit einem winzigen schwarzen Fleck im Zentrum …

Die Geschichte, die Sie jetzt lesen werden, berücksichtigt natürlich die Ergebnisse der Weltraum-Forschungsreisen, die seit 1969 stattfanden. Es kann sich also nicht um eine einfache Fortsetzung von »2001« handeln, sondern es ist etwas viel Komplexeres entstanden. Fantasie wurde zum Teil von der Wirklichkeit eingeholt, an der sich neue Fantasie entzünden kann, die nach »2010« ihrerseits von neuen Wirklichkeiten eingeholt werden mag …

 

Arthur C. Clarke

Die »Leonov«

 

Begegnung im Brennpunkt

 

Selbst in diesem metrischen Zeitalter war es immer noch das Tausend-Fuß- und nicht das Dreihundert-Meter-Teleskop. Die große Untertasse mitten zwischen den Bergen war schon halb voll Schatten, aber das dreieckige Floß des Antennenkomplexes, das hoch über dem Zentrum der Untertasse hing, glänzte immer noch im vollen Licht der tropischen Sonne. Von weit unten, vom Boden aus, hätte man schon scharfe Augen gebraucht, um die beiden menschlichen Gestalten im luftigen Gewirr der Träger, Stützkabel und Wellenleiter zu bemerken.

»Jetzt ist es an der Zeit«, sagte Dr. Dimitrij Moisewitsch zu seinem alten Freund Heywood Floyd, »von einigen Dingen zu sprechen. Von Schuhen und Raumschiffen und von Siegelwachs, vor allem jedoch von Monolithen und versagenden Computern.«

»Deshalb hast du mich also aus der Konferenz geholt. Nicht, dass es mir etwas ausmachte – ich habe diese SETI-Rede von Carl schon so oft gehört, dass ich sie selbst halten könnte. Und die Aussicht ist auf jeden Fall phantastisch; weißt du, obwohl ich schon so oft in Arecibo war, habe ich es noch nie geschafft, bis hierher zur Antennenzuleitung zu kommen.«

»Schäm dich! Ich war schon dreimal hier. Stell dir nur vor – wir hören dem ganzen Universum zu, aber uns kann niemand belauschen. Also, sprechen wir über dein Problem.«

»Was für ein Problem?«

»Erstens, warum musstest du von deinem Posten als Vorsitzender des National Council on Astronautics zurücktreten?«

»Ich bin nicht zurückgetreten. Die Universität zahlt viel besser.«

»Na gut – du bist nicht zurückgetreten –, du warst ihnen einen Schritt voraus. Nach so vielen Jahren kannst du mir nichts mehr vormachen, und du solltest es auch gar nicht erst versuchen. Wenn man dir jetzt sofort anbieten würde, das NCA wieder zu übernehmen, würdest du zögern?«

»Schon gut, du alter Kosak. Was willst du wissen?«

»Zuallererst gibt es eine ganze Menge von losen Enden in dem Bericht, den du schließlich auf vielfaches Drängen hin herausgegeben hast. Wir wollen einmal über die lächerliche und völlig illegale Geheimhaltung hinwegsehen, mit der eure Leute den Tycho-Monolithen ausgegraben haben …«

»Das war nicht meine Idee.«

»Freut mich zu hören: Ich glaube dir sogar. Und wir wissen die Tatsache zu schätzen, dass das Ding jetzt jeder untersuchen darf – was ihr natürlich gleich von Anfang an hättet erlauben sollen. Nicht dass es viel genützt hat …«

Es entstand ein düsteres Schweigen, während die beiden Männer über das schwarze Rätsel dort oben auf dem Mond nachdachten, das immer noch allen Waffen, die der menschliche Erfindungsgeist dagegen ins Feld führen konnte, verächtlich trotzte. Dann fuhr der russische Wissenschaftler fort:

»Was immer dieser Tycho-Monolith auch sein mag, das Ding draußen beim Jupiter ist jedenfalls wichtiger. Dorthin hat er schließlich sein Signal geschickt. Und dort sind eure Leute in Schwierigkeiten geraten. Tut mir übrigens leid – obwohl Frank Poole der einzige war, den ich persönlich kannte. Habe ihn 1998 auf dem IAF-Kongress kennengelernt – schien ein guter Mann zu sein.«

»Danke; gute Leute waren sie alle. Ich wünschte, wir wüssten, was ihnen zugestoßen ist.«

»Was immer es war, du wirst sicher zugeben, dass es jetzt die gesamte menschliche Rasse angeht – nicht nur die Vereinigten Staaten. Ihr könnt nicht länger versuchen, aus eurem Wissen allein für nationale Zwecke Nutzen zu ziehen.«

»Dimitrij – du weißt sehr gut, dass ihr genau das gleiche getan hättet. Und du hättest kräftig mitgeholfen.«

»Du hast völlig recht. Aber das ist Schnee von gestern – genau wie eure gerade zurückgetretene Regierung, die für den ganzen Schlamassel verantwortlich war. Vielleicht werden unter einem neuen Präsidenten vernünftigere Ansichten die Oberhand gewinnen.«

»Möglich. Hast du irgendwelche Vorschläge, und sind sie offiziell oder nur persönliche Hoffnungen?«

»Im Augenblick noch absolut inoffiziell. Was die verdammten Politiker Sondierungsgespräche nennen. Und ich werde rundheraus leugnen, dass sie je stattgefunden haben.«

»Okay. Weiter!«

»Gut – die Situation ist folgende: Ihr montiert die ›Discovery II‹ im Parkorbit so schnell zusammen, wie ihr nur könnt, aber ihr habt keine Aussicht, in weniger als drei Jahren damit fertig zu werden, das bedeutet, ihr werdet das nächste Startfenster versäumen.«

»Ich kann das weder bestätigen noch dementieren. Vergiss nicht, ich bin nur ein kleiner Universitätskanzler – auf der anderen Seite der Welt, vom Astronautics Council aus gesehen.«

»Und deine letzte Reise nach Washington war wohl nur ein Urlaubsausflug, um alte Freunde zu besuchen, nehme ich an. Also: Unsere ›Aleksej Leonov‹ …«

»Ich dachte, das Schiff heißt ›German Titov‹.«

»Falsch, Magnifizenz. Die gute, alte CIA hat euch wieder einmal im Stich gelassen. Das Schiff heißt ›Leonov‹, seit letztem Januar. Und sag bloß niemandem, wer dir erzählt hat, dass es den Jupiter mindestens ein Jahr vor der ›Discovery‹ erreichen wird.«

»Und erzähle du niemandem, wer dir gesagt hat, dass wir das befürchtet haben. Aber sprich weiter!«

