Alice Munro

Was ich dir schon immer sagen wollte

Dreizehn Erzählungen

Aus dem Englischen
von Heidi Zerning

DÖRLEMANN

Die Originalausgabe »Something I’ve Been Meaning to Tell You« erschien 1974 bei McGraw-Hill Book Company in New York.

Die Publikation des Bandes wurde vom Canada Arts Council gefördert. Der Verlag bedankt sich hierfür.



eBook-Ausgabe 2012
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
© 1974 by Alice Munro
© 2012 by Dörlemann Verlag AG, Zürich
Umschlaggestaltung: Mike Bierwolf unter Verwendung einer Fotografie von Martin Parr
Porträt von Alice Munro: © Derek Shapton
Satz und eBook-Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde
ISBN epub 978-3-908778-15-8
www.doerlemann.com

Autorenbild

Alice Munro

Für
Sheila
Jenny
Andrea

Was ich dir schon immer sagen wollte

»Jedenfalls weiß er, wie man die Frauen um den Finger wickelt«, sagte Et zu Char. Sie konnte nicht erkennen, ob Char bleicher wurde, als sie das hörte, denn Char war ohnehin so bleich, wie man nur sein kann. Sie sah inzwischen aus wie ein Gespenst mit ihren weiß gewordenen Haaren. Aber immer noch schön, das verlor sie einfach nicht.

»Alter und Größe sind ihm völlig egal«, setzte Et nach. »Wahrscheinlich ist das für ihn so natürlich wie atmen. Ich hoffe bloß, die armen Dinger fallen nicht drauf rein.«

»Nicht meine Sorge«, sagte Char.

Am Tag zuvor hatte Et Blaikie Noble beim Wort genommen und war seiner Einladung gefolgt, an einer seiner Touren teilzunehmen und seinen Sprüchen zu lauschen. Char war auch eingeladen, kam aber natürlich nicht mit. Blaikie Noble betrieb einen Bus. Der untere Teil war rot lackiert und der obere gestreift, damit er aussah wie eine Markise. Auf der Seite stand: SEERUNDFAHRTEN, INDIANERGRÄBER, KALKSTEINGÄRTEN, MILLIONÄRSVILLA, BLAIKIE NOBLE, FAHRER UND REISEFÜHRER. Blaikie hatte ein Zimmer im Hotel und kümmerte sich zusammen mit einem Gehilfen um die Anlage, mähte den Rasen, beschnitt die Hecken und grub die Beete um. Was für ein Abstieg, hatte Et zu Anfang des Sommers gesagt, als sie erfuhren, dass er wieder da war. Sie und Char kannten ihn von früher.

So saß also Et in seinem Bus, eingezwängt zwischen vielen Fremden, hatte sich allerdings, bevor der Nachmittag um war, mit einigen von ihnen angefreundet und zwei Aufträge für Jacketts, die ausgelassen werden mussten, erhalten, als hätte sie nicht schon genug zu tun. Außerdem ging es ihr gar nicht darum, sie war nur darauf aus, Blaikie zu beobachten.

Und was hatte er vorzuzeigen? Ein paar grasbewachsene Buckel mit toten Indianern darunter, ein Feld voll seltsam geformter, grauweißer, traurig ausschauender Kalksteingebilde – sehr entfernte Nachahmungen von Pflanzen (das konnte der Friedhof sein, wenn man so wollte) – und ein altes Ungetüm von einem Haus, erbaut mit Schnapsgeld. Er machte das Beste daraus. Einen historischen Vortrag über die Indianer, dann einen wissenschaftlichen Vortrag über Kalkstein. Et hatte keine Ahnung, wie viel davon stimmte. Arthur würde es wissen. Aber Arthur war nicht da; es waren nur beschränkte Frauen da, die hofften, auf dem Weg zu und von den Sehenswürdigkeiten neben ihm zu gehen, beim Tee im Kalkstein-Pavillon mit ihm zu plaudern, und sich darauf spitzten, seine starke Hand unter ihrem Ellbogen zu spüren, während seine andere Hand die Gegend ihrer Taille streifte, wenn er ihnen aus dem Bus half. (»Ich bin keine Touristin«, zischte Et ihm zu, als er das bei ihr probierte.)

