ROBERT SILVERBERG
ES STIRBT IN MIR
Roman
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
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Ich muss also wieder mal zur Universität fahren und mir ein paar Dollar beschaffen. Viel Bargeld brauche ich eigentlich nie – zweihundert im Monat reichen durchaus –, aber meine Börse wird langsam leer, und von meiner Schwester wage ich mir nicht schon wieder etwas zu pumpen. Nun, die Studenten werden jetzt bald ihre erste Semesterarbeit abliefern müssen, und das ist ein ziemlich sicheres Geschäft. David Seligs müdes, verdorrendes Gehirn ist wieder einmal käuflich. An diesem herrlich goldenen Oktobervormittag müsste es mir möglich sein, Arbeit für etwa 75 Dollar zu ergattern. Die Luft heute ist frisch und klar. Ein Hochdruckgebiet über New York City hat Feuchtigkeit und Dunst verbannt. Bei solchem Wetter fängt meine langsam dahinwelkende Gabe wieder an zu blühen. Brechen wir also auf, du und ich, sobald der Morgen am Himmel heraufgestiegen ist. Brechen wir auf zur Broadway-IRT Subway. Münzmarken bitte bereithalten.
Du und ich. Von wem spreche ich eigentlich? Ich fahre doch allein zur Universität! Du und ich.
Selbstverständlich spreche ich von mir und diesem Wesen, das in mir lebt, das in seiner schwammigen Höhle lauert und ahnungslose Sterbliche belauscht. Von mir und diesem hinterlistigen Monster in mir, diesem zum Tode verurteilten Monster, das sogar noch schneller dahinsiecht als ich. Yeats schrieb einmal einen Dialog zwischen Ego und Seele; warum also sollte nicht auch Selig, der auf eine Art und Weise unfreiwillig geteilt ist, die selbst der arme, törichte Yeats niemals begriffen hätte, von seiner einzigartigen, vergänglichen Gabe sprechen, als wäre sie ein in seinem Schädel eingesperrter Eindringling? Warum nicht? Brechen wir also auf, du und ich. Den Flur entlang. Knopf drücken. Lift besteigen. Drin riecht es nach Knoblauch. Die Puertoricaner, diese Primitivlinge, hinterlassen überall ihren penetranten Gestank. Meine Nachbarn. Meine Nächsten. Ich liebe sie. Hinunter. Hinab.
Es ist 10 Uhr 43 ostamerikanischer Sommerzeit. Die Temperatur im Central Park beträgt 57 Grad Fahrenheit.{1} Es herrschen 28 Prozent Luftfeuchtigkeit, das Barometer steht auf 30.30 und fällt weiter, der Wind weht mit elf Meilen pro Stunde aus Nordosten. Die Wettervorhersage für heute: die kommende Nacht und morgen klarer Himmel und Sonne, mit Höchsttemperaturen bis 65 Grad.{2} Niederschlagsmenge für heute null, für morgen zehn Prozent. Luftbeschaffenheit gut. David Selig ist 41, mittelgroß, schlank bis mager, wie eben ein Junggeselle ist, der sich die kargen Mahlzeiten selber kocht, und sein Gesicht zeigt gewöhnlich einen leicht verwundert-nachdenklichen Ausdruck. Er blinzelt häufig. In seiner verschossenen blauen Jeansjacke, den schweren Stiefeln und der gestreiften, unten weit ausladenden Hose in der Mode von 1969 ist er, oberflächlich gesehen, eine recht jugendliche Erscheinung, das heißt, jedenfalls vom Hals abwärts; in Wirklichkeit sieht er jedoch aus wie ein aus einem illegalen Versuchslaboratorium Entsprungener, wo den Körpern männlicher Teenager die nahezu kahlen Köpfe und zerfurchten Gesichter von Männern mittleren Alters aufgepfropft werden.
Wie und warum ist er so geworden? Wann begannen sein Gesicht und sein Kopf alt zu werden? Die durchhängenden Kabel der Liftkabine schleudern ihm kreischend-höhnisches Gelächter entgegen, als er von seinem Zwei-Zimmer-Refugium im elften Stock ins Erdgeschoss hinunterfährt. Ob diese rostigen Kabel noch älter sind als er? Sein Jahrgang ist 1935. Die Mietskaserne, überlegt er, datiert wahrscheinlich von 1933 oder 1934. Der Honorable Fiorello H. LaGuardia, Bürgermeister von New York. Vielleicht ist das Bauwerk aber auch jünger, kurz vor dem Krieg, möglicherweise. (Erinnerst du dich an 1940, David? Damals nahmen wir dich mit zur Weltausstellung. Dies ist der Trylon, das ist das Perisphere.) Wie dem auch sei, diese Häuser werden alt. Was wird nicht alt?
Der Aufzug hält quietschend im sechsten Stock. Noch bevor die zerschrammten Türen aufgleiten, empfange ich ein flüchtiges Gedankenflimmern weiblicher Latino-Vitalität. Gewiss, es ist mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit zu erwarten, dass eine junge Puertoricanerin den Lift gerufen hat – das Haus wimmelt nur so von ihnen, die Männer sind um diese Tageszeit bei der Arbeit –, trotzdem bin ich ziemlich sicher, dass ich ihre telepathische Ausstrahlung empfange und nicht einfach nur rate. Und natürlich: Sie ist klein, dunkel, ungefähr 23 und hochschwanger. Ich kann deutlich eine doppelte Ausstrahlung unterscheiden: das quecksilbrige Herumhuschen ihrer seichten, sinnesbetonten Gedanken und das verschwommene, undeutliche Dahindämmern des etwa sechs Monate alten Fötus in ihrem prall gewölbten Bauch. Sie hat ein flaches Gesicht mit kleinen, glänzenden Augen und schmalem, verkniffenem Mund. Ihre Hüften sind breit. An ihren Daumen klammert sich ein ungewaschenes, vielleicht zweijähriges Mädchen. Das Kind kichert freundlich zu mir herauf, die Frau wirft mir ein kurzes, misstrauisches Lächeln zu.
Die beiden nehmen mit dem Rücken zu mir Aufstellung. Lastendes Schweigen. Buenos dias, señora. Schöner Tag heute, nicht wahr, Ma'am? Reizendes Kind haben Sie da. Aber ich bleibe stumm. Ich kenne sie nicht; sie sieht aus wie all die anderen, die in diesem Bienenkorb wohnen, und sogar ihre Emanationen sind Standardniveau, unterscheiden sich nicht von denen, die ich bei ihren Mitmieterinnen aufgefangen habe: vage Gedanken an Bananen und Reis, Lotterieergebnisse und Fernsehsendungen. Sie ist eine langweilige Kreatur, aber sie ist ein Mensch, und ich liebe sie. Wie sie wohl heißt? Vielleicht Mrs. Altagracia Morales? Mrs. Amantina Figueroa? Mrs. Filomena Mercado? Ich liebe diese exotischen Namen. Sie sind reinste Poesie. Ich selbst bin mit molligen Trampeln aufgewachsen, mit Mädchen namens Sondra Wiener, Beverly Schwartz, Sheila Weisbard. Ma'am, heißen Sie etwa Mrs. Inocencia Fernandez? Mrs. Clodomira Espinosa? Mrs. Bonifacia Colon? Oder Mrs. Esperanza. Esperanza, die Hoffnung, die nie versiegt. Erdgeschoss. Rasch trete ich vor, um ihr die Tür aufzuhalten. Die liebliche, phlegmatische, schwangere Chiquita watschelt an mir vorbei, ohne eine Miene zu verziehen.