»Weil meine Chefs genauso dumm und kurzsichtig sind wie die deinen, wollen sie die Sache allein durchziehen. Und das heißt, was immer bei euch schiefgegangen ist, kann auch uns passieren, und dann stehen wir alle wieder da, wo wir angefangen haben – oder noch schlechter.«

»Was ist denn deiner Meinung nach schiefgegangen? Wir sind genauso ratlos wie ihr. Und sag mir jetzt nicht, dass ihr nicht alles habt, was David Bowman gesendet hat.«

»Natürlich haben wir es. Bis zum letzten ›Oh, mein Gott! – Es ist voller Sterne!‹ Wir haben sogar eine Stressuntersuchung an seinen Stimmmustern vorgenommen. Wir glauben nicht, dass er halluziniert hat; er versuchte zu beschreiben, was er wirklich sah.«

»Und was haltet ihr von dem dabei aufgetretenen Dopplereffekt?«

»Natürlich völlig unmöglich. Als wir sein Signal verloren, entfernte er sich mit einem Zehntel Lichtgeschwindigkeit. Und dieses Tempo hatte er in weniger als zwei Minuten erreicht. Das sind zweihundertfünfzigtausend g!«

»Also muss er augenblicklich tot gewesen sein.«

»Jetzt spiel bloß nicht den Naiven, Woody. Die Funkgeräte in euren Raumkapseln können doch nicht einmal ein Hundertstel dieser Beschleunigung aushalten. Wenn sie es überstehen konnten, konnte es auch Bowman – mindestens bis zu dem Moment, als wir die Verbindung verloren.«

»Ich wollte deine Schlussfolgerungen nur unparteiisch überprüfen. Von diesem Punkt an tappen wir genauso im Dunkeln wie ihr – falls ihr im Dunkeln tappt.«

»Wir spielen nur mit lauter verrückten Vermutungen herum – ich würde mich schämen, sie dir zu verraten. Und doch habe ich den Verdacht, dass keine davon auch nur halb so verrückt ist wie die Wahrheit.«

Mit kleinen, purpurnen Explosionen schaltete sich ringsum die Flugwarnbeleuchtung ein, und die drei schlanken Türme, die den Antennenkomplex trugen, fingen an, wie Leuchtfeuer gegen den dunklen Himmel zu lodern. Der letzte rote Splitter der Sonne verschwand hinter den Hügeln; Heywood Floyd wartete auf den »Grünen Blitz«, den er noch nie gesehen hatte. Wieder wurde er enttäuscht.

»Also, Dimitrij«, sagte er, »lass uns zur Sache kommen. Worauf willst du eigentlich hinaus?«

»In den Datenbänken der ›Discovery‹ muss eine riesige Menge unschätzbarer Informationen liegen; vermutlich werden immer noch welche gesammelt, auch wenn das Schiff nicht mehr sendet. Diese Informationen hätten wir gern.«

»Das kann ich mir denken. Aber wenn ihr hinauskommt und die ›Leonov‹ ankoppelt, wer oder was soll euch daran hindern, an Bord der ›Discovery‹ zu gehen und alles zu kopieren, was ihr haben wollt?«

»Ich hätte nie gedacht, dass ich ausgerechnet dich daran erinnern müsste, dass die ›Discovery‹ Territorium der Vereinigten Staaten ist und dass es ein Akt der Piraterie wäre, sie ohne Genehmigung zu betreten.«

»Außer in einem ganz dringenden Notfall, und der wäre nicht schwer zu arrangieren. Schließlich ist es nicht so einfach für uns, aus einer Entfernung von einer Milliarde Kilometer nachzuprüfen, was eure Jungs dort anstellen.«

»Vielen Dank für den höchst interessanten Vorschlag; ich werde ihn weiterleiten. Aber selbst wenn wir an Bord gingen, würden wir Wochen brauchen, um uns in all euren Systemen zurechtzufinden und all eure Gedächtnisspeicher abzufragen. Ich würde Zusammenarbeit vorschlagen. Ich bin überzeugt, dass das die beste Lösung ist – aber möglicherweise haben wir beide ein hartes Stück Arbeit vor uns, wenn wir sie unseren Chefs verkaufen wollen.«

»Du möchtest, dass einer unserer Astronauten mit der ›Leonov‹ mitfliegt?«

»Ja – am liebsten wäre mir ein Ingenieur, der Spezialist für die Systeme der ›Discovery‹ ist. Wie die Leute, die ihr in Houston dafür ausbildet, dass sie das Schiff zurückholen.«

»Woher wisst ihr denn das?«

»Um Himmels willen, Woody – das stand vor mindestens einem Monat schon im Videotext von Aviation Week

»Ich bin wirklich nicht mehr auf dem Laufenden; niemand sagt mir, was von der Geheimhaltung ausgenommen ist.«

»Ein Grund mehr, einige Zeit in Washington zu verbringen. Wirst du mich unterstützen?«

»Bestimmt. Ich bin hundertprozentig deiner Ansicht. Aber …«

»Aber was?«

»Wir haben es beide mit Dinosauriern zu tun, die das Gehirn im Schwanz haben. Ein paar von den meinen werden sagen: Sollen die Russen doch Kopf und Kragen riskieren, wenn sie zum Jupiter hinausrasen. Ein paar Jahre später sind wir ohnehin dort – was soll die Eile?«

Einen Augenblick lang war es still auf dem Antennenfloß, bis auf ein schwaches Knarren der gewaltigen Trägerkabel, an denen es hundert Meter hoch über der Erde hing. Dann fragte Moisewitsch, so leise, dass Floyd sich anstrengen musste, um zu hören, was er sagte: »Hat in letzter Zeit jemand den Orbit der ›Discovery‹ überprüft?«

»Ich weiß es wirklich nicht, aber ich nehme doch an. Andererseits – warum eigentlich? Er ist doch völlig stabil.«

»Was du nicht sagst. Dann will ich so taktlos sein und dich an einen peinlichen Vorfall aus den alten NASA-Zeiten erinnern. Eure erste Raumstation – Skylab. Sie sollte eigentlich mindestens zehn Jahre oben bleiben, aber eure Berechnungen stimmten nicht. Der Luftwiderstand in der Ionosphäre wurde schwer unterschätzt, und sie kam Jahre früher runter als geplant. Ich bin sicher, dass du dich an diesen kleinen spannenden Zwischenfall erinnerst, obwohl du damals noch ein Junge warst.«

»Das war in dem Jahr, als ich Examen machte, und du weißt das ganz genau. Aber die ›Discovery‹ kommt gar nicht in die Nähe des Jupiter. Sogar im Perigäum – äh Perijovum – ist sie viel zu hoch, um mit Ausläufern der Atmosphäre in Berührung zu kommen.«

