Der Planet Oriana stirbt. Seine Vegetation ist verdorrt, die Luft kaum mehr atembar, das Wasser kontaminiert. Nun, nach zweihundert Jahren Bürgerkrieg, haben sich die beiden verfeindeten Volksgruppen dazu durchgerungen, Friedensverhandlungen aufzunehmen.
Auf Bitten der Orianer hat die Föderation Captain Picard als Vermittler entsandt. Während der Captain, Lieutenant Worf und Counselor Troi auf dem Planeten die ersten Sondierungsgespräche führen, muss die Enterprise einem in Not geratenen Raumschiff zu Hilfe eilen.
Die Verhandlungen auf Oriana scheinen bereits Fortschritte zu machen, da fällt der Führer einer der beiden Parteien einem Giftanschlag zum Opfer. Sofort bricht das alte Misstrauen wieder auf. Obendrein wird Captain Picard unter Mordverdacht verhaftet. Wenn es Worf und Counselor Troi nicht gelingt, seine Unschuld zu beweisen, droht ihm die Hinrichtung.
Über das Buch
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
LAURELL K. HAMILTON
NACHT ÜBER ORIANA
Star Trek™
The Next Generation
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
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Deanna Troi stand an einem Fenster und blickte ins All. Die Sterne bewegten sich nicht – still und unbewegt leuchteten sie. Hier gab es keine Atmosphäre, die ihr Licht flackern ließ. Die Counselor hatte diesen leeren Korridor aufgesucht, um einige Minuten allein und ungestört zu sein, bevor sie den Weg zur Brücke fortsetzte.
Die Enterprise befand sich im Orbit von Oriana. Ein generationenlanger Bürgerkrieg hatte den Planeten verwüstet und seinen Bewohnern Elend beschert. Troi wollte den unerschütterlichen Frieden der Sterne in den Kontrollraum mitnehmen. Als Bordcounselor musste sie immer ruhig und entspannt sein, um möglichst gute Dienste zu leisten.
»Wonach halten Sie Ausschau?«
Deanna zuckte zusammen und drehte sich um. »Sie haben mich erschreckt, Worf.«
Der Klingone runzelte die Stirn, und dadurch wirkte seine Miene noch finsterer. »Das wollte ich nicht.«
Troi lächelte. »Ich weiß.«
Die Falten fraßen sich tiefer in Worfs Stirn, bildeten Täler zwischen den Stirnhöckern. Er nickte kurz.
Wie üblich lagen seine Emotionen ganz offen an der Oberfläche des Ichs. Der Klingone versuchte überhaupt nicht, sie zu verbergen. Menschen trachteten oft danach, sich selbst zu täuschen, aber Worf machte keinen Hehl aus seinen Gedanken und Empfindungen. Er teilte auch nicht das Unbehagen, das einige Besatzungsmitglieder empfanden, wenn sie eine Empathin in der Nähe wussten. Der klingonische Sicherheitsoffizier hatte keine Geheimnisse, die mit Scham oder dergleichen in Verbindung standen.
Troi wusste seine Offenheit zu schätzen und lächelte erneut. »Sie haben gefragt, wonach ich Ausschau halte«, sagte sie und deutete zum Fenster.
Worf trat an ihre Seite, die Hände auf den Rücken gelegt. Seine breiten Schultern reichten fast von einer Seite des Fensters bis zur anderen. Deanna wusste, dass sie nicht groß war, aber neben dem Klingonen kam sie sich zwergenhaft vor.
»Sind die Sterne nicht wunderschön?«, fragte sie.
Worf verlagerte das Gewicht vom einen Bein aufs andere, und die Counselor spürte seine Verwirrung. »Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
Ein Mensch hätte gelogen, doch dieser Mann blieb bei der Wahrheit.
»Ich habe die Sterne beobachtet und daran gedacht, wie schön sie sind«, erklärte Deanna.
Worf starrte ins schwarze, kalte All. Die Sterne waren wie kleine Eissplitter auf Samt. »Ich sehe Sterne«, sagte er schließlich.
»Aber sie erscheinen Ihnen nicht schön, oder?« Troi blickte zu dem Klingonen auf und bemerkte, wie er erneut die Stirn runzelte.
»Es sind Sterne. Und vielleicht könnte man sie für … hübsch halten.«
Deanna lächelte. »Ich finde sie hübsch.«
Der Mann an ihrer Seite nickte.
Die Counselor hätte am liebsten gelacht, aber sie beherrschte sich. Man lachte nicht über Freunde, erst recht dann nicht, wenn sie höflich zu sein versuchten.
Picards Stimme erklang. »Counselor Troi, bitte kommen Sie zur Brücke.«
Deanna klopfte auf ihren Insignienkommunikator. »Ich bin unterwegs, Captain.«
»Worf hier, Sir. Ist meine Präsenz ebenfalls erforderlich?«
»Ich wüsste sie sehr zu schätzen, Lieutenant.«
Troi hörte das Lächeln in der Stimme des Captains.
»Wir sind gleich bei Ihnen, Captain«, verkündete Worf.
Er ging zum nächsten Turbolift, und Deanna musste sich beeilen, um mit ihm Schritt zu halten. »Die Gespräche mit den Orianern sollten erst in einer Stunde beginnen«, meinte sie. »Was könnte geschehen sein?«
»Ich weiß es nicht.« Worf betrat die Transportkapsel, wartete kurz und sagte dann: »Brücke.« Die Kabine vibrierte kaum merklich und setzte sich in Bewegung.
Troi fühlte so etwas wie Nervosität beim Captain – Sorgen belasteten ihn. Sie wies Worf nicht darauf hin. Mit Hilfe ihrer besonderen Fähigkeiten konnte sie die Emotionen aller Personen an Bord erfassen, aber sie sprach mit niemandem darüber, was ein anderes Mitglied der Crew empfand. Ebenso gut hätte man über Dinge reden können, die man durch Lauschen in Erfahrung brachte.
Mit einem leisen Zischen glitt die Tür des Turbolifts beiseite, und vor ihnen erstreckte sich die Brücke der Enterprise: sanfte Wölbungen, neutrale Farben. Der Raum sah nicht nach dem Kontrollzentrum eines großen Raumschiffs aus, wirkte eher wie ein luxuriöser Sitzungssaal – ein Ort für Konferenzen, nicht für Konfrontationen.
Der Wandschirm zeigte einen Mann mit heller, goldgelber Haut. Das Gesicht erschien der Counselor zart und irgendwie vogelartig. Große braune Augen dominierten darin, brachten etwas Kindliches zum Ausdruck. Die tiefe Stimme bildete einen auffallenden Kontrast dazu.
Auf der rechten Seite des Gesichts rann Blut aus mehreren Wunden, und der eine Arm schien sich versteift zu haben. Der Schmerz des Mannes traf die Counselor wie ein Schlag.
Deanna taumelte, und Worf stützte sie.
