Gregor Schöllgen

Gustav Schickedanz

1895–1977

Biographie eines
Revolutionärs

Berlin Verlag

 

Vorwort

Damit hatte ich nicht gerechnet. Als ich im Sommer 2007 von Madeleine Schickedanz, der jüngeren Tochter des Quelle-Gründers, mit der Sichtung und Ordnung seines Nachlasses beauftragt wurde und dabei die Idee einer Biographie entstand, habe auch ich nicht den vollständigen Zusammenbruch des Lebenswerks von Gustav Schickedanz vorhergesehen.

Allerdings wurde mir im Zuge der Recherche und der Niederschrift deutlich, dass dieses Lebenswerk in hohem Maße an seinen Schöpfer gebunden war. Eine Generationen überbrückende Zukunft wäre ihm wohl nur dann beschieden gewesen, wenn sich die Nachfolger des »großen Gustav« zu einer tiefgreifenden Reform hätten entschließen können oder wollen. Weil aber eine solche Reform aus ihrer Sicht eine Demontage des Mannes und seiner Lebensleistung bedeutet hätte, verharrten die Nachfolger lange in seinem mächtigen Schatten, suchten sich spät aus diesem zu lösen, um schließlich doch wieder in ihn zurückzukehren: Das neuerliche Engagement im Warenhausgeschäft erfolgte zu einer Zeit, als die Konkurrenz deren Zeichen längst anders gedeutet und sich neuen Horizonten zugewandt hatte.

Dieses Buch erzählt die ganze Geschichte. Zu ihr gehört die vielschichtige und zuletzt dramatische Entwicklung des Unternehmens wie der Familie Schickedanz seit dem Tod des Quelle-Gründers im Frühjahr 1977. Zum ersten Mal und auf der Basis bislang nicht verfügbarer Einsichten und Informationen wird im abschließenden Kapitel der Niedergang des Hauses Schickedanz bis zur Insolvenz geschildert und gezeigt, warum und wie es zu diesem in der jüngeren deutschen Unternehmensgeschichte beispiellosen Drama kommen konnte.

Zur ganzen Geschichte gehört aber auch der Aufbau jenes Industrieimperiums, mit dem Gustav Schickedanz seinem Unternehmen während der dreißiger Jahre ein zweites Standbein neben dem Versandhandel verschaffte. Da es sich bei den Vorbesitzern, zum Beispiel den Eigentümern der Vereinigten Papierwerke mit ihren Verkaufsschlagern »Tempo«-Taschentücher und »Camelia«-Binden, durchweg um Juden handelte, sah sich Schickedanz nach dem Krieg mit dem Vorwurf konfrontiert, deren Lage skrupellos ausgenutzt zu haben. Wegen der Prominenz des Namens wurde der Fall Schickedanz in einer Serie von Entnazifizierungs- und Wiedergutmachungsverfahren mit einer Gründlichkeit aufgerollt und untersucht wie kein zweiter.

In diesem Buch wird der Fall Schickedanz erstmals im Zusammenhang dargestellt – lückenlos und nicht zuletzt auf der Grundlage bislang unzugänglicher Dokumente. Das schließt eine Antwort auf die Frage ein, welche Personen eigentlich als Ankläger, als Gutachter, als Vorsitzende der Spruch- beziehungsweise Wiedergutmachungskammern oder auch als Treuhänder mit dem Fall befasst gewesen sind. Bisher ist diese Frage für kaum eines der prominenten Verfahren gestellt worden. Das Ergebnis zeigt, dass die Anfang der siebziger Jahre aufgestellte These von der »Mitläuferfabrik« – also die Entlastung Belasteter durch ihresgleichen beziehungsweise durch inkompetentes Personal – jedenfalls bei Schickedanz nicht greift.

Zur ganzen Geschichte gehört schließlich die Karriere jener »Quelle«, mit deren Gründung 1927 alles begann und die wie kaum ein anderes Markenzeichen zum Inbegriff der deutschen Wohlstandsgesellschaft geworden ist. Gustav Schickedanz, ihr Schöpfer, war der Mann des diskreten und eben deshalb tiefgreifenden Wandels. Das Medium seines revolutionären Wirkens war der Katalog. Mit seiner Hilfe hat der Pionier des deutschen Versandhandels die Gesellschaft der Republik auf eine Weise und mit einer Nachhaltigkeit beeinflusst und verändert, wie kein Zweiter vor und kaum ein anderer nach ihm. Heute weiß ich, was mir vor der Arbeit an diesem Buch nicht bewusst gewesen ist: Ohne den Quelle-Katalog lässt sich die deutsche Nachkriegsgeschichte nicht erzählen.

Dass ich sie erzählen konnte, lag vor allem an dem uneingeschränkten Zugang zum Nachlass der Familie Schickedanz, den mir die jüngere Tochter des Quelle-Gründers ermöglicht hat. Madeleine Schickedanz gilt daher mein besonderer Dank. Danken darf ich auch anderen Mitgliedern der Unternehmerfamilie, Weggefährten und Mitarbeitern von Gustav Schickedanz und seiner Frau Grete sowie Geschäftspartnern und Konkurrenten des Fürther Unternehmers für ihre Gesprächsbereitschaft oder auch für die Überlassung von Dokumenten aller Art.

Nicht zuletzt und einmal mehr danke ich den Mitarbeitern am Zentrum für Angewandte Geschichte (ZAG) der Universität Erlangen (www.zag.uni-erlangen.de) für die hervorragende Zusammenarbeit. Namentlich Herr Dr. Claus W. Schäfer und Herr Matthias Braun, M. A., haben entscheidend zur Entstehung dieses Buches beigetragen.

Erlangen, im April 2010

Gregor Schöllgen