John De Lancie, der Darsteller des Q in STAR TREK – THE NEXT GENERATION, hat gemeinsam mit Bestsellerautor Peter David einen der witzigsten STAR TREK-Romane aller Sternzeiten verfasst.
Q, das nahezu allmächtige Wesen aus dem gleichnamigen Kontinuum, verliert seine gottähnlichen Fähigkeiten. Und das ausgerechnet in dem Augenblick, als das Universum in sich zusammenstürzt.
Q wäre nicht Q, wenn er das Ende der Welt und seiner persönlichen Macht ohne weiteres hinnehmen würde. Doch die anderen Mitglieder des Q-Kontinuums scheinen sich gegen ihn verschworen zu haben. Deshalb bleibt Q nichts anderes übrig, als eine »primitive Lebensform« um Hilfe zu bitten: Captain Jean-Luc Picard …
Über das Buch
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
JOHN DE LANCIE & PETER DAVID
ICH, Q
Star Trek™
The Next Generation
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
www.diezukunft.de
Es schien keinen Grund zu geben weiterzumachen.
Die Planeten … Die Planeten hatten sie fasziniert. Früher einmal.
Sie hatte über jene Wunder der natürlichen Konstruktion nachgedacht, die in entspannten elliptischen Bahnen ihre jeweiligen Sonnen umkreisten. Offenbar zeichneten sie sich durch eine unendliche Vielfalt aus. Sie waren groß und klein, manche von Ringen umgeben, die das schwache Licht der Zentralgestirne einfingen und es glitzernd reflektierten. Manche waren kalt, Eiskugeln im All, während auf anderen heftige vulkanische Aktivität herrschte, die ihre Oberflächen brodeln ließ, wodurch sie fast lebendig wirkten. Zwischen diesen Extremen spannte sich ein breites Spektrum von möglichen Zuständen: gemäßigtes Klima, trocken, üppiges Grün, flach und öde. Ein unendliches Angebot von Planeten, aus dem man frei wählen konnte …
Aber. Aber, aber, aber …
Sie hatte es satt, Ausschau zu halten. Die unendliche Auswahl wurde monoton. Große Welten, kleine Welten, bewohnbar, unbewohnbar … Was spielte es für eine Rolle? Die Vielfalt war so enorm, dass die Unterschiede paradoxerweise an Bedeutung verloren.
Natürlich gab es das Multiversum. Das Multiversum hatte sie ebenfalls fasziniert. Früher einmal.
Damals wäre sie imstande gewesen, sich eine Ewigkeit lang mit seinen Geheimnissen zu befassen und ganze Äonen damit zu verbringen, über seine unendlichen Aspekte nachzudenken. Sie sah ungezählte Möglichkeiten, die sich gleichzeitig und auf eine atemberaubende Weise entfalteten, als eine Prozession von Realitäten. In einem Universum führte ein bestimmtes Ereignis zum Krieg. In einem anderen bot der gleiche Vorgang die Grundlage für einen dauerhaften Frieden. Zahllose Ereignisse bewirkten zahllose Realitäten, verhielten sich wie kosmische Dominosteine. Ja, es konnte sehr interessant sein, so etwas zu beobachten.
Manchmal hatte sie Gefallen daran gefunden, sich mit einer einzelnen – zufällig ausgewählten – Galaxie in einem der vielen Universen zu beschäftigen, aus dem das Multiversum bestand.
Sie lebte in allen Zeiten gleichzeitig und konnte daher Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf einmal untersuchen, um den zarten Fäden im Gewebe der Ewigkeit zu folgen. Gelegentlich kehrte sie zurück, um mehr über die Entwicklung einer Galaxie oder gar einer einzelnen Welt herauszufinden. Oder sie wählte einfach einen Planeten aus und beobachtete, was auf ihm geschah. Trotz ihres grenzenlosen Wissens verhinderten die Umstände manchmal, dass sie einen Blick in die Zukunft warf, und dann mochte sie ein bestimmter Aspekt der planetaren Entwicklung überraschen. Dann und wann behielt sie die Evolution mehrerer Welten im Auge, verglich sie miteinander und freute sich über die Unterschiede.
Aber. Aber, aber, aber …
Sie hatte es satt, Ausschau zu halten. Denn inzwischen wusste sie, dass nichts eine Rolle spielte. Es würde nie etwas wirklich Wichtiges passieren, denn es gab nichts Absolutes, mit einer Ausnahme vielleicht: Das Multiversum war absolut langweilig geworden. Da alles passieren konnte, erschien alles sinnlos.
Natürlich gab es Personen. Individuen hatten sie fasziniert. Früher einmal.
Manche Individuen waren so durch und durch niederträchtig, dass sie nie einen Beitrag für das gemeinsame Wohl leisteten – von solchen Leuten ging nichts Positives aus. Andererseits existierten auch Individuen von solcher Lauterkeit, dass sie unfähig waren, jemand anders ein Leid zuzufügen.
Natürlich kam es vor, dass die Bösen manchmal jemanden umbrachten, der noch böser war als sie selbst, und auf diese Weise verhinderten sie größeres Unheil. Und gelegentlich halfen die Lauteren jemandem, der keine Hilfe verdiente, wodurch der Betreffende die Möglichkeit bekam, noch viel mehr Schaden anzurichten. Eine seltsame Ironie, vergleichbar damit, dass das Wort ›Vers‹ in ›Multiversum‹ enthalten war – ebenso wie in ›pervers‹.
Aber. Aber, aber, aber …
Im Multiversum gab es nichts, worauf man sich wirklich verlassen konnte, nichts, das die Funktion von Grundgestein erfüllte. Das Zentrum wurde instabil, und das großartige Experiment des Multiversums erwies sich als ein katastrophaler Fehlschlag.
Leben. Das Leben hatte sie fasziniert. Früher einmal.
Die Vielfalt des Lebens war grenzenlos. In einer Galaxie gab es ein so altes Volk, dass es vergessen hatte, lebendig zu sein. Eine andere diente als Heimstatt von Wesen, die allein aus Gedanken bestanden. In einer dritten hielten sich bestimmte Geschöpfe für dominant, ohne zu ahnen, das eine viel höher entwickelte, mikroskopische Spezies in Form unentdeckter Entitäten im Bewusstsein eben jener ›überlegenen‹ Wesen existierte. Jeder Krieg, jede Entdeckung, jeder Schritt vor oder zurück – alles war Ausdruck des kollektiven Lebens einer Spezies, von der das andere, ach so hoch entwickelte Volk nie etwas ahnen würde.
Doch wie sehr sich die einzelnen Lebensformen auch voneinander unterschieden, sie alle strebten nach den gleichen Dingen: Überleben, Glück – in dieser Hinsicht gingen die Vorstellungen weit auseinander –, Fortpflanzung, gutes Essen, gute Gesellschaft, gutes … Leben.
Aber. Aber, aber, aber …
Sie waren so verdammt laut!
Zu Beginn wimmelte es im Multiversum nicht von Leben. Eine herrliche, wundervolle Stille herrschte. Damals war es möglich, in aller Ruhe nachzudenken, sich umzusehen und das Multiversum als solches zu bewundern. Unglücklicherweise blieb es nicht bei diesem Zustand. Mehr Leben entwickelte sich, eins nach dem anderen, bis das Multiversum zu einer Kakophonie aus Stimmen wurde, die voller Freude schrien oder protestierend kreischten. Es war eine störende und sehr ärgerliche Angelegenheit, und oft sehnte sie sich nach der Situation zu Beginn zurück.
Sie stand jetzt an einem Strand und dachte darüber nach, alles zu beenden.
Sie mochte den Strand. Es gefiel ihr, wie das Wasser ans Ufer platschte und den Sand liebkoste. Ihr gefiel der Horizont dort, wo der rosarote Himmel den Ozean berührte, oder das Land. Nun, das war natürlich ein wenig abstrus, denn eigentlich trafen sie gar nicht aufeinander. Es hatte nur den Anschein.
Und genau darin bestand das Problem, nicht wahr? Die Realität zeichnete sich durch eine bemerkenswert subjektive Natur aus. Eigentlich beschränkte sich ihre Bedeutung auf die eines Begriffes, der von geringeren Wesen geprägt worden war, von Geschöpfen, denen eine Vorstellung vom ›Sein der Dinge‹ fehlte. Das Multiversum präsentierte eine sehr eindrucksvolle Illusion der Realität – ein Gedanke, der sie an diesem besonders verhängnisvollen Morgen noch depressiver werden ließ.
Der Himmel war jetzt dunkelblau – vielleicht spiegelte er ihre wachsende Verzweiflung wider. Sie erlaubte dem Sand, zwischen ihre Zehen zu geraten. Die Zehen hatten ihr nie gefallen. Sie waren zu lang, nicht ›weiblich‹ genug. Solche Zehen standen eigentlich einem Mann zu.
Mit dem Rest von ihr war sie mehr oder weniger zufrieden: lange, wohlgeformte Beine, die Hüften hübsch rund, die Brüste fest. Kleidung trug sie nicht; auf solche Dinge konnte sie getrost verzichten. Ein leichter Wind strich ihr übers lange Haar und streichelte die Schultern. Es fühlte sich angenehm an … Aber welchen Sinn hatte es, wenn sich irgendetwas angenehm anfühlte? Früher oder später endete ein solches Empfinden, wie auch alles andere. Alles musste irgendwann ein Ende finden.
Sie sank auf die Knie und baute eine Sandburg. Es war eine imposante Konstruktion. Mit großer Sorgfalt entwarf sie die Türme, schuf sogar einen Hof und einen Burggraben. Schließlich wich sie zurück, setzte sich auf die Fersen und beobachtete ihr Werk, während der Himmel noch dunkler wurde.
Das Wasser stieg, strömte durch den vorbereiteten Kanal und füllte den Burggraben. Der Graben schien den Belastungen zunächst standhalten zu können, und die Burg wirkte wie ein selbst für die Flut unüberwindliches Bollwerk.
Aber nach einer Weile gab das Fundament nach, so wie alle Dinge früher oder später nachgaben.
Sie beobachtete das kleine Drama, während sie einige Meter entfernt saß, mit angezogenen Beinen, die Arme um die Knie geschlungen.
Es dauerte nicht lange, bis die ganze Burg zusammenbrach. Die stolzen Türme verschwanden im Wasser, und von den uneinnehmbar scheinenden Wällen blieb nichts übrig.
Die Flut stieg auch weiterhin.
Sie beobachtete noch immer.
Das dunkle Wasser verharrte dicht vor ihr, berührte zwar die Zehen, wagte sich aber nicht näher. Sie blieb sitzen, unbeweglich wie eine Statue. Irgendwann wich das Wasser zurück, und sie sah dorthin, wo sich die Sandburg befunden hatte. Jetzt zeigte sich dort nur eine Mulde, in der ein wenig Treibgut schwamm.
Der Anblick gefiel ihr, und Anblicke, an denen sie Gefallen fand, waren sehr selten geworden.
Sie sah nach oben, ihre Augen so dunkel wie der Himmel. Treibgut, ja. Eine Mulde mit Treibgut. Darauf lief es hinaus. Ja. Ja, auf diese Weise würde alles enden. Natürlich konnte sie nicht absolut sicher sein. Immerhin war dies das Multiversum, und was darin geschah, blieb subjektiver Natur, stellte sich immer wieder selbst in Frage.
Das mochte der lästigste Aspekt sein. Die ewige Unsicherheit, die vergebliche Suche nach Konstanz, das dauernde Rätselraten. Damit ging mehr Gram einher, als sie sich wünschte, als sich irgendjemand wünschen konnte. War es nicht besser, wenn alles ein friedliches Ende fand?
Sie stand auf und trat dem Meer einen Schritt entgegen. Es wurde Zeit. Einerseits schenkte ihr der Ozean überhaupt keine Beachtung, doch andererseits schien er ihr entgegenzufluten, als könnte er es gar nicht abwarten, dass sie Teil von ihm wurde. Sie trat noch einen Schritt näher, und das Wasser zeigte seine Aufregung, umspülte ihre Füße. »Komm zu mir«, schien es zu sagen. »Komm zu mir und beende alles.«
Ein dritter Schritt, ein vierter, ein fünfter …
Und dann …
Sie trat auf etwas.
Sie blieb stehen und blickte nach unten. Das Objekt steckte halb im Sand und bestand offenbar aus Glas …
Eine Flasche.
»Eine Flasche?«, fragte sie laut. Seit einer ganzen Weile waren es die ersten Worte, die sie aussprach. Sie kniete und griff nach der Flasche, die etwas enthielt: eine Schriftrolle, eine Nachricht.
Das weckte ihr Interesse. Ein Stöpsel verschloss die Flasche, und sie brauchte einige Momente, um den Korken aus dem Flaschenhals zu lösen. Erstaunlicherweise war mit diesem Vorgang ein hohes Maß an Aufregung verbunden. Woher kam die Nachricht? Und von wem? Wie hatte sie diese ferne Küste erreicht, und welche Bedeutung verbarg sich dahinter?
Mit einem sehr zufriedenstellenden Geräusch löste sich der Korken, und sie schob die Finger in den schmalen Flaschenhals, um die Schriftrolle herauszuziehen. Das erwies sich als überraschend schwierig. Mehrmals berührten ihre Fingerspitzen das Papier, doch immer wieder rutschte die Rolle in die Flasche zurück. Ein oder zwei Sekunden lang dachte sie daran, den gläsernen Behälter einfach zu zertrümmern, doch sie entschied sich dagegen. Aus irgendeinem Grund erschien es ihr wichtig, dass die Flasche intakt blieb.
Schließlich bekam sie die Schriftrolle doch noch zu fassen und zog sie vorsichtig durch den Flaschenhals. Das Papier war sehr trocken, fast spröde, und es ließ sich kaum entrollen. Wie lange mochte es sich in der Flasche befunden haben? Sie versuchte, die Rolle auf dem Sand zu glätten, doch das erwies sich als unmöglich. Schließlich rollte sie das Papier in die entgegengesetzte Richtung, damit die einzelnen Blätter einigermaßen flach blieben. Die Schrift war gut lesbar, und mit einem kurzen Blick stellte sie fest, dass es sich um eine Erzählung handelte. Ja, um eine Erzählung!
Und um eine sehr erstaunliche noch dazu. Von vielen Dingen war die Rede, die sie bereits kannte, aber es gab auch Neues. Etwas zu entdecken, das sich außerhalb ihres eigenen Wissens erstreckte – eine überaus erfrischende Erfahrung! Sie las schnell … von der Gruppe, der großen Grube … dem aufregenden Vorstoß in die Tiefe … den Prüfungen … dem Aufruhr … dem schrecklichen Kampf auf dem Zug … dem Wiedersehen des Vaters mit seinen Lieben … den schreienden Stimmen …
Sie hielt kurz inne, um sich zu sammeln. Angesichts ihrer nichtlinearen Existenz umfasste ihre Wahrnehmung alle Ereignisse, ganz gleich, wo und wann sie sich zutrugen. Normalerweise wählte sie einfach etwas Interessantes aus, ohne befürchten zu müssen, irgendetwas zu verpassen – sie konnte jederzeit in der Zeit nach vorn oder zurück springen, um feststellen, wie sich etwas entwickelte.
Sie spielte kurz mit dem Gedanken, einen solchen Sprung in die Zukunft durchzuführen, um das Ende der Geschichte herauszufinden. Doch letztendlich widerstand sie der Versuchung. Stattdessen ließ sie sich auf dem Strand nieder und glättete die Blätter auf ihren bloßen Oberschenkeln. Trotz der kleinen Schrift waren es ziemlich viele Seiten – der Autor hatte offenbar viel zu sagen.
Der dunkle Himmel hing tief und erweckte den Eindruck, sich um wichtige Dinge kümmern zu müssen, was er jedoch nicht wagte, bevor sie die Erlaubnis gab. Aber derzeit galt ihre Aufmerksamkeit anderem.
Noch einmal glitten ihre Fingerkuppen über den Rand des Manuskripts, um sich zu vergewissern, dass alle Blätter richtig angeordnet waren. Dann konzentrierte sie sich auf die Erzählung, während der Rest des Universums wartete …
Die Geschichte begann so …
Ich, Q … Mein Instinkt veranlasst mich, mit mir selbst zu beginnen.
Es ist ein natürlicher Instinkt, denn immerhin existiere ich seit dem Anfang. Ich bin dabei gewesen, solange ich mich zurückerinnern kann, solange sich irgendjemand zurückerinnern kann. Bis zum heutigen Tag – wenn man dies als Tag bezeichnen kann – bin ich davon überzeugt gewesen, dass es mich immer geben wird. Allerdings: ›Für immer‹ ist eine sehr, sehr lange Zeit. Man denkt nicht übers Ende nach, denn so etwas ist für jemanden wie mich praktisch undenkbar.
Und wenn das Ende schließlich kommt, wenn uns das Schicksal zum Abgrund führt, zum Rand des Jenseits … Ich habe immer angenommen, zusammen mit meinen mächtigen Artgenossen eine letzte Barriere errichten zu können. Jeder von ihnen ist auch allein imstande, mit allem fertig zu werden. Wenn ein ganzes Kontinuum aus unendlich mächtigen Individuen besteht, so sollte man eigentlich annehmen – da ist das Wort schon wieder –, dass die gesamte Realität nichts enthält, was sich unserem kollektiven Willen widersetzen kann, abgesehen vielleicht von einem zahnenden Zweijährigen, aber so etwas kommt einem ganz besonderen Albtraum gleich.
Bei den häufig sehr lästigen Menschen gibt es eine Redensart. Nun, eigentlich kennen sie ziemlich viele Redensarten. Als Volk sind sie vollgepfropft mit Sprüchen und Aphorismen in Hinsicht auf alle Umstände, die sich Sterbliche vorstellen können – was nicht unbedingt viel bedeuten muss. Irgendwo heißt es bei ihnen: »Wer zu viel annimmt, muss nachher zu viel abgeben.« Das ist ein gutes Beispiel dafür, mit wie viel Intelligenz Menschen gesegnet sind. Wie dem auch sei: Ich weiß aus Erfahrung, dass man tatsächlich nicht zu viel annehmen sollte …
Ach, er sollte sich was schämen! Bestimmt geht Ihnen ein solcher Kommentar durch den Kopf. Er sollte nicht mit sich selbst anfangen. Wie unhöflich und dünkelhaft. Stattdessen sollte er mit Jean-Luc Picard und seinem Taschenrechner Data beginnen. Na schön, meinetwegen.
Sie angelten an dem Tag, als das Ende Von Allem ihre Aufmerksamkeit erregte. Natürlich hatten sie keine Ahnung, was wirklich geschah, denn …
Ach, zum Teufel damit! Sie sind langweilig. Entschuldigung, aber es ist wahr. Zugegeben, sie können recht nützlich sein, und bei unserem Versuch, das Ende hinauszuschieben, war das zweifellos der Fall. Aber Tatsache bleibt, dass ich viel interessanter bin als sie, und wenn diese Erzählung auch nur halbwegs unterhaltsam sein soll, so muss ich für eben jene Unterhaltung sorgen, indem ich zuerst von mir selbst berichte.
Ich, mir, mich … Drei der schönsten Worte in jeder beliebigen Sprache.
Mir ist aufgefallen, dass viele Bücher über mich geschrieben wurden. Einige von ihnen erschienen auf der Erde, denn Menschen scheinen mir mit einer Neugier zu begegnen, die an Besessenheit grenzt.