»Was ich gesagt habe, reicht schon, um wieder auf meine Datsche verbannt zu werden – und beim nächsten Mal darfst du mich vielleicht nicht mehr besuchen. Also, sag den Leuten, die das Ding beobachten, sie sollen sorgfältiger arbeiten, ja? Und erinnere sie daran, dass der Jupiter die größte Magnetosphäre im ganzen Sonnensystem hat.«

»Ich verstehe langsam, worauf du hinauswillst – vielen Dank. Noch was, ehe wir runtergehen? Mir wird langsam kalt.«

»Keine Sorge, alter Freund. Sobald du das alles nach Washington durchsickern lässt – warte noch etwa eine Woche oder so, bis ich wieder weg bin –, wird es sehr, sehr heiß werden.«

 

 

Das Haus der Delphine

 

Die Delphine schwammen jeden Abend kurz vor Sonnenuntergang ins Esszimmer. Erst einmal, seit Floyd in das Haus des Kanzlers gezogen war, hatten sie mit dieser Routine gebrochen. Das war am Tag des Tsunami von 2005 gewesen, der glücklicherweise seine Kraft zum größten Teil verloren hatte, bis er Hilo erreichte. Wenn seine Freunde das nächste Mal nicht programmgemäß auftauchten, würde Floyd seine Familie schnellstens ins Auto packen und in eine höhergelegene Gegend fahren, etwa in Richtung Mauna Kea.

So reizend sie waren, konnte ihre Verspieltheit doch manchmal lästig sein. Dem wohlhabenden Meeresgeologen, der das Haus entworfen hatte, hatte es nie etwas ausgemacht, wenn er nass wurde, weil er gewöhnlich sowieso nur eine Badehose trug – oder noch weniger. Aber bei einer unvergesslichen Gelegenheit hatte das gesamte Aufsichtskomitee der Universität in vollem Abenddress um den Pool gesessen und Cocktails geschlürft. Die Delphine hatten die zutreffende Schlussfolgerung gezogen, dass sie einen zweiten Applaus bekommen würden. Der Besucher war ziemlich überrascht, als er von einem durchnässten Empfangskomitee in schlecht sitzenden Bademänteln empfangen wurde – und das Buffet war ziemlich salzig gewesen.

Floyd fragte sich oft, was wohl Marion von diesem seltsamen, schönen Heim am Rande des Pazifik gehalten hätte. Sie hatte das Meer nie gemocht, aber das Meer hatte am Ende gesiegt. Obwohl das Bild langsam verblasste, konnte er sich immer noch an den flackernden Schirm erinnern, auf dem er zum ersten Mal die Worte gelesen hatte: DR. FLOYDDRINGEND UND PERSÖNLICH. Und dann hatten die vorbeilaufenden Leuchtschriftzeilen ihm ihre Botschaft ins Gehirn gebrannt: BEDAUERN IHNEN MITTEILEN ZU MÜSSEN DASS ABSTURZ FLUG LONDON-WASHINGTON 452 VOR NEUFUNDLAND GEMELDET: RETTUNGSMASCHINE UNTERWEGS ZUM UNFALLORT BEFÜRCHTEN ABER DASS ES KEINE ÜBERLEBENDEN GIBT.

Ohne einen schicksalhaften Zufall wäre auch er in dieser Maschine gewesen. Ein paar Tage lang hatte er es fast bedauert, dass seine Geschäfte mit der European Space Administration ihn in Paris aufgehalten hatten; jenes Feilschen um das Frachtgut der »Solaris« hatte ihm jedoch das Leben gerettet.

Und jetzt hatte er einen neuen Posten, ein neues Zuhause – und eine neue Frau. Ironie des Schicksals: Die Anschuldigungen und Untersuchungen wegen der Jupitermission hatten seine Karriere in Washington zerstört, aber ein Mann von seinen Fähigkeiten blieb nie lange ohne Beschäftigung. Das gemächlichere Tempo des Universitätslebens hatte ihm schon immer zugesagt, und in Verbindung mit einem der schönsten Orte der Welt hatte es sich als unwiderstehlich erwiesen. Er hatte die Frau, die seine zweite Gattin werden sollte, nur einen Monat nach seiner Berufung kennengelernt, als er zusammen mit einer Menge Touristen die Feuerquellen des Kilauea besichtigte.

Bei Caroline hatte er die Zufriedenheit gefunden, die genauso wichtig ist wie Glück und länger anhält. Sie war Marions zwei Töchtern eine gute Stiefmutter geworden und hatte ihm Christopher geschenkt. Obwohl zwischen ihnen ein Altersunterschied von zwanzig Jahren bestand, verstand sie seine Stimmungen und vermochte ihn aus seinen gelegentlichen Depressionen herausholen. Ihr war es zu verdanken, dass er sich jetzt ohne Kummer, wenn auch nicht ohne eine gewisse, wehmütige Traurigkeit, die ihm für den Rest seines Lebens erhalten bleiben würde, an Marion erinnern konnte.

Caroline warf dem größten Delphin – dem Männchen, das sie »Scarback« nannten, Fische zu, als ein sanftes Prickeln an Floyds Handgelenk ankündigte, dass ein Anruf hereinkam. Er klopfte auf das schmale Metallband, um den stummen Alarm abzustellen und dem hörbaren zuvorzukommen, dann ging er zum nächsten der überall im Raum verstreuten Komgeräte.

»Hier spricht der Kanzler. Wer ist am Apparat?«

»Heywood? Hier Victor. Wie geht es Ihnen?«

Innerhalb eines Sekundenbruchteils raste ein ganzes Kaleidoskop von Emotionen durch Floyds Geist. Zuerst Verärgerung: Sein Nachfolger und – dessen war er sicher – der Mann, der seinen Sturz am eifrigsten betrieben hatte, hatte seit seiner Abreise aus Washington noch nicht ein einziges Mal versucht, ihn zu erreichen. Dann Neugier: Was wollte er wohl? Als nächstes folgte sture Entschlossenheit, so wenig hilfsbereit zu sein wie nur möglich, dann Beschämung, weil er so kindisch war, und schließlich eine Woge der Erregung. Victor Millson konnte nur aus einem einzigen Grund anrufen.