Und jetzt, hoppla-hopp zur Subway, einen großen Häuserblock entfernt. Hier, weit im nördlichen Teil von Manhattan, verlaufen die Gleise hoch über der Straße. Ich sprinte die knarrende, abgewetzte Treppe hinauf und erreiche die Plattform der Haltestelle ohne im geringsten schneller zu atmen. Wahrscheinlich der Lohn meines gesunden Lebens. Einfaches Essen, kein Tabak, nicht viel Alkohol, kein speed, acid oder Mescalin. Der Bahnhof ist um diese Zeit praktisch menschenleer. Kurz darauf jedoch höre ich das Singen heranrasender Räder, Metall auf Metall, und empfange gleichzeitig den heftigen Anprall einer Phalanx von Gedankenfolgen, die mich von Norden her überfallen, alle zusammen gepfercht in die fünf oder sechs Wagen des näherkommenden Zuges. Diese eng gedrängte Herde von Seelen brandet mitleidslos gegen mich an. Sie bebt wie eine gallertartige Planktonmasse, brutal im Netz eines Ozeanografen zusammengepresst und so einen einzigen, komplexen Organismus bildend, in dem die einzelnen Identitäten untergehen. Erst als der Zug in die Station einfährt, kann ich separate Persönlichkeitsfetzen wahrnehmen: ein Keuchen heftigen Verlangens, ein Knurren des Hasses, einen Stich des Bedauerns, ein lautloses, inneres Vorsichhin-Murmeln – bruchstückhafte Impressionen, die sich von dem wirren Durcheinander abheben wie Melodienfragmente von dem verschwommenen Orchesterwischwasch einer Mahlersymphonie. Meine Gabe manifestiert sich heute mit trügerischer Kraft. Ich empfange sehr viel. Soviel wie schon seit Wochen nicht mehr. Bestimmt hat die geringe Luftfeuchtigkeit damit zu tun. Aber ich lasse mich nicht zu dem Trugschluss hinreißen, das Nachlassen meiner Fähigkeit habe aufgehört. Als mir allmählich die Haare ausfielen, gab es auch eine Zeit des Glücks, als der Erosionsprozess stillzustehen, ja sich sogar umzukehren schien, als neuer, dunkler Flaum meine kahle Stirn zu zieren begann. Nach einem anfänglichen Hoffnungsschimmer kehrte jedoch meine Vernunft zurück: Hier handelte es sich nicht um eine wunderbare Aufforstung, sondern lediglich um eine Laune der Hormone, um eine vorübergehende Unterbrechung des Verfalls, der trotz allem nicht aufzuhalten war. Und genauso ist es hier. Wenn man weiß, dass in einem etwas stirbt, lernt man, dem zufälligen Aufblühen während einiger flüchtiger Augenblicke nicht allzu großes Vertrauen zu schenken. Heute mag meine Gabe stark sein, morgen höre ich vielleicht schon wieder nichts als fernes, nicht zu enträtselndes Gemurmel.
Ich finde einen Eckplatz im zweiten Wagen, schlage mein Buch auf und mache mich für die Fahrt bereit. Ich lese wieder einmal Becketts: Malone stirbt; es passt wunderbar zu meiner Stimmung, die, wie Sie längst gemerkt haben werden, von Selbstmitleid beherrscht wird. Meine Zeit ist begrenzt. Denn einst, an einem schönen Tag, wenn die Natur ganz Lächeln ist und Leuchten, lässt die Qual ihre schwarzen unvergesslichen Kohorten los und wischt das Blau hinweg für immer. Meine Situation ist wirklich delikat. Wie zerbrechlich alles ist, wie folgenschwer. Ich drohe es durch Furcht zu verlieren, die Furcht, wieder in den alten Irrtum zu verfallen, Furcht, nicht rechtzeitig fertig zu werden, Furcht, es zum letzten Mal, in einem letzten Ausgießen von Schmerz, Impotenz und Hass zu vergeuden. Es gibt der Formen viele in denen das Unveränderliche Linderung sucht von seiner Formlosigkeit. O ja der gute Samuel hat immer ein Wort trostlosen Trostes für uns bereit.
Irgendwo in der Nähe der 180th Street blicke ich auf und sehe schräg gegenüber ein junges Mädchen sitzen, das mich eindeutig beobachtet. Sie kann kaum über zwanzig sein, ist blass, aber recht attraktiv, mit langen Beinen, hübschem Busen und einem Schopf kastanienbrauner Haare. Auch sie hat ein Buch mitgebracht – eine Taschenbuchausgabe von Ulysses; ich kenne den Umschlag –, aber es liegt unbeachtet in ihrem Schoß. Interessiert sie sich für mich? Ich weiß es nicht, weil ich ihre Gedanken nicht lese, denn als ich den Zug bestieg, habe ich die Aufnahme automatisch auf ein Minimum begrenzt, einen Trick, den ich bereits als Kind gelernt habe. Wenn ich mich nicht gegen den Ansturm der Menschengeräusche in Zügen oder anderen geschlossenen öffentlichen Räumen schütze, kann ich mich überhaupt nicht konzentrieren. Ohne ihre Signale aufzunehmen, versuche ich zu erraten, was sie von mir denkt – ein Spiel, dem ich mich häufig widme. Wie intelligent er aussieht … Er muss viel gelitten haben, sein Gesicht wirkt soviel älter als sein Körper … Seine Augen sind sanft … sie blicken traurig … Ein Dichter oder ein Gelehrter … Ich möchte wetten, dass er leidenschaftlich ist … dass er all seine aufgestaute Liebe in den Geschlechtsakt legt, ins Bumsen … Was liest er da? Beckett? Ja, er muss ein Dichter sein, ein Schriftsteller … Vielleicht sogar ein berühmter … Aber ich darf nicht aggressiv sein. Aufdringlichkeit stößt ihn bestimmt ab. Ein scheues Lächeln, das macht ihn weich … Und eines führt dann bestimmt zum anderen … Ich werde ihn zum Lunch in meine Wohnung einladen … Um dann zu prüfen, ob meine Intuition ins Schwarze getroffen hatte, schalte ich mich in ihre Gedanken ein. Zuerst empfange ich überhaupt kein Signal. Wieder einmal lässt mich meine verdammte Gabe im Stich! Dann aber kommt es langsam – zuerst Wellensalat von den kaum ausgeprägten Überlegungen der anderen Passagiere ringsum, und dann die klare, liebliche Stimme ihrer Seele. Sie denkt an den Karate-Unterricht, an dem sie gegen Mittag in der 96th Street teilnehmen will. Sie ist in ihren Trainer verliebt, einen stämmigen, pockennarbigen Japaner. Heute Abend wird sie sich mit ihm treffen. Im Hintergrund ihrer Gedanken die Erinnerung an den Geschmack von Sake und das Bild seines nackten, kraftvollen Körpers, der sich auf sie senkt. An mich denkt sie überhaupt nicht. Ich gehöre lediglich zur Szenerie – genau wie die graphische Darstellung des Subway-Systems an der Wand über meinem Kopf. Selig, deine Egozentrik bringt dich noch mal um! Ich stelle fest, dass sie jetzt tatsächlich versonnen lächelt, aber das Lächeln gilt nicht mir, und als sie merkt, dass ich sie anstarre, verschwindet es.