Ich muss sagen, dass ich die Menschen recht faszinierend finde. Gelegentlich neige ich dazu, die Dinge aus ihrer Perspektive zu sehen und sogar ihre Redewendungen und Metaphern zu verwenden – wie zuvor der Hinweis auf den zahnenden Zweijährigen. Man hätte meinen sollen, dass es mir gelingen würde, sie auf ein höheres Niveau zu bringen; stattdessen haben sie mich zu sich herabgezogen. Wie jämmerlich. Es gibt auch Publikationen auf anderen Welten, die ich besuchte und wo man meine Aktivitäten durchweg falsch verstand. Natürlich habe ich volles Verständnis dafür. Ein Wesen wie mich zu verstehen … Genauso gut könnte ein Paläontologe versuchen, einen Dinosaurier zu verstehen, indem er eine fossile Spur betrachtet.
Man nehme nur die Bewohner von Kangus IV. Sie sind ein ausgesprochen deprimiertes Volk, in dessen Vorstellungswelt der Tod einen wichtigen Platz einnahm. Eine der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen bestand darin, das kollektive Bewusstsein mit einer großen Maschine zu verbinden, die die Vernichtung ihrer Heimatwelt simulierte. Der Apparat erlaubte es den Benutzern, ohne Gefahr für die eigene Person Erdbeben, Taifune, Hungersnöte, Kriege und so weiter zu erleben. Die Darstellungen waren so realistisch, dass die mit der Maschine verbundenen Leute wirklich glaubten, unter ihnen öffnete sich der Boden, um sie alle zu verschlingen. Welch ein Spaß! Nach den Simulationen stolperten sie in den Sonnenschein hinaus, mit der festen Absicht, die nächste Gelegenheit für eine neuerliche Verbindung mit der Maschine zu nutzen. Sie bezahlten auch noch dafür, schmälerten ihr Einkommen für einen dauernden Zustand der Furcht.
Ich bemerkte ihren eigentümlichen Zeitvertreib und beschloss, den größten Wunsch der Kangusaner zu erfüllen, indem ich ihre Welt zerstörte. Eigentlich hätten sie begeistert sein sollen. Mir bereitete es natürlich keine Mühe, aber zu meinem großen Erstaunen kam es bei der Vernichtung des Planeten zu so viel Entsetzen und Zähneklappern, dass ich mich verpflichtet fühlte, die Welt wieder zusammenzusetzen. Die echte Erfahrung erschreckte sie so sehr, dass sie sich nie wieder mit der großen Maschine verbanden. Daran gab es eigentlich nichts auszusetzen, wenn man einmal davon absah, dass es auf Kangus IV zu einem finanziellen Ruin kam, der die Bewohner dazu zwang, nach langer Zeit wieder miteinander zu reden.
Nun, diese kleine Abschweifung tut eigentlich nichts zur Sache.
Wie dem auch sei …
Es ist verständlich, dass man mich für faszinierend hält. Ich bin ein faszinierendes Individuum, insbesondere für die niederen Lebensformen, zu denen Jean-Luc Picard gehört. Es wurden Untersuchungskomitees gebildet, um herauszufinden, warum ich mich so verhalte, wie ich mich verhalte. Da wir gerade dabei sind … Auf Angus IV hält man mich für eine durch und durch böse Kraft, während man mich auf Terwil IX als ›Lachenden Gott‹ bezeichnet. Der Grund für diesen Spitznamen ist mir nicht ganz klar. Vielleicht glauben die Bewohner von Terwil IX, dass ich sie von irgendeinem Logenplatz aus beobachte und immer dann schallend lache, wenn in ihrem unbedeutenden kleinen Leben etwas schief geht. Seit zweitausend Jahren bin ich nicht einmal in der Nähe ihres kleinen Planeten gewesen, aber trotzdem glauben sie, ich sei auch weiterhin an ihnen interessiert. Aus irgendeinem Grund sind sie davon überzeugt, dass ich ihnen bei allen Dingen zusehe und jedes auch nur geflüsterte Wort von ihnen höre. Ich wage es nicht, ihnen die Wahrheit zu sagen, denn sonst malen sie sich vielleicht blau an und springen von der nächsten Klippe.
Wie ich schon sagte: Zahllose Bücher wurden über mich geschrieben, über meine Wenig…, Verzeihung, über meine Vielheit. Bei Starfleet entwickelt eine ganze Abteilung Abwehrpläne für den Fall, dass ich eines Tages auf der Erde erscheine. Bilder von mir – sie zeigen mich so, wie ich niederen Lebensformen erscheine – werden so herumgereicht wie Fahndungspläne in einem galaktischen Postamt. Ein Gestaltwandler namens Zir/xel führte ein sehr bequemes Leben, indem er sich einfach an verschiedenen Orten in meiner Gestalt zeigte. In den meisten Fällen bekam er, was er verlangte, doch eines Tages wurde er erschossen, von einem verzweifelten Individuum, das wirklich glaubte, auf mich zu schießen. Auf mich! Als sei es möglich, meine Person auf diese Weise auszulöschen. Das Universum steckt voller Idioten, und zwar auf beiden Seiten der Gleichung.
Verschiedene Leute zeigen unterschiedliche Reaktionen auf das Konzept von ›Göttern‹. Manche ehren ihren Gott mit friedlichen Gebeten, ziehen sich in Klöster zurück oder widmen ihr Leben der Hilfe von Bedürftigen. Andere führen Kriege und stapeln Leichen so hoch aufeinander, dass man meinen sollte, die betreffenden Götter in ihrem Himmel hätten irgendwann die Nase voll und würden alle ins Jenseits schicken. Leben und Tod, Krieg und Frieden, alles zu Füßen eines überlegenen Wesens. Und da ich ein überlegenes Wesen bin, verstehe ich natürlich, warum die niederen Lebensformen so sehr jenen gefallen wollen, die sie verehren. Aber offenbar fühlten sie sich keineswegs schuldig, wenn sie logen, betrogen, stahlen und die ältesten Sünden der Welt in einem neuen Kontext begingen, bei ebenso langweiligen wie sinnlosen Versuchen, ihrem Gott zu gefallen. Oder ging es ihnen dabei vielleicht um die eigene Person? Darüber bin ich mir noch nicht ganz klar geworden. Und was hat Liebe damit zu tun? Da muss ich passen! Ha …
Erlauben Sie mir, mich vorzustellen. Ich bin Q. Meine Freunde, Verwandten und Bekannten nennen mich: den Wundervollen, den Herrlichen, das Lebende Ende. Meine Heimat ist eine Sphäre, die man das Q-Kontinuum nennt, ein Ort, der bereits existierte, noch bevor die Zeit zur Zeit wurde. Es ist unser Los, zu untersuchen, zu experimentieren und das Bild im großen Wandteppich des Universums zu erkennen. Mit anderen Worten: Wir stoßen kühn dorthin vor, wo noch nie jemand gewesen ist. So war es wenigstens zu Anfang. Inzwischen hat sich die Sache ein wenig geändert – manche würden in diesem Zusammenhang von einer Mutation oder Rückentwicklung sprechen. Heute geben sich die anderen Q damit zufrieden, im Schaukelstuhl des Lebens zu sitzen und zu beobachten, wie das Universum an ihnen vorbeistreicht.
Ich habe so etwas nie für sehr stimulierend gehalten, und deshalb führe ich das fort, was ich für die wahre Aufgabe unseres Kontinuums halte: Dinge in Frage zu stellen, Unruhe zu schaffen, Witze zu reißen, kühn dorthin vorzustoßen … Verzeihung. Diese Worte habe ich bereits benutzt. Ich wiederhole mich. Wie schrecklich fehlbar. Nun, ich bin eben zu lange in der Gesellschaft von Menschen gewesen.
Geringere Geschöpfe – und davon gibt es jede Menge – fühlen sich in meiner Nähe unwohl, weil ich sie an ihre Mängel erinnere. Ich versuche, sie auf eine höhere Entwicklungsstufe zu bringen, wobei ich mich natürlich nicht eine Sekunde lang der Illusion hingebe, dass sie mein Niveau erreichen könnten. Aber manchmal bekommen sie eine vage Vorstellung davon, was es mit meinem Niveau auf sich hat. Dann erhalten sie Gelegenheit, vom Pissoir des Lebens aufzusehen und über den Boulevard zu blicken, wenn auch nur für einen Moment. Deshalb ärgert es mich so sehr, wenn mir dann und wann ein Fehler unterläuft. Nun, wer sich zu den Schweinen legt, muss damit rechnen, schmutzig zu werden, nicht wahr?
Eine weitere nützliche Information ist diese: Ich bin allmächtig. Manche halten das für eine üble Sache, aber ich bin anderer Meinung. Ich kann mir jeden Wunsch erfüllen, einfach nur mit der Kraft meines Willens. Gewisse Leute moralisieren gern über mein Verhalten, als gäbe es darin Aspekte von Richtig und Falsch. Eine derartige Ansicht teile ich nicht. Richtig? Falsch? Das sind triviale Begriffe, geprägt von Personen, die an dem Zwang leiden, ständig kategorisieren zu müssen. Ich entscheide ganz allein über mein Handeln und bin nur mir selbst verantwortlich. In dieser Hinsicht könnte man mich fast als eine Naturkraft bezeichnen. Niemand fragt nach der Ethik eines Orkans, Erdbebens oder Ionensturms. Diese Phänomene existieren einfach. Das gilt auch für mich. Ich stehe über Gut und Böse. Es hat keinen Sinn, mich beurteilen, messen und bewerten zu wollen, und ich gehöre sicher nicht zu den Leuten, deren Zorn man sich zuziehen sollte. Mit anderen Worten: Treten Sie mir nicht auf die Füße.
Ich reise, ich teste und mit ein wenig Glück gelingt es mir, die eine oder andere Spezies auf eine höhere Entwicklungsstufe zu bringen.
In diesem Zusammenhang gibt es ein spezielles Individuum, zu dem ich mich immer wieder hingezogen fühle – abgesehen von mir selbst. Der Mann heißt Jean-Luc Picard, ist in mittleren Jahren und kahlköpfig. Er spricht mit einem sonderbaren Akzent und beaufsichtigt die Aktivitäten an Bord des Raumschiffs Enterprise. Die Enterprise gehört zu einer Organisation namens Starfleet und ist ihr Flaggschiff. Man stelle sie sich gewissermaßen als die beste Ameise des Ameisenhaufens vor.
Als ich Picard zum ersten Mal begegnete, erschien er mir als unerträglich anmaßend. Ich war fest davon überzeugt, dass er den einen oder anderen Dämpfer verdiente. Arrogante Selbstsicherheit, die feste Zuversicht in seine Fähigkeit, alle Seiten eines bestimmten Problems erkennen und dann die ›für alle Beteiligten beste Lösung‹ finden zu können … Damit symbolisierte Picard genau das, was mit den Menschen nicht stimmte. Zwar sind jene Eigenschaften auch in mir vorhanden, aber in meinem Fall haben sie durchaus eine Rechtfertigung. Wie ärgerlich, wenn ein kurzlebiger Winzling herumstolziert und sich wichtig macht – aber das ist ein Punkt, der nicht an dieser Stelle erörtert werden soll.
Menschen. Wenn ich anfange, von ihnen zu reden … Mist, jetzt ist es zu spät.
Die Menschen sind eine bemerkenswert aggressive und gewalttätige Spezies. Sie breiten ihre barbarischen Philosophien mit der gleichen Selbstvergessenheit in der Galaxie aus, mit der sie tödliche Viren verteilen. Der angerichtete Schaden kümmert sie nicht. Der Umstand, dass die Menschen bis heute überlebt haben, kommt einem Wunder gleich. Wir vom Q-Kontinuum haben oft hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit ihres Aussterbens Wetten abgeschlossen. Ich erinnere mich daran, völlig sicher gewesen zu sein, dass die Menschen das Mittelalter nicht überstehen würden, und es war eine große Überraschung für mich, als ihnen das doch gelang. In gewisser Weise sind Menschen wie Kakerlaken: Sie überleben unter den unmöglichsten Umständen, und zwar mit einer Entschlossenheit, die ans Übernatürliche grenzt.
Natürlich habe ich sie mit der Verachtung behandelt, die eine so niedere Lebensform verdient.
Und doch …
So schwer es mir auch fällt, es zuzugeben: Manchmal bewundere ich ihren Schneid.
Stellen Sie sich einen eher rüpelhaften Burschen vor, der ungebeten in eine Party platzt und einfach behauptet, die Einladungskarte vergessen zu haben. Man ermahnt ihn zuerst auf freundliche Art und dann mit immer mehr Nachdruck, aber er bleibt. Natürlich ist er ein Ärgernis, aber man empfindet so etwas wie widerstrebende Bewunderung angesichts von so viel Begriffsstutzigkeit. Meine Freunde, ich habe Ihnen gerade einen typischen Menschen beschrieben: Er verhält sich wie ein unbedarfter Partybesucher, der selbst eindeutige Hinweise nicht versteht.
Bei zahlreichen Gelegenheiten habe ich zu erklären versucht, warum es für Menschen weitaus besser wäre, wenn sie auf ihrem armseligen kleinen Planeten blieben. Manche Leute wie zum Beispiel Picard glauben, ich wollte der Menschheit ungerechterweise Beschränkungen auferlegen. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Menschen verstehen das Konzept der Forschung genau falsch herum. Um zu wachsen, sich zu entwickeln und mehr zu lernen, halten sie es für erforderlich, sich in die Leere zu stürzen und herauszufinden, »was sich dort draußen befindet«. Und sie haben es alle so ungeheuer eilig! Die Wahrheit ist: Ihre eigene kleine Welt bietet ihnen genug Möglichkeiten, nach Herzenslust zu forschen und die eigene Entwicklung voranzutreiben. Sie sollten den Blick nicht nach außen richten, sondern nach innen, um zu verstehen, wo sie gewesen sind – erst dann können sie erkennen, welchen Weg es zu beschreiten gilt. Doch wenn man Picard hört … Er glaubt, dass die Menschheit alle ihre kleinen Schwächen überwunden hat und bereit ist, ihren Platz im Universum einzunehmen. Doch vor weniger als einem Jahrtausend haben die Menschen ihre Erde für den Mittelpunkt der Galaxie gehalten! In vielerlei Hinsicht sind sie noch immer so egozentrisch. Manche von ihnen sind taktvoll genug, den Mund zu halten, wenn sie höher entwickelten Wesen begegnen, aber sie halten an der Überzeugung fest, sehr eindrucksvoll zu sein. Vermutlich stehen einige von ihnen auf dem Standpunkt, dass die Sonne nur deshalb auf- und untergeht, um ihnen einen Gefallen zu erweisen. Häufig kommen sie nicht einmal mit der eigenen Technik zurecht. Das erwies sich vor allem im zwanzigsten Jahrhundert als ein Problem, als sie die Atombombe entwickelten und so dumm waren, sie tatsächlich explodieren zu lassen. Sie erfanden den Videorekorder – und konnten ihn nicht programmieren! In zahllosen Wohnzimmern auf der Erde blinkten die Ziffern ›12:00‹ und verspotteten den angeblichen ›technischen Fortschritt‹.
Aber wie ich bereits sagte: Der Umstand, dass die Menschen ihre eigenen Beschränkungen hartnäckig ignorieren, weckt so etwas wie widerwillige Bewunderung in mir. Was Picard betrifft … Nun, einst begegnete ich ihm nur mit Verachtung. Doch wie ungern ich es auch zugebe: Heute ist mir klar, dass ich ihn vielleicht falsch eingeschätzt habe. Er gibt nicht einmal dann auf, wenn er weit unterlegen ist, und oft findet er einen Ausweg aus Situationen, die andere Personen für hoffnungslos halten würden. Mit erstaunlicher Halsstarrigkeit lehnt er es ab, sich zu ändern, und gleichzeitig räumt er stillschweigend ein, noch viel lernen zu müssen. Er steckt voller Widersprüche. Nun, das ist auch bei mir der Fall. Und bei allen anderen denkenden Individuen, denn wir alle müssen uns veränderten Situationen anpassen. In einem Universum mit endlosen Möglichkeiten gibt es nichts Unnatürlicheres als die Weigerung, sich anzupassen.
Ja. Ja, nun … Da wir schon einmal bei diesem Thema sind und der Druck im Kessel immer mehr steigt … Ich schätze, wir müssen wohl oder übel mit Picard beginnen. Von einem narrativen Standpunkt aus gesehen ergibt das durchaus einen Sinn. Außerdem sollte man immer versuchen, vom Niederen zum Höheren vorzustoßen. Wir beginnen also mit Picard und kommen dann zu mir.
Nun, vielleicht fragen Sie sich, woher ich weiß, was Picard an dem Morgen anstellte, an jenem verhängnisvollen Morgen, mit dem der letzte aller Tage begann. Vermutlich haben Sie von der literarischen Technik des allwissenden Erzählers gehört. Nun, ich eigne mich bestens dafür, diesen Titel in Anspruch zu nehmen, denn immerhin bin ich allwissend.
Kehren wir zur Geschichte zurück. Picard und Data angelten.
Vielleicht sollte ich an dieser Stelle Data vorstellen. Herr Taschenrechner … Oh, ich unterbreche mich immer wieder, nicht wahr? Nun, das ist mein Privileg, aber nicht Ihrs – kommen Sie also nicht auf dumme Gedanken.
Data ist vermutlich das bemitleidenswerteste Geschöpf im ganzen Multiversum: ein Androide mit goldgelber Haut, dessen Stirn das tätowierte Wort ›wehmütig‹ zeigen sollte. Ich habe bereits auf meine Probleme mit den Menschen und ihren vielen Schwächen hingewiesen. Nun, wenn man Menschen als eine lächerlich anmaßende Spezies bezeichnen kann – was soll man dann von einem Wesen halten, dessen größter Wunsch darin besteht, ein Mensch zu sein? Ich finde so etwas unglaublich traurig.
Was die meisten Aspekte seiner Existenz betrifft, ist Data den Menschen weit überlegen. Er altert nicht, braucht keine Nahrung und wird nie krank. In intellektueller Hinsicht ist er selbst den intelligentesten Exemplaren der Gattung ›Homo sapiens‹ um Lichtjahre voraus. Selbst sein größter Mangel – das Fehlen von Emotionen – wird durch einen implantierten Chip ausgeglichen, der ihm die volle Bandbreite menschlicher Gefühle eröffnet. Dennoch glaubt er sich unterlegen. Er möchte wirklich zu einem Menschen werden und alle seine Vorteile aufgeben. Vorsichtig ausgedrückt: Sein Wunsch ist sehr kurzsichtig. Um deutlicher zu werden: Es ist ein absolut dämlicher Wunsch. Ich kann ihn mir nur damit erklären, dass sich Data zu lange in der Gesellschaft von Menschen aufgehalten hat. Es wäre weitaus besser für ihn, einen möglichst großen Abstand zu ihnen zu wahren. Er sollte mit einem alten Volvo schmusen, oder vielleicht mit einem elektrischen Bleistiftanspitzer! Aber ich weiß natürlich, dass so etwas in absehbarer Zeit nicht geschehen wird, und deshalb kann ich nur seufzen und über die ungeheure Verschwendung guter Ressourcen nachdenken, die Datas Wunsch repräsentiert.
An diesem besonderen Morgen befanden sich Picard und Data auf dem Holodeck der Enterprise. Sie verbringen viel Zeit zusammen: ein Junge und sein Computer. Das Holodeck dient dazu, persönliche Phantasien zu befriedigen; es lässt sich auf eine Unterhaltungsform namens ›Kino‹ zurückführen. Es gibt Menschen die Möglichkeit, ihre Umgebung vollkommen zu kontrollieren und in ihrer Gestaltung den eigenen Vorstellungen freien Lauf zu lassen. Mit anderen Worten: Auf dem Holodeck kann jede beliebige ›Realität‹ geschaffen werden. Der Umstand, dass es sich dabei immer um eine irreale Realität handelt, spielt letztendlich keine Rolle. Menschen verstehen die wahre Natur der Realität so wenig, dass es zwischen Holodecks und dem echten Universum ebenso gut überhaupt keine Unterschiede geben könnte. Solange sie sich einen Futterbeutel mit Popcorn um den Hals hängen und literweise Zuckerwasser schlürfen können, ist für sie mit der Welt alles in Ordnung.
Nun, zurück zum Holodeck. Picard und Data entspannten sich auf einer kleinen Yacht. Sie hieß Hornblower, ein Name, mit dem Picard sicher eine Bedeutung verband, auf den diese Geschichte aber getrost verzichten kann. Die See war ruhig, denn so entsprach es Picards Wunsch. Das Holodeck – der größte Luxus für jemanden, der immer versuchte, alle Aspekte der ihn umgebenden Welt zu kontrollieren. Eine solche Beschreibung traf sicher auf Picard zu. Ein blauer Himmel erstreckte sich über der Yacht, und Möwen kreisten weit oben. Picard lächelte, zufrieden mit seiner Welt.
Er saß auf einem bequemen Stuhl, der fest mit dem Deck verschraubt war. Die Angel ruhte vor ihm in einer speziellen Halterung und konnte leicht bewegt werden, sollte der ›große Fisch‹ anbeißen. Data nahm eine ähnliche Position ein. Doch während Picard gen Himmel sah, galt die Aufmerksamkeit des Androiden der Angelausrüstung. Schließlich bemerkte Picard Datas starren, an der Rute festklebenden Blick.
»Data«, sagte er mit einem vertrauten Hauch von Tadel in der Stimme, »eigentlich sind wir hier, um uns zu entspannen.«
»Oh?« Das positronische Gehirn des Androiden verarbeitete die beiläufig erteilte Anweisung des Captains. Er hätte sofort auf den Befehl reagiert, einen Kurs zum anderen Ende der Föderation zu berechnen. Doch die Order, sich zu ›entspannen‹, erforderte Datas ganze Elaborationskapazität, und er wirkte auch weiterhin ein wenig verwirrt. Nach einigen Sekunden faltete er die Hände und legte sie in den Schoß, um ›die richtige Position‹ einzunehmen. Als ihm das unzureichend erschien, schlug er die Beine übereinander und ließ gleichzeitig die Schultern hängen, wodurch er allerdings nur aussah wie eine Marionette mit durchgeschnittenen Fäden. Noch lächerlicher wirkte alles, weil er eine Uniform trug. Picard hatte wenigstens genug Sinn für Ästhetik, um die Kleidung des Captains gegen ein Polohemd, blaue Shorts und Sandalen einzutauschen.
»Ist das ausreichend entspannt, Captain?«
Picard setzte zu einer Antwort an, überlegte es sich dann aber anders und zuckte mit den Schultern. »Wenn es Ihnen genügt, Mr. Data, so genügt es auch mir«, sagte er.
Data spürte offenbar, dass der Captain mehr als nur eine bestimmte Körperhaltung von ihm erwartete. »Ich bitte um Entschuldigung, Sir. Mit dem Entspannen komme ich nicht besonders gut zurecht. Ich habe keine derartigen Bedürfnisse.«
»Es geht dabei um mehr als nur physische Entspannung, Data«, sagte Picard und blickte über den Ozean. »Der Geist ist ebenfalls daran beteiligt. Es kommt einer Kunst gleich, bei der es darum geht, sich von allen Sorgen zu befreien. Ob Sie's glauben oder nicht: Richtiges Entspannen kann ziemlich viel Arbeit erfordern. Sich einfach zurückzulehnen und an nichts zu denken …«
»Dazu bin ich durchaus imstande«, sagte Data.
»Tatsächlich?«
»Ja.« Datas Kopf kippte ein wenig zur Seite, und er starrte ins Leere.
»Data …«, fragte Picard vorsichtig.
Keine Antwort.
»Data?«
Der Androide reagierte nicht.
»Data!« Dicht vor Datas Gesicht schnippte Picard mit den Fingern. Der Androide blinzelte kurz und richtete einen überraschten Blick auf den Captain.
»Ist alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragte Picard.
»Ja«, bestätigte Data. »Ich dachte, es käme darauf an, auf keine externen Reize mehr zu reagieren.«
Picard lachte leise. »Ja, Data. Nur weiter so … nur weiter so.«
Data war verwundert, aber vermutlich hielt er es für sinnlos, das Gespräch fortzusetzen und sich dabei eine Erklärung zu erhoffen. Bei seinen Interaktionen mit Menschen habe ich zahllose Male beobachtet, wie Data auf bestimmte Nachforschungen verzichtete, weil er zu dem Schluss gelangte, ohnehin keine kohärenten Antworten zu bekommen. Ich glaube, ein alter menschlicher Ausdruck dafür lautet: »Müll rein, Müll raus.«
»Als kleiner Junge liebte ich das Angeln über alles«, sagte Picard und wechselte gnädigerweise das Thema. »Oh, mir stand natürlich keine solche Yacht zur Verfügung, und es war auch kein Hochseeangeln. Mein Vater und ich gingen damals zu einem nicht weit entfernten See. Und wir verwendeten ganz einfache Angeln, überhaupt nicht mit diesem modernen Gerät zu vergleichen.« Er klopfte kurz auf die lange Stange in der Halterung. »Zu viel Technik verdirbt den Spaß am Angeln, weil für den Sport überhaupt kein Platz mehr bleibt. Sonarlokalisatoren, Ultraschallköder, denen die Fische nicht widerstehen können – davon wollte mein Vater nichts wissen.« Picards Stimme sank um eine Oktave, als er versuchte, die seines Vaters nachzuahmen. »›Mensch gegen Fisch, so hat es die Natur vorgesehen, mein Sohn.‹ Darauf wies er immer wieder hin. Eine Angel, ein Wurm an der Leine – mehr war nicht nötig. Und was auch immer wir fingen: Wir nahmen es mit nach Hause und bereiteten eine Mahlzeit daraus zu. ›Was wir fangen, wird gekocht‹, wie mein Vater so schön sagte. Er konnte Verschwendung nicht ausstehen. Nun, beim Angeln sprachen wir über alles, was uns in den Sinn kam. Tabus gab es nicht. Es war sehr entspannend, den Tag auf eine solche Weise zu verbringen.«
»Nicht für den Fisch«, wandte Data ein.
»Nein, für den Fisch nicht«, erwiderte Picard. »Wir dachten kaum daran, was die Fische von der ganzen Angelegenheit hielten. Das ist vermutlich der Gang der Welt. Wer sich oben befindet, schert sich kaum um die Dinge derjenigen, die weiter unten sind. Ich schätze, es ist alles subjektiv. Was allerdings nicht für diesen besonderen Fisch gilt.« Picard klopfte kurz auf die lange Angelrute in der Halterung. »Er unterscheidet sich sehr von den Fischen, die mein Vater und ich damals fingen.« In seinen Augen glänzte es erwartungsvoll, als er hinzufügte: »Wir haben es auf den Großen Arnold abgesehen.«
»Auf den Großen Arnold, Sir?«
Picard nickte. »Ein geradezu riesiger Schwertfisch. So groß … nein, so groß.« Er hielt die Arme noch weiter auseinander, um die Länge des Fisches zu beschreiben. »Angeblich ist er so enorm, dass er eine solche Yacht halb bis zu den Bermudas gezogen hat, bevor der Angler einen klaren Gedanken fassen kann. Bisher hat der Große Arnold allen Anglern, die hierher gekommen sind, ein Schnippchen geschlagen. Aber heute, Data … Heute ist der Tag.«
»Haben Sie das Programm mit entsprechenden Parametern erweitert, Sir?«
»Nein, Mr. Data. In dieser Hinsicht ist das Programm zufallsgesteuert. So verlangt es das Prinzip der Sportlichkeit. Schließlich macht es keinen Spaß, den Fisch mit einem Computerbefehl zu zwingen, zu uns zu kommen. Wenn wir ihn finden – gut. Wenn nicht … Nun, dann haben wir eben Pech gehabt. Aber ich wette, dass heute der richtige Tag ist.« Picard rieb sich voller Vorfreude die Hände.
»Sie scheinen nicht entspannt zu sein, Captain«, sagte Data. »Ganz im Gegenteil: Ihr Körper bringt Anspannung zum Ausdruck.«
»Das eine schließt das andere nicht unbedingt aus, Data.«
»Handelt es sich hierbei um einen weiteren Aspekt der individuellen Perspektive, Sir?«
»Ja, ich glaube, das ist tatsächlich der Fall, Mr. Data. Letztendlich läuft es immer darauf hinaus, nicht wahr? Es kommt immer darauf an, aus welchem Blickwinkel man das Universum sieht. Sie, ich, der Fisch, wir alle.«
»Es sind sehr unterschiedliche Perspektiven«, sagte Data. »Da Sie so gern über Fische sprechen, Sir: Ich möchte darauf hinweisen, dass sich das durchschnittliche Erinnerungsvermögen von Fischen auf 2,93 Sekunden beschränkt. Man stelle sich zwei Goldfische in einer mit Wasser gefüllten Glaskugel vor. Wenn sie sich das erste Mal begegnen, findet vielleicht folgender Dialog statt: ›Oh, welch eine Überraschung. Freut mich, dich kennen zu lernen.‹ Dann schwimmen sie weiter. Dreißig Sekunden später haben sie die erste Begegnung vergessen, treffen sich erneut und wiederholen die Worte: ›Oh, welch eine Überraschung. Freut mich, dich kennen zu lernen.‹ Es scheint eine völlig sinnlose Existenz zu sein, da alles Wissen nur vorübergehender Natur und daher bedeutungslos ist.«
»Man könnte es auch anders sehen«, entgegnete Picard. »Jede Minute des Lebens steckt voller Entdeckungen! Nie Langeweile. Eine Überraschung nach der anderen.«
»Aber Fische lernen nie, Sir. Und ein Leben ohne den Erwerb von Wissen bleibt ohne Bedeutung. Ich weiß von Menschen, die durchs Leben gehen, ohne zu lernen und ohne zu vergessen. Fische scheinen durchs Leben zu schwimmen, ohne zu lernen und ohne sich zu erinnern. Ich kann darin nichts Positives erkennen.«
»Oh, ich weiß nicht, Data. Woher sollen wir wissen, dass unsere Art des Lebens der eines Fisches überlegen ist?«
»Sie haben selbst darauf hingewiesen, Sir: Wir sitzen an diesem Ende der Angelleine.«
Picard lachte. »Ja. Ja, das stimmt …«
Genau in diesem Augenblick spannte sich die Leine seiner Angel. Mit einem fast schrillen Surren drehte sich die Rolle und gab mehr Leine frei. Picard legte sofort den Sicherheitsgurt an und griff nach der Rute. »Es hat einer angebissen, Data!«
»So scheint es, Sir. Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
»Beten Sie!«
Etwa vierzig Meter entfernt durchstieß ein Geschöpf die Wasseroberfläche. »Er ist es! Der Große Arnold!«
»Sind Sie sicher, Captain?«
Der Fisch sprang hoch in die Luft und zeigte dabei einen langen, massigen Leib. Wasser glitzerte an den Schuppen. Die lange Schnauze zeigte wie ein Rapier gen Himmel, bevor das Wesen ins Meer zurückfiel.
»Und ob!«, juchzte Picard.
Einige Minuten lang rang Picard mit dem Fisch – Mensch gegen Natur, in einem Mikrokosmos. Data sah dabei zu. Picard sprach nicht mehr mit seinem Begleiter und beschränkte sich auf kurze Monologe in der Art von »Komm schon, Jean-Luc, du kannst es schaffen. Er gehört dir, er gehört dir …«
Glücklicherweise hörte nur Data diese seltsamen Bemerkungen.
Plötzlich neigte sich die Hornblower mit einem Ruck in Richtung des Schwertfischs. Es überraschte Picard sehr, dass das Geschöpf am anderen Ende der Leine einen solchen Kampf liefern konnte.
Das Schiff wackelte erneut, dann ein drittes Mal. Beim vierten Mal setzte sich die Yacht mit dem Heck voran in Bewegung, wodurch Picard einen Teil seiner bis dahin unerschütterlichen Zuversicht verlor.