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Silvia Fauck

SOS

Herzschmerz

Soforthilfe von der
Liebeskummer-Expertin

Gabriel

Ich widme dieses Buch meinem ersten Enkelkind
Ben.
Love
Silvia Fauck

Inhalt

Einleitung

1. Schmerzhafter Aufprall: Von Wolke 7 auf den Boden der Tatsachen

Wie ich meinen ersten Liebeskummer erlebte

Warum der erste Liebeskummer besonders schlimm ist

Die Geschichte von Lena

2. Was passiert bei Liebeskummer?

Eine emotionale Ausnahmesituation

Die Geschichte des Autors Sebastian Erxleben

Die fünf klassischen Phasen des Liebeskummers

Die Geschichte von Julia

Mädchen und Jungen trauern unterschiedlich

Vier Interviews

Jasmin Ruprecht: Die Hormone spielen verrückt

3. Was wirkt gegen Liebeskummer?

Was tun, wenn du gerade verlassen wurdest?

Der Brief von Nadine

Wirkungsvolle Ablenkungsmanöver

Berend Breitenstein: Aktiv gegen den Liebeskummer

4. Typische Liebeskummerfallen und wie du sie umgehen kannst

Urlaubsflirt, Fernbeziehung

Die Geschichte des Schauspielers Michael Dierks

Lies mir die Wünsche von den Augen

Die Geschichte von Anna und Tim

Verrückt vor Eifersucht

Die Geschichte von Sven

Untreue

Die Geschichte von Nina

Verliebt in einen Erwachsenen

Die Geschichte von Jennifer

Verliebt in einen Star

Die Geschichte von Pia

5. Was du sonst noch über Liebeskummer wissen solltest

Wie trennt man sich respektvoll?

Die Geschichte von Jan

Das schlechte Gewissen bändigen

Mit den Eltern fertigwerden

6. Die TOP 10 rund um das Thema Liebe

In 10 Schritten vom Flirt zur Beziehung

10 Ideen, den anderen um Verzeihung zu bitten

10 Sofortmaßnahmen gegen Liebeskummer

Die Top-10-»No-Gos« bei Liebeskummer

10 goldene Regeln, wenn der Liebeskummer einen Freund/eine Freundin erwischt hat .

Adressen für Liebeskummer-Coaching

Einleitung

Wir alle werden unsere erste Liebe wohl niemals vergessen. – Das erste Mal! Wir betreten Neuland in der Welt der Gefühle und unsere Hormone spielen förmlich verrückt. Das Leben macht Spaß, wir sind neugierig und denken, dass uns nichts aus der Bahn werfen kann.

Doch die wenigsten Menschen bleiben ein Leben lang mit ihrer ersten Liebe zusammen. Und so wird er kaum einem Menschen auf der Welt erspart: der Liebeskummer. Genau wie beim ersten Verliebtsein gehen auch jetzt wieder unsere Gefühle mit uns durch. Bloß tragen sie uns diesmal nicht auf Wolke 7 durch den Tag, sondern ziehen uns runter in die tiefsten Tiefen unserer Seele. Plötzlich macht überhaupt nichts mehr Spaß und am liebsten würden wir uns nur noch im Bett verkriechen und warten, bis der Schmerz endlich zu Ende geht – falls das überhaupt jemals passieren wird. Denn vorstellen können wir es uns in dem Moment eigentlich nicht.

Kein Wunder, denn Liebeskummer ist eines der stärksten Trauergefühle überhaupt. Ähnlich wie beim Verlust eines geliebten Menschen erleben wir beim Liebeskummer Verlustgefühle, Machtlosigkeit und Trostlosigkeit. Wir fühlen uns vom Schicksal ungerecht behandelt und fragen uns: Warum muss das ausgerechnet mir passieren?

Wenn es dir gerade jetzt so geht, hoffe ich, dass ich dir mit diesem Buch eine Hilfestellung geben kann, um über diese schweren Stunden hinwegzukommen. Vielleicht bringt es dich schon einen kleinen Schritt weiter, wenn du erfährst, warum wir unter Liebeskummer so sehr leiden und in welchen Phasen Liebeskummer üblicherweise verläuft.

Außerdem findest du in diesem Buch zahlreiche Geschichten, die dir zeigen: Du bist nicht allein. Vielen Menschen ging es einmal ähnlich wie dir – und sie alle sind aus diesem Tief irgendwann gestärkt wieder aufgetaucht. Alle Geschichten, die ich in diesem Buch beschreibe – ob von Prominenten oder von Menschen wie du und ich – sind nicht ausgedacht, sondern wirklich genau so passiert.

Aus meiner langjährigen Arbeit mit »Liebeskummerkranken« weiß ich auch: Es gibt eine Reihe von Tipps und Tricks, die den Liebeskummer ein wenig lindern und dir helfen, schneller darüber hinwegzukommen. Diese kleinen »Trostpflaster« will ich dir natürlich nicht vorenthalten.

Und zu guter Letzt gilt es, nicht gleich noch einmal in dieselbe Falle zu tappen, wenn du erst einmal bereit bist, dich auf eine neue Liebe einzulassen. Deshalb beschreibe ich in diesem Buch auch die typischen Liebeskummerfallen und wie du sie umgehen kannst.

Dieses Buch wendet sich an Mädchen und an Jungen gleichermaßen, denn der Liebeskummer macht vor Geschlechtern nicht halt. Auch wenn beide vielleicht unterschiedlich trauern, ist die Wunde, die durch das Ende der ersten Liebe ins Herz gerissen wird, gleich tief.

Übrigens kann ich dich in einem Punkt beruhigen. Liebeskummer geht wirklich irgendwann vorbei. Auch ich habe mich nach meinem ersten Liebeskummer schließlich wieder aufgerappelt. Ich lenkte mich ab, hatte wieder Spaß mit meinen Freundinnen, gewann an Selbstvertrauen und konnte wieder lachen.

Herzlichst

deine Silvia Fauck

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Schmerzhafter Aufprall: Von Wolke 7 auf den Boden der Tatsachen

Wie ich meinen ersten Liebeskummer erlebte

Ich selbst erinnere mich noch gut an meinen ersten Liebeskummer. Ich war 13 und total verknallt in Klaus aus der Parallelklasse. Klaus gehörte zu unserer Clique, die aus drei Jungen und drei Mädchen bestand. Seit Wochen trafen wir uns schon jeden Nachmittag an der Currywurstbude in Dortmund-Aplerbeck, und dank der Großzügigkeit meines Großvaters hatte ich auch das Geld, um täglich Pommes zu kaufen. Mein Herz schlug mir jedes Mal bis zum Hals, wenn ich Klaus sah.

Dann ergab sich endlich eine Gelegenheit, sich näherzukommen. Die Eltern meiner Freundin Sabine waren verreist, sodass sie sturmfreie Bude hatte. Wir planten eine kleine Party im Partykeller von Sabines Eltern und kamen auf die Megaidee, ein Wettküssen zu veranstalten. Für uns alle war es der erste Kuss.

Nachdem Klaus fachmännisch (er war ja mein Held!) eine Flasche Sekt geöffnet und ausgeschenkt hatte, setzten sich Sabine, Dietmar, Angelika und Wilfried in die Hollywoodschaukel und klappten das »Dach« nach vorn. Klaus und ich konnten die anderen nun nicht mehr sehen – sie uns allerdings auch nicht.

Klaus saß auf einem Stuhl und deutete mit der Hand auf seinen Schoß. Ich verstand die Einladung sofort und fiel vor Glück fast in Ohnmacht, denn seit Wochen hatte ich heimlich davon geträumt, in seine Arme zu sinken. Ich setzte mich also auf seinen Schoß und erlebte meinen ersten richtigen Kuss – am 11. 02. 1967 um 15 Uhr! Wir knutschten bis 18 Uhr, um 18.30 Uhr musste ich zu Hause sein. An diesem Tag schwebte ich wie auf Wolken nach Hause.

Ein paar Wochen später gab es wieder eine kleine Party, dieses Mal bei mir zu Hause. Sabine durfte allerdings nicht kommen, weil ihre Eltern wollten, dass sie für die Schule lernte – wir alle hatten in den letzten Wochen nur noch ans Küssen gedacht und fielen in der Schule nicht gerade durch Glanzleistungen auf. Und auch Klaus musste leider absagen, weil er plötzlich krank geworden war.

Da waren wir nun zu viert: Angelika, Wilfried, Dietmar und ich. Und weil wir doch wieder ein Wettküssen veranstalten wollten – was lag da näher, als dass einfach Dietmar und ich … So dusselig, wie ich damals war, dachte ich mir gar nichts dabei. Du fragtst dich jetzt wahrscheinlich: Wie blöd kann man denn sein? Tja, da hast du wohl recht.

Als Klaus wieder gesund war und in die Schule kam, erfuhr er natürlich sofort, was vorgefallen war. Ich sehe ihn noch genau vor mir, wie er auf seinem Fahrrad sitzt und zu mir sagt: »Das war’s ja wohl mit uns.«

War das eine Sch…! Ich hatte nicht eine Sekunde lang meinen Kopf eingeschaltet. Nun hatte ich den Salat, Klaus war weg!

Monatelang trauerte ich in meinem Zimmer. Roy Black sang mir ins Ohr »Irgendjemand liebt auch dich« und die englische Gruppe Dave Dee & Co. sang »Touch me!«. Abends legte ich eine Wolldecke vor den Spalt unter meiner Zimmertür, damit mein strenger Vater nicht sehen konnte, dass ich noch wach war, bei Kerzenlicht Musik hörte und mir dabei die Augen aus dem Kopf heulte.

Um mich herum sah ich nur Feinde und doofe Erwachsene, die kein Verständnis für mich zeigten. Dieses Gefühl der Einsamkeit werde ich nie vergessen – eine Mischung aus schlechtem Gewissen und Selbstzweifel machte sich breit. Klaus wollte mich nicht mehr!

Insgesamt habe ich acht Monate um ihn getrauert. Es war eine schreckliche Zeit! Dieses grauenvolle Gefühl, nicht verstanden zu werden, sich so schrecklich alleine zu fühlen und den Liebsten in den Armen einer Klassenkameradin zu sehen. »Diese Schlampe aus der Parallelklasse …«, habe ich damals gedacht.

Überhaupt drehte sich jeder Gedanke Tag und Nacht nur um Klaus. Ich hatte keinen Hunger und genoss das Gefühl auch noch, mich durch Essensentzug zu bestrafen. Bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit flossen die Tränen. Sogar meine Großeltern machten sich Sorgen und fragten mich immer wieder, warum ich auf einmal so sensibel sei.

Doch in meinem Kopf hatten einzig und allein die Fragen Platz, die immer und immer wieder hochkamen: Warum verzeiht er mir nicht? Bin ich zu hässlich? Was hat die andere, was ich nicht habe? Hat er mich anfangs mit seinen Gefühlen nur verarscht? Warum liebt mich keiner? Werde ich mich je wieder verlieben? Wann hört der Schmerz endlich auf? Ich möchte nicht mehr leben. Es hat doch sowieso alles keinen Sinn.

Und zu allem Überfluss kam noch der andere »Feind« hinzu, mit dem ich zu kämpfen hatte – meine Eltern. Sie hatten überhaupt kein Verständnis für mich und waren wie immer mit sich und ihrer kaputten Ehe beschäftigt. Kurz und gut: Keine Sau war für mich da.

Das war wirklich eine schlimme Zeit für mich. Doch die gute Nachricht lautet: Sie ging vorüber. Etwa fünf Jahre später war ich mit Dietmar sogar ein Jahr lang fest liiert. So bekam die Geschichte im Nachhinein sogar noch einen Sinn.

Warum der erste Liebeskummer besonders schlimm ist

Die äußeren Umstände können ganz und gar anders sein – doch dieses unendlich trostlose Gefühl, das wir Liebeskummer nennen, erleben die meisten Menschen in ganz ähnlicher Weise. Das gilt nicht nur für Teenager, sondern für jede Altersgruppe. Niemand ist davor geschützt.

Und doch bist du besonders schlimm dran, wenn du zum ersten Mal unter Liebeskummer leidest. Das hat mehrere Gründe:

 Du erlebst diese Situation zum ersten Mal. Vielleicht hast du den Gefühlssturm noch gar nicht verdaut, den das erste Verliebtsein in dir hervorgerufen hat. Und nun musst du schon mit dem anderen Extrem fertigwerden. Du fühlst dich total orientierungslos.

 Du hast noch nicht die Erfahrung gemacht, dass Liebeskummer irgendwann wieder vorbeigeht, und denkst, dass du für den Rest deines Lebens unglücklich sein wirst.

 Du fühlst dich als Opfer deiner Gefühle, brichst womöglich bei jeder Gelegenheit in Tränen aus und musst auch noch die Scham darüber ertragen.

 Dein Selbstwertgefühl sinkt in den Keller, weil du vielleicht zum ersten Mal bewusst die Erfahrung machst, abgewiesen zu werden.

 Während Erwachsene selbst entscheiden können, zum Arzt zu gehen und sich krankschreiben zu lassen, darfst du nicht einfach von der Schule wegbleiben, obwohl du fix und fertig bist. Dabei kannst du dich in der Schule sowieso keine Sekunde konzentrieren.

 Und dann musst du auch noch mit deinen Eltern fertigwerden, obwohl du schon mit dir selbst genug zu tun hast. Entweder du musst ihnen verheimlichen, wie es dir geht, weil sie »ausflippen« würden, wenn sie wüssten, dass du überhaupt schon mit jemandem zusammen warst. Oder sie nerven mit ihren peinlichen Aufmunterungsversuchen, statt dich einfach in Ruhe trauern zu lassen.

 Und überhaupt neigen Erwachsene dazu, den Liebeskummer von Teenagern nicht ernst zu nehmen. So, wie sie vielleicht schon das Verliebtsein zuvor als belanglose Schwärmerei abgetan haben, so denken sie auch jetzt, dass es sich bloß um eine kleine Verstimmung handelt, die irgendwas mit der Pubertät zu tun hat.

Wie Lena ihren ersten Liebeskummer erlebt hat, beschreibt sie in der folgenden Geschichte. Vielleicht findest du darin ja sogar einiges von deinen eigenen Erfahrungen wieder.

Die Geschichte von Lena

Bei meiner ersten Erfahrung – und Enttäuschung – mit dem männlichen Geschlecht war ich gerade 14 Jahre alt und in der Schule eine absolute Außenseiterin. Und besonders Jungs interessierten sich null für mich. Ich mich für sie allerdings auch noch nicht wirklich. Irgendwie waren alle Klassenkameraden für mich gleich und vor allem doof.

Ich komme aus einer Metzgerfamilie. Irgendwann kriegten die Jungs das mit und haben sich allmählich dafür interessiert, welche gute Wurst auf meinen Pausenbroten war. Oft machten wir dann Tauschgeschäfte, z. B. Mortadellabrot gegen ein Snickers.

Die Mädels in der Klasse waren davon nicht so begeistert und haben mich entsprechend geschnitten. Außerdem war ich auch noch eine von denen, die schon immer einen eigenen Kopf hatten und den auch einsetzten. Damit war die Gefahr, die anderen zu nerven, ziemlich groß. Mich interessierten einfach viele Dinge und so hatte ich immer noch ein paar Fragen mehr als die anderen im Unterricht. Logisch, dass ich den Stempel der »Streberin« aufgedrückt bekam.

Ich war also ziemlich oft alleine.

Durch ein Projekt in der Schule freundete ich mich dann aber überraschenderweise mit Gesa an, dem beliebtesten Mädchen aus der Klasse!

Mutter Ärztin, Vater Ingenieur. Sie war groß, blond, hatte gute Noten und als Freund den heißesten Typen aus der Oberstufe, Kai Förster. Auch er groß und blond, der Typ »Sunnyboy« eben.

Irgendwie wurden Gesa und ich gute Freundinnen, und das Beste daran war, dass es uns egal war, wenn die anderen in der Klasse blöde Sprüche machten. Ist ja klar, dass ich über meine Freundschaft mit Gesa auch ihren Kai besser kennenlernte. Oft traf ich ihn abends beim Laufen oder Radfahren, wenn er mit seinem Hund eine Runde Gassi ging. Nach einer Weile wurden unsere Zusammentreffen fast schon zu einem kleinen Ritual.

Gesa und er haben sich während dieser Zeit ziemlich oft gestritten. Eine Woche waren sie ein glückliches Pärchen, die nächste Woche haben sie sich getrennt. So ging das ewig hin und her.

Nach zwei weiteren Monaten hat es dann richtig gekracht bei den beiden und die darauf folgende Trennung war endgültig.

Für mich änderte das aber nichts an meinem Rhythmus: Nachmittags mit Gesa lernen und abends mit Kai den Hund spazieren führen. Irgendwann kam Kai dann auch bei uns zu Hause vorbei und hat mich abgeholt. Eigentlich war das ganz nett und ich merkte irgendwie auch immer eine Vorfreude auf den Spaziergang.

Nach drei oder vier Wochen kam dann der Klassiker. In der Mittagspause auf dem Schulhof kam ein Junge aus der Oberstufe auf mich zu und fragte mich, ob ich mit Kai »gehen« möchte. Hm – ich hatte keine Ahnung, was er eigentlich damit meinte. Aber da ich ja eh fast jeden Abend mit ihm unterwegs war, sagte ich einfach Ja. Und von da an hatte ich einen Freund. Meinen ersten Freund.

Das Dumme war nur, ich hatte immer noch keine Ahnung, was es nun wirklich bedeutet, mit einem Jungen zu »gehen«. Ich wusste, was Sex war, theoretisch, aber nicht, was Liebe ist. Ich merkte nur, dass meine Welt sich verändert hatte und ja, ich hatte auch Schmetterlinge und ein Kribbeln im Bauch, wenn er den Arm um mich legte.

Das dümmliche Dauergrinsen ging mir nicht mehr aus dem Gesicht.

Nach einer Woche lud er mich dann ins Kino ein. »Fluch der Karibik« war gerade angelaufen. Wir hatten so ein altes Kino, mit gepolsterten Doppelsitzen in den letzten Reihen. Schön kuschelig. Und da habe ich meinen ersten Zungenkuss bekommen. Mann, war das komisch. Ich wusste gar nicht so richtig, was ich machen sollte, und merkte auch, wie ich mich versteifte und ganz und gar nicht locker war. Aber nach ungefähr der Hälfte des Films hatte ich den Bogen raus und es kribbelte bis in die Zehenspitzen.

An dem darauffolgenden Wochenende hat Kai mich dann zu sich nach Hause eingeladen. Wir haben mit seinem Vater Kaffee getrunken und Kuchen gegessen und sind dann zum »Musikhören« in sein Zimmer gegangen. Hm, zuerst Knutschen, dann Fummeln und irgendwie lag ich dann auf einmal auf seinem Bett und er über mir.

Ich wusste nichts, aber auch gar nichts, weder wie und wo ich ihn berühren sollte noch hat er mir irgendwie zu verstehen gegeben, was er sich wirklich vorstellte. Mir war heiß und kalt und mein Herz klopfte bis zum Hals. Halb nackt ist er dann nach einer halben Stunde ins Bad verschwunden. Danach war alles wie vorher, ein bisschen Knutschen usw.

Ich zog mich dann irgendwann wieder vollständig an und er hat mich noch zur Wohnungstür gebracht und mich mit einem flüchtigen Kuss verabschiedet.

Das war also meine erste sexuelle Begegnung mit dem männlichen Körper. Ziemlich verwirrt bin ich nach Hause gegangen und habe mich die ganze Zeit gefragt, was da schiefgelaufen ist. Denn theoretisch wusste ich, dass wir auf der Hälfte der Strecke stehen geblieben sind.

Heute weiß ich, er war wesentlich schneller als ich und musste sich wohl im Bad erst mal selbst befriedigen. Aber wie Jungs eben so sind, sagen sie nix und lassen die Mädels verwirrt zurück.

Ein, zwei Wochen waren wir dann noch zusammen, ohne dass wir noch mal versucht hätten, miteinander zu schlafen.

Eines Morgens in der Schule fragte Gesa mich, ob ich denn wirklich in Kai verliebt sei. Sie habe sich die letzten Tage öfters mit ihm getroffen und eigentlich habe sie ihn immer noch sehr lieb und würde ihn gern zurückhaben. Er sehe das auch so. Hm. Und was macht Lena? Sie sagt: »Macht ihr mal.« Ich weiß noch, dass wir anschließend Kunstunterricht hatten und ich so zittrig war, dass ich nicht einen einzigen ordentlichen Strich zustande brachte.

Ich war traurig und wütend, weil er nicht mit mir gesprochen, sondern einfach Gesa vorgeschickt hatte. Und ich dachte außerdem, keiner will mich und schon klar, dass er lieber mit ihr zusammen ist als mit so einem Blindgänger wie mir. Ich habe mir die ganze Schuld gegeben.

Zu Hause habe ich mich in mein Zimmer eingeschlossen und geheult. Tagelang habe ich kaum gesprochen. Und wenn Gesa mich fragte, wie es mir denn gehe, habe ich immer nur gesagt: »Gut, danke.« In der Schule haben mich einige mitleidig angesehen und andere waren einfach nur eklig und meinten, dass mir das zu Recht geschehe. Es war, als hätte ich eine Quittung bekommen – ich wusste nur nicht wofür und fühlte mich sterbenselend. Am liebsten wäre ich nie wieder in die Schule gegangen. Mein Leben bestand zu dieser Zeit nur aus Heulen und Lernen. Das verschaffte mir irgendwie Ablenkung und ich hatte das Gefühl, den Schmerz in meiner Herz- und Bauchgegend auf diese Weise betäuben zu können.

Ich dachte damals wirklich, dass ich mich nie wieder in einen Jungen verknallen könnte – und umgekehrt keiner sich in mich. Heute weiß ich es aber besser. Gesa ist im Jahr nach dieser doofen Geschichte auf eine andere Schule gewechselt. Und Kai und sie haben sich wieder getrennt. Ungefähr zum zehnten Mal.

Er stand dann auch irgendwann mal wieder bei mir vor der Tür und wollte mit mir reden. Aber ich war immer noch sauer und verletzt und sagte, ich hätte keine Zeit. Dann habe ich ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen. Ich muss zugeben – das fühlte sich unglaublich gut an. In diesem Moment habe ich viel von meiner Wut verloren.

In Lenas Geschichte kommen zwei Aspekte besonders unglücklich zusammen: der erste Liebeskummer und eine ganz große Portion Unwissenheit. Sie bezieht die Ereignisse ausschließlich auf sich selbst und denkt: Ich wurde verlassen, weil ich dumm und hässlich bin, nicht gut genug im Bett war, weil meine Eltern »nur« Metzger sind … Sie fühlt sich »übrig geblieben« und einsam. Kurz: Lenas Selbstwertgefühl ist völlig am Boden.

Wahrscheinlich hätte sie sich ohne Mühe unter jedem Teppich verstecken können, so klein und nichtig fühlte sie sich. Kein Wunder, dass sie glaubte, es würde sich nie wieder jemand in sie verlieben – sie liebte sich ja selbst kaum noch in dieser Situation. »Nur wenn du dich selbst liebst, werden es auch andere tun« – in diesem Spruch liegt schon sehr viel Wahrheit, und besonders in Krisen ist es hilfreich, sich das hin und wieder vor Augen zu führen.

Was Lena in dieser Situation sicherlich gutgetan hätte: etwas mehr Verständnis und Nachsicht für sich selbst. Statt sich etwas Gutes zu tun und sich im wahrsten Sinne des Wortes zu trösten, hat sie sich abgelenkt und versucht, alles zu verdrängen. Da ihre beste Freundin Gesa auch noch selbst in die Geschichte involviert war, konnte sie nicht einmal ihr gegenüber ihr Herz ausschütten.

Andererseits kam Lena gar nicht auf die Idee, sich einmal in Kai hineinzuversetzen. Denn der war ja offenbar mit seinen eigenen Gefühlen vollkommen überfordert und dachte wahrscheinlich auch, dass er im Bett etwas falsch gemacht hatte. Gerade bei den ersten sexuellen Erfahrungen können Scham und Ängste so gewaltig sein, dass man lieber die Flucht ergreift, anstatt einfach mal mit dem anderen darüber zu sprechen. Lena und Kai waren beide offenbar nicht richtig aufgeklärt, so wurde das »Abenteuer Sex« für sie zu einer großen Hürde.