Der Zug hält endlos lange in einem Tunnel zwischen zwei Stationen nördlich der 137th Street, dann setzt er sich endlich wieder in Bewegung und entlässt mich an der 116th Street, Columbia University. Ich steige die Treppe hinauf, dem Sonnenlicht entgegen. Zum ersten Mal bin ich diese Treppe vor einem vollen Vierteljahrhundert hinaufgestiegen, im Oktober 1951: ein etwas verängstigter High-School-Absolvent mit Akne und Bürstenschnitt, der von Brooklyn herunterkam, um sich ins College einzuschreiben und für die Aufnahme interviewen zu lassen. Unter den strahlenden Lichtern der University Hall. Der Interviewer einschüchternd würdevoll und reif – er muss ungefähr 24, 25 Jahre alt gewesen sein. Ich wurde trotzdem aufgenommen. Und von da an war dies tagtäglich meine Subwaystation, vom September 1952 an, bis ich endlich mein Zuhause verließ und in der Nähe des Campus eine Wohnung fand. In jenen Tagen war der Subway-Eingang über der Straße noch durch einen alten, gusseisernen Kiosk markiert, der auf dem Mittelstreifen zwischen den beiden Fahrbahnen stand, so dass Studenten, geistesabwesend und den Kopf voller Kierkegaard, Sophokles und Fitzgerald, immer wieder vor Autos liefen und überfahren wurden. Heute ist der Kiosk verschwunden, und die Subway-Eingänge haben einen vernünftigeren Platz auf den Gehsteigen gefunden.
Ich ging die 116th Street entlang. Zu meiner Rechten die weite Grünfläche des South Field, zu meiner Linken die flachen Stufen, die zur Low Memorial Library hinaufführen. Ich erinnere mich noch an die Zeiten, als das South Field ein Sportplatz mitten auf dem Campus war: braune Erde, Laufpfade, ein Zaun. In meinem ersten Collegejahr spielte ich dort immer Softball. Unsere Umkleideräume waren in der University Hall, und so sprinteten wir dann in Turnschuhen, Polohemden, schmuddeligen grauen Shorts inmitten der anderen Studenten in ihren Straßenanzügen oder den Reserveoffiziersuniformen die endlosen Stufen zum Southfield hinunter, wo wir uns eine Stunde lang im Freien tummeln durften. Ich war ein guter Softballspieler. Ohne viel Muskeln, aber mit erstklassigen Reflexen und einem guten Augenmaß; außerdem hatte ich immer den Vorteil, genau zu wissen, was der pitcher, der Werfer, dachte. Er überlegte zum Beispiel: Dieser Bursche da ist zu mager, um gut zu treffen, also lege ich ihm einen hohen, schnellen Ball vor. Aber ich war darauf vorbereitet, rannte los und hatte eine ganze Runde vollendet, bevor einer wusste, was überhaupt los war. Oder die andere Seite versuchte einen dummen Trick, etwa einen ›Hit-and-Run‹, aber ich lief einfach rüber, schnappte mir den Bodenball und startete das Doppelhaus. Gewiss, es handelte sich nur um Softball, eine weniger harte Version des Baseball, und meine Klassenkameraden waren zumeist dicke Flaschen, die nicht mal richtig laufen, geschweige denn Gedanken lesen konnten, aber ich genoss das mir ungewohnte Triumphgefühl, ein hervorragender Sportler zu sein, und schwelgte in Träumen, in denen ich Zwischenspieler bei den Dodgers war. Die ›Brooklyn Dodgers‹, erinnern Sie sich? In meinem zweiten Collegejahr wurde das South Field umgepflügt und zu Ehren des 200. Gründungstags der Universität zu einem Paradestück von Park gestaltet. Das war 1954. Mein Gott, wie lange ist das her! Ich werde alt … Ich werde alt … Trag hochgekrempelt die Hosen bald … Hörte zwar der Nixen Gesang, glaub' aber nicht, dass er mir galt …
Ich steige die Treppe hinauf und nehme ungefähr fünfzehn Fuß links von der Bronzestatue der Alma Mater Platz. Dies ist mein Büro – ob Sonne, ob Regen, ob's stürmt oder schneit. Die Studenten wissen, wo sie mich finden, und wenn ich da bin, verbreitet sich die Nachricht wie ein Lauffeuer. Außer mir bieten noch fünf bis sechs andere ihre Dienste an, zumeist mittellose Examenskandidaten, aber ich arbeite am schnellsten und zuverlässigsten und erfreue mich daher einer begeisterten Anhängerschaft. Heute gehen die Geschäfte allerdings zunächst zögernd. Zwanzig Minuten sitze ich da, rutsche unruhig hin und her, versuche im Beckett zu lesen oder starre die Alma Mater an. Vor ein paar Jahren hat die Bombe eines Radikalen ihre Seite aufgerissen, der Schaden ist aber wieder behoben. Ich weiß noch genau, dass ich zuerst über die Nachricht erschrocken war, und dann wiederum erschrocken darüber, dass ich erschrocken war. Schließlich, was ging mich diese dämliche Statue an, das alberne Symbol einer idiotischen Schule? Das war, glaube ich, 1969. In der Steinzeit.
»Mr. Selig?«
Ein großer, muskulöser Kerl. Enorme Schultern, pausbackiges naives Gesicht. Anscheinend zutiefst verlegen. Er hat Literatur 18 belegt und braucht möglichst schnell einen Aufsatz über Kafkas Romane, von denen er keinen gelesen hat. (Der Football hat jetzt Hochsaison; er spielt als Halfback und hat überhaupt keine Zeit.) Ich nenne ihm die Bedingungen, mit denen er sich hastig einverstanden erklärt. Während er vor mir steht, taste ich ihn innerlich ab, prüfe seine Intelligenz, schätze seinen mutmaßlichen Wortschatz und seinen Stil. Er ist klüger als er aussieht. Das sind die meisten. Fast alle könnten ihre Arbeiten selber schreiben, wenn sie sich nur die Zeit dazu nähmen. Ich mache Notizen, halte meinen Eindruck von ihm fest, und er schlendert äußerst zufrieden davon. Und auf einmal geht es Schlag auf Schlag: Er schickt einen Fraternity-Bruder, der Fraternity-Bruder schickt einen Freund, der Freund schickt einen seiner Fraternity-Brüder, von einer anderen Fraternity, und so weiter, bis ich am frühen Nachmittag feststelle, dass ich genug Arbeit habe. Ich kenne meine Kapazität. Und so ist wieder alles gut. Ich werde zwei oder drei Wochen lang ausreichend zu essen haben, ohne die widerwillig gewährte Großzügigkeit meiner Schwester in Anspruch nehmen zu müssen. Judith wird froh sein, eine Zeitlang nichts von mir zu hören. Auf, nach Hause, und ans Werk! Ich bin ein guter Ghostwriter – gewandt, ernst, nachdenklich in der typischen Collegemanier. Und ich kann meinen Stil variieren. Ich kenne mich aus in Literatur, Psychologie, Anthropologie, Philosophie. Gott sei Dank habe ich meine eigenen Semesterarbeiten aufbewahrt; sogar nach über zwanzig Jahren sind sie noch eine Goldgrube. Ich nehme 3.50 Dollar pro Maschinenseite, manchmal auch mehr, wenn mein Sondieren ergibt, dass der Student über genug Geld verfügt. Dafür garantiere ich mindestens eine 2-plus, andernfalls Geld zurück. Ich habe noch nie eine Rückzahlung leisten müssen.