»Ist alles in Ordnung mit Ihnen?«
Sie nickte. Nicht etwa die Pein setzte ihr so sehr zu, sondern brennender Zorn. In dem Mann loderte Wut darüber, was man ihm angetan hatte.
Worfs stützende Hand gab Troi auch inneren Halt. Sie holte tief Luft und wich einen Schritt zurück. »Es geht schon wieder.« Sie war jetzt vorbereitet, und das bedeutete: Sie konnte Schmerzen und Zorn ertragen. Die Blicke aller Anwesenden galten dem Wandschirm; nur Worf hatte ihre kurze Schwäche gesehen. Dieser Umstand erfüllte Deanna mit Dankbarkeit. Sie durfte nicht zulassen, dass sich die Gefühle anderer Personen so stark auf sie auswirkten.
Die Counselor fasste sich und ging zu ihrem Platz links vom Kommandosessel des Captains.
»Ich setze mich über unsere Traditionen hinweg und erweisen Ihnen große Ehre, indem ich mein Gesicht zeige«, sagte der Mann im Projektionsfeld. »Ich hatte gehofft, Sie damit zu überzeugen. Unsere Feinde, die Venturier, versuchen alles, um die Friedensgespräche zu verhindern. Bitte bedenken Sie, Captain Picard: Es ist viel zu gefährlich, das Leben eines Föderationsbotschafters zu riskieren. Sie sehen selbst, wie es mir erging.« Er hob die unverletzte Hand zu den Wunden im Gesicht. »Ich verdanke es vor allem meiner Leibgarde, dass ich jetzt überhaupt noch mit Ihnen reden kann.«
»Ich versichere Ihnen, dass ich alle notwendigen Vorsichtsmaßnahmen ergreifen werde, General Basha«, erwiderte Picard langsam. »Aber ich werde nicht zulassen, dass Terroristen die Friedensverhandlungen sabotieren, noch bevor sie begonnen haben.«
»Ich möchte ebenso wie Sie, dass die Verhandlungen wie vorgesehen stattfinden, Captain. Nach Auskunft unserer Wissenschaftler dauert es nur noch zehn Jahre, bis das Leben auf diesem Planeten unmöglich wird. Der Bürgerkrieg hat das ganze Land verheert und überall Not gebracht. Trotzdem: Ich kann nicht von Ihnen verlangen, dass Sie sich für uns opfern.«
»Ich danke Ihnen dafür, dass Sie so sehr um meine Sicherheit besorgt sind, aber …«
»Versprechen Sie mir wenigstens, Leibwächter mitzunehmen«, sagte der General.
Picard seufzte. »Wenn Sie das für erforderlich halten …«
General Basha musterte den Captain, und seine braunen Augen verrieten Müdigkeit. »Gestern Abend wurde mein Stellvertreter ermordet, Captain. Wenn Sie wirklich hierherkommen wollen, so brauchen Sie unbedingt jemanden, der Sie schützt.«
Picard nickte. »Ich bedauere Ihren Verlust sehr.«
Erneut bewegte der General die unverletzte Hand und gestikulierte vage. »So was passiert, Captain. Unser Krieg dauert nun schon seit zweihundert Jahren – Zeit genug, um sich an gewisse Dinge zu gewöhnen. Ich lasse mich jetzt behandeln, und anschließend empfange ich Sie.«
»Brauchen Sie ärztliche Hilfe?«, fragte Picard.
»Nein, danke. Unsere medizinischen Einrichtungen sind recht gut. Ich hoffe für Sie, dass Sie nicht gezwungen werden, ihre Dienste in Anspruch zu nehmen.«
Der Mann verschwand vom Wandschirm.
»Was halten Sie davon, Nummer Eins?«, fragte der Captain.
Der bärtige Erste Offizier runzelte die Stirn. »Ich bitte um Erlaubnis, als Botschafter auf Oriana tätig werden zu dürfen.«
»Wollen Sie sich etwa mit meinen Federn schmücken?«, entgegnete Picard und lächelte dünn.
»In vierundzwanzig Stunden fanden zwei Anschläge statt, und eine Person kam ums Leben. Dort unten ist es viel zu gefährlich für Sie.«
»Ich sehe die Sache ein wenig anders. Der Planet stirbt, Will. Wenn dieser Krieg nicht beendet wird, droht allen Orianern der Tod. Man hat mich als Botschafter angefordert, und deshalb bin ich fest entschlossen, Oriana einen Besuch abzustatten.«
»Mit allem Respekt, Captain …«, sagte Riker. »Es ist zu gefährlich.«
»Ich pflichte dem Commander bei«, ließ sich Worf vernehmen. Er beugte sich über die Brüstung hinter dem Kommandosessel.
»Danke für Ihre Anteilnahme, aber mein Entschluss steht fest.«
»Lassen Sie sich wenigstens von einer Sicherheitsgruppe begleiten, Captain«, sagte Riker.
»Ich beabsichtige keineswegs, allein aufzubrechen, Will. Es liegt mir fern, mich von irgendwelchen Attentätern umbringen zu lassen.«
»Dennoch bleibt ein hohes Risiko, Sir«, wandte Worf ein.
Picard drehte den Sessel und sah zum klingonischen Sicherheitsoffizier, der auf dem Oberdeck hinter der Brüstung stand. »Wollen Sie damit andeuten, dass Ihre Leute mich nicht ausreichend schützen können?«
Worf versteifte sich. »Das wollte ich damit nicht sagen.«
Picard schmunzelte. »Gut. Wählen Sie drei Personen aus. Ich erwarte sie in einer Stunde im Transporterraum.«
»In Ordnung, Captain«, brummte der Klingone. Er salutierte nicht, bevor er die Brücke verließ, doch in seiner Stimme hörte Troi einen deutlichen Unterton von Respekt.
»Nur drei Sicherheitswächter, Captain?«, fragte Riker.
»Ich möchte nicht mit einer Armee kommen. Davon gibt's auf dem Planeten schon genug.« Er wandte sich an Deanna. »Wie schätzen Sie General Basha ein, Counselor?«
»Er hatte Schmerzen, ließ sie sich jedoch nicht anmerken. Er ist sehr stark, sowohl physisch als auch psychisch. Der Tod seines Stellvertreters erfüllt ihn mit Kummer. Hinzu kommt Zorn. Er hat gelogen, als er behauptete, auch ihm sei daran gelegen, dass die Friedensgespräche wie geplant stattfinden.«
»Wie meinen Sie das?«
Es fiel Troi schwer, ihren emotionalen Eindruck in Worte zu fassen. Wenn der Captain ein Betazoide gewesen wäre, hätte sie die entsprechenden Gefühle einfach mit ihm teilen können. Es war nie leicht für sie, empathische Erkenntnisse in ein verbales Gewand zu kleiden. »Bashas Zorn galt nicht nur den Angriffen, sondern auch den Friedensverhandlungen.«
Picard presste die Fingerspitzen aneinander und hob sie zum Kinn. »Er ist General und gehört zum Militär, Counselor. Ohne den Krieg droht ihm die Arbeitslosigkeit.«
»Das stimmt, aber …« Deanna vollführte eine hilflose Geste. »Er verbirgt etwas, und dabei geht es um die Verhandlungen.«
»Vielleicht planen der General und seine Leute Vergeltungsmaßnahmen für die Ermordung des stellvertretenden Kommandeurs«, spekulierte Riker.