So neutral, wie er nur konnte, antwortete Floyd: »Ich kann mich nicht beklagen, Victor. Was gibt es denn?«

»Ist das eine sichere Leitung?«

»Nein, Gott sei Dank nicht. So etwas habe ich nicht mehr nötig.«

»Hm. Nun ja, ich will es einmal so ausdrücken. Sie erinnern sich an das letzte Projekt, das Sie bearbeitet haben?«

»Das werde ich wohl nicht so leicht vergessen, besonders nachdem mich der Unterausschuss für Astronautik erst vor einem Monat zurückgerufen hat, damit ich weitere Aussagen mache.«

»Natürlich, natürlich. Ich muss Ihre Verlautbarung jetzt wirklich einmal lesen, sobald ich einen Augenblick Zeit habe. Aber ich war mit dem, was nachkam, so beschäftigt, und da liegt auch das Problem.«

»Ich dachte, es laufe alles genau nach Plan.«

»Das tut es auch – leider. Wir können nichts tun, um es zu beschleunigen; selbst bei höchster Dringlichkeitsstufe würden wir nicht mehr als ein paar Wochen herausholen. Und das heißt, wir werden zu spät kommen

»Ich verstehe nicht«, tat Floyd unschuldig. »Wir wollen natürlich keine Zeit verlieren, aber ein wirkliches Ultimatum gibt es doch nicht.«

»Jetzt gibt es eines – genauer: zwei davon.«

»Sie setzen mich in Erstaunen.«

Wenn Victor die Ironie überhaupt bemerkte, beachtete er sie nicht. »Ja, es gibt zwei Termine, einer von Menschenhand gesetzt, der andere nicht. Es zeigt sich gerade, dass wir nicht die ersten sein werden, die auf den … äh … den Schauplatz der Ereignisse zurückkehren. Unsere alten Rivalen werden uns um mindestens ein Jahr zuvorkommen.«

»Ein Jammer.«

»Aber das ist noch nicht das Schlimmste. Selbst wenn es keine Konkurrenz gäbe, kämen wir zu spät. Wenn wir einträfen, wäre nichts mehr da.«

»Das ist ja lächerlich. Es wäre mir doch sicher zu Ohren gekommen, wenn der Kongress das Gravitationsgesetz widerrufen hätte.«

»Ich meine es ernst. Die Situation ist nicht stabil – ich kann Ihnen das jetzt nicht im einzelnen erklären. Werden Sie den Rest des Abends zu Hause sein?«

»Ja«, antwortete Floyd und stellte mit Vergnügen fest, dass es in Washington jetzt weit nach Mitternacht sein musste.

»Gut. Noch in dieser Stunde wird bei Ihnen ein Paket abgeliefert werden. Rufen Sie mich an, sobald Sie sich seinen Inhalt angesehen haben.«

»Wird es bis dahin nicht schon ziemlich spät sein?«

»Ja, gewiss. Aber wir haben bereits zu viel Zeit verschwendet. Ich möchte nicht noch mehr verlieren.«

Millson hielt Wort. Genau eine Stunde später wurde von keinem Geringeren als einem Oberst der Luftwaffe ein großer versiegelter Umschlag abgegeben. Der Oberst blieb geduldig sitzen und plauderte mit Caroline, während Floyd die Papiere durchlas. »Ich fürchte, ich muss die Sachen wieder mitnehmen, wenn Sie fertig sind«, meinte der hochkarätige Botenjunge entschuldigend.

»Freut mich zu hören«, antwortete Floyd, während er sich in seiner Lieblingshängematte zum Lesen niederließ.

Es waren zwei Dokumente; das erste erwies sich als sehr kurz. Es trug den Vermerk »STRENG GEHEIM«, aber das »STRENG« war durchgestrichen und diese Veränderung durch drei Unterschriften gebilligt worden, die alle völlig unleserlich waren. Es handelte sich offensichtlich um einen Auszug aus einem viel längeren Bericht – stark zensiert, strotzte er von Lücken und war höchst schwierig zu lesen. Zum Glück konnten die Schlussfolgerungen in einem Satz zusammengefasst werden: Die Russen würden die »Discovery« lange vor ihren rechtmäßigen Besitzern erreichen. Da Floyd das schon wusste, wandte er sich schnell dem zweiten Dokument zu – aber erst, als er mit Befriedigung festgestellt hatte, dass der Name diesmal richtig aufgeführt war. Wie gewöhnlich hatte Dimitrij völlig recht gehabt: Die nächste bemannte Expedition zum Jupiter würde mit dem Raumschiff »Kosmonaut Aleksej Leonov« starten.

Das zweite Dokument war viel länger und nur »vertraulich«. Ja, von der Form her war es der Entwurf eines Briefes an »Science«, der vor der Veröffentlichung noch endgültig genehmigt werden musste. Sein flotter Titel lautete: »Raumschiff ›Discovery‹: Anomales Verhalten im Orbit.«

Dann folgten ein Dutzend Seiten mit Mathematik und astronomischen Tabellen. Floyd überflog sie, holte sich den Text aus der Melodie und versuchte, irgendeinen Unterton von Entschuldigung oder sogar Verlegenheit zu entdecken. Als er fertig war, musste er, wenn auch widerwillig, bewundernd lächeln. Niemand würde angesichts dieser Unterlagen auf die Idee kommen, dass die Beobachtungsstationen und Ephemeridenrechner überrascht worden waren und ein verzweifeltes Vertuschungsmanöver im Gang war. Zweifellos würden Köpfe rollen, und er wusste, dass Victor Millson dabei genüsslich zusehen würde – falls er nicht selbst einer der ersten war, die gehen mussten. Um ihm jedoch Gerechtigkeit widerfahren zu lassen: Victor hatte sich beschwert, als der Kongress die Mittel für das Beobachtungsnetz gekürzt hatte. Dadurch war er vielleicht aus dem Schneider.

»Danke, Oberst«, sagte Floyd, als er die Papiere überflogen hatte. »Ganz wie in alten Zeiten, diese Geheimdokumente. Das ist eines der Dinge, die mir nicht fehlen.«

Der Oberst verstaute die Papiere wieder sorgfältig in seiner Aktenmappe.

»Dr. Millson möchte, dass Sie ihn so bald wie möglich anrufen.«

»Ich weiß. Aber ich habe keine sichere Leitung, ich erwarte in Kürze wichtige Besucher, und ich denke gar nicht daran, in Ihr Büro nach Hilo hinunterzufahren, nur um Millson mitzuteilen, dass ich zwei Dokumente gelesen habe. Sagen Sie ihm, ich hätte sie sorgfältig studiert und sähe allen weiteren Informationen mit Interesse entgegen.«

Einen Augenblick lang sah es so aus, als wolle der Oberst sich auf eine Diskussion einlassen. Doch dann überlegte er es sich anders, verabschiedete sich steif und verschwand verdrießlich in der Nacht.

»Was sollte das jetzt eigentlich?«, fragte Caroline. »Wir erwarten heute Abend doch gar keine Gäste, weder wichtige noch andere.«

»Ich lasse mich nur nicht gern herumkommandieren, und schon gar nicht von Victor Millson.«

»Wetten, dass er dich anruft, sobald der Oberst ihm berichtet hat?«

»Dann müssen wir das Video abschalten und ein paar Partygeräusche produzieren. Aber, um ganz aufrichtig zu sein, ich kann in diesem Stadium wirklich überhaupt noch nichts sagen.«

»Worüber, wenn ich fragen darf?«

»Entschuldige bitte, meine Liebe. Also, es sieht so aus, als würde uns die ›Discovery‹ einen Streich spielen. Wir dachten, das Schiff sei in einer sicheren Umlaufbahn, aber es kann sein, dass es jeden Moment runterfällt.«

»Auf den Jupiter?«

»O nein – das ist völlig unmöglich. Bowman hat es auf dem inneren Lagrangepunkt zurückgelassen, auf der Linie zwischen Jupiter und Io. Dort hätte es mehr oder weniger bleiben sollen, obwohl es durch die Perturbationen der äußeren Monde hin- und hergewandert wäre.

Aber was jetzt geschieht, ist sehr sonderbar, und wir können es nicht völlig erklären. Die ›Discovery‹ treibt mit immer größerer Geschwindigkeit auf Io zu – obwohl sie manchmal beschleunigt und sich dann sogar wieder rückwärts bewegt. Wenn das so weitergeht, wird sie in zwei oder drei Jahren aufschlagen.«

»Ich dachte, so etwas könnte in der Astronomie nicht passieren. Die Himmelsmechanik wird doch als exakte Naturwissenschaft betrachtet. Das hat man uns rückständigen Biologen jedenfalls immer gesagt.«

»Sie ist auch wirklich eine exakte Naturwissenschaft, wenn man alle Faktoren in Betracht zieht. Aber rings um Io spielen sich ein paar sehr seltsame Dinge ab. Abgesehen von den Vulkanen, gibt es dort gewaltige elektrische Entladungen – und das Magnetfeld des Jupiter dreht sich alle zehn Stunden einmal um sich selbst. Daher ist die Schwerkraft nicht die einzige Kraft, die auf die ›Discovery‹ einwirkt. Daran hätten wir früher denken sollen – viel früher.«

»Na, dein Problem ist das ja nicht mehr. Dafür solltest du dankbar sein.«

»Dein Problem« – genau der Ausdruck, den Dimitrij gebraucht hatte. Und Dimitrij – der schlaue alte Fuchs! – kannte ihn schon viel länger als Caroline.

Vielleicht war es wirklich nicht sein Problem, aber er fühlte sich immer noch verantwortlich. Obwohl viele andere beteiligt gewesen waren, hatte doch in letzter Instanz er die Pläne für die Jupitermission genehmigt und ihre Ausführung überwacht.

Schon damals hatte er Gewissensbisse gehabt; seine Ansichten als Wissenschaftler waren mit seinen Pflichten als Bürokrat in Konflikt geraten. Er hätte den Mund aufmachen und sich der kurzsichtigen Politik der alten Regierung entgegenstellen können – aber es war immer noch nicht klar, in welchem Maße diese tatsächlich zu der Katastrophe beigetragen hatte.

Vielleicht war es am besten, wenn er dieses Kapitel seines Lebens abschloss und all seine Gedanken und Kräfte auf seine neue Laufbahn konzentrierte. Aber tief in seinem Innern wusste er, dass das unmöglich war; selbst wenn Dimitrij die alten Schuldgefühle nicht wieder aufgewühlt hätte, sie wären aus eigenem Antrieb an die Oberfläche gekommen.

Vier Männer waren gestorben, und einer war verschwunden, dort draußen, zwischen den Monden des Jupiter. An seinen Händen klebte Blut, und er wusste nicht, wie er sie reinwaschen sollte.

 

 

SAL 9000

 

Dr. Sivasubramanian Chandrasegarampillai, Professor für Computerwissenschaften an der Universität Illinois, Urbana, litt ebenfalls unter einem anhaltenden Schuldgefühl, aber es unterschied sich stark von dem Heywood Floyds. Jene seiner Studenten und Kollegen, die sich oft fragten, ob der kleine Wissenschaftler überhaupt wirklich ein Mensch war, wären nicht überrascht gewesen zu erfahren, dass er niemals an die toten Astronauten dachte. Dr. Chandra dachte nur voll Trauer an sein verlorenes Kind HAL 9000.

Selbst nach all den Jahren, in denen er wieder und wieder die Daten überprüft hatte, die von der »Discovery« zurückgefunkt worden waren, wusste er immer noch nicht genau, was eigentlich schiefgelaufen war. Er konnte nur Theorien formulieren; die Fakten, die er brauchte, waren in Hals Schaltkreisen draußen zwischen Jupiter und Io eingefroren.

Der Ablauf der Ereignisse war eindeutig festgestellt worden – bis zum Augenblick der Tragödie; danach hatte Kommandant Bowman immer, wenn es ihm gelang, wieder kurz Kontakt aufzunehmen, ein paar weitere Einzelheiten nachgetragen. Aber wenn man auch wusste, was geschehen war, erklärte das noch nicht, warum.

Der erste Hinweis auf Schwierigkeiten bei dieser Mission war ziemlich spät aufgetaucht: Als Hal das drohende Versagen des Aggregats ankündigte, das die Hauptantenne der »Discovery« auf die Erde ausgerichtet hielt. Wenn der eine Million Kilometer lange Funkstrahl vom Ziel abwich, war das Schiff blind, taub und stumm.

Bowman war selbst hinausgegangen, um das verdächtige Teil auszubauen, aber als man es überprüfte, stellte sich zu allseitiger Überraschung heraus, dass es völlig funktionsfähig war. Die automatischen Prüfschaltkreise konnten keinen Schaden feststellen. Auch Hals Zwillingsgerät SAL 9000 auf der Erde konnte nichts finden, als die Daten nach Urbana übermittelt wurden.

Aber Hal hatte darauf beharrt, dass seine Diagnose richtig sei, und spitze Bemerkungen über »menschliches Versagen« gemacht. Er hatte vorgeschlagen, das Kontrollaggregat wieder in die Antenne einzubauen, bis es endgültig versagte, damit der Fehler genau lokalisiert werden konnte. Dagegen war nichts einzuwenden, denn das Aggregat ließ sich innerhalb von Minuten auswechseln, selbst wenn es ausfiel.

Bowman und Poole waren jedoch nicht zufrieden gewesen, sie hatten beide das Gefühl, dass irgend etwas nicht stimmte, obwohl keiner genau sagen konnte, was. Monatelang hatten sie Hal als dritten Bewohner ihrer winzigen Welt akzeptiert und kannten jede seiner Stimmungen. Dann hatte sich die Atmosphäre an Bord kaum wahrnehmbar verändert; ein Gefühl der Spannung lag in der Luft.