Als David siebeneinhalb Jahre alt war und in der Schule ständig Ärger stiftete, schickte man ihn zu Dr. Hittner, dem amtierenden Schulpsychiater. Es handelte sich um eine teure Privatschule in einer ruhigen, baumbestandenen Straße im Park Slope-Viertel von Brooklyn, deren Programm sozialistisch-progressiv mit einer gefühlsduseligen, pädagogischen Basis von aufgewärmtem Marxismus, Freudianismus und John Deweyismus war, und der Psychiater, ein Spezialist für seelische Störungen bei Kindern der Mittelklasse, kam jeden Mittwochnachmittag, um sich mit einem der Problemkinder zu befassen. Diesmal war David an der Reihe. Seine Eltern waren natürlich einverstanden, weil sie sich große Sorgen über sein Betragen machten. Alle waren sich einig darin, dass er ein Überflieger war, frühentwickelt, mit dem Leseverständnis eines Zwölfjährigen und, wie die Erwachsenen fanden, beinahe beängstigend klug. Leider war er im Unterricht aber auch nicht zu bändigen, frech und unverschämt, die Arbeit in der Klasse langweilte ihn zu Tode; seine einzigen Freunde waren die Außenseiter unter den Schülern, die er rücksichtslos verfolgte; die meisten Kinder hassten ihn, und die Lehrer fürchteten seine Unberechenbarkeit. Eines Tages stellte er im Korridor einen Feuerlöscher auf den Kopf, nur um zu sehen, ob er wirklich Schaum speien würde. Er tat es. Er brachte Vipern mit in die Schule und ließ sie in der Klasse frei. Er imitierte Schulkameraden und sogar Lehrer mit grausamer Präzision. »Dr. Hittner möchte sich nur ein bisschen mit dir unterhalten«, erklärte ihm seine Mutter. »Weil du ein ganz besonderer Junge bist und er dich besser kennenlernen will.« David wollte nicht und machte ein Riesentheater um den Namen des Psychiaters. »Hitler? Hitler? Mit Hitler will ich aber nicht sprechen!« Das war im Herbst 1942, und dieses kindische Wortspiel wohl unvermeidlich, aber er klammerte sich mit enervierender Hartnäckigkeit daran. »Dr. Hitler will mit mir sprechen. Dr. Hitler will mich kennenlernen.« Und seine Mutter berichtigte: »Nein, David, er heißt Hittner – Hittner mit ›n‹.« Er ging. Forsch marschierte er in das Zimmer des Psychiaters, und als Dr. Hittner gütig lächelnd sagte »Hallo, David!« hob David stramm den rechten Arm und schnarrte laut »Heil Hitler!«
Dr. Hittner lachte. »Da hast du aber den Falschen erwischt«, sagte er freundlich. »Ich heiße Hittner, Hittner mit ›n‹.« Wahrscheinlich war er an diesen dummen Scherz gewöhnt. Er war sehr groß und dick und hatte ein langes Pferdegesicht mit einem breiten, fleischigen Mund und einer hohen, gewölbten Stirn. Hinter der randlosen Brille zwinkerten wasserblaue Augen. Seine Haut schimmerte weich und rosig, er duftete frisch und gab sich die größte Mühe, freundlich und nett wie ein großer Bruder zu sein. David jedoch spürte genau, dass Dr. Hittners Brüderlichkeit keineswegs aufrichtig war. Das spürte er übrigens bei den meisten Erwachsenen: Sie lächelten dauernd, innerlich aber dachten sie Dinge wie: Was für ein fürchterlicher Bengel, was für ein unheimliches Kind! Sogar seine Eltern dachten das manchmal. Er begriff nicht, warum Erwachsene mit ihrem Gesicht dies sagten und mit ihren Gedanken das, aber er hatte sich daran gewöhnt. Inzwischen erwartete er nichts anderes und akzeptierte es gelassen.
»Und nun wollen wir ein bisschen spielen, nicht wahr?«, schlug Dr. Hittner lächelnd vor.
Aus der Westentasche seines Tweedanzugs zog er eine kleine Plastikkugel, die an einer Metallkette hing. Er zeigte sie David, dann zog er an der dünnen Kette, und die Kugel zerfiel in acht bis neun Teile von verschiedenen Farben. »Pass gut auf, ich werde sie jetzt wieder zusammensetzen«, sagte Dr. Hittner. Mit seinen dicken Fingern fügte er die Einzelteile geschickt ineinander. Dann zerlegte er sie wieder und schob sie zu David hinüber. »Jetzt bist du an der Reihe. Ob du sie wohl auch zusammensetzen kannst?«
David erinnerte sich, dass der Doktor zunächst das E-förmige weiße Teil genommen und das D-förmig blaue Teil hineingepasst hatte. Dann kam das gelbe Teil, aber wo das hinpasste, wusste David nicht mehr. Sekundenlang saß er ratlos da bis Dr. Hittner ihm liebenswürdigerweise ein gedankliches Bild der richtigen Handgriffe übermittelte. Von da an ging alles kinderleicht. Zweimal noch blieb er stecken, las die Lösung aber jedes Mal in den Gedanken des Doktors. Warum behauptet er, mich zu testen, wenn er mir so viele Hinweise gibt?, dachte David. Was will er damit beweisen? Als die Kugel zusammengesetzt war, gab David sie dem Psychiater zurück. »Möchtest du sie gern behalten?«, fragte Hittner.
»Ich brauche sie nicht«, antwortete David, steckte sie dann aber doch ein.