Picard sah ihn an. »Weitere Anschläge?«
Der Erste Offizier nickte.
»Wäre das möglich, Counselor?«, erkundigte sich der Captain.
Troi rief sich die empfangenen Emanationen ins Gedächtnis zurück. Es war wie bei den Erinnerungen an einen Traum: Manche Dinge zeichneten sich deutlich vor ihrem inneren Auge ab, und andere verschwammen, als sie sich darauf zu konzentrieren versuchte. »Es ist nicht auszuschließen.«
»Wir müssen dafür sorgen, dass die Friedensverhandlungen so schnell wie möglich beginnen – damit dieser Unsinn endlich aufhört«, sagte Picard. »Counselor Troi, bitte begleiten Sie mich auf den Planeten. Bei dieser Mission könnten Sie mir eine große Hilfe sein.«
Deanna lächelte und folgte Picard zum Turbolift. Bevor sie die Brücke verließ, spürte sie Rikers Sorge um ihre Sicherheit. Pflichtbewusstsein und Freundschaft lagen seiner Besorgnis in Hinsicht auf den Captain zugrunde, doch bei der Counselor kam noch etwas anderes hinzu. Zwar bildeten sie kein Paar mehr, aber die Vorstellung, dass ihr Gefahr drohte, beunruhigte ihn sehr.
Troi seufzte. Die Vergangenheit ruhte und ließ sich nicht ändern. Die Zukunft hingegen hielt verschiedene Möglichkeiten bereit. Oriana brauchte Frieden. Wenn Picards Mission scheiterte, starb nicht nur ein ganzes Volk, sondern auch ein Planet. Dann fand alles den Tod: jede Pflanze, jedes Tier. Es war nur noch eine Frage von wenigen Jahren. Deanna fragte sich, was ein Volk unter solchen Umständen fühlen mochte. Als Orianerin hätte sie bestimmt Furcht empfunden. Und auch Hass. Ja, wenn General Basha ein typischer Vertreter seines Volkes war, so musste mit Hass gerechnet werden.
Der Planet Oriana beanspruchte das ganze Projektionsfeld: eine große, silbrig glänzende Kugel. Hier und dort zeigten sich unheilvoll anmutende grüne Streifen in der Wolkenmasse, tasteten wie brandige Finger hin und her.
Picard und Troi blickten auf den kleinen Bildschirm im Transporterraum. Nach einigen Sekunden klopfte der Captain auf seinen Insignienkommunikator. »Wie ist die Atmosphäre von Oriana beschaffen, Data?«
»Man kann sie nur atmen, wenn dabei spezielle Filter verwendet werden. Sie gewährt keinen Schutz vor bestimmten Strahlungsarten der Sonne. Ein mehrstündiger Aufenthalt auf der Oberfläche könnte genügen, um Blindheit zu bewirken. Eine weitere sehr wahrscheinliche Konsequenz besteht in Hautkrebs.«
Picard seufzte. »Und das tierische Leben?«
»Die Lebensformen beschränken sich auf einige Arten von Anthropoiden, zwei verschiedene Spezies von reptilienartigen Raubtieren sowie eine karnivore Säugetierart. Hinzu kommen zweihunderttausend Orianer.«
»Nur zweihunderttausend, Mr. Data? Sind Sie sicher?«
»Ja, Captain.«
»Danke.« Picard wandte sich an Troi. »Jetzt wissen wir, warum sich die von General Basha übermittelten Transferkoordinaten auf das Innere eines Gebäudes beziehen. Der Tod einer ganzen Welt kündigt sich an.«
Deanna nickte. »Ich spüre die Emotionen der Bewohner, Sir. Sie haben Angst, große Angst.«
Erneut betrachtete Picard die silbergraue Kugel des Klasse-M-Planeten. »Dazu haben sie auch allen Grund.«
Die Tür öffnete sich, und Lieutenant Worf kam herein, gefolgt von drei Sicherheitswächtern. »Wir sind soweit, Captain.«
Die drei Wächter bezogen links und rechts vom Klingonen Aufstellung. Fähnrich Kelly erwies sich als fast ebenso groß wie Worf. Neben ihr stand Fähnrich Conner, ein etwas kleinerer Mann mit pechschwarzer, fast purpurn schimmernder Haut. Seine auffallend gut ausgeprägte Schultermuskulatur wies darauf hin, dass er sich durch Gewichtheben fit hielt. Der dritte Sicherheitswächter, Lieutenant Vincient, war hochgewachsen und schlank, hatte kurzes Haar.
Picard nahm eine Atemmaske aus dem kleinen Kunststoffbehälter vor der Transferplattform. Sie bedeckte das ganze Gesicht. Eine Brille war ins Gerät integriert, das dadurch eine in sich geschlossene Einheit bildete. Besonders bequem wirkte das Ding nicht. Jean-Luc hatte sich zunächst gefragt, warum sie überhaupt solche Atemmasken brauchten, wenn ihr Retransfer im Innern eines Gebäudes stattfand. Die Antwort lautete: Sie brauchten die Apparate, falls es zu Zwischenfällen kam. Ohne Schutzkleidung konnten sie eine Zeitlang überleben, doch ohne die Atemmasken drohte sofort der Tod.
Der Captain setzte die Maske auf. Sie passte gut und roch ein wenig nach Medizin. Dr. Crusher hatte ihnen versichert, dass es sich um eine absolut notwendige Vorsichtsmaßnahme handelte. Picard stimmte ihr zu, erst recht nach Datas Beschreibung der Atmosphäre.
Auch die anderen setzten Atemmasken auf. Troi stand links vom Captain, nahm damit den gleichen Platz ein wie auch auf der Brücke. Worf trat hinter ihn, wodurch sich auch in seinem Fall die Brückenposition widerspiegelte. Die drei Sicherheitswächter wählten Transferfelder auf der rechten und linken Seite.
Picards Blick glitt über seine Begleiter. Mit den Masken wirkten sie irgendwie … unpersönlich. Einmal mehr wurde ihm klar, welche große Rolle das Gesicht bei Menschen spielte.
Er nickte dem Techniker am Pult zu. »Energie.«
Der Captain hörte ein fast schrilles Sirren, fühlte dann ein seltsames Prickeln, so als striche ihm eine Hand durchs Innere des Körpers. Das Bild vor seinen Augen veränderte sich. Von einer Sekunde zur anderen stand er nicht mehr im Transporterraum an Bord der Enterprise, sondern in einem Saal, über dem sich eine bunte, kuppelförmige Decke wölbte. Der Boden bestand aus Glas und Fliesen, sah aus wie ein Regenbogen, der plötzlich Substanz gewonnen hatte. Ein Blick nach unten genügte, um einen Schwindelanfall zu bekommen.
