Dubrovnik, Kroatien
12. September 2012, 13.28 Uhr (fünf Tage später)
Die Septembersonne stand hoch am Himmel, als der alte Mann in einem weißen Sommeranzug durch das ehemalige Tor der mittelalterlichen Steinmauer in den Hafen trat. Blinzelnd setzte er die Sonnenbrille auf – seine Augen vertrugen die Sonne nicht mehr so gut wie früher – und suchte ein vertrautes Gesicht. Als er seinen Mann gefunden hatte, der wie verabredet in einem der beiden Restaurants an einem Tisch saß, nickte er kaum merklich. Der kleine alte Hafen der Stadt, in dem hauptsächlich die winzigen Nussschalen der Einheimischen und Wassertaxis anlegten, die jene Horden von Touristen zwischen Dubrovnik und den Inseln hin- und herschipperten, war zum Bersten voll, was Thomas Eisler nur recht sein konnte. So würde er trotz seiner wie immer makellosen Garderobe nicht auffallen. Nicht, dass es etwas bedeutet hätte, vermerkte er für sich. Der gefährliche Teil der Reise war vorüber. Das einzig Gefährliche an Dubrovnik waren die Taschendiebe und der Mann, mit dem er verabredet war. An einem kleinen Stand aus eilig zusammengezimmerten Spanplatten mit einer sehr aufwendig frisierten Frau dahinter kaufte er ein Ticket nach Cavtat, einem Ort etwa zehn Kilometer die Küste hinunter, dessen Exklusiviät sich an der kleineren Touristenschar und der Nähe zum Flughafen bemaß. Eisler wusste, dass nicht nur sein Auftraggeber, sondern viele neureiche Russen hier ihre Boote ankern ließen. Als das Wassertaxi ablegte, warf er einen Blick auf seine Mitreisenden, bei denen es sich ausnahmslos um harmlose Touristen handelte. Eine etwa dreißigjährige Frau mit mintfarbenem Top schoss Fotos von ihrer Mutter und war wohl drauf und dran, ihn um einen Schnappschuss zu bitten. Thomas Eisler tat so, als läse er den informationsarmen Prospekt, den ihm die Frau mitsamt seiner Fahrkarte in die Hand gedrückt hatte. Nachdem ihr Schiff den engen Hafenbereich verlassen hatte, hob sich der Bug aus dem Wasser, das mintfarbene Top widmete sich ihren Fotos, und Thomas Eisler starrte in die schäumende Heckwelle. Ihre Fahrt führte sie an der Küste entlang. In den Bergen dahinter häufte sich der Anblick von verlassenen Hotelanlagen, die man leicht für intakt hätte halten können, würde nicht allen Fenstern das Glas fehlen, das zwangsläufig die Sonnenstrahlen reflektiert hätte. Er machte eine mentale Notiz, sich einige der Grundbucheinträge anzuschauen. Verlassene Gebäude dieser Größenordnung, für die sich seit Jahrzehnten niemand mehr interessiert hatte, konnte man in seinem Gewerbe immer brauchen.