Anschließend spielten sie noch andere Spiele. Zum Beispiel das mit den kleinen Karten, auf denen Tiere, Vögel, Bäume und Häuser abgebildet waren. David sollte sie so hinlegen, dass sie eine fortlaufende Geschichte erzählten, und dem Doktor die Geschichte erklären. Er warf sie wahllos durcheinander und dachte sich eine Geschichte aus, die er der zufälligen Reihenfolge anpasste. »Die Ente geht in den Wald, da trifft sie einen Wolf, aber sie verwandelt sich in einen Frosch und springt über den Wolf direkt in das Maul eines Elefanten, aber sie kommt durch den Rüssel des Elefanten wieder raus und fällt in einen Teich, und als sie rauskommt, sieht sie die hübsche Prinzessin, die zu ihr sagt, komm mit nach Hause, ich gebe dir Honigkuchen, aber sie liest ihre Gedanken und merkt, dass die Prinzessin eigentlich eine böse Hexe ist, die …«
Bei einem anderen Spiel gab es Papierblätter mit dicken, blauen Tintenklecksen. »An was denkst du, wenn du diese Kleckse siehst? Kannst du irgendwelche Dinge erkennen?«, fragte der Doktor. »Natürlich«, antwortete David, »das hier ist ein Elefant, siehst du? Da ist sein Schwanz, aber ganz krumm, und das ist sein Rüssel, und damit macht er Pipi.« Er hatte gemerkt, dass Dr. Hittner interessiert aufhorchte, wenn er von Pipi oder Pimmel sprach, also machte er ihm das Vergnügen und entdeckte in jedem Tintenklecks derartige Dinge. David kam dieses Spiel ziemlich albern vor, Dr. Hittner fand es anscheinend aber wichtig, denn er machte sich über alles, was David sagte, eifrig Notizen. Während er schrieb, untersuchte David Dr. Hittners Gedanken. Die meisten Wörter, die er aufnahm, verstand er nicht, einige aber kannte er, zum Beispiel die Erwachsenenausdrücke für die menschlichen Körperteile, die David von seiner Mutter gelernt hatte: Penis, Vulva, Gesäß, Rectum, und so weiter. Dr. Hittner schien diese Wörter besonders zu mögen deshalb fing David an sie zu gebrauchen. »Das ist ein Adler, der ein Lämmchen packt und damit wegfliegt. Das ist der Penis des Adlers, hier unten, und da drüben ist das Rectum des Lämmchens. Und da, das nächste, das sind ein Mann und eine Frau, die sind alle beide nackt, und der Mann versucht seinen Penis in die Vulva der Frau zu stecken, aber er passt nicht, und …« David sah die Feder des Füllers nur so über das Papier fliegen. Er grinste Dr. Hittner an und nahm das nächste Blatt zur Hand.
Dann spielten sie Wortspiele. Der Doktor sagte ein Wort, und David musste darauf das erstbeste Wort antworten, das ihm in den Sinn kam. David fand es jedoch weit lustiger, das erstbeste Wort zu sagen, das Dr. Hittner einfiel. Er brauchte nur einen Sekundenbruchteil, um es in Hittners Gedanken zu lesen und der Doktor schien davon keine Ahnung zu haben. Das Spiel ging so:
»Vater.«
»Penis.«
»Mutter.«
»Bett.«
»Baby.«
»Tot.«
»Wasser.«
»Bauch.«
»Tunnel.«
»Schaufel.«
»Sarg.«
»Mutter.«
Ob das die richtigen Wörter waren? Wer gewann überhaupt bei diesem Spiel? Warum war Dr. Hittner plötzlich so aufgeregt?
Endlich hörten sie auf zu spielen und unterhielten sich nur noch. »Du bist ein sehr gescheiter kleiner Junge«, sagte Dr. Hittner. »Das darf ich dir sagen, ohne dich zu überheblich zu machen, denn das weißt du ja bereits. Was möchtest du denn tun, wenn du mal groß bist?«
»Gar nichts.«
»Gar nichts?«
»Ich möchte nur spielen, viele, viele Bücher lesen und schwimmen gehen.«
»Aber wie willst du Geld verdienen?«
»Das kriege ich von den Leuten, wenn ich es brauche.«
»Na, wenn du weißt, wie man das macht, dann verrate mir bitte das Geheimnis«, sagte der Doktor. »Gehst du eigentlich gern in die Schule?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Weil die Lehrer immer so streng sind. Und weil der Unterricht langweilig ist. Und weil die anderen Kinder mich nicht mögen.«
»Weißt du denn, warum sie dich nicht mögen?«
»Weil ich klüger bin als sie«, antwortete David. »Weil ich …« Hoppla! Beinahe hätte er gesagt: Weil ich ihre Gedanken lesen kann. Aber das durfte er nicht sagen. Niemandem. Dr. Hittner wartete darauf, dass er den Satz beendete. »Weil ich so viele Dummheiten mache.«
»Und warum tust du das?«
»Weiß ich nicht. Vielleicht, damit es nicht so langweilig ist.«
»Wenn du nicht soviel Dummheiten machen würdest, wären die Leute vielleicht netter zu dir. Möchtest du nicht, dass die Leute nett zu dir sind?«
»Das ist mir gleich. Ich brauche sie nicht.«
»Jeder Mensch braucht Freunde, David.«
»Ich habe Freunde.«
»Mrs. Fleischer sagt, dass du nur ganz wenige hast, und dass du sie häufig schlägst. Warum schlägst du deine Freunde?«
»Weil ich sie nicht mag. Weil sie dämlich sind.«
»Wenn du das meinst, dann sind es keine richtigen Freunde.«
Achselzuckend entgegnete David: »Ich komme sehr gut ohne sie aus. Ich bin eben gern allein.«
»Fühlst du dich zu Hause wohl?«
»Glaube schon.«
»Hast du Daddy und Mommy lieb?«
Pause. Die Gedanken des Doktors strahlten große Gespanntheit aus. Also eine wichtige Frage. Gib ihm die richtige Antwort, David. Gib ihm die Antwort, die er will.
»Ja«, sagte David.
»Wünschst du dir ein Brüderchen oder Schwesterchen?«
Diesmal kein Zögern. »Nein.«
»Wirklich nicht? Gefällt es dir, ganz allein zu sein?«
David nickte. »Am Nachmittag, da ist es immer am schönsten. Wenn ich aus der Schule komme und niemand zu Hause ist. Bekomme ich denn ein Brüderchen oder Schwesterchen?«
Der Doktor lachte. »Das weiß ich wirklich nicht, David. Das müssen deine Eltern entscheiden, nicht wahr?«
»Aber Sie sagen ihnen doch nicht, dass sie mir eins schenken sollen, nicht wahr? Ich meine, Sie sagen bestimmt nicht, dass es gut für mich wäre, eins zu haben. Denn dann würden sie mir sofort eins schenken, und ich will doch nicht, dass …« Jetzt habe ich mich verplappert, merkte David.
»Wieso glaubst du, dass ich deinen Eltern sagen würde, es wäre gut für dich, ein Brüderchen oder Schwesterchen zu haben?«, erkundigte sich der Doktor ruhig und diesmal ganz ohne zu lächeln.
»Ich weiß nicht. Das war nur einfach so 'ne Idee.« Die ich in deinem Kopf gefunden habe, mein Lieber. Und jetzt will ich endlich hier raus. Ich habe keine Lust mehr, mit dir zu reden. »He, Doktor, Sie heißen doch gar nicht Hittner, nicht wahr? Hittner mit ›n‹? Ich wette, ich weiß, wie Sie richtig heißen. Heil Hitler!«
Ich konnte nie anderen meine Gedanken übertragen. Selbst als meine Fähigkeit am ausgeprägtesten war, konnte ich nicht senden. Ich konnte immer nur empfangen. Vielleicht gibt es Leute, die diese Fähigkeit besitzen, die ihre Gedanken sogar an diejenigen übertragen können, die nicht die Gabe des Empfangens haben, aber ich gehöre nicht zu ihnen. So war ich also dazu verdammt, das größte Ekel zu sein, was die menschliche Gesellschaft hervorbringen kann: ein Lauscher, ein Voyeur. Ein altes Sprichwort sagt: Der Lauscher an der Wand hört seine eig'ne Schand. Ja. Damals, als mir besonders daran gelegen war, mit anderen Menschen Kontakt aufzunehmen, gab ich mir so große Mühe, ihnen meine Gedanken aufzuzwingen, dass ich vor Anstrengung in Schweiß ausbrach. Ich saß zum Beispiel im Klassenzimmer, starrte auf den Hinterkopf eines der Mädchen und dachte konzentriert: Hallo, Annie, hier spricht David Selig, hörst du mich? Hörst du mich? Ich liebe dich, Annie. Ende. Ende und aus. Aber Annie hörte mich nie, und ihre Gedankenströme rollten dahin wie ein träger Fluss, ohne sich von David Selig stören zu lassen.