Er erzählte ihnen, dass es in dem Haus spukte. Et, die ihr ganzes Leben nur zehn Meilen davon entfernt verbracht hatte, hörte das zum ersten Mal. Eine Frau hatte ihren Mann, den Sohn des Millionärs, umgebracht, zumindest hieß es, sie hätte ihn umgebracht.

»Wie denn?«, rief eine Frau, ganz außer sich vor schauriger Erregung.

»Ha, die Damen wollen immer die Methode wissen«, sagte Blaikie mit einer Stimme wie Sahne, verächtlich und liebevoll. »Es war eine langsame – Gift. Oder so sagt man wenigstens. So wird gemunkelt, aber alles nur Klatsch und Tratsch.« (Nicht Klatsch, sondern Quatsch, sagte Et zu sich selbst.) »Sie mochte eben seine Freundinnen nicht, die Ehefrau. Oh nein.«

Er erzählte ihnen, das Gespenst ginge im Garten auf und ab, zwischen zwei Reihen Blautannen. Es sei nicht der ermordete Mann, der umginge, sondern die Ehefrau, der es leidtäte. Blaikie lächelte seiner Busladung reumütig zu. Anfangs hatte Et gedacht, seine Aufmerksamkeiten seien alle geheuchelt, der übliche kommerzielle Flirt, um ihnen für ihr Geld etwas zu bieten. Doch allmählich bekam sie einen anderen Eindruck. Er beugte sich zu jeder Frau, mit der er redete, hinunter – ganz egal, wie dick oder knochig oder beschränkt sie war –, als hätte sie etwas in sich, was er gerne finden würde. Seine Miene war sanft und fröhlich, aber letztlich ernst, konzentriert (war das der Gesichtsausdruck, den Männer zum Schluss beim Liebesakt hatten und den Et nie sehen würde?), so dass er wirkte, als wäre er gern ein Tiefseetaucher und tauchte hinab, hinunter durch all die Leere und Kälte und Trümmer, um das eine zu entdecken, an dem sein Herz hing, etwas Kleines und Kostbares, schwer zu finden, wie ein Rubin auf dem Meeresgrund vielleicht. Das war ein Gesichtsausdruck, den sie Char gerne beschrieben hätte. Zweifellos hatte Char ihn schon gesehen. Aber wusste sie, wie freigebig er jetzt ausgeteilt wurde?

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Char und Arthur hatten für diesen Sommer eine Reise geplant, um den Yellowstone Park und den Grand Canyon zu sehen, aber sie fuhren dann doch nicht. Arthur bekam gleich nach dem letzten Schultag eine Reihe von Schwindelanfällen, und der Arzt schickte ihn ins Bett. Mehreres fehlte ihm. Er litt an Blutarmut, sein Herz schlug unregelmäßig, seine Nieren waren nicht in Ordnung. Et hatte Angst, es könnte Leukämie sein. Sie wurde nachts vor Sorgen wach.

»Sei nicht albern«, sagte Char gelassen. »Er ist überarbeitet.«

Arthur stand abends auf und saß im Morgenmantel da. Blaikie Noble kam zu Besuch. Er sagte, sein Zimmer im Hotel sei ein Loch über der Küche, der reinste Dampfkochtopf. Umso angenehmer sei die Kühle auf der Veranda. Sie spielten die Spiele, die Arthur liebte, Lehrerspiele. Ein Geographiespiel und dann eines, bei dem es darauf ankam, wer die meisten Wörter aus dem Namen Beethoven bilden konnte. Arthur gewann. Er schaffte vierunddreißig. Er freute sich wie ein Schneekönig.

»Man könnte meinen, du hast den Heiligen Gral gefunden«, sagte Char.

Sie spielten »Wer bin ich?«. Jeder musste sich aussuchen, wer er sein wollte – wirklich oder erfunden, lebend oder tot, Mensch oder Tier –, und die anderen mussten es mit zwanzig Fragen erraten. Et erriet, wer Arthur war, mit der dreizehnten Frage. Sir Galahad.