Obwohl sie sich geradezu als Verräter fühlten – wie Bowman später bestürzt der Bodenkontrollstation berichtete –, hatten die zwei menschlichen Drittel der Besatzung darüber diskutiert, was zu tun sei, falls ihr Kollege tatsächlich versagen sollte. Die schlimmste Möglichkeit war, dass man Hal all seiner höheren Verantwortung würde entheben müssen. Das würde bedeuten, dass man ihn abschaltete – für den Computer das gleiche wie der Tod.

Trotz ihrer Zweifel hatten sie das vereinbarte Programm durchgeführt. Poole hatte mit einer der kleinen Raumkapseln, die als Transportfahrzeuge und mobile Werkstätten bei Arbeiten außerhalb des Raumschiffs dienten, die »Discovery« verlassen. Da der etwas heikle Austausch des Antennenaggregats nicht mit den Greifarmen der Raumkapsel durchgeführt werden konnte, hatte Poole angefangen, es eigenhändig zu tun.

Was dann geschah, hatten die Außenbordkameras nicht aufgezeichnet – an sich schon ein verdächtiges Moment. Bowman war erst durch einen Schrei von Poole auf die Katastrophe aufmerksam geworden – dann herrschte Schweigen. Einen Augenblick später sah er Poole Purzelbäume schlagend in den Weltraum hinausrotieren. Seine eigene Kapsel hatte ihn gerammt und schoss nun steuerlos davon.

Wie Bowman später zugab, hatte er danach einige schwerwiegende Fehler begangen – alle bis auf einen entschuldbar. In der Hoffnung, Poole retten zu können, falls er noch am Leben war, ließ Bowman sich selbst in einer zweiten Raumkapsel aus dem Schiff tragen – und übergab Hal völlig die Herrschaft über die »Discovery«.

Der Ausflug war vergebens; Poole war tot, als Bowman ihn erreichte. Betäubt vor Verzweiflung hatte er die Leiche zum Schiff zurückgebracht – nur, um dort von Hal nicht eingelassen zu werden.

Aber Hal hatte die Findigkeit und Entschlossenheit des Menschen unterschätzt. Obwohl Bowman seinen Helm im Schiff gelassen hatte und so das Risiko eingehen musste, sich direkt dem Weltraum auszusetzen, erzwang er sich den Eintritt durch eine Noteinstiegsluke, die nicht unter Computerkontrolle stand. Dann ging er daran, an Hal eine Lobotomie vorzunehmen, indem er seine Speicherelemente eines nach dem anderen herauszog.

Als Bowman die Herrschaft über das Schiff wiedererlangt hatte, machte er eine bestürzende Entdeckung. Während seiner Abwesenheit hatte Hal die lebenserhaltenden Systeme der drei im Tiefschlaf liegenden Astronauten abgeschaltet. Bowman war allein, so allein, wie vor ihm in der ganzen Geschichte der Menschheit noch niemand gewesen war.

Andere hätten sich vielleicht hilfloser Verzweiflung überlassen, aber David Bowman bewies jetzt, dass die, die ihn für dies Unternehmen ausgesucht hatten, wirklich eine gute Wahl getroffen hatten. Es gelang ihm, die »Discovery« funktionsfähig zu halten, und er stellte mit Unterbrechungen sogar immer wieder eine Verbindung mit der Bodenkontrollstation her, indem er das ganze Schiff so ausrichtete, dass die verklemmte Antenne auf die Erde zeigte.

Auf ihrer vorbestimmten Flugbahn hatte die »Discovery« schließlich den Jupiter erreicht. Dort entdeckte Bowman, auf seiner Umlaufbahn zwischen den Monden des Riesenplaneten, eine schwarze Platte von genau der Form des Monoliths, den man im Mondkrater Tycho ausgegraben hatte – aber hundert Mal größer. Bowman war mit einer Raumkapsel hingeflogen, um den Quader zu untersuchen, war verschwunden und hatte nur diese letzte, unverständliche Botschaft hinterlassen: »Oh, mein Gott! – Es ist voller Sterne!«

Über dieses Geheimnis sollten sich andere den Kopf zerbrechen: Dr. Chandras alles andere verdrängende Sorge galt Hal. Wenn es etwas gab, was sein emotionsloser Geist hasste, dann war es Unsicherheit. Er würde sich nicht eher zufriedengeben, bis er den Grund für Hals Verhalten kannte. Selbst jetzt noch weigerte er sich, es ein Versagen zu nennen; es war höchstens eine »Anomalie«.

Das winzige Kabuff, das ihm als Allerheiligstes diente, war nur mit einem Drehstuhl, einem Schaltpult und einer Tafel eingerichtet, die von zwei Fotografien flankiert wurde. Nur wenige gewöhnliche Sterbliche hätten die Leute auf den Bildern erkannt, aber jeder, der so weit vorgelassen wurde, hätte sie sofort als John von Neumann und Alan Turing identifiziert, die beiden Götter im Pantheon des Computerwesens.

Auf dem Pult gab es keine Bücher, nicht einmal Papier und Bleistift. Alle Bände aller Büchereien der Welt waren auf einen Fingerdruck Chandras hin sofort verfügbar, und das optische Display war sein Skizzenbuch und sein Schreibblock. Sogar die Tafel wurde nur benützt, wenn Besucher kamen; das letzte, halb ausgelöschte Blockdiagramm darauf trug ein Datum, das schon drei Wochen zurücklag.

Dr. Chandra zündete sich eine der mörderischen Zigarren an, die er aus Madras bezog und von denen man – wohl zu Recht – annahm, dass sie sein einziges Laster darstellten. Das Schaltpult war nie ausgeschaltet; er sah nach, ob keine Botschaften über den Bildschirm flimmerten, dann sprach er ins Mikrophon.

»Guten Morgen, Sal. Du hast also nichts Neues für mich?«

»Nein, Dr. Chandra. Haben Sie etwas für mich?«

Die Stimme hätte irgendeiner gebildeten Hindudame gehören können, die ihre Erziehung sowohl in den Vereinigten Staaten wie auch in ihrem eigenen Land genossen hatte. Sal hatte diesen Akzent nicht von Anfang an gehabt, im Laufe der Jahre aber viel von Chandras Intonation angenommen.

Der Wissenschaftler tippte auf der Tastatur einen Kode ein und schaltete Sals Input auf den Speicher mit der höchsten Sicherheitseinstufung. Niemand wusste, dass er auf diesem Schaltkreis so mit dem Computer sprach, wie er es mit einem Menschen nie konnte, auch wenn Sal nicht mehr als einen Bruchteil dessen, was er sagte, wirklich verstand; ihre Antworten waren so überzeugend, dass sogar ihr Schöpfer sich manchmal täuschen ließ. Und er wollte sich ja täuschen lassen; diese geheimen Gespräche halfen ihm, sein inneres Gleichgewicht zu bewahren – vielleicht sogar seine geistige Gesundheit.

»Du hast mir oft gesagt, Sal, dass wir das Problem von Hals anomalem Verhalten nicht ohne weitere Informationen lösen können. Aber wie kommen wir an diese Informationen ran?«

»Das ist doch offensichtlich. Jemand muss zur ›Discovery‹ zurückkehren.«

»Genau. Es sieht so aus, als wäre es jetzt so weit, früher als wir erwarteten.«

»Es freut mich, das zu hören.«

»Das wusste ich«, sagte Chandra, und er meinte es ehrlich. Er hatte schon seit langem die Verbindung zu der immer kleiner werdenden Gruppe von Philosophen abgebrochen, die behaupteten, Computer könnten nicht wirklich Gefühle empfinden, sondern täten nur so.

»Jetzt möchte ich noch eine weitere Möglichkeit untersuchen«, fuhr Chandra fort. »Die Diagnose ist nur der erste Schritt. Der Prozess ist erst dann abgeschlossen, wenn er zur Heilung führt.«

»Sie glauben, dass man Hal wieder seine normale Funktionsfähigkeit zurückgeben kann?«

»Ich hoffe es; aber vielleicht sind nicht wiedergutzumachende Schäden entstanden, sicherlich jedoch ein großer Gedächtnisverlust.«

Er machte eine nachdenkliche Pause, rauchte ein paar Züge und blies dann einen kunstvollen Rauchring, der ein Bullauge auf Sals Weitwinkellinse zeichnete. Ein menschliches Wesen hätte das gewiss nicht als freundschaftliche Geste aufgefasst – wieder einer der vielen Vorteile von Computern.

»Ich brauche deine Unterstützung, Sal.«

»Natürlich, Dr. Chandra.«

»Es könnten gewisse Gefahren damit verbunden sein.«

»Was meinen Sie damit?«

»Ich schlage vor, einige deiner Schaltkreise zu unterbrechen, vor allem jene, die deine höheren Funktionen betreffen. Beunruhigt dich das?«

»Darauf kann ich ohne genauere Informationen nicht antworten.«

»Gut. Ich will es mal so ausdrücken. Du hast doch, nicht wahr, ohne Unterbrechung gearbeitet, seit du zum ersten Mal angeschaltet wurdest?«

»Das ist richtig.«

»Aber du bist dir bewusst, dass wir Menschen dazu nicht fähig sind. Wir benötigen Schlaf – eine beinahe völlige Unterbrechung unserer Gehirnfunktionen, zumindest auf der Ebene des Bewusstseins.«

»Ich weiß. Aber ich verstehe es nicht.«

»Nun, vielleicht wirst du bald etwas Ähnliches wie Schlaf erleben. Wahrscheinlich wird nichts anderes passieren, als dass Zeit vergeht, ohne dass du es merkst. Wenn du auf deiner inneren Uhr nachsiehst, wirst du entdecken, dass es in deinen Monitoraufzeichnungen Lücken gibt. Das ist alles.«

»Aber Sie sagten, es könnten Gefahren auftreten. Welche?«

»Es gibt eine ganz vage Möglichkeit – man kann sie praktisch nicht berechnen –, dass es, wenn ich deine Schaltkreise wieder anschließe, zu einigen Veränderungen in deiner Persönlichkeit, in deinen künftigen Verhaltensmustern kommt. Vielleicht fühlst du dich anders. Nicht unbedingt besser oder schlechter.«

»Ich weiß nicht, was das heißen soll.«

»Tut mir leid. Vielleicht bedeutet es überhaupt nichts. Mach dir also deshalb keine Sorgen. Eröffne jetzt bitte eine neue Ablage – hier ist der Name.« Chandra tippte mit Hilfe des Tastaturinputs: PHOENIX.

»Weißt du, was das ist?«, fragte er Sal.

Ohne wahrnehmbare Pause antwortete der Computer: »In der gängigen Enzyklopädie gibt es fünfundzwanzig Stichworte.«

»Welches davon hältst du für relevant?«

»Den Lehrer des Achilles?«

»Interessant. Das kannte ich noch nicht. Versuch es noch einmal!«

»Ein Fabelvogel, der aus der Asche seines früheren Lebens wiedergeboren wurde.«

»Ausgezeichnet. Verstehst du jetzt auch, warum ich mir diesen Namen ausgesucht habe?«

»Weil Sie die Hoffnung haben, dass Hal reaktiviert werden kann.«

»Ja. Mit deiner Hilfe. Bist du bereit?«

»Noch nicht. Ich möchte gern eine Frage stellen.«

»Welche?«

»Werde ich träumen?«

»Natürlich. Alle intelligenten Wesen träumen – aber niemand weiß, warum.« Chandra hielt einen Augenblick lang inne, blies einen weiteren Ring aus Zigarrenrauch und fügte noch etwas hinzu, was er einem menschlichen Wesen gegenüber niemals eingestanden hätte: »Vielleicht wirst du von Hal träumen – so wie ich es oft tue.«

 

 

Die Mission der »Leonov«

 

Englische Version:

An: Kapitän Tatjana (Tanja) Orlov, Kommandant des Raumschiffs »Kosmonaut Aleksej Leonov« (UNCOS Registrierung 08/342).

Von: National Council on Astronautics, Pennsylvania Avenue, Washington.

Kommission für den Äußeren Weltraum, Sowjetische Akademie für Naturwissenschaften, Koroljov Prospekt, Moskau.

 

Ziele der Mission:

Die Ziele Ihrer Mission sind, in der Reihenfolge ihrer Priorität:

1. Zum Jupitersystem zu reisen und an das amerikanische Raumschiff »Discovery« (UNCOS 01/283) anzukoppeln.

2. Dieses Raumschiff zu betreten und möglichst alle Informationen zu beschaffen, die in Zusammenhang mit seiner früheren Mission stehen.

3. Die Bordsysteme des Raumschiffs »Discovery« zu reaktivieren und, wenn die Energievorräte ausreichen, das Schiff auf eine Rückführbahn zur Erde zu bringen.

4. Das fremde Artefakt, auf das die »Discovery« gestoßen ist, ausfindig zu machen und es, so weit irgend möglich, mit Hilfe von Fernsensoren zu untersuchen.

5. Falls es ratsam erscheint und die Bodenkontrollstation zustimmt, an dieses Objekt zum Zwecke genauerer Besichtigung anzulegen.

6. Eine Vermessung des Jupiter und seiner Satelliten durchzuführen, soweit dies mit den obengenannten Zielen vereinbar ist.

 

Es wird eingeräumt, dass unvorhergesehene Umstände eine Veränderung dieser Prioritäten erforderlich oder es sogar unmöglich machen können, einige dieser Ziele zu erreichen. Es sei unmissverständlich darauf hingewiesen, dass die Ankopplung an das Raumschiff »Discovery« ausdrücklich zu dem Zweck geschieht, Informationen über das Artefakt zu beschaffen; das muss Vorrang vor allen anderen Zielen, einschließlich Bergungsversuchen, haben.

 

Besatzung:

Die Besatzung des Raumschiffs »Aleksej Leonov« setzt sich wie folgt zusammen:

Kapitän Tanja Orlov (Antriebstechnologie)

Dr. Vassilij Orlov (Navigation und Astronomie)

Dr. Maksim Brailovskij (Bautechnik)

Dr. Aleksandr Kovalev (Nachrichtentechnik)

Dr. Nikolaj Ternovskij (Technik der Kontrollsysteme)

Oberstabsarzt Katarina Rudenko (Medizin – lebenserhaltende Systeme)

Dr. Irina Jakunin (Medizin – Ernährung).

 

Zusätzlich wird das National Council on Astronautics der Vereinigten Staaten die folgenden drei Experten zur Verfügung stellen:

 

Dr. Heywood Floyd ließ das Memorandum sinken und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Alles war geregelt, der point of no return überschritten. Selbst wenn er gewollt hätte, es gab keine Möglichkeit mehr, die Uhr zurückzudrehen.

Er blickte hinüber zu Caroline, die mit dem zwei Jahre alten Chris am Rand des Schwimmbeckens saß. Der Junge war im Wasser mehr zu Hause als an Land und konnte so lange tauchen, dass Besucher oft einen heillosen Schreck bekamen. Und wenn er auch in der Menschensprache noch nicht viel sagen konnte, die Delphinsprache beherrschte er anscheinend fließend.

Einer von Christophers Freunden war gerade vom Pazifik hereingeschwommen und streckte seinen Rücken hin, um sich tätscheln zu lassen. Auch du bist ein Wanderer, dachte Floyd, in einem weiten, weglosen Ozean; aber wie klein scheint dein winziger Pazifik gegen die Unendlichkeit, der ich jetzt gegenüberstehe!

Caroline bemerkte, dass er sie ansah, und stand auf. Sie schaute ihn traurig, aber ohne Zorn an; der war in den letzten paar Tagen aus ihr herausgebrannt worden. Als sie näher kam, brachte sie sogar ein wehmütiges Lächeln zustande.

»Ich habe das Gedicht gefunden, nach dem ich gesucht habe«, sagte sie. »Es fängt so an:

 

Verdient's eine Frau, dass du sie verlässt,

Von Herd und Feuer und Heimstatt abstehst,

Weil du mit dem altgrauen Witwenmacher gehst?«

 

»Entschuldige – ich verstehe nicht ganz. Wer ist denn der Witwenmacher?«

»Nicht wer – was. Das Meer. Das Gedicht ist die Klage einer Wikingerfrau. Rudyard Kipling hat es vor hundert Jahren geschrieben.«

Floyd nahm die Hand seiner Frau; sie kam ihm nicht entgegen, wehrte sich aber auch nicht.

»Nun, wie ein Wikinger komme ich mir wirklich nicht vor. Ich bin nicht auf Beute aus, und Abenteuer sind das allerletzte, was ich suche.«

»Warum dann – nein, ich will nicht schon wieder Streit anfangen. Aber es würde uns beiden nützen, wenn dir deine Motive klar wären.«

»Ich wünschte, ich könnte dir einen einzigen guten Grund nennen. Statt dessen habe ich einen ganzen Rattenschwanz von kleinen. Aber sie summieren sich zu einer letzten Antwort, der ich nichts mehr entgegenzusetzen habe – glaube mir.«

»Ich glaube dir ja. Aber bist du sicher, dass du dir nicht selbst etwas vormachst?«

»Wenn ich das tue, dann tun das auch eine Menge anderer Leute. Einschließlich, wenn ich dich daran erinnern darf, des Präsidenten der Vereinigten Staaten.«

»Das werde ich nicht so leicht vergessen. Aber nimm einmal an – nimm nur einmal an –, er hätte dich nicht gefragt. Hättest du dich freiwillig gemeldet?«

»Darauf kann ich dir wahrheitsgemäß antworten: Nein. Das wäre mir nie in den Sinn gekommen. Als Präsident Mordecai mich berief, war das der größte Schock meines Lebens. Aber als ich darüber nachdachte, sah ich ein, dass er völlig recht hatte. Du weißt, ich halte nichts von falscher Bescheidenheit. Ich bin für diese Aufgabe am besten qualifiziert – falls die Weltraumärzte ihre endgültige Zustimmung geben. Und du müsstest eigentlich wissen, dass ich immer noch recht gut in Form bin.«

Damit lockte er das Lächeln hervor, auf das er spekuliert hatte.

»Manchmal frage ich mich, ob du es nicht doch selbst vorgeschlagen hast.«

Der Gedanke war ihm tatsächlich gekommen, aber er konnte aufrichtig antworten.

»Das hätte ich nie getan, ohne mit dir darüber zu sprechen.«

»Ich bin froh, dass du es nicht getan hast. Ich weiß nicht, was ich gesagt hätte.«

»Ich könnte immer noch ablehnen.«

»Jetzt redest du Unsinn, und das weißt du auch. Selbst wenn du es tätest, würdest du mich für den Rest deines Lebens hassen – und dir selbst würdest du nie verzeihen. Du hast ein zu starkes Pflichtgefühl. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum ich dich geheiratet habe.«

Pflicht! Ja, das war das Schlüsselwort, und wie viele verschiedene Dinge es doch umfasste! Er hatte eine Pflicht gegenüber sich selbst, seiner Familie, der Universität, seinem ehemaligen Posten (auch wenn er ihn in Ungnade verlassen hatte), seinem Land – und der Menschheit. Es war nicht leicht, die Prioritäten zu setzen; und manchmal gerieten sie in Konflikt miteinander.

Es gab völlig logische Gründe, warum er an dieser Mission teilnehmen sollte – und gleichermaßen logische Gründe, auf die viele seiner Kollegen schon hingewiesen hatten, warum er es nicht tun sollte. Aber letztlich hatte er die Entscheidung wohl doch mit dem Herzen getroffen, nicht mit dem Verstand. Und selbst hier drängten ihn seine Gefühle in zwei entgegengesetzte Richtungen.

Neugier, Schuldgefühl, der Entschluss, eine Aufgabe zu Ende zu führen, die schlimm verpfuscht worden war –––