Ich habe also keine Möglichkeit, meine Gedanken zu senden, ich kann nur in den Gedanken anderer spionieren. Die Art und Weise, wie meine Gabe sich manifestiert, hat immer schon sehr stark variiert. Ich konnte sie nie bewusst kontrollieren, konnte höchstens die Intensität des Inputs abschwächen und gewisse Feineinstellungen vornehmen; davon abgesehen musste ich nehmen, was auf mich zukam. Meist empfing ich die oberflächlichen Gedanken eines Menschen, seine gedankliche Vorformulierung der Dinge, die er zu sagen beabsichtigte. Die hörte ich dann ganz deutlich, wie im Gespräch, genauso, als hätte er sie gesagt, nur in einem anderen Ton, einem Ton, der eindeutig nicht von seinem Stimmapparat produziert wurde. Ich wüsste nicht, dass ich jemals gesprochene Kommunikationen mit der mentalen verwechselt hätte, nicht einmal in meiner Kindheit. Diese Gabe, die oberflächlichen Gedanken zu lesen, ist eigentlich immer gleich stark gewesen: Ich weiß heute noch fast immer im Voraus, was der andere sagen will, vor allem, wenn dieser andere die Angewohnheit hat, sich vorher zurechtzulegen, was er sagen will.
Auch konnte ich – und kann es in gewissem Umfang noch – unmittelbar bevorstehende Absichten voraussehen, etwa den Entschluss, eine rechte Gerade am Kinn zu landen. Die Art, wie ich diese Dinge erfasse, variiert. Manchmal empfange ich einen zusammenhängenden Gedanken: Ich werde jetzt eine rechte Gerade an seinem Kinn landen. Manchmal, wenn meine Gabe an dem betreffenden Tag in die tieferen Regionen hinabreicht, empfange ich wohl auch einfach eine Reihe nicht-verbaler Befehle an die Muskeln, die innerhalb eines Sekundenbruchteils zu dem Ergebnis führen, dass der rechte Arm eine Gerade zum Kinn ausführt. Man könnte es als Körpersprache auf telepathischer Wellenlänge bezeichnen.
Eine andere Variation meiner Gabe, die aber äußerst unbeständig war, ist das Einstimmen auf die tiefsten Schichten des Bewusstseins – auf die Seele, wenn man will. Wo das Bewusstsein in einer dicken Brühe unbestimmter, unbewusster Phänomene ruht. Hier liegen Hoffnungen, Ängste, Wahrnehmungen, Ziele, Leidenschaften, Erinnerungen, philosophische Standpunkte, moralische Auffassungen, Sehnsüchte, Sorgen, das ganze Sammelsurium von Ereignissen und Ansichten begraben, die das Ego des Menschen ausmachen. Gewöhnlich sickert einiges davon sogar dann zu mir durch wenn nur ein oberflächlicher mentaler Kontakt besteht: Dabei empfange ich unwillkürlich gewisse Informationen über die Beschaffenheit der Seele. Gelegentlich aber – heutzutage sehr, sehr selten – schlage ich meine Fänge in das Eigentliche, den ganzen Menschen. Das ist Ekstase! Das ist ein elektrisierender Kontakt! Verbunden natürlich immer mit einem gewissen Schuldbewusstsein wegen der Absolutheit meines Voyeurismus: Kann man die Lauscherei gründlicher betreiben? Übrigens, die Seele spricht eine Universalsprache. Wenn ich die Gedanken von Mrs. Esperanza Dominguez etwa belausche und höre nur Spanisch dann weiß ich keineswegs, was sie denkt, denn Spanisch verstehe ich nur sehr schlecht. Dringe ich aber in die Tiefen ihrer Seele vor, begreife ich alles bis ins Kleinste. Die Gedanken drücken sich auf Spanisch, Basque, Ungarisch oder Finnisch aus, die Seele aber denkt in einer sprachenlosen Sprache und ist somit offen für jeden neugierigen Eindringling, der ihre Geheimnisse ausspähen will. Ist aber schließlich auch egal. Meine Gabe verlässt mich ohnehin.
Paul F. Bruno
Lit. 18, Prof. Schmitz
15. Oktober 1976
Kafkas Romane
In der Albtraumwelt von Kafkas Romanen Der Prozess und Das Schloss ist nur eine Tatsache gewiss: dass die Zentralfigur, bezeichnenderweise unter dem Buchstaben K bekannt, der Frustration entgegengeht. Alles andere ist traumhaft und ungewiss; in Wohnungen tauchen Gerichtssäle auf, geheimnisvolle Wärter verschlingen anderer Leute Frühstück, ein Mann, den man für Sordini hält, ist in Wirklichkeit Sortini. Die zentrale Tatsache aber steht von vornherein fest: K wird niemals Gnade zuteil werden.
Die beiden Romane haben dasselbe Thema und annähernd die gleiche Grundstruktur. In beiden Romanen sucht K Gnade und muss schließlich erkennen, dass sie ihm vorenthalten wird. (Das Schloss ist zwar unvollendet, der Ausgang aber eindeutig.) Kafka führt seine Helden auf entgegengesetzte Manier in die Handlungssituation ein: Im Prozess bleibt Joseph K. passiv, bis er durch das unerwartete Eintreffen zweier Wärter zur Aktion gezwungen wird; im Schloss wird K zunächst als aktiver Mensch gezeigt, der sich aus eigenem Antrieb bemüht, das geheimnisvolle Schloss zu erreichen. Ursprünglich war er natürlich vom Schloss herbestellt worden; die Aktion ging nicht von ihm selbst aus, und so beginnt er eigentlich als ebenso passive Figur wie Joseph K. Der Unterschied liegt nur darin, dass Der Prozess an einem früheren Punkt im Zeitablauf der Handlung einsetzt, eigentlich sogar am frühesten Punkt. Das Schloss dagegen hält sich enger an die uralte Regel, dass man in medias res gehen soll, daher ist K bereits herbefohlen worden und versucht nunmehr das Schloss zu erreichen.
Der Anfang beider Romane ist lebhaft. Joseph K. wird schon im ersten Satz verhaftet, sein Gegenstück K trifft auf der ersten Seite an der, wie er glaubt, letzten Station vor dem Erreichen des Schlosses ein. Von da an mühen sich beide Ks vergeblich, ihr Ziel zu erreichen (im Schloss den Schlossberg zu erklimmen, im Prozess zunächst, das Wesen seiner Schuld zu begreifen und dann, als dieses nicht gelingt, freigesprochen zu werden, auch ohne zu begreifen). Beide jedoch entfernen sich mit jedem nachfolgenden Schritt weiter von ihren Zielen. Der Prozess erreicht seinen Höhepunkt in der herrlichen Domszene, wahrscheinlich die erschreckendste Einzelsequenz an Kafkas Gesamtwerk, in der K zu verstehen gegeben wird, dass er schuldig ist und niemals freigesprochen werden kann; das folgende Kapitel beschreibt Ks Hinrichtung und ist nur noch ein antiklimaktischer Appendix. Das Schloss, nicht so vollständig wie Der Prozess, enthält kein Gegenstück zur Domszene (vielleicht gelang es Kafka nicht, eine passende zu erfinden?) und ist künstlerisch daher weniger befriedigend als der kürzere, aber intensivere und straffer konstruierte Prozess.
Trotz ihrer oberflächlichen Kunstlosigkeit scheinen beide Romane auf der fundamentalen dreiteiligen Struktur des Tragödienrhythmus zu basieren, der von dem Kritiker Kenneth Burke einmal als ›Zielsetzung, Leiden, Erkenntnis‹ beschrieben wurde. Der Prozess hält sich an dieses Schema mit mehr Erfolg als das unvollendete Schloss; die Zielsetzung, nämlich die Gnade, wird mittels eines nicht weniger qualvollen Leidens demonstriert, wie andere Romanhelden es durchmachen müssen. Zuletzt, wenn Joseph K. seinen Trotz, sein selbstbewusstes Auftreten endlich aufgegeben hat und nur noch angstvoll-demütig bereit ist, vor der Macht des Gerichts zu kapitulieren, ist der Zeitpunkt für die Erkenntnis gekommen.
Der Mittelsmann, der ihn an den Schauplatz des Handlungshöhepunktes führt, ist eine geradezu klassisch-kafkaeske Figur: ein geheimnisvoller ›italienischer Kollege, der zum ersten Mal in der Stadt war und einflussreiche Verbindungen hatte, die ihn der Bank wichtig erscheinen ließen‹. Hier wiederholt sich das Thema, das sich in allen Werken Kafkas findet, die Unmöglichkeit menschlicher Kommunikation: Obwohl Joseph zur Vorbereitung auf diesen Besuch die halbe Nacht hindurch Italienisch gelernt hat und infolgedessen todmüde ist, spricht der Fremde einen unbekannten Dialekt des Südens, den Joseph K. nicht verstehen kann. Dann – Gipfel aller Ironie – wechselt der Fremde zum Französischen über, doch sein Französisch ist ebenso schwer verständlich und sein buschiger Schnurrbart verhindert, dass Joseph von seinen Lippen ablesen kann.
Sobald Joseph K. den Dom erreicht, den er dem Italiener zeigen soll (der natürlich nicht erscheint), steigert sich die Spannung. Joseph wandert durch die Kirche, die leer, dunkel, kalt und nur von in der Ferne flackernden Kerzen beleuchtet ist, während es draußen unerklärlicherweise sehr schnell Nacht wird. Dann spricht ihn der Priester an und erzählt die Parabel vom Türhüter. Erst wenn diese Erzählung beendet ist, wird uns klar, dass wir sie überhaupt nicht verstanden haben, denn statt schlicht und einfach zu sein, wie es uns zunächst vorkam, entpuppt sie sich als äußerst schwierig und komplex. Joseph K. und der Priester diskutieren lange über das Gleichnis – beinahe wie zwei Rabbiner sich über eine Stelle im Talmud unterhalten. Ganz allmählich werden uns die Implikationen klar und wir sowohl als auch Joseph K. müssen erkennen, dass das Licht, das durch die Tür auf das Gesetz hereinfällt, für ihn erst sichtbar wird, wenn es zu spät ist.
Strukturell gesehen endet der Roman an diesem Punkt. Joseph K. ist zu der Erkenntnis gekommen, dass ein Freispruch unmöglich ist; seine Schuld ist erwiesen, und Gnade wird ihm noch nicht zuteil. Seine Suche ist beendet. Das letzte Stadium des Tragödienrhythmus, die Erkenntnis, die das Leiden beendet, ist erreicht.
Wir wissen, dass Kafka weitere Kapitel plante, die Joseph Ks Prozess durch weitere Stadien verfolgen und mit seiner Hinrichtung enden. Kafkas Biograph Max Brod behauptet, das Buch hätte endlos weitergehen können. Damit hat er natürlich rechtes liegt im Wesen von Joseph Ks Schuld, dass er das Oberste Gericht niemals erreicht, genau wie der andere K endlos weiterwandern kann, ohne das Schloss je zu erreichen. Strukturell gesehen endet der Roman jedoch im Dom, was Kafka noch hatte hinzufügen wollen, hätte an Josephs Selbsterkenntnis nichts mehr geändert. Die Domszene zeigt uns, was wir schon auf Seite Eins wussten: dass es keinen Freispruch gibt. Mit dieser Erkenntnis schließt die Handlung.
Das Schloss ist viel länger und viel lockerer konstruiert, aber es fehlt ihm die Kraft, der dem Prozess innewohnt. Es ist weitschweifig. Das Leiden des K ist weit weniger deutlich definiert, und K ist ein weniger konsistenter Charakter, psychologisch nicht so interessant wie im Prozess. Während er im Prozess, als er die Gefahr erkennt, seinen Fall selber in die Hand nimmt, wird er im Schloss sehr schnell zum Opfer der Bürokratie. Im Prozess verläuft die Wesensänderung von anfänglicher Passivität zur Aktivität und, nach der Offenbarung im Dom, wieder zu passiver Resignation zurück. Im Schloss durchläuft K nicht so klar definierte Stadien; er ist am Anfang des Romans eine durchaus aktive Figur, verliert sich jedoch bald schon in dem albtraumhaften Irrgarten des Dorfs unterhalb des Schlosses und versinkt immer tiefer in Demütigung. Joseph K. ist ein beinahe heldenmütiger Mensch, der K im Schloss höchstens ein bemitleidenswerter.