»Ich hätte nie gedacht, dass du es so bald herauskriegst.«

»Ich habe mich daran erinnert, was Char vom Heiligen Gral gesagt hat.«

»Kraft von zehn ward mir gegeben«, sagte Blaikie Noble, »Weil ich reinen Herzens bin. Wusste gar nicht, dass ich das noch kann.«

»Du hättest König Arthur sein müssen«, sagte Et. »König Arthur ist dein Namensvetter.«

»Hätte ich, ja. König Arthur war mit der schönsten Frau der Welt verheiratet.«

»Ha«, sagte Et. »Wir wissen ja alle, wie die Geschichte ausging.«

Char ging ins Wohnzimmer und spielte im Dunkeln Klavier.

Die Blumen, die im Frühling blühn, trala,

Sie haben nichts damit zu tun …

Als Et im Juni dieses Jahres außer Atem ankam und fragte: »Rate mal, wen ich in der Stadt auf der Straße gesehen habe?«, antwortete Char, die auf Knien Erdbeeren pflückte: »Blaikie Noble.«

»Du hast ihn auch gesehen.«

»Nein«, sagte Char. »Ich hab’s einfach gewusst. Ich glaube, durch deine Stimme.«

Ein Name, der zwischen ihnen dreißig Jahre lang nicht mehr gefallen war. Et war in dem Augenblick zu verblüfft, um an die Erklärung zu denken, die ihr später einfiel. Warum musste es für Char eine Überraschung sein? Schließlich gab es in diesem Land Postzustellung, und das schon seit Langem.

»Ich hab ihn nach seiner Frau gefragt«, sagte sie. »Die mit den Puppen.« (Als ob Char das nicht wüsste.) »Er sagt, sie ist vor langer Zeit gestorben. Nicht nur das. Er hat eine andere geheiratet, und die ist auch tot. Keine von beiden kann reich gewesen sein. Und wo ist das ganze Geld der Nobles geblieben, von dem Hotel?«

»Wir werden es nie erfahren«, sagte Char und aß eine Erdbeere.

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Das Hotel war erst vor Kurzem wieder eröffnet worden. Die Nobles hatten es in den zwanziger Jahren aufgegeben, und die Stadt hatte eine Weile lang darin ein Krankenhaus betrieben. Jetzt hatten Leute aus Toronto es gekauft, den Speisesaal renoviert, eine Cocktailbar eingebaut, die Blumenbeete und den Rasen auf Vordermann gebracht, auch wenn der Tennisplatz offenbar nicht zu retten war. Eine Krocketbahn wurde wieder eingerichtet. Gäste kamen im Sommer, aber sie waren nicht wie die Gäste von früher. Rentnerehepaare. Viele Witwen und alleinstehende Damen. Niemand wäre vors Haus gegangen, um sie vom Schiff kommen zu sehen, dachte Et. Nicht, dass noch ein Schiff anlegte.

Als sie neulich Blaikie Noble zum ersten Mal auf der Straße begegnet war, hatte sie ihr Bestes getan, sich ihre Verblüffung nicht anmerken zu lassen. Er trug einen cremefarbenen Anzug, und seine Haare, schon immer von der Sonne ausgeblichen, waren jetzt endgültig weiß.

»Blaikie. Ich wusste, entweder bist du es, oder es ist eine Tüte Vanilleeis. Ich wette, du weißt nicht, wer ich bin.«

»Du bist Et Desmond, und das Einzige, was sich an dir verändert hat, du hast deine Zöpfe abgeschnitten.« Er küsste sie auf die Stirn, frech wie immer.

»Du bist also wieder da und besuchst deine alten Tummelplätze«, sagte Et und fragte sich, wer das wohl gesehen hatte.

»Nicht zu Besuch. Um mich zu tummeln.« Dann erzählte er ihr, dass er von der Wiedereröffnung des Hotels Wind bekommen und so etwas, nämlich Ausflugsbusse fahren, schon anderswo gemacht hatte, in Florida und Banff. Und als sie fragte, erzählte er ihr von seinen beiden Frauen. Er fragte gar nicht, ob sie verheiratet war, ging davon aus, dass sie es nicht war. Er fragte auch nicht, ob Char es war, also sagte sie es ihm.

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Et musste daran denken, wie sie zum ersten Mal gemerkt hatte, dass Char schön war. Sie betrