Annika Hansen wurde als kleines Mädchen von den Borg assimiliert. Seitdem ist sie Seven of Nine. Als neues Mitglied der Voyager-Crew muss sie sich in einer für sie völlig fremdem Wirklichkeit zurechtfinden.
Als die Voyager eine Gruppe Flüchtlinge aufnimmt, ahnt Captain Janeway nicht, dass diese freundlichen Skedaner die gesamte Besatzung manipulieren und ihr Schiff für einen Rachefeldzug einsetzen wollen. Nur Seven of Nine kann sich den telepathischen Manipulationen entziehen. Doch sie wird von albtraumartigen Erinnerungen an ihre Borg-Vergangenheit heimgesucht …
Über das Buch
Widmung
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
CHRISTIE GOLDEN
SEVEN OF NINE
Star Trek™
Voyager
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
www.diezukunft.de
Dieses Buch ist Raven Moore gewidmet,
was mir durchaus angemessen erscheint.
Tamaak Vriis blickte zum Bildschirm und trommelte mit seinen drei Fingern auf die Konsole.
Nichts. Nur die Schwärze des Alls, hier und dort das Leuchten einzelner Sterne.
Er sah in die ewige Nacht hinaus und spürte dabei eine andere Art von Finsternis in sich wachsen: Verzweiflung, durchsetzt vom dunklen Indigo der Furcht. Sein Kollege Imraak, Erwählter der Provinz Leila'ah, warf ihm einen scharfen Blick zu. Die betäubende Dunkelheit der Verzweiflung verwandelte sich in die Hitze der Verlegenheit. Tamaak, Erwählter des großen Kontinents Ioh und Oberhaupt des ganzen Kreises der Sieben, verstand es normalerweise, seine Gedanken abzuschirmen. Gerade er wusste, wie sehr ein unvorsichtig projiziertes Bild jene Harmonie stören konnte, die den Skedanern so wichtig war.
Er schickte eine kühlende, sanfte Entschuldigung, und Imraak nahm sie mit einem Nicken entgegen. Auf Tamaaks anderer Seite starrte Shemaak auf ihren eigenen Schirm und schüttelte den hübschen Kopf. Ihre großen Ohren zitterten, deutlicher Hinweis auf Kummer. Die Gedanken hingegen blieben ruhig.
Inzwischen sollten sie hier sein, sendete Shemaak. In dem kleinen Raum schien es kühler zu werden, als die Sieben den Kommentar vernahmen und darauf reagierten. Unsere Scouts starben, um die Nachricht vom Angriff zu übertragen, und vor fünfzig Sonnenkreisen versprach der Imperator, uns Verstärkung zu schicken.
Erneut herrschte Stille. Shemaak hatte nur das in mentale Worte gefasst, was sie alle fürchteten. Es gab nichts weiter zu sagen. Langsam drehten sie ihre Köpfe, und große braune Augen blickten zum Kommandanten. Tamaak spürte das Gewicht der Sorge wie eine zu schwere Decke an einem warmen Sommertag.
Er sammelte seine Gedanken und schickte sie den anderen. Wir haben uns alle Mühe gegeben. Der Angriff wird erst in sechs weiteren Sonnenkreisen erfolgen. Bis dahin ist die Flotte des Imperators bestimmt eingetroffen. In der Zwischenzeit …
Imraaks ungefilterter Zorn kam einem Schlag gleich, und alle schnappten nach Luft, denn die Projektionen verursachten Schmerz. Er wird uns keine Hilfe schicken! Das wissen wir alle. Wenn eine Flotte ausgeschickt worden wäre, hätte sie uns längst erreicht. Der Angriff wird …
Der Zorn verflüchtigte sich, als vom Hauptschirm ein beharrliches Piepen ausging. Alle drehten sich um.
Der Angriff begann. Früher als erwartet.
Die Emanationen aller sieben Telepathen kündeten von seelischer Pein, und der Raum schien plötzlich so klein zu werden, dass man kaum mehr in ihm atmen konnte. Die Skedaner verfügten über eine hoch entwickelte Technik – an der Bedeutung der Bilder auf den verschiedenen Schirmen bestand kein Zweifel. Große, würfelförmige Raumschiffe mit grauen Kanten flogen durchs All, und in ihrem Innern wimmelte es von Wesen, die einer Beleidigung für Sie-die-erschafft gleichkam: monströse Hybriden, zum einen Teil biologisch, natürlich, und zum anderen technisch, künstlich. Gewissen- und seelenlose Wesen, die wie der Zorn des Er-der-zerstört kamen und ganze Spezies auslöschten.
Tamaak spürte eine Mischung aus Verzweiflung, Zorn und Schmerz. Aber sie bezog sich nicht auf ihn selbst, sondern auf sein Volk, verraten von dem Reich, mit dem es sich verbündet hatte. Den Skedanern standen keine eigenen Verteidigungssysteme zur Verfügung. Tamaak dachte an jene, die ihn zum Oberhaupt des Kreises der Sieben bestimmt hatten, in der Hoffnung, dass er ihre Sicherheit gewährleistete. Jetzt musste er sie enttäuschen … Er ahnte, was geschehen war. Dieser unnatürliche Feind hatte die Scoutschiffe abgefangen und die Scouts gezwungen, ihr Wissen preisgegeben – um anschließend die Geschwindigkeit zu verdoppeln und den Planeten Skeda zu erreichen, bevor die friedlichen Bewohner irgendwelche Vorbereitungen treffen konnten.