Zehn oder mehr Gestalten warteten einige Meter entfernt. Sie trugen schwarze und goldene Kutten; ihre Gesichter verbargen sich hinter Masken und Brillen. Die Fremden hielten gewehrartige Waffen in den Händen, ohne jedoch damit anzulegen.
Worf und die Sicherheitswächter umringten Picard und Troi. Sie zogen die Phaser, hielten die Mündungen aber ebenfalls gesenkt.
»Wer führt hier das Kommando?«, fragte Picard. »Wir beabsichtigten nicht, uns in ein Militärlager zu beamen.«
Eine der Gestalten näherte sich.
Worf trat vor den Captain.
Der Orianer schlang sich den Riemen des Gewehrs um die Schulter und salutierte. Picard bemerkte, dass die Finger in schwarzen Handschuhen steckten. »Willkommen, Captain Picard vom Raumschiff Enterprise, Botschafter der Vereinten Föderation der Planeten. Ich bin Colonel Talanne, Ehefrau von General Basha. Was unsere Waffen betrifft … Sie dienen zu Ihrem Schutz, und auch zu unserem eigenen. Mein Mann fürchtete, dass Sie es vielleicht an Vorsicht mangeln lassen. Nun, offenbar hat er sich geirrt.«
Picard sah die Orianerin an. Die Atemmaske bedeckte ihr Gesicht, und ohne den charakteristischen Klang der Stimme hätte er nicht einmal gewusst, dass eine Frau vor ihm stand. »Das genügt, Lieutenant.«
Widerstrebend wich Worf zur Seite. Die Sicherheitswächter folgten seinem Beispiel, steckten ihre Phaser jedoch nicht ins Halfter.
»Es ist mir eine Ehre, Colonel Talanne. Wir bedauern die jüngsten Ereignisse ebenso wie Sie.«
»Danke, Captain. Sie sind sehr freundlich.« Die Frau winkte, woraufhin die Bewaffneten hinter ihr zwei Reihen bildeten, jeweils rechts und links von der Landegruppe.
Worf und seine drei Wächter formten eine Phalanx um den Captain und Deanna Troi. »Stecken Sie die Waffen ein, Lieutenant«, wies Picard den Klingonen an.
»Das halte ich nicht für klug, Captain. Wenn hier dauernd irgendwelche Leute ermordet werden – wie kann man dann jemandem vertrauen?«
Picard trat näher an Worf heran; er reichte ihm kaum bis zum Kinn. »Sie wollen unsere Gastgeberin doch nicht beleidigen, indem Sie andeuten, dass sie eine Attentäterin sein könnte, oder?«, fragte er leise.
»Es geht mir in erster Linie um Ihren Schutz, Captain.« Worf versuchte zu flüstern, und es wurde ein Grollen daraus.
»Wir dürfen eine Friedensmission nicht mit gezückten Waffen beginnen, Lieutenant.«
»Ich spüre nichts Feindseliges bei diesen Leuten«, sagte Troi.
Worf runzelte die Stirn.
»Die Waffen einstecken, Lieutenant. Das ist ein direkter Befehl.«
»Aye, Captain.« Der Klingone schob den Phaser ins Halfter, und die Sicherheitswächter taten es ihm nach.
»Seine Vorsicht ist lobenswert, Captain Picard«, meinte Talanne. »Meine Begleiter verdienen uneingeschränktes Vertrauen. Andererseits wird es heute immer schwieriger, Leute zu finden, die sich nicht bestechen lassen.«
Sie drehte sich um und ging zu einer niedrigen Tür. Eine dunkelrote Blume war darauf dargestellt, komplett mit Staubgefäßen und einem kleinen Insekt an einem Blütenblatt. Die Farben des Bildes passten überhaupt nicht zu denen des Saals. Nun, über Geschmack ließ sich streiten.
Picard wollte der Orianerin folgen, doch Worf bestand darauf, die Gruppe anzuführen. Jean-Luc seufzte und ging hinter dem großen Sicherheitsoffizier. Wieder hielten sich die Sicherheitswächter rechts und links, um die Flanken zu schützen. Diese Mission war auch so schon schwierig genug – selbst ohne einen Worf, der es mit der Sicherheit zu genau nahm. Es lag Picard nichts daran, in Gefahr zu geraten, aber wie sollte er Friedensverhandlungen führen, wenn die Mitglieder seiner eigenen Gruppe solche Kampfbereitschaft demonstrierten? Er fragte sich, ob Commander Riker vor dem Transfer mit Worf gesprochen hatte. Der Erste Offizier nahm seine Pflicht, den Captain zu schützen, sehr ernst.
Wenn Picard darauf bestand, dass Worf der Sicherheit keinen so hohen Stellenwert einräumte, und wenn es dann zu einem Anschlag kam … Vielleicht blieb dann niemand am Leben, der etwas bereuen konnte.
Troi folgte dem Captain. Die Sicherheitswächter zu beiden Seiten versperrten ihr die Sicht, und die Maske drückte unangenehm auf ihr Gesicht.
In den Kuttenträgern nahm Deanna viele unterschiedliche Emotionen wahr: Groll, Ärger, Furcht, Aufregung, Sorge und Hoffnung. In Talanne, General Bashas Frau, war die Besorgnis besonders groß. Der letzte Anschlag hätte fast ihren Mann umgebracht, und unter diesen Umständen stellten solche Gefühle eine normale Reaktion dar. Allerdings glaubte Troi, dass noch mehr dahintersteckte. In Talanne zitterte eine Furcht, die ihnen galt, den Besuchern, den Fremden. Nun, viele Leute fürchteten das Fremde, doch hier … Deanna schüttelte den Kopf. Der Eindruck blieb vage, gewann keine klaren mentalen Konturen. Talanne wollte ihnen keinen Schaden zufügen; sie sorgte sich sogar um Picards Sicherheit. Und doch … Irgend etwas ging nicht mit rechten Dingen zu.
Man führte sie in einen niedrigen Korridor. Die Wände glänzten in einem satten Butterblumengelb. Wenigstens bekam es die Landegruppe hier nur mit einer Farbe zu tun – eine Erleichterung nach dem Aufenthalt im Saal. Worf und die drei Sicherheitswächter mussten sich durch die Tür ducken. Als Deanna sie dabei beobachtete, begriff sie plötzlich, wie klein die Orianer waren. Selbst der Captain überragte sie; Worf, Kelly, Conner und Vincient erschienen im Vergleich zu ihnen wie Riesen.
Neben den Sicherheitswächtern kam sich die Counselor sehr klein vor, aber wenigstens war sie daran gewöhnt – im Gegensatz zu den Orianern, die in der engen Passage immer nervöser wurden. Troi spürte, wie Worfs Leute die Kuttenträger aufmerksam und voller Argwohn beobachteten.