Als sie eine halbe Stunde später Cavtat erreichten und Thomas Eisler von dem schwankenden kleinen Kahn auf die Kaimauer des Jachthafens sprang, wobei zu seinem Missfallen seine Knie schmerzten, war es fast Mittag. Zu seiner Linken lagen am Heck vertäute Luxusjachten, an deren Masten große Fahnen traurig im lauen Wind hingen, zu seiner Rechten erstreckten sich die Liegeplätze für die einheimischen Boote, kleine Segeljachten und einige Motorboote. Er warf einen Blick auf seine Uhr: zu früh für seine Verabredung, also beschloss er, die Promenade abzulaufen und einen Kaffee zu trinken. Um exakt zehn Minuten vor eins stand er wieder an demselben Platz, nur dass diesmal kein öffentliches Wassertaxi auf ihn wartete. Mit der rechten Hand die Sonne abschirmend, warf er einen Blick über das Wasser und entdeckte kurz darauf ein kleines weißes Motorboot, das auf ihn zuhielt. Keine zwei Minuten später tuckerte der PS-starke Außenborder im Leerlauf am Pier, und zwei muskulöse, sonnengebräunte Arme halfen ihm beim Einstieg. Eisler bedankte sich artig und ließ sich auf der ledergepolsterten Rückbank nieder, als sein Skipper das Beiboot auf Kurs brachte. Sie hielten Kurs auf das offene Meer, aber ihr Ziel lag viel näher. Anatoli Kharkovs Jacht, oder besser gesagt, die Firmenjacht der Wodkafabrik, war zu groß für den Hafen, und so ankerte sie in der Bucht davor, fernab von neugierigen Blicken der Touristen oder, was noch viel schlimmer wäre, der Boulevardpresse. Eisler wusste, dass vor Kurzem noch das Schiff eines echten Oligarchen hier gelegen hatte, was Anatoli sicher verärgert hätte, denn es war noch einmal um ein Vielfaches größer als sein eigenes. Thomas Eisler grinste innerlich bei dem Gedanken, als der braun gebrannte Steward das Schlauchboot am Heck der 40-Meter-Jacht vertäute, vor allem da er bei seinen intensiven Recherchen über seinen neuen Arbeitgeber herausgefunden hatte, dass die Firma sie oft über eine sehr diskrete Agentur aus Monaco zum Chartern anbot. Oder wohl eher anbieten musste. Er wartete nicht darauf, dass ihm wieder jemand an Bord half, sondern hievte sich eigenhändig auf das Teakholz der Badeplattform und kletterte über die kurze Leiter an Deck. Ein weiterer Steward in weißer Uniform erwartete ihn bereits:
»Herzlich willkommen an Bord der Annabelle, Mr Eisler. Mr Kharkov erwartet Sie bereits, wenn Sie mir folgen möchten?«
Der Engländer stakste vorweg, wahrscheinlich fanden sie die Blasiertheit schick, ein Stück altes Geld auf einem Kahn, finanziert von neuem und dafür umso mehr davon. Oder seine Frau stand auf den Engländer, sie kümmerte sich um das Personal. Dies zu wissen gehörte ebenso zu Thomas Eislers Arbeitsverständnis wie die Tatsache, dass der Mann in dem Café in Dubrovnik darauf wartete, dass er wohlbehalten von der Jacht zurückkehrte. Bei Kharkov konnte man nie wissen. Zum wiederholten Mal fragte sich Eisler, wie es möglich war, dass er trotz bester Kontakte niemals hatte herausfinden können, wer seine wahren Auftraggeber waren. Eindeutig war nur, dass es nicht der Vorstandsvorsitzende der Wodkafabrik sein konnte, dafür reichte sein Einfluss bei Weitem nicht aus. Der Steward blieb vor einer verspiegelten Glastür auf dem Oberdeck stehen. Er musste nicht klopfen, denn sie glitt zur Seite, kaum dass sie sie erreicht hatten. Anatoli betrat die Sonnenterasse, weiße Hosen und ein rosafarbenes Poloshirt, das stark spannte und sein sonnengerötetes Gesicht noch betonte. Offenbar hatte er seinen hellen slawischen Teint etwas zu lange der Mittelmeersonne ausgesetzt. Der Russe begrüßte ihn mit einem festen Händedruck und einem abschätzenden Blick. Sie hätten ein wundersames Paar abgegeben, wenn jemand sie beobachtet hätte, die fünfzigjährige Leuchtboje und der alte sehnige Mann im feinen Sommeranzug. Eisler lächelte dünnlippig, Anatoli hatte keinen Grund, nervös zu sein. Im Gegenteil. Sie setzten sich auf eine bequeme Eckbank unter einen Sonnenschirm, sein Jackett legte er ordentlich gefaltet über die Lehne. Nachdem er einen Drink dankend abgelehnt hatte, waren sie alleine, und Anatoli kam ohne Umschweife zur Sache. Hinter seinem roten Gesicht glitzerte das Mittelmeer von der Sonne, und die seichten Wellen kräuselten sich in der Bucht.
»Wie lief es in Israel?«, fragte der Russe und nippte an einem Pimm’s mit viel Eis. Für einen kurzen Moment ruhten seine Augen auf Eisler, der in diesem Moment begriff, dass dieser Mann nicht nur über einen messerscharfen Verstand verfügte, sondern auch überhaupt keine Skrupel kannte. Der Kontrast zwischen diesen ausdruckslosen Augen und dem bunt-fröhlichen Jetset-Drumherum hätte krasser kaum ausfallen können.
»Zufriedenstellend, Mr Kharkov. Absolut zufriedenstellend.«
»Also haben Sie das Virus?«
»Es ist kein Virus, Mr Kharkov. Es ist Schadsoftware. Wenn Sie einen griffigeren Ausdruck bevorzugen: ›Wurm‹ trifft es etwas besser.«
»Das weiß ich selbst«, bellte der Russe verärgert. »Und Sie sind sich sicher, dass es der echte ist?«
»Wenn der Mossad-Agent echt war, ist der Wurm es auch … Und glauben Sie mir, Mr Kharkov, ich erkenne einen Agenten, der ein doppeltes Spiel spielt«, stellte er fest und legte sein Telefon in die Mitte des Tisches. Er wusste, dass wiederum der Russe wusste, dass er bis zum Ende der DDR der erfolgreichste Spionageabwehroffizier der Stasi gewesen war, jener Organisation, die noch heute von allen Geheimdiensten der Welt für ihre Effizienz bewundert wurde, auch wenn sie den Staat, den sie hatte schützen sollen, letztlich durch die unglaublichen Kosten in den Ruin getrieben hatte. Der Anteil am Staatshaushalt hatte – alle bei anderen Ministerien versteckten Budgets eingerechnet – am Schluss bei über fünfzehn Prozent gelegen. Ein unglaublicher Kostenfaktor, den der Arbeiter- und Bauernstaat unmöglich hatte weiterführen können, er war unrettbar verloren gewesen, noch bevor die Menschen mit ihren Demonstrationen in Leipzig und Dresden den friedlichen Umsturz eingeläutet hatten. Glücklicherweise galt das nicht für die Offiziere jener Organisation, noch heute gab es Konten, welche die Bundesrepublik nie gefunden hatte. Und es gab neue Arbeit, so auch für Thomas Eisler.
»Daran zweifele ich ja gar nicht, Eisler«, riss ihn Anatoli aus seinen Gedanken. »Ich wusste, dass Sie das schaffen. Ist es da drauf?« Er blickte auf das Telefon in der Mitte des Tisches. Eisler nickte. Anatoli Kharkov nahm das Telefon in die Hand und wog es, wie um seinen Wert zu bestimmen. Dann nickte er anerkennend: »Gut gemacht, Eisler. Sie haben Ihren Bonus verdient. Und Sie fahren weiter nach Berlin, um sich um den Rest zu kümmern?«
»Selbstverständlich, Mr Kharkov. Wie besprochen. In drei Monaten sind wir einsatzbereit. Gesetzt den Fall, dass Ihre Leute das mit dem Wurm hinbekommen.« Thomas Eisler warf einen skeptischen Blick auf das Telefon, das in der riesigen Hand des Russen beinahe verschwand.
»Darüber machen Sie sich keine Sorgen. Ich habe genau den richtigen Mann dafür, und er wird bald so weit sein.«
In dem Moment betraten zwei junge Männer das Sonnendeck in tropfnassen Badehosen. Anatoli winkte sie zu sich und raunte Eisler zu: »Na, was für ein Zufall. Wenn man vom Teuf… Jungs, darf ich euch Thomas Eisler vorstellen? Ein Geschäftspartner aus Deutschland.«
Die beiden Jungs wirkten höflich, wobei der eine deutlich selbstbewusster auftrat als der andere. Er vermutete, dass es sich bei ihm um Anatolis Sohn handelte.