Die beiden Romane sind Varianten eines Versuchs, ein und dieselbe Geschichte zu erzählen, nämlich die des existentiell nicht engagierten Menschen, der sich plötzlich in einer Situation wiederfindet, aus der es kein Entkommen gibt, und der sich nach mehreren Versuchen, die Gnade zu erlangen, die ihn aus seinem Leiden erlöst, zuletzt doch noch unterwirft. Wie wir die Bücher heute kennen, ist Der Prozess zweifellos der größere künstlerische Erfolg, sicher durchstrukturiert und ständig unter der technischen Kontrolle des Autors. Das Schloss, oder vielmehr, das Fragment dieses Romans, das wir haben, ist potentiell jedoch das größere Werk. Alles, was im Prozess vorkommt, wäre auch im Schloss vorgekommen, und außerdem sogar noch weit mehr. Leider hat man aber das Gefühl, dass Kafka die Arbeit am Schloss einstellte, weil er einsah, dass er nicht die Kraft hatte, sie bis zum Ende durchzuführen. Mit der Welt des Schlosses, seinem weiten Hintergrund Breughelschen Landlebens, wurde er nicht so leicht fertig wie mit dem ihm vertrauten städtischen Milieu des Prozesses. Außerdem findet sich im Schloss ein gewisser Mangel an Eindringlichkeit; wir machen uns zu keinem Zeitpunkt große Sorgen über Ks Schicksal, weil sein Untergang unabänderlich ist Joseph K. dagegen kämpft gegen greifbarere Mächte, so dass wir bis zum Schluss in der Illusion leben, ein Sieg sei für ihn doch noch möglich. Auch ist Das Schloss ziemlich schwerfällig. Wie eine Mahlersymphonie bricht es unter dem eigenen Gewicht zusammen. Man muss sich fragen, ob Kafka tatsächlich eine Struktur ins Auge gefasst hatte, die es ihm ermöglichte, Das Schloss bis zum Ende durchzuführen. Vielleicht beabsichtigte er überhaupt nicht, den Roman zu beenden, sondern wollte K endlos im Kreis wandern lassen, ohne ihn jemals der tragischen Erkenntnis zuzuführen, dass er das Schloss niemals erreichen wird. Vielleicht ist das der Grund für die verhältnismäßig formlose Struktur seiner späteren Arbeiten: Kafkas Entdeckung, dass die wahre Tragödie des K, sein Archetypus des Helden als Opfer, nicht in der Erkenntnis liegt, dass er unmöglich Gnade finden kann, sondern in der Tatsache, dass er nicht einmal zu dieser letzten Erkenntnis kommt. Hier haben wir den Tragödienrhythmus, eine Struktur, die in der gesamten Literatur zu finden ist – nur diesmal verkürzt, um den Zustand des zeitgenössischen Menschen noch deutlicher hervorzuheben, einen Zustand, der Kafka wahrhaft ein Schrecken war. Joseph K., der tatsächlich eine Art Gnadenzustand erreicht, erwächst zu wahrer, tragischer Größe; K, der einfach immer tiefer sinkt, symbolisiert für Kafka möglicherweise das zeitgenössische Individuum, von der allgemeinen Tragik dieser Zeit so zerstört, dass es zu einer Tragödie auf individuellem Niveau einfach nicht mehr fähig ist. K ist eine mitleiderregende Figur, Joseph K. eine tragische. Joseph K. ist der interessantere Charakter, aber vermutlich war es K, den Kafka weitaus tiefer verstand. Und für Ks Geschichte gibt es kein Ende, es sei denn das sinnlose Ende seines Todes.
Das ist gar nicht mal so schlecht. Sechs Seiten, zweizeilig beschrieben. Das bringt mir, bei 3,50 Dollar pro Seite, glatte 21 Dollar für weniger als zwei Stunden Arbeit, und Mr. Paul. F. Bruno eine bombensichere Zwei-plus von Professor Schmitz. Davon bin ich fest überzeugt, weil mir derselbe Aufsatz, mit ein paar unbedeutenden stilistischen Ausschmückungen, im Mai 1955 bei dem überaus strengen Professor Dupee eine Zwei eingebracht hat. Der Leistungsstandard ist heutzutage, nach zwei Jahrzehnten akademischer Inflation, um einiges niedriger. Vielleicht bekommt Bruno sogar eine Eins-minus für diesen Kafka. Die Arbeit enthält genau die richtige aufrichtige Intelligenz, durchsetzt mit der typischen Schuljungenmischung von aufgeklärter Einsicht und naiven Dogmatismus, und seiner Randbemerkung zufolge fand Professor Dupee den Stil 1955 ›klar und kraftvoll‹. Na schön. Zeit für ein bisschen Chow-mein und womöglich einer Frühlingsrolle dazu. Dann werde ich Odysseus als Symbol der menschlichen Gesellschaft oder auch Aischylos und die Tragödie des Aristoteles in Angriff nehmen. Diese beiden kann ich nicht aus meinen alten Schulaufsätzen abschreiben, doch allzu schwer dürften auch sie mir nicht fallen. Alte Schreibmaschine, du alte Schwindelmaschine, du kommst mir immer wieder gut zu statten.
Aldous Huxley war der Meinung, die Evolution habe aus unserem Gehirn einen Filter gemacht, der eine Menge Informationen, die für den alltäglichen Lebenskampf wertlos sind, einfach zurückweist. Visionen, mystische Erfahrungen, Psi-Phänomene wie etwa telepathische Übertragungen von anderen Gehirnen – wir würden von allen möglichen derartigen Dingen überflutet, gäbe es nicht die Funktion des, wie Huxley es in seinem Büchlein Heaven and Hell bezeichnete, ›zerebralen Reduktionsventils‹. Gott sei gelobt für das zerebrale Reduktionsventil! Hätten wir es nicht entwickelt, würden wir ständig durch Szenen von überirdischer Schönheit, durch spirituelle Einsichten von überwältigender Grandiosität und durch erschöpfenden, absolut ehrlichen Gedankenkontakt mit unseren Mitmenschen verwirrt. Zum Glück schützt uns davor – die meisten von uns jedenfalls – das Ventil, so dass wir unbelastet unser Leben führen, billig kaufen, teuer verkaufen können.
Allerdings scheint das Ventil bei einigen von uns nicht so recht zu funktionieren. Ich meine Maler wie Bosch oder El Greco deren Augen die Welt nicht sahen wie du und ich; ich meine die visionären Philosophen, die Ekstatiker, die nach dem Nirwana Strebenden; ich meine die bedauernswerten Ausnahmen, die in den Gedanken anderer Menschen lesen. Mutanten, einer wie der andere. Spielbälle der Genetik.
Wie dem auch sei, Huxley war überzeugt, dass die Funktion des zerebralen Reduktionsventils mit Hilfe der verschiedensten Methoden gestört werden kann und dass dadurch auch gewöhnliche Sterbliche Zugang zu den außersinnlichen Informationen bekommen, die normalerweise wenigen Auserwählten vorbehalten sind. Die psychedelischen Drogen etwa, meinte er, hätten diesen Effekt. Meskalin wirkt seiner Meinung nach auf das Enzymsystem ein, das die Zerebralfunktion reguliert, und ›setzt so die Effektivität des Gehirns als Instrument zum Konzentrieren des Verstandes auf die Probleme des Lebens auf unserem Planeten herab. Dadurch … wird es bestimmten Gruppen mentaler Ereignisse ermöglicht, in das Bewusstsein einzudringen, Ereignisse, die normalerweise ausgesperrt bleiben, weil sie keinen Überlebenswert besitzen. Auf ähnliche Weise kann es infolge schwerer Krankheit oder Ermüdung vorkommen, dass biologisch wertloses, aber ästhetisch und manchmal auch geistig wertvolles Material eindringt. Oder dieser Zustand wird durch Fasten erreicht oder durch das Eingeschlossensein in einem Raum, in dem Dunkelheit und absolute Stille herrschen.‹
Was David Selig selbst betrifft, so kann er nur wenig über psychedelische Drogen sagen, weil er damit nur einmal eine Erfahrung gemacht hat, und das war noch dazu keine sehr glückliche. Es geschah im Sommer 1968, als er mit Toni zusammenlebte.