Ganz deutlich nahm Deanna Worfs Wachsamkeit wahr. Bei Personen, die sie kannte, war ihre Sensibilität den emotionalen Emanationen gegenüber noch größer. In gewisser Weise fühlte sich Worf hier in seinem Element: ein Krieger unter Kriegern, auf einer von Gewalt regierten Welt. Wie dem auch sei: Troi wusste, dass er sich nicht zu unverantwortlichem Handeln hinreißen lassen würde.
Captain Picards Verärgerung über den Pflichteifer des Klingonen entlockte der Counselor ein Lächeln. In dieser Hinsicht stand sicher noch die eine oder andere Auseinandersetzung bevor.
Eine Tür erwartete sie am Ende des Korridors, und die Wände strebten glatt und gelb darauf zu. Talanne verharrte vor dem Portal. Zwei andere Kuttenträger schritten an ihr vorbei, öffneten die Tür und traten mit gezückten Waffen ein. Sie zögerten nicht, und in ihrem emotionalen Kosmos gab es keinen Platz für Zweifel. Sie gingen einfach in den Raum, um gegebenenfalls zu töten oder getötet zu werden. Nicht einmal in einem fernen Winkel ihres Selbst regte sich Furcht.
Troi empfing ihre Emanationen, als sie den Raum durchsuchten. Sie fürchteten sich tatsächlich nicht, dachten allein an ihre Aufgabe. Wenn man sich voll und ganz auf eine bestimmte Sache konzentrierte … Dann bekam man gar keine Gelegenheit, Furcht zu empfinden.
Die übrigen Orianer warteten, und ihre Emotionen erstarrten förmlich zu … Pflichtbewusstsein. Troi unterdrückte ein Schaudern. Sie hatte schon mehrmals Erfahrungen mit Kriegervölkern gesammelt, doch mit so etwas wurde sie nun zum ersten Mal konfrontiert. Für diese Leute gab es überhaupt kein anderes Leben mehr. Der Krieg hatte sie vollkommen vereinnahmt und verschlissen, so wie den ganzen Planeten.
Die beiden Erkunder kehrten zur Tür zurück. »Alles klar.«
»Gut«, sagte Talanne. »Willkommen bei mir zu Hause, Captain.« Sie betrat das Zimmer.
Picard setzte sich in Bewegung – und wäre fast gegen Worf gestoßen. »Ich vertraue unserer Gastgeberin und ihren Leuten, Lieutenant«, sagte der Captain. »Daher halte ich weitere Sicherheitsmaßnahmen nicht für erforderlich.«
Gemischte Gefühle regten sich in dem Klingonen, und Deanna spürte sie als Wellen, die an ihren empathischen Rezeptoren vorbeiströmten: Ärger, Loyalität, Respekt. »Wie Sie meinen, Captain.«
Picard atmete tief durch und rückte kurz seine Uniformjacke zurecht. »Danke, Lieutenant.«
Troi begleitete ihn ins Zimmer. Worf und die drei Sicherheitswächter folgten ihnen. Auch drei Kuttenträger schlossen sich ihnen an.
Der Raum war nicht besonders groß – für die zehn Personen blieb darin gerade noch genug Bewegungsspielraum. Tapisserien hingen an den Wänden, Flechtwerke, die hohe Bäume oder bunte Blumen darstellten. Die Halme von gelbem Gras neigten sich im imaginärem Wind. Am Rand der Szene zeigten sich dicke Ranken mit purpurnen und grünen Blättern sowie rechteckigen, orangefarbenen Früchten. Alle Farben sahen frisch aus, als seien sie gerade erst aufgetragen und noch feucht. Die Bilder sollten nicht realistisch sein, sondern dem Betrachter mehr bieten.
Troi hielt alles für weit übertrieben. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass die Natur solche Farben an einem Ort vereint hatte. Bei natürlich wachsenden Pflanzen schien immer alles zueinander zu passen. Normalerweise brachte die Natur Harmonie, keine Diskordanz.
Picard nahm die Atemmaske ab, und daraufhin befreiten sich auch die übrigen Mitglieder der Landegruppe davon. Deanna war froh, wieder Luft im Gesicht zu spüren; behutsam rieb sie jene Stellen, an denen die Riemen Abdrücke hinterlassen hatten.
»Sie ehren uns mit unbedeckten Gesichtern«, sagte Talanne. »Ich möchte Ihnen die gleiche Ehre erweisen.« Sie schob die Kapuze der Kutte zurück, und kurzes braunes Haar kam darunter zum Vorschein. Mit einer fließenden, routinierten Bewegung nahm sie die Maske ab. Talannes Haut war etwas dunkler als die ihres Ehepartners – bei ihr ging das Goldgelb in einen bernsteinfarbenen Ton über –, doch in Hinsicht auf die allgemeine Struktur gab es kaum Unterschiede. Hier zeichneten sich die Frauen nicht durch ein kleineres Kinn oder ein schmaleres Gesicht aus.
»Es ist schon eine Weile her, seit ich zum letzten Mal so viele Personen ohne Atemmasken gesehen habe«, meinte die Frau des Generals.
»Tragen Sie die Masken selbst im Innern der Gebäude, obgleich dort die Luft atembar ist?«, fragte Picard.
»Ja, Captain. Solange Krieg herrscht, muss man mit dem Unerwarteten rechnen. Zum Beispiel mit einer Bombe, die Wände zerreißt und Gift hereinströmen lässt.«
Worf sah sich um. »Geschieht das häufig?«
»Seit über fünfzig Jahren ist es nicht mehr passiert, aber es wurden zu viele Kinder verletzt. Daraus haben wir eine Lehre gezogen.«
»Also brauchen wir die Atemmasken nicht zu tragen, solange wir uns im Innern von Gebäuden aufhalten«, sagte Picard und verlieh diesen Worten den Hauch eines fragenden Tonfalls.
»In der Tat, Captain. Unsere Leute werden Sie groß anstarren und sich wundern, aber sie tragen Masken, und daher bleiben Ihnen derartige Reaktionen verborgen. Außerdem wird man bestimmt darauf verzichten, Sie nach dem Grund für Ihr Verhalten zu fragen – unser Taktgefühl verbietet so etwas.«
Picard wusste nicht recht, was er davon halten sollte. »Wenn wir mit unbedeckten Gesichtern gegen einen Brauch verstoßen … In dem Fall sind wir gern bereit, die Atemmasken zu tragen.«
»Nein, Captain. Ich finde es ganz richtig, dass Sie Ihre Masken hier nicht benutzen. Führen Sie unserem Volk vor Augen, was wir aufgegeben haben. Genug davon«, fügte Talanne hinzu. »Ich habe bemerkt, dass Ihnen unsere Wandteppiche gefallen.«
»Ja«, bestätigte Picard. »Sie sind sehr beeindruckend.«
»Es ist eine Kunst, in der wir gute Leistungen vollbringen. Es handelt sich um eine der wenigen harmlosen Aktivitäten, die wir auf dieser Welt entfalten.« Die Bitterkeit in Talannes Stimme war unüberhörbar. Troi sah emotionale Düsternis, darin pochenden Schmerz.