Den Skedanern blieb nicht einmal Zeit genug, die hastig konstruierten unterirdischen Schutzräume aufzusuchen. Sie waren auf dem Weg zu den Gärten und Feldern; sicher gingen Wellen des Entsetzens von ihnen aus, als sie sahen, wie der grässliche Feind vom Himmel herabkam.
Tamaak dachte an seine Partnerin Rhiv und ihre beiden Kleinen. Bestimmt gehörten sie zu den Skedanern, die zu den grünen Feldern gingen und denen genug Zeit blieb, um ihrem Tod ins Gesicht zu sehen. Gedanken allein genügten nicht, um seinen Kummer zum Ausdruck zu bringen, und deshalb stieß er einen Schrei aus.
Eine Stimme – die dunkle Harmonie von Millionen Stimmen – hallte durch den stillen Raum.
»Wir sind die Borg. Bereiten Sie sich darauf vor, assimiliert zu werden. Ihre biologischen und technischen Merkmale werden unseren eigenen hinzugefügt. Widerstand ist zwecklos.«
»Nie zuvor habe ich einen größeren Raumbereich gesehen, für den Hoheitsrechte geltend gemacht werden«, entfuhr es Lieutenant Tom Paris. Zusammen mit den anderen Führungsoffizieren befand er sich in der astrometrischen Abteilung und blickte auf einen großen Bildschirm, der einen ganz bestimmten Abschnitt des Alls zeigte. Der Maßstab war zwar verkleinert worden, aber der betreffende Raumbereich füllte trotzdem das ganze Projektionsfeld.
»Deshalb spricht man in diesem Zusammenhang von einem Sternenreich«, sagte Lieutenant B'Elanna Torres und fügte ihren Worten ein Lächeln hinzu.
»Nun, ja, aber … Meine Güte, es ist wirklich riesig!«
»Selbst an der schmalsten Stelle würde eine Durchquerung Wochen dauern. Und das Reich zu umfliegen … In dem Fall wären wir fast ein Jahr unterwegs.« Captain Kathryn Janeway verschränkte die Arme und betrachtete die Darstellung des Lhiaarianischen Reiches. Es war annähernd kugelförmig und in der dreidimensionalen Sternkarte hellblau hervorgehoben.
Paris hatte durchaus recht. Das Territorium dieses Sternenreiches war enorm. Im Vergleich dazu wirkten die Raumgebiete der Romulaner und Klingonen geradezu winzig. Janeway vermutete, dass der von den Borg beherrschte Raumbereich weit über dieses Gebiet hinausging, doch bisher hatte Seven of Nine noch keine Einzelheiten genannt. Außerdem: Die Borg hielten das ganze Universum für ihr Reich; sie hatten es nur noch nicht vollständig kartographiert.
»Mr. Neelix, was wissen Sie über die Lhiaari?«
Als der Talaxianer seinen Namen hörte, hob er den Kopf und trat vor. Einige Sekunden lang blickte er auf seinen kleinen Handcomputer hinab. »Nun, wie wir alle sehen, ist es ein ziemlich großes Stück All, nicht wahr? Eigentlich ist der Begriff ›Lhiaarianisches Reich‹ falsch, denn die Lhiaari leben nur auf einem einzigen Planeten, ihrer Heimatwelt, die gleichzeitig als Verwaltungszentrum des Sternenreichs dient und sich hier befindet …«
Neelix betätigte die Schaltelemente einer Konsole, und daraufhin verschob sich das Bild auf dem Schirm. Der elektronische Zoom holte einen Planeten heran. Er ähnelte so sehr der Erde, dass Janeway innerlich seufzte. »Die Lhiaari sind nicht besonders kriegerisch und haben einen recht hohen Entwicklungsstand erreicht. Andererseits: Es gibt bei ihnen einen ausgeprägten Bürokratismus.
Überall an den Grenzen des Reiches existieren Kontrollpunkte. Weitere wurden hier, hier und hier eingerichtet. Wenn ein Raumschiff eine freie Passage wünscht, so können entsprechende Verhandlungen manchmal Wochen in Anspruch nehmen. Es sei denn, Imperator Beytek erteilt eine Sondergenehmigung.«
»Das ist nicht akzeptabel.« Seven of Nine stand hoch aufgerichtet an der Konsole. Ihr blasses, blauäugiges Gesicht mit den Resten der Borg-Technik wirkte fast so unergründlich wie die Miene des vulkanischen Sicherheitsoffiziers Tuvok neben ihr. Das blaue Licht des Bildschirms glitt über ihre Züge und ließ das Metall der Implantate glänzen.
»Wir haben nicht genug Ressourcen, um so lange Zeit im All darauf zu warten, dass man uns eine Flugerlaubnis erteilt.«
»Da muss ich Seven zustimmen«, sagte Torres. »Gibt es keine Möglichkeit, das zu vermeiden?«
»Manchmal ist mir ein Gefecht lieber als das Katzbuckeln vor irgendwelchen Politikern«, sagte Janeway und lächelte schief. »Dies scheint mir eine jener Gelegenheiten zu sein. Ich fühle mich viel zu sehr an die Bowmar erinnert. Wie dem auch sei: Ich sehe keine Alternative. Mir liegt nichts daran, unseren Flug um ein Jahr zu verlängern, nur um irgendwelche bürokratischen Probleme zu vermeiden. Was ist mit unseren Vorräten, Neelix?«
Falten entstanden in der fleckigen Stirn des Talaxianers. »An Gewürzen mangelt es uns nicht, aber die Grundnahrungsmittel werden allmählich knapp. In der letzten Zeit hatten wie leider keine Möglichkeit, unsere Vorräte zu erneuern. Nun, wenn die Lage kritisch wird, können wir immer noch auf die Replikatoren und Notrationen zurückgreifen.«
»Notrationen«, wiederholte Harry Kim. Er stöhnte leise und rollte mit den Augen.
»Wenn wir aufgehalten werden und einige Wochen Däumchen drehen müssen, weil es irgendein launischer Herrscher so will …«, ließ sich der holographische Doktor vernehmen. »In dem Fall bitte ich respektvoll darum, dass die Replikatoren allein für die Herstellung von Arzneien und medizinischen Ausrüstungsgütern verwendet werden.«
»Einen Augenblick«, warf Torres ein. »Der Maschinenraum braucht …«
»Das genügt«, sagte Janeway, und in ihrer Stimme erklang eine gewisse Schärfe. »Uns trennen noch etliche Lichtjahre von den Grenzen des Lhiaarianischen Reiches, aber schon geht der Streit um die Replikatoren los! Wann erreichen wir den ersten Kontrollpunkt, Tom?«
»In einigen Stunden, wenn wir die gegenwärtige Geschwindigkeit beibehalten.«
Janeway lächelte innerlich. Nachdem sie die anderen zur Ordnung gerufen hatte, gab sich der Pilot unschuldig wie ein Chorknabe, um ihrem Ärger zu entgehen.
»In Ordnung. Vielleicht gelingt es uns, die Passage zum nächsten Kontrollpunkt zu beschleunigen – indem wir um eine Audienz beim Imperator ersuchen und ihn um eine jener Sondergenehmigungen bitten. Ein Raumschiff, das aus einem anderen Quadranten kommt, dürfte Beyteks Interesse wecken. Seven, wissen die Borg etwas über diese Spezies? Haben Sie irgendwelche Informationen für uns, die sich bei den Verhandlungen als nützlich erweisen könnten?«
Janeway stellte diese Frage natürlich nicht ohne Grund. Zwar war Seven jetzt wieder ein Mensch – größtenteils zumindest; achtzehn Prozent ihres Körpers bestanden noch aus Cyborg-Technik –, aber sie hatte viele Jahre als Mitglied des Borg-Kollektivs verbracht und während dieser Zeit zweifellos an grausamen Assimilationsmissionen teilgenommen. Diese Vergangenheit ließ sich nicht leugnen und gehörte zu ihrem Wesen. Janeway hielt an der Überzeugung fest, dass sich die Crew früher oder später daran gewöhnen würde. Sevens Informationen hatten einen schrecklichen Preis erfordert, aber es handelte sich trotzdem um Informationen von hohem Wert. Bei den Katati waren sie dadurch imstande gewesen, der Vernichtung zu entgehen und einem von den Borg dezimierten Volk zu helfen. Und das Wissen um die Spezies 149 hatte sie in die Lage versetzt, Neelix aus dem Jenseits zurückzuholen. Solche Vorteile wusste Janeway durchaus zu schätzen.
Seven wölbte eine dünne Braue. »Die Lhiaari wurden nicht assimiliert, während ich zum Borg-Kollektiv gehörte. Allerdings ist mir der Name vertraut, denn wir assimilierten die Bewohner einer eroberten Welt, die dem Imperator sehr skeptisch gegenüberstanden.«
»Kein Wunder, wenn ihre Heimatwelt erobert wurde«, kommentierte Chakotay leise. Janeway sah den Ersten Offizier an und lächelte voller Anteilnahme, bevor sie wieder zum Bildschirm blickte. Sie berührte ein Schaltelement auf der Konsole, und die Darstellung des Lhiaarianischen Reiches kehrte ins Projektionsfeld zurück.
Sie mussten irgendeine Möglichkeit finden, es zu durchqueren. Janeway hätte nicht gezögert, sich für ihre Crew zu opfern – jeder gute Raumschiffkommandant zeichnete sich durch eine solche Einstellung aus. Sie war auch bereit, ihren Stolz zu vergessen, wenn sie dadurch ihre Reise um ein Jahr verkürzen konnte. Sie würde nicht zögern, zu knien und zu kriechen, um die Genehmigung zu erhalten, diesen großen Raumbereich zu durchfliegen.
So etwas erforderte noch mehr Entschlossenheit als die Konfrontation mit einem Gegner.
»Alle Stationen besetzen. Nach den Angaben von Mr. Paris erreichen wir den ersten Kontrollpunkt des Reiches gegen vierzehn Uhr Bordzeit. Nehmen wir die Beine unter den Arm.«
Aus den Augenwinkeln bemerkte Janeway, wie Seven einen verwirrten Blick auf ihre Beine richtete.
Seven of Nine, persönliches Logbuch. Ich verstehe nicht, warum Menschen immer wieder eine Ausdrucksweise verwenden, die sie als ›Slang‹ beziehungsweise ›Umgangssprache‹ bezeichnen. So etwas ist ineffizient und führt zu Missverständnissen. Ich versuche, entsprechende Ausdrücke in meine Vokabularmatrix zu integrieren und sie mit Querverweisen zu versehen, um die Kommunikation mit der Crew zu erleichtern. Insbesondere Lieutenant Paris scheint einen unerschöpflichen Vorrat an bizarren Redewendungen ›auf Lager‹ zu haben.
Das Verhalten der Lhiaari entspricht den Beschreibungen von Mr. Neelix. Anstatt eine Delegation an Bord der Voyager zu schicken, haben sie von uns verlangt, eine Abordnung auf den Planeten zu entsenden und unser Anliegen auf dem üblichen Weg vorzutragen. Mr. Paris meint, dadurch würden wir zu ›Schafen‹. Ich weiß nicht, in welcher Weise Respekt vor dem Protokoll Humanoiden in Schafe verwandeln kann, aber ich werde die Vorgänge beobachten und dabei hoffen, dass er Unrecht hat. Ich habe kein Interesse daran, zu einem Schaf zu werden.
»Mein Gott«, hauchte Janeway. »Es ist noch schlimmer, als ich dachte.«
»So muss es im neunzehnten Jahrhundert auf Ellis Island{1} zugegangen sein«, sagte Paris und sah sich um.
»Es ist zumindest ein ziemliches Gedränge«, sagte Janeway. Sie runzelte die Stirn und klopfte auf ihren Insignienkommunikator. »Janeway an Voyager.«
»Hier Chakotay. Wie sieht's bei Ihnen aus?«
»Alles deutet darauf hin, dass es eine Weile dauern wird.« Das war eine Untertreibung. Ihr Retransfer hatte in einer ebenso riesigen wie bunten Menge stattgefunden. Manche Leute waren humanoid, andere wirkten überaus exotisch. Viele der Anwesenden schienen andere Vorstellungen von Hygiene zu haben als die Neuankömmlinge von der Voyager, und außerdem machten sie keinen Hehl aus ihrem Ärger. Das Ergebnis war ein akustisches Chaos aus quiekenden, krächzenden, grollenden, pfeifenden und heulenden Stimmen. Janeway musste fast schreien, um sich verständlich zu machen. »Sie hören von mir, sobald sich etwas ergibt, Chakotay. Wir deaktivieren jetzt unsere Insignienkommunikatoren.« Sie unterbrach die Verbindung und schaltete das kleine Kom-Gerät aus.
Paris, Seven, Kim und Tuvok folgten ihrem Beispiel. Sie schnitten Grimassen angesichts des Durcheinanders, mit dem sie plötzlich konfrontiert waren. Selbst in Tuvoks Gesicht, das normalerweise ausdruckslos blieb, zeigte sich Missfallen.
Seven of Nine sah sich neugierig um. Der große Saal war ebenso schlecht beleuchtet wie belüftet, und Hunderte von Personen warteten hier. Markierungen wiesen darauf hin, dass Warteschlangen vorgesehen waren, aber sie hatten sich schon vor einer ganzen Weile in einem unüberschaubaren Durcheinander verloren. Hier und dort gab es Sensorstationen, offenbar dazu bestimmt, Waffen und verbotenen Kommunikationsgeräte zu entdecken. Nur wenige Individuen passierten sie ohne lauten Protest.
Seven erkannte viele der präsenten fremden Lebensformen wieder. Sie identifizierte mehrere Angehörige der Spezies 2822, die den gelangweilten, gereizten und offenbar auch hungrigen Wartenden Nahrung anboten. Jene Leute verstanden es, in allen Situationen gute Gelegenheiten zu erkennen und auszunutzen. Selbst verheerende Naturkatastrophen hatten sie mit großem Einfallsreichtum und Geschick überlebt. Die Merkmale dieser Spezies waren dem Borg-Kollektiv vor einigen Jahrzehnten hinzugefügt worden.
Dort drüben standen einige Repräsentanten der Spezies 1811. Ihre Merkmale waren dem Borg-Kollektiv nicht hinzugefügt worden, denn sie galten als wertlos – eine derartige Erweiterung hätte das Kollektiv geschwächt. Solche Geschöpfe passten sich nicht schnell genug dem harten Leben von Drohnen an und starben schnell.
»Diese Schlange scheint sich kaum zu bewegen«, sagte Tuvok.
»Sie bewegt sich überhaupt nicht«, meinte Paris. »Und offenbar ist es nicht einmal eine Schlange. Captain, ich finde dies alles absurd. Es könnte Stunden dauern, bis wir Gelegenheit erhalten, mit jemandem zu reden.«
»Neun Komma sieben Stunden, wenn man die bisherigen Bewegungen der Warteschlange berücksichtigt«, stellte Tuvok fest.