»Das sind mein Sohn Viktor und sein bester Freund Dimitrij. Sie studieren zusammen und sind für das Wochenende rübergeflogen«, bestätigte Anatoli seine Vermutung. Der Sohn und der Freund. So, so. Er gab ihnen höflich die Hand.
»Und was studieren Sie, Dimitrij?«
»Fortgeschrittene Computertechnologie an der MSTU«, antwortete der Junge und blickte zu Boden. Er konnte kaum fünfundzwanzig sein.
»Und in welchem Semester?«
Anatoli mischte sich ein, wahrscheinlich ärgerte er sich, dass er nicht nach den akademischen Leistungen seines Sohnes fragte: »Er macht gerade seinen Doktor. Mit vierundzwanzig, das muss man sich mal vorstellen. Der Junge ist fast so etwas wie ein Genie!« Dabei legte er den Arm um die Schultern der beiden und drückte sie so fest an sich, als wollte er sie zerquetschen. Anatoli lachte, und Thomas Eisler ahnte, warum. Er selbst hielt nicht viel von jungen Leuten, noch hätte er so einem Jungspund jemals einen derart heiklen Teil ihrer Mission anvertraut. Aber er musste zugeben, dass sie wahrscheinlich mehr von Computern verstanden als seine gesamte Söldnertruppe.
Ihr geschäftliches Gespräch war ebenso effizient beendet worden, wie es begonnen hatte. Vielleicht hatte Anatoli seinen Posten doch nicht ganz zu Unrecht zugeschanzt bekommen, wenn auch möglicherweise von noch unangenehmeren Zeitgenossen, als er selber einer war. Erst als Eisler wieder in dem Boot saß, das ihn nach Cavtat brachte, dachte er an den Mann, der schon auf ihn wartete. Sein Back-up, im wahrsten Sinne des Wortes, denn auf dessen Telefon befand sich eine weitere Kopie von Stuxnet, falls sein Handy durch einen unglücklichen Zufall zerstört worden oder ihm etwas zugestoßen wäre. Eigentlich hätte Eisler es zerstören sollen, aber sein Bauchgefühl sagte ihm, dass es nicht schaden könnte, das Back-up noch ein wenig zu behalten. Man konnte nicht genügend Back-ups haben in seinem Geschäft, dachte er und hielt die Nase in den Fahrtwind.
Das Biest nahm den regulären Wasserbus, er hielt nichts von Auffälligkeiten und Statussymbolen zur falschen Zeit am falschen Ort. Er hatte Kharkovs Jacht gestern Abend vom Ufer in Cavtat aus betrachten können, protzig und mit am Heck vertäuten aufgeblasenen Bananen und Jetskis für seinen verwöhnten Jungen. Er verachtete ihn dafür. Aber er brauchte ihn, diesen neureichen, zweitklassigen Manager, dessen Loyalität außer Frage stand. Nachdem das schwerfällige Boot, das im Halbstundentakt von Dubrovnik auf die Insel vor der Küste fuhr, sanft gegen die Bojen am Pier geschaukelt war und der Ticketabreißer kaugummikauend die Leinen vertäut hatte, betrat er mit etwa vierzig weiteren Passagieren das Naturreservat, das Eintritt kostete und deshalb gut besucht, aber nicht von Touristen überschwemmt war. Die meisten der Neuankömmlinge trugen Flipflops, Strandlaken unter dem Arm und schnatterten dummes Zeug. Das Biest konnte sie schon jetzt gut leiden, sie würden den Mann mit dem etwas zu teuren weißen Hemd und den Khakis schnell vergessen. Er wartete bei einer Cola auf der Terrasse des hiesigen Restaurants, das eher als Kiosk bezeichnet werden musste. Es störte ihn nicht, einen Tag lang den Touristen zu mimen, wenn es seinen Zwecken diente. Und die Verbindung zwischen ihm und Kharkov durfte niemals ans Licht kommen, das war einer der wichtigsten Teile seines Plans. Nur deshalb betrieb er diesen Aufwand. Als sich der dicke Russe schwitzend und schnaufend den Weg hinaufschleppte, ging er ihm ein Stück entgegen und lächelte. Auch das war wichtig.
»Gehen wir ein Stück«, schlug er vor, nach einer Begrüßung, die Kharkov als herzlich empfunden haben dürfte.
Der Wodka-CEO wischte sich den Schweiß von der Stirn, beeilte sich aber, mit ihm Schritt zu halten. Sie nahmen den Weg hinauf zu den verfallenen Mauern eines Klosters, zu jenem Teil, den die Touristen mieden, weil die Klippen steil und der Weg zu weit war. Nach einigen Biegungen verschluckte ein Dickicht aus grünen Bäumen und Sträuchern sie und der Weg wurde steinig.
»Läuft alles nach Plan?«, fragte das Biest.
»Natürlich«, beeilte sich Anatoli zu versichern. »Ich habe das Virus sogar schon heute geliefert bekommen. Ich hatte Ihnen doch gesagt, dass auf Eisler Verlass ist.«
Das Biest zog eine Augenbraue nach oben. »Und die Teams?«
»Sind unser nächster Schritt. Ich habe Eisler die komplette Organisation übertragen, was diesen Teil des Plans angeht. Er ist Deutscher und einfach näher dran. Ich dachte, es wäre sicher auch in Ihrem Interesse, wenn wir etwas Abstand halten.«
Der Weg führte in einem langen Schwung an der Ostseite der Steilküste entlang. Unter ihnen rauschten die Wellen gegen die Felsen. Der Blick auf das dalmatinische Festland war atemberaubend. Ein gigantisches Kreuzfahrtschiff, das im Schatten der Insel vor Anker gegangen war, verabschiedete sich mit einem lauten Dröhnen seines Horns.
»Sicher«, antwortete das Biest. »Ich bin froh, dass Sie für uns mitdenken, Anatoli.«
Er spürte, wie der Mann unsicherer wurde. Es gefiel ihm. Auch das gehörte zu seinem Plan. Wie die kleine Show, die er vorbereitet hatte. Sie gingen eine halbe Stunde an den Mauern des Klosters entlang, das die Benediktiner vor über zweihundert Jahren verlassen hatten. Neben ein paar Obstgärten hinterließen sie einen Fluch, sollte Lokrum jemals wieder besiedelt werden. Das Biest hatte nicht vor, sich hier niederzulassen, auch wenn ihm die Geschichte mit dem Fluch gut gefiel. Nachdem ihm Kharkov den Plan in allen Einzelheiten dargelegt hatte, musste das Biest zugeben, dass der eifrige Organisator ihn nicht enttäuscht hatte. Seine Planung entsprach in allen Belangen seinen Vorgaben und übertraf sie sogar in manchen Punkten.
»Dann lassen Sie uns feiern gehen, Anatoli. Sie haben es sich verdient.« Er legte den Arm um die Schulter seines Geschäftspartners und führte ihn einen steilen Weg hinab zu einem Anleger aus Beton, der nur mit kleinen Booten zu erreichen war. Zwei Männer und eine Frau lagen auf bunten Handtüchern in der Sonne, eine Flasche Champagner stand in einem Kühler. Das Biest vermutete, dass diese Szenerie Kharkovs Geschmack traf. Er beobachtete, wie er sich die Lippen leckte, als er die Brüste der brünetten Schönheit betrachtete, die der minderjährigen Geliebten eines ehemaligen Ministerpräsidenten Italiens zum Verwechseln ähnlich sah. »Bunga-Bunga« trifft es fast, lächelte das Biest innerlich beim Gedanken an das, was nun kommen sollte. Die zwei Männer auf den Handtüchern könnten unterschiedlicher kaum sein, und doch betrachtete er sie als seine engsten Vertrauten. Die Haut des Größeren war grau, ebenso wie sein Haar, und seine Augen traten unnatürlich dick aus ihren Höhlen. Der Engländer passte nicht hierher und schien sich auch nicht sonderlich wohlzufühlen, sein Handtuch lag etwas abseits, das Glas daneben war leer. Das Biest wusste, dass es nicht gefüllt gewesen war. Er trank niemals. Der andere Mann hingegen strotzte, vor Energie, obwohl er nicht viel jünger war. Sein Haar war pechschwarz, er hätte aus Nordafrika stammen können, weshalb ihn jeder nur den Algerier nannte. Er lag dicht neben der Brünetten, sie berührten sich nicht, aber nur um Haaresbreite. Und nur aus Respekt dem Biest gegenüber, dessen Hände sie alle drei fütterten. Trotzdem starrte er der jungen Frau unverhohlen zwischen die Beine und auf die Brüste. Er war der Einzige, dem das Biest so etwas durchgehen ließ. Er war sein Seelenverwandter, der Primus inter Pares der beiden Männer, die er beinah als Freunde bezeichnen würde, weil er niemanden kannte, der ihm gegenüber loyaler war. Nicht einmal seiner eigenen Ehefrau vertraute er so sehr wie dem Engländer und dem Algerier. Und Kharkov würde schnell erfahren, was er unter Loyalität verstand. Die junge Frau stand auf und begrüßte ihn, er nahm sie in die Arme und legte eine Hand um sie, um Kharkov klarzumachen, wem sie gehörte. Ihre Haut war fest und weich zugleich, genau wie er seine Geliebten haben wollte. Und devot genug, beeindruckt von Geld mit einem Maß an Eigenständigkeit, das seinen Zielen nicht zuwiderlief. Kharkov senkte den Blick. Sie küsste ihn auf die Wange.
»Setzen Sie sich, Anatoli, bitte setzen Sie sich.«
Das Biest schenkte im Sitzen zwei Gläser ein, die Gebräunte schmiegte sich eng an seinen Rücken.
»Ich möchte mit Ihnen anstoßen, Anatoli. Auf Ihren Plan!« Keiner der beiden Männer machte Anstalten, das Glas zu erheben. Der Nordafrikaner grinste. Die Gläser klirrten zusammen.
»Noch etwas«, sagte das Biest verschwörerisch und beugte sich zu Kharkov herüber. Der Angesprochene blickte selbstzufrieden in die Runde.
»Ich möchte, dass Sie sich etwas genau einprägen.« Er flüsterte jetzt fast. Sie knabberte an seinem Ohr, und er nahm noch einen Schluck Champagner, bevor er fortfuhr. Der Diamant in ihrem Bauchnabel funkelte in der Mittelmeersonne.
»Es gibt zwei Dinge, die ich von Ihnen erwarte. Sie stehen über allem anderen.« Er machte eine Kunstpause. »Loyalität und Leistung.« Es klang wie zwei Gebote vom Berg Sinai. Gottgegeben. Kharkov nickte: »Natürlich. Das ist auch für mich das Wichtigste.«
»Gut«, sagte das Biest und stellte das Glas auf den Beton des Anlegers. »Das sagt unsere kleine Maria hier auch immer.« Er streichelte ihr über die Wange und dann über den knappen gelben Bikini, der ihre Brust nur unzureichend verdeckte. »Und dennoch.« Seine Worte hingen Unheil verkündend in der Luft. Sie zog sich von ihm zurück, aber er packte sie im Genick, wie eine ungehorsame Katze, und drückte ihren Kopf in seinen Schoß. »Gestern hat sie mir einen geblasen.« Seine Stimme war leise und unbeteiligt, sie übertönte kaum das Platschen der Wellen. Maria zitterte. »Und wissen Sie was, Anatoli?«
Der Russe schüttelte den Kopf.
»Sie hat es nicht gebracht.«
Ende der Leseprobe