»Die Tapisserien ersetzen Fenster. Niemand von uns möchte daran erinnert werden, was wir unserer Welt angetan haben. In die Verheerung hinauszusehen, in den Tod …« Talanne schüttelte den Kopf. »Bitte erlauben Sie mir, Ihnen Erfrischungen anzubieten.«
Sie trat zu einem kleinen Tisch mit einer kristallenen Karaffe, die purpurne Flüssigkeit enthielt. Daneben standen fünf Gläser. »Ich lasse mehr Gläser kommen. Mein Mann wusste nicht genau, wie viele Personen uns besuchen.«
Sie mussten sich am Tisch zusammendrängen, um gemeinsam anzustoßen. »Ich möchte nicht unhöflich sein, Colonel Talanne – aber ist es wirklich notwendig, dass so viele Personen in diesem Zimmer weilen?«, fragte Picard.
Die drei bewaffneten Kuttenträger schöpften sofort Verdacht und schlossen die Hände fester um ihre Waffen. Worf sah das und tastete nach seinem Phaser.
Talanne winkte. »Immer mit der Ruhe … Es tut mir leid, Captain. Sie haben meine Leibwächter beunruhigt. Der Brauch verlangt folgendes: Wenn die eine hochgestellte Persönlichkeit über eine bestimmte Anzahl von Leibgardisten verfügt, so kann die andere nicht weniger haben. Eine kluge Tradition.«
Picard nickte. »Ich verstehe. Weil ich drei Wächter habe, muss das auch bei Ihnen der Fall sein.«
»Ja.«
»Ich bin ebenfalls ein Wächter«, warf der Klingone ein.
»Aber Sie sind auch ein Commander, ein Offizier, nicht wahr?«
»Das stimmt.«
»Es darf nicht auch die gleiche Anzahl von Offizieren angestrebt werden – dann kämen tatsächlich zu viele Leute zusammen.« Talanne lächelte und hob ihr Glas. »Außerdem: Wenn sich viele Offiziere an einem Ort aufhalten, könnte jemand in Versuchung geraten.«
»Zum Beispiel ein Attentäter?«, fragte Picard.
»Ja, Captain. Vor drei Monaten verloren wir fünf Offiziere bei einem Bombenanschlag.«
»Müssen auch die Venturier darauf achten, dass sich nicht zu viele ihrer Offiziere an einem Ort versammeln?«
Talannes Lächeln wuchs ein wenig in die Breite. »Ja, Captain, das müssen sie.«
»Es ist nicht ehrenhaft, den Feind heimtückisch zu ermorden«, kommentierte Worf.
»Lieutenant«, sagte Picard scharf.
»Schon gut, Captain. Selbst wir haben von der klingonischen Ehre gehört.« Talanne wandte sich direkt an Worf. »Wir sind bereit, jedes Mittel einzusetzen, um den Krieg zu beenden. Alles ist uns recht, selbst Verrat – wenn der Kampf nur aufhört.«
»Wünschen Sie sich nicht den Sieg über Ihre Feinde?«, fragte Worf.
»Einige von uns haben noch immer solche Ambitionen, aber die meisten wollen einfach nur ein Ende des Krieges. Unser Planet stirbt. Unsere Kinder sterben. Selbst mit Verrat scheint keine Seite imstande zu sein, der anderen eine entscheidende Niederlage beizubringen. Deshalb müssen wir Friedensverhandlungen führen – bevor der Tod uns alle holt.«
»Um den Frieden zu erreichen, kommt es zunächst einmal darauf an, seine Notwendigkeit zu erkennen«, sagte Picard. »Damit haben Sie den ersten Schritt in die richtige Richtung bereits hinter sich.«
»Hoffentlich haben Sie recht«, erwiderte Talanne.
Die Tür öffnete sich, und alle Waffen im Zimmer schwenkten herum. Ein kleiner blonder Junge, der etwa drei Jahre alt sein mochte, sauste ins Zimmer. Jene Merkmale, die bei seinen Eltern attraktiv wirkten, gaben ihm fast etwas Unwirkliches. Seine Haut wies die Farbe von Alabaster auf, der im Lauf der Zeit eine goldene Tönung gewonnen hatte, und hinzu kamen Augen, die in dem Blau von Amethysten glänzten.
Der Knabe sprintete herein und blieb abrupt stehen, als er die Waffen sah.
»Nicht schießen«, sagte Talanne rasch und näherte sich dem Jungen. Zwei Kuttenträger begleiteten sie. »Wo ist dein Wächter, Jeric?«
»Weiß nicht, Merme«, erwiderte er. Die Adern am Hals des Kinds pulsierten, und es atmete schnell.
Als der Knabe gesehen hatte, wie sich die vielen Waffen auf ihn richteten … Deanna Troi nahm noch immer einen Schatten der jähen, panikartigen Angst wahr, die für Jeric von der Erkenntnis begleitet wurde, dass er nun sterben musste. Er wusste bereits, was der Tod bedeutete. Entsprechende Erinnerungen waren wie Flecken in seiner Seele, übten einen nachhaltigen Einfluss auf die allgemeinen Empfindungen aus. Nie zuvor war die Counselor einem Kind begegnet, in dem ein so alter Geist wohnte.
Der Junge starrte zu Worf.
Talanne ging vor ihm in die Hocke. »Hör mir zu, Jeric.« Sie berührte das Kind an der Wange und fing seinen Blick ein. »Wann verschwand dein Wächter?«
Der Knabe runzelte die Stirn. »Verschwand?«
Troi spürte die Ungeduld der Frau. Talanne unterdrückte sie und gab sich alle Mühe, ihre Stimme normal klingen zu lassen. »Wo bist du bis eben gewesen?«
»Stimmt was nicht, Colonel Talanne?«, fragte Picard.
»Das weiß ich noch nicht, Captain. Jerics Wächter sollte die ganze Zeit über bei ihm sein.«
»Sein Wächter?«, wiederholte Picard verwirrt.
»Er hat die Aufgabe, für die Sicherheit des Jungen zu sorgen.« Talanne sah in die immer noch furchtsam blickenden Augen ihres Sohns. »Wo warst du bis eben?«, fragte sie noch einmal.
»Im Spielzimmer.«
»Gut. Und der Wächter? War er ebenfalls dort?«
Wieder runzelte der Junge die Stirn.
Talannes Hand schloss sich etwas fester um Jerics Arm. »Bist du allein im Spielzimmer gewesen?«
Er nickte langsam. Offenbar begriff er nun den Ernst der Situation.
»Wo warst du, bevor du das Spielzimmer aufgesucht hast?«
»Draußen.«
»Draußen«, hauchte Talanne, und es klang fast wie ein Fluch. Allem Anschein nach übten ihre Finger noch stärkeren Druck aus, denn Jeric wand sich hin und her. »Du weißt doch, dass du nicht nach draußen gehen sollst. Wer hat dich mitgenommen?«
»Bori. Du tust mir weh, Merme.«
Talanne umarmte ihren Sohn. »Entschuldige, Jeric. Merme wollte dir nicht weh tun. Wohin brachte dich der Wächter?«
»Nach draußen.«
»Wohin dort?«
»Nach draußen.« Jeric löste sich aus der Umarmung. »Einfach nur nach draußen, Merme.«
»Hast du draußen jemanden gesehen?«
Der Junge nickte. »Einen Mann.«
»Kanntest du ihn, Jeric?«
Er schüttelte den Kopf.
»Sind dein Wächter und der Mann mit dir nach drinnen zurückgekehrt?«
»Nein, Merme.«
Talanne schlang erneut die Arme um ihren Sohn. »Überprüfen Sie die Korridore«, wandte sie sich an die Kuttenträger. »Geben Sie allgemein bekannt, dass vielleicht ein Sicherheitsproblem vorliegt.«
Zwei Wächter schritten zur Tür, und dort zögerte einer. »Was ist mit den Besuchern?« Die Stimme eines Mannes. Ohne solche Hinweise blieben die orianischen Soldaten Neutren, weder Mann noch Frau.
»Ich vertraue ihnen. Gehen Sie. Finden Sie heraus, was geschehen ist. Gewährleisten Sie die Sicherheit meines Mannes.«
Der Wächter zögerte noch immer.
»Gehen Sie!« Mit einer geschmeidigen Bewegung brachte sie das Gewehr in Schussposition, und gleichzeitig schob sie den Jungen nach hinten. »Ich habe Ihnen einen direkten Befehl gegeben.«
Der Mann deutete eine Verbeugung an. »Ich höre und gehorche.« Der Wächter drehte sich zu seinem Kameraden um, und beide verließen den Raum.
»Ich weiß Ihr Vertrauen in uns sehr zu schätzen, Colonel Talanne«, sagte Picard.
Die Frau stand auf. In der einen Hand hielt sie das Gewehr, und die andere ruhte auf Jerics Schulter. »Geben Sie sich keinen falschen Vorstellungen hin, Captain. Ich weiß, wozu Ihr Raumschiff fähig ist. Sie könnten mit diesem Planeten anstellen, was Sie wollen – ohne dass wir in der Lage wären, Sie daran zu hindern. Das ist einer der Gründe, warum wir die Föderation um Hilfe gebeten haben. Die Orianer respektieren Macht.«
»Ich finde Ihre Offenheit erfrischend, Colonel. Wie dem auch sei: Die derzeitige Situation verstehe ich nicht ganz. Weshalb ist der Wächter Ihres Sohns so wichtig?«
»Es geht nicht nur um den Wächter. Jeric darf nie nach draußen. Aus Sicherheitsgründen. Niemand würde ihn ins Freie führen, erst recht nicht sein Wächter.«
»Glauben Sie, es handelte sich um einen Entführungsversuch?«, fragte Worf.
»Nein, Lieutenant. Ich fürchte etwas Schlimmeres.«
Falten bildeten sich in der Stirn des Klingonen. »Sie meinen doch nicht etwa …« Er unterbrach sich und sah zu dem Jungen.
»Hier wird der Krieg auch gegen Kinder geführt«, grollte Worf.
»Lieutenant …«, sagte Picard in einem warnenden Tonfall.
Talanne winkte ab. »Schon gut, Captain. Lieutenant … Nein, normalerweise führen wir den Krieg nicht auch gegen die Kinder. Aber einige Gruppen sind so versessen darauf, den Sieg zu erringen, dass sie vor nichts zurückschrecken. Sie sind zu allem entschlossen, um Friedensverhandlungen zu verhindern.«
»Wären die Venturier imstande, über Ihren Sohn Druck auf Sie auszuüben?«, erkundigte sich Picard.
»Oh, den Venturiern liegt ebensoviel daran wie uns, den Konflikt zu beenden«, antwortete Talanne. »Aber auf beiden Seiten gibt es Leute, die einen Frieden ohne Sieg für wertlos halten.«
Der Junge sah von einem Erwachsenen zum anderen und versuchte, dem Gespräch zu folgen. Er wusste, dass es auch ihn betraf. Doch der Bedeutungsinhalt blieb ihm verborgen.
Talanne führte ihren Sohn in die Mitte des Zimmers. »Jetzt dürfte Ihnen klar sein, wie dringend wir Ihre Hilfe brauchen, Captain.« Behutsam drückte sie den Knaben an sich. »Wissen Sie, dass wir uns hier nicht einmal darauf einigen können, wie der Krieg begann? Seit zweihundert Jahren wird gekämpft – ohne dass wir den Grund dafür kennen.«
Tränen schimmerten in ihren Augen. Sie empfand nicht nur tiefen Kummer, sondern auch Zorn darüber, was fast mit ihrem Sohn geschehen wäre. In diesem Zusammenhang fehlten genaue Informationen, und deshalb stellte sie sich besonders schreckliche Dinge vor – womit sie das typische Verhalten einer Mutter offenbarte.
»Wir sind hier, um Ihnen dabei zu helfen, den Frieden zu erreichen, Colonel«, sagte Picard. »Um Ihren Kindern eine andere Zukunft als die von Soldaten zu ermöglichen.«
»Die Kinder«, murmelte Talanne. »Die Kinder.« Sie drückte Jeric fester an sich. »Sie werden feststellen, dass mein Sohn eine Ausnahme bildet.«
Die Tür öffnete sich, bevor Picard fragen konnte, was die Frau des Generals mit ihren letzten Worten meinte. Wieder schwangen die Waffen herum. Worf und Conner traten vor. Die beiden anderen Sicherheitswächter von der Enterprise verharrten vor dem Captain.
Talanne schob Jeric in Trois Arme und gesellte sich ihren Leuten hinzu.
Eine Gestalt trat ein, gekleidet in eine schwarze und goldene Kutte. »Ich bin's, Colonel.«
»Nehmen Sie langsam die Maske ab.«
Der Mann schob die Kapuze zurück, zeigte kurzes braunes Haar. Anschließend kam er Talannes Aufforderung nach und nahm die Maske ab, präsentierte ein schlichtes, blasses Gesicht. Es wies eine ähnlich zarte Struktur auf wie bei General Basha und seinem Sohn, doch es gab auch Unterschiede. Das Erscheinungsbild dieses Orianers wirkte nicht ganz so perfekt, vielleicht sogar ein wenig ordinär.
»Was gibt es zu berichten?«, fragte Talanne.
»Wir haben Jerics Wächter tot im Garten gefunden. Außerdem entdeckten wir einen zweiten Mann mit unseren Farben, ebenfalls tot. Wir glauben, dass Bori zum Verräter werden wollte, seinen Plan jedoch nicht durchführen konnte.«
»Was veranlasst Sie zu einer solchen Annahme?«
»Warum hat er den Jungen sonst nach draußen gebracht? Wir alle kennen Ihre Anordnungen: Jeric darf auf keinen Fall nach draußen.«
Talanne nickte. »Na schön. Ist das Gebäude sicher?«
»Ja.«
»Verdreifachen Sie die Wachen.«
»Sie sind bereits verdoppelt worden, Colonel.«
»Habe ich Sie nach Ihrer Meinung gefragt? Nein, ich gab Ihnen einen Befehl.«
»Aye, Colonel.« Der Mann drehte sich um und verließ den Raum. Zu beiden Seiten der Tür waren Wächter zu sehen, und zwar jeweils drei.
Der Junge zitterte und drückte sich an Trois Beine. Sie legte ihm die Hände auf die Schultern, empfing Emanationen der Furcht.
In Talanne gab es keine derartigen Gefühle. Ihre Besorgnis galt dem Sohn, auch ihrem Mann, aber nicht der eigenen Person. Troi versuchte, den emotionalen Kosmos der Wächter zu sondieren. Hier und dort fand sie eine Andeutung von Furcht, aber sonst nichts. Sie schienen einen Schalter in sich zu haben, mit dem sie alle Gefühle deaktivieren konnten. In Talanne gab es Emotionen, dicht unter der Oberfläche ihres Selbst, doch die Soldaten wirkten … leer.
Deanna hätte sich konzentrieren können, um ihre mentalen Sonden tiefer in die fremden Selbstsphären hineinzutreiben und mehr in Erfahrung zu bringen. Aber das wäre eine Verletzung der Privatsphäre gewesen. Ohne guten Grund versuchte die Counselor nie, jene Barrieren zu durchdringen, die viele Personen in ihrem Ich errichteten.
Herrschte tatsächlich emotionale Leere im Innern der orianischen Wächter? Wenn das wirklich der Fall sein sollte … Sicher bildeten sie eine Ausnahme, nicht die Regel. Oder? Deanna fragte sich, ob ein Volk imstande sein mochte, nicht nur die Umwelt zu zerstören, sondern auch den Kern des eigenen Selbst. Wenn so etwas auf diesem Planeten geschehen war … Dann ergaben sich zusätzliche Probleme in Bezug auf die bevorstehenden Friedensverhandlungen. Troi musste wissen, ob es in den Wächtern noch tiefere Gefühle gab oder nicht. Wenn ihr mentaler Zustand der Norm entsprach, so handelte es sich dabei um eine Information, die Picard dringend brauchte. Bei den Friedensgesprächen wollte er an eben jene tieferen Emotionen appellieren. Wenn die emotionale Struktur der meisten Orianer mehr Ähnlichkeit mit der von Vulkaniern aufwies, so blieb dem Captain nichts anderes übrig, als seine Taktik zu ändern.
Die Counselor beschloss, ihre Zurückhaltung aufzugeben und einen zweiten, gründlicheren Sondierungsversuch zu unternehmen.
Picards Kommunikator piepte. Das Geräusch ließ Deanna zusammenzucken und ruinierte ihre Konzentration.
»Riker an Picard.«
»Ich höre, Nummer Eins.«
»Wir haben Notsignale empfangen, die von einem Raumschiff der sogenannten Milgianer stammen – bisher liegen Starfleet noch keine Berichte über einen Erstkontakt vor. Eine Explosion des Triebwerks droht; einige Personen fanden bereits den Tod. Selbst mit maximaler Warpgeschwindigkeit brauchen wir zwei Tage, um die Milgianer zu erreichen, aber es befindet sich kein anderes Schiff in der Nähe.« Riker zögerte kurz. »Es sind mehr als vierhundert Personen an Bord.«
»Ich verstehe«, sagte Picard. Er sah zu Talanne und ihren Wächtern. »Reagieren Sie auf den Notruf, Nummer Eins. Eilen Sie den Milgianern zu Hilfe.«
»Was ist mit Ihnen und der Landegruppe?«
Troi spürte die Zweifel des Captains.
»Seien Sie unbesorgt. Da fällt mir ein: Beamen Sie die drei Sicherheitswächter an Bord.«
»Wie bitte, Sir?«, erwiderte Riker verdutzt.
»Captain!«, entfuhr es Worf.
Picard musterte den Sicherheitsoffizier. »Colonel Talanne ehrt uns mit ihrem Vertrauen. Ich möchte sie auf die gleiche Weise ehren.«
»Bitte um Erlaubnis, ganz offen zu sprechen, Captain«, brummte Worf.
»Abgelehnt, Lieutenant. Beamen Sie die Sicherheitswächter an Bord, Nummer Eins.«
»Captain, ich …«
»Ich habe Ihnen einen Befehl erteilt, Commander Riker«, betonte Picard.
»Aye, Sir.«
Conner und seine beiden Kollegen wurden in das Schimmern des Transporterstrahls gehüllt, um einen Sekundenbruchteil später zu entmaterialisieren. Dadurch gab es mehr Platz im Zimmer.
Talanne schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, ob Sie sehr tapfer oder sehr dumm sind, Captain.«
»Wir streben den Frieden an, und eine der notwendigen Voraussetzungen heißt Vertrauen.«
»Sie wollen ein Zeichen setzen«, sagte Talanne. »Sie verzichten auf Wächter und hoffen, dass sich andere ein Beispiel daran nehmen.«
Picard lächelte. »Es wäre ein guter Anfang.«
»Und vielleicht klappt es auch. Wenn der Föderationsbotschafter ohne eine große Leibgarde auskommt … Dann wäre es gewissermaßen feige, wenn wir uns hinter einer Wächterschar verbergen.«
»Hier Riker, Captain. Die drei Angehörigen der Sicherheitsabteilung sind an Bord. Wir schwenken jetzt aus der Umlaufbahn und leiten den Warptransfer ein.«
»Wir sind hier, wenn Sie zurückkehren, Nummer Eins.«
»Die Sache gefällt mir nicht, Captain.«
»Mir auch nicht«, fügte Worf hinzu.
»Ich verstehe Sie beide. Doch das Vertrauen muss irgendwo beginnen – in diesem Fall bei uns.«
»Nach dem jüngsten Zwischenfall wollte ich vorschlagen, die Sicherheitsmaßnahmen zu verstärken, Captain.«
»Hinter einer Barriere aus bewaffneten Wächtern kann ich keine Friedensgespräche führen.« Picard schüttelte den Kopf. »Nein, Will, wir folgen dem eingeschlagenen Weg.«
»Was ist bei Ihnen passiert?«, fragte Riker.
Picard zögerte. »Zwei weitere Orianer starben. Und offenbar gab es einen Fall von Bestechung.«
»Captain, ich bitte Sie ausdrücklich, zur Enterprise zurückzukehren. Sie können Ihre Mission auf dem Planeten fortsetzen, sobald wir den Milgianern geholfen haben.«
Enterprise –