Janeway seufzte tief und rieb sich die Schläfen. »Irgendwelche Vorschläge? Ich warte lieber neun Komma sieben Stunden lang, als ein Jahr damit zu verbringen, das Lhiaarianische Reich zu umfliegen.«
Seichtes Geplauder und Klagen. Daraus bestand ein großer Teil der menschlichen Konversation, wie Seven inzwischen wusste. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der Menge zu. Eine Analyse der hier anwesenden vielfältigen Lebensformen war interessanter als der Wortwechsel ihrer Begleiter.
Sie kniff die Augen zusammen. Eine Gruppe aus Angehörigen der Spezies 4774 hatte sie bemerkt und bahnte sich einen Weg durch die Menge.
»Captain«, sagte Seven. »Uns nähern sich …«
»Ich weiß, Seven«, kam ihr Janeway zuvor. Es fiel den Fremden nicht leicht, in dem Gedränge voranzukommen, aber an ihrem Ziel konnte kein Zweifel bestehen: die Besucher von der Voyager. Schließlich trat eine Gestalt näher, bei der es sich um das Oberhaupt der Gruppe zu handeln schien.
Spezies 4774. Eigenbezeichnung: Skedaner. Ein Volk von Telepathen, ausgestattet mit einem schützenden Knochenwulst, der sich über den Schädel erstreckt und am Rückgrat entlangreicht. Nicht aggressiv. Leisteten minimalen Widerstand. Die jungen Exemplare wachsen auf ineffiziente Weise in Bauchbeuteln heran. In körperlicher Hinsicht gaben sie keine guten Drohnen ab, doch ihre telepathischen Fähigkeiten wurden analysiert und den technisch-biologischen Merkmalen der Borg hinzugefügt.
Die Fremden richteten erwartungsvolle Blicke auf Janeway und ihre Begleiter, gaben dann pfeifende und klickende Geräusche von sich. Zu spät erinnerte sich die Kommandantin daran, dass sie ihre Insignienkommunikatoren deaktiviert hatten, und rasch schaltete sie ihr Kom-Gerät wieder ein. Sie wandte sich den Skedanern zu und lächelte freundlich, doch dann ließ irgendetwas ihr Lächeln verblassen. Überrascht schnupperte Janeway. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass hier jemand Kaffee kocht.«
Nicht zum ersten Mal staunte Seven darüber, wie leicht sich Menschen ablenken ließen.
»Es tut mir leid, unsere Translatoren waren deaktiviert«, sagte Janeway – offenbar gelang es ihr, den Gedanken an Kaffee zu verdrängen. »Könnten Sie bitte wiederholen, was Sie gerade gesagt haben?«
»Natürlich. Bitte entschuldigen Sie die Störung. Sind Sie Captain Janeway von der aus dem Alpha-Quadranten stammenden Voyager?«
Janeway nickte. »Ja. Und Sie sind …«
Der Fremde verneigte sich tief. »Ich bin Tamaak Vriis. Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten und Ihnen auch einen anbieten.«
»Ich höre.«
»Meine Leute und ich …«, bei diesen Worten deutete Tamaak auf seine Begleiter: mehr als dreißig großäugige Geschöpfe, die respektvoll hinter ihm standen. »… sind ohne Heimat. Wir Skedaner halten uns für gute Bürger des Lhiaarianischen Reiches und möchten den Imperator um Repatriierung bitten. Ihnen geht es ebenfalls um eine Passage durch das Raumgebiet des Reiches; andernfalls wären Sie nicht hier. Wenn ich dafür sorge, dass Sie alle Kontrollpunkte schnell passieren können – nehmen Sie uns dann an Bord Ihres Schiffes bis nach Lhiaari mit?«
»Tamaak, wenn Sie es uns ermöglichen, dies alles schnell hinter uns zu bringen …« Hoffnung leuchtete in Janeways Gesicht. »Dann dürfen Sie selbst mein Schiff fliegen. Aber ich weiß nicht, wie …«
Tamaak drehte den Kopf und schloss halb die Augen. Einige Sekunden später näherte sich eins der vierarmigen, schwer gepanzerten Geschöpfe, die im Saal als Wächter fungierten.
»Captain Janeway?«
»Ja?«
»Ihr Gesuch wird nun geprüft. Bitte folgen Sie mir.«
Janeway und ihre Begleiter starrten Tamaak verblüfft an und beeilten sich dann, dem Wächter zu folgen, bevor er in der Menge verschwand.
Seven blieb unbeeindruckt. Janeway und die anderen wussten nichts von den telepathischen Fähigkeiten der Skedaner. Tamaak Vriis hatte dem Wächter ›vorgeschlagen‹, den Besuchern von der Voyager Vorrang zu geben. Als letzte folgte Seven der Gruppe und schob sich durch das Gedränge. Für einige Sekunden verlor sie die rotschwarze Uniform des Captains aus den Augen, reckte den Hals und hielt Ausschau.
Plötzlich nahm sie einen grässlichen Geruch wahr – den Übelkeit erweckenden Gestank von verfaulendem Fleisch. Jähe Furcht entstand ihr und verursachte einen Adrenalinschub. Ihr Gaumen wurde trocken.
Nein … Nicht noch einmal …
Direkt vor Seven, auf einer Sensorstation, saß ein großer schwarzer Vogel und starrte sie aus seinen gelben Augen an.
Janeway konnte ihr Glück kaum fassen. Sie wusste nicht, über welche Beziehungen Tamaak Vriis verfügte, aber sie funktionierten ganz offensichtlich. Die Skedaner und die Abordnung von der Voyager bildeten eine recht große Gruppe, als sie dem Wächter folgten. Aus den Augenwinkeln musterte Janeway ihren Helfer und sein Gefolge.
Die Fremden waren ein wenig kleiner als Menschen. Zwar zählten sie zu den Zweibeinern, aber nicht unbedingt zu den Humanoiden. Was vor langer, langer Zeit einmal eine in die Länge gezogene hirschartige Schnauze gewesen sein mochte, hatte sich im Lauf der Evolution in die kleinere Version eines flachen, humanoiden Gesichts verwandelt, in dem große, glänzende Augen dominierten. Ein Knochenwulst schützte den großen Kopf und reichte am Rücken herab.
Die Arme endeten in Händen mit drei Fingern, die einen recht agilen Eindruck erweckten. Der Torso ging in ein breites Gesäß über, dem muskulöse Beine folgten. Weicher, heller Pelz bedeckt die nicht von Knochenplatten geschützten Körperteile. Alle Skedaner trugen schwere Rucksäcke. Aufgrund der Struktur von Skelett und Muskeln waren sie recht kräftig, obwohl sie sich durch ein fast fragiles Erscheinungsbild auszeichneten.
Ein leises Zirpen veranlasste Janeway, den Blick von Tamaak abzuwenden und zu einem anderen Skedaner zu sehen. Es handelte sich um eine Frau, und der Kopf eines Jungen ragte aus dem Bauchbeutel. Es wirkte entzückend, erinnerte mit den großen Augen und Ohren an ein Rehkitz. Die Mutter nahm ihr Kind in die Arme und wiegte es sanft hin und her. Als sie Janeways Blick bemerkte, schloss sie halb die Augen – das Äquivalent eines Lächelns, wie die Kommandantin der Voyager irgendwie wusste.
Sie schmunzelte voller Mitgefühl. In solchen Situationen litten vor allem die Kinder, aber ganz offensichtlich spielten die Familienbande bei den Skedanern eine große Rolle – sie halfen und unterstützten sich gegenseitig. Janeway mochte sie instinktiv und spürte eine seltsame Art von Verwandtschaft, obwohl sich diese Leute sehr von Menschen unterschieden.
»Captain.« Tuvoks ruhige Stimme unterbrach ihre Überlegungen. »Wir haben Seven verloren.«
»Was?« Janeway blieb so abrupt stehen, dass Paris fast gegen sie gestoßen wäre. Sie reckte den Hals, hielt Ausschau und fühlte dabei, wie ihre Besorgnis wuchs. Tuvok hatte Recht – von Seven war weit und breit nichts zu sehen.
»Captain?«, ließ sich Tamaak vernehmen. »Der Wächter entfernt sich schnell von uns.«
»Entschuldigen Sie, aber wir haben jemanden verloren.« Sie eilte los und hielt den Wächter an einem seiner vier Arme fest. »Bitte warten Sie. Ein Mitglied meiner Gruppe fehlt.«
»Da drüben steht sie«, sagte Kim. »Ich bin gleich mit ihr zurück.«
Janeway sah ihm nach. Sorge um Seven of Nine verdrängte ihre Freude über die angenehme Gesellschaft der Skedaner. Dann rief sie sich innerlich zur Ordnung. Gerade Seven konnte gut auf sich selbst Acht geben. Bestimmt war alles in Ordnung mit ihr. Vermutlich hatte sie nur etwas Interessantes entdeckt und beschlossen, es zu untersuchen – ohne sich damit aufzuhalten, um Erlaubnis zu fragen. So etwas war typisch für sie.
Die Menschen hatten eine Bezeichnung für dieses Phänomen. Sie sprachen von ›Déjà-vu‹, was in einer irdischen Sprache ›schon gesehen‹ bedeutete. Französisch, flüsterte ein ruhiger Teil ihres Selbst mit ärgerlicher Irrelevanz, während Seven an einer Wand saß, die Beine so weit angezogen, dass ihre Knie die Brust berührten.
Er scheint mich zu kennen. Diese Worte hatte sie vor einem knappen Jahr bei einem Logbucheintrag gesprochen, als sie von den ersten Visionen eines schwarzen Vogels – eines Raben – heimgesucht wurde. Damals blieben jene Erscheinungen kein Geheimnis: In ihrem Blutkreislauf hatte eine Regeneration von Nanosonden stattgefunden, die auf ein Resonanzsignal der Borg reagierten.
Das Signal hatte sie zum Wrack eines kleinen, von ihren Eltern geflogenen Föderationsschiffes geführt, das bis zur Assimilation ihr Zuhause gewesen war. Jenes Schiff hieß Raven, Rabe. Das Borg-Signal hatte sowohl die Implantate aktiviert als auch alte Erinnerungen geweckt. Die vom holographischen Arzt gefundene Lösung des Problems: eine Rejustierung der Implantate, damit sie nicht mehr auf die Resonanzsignale der Borg reagieren musste.
Aber jetzt …
Seven hob den Kopf und sah erneut zum schwarzen Vogel. Er schien sie wirklich zu kennen. Inzwischen hatte er sich genähert und richtete einen starren Blick auf sie.
»Du bist nichts weiter als ein Hirngespinst«, sagte Seven streng. Sie gab sich alle Mühe, ihre Stimme fest klingen zu lassen und nicht zu zittern, aber es gelang ihr nicht ganz. »In Wirklichkeit existierst du überhaupt nicht!«
Der Rabe öffnete den Schnabel, wie zu einem stummen Lachen.
»Sieh nur, Mama!«, rief Seven und zeigte mit einem hellblauen Finger auf den Vogel. »Ein Skorrak! Eigentlich sollten sie erst in siebzehn Kreisen zurückkehren!«
»Du hast gut gelernt, Keela!« Die Mutter – weich, warm und pelzig – streichelte ihre Tochter mit einer Klauenhand. Seven ließ sich willig umarmen; es gefiel ihr sehr, auf diese Weise berührt zu werden. »Bestimmt ist dein Lehrer stolz auf dich. Willst du jetzt dafür sorgen, dass auch Krieger K'itka stolz auf dich ist? Möchtest du ihm den ersten Skorrak der Saison bringen?«
Nervosität ließ Sevens zwei Herzen schneller schlagen. Doch sie biss die spitzen Zähne zusammen und nickte.
»Ich werde mir alle Mühe geben«, versicherte sie ihrer Mutter.
»Mehr kann man nicht von dir verlangen, mein liebes Kind.«
Die weichen gelben Haarbüschel an Sevens Augen und Kinn richteten sich kurz auf. Normalerweise nahm sie Waffen mit, wenn sie auf die Jagd ging, aber ein wahrer Krieger erlegte seine Beute allein mit Händen, Zähnen und Schläue. Vielleicht war dies der Tag ihres ersten Blutens. Ein aufregender Gedanke.
Der Skorrak merkte nichts von ihrer Präsenz. Auf spindeldürren Beinen hüpfte er umher; sein scharlachrotes und schwarzes Gefieder glänzte im Licht des frühen Morgens. Seven ging in die Hocke und konzentrierte sich auf die Beute. Ihr langer Schwanz zuckte, verriet Erregung. Sie sprang, stieß sich mit den muskulösen Beinen ab und landete auf dem Vogel. Er kreischte, und es gelang ihm, die ungeschickte Seven abzuschütteln. Nur einen Mund voller Federn behielt sie für ihre Mühe.
»Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Seven?«
Sie blinzelte. Ihr Kopf schien hundert Kilo zu wiegen und viel zu schwer zu sein, um von einem so dünnen Hals getragen zu werden. Harry Kim hatte sich genähert. Kein Wunder, dass ausgerechnet er gekommen war. Er wirkte verunsichert, schien bestrebt zu sein, sie zu beschützen. Sein Verhalten … Menschen sprachen in diesem Zusammenhang von einer Glucke, die …
… die ihr Skorrak-Küken beschützte.
»Ah!« Seven schnappte nach Luft und presste die Finger an die Schläfen.
»Was ist los?«
Furcht erfasste Keela. Wo befand sie sich? Wo waren ihre Mutter und der Skorrak mit dem glänzenden Gefieder? Etwas musste passiert sein. Etwas Schreckliches. Ein hässliches Gesicht blickte auf sie herab. Es wies weder eine Schnauze noch Pelz auf, wirkte aber trotzdem sonderbar bekannt. Wer auch immer dieser Fremde sein mochte – Keela spürte, dass sie ihm vertrauen durfte.
Sie warf sich ihm entgegen, sank in die Arme des Unbekannten und schluchzte. Neues Entsetzen quoll in ihr empor, als sie feststellte: Irgendetwas hatte sie verwandelt. Sie verfügte nicht mehr über eine geschmeidige, katzenhafte Gestalt, sondern steckte in einem ganz anderen, bizarren Körper. Der Fremde berührte sie mit warmen Pfoten und sprach Worte, die sie kannte und doch keinen Sinn ergaben:
»Kim an Voyager. Medizinischer Notfall. Beamen Sie uns sofort an Bord.«
»Ich fürchte, dafür habe ich keine Erklärung«, sagte der Doktor. Er runzelte die Stirn – die Sache verwunderte ihn ganz offensichtlich.
Kim versuchte, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Es hatte ihn sehr gerührt, als sich Seven an ihn schmiegte, während ihr Tränen – Tränen! – über die Wangen rannen. Er hatte sie in den Armen gehalten, während des Transfers zur Voyager, sie in der Krankenstation behutsam auf ein Diagnosebett gelegt. Noch immer zeigte sich Entsetzen in ihrem Gesicht, und sie wimmerte leise.
»Wiederholt sich jetzt das, was damals bei der Raven geschah?«, fragte Kim. Er sah auf die stolze, schöne Frau hinab, die den Eindruck erweckte, in einem Albtraum gefangen zu sein.
»Wenn das der Fall wäre, sollte ich eigentlich Bescheid wissen, oder?«, erwiderte der holographische Arzt mürrisch. »Nun, es gibt ähnliche Symptome, zum Beispiel das hyperaktive Ammonshorn im Gehirn. Glücklicherweise nimmt die Patientin diesmal eine fötale Position ein und verzichtet darauf, Sicherheitswächter an die Wände zu schleudern und die Türen von Shuttlehangars aufzubrechen.«
Kim schwieg und dachte daran, dass ihm eine solche Reaktion fast lieber gewesen wäre. Mit Sevens Zorn, ihrer Arroganz – ihrem Borg-Wesen – war er in einem gewissen Maße vertraut. Ihr derzeitiges Gebaren aber erschreckte ihn zutiefst.
Während er Seven noch beobachtete, kam es zu einer Veränderung. Der Körper entspannte sich, und der übliche Ausdruck kehrte ins Gesicht zurück: eine Mischung aus Gelassenheit und fast so etwas wie Verachtung.
»Doktor.« Eine feste Stimme, nicht das Klagen eines Patienten.
»Ja, Seven?«, erwiderte der Arzt bemerkenswert freundlich.
»Bin ich in der Krankenstation?«
»Ja.« Der Doktor sah kurz zu Kim und wandte seine Aufmerksamkeit dann wieder Seven zu.
»Bin ich … verletzt?«
»Kommt darauf an, wie man die Sache sieht.« Der Arzt berührte eine Schaltfläche, und das Diagnosemodul über der Liege wich zurück. Seven richtete sich auf und saß kerzengerade. »Erinnern Sie sich an die jüngsten Ereignisse?«
Ein Schatten huschte über Sevens Züge, doch nur einen Sekundenbruchteil später kehrte die Ruhe in ihr Gesicht zurück.
»Ich glaube, ich litt an Halluzinationen.«
»Waren sie ebenso beschaffen wie beim letzten Mal, als das Resonanzsignal der Borg Sie zur Raven brachte?«
»Ja … und nein. Sind die neutralisierten Nanosonden wieder aktiv geworden?«
Der Doktor schüttelte den Kopf. »Nein, zum Glück nicht«, entgegnete er. »In körperlicher Hinsicht ist alles in Ordnung mit Ihnen, sieht man einmal von einem höheren Adrenalin- und Endorphinspiegel ab. Beides dürfte eine direkte Folge der Halluzinationen sein. Fühlten Sie sich in Gefahr? Wurden Sie von den Borg verfolgt?«
»Nein. Borg zeigten sich nirgends. Ich … war ein katzenartiges Wesen namens Keela, und zusammen mit meiner Mutter jagte ich Vögel. Alles fühlte sich gut an, bis …«
Seven unterbrach sich. Kim sah, wie sie schluckte und die Hände zu Fäusten ballte. Am liebsten hätte er ihr tröstend den Arm um die Schultern gelegt, aber das wagte er nicht.
»Bis mich Fähnrich Kim ansprach.«
»War das so schlimm?«, fragte Kim und versuchte nicht zu zeigen, wie sehr ihn Sevens Worte verletzten.
»Dadurch wurde ich mir meiner menschlichen Gestalt bewusst. In körperlicher Hinsicht war ich wieder Seven of Nine, und Keela … Sie schien in mir gefangen zu sein. Sie – ich – hatte Angst. Wir waren beide gleichzeitig präsent.«
»Gab es einen Auslöser für diese Halluzination?«, fragte der Doktor. »Einen Geruch vielleicht, ein Geräusch, ein Bild – irgendetwas, das Sie veranlasste, in die Pseudoidentität eines Katzenwesens zu schlüpfen? Solche Vorstellungen sind recht ungewöhnlich.«
»Der Vogel«, sagte Seven leise.
»Der Vogel, den Sie jagten?«
»Nein, ich meine den … schwarzen Vogel. Mitten im Saal mit den Wartenden sah ich ihn, auf einer Sensorstation. Er starrte mich an. Den gleichen Vogel habe ich auch damals gesehen, vor einem Jahr.«
Kim bekam eine Gänsehaut. Furcht kroch in Sevens Stimme und kam auch in ihrer Körpersprache zum Ausdruck, obgleich sie danach trachtete, sich nichts anmerken zu lassen.
»Der Rabe?« Selbst der Doktor war besorgt und blickte auf seinen medizinischen Tricorder. »Ihr Adrenalinspiegel ist wieder gestiegen.«
Das überrascht mich kaum, dachte Kim.
»Ich weiß, dass es schwer für Sie ist, aber wir müssen darüber reden. Erschien Ihnen der Rabe als Teil der Halluzination?«
»Nein. Er befand sich mit uns zusammen im Saal, war ebenso real wie Captain Janeway oder die Wächter.« Seven senkte die Lider. »Zumindest wirkte er real.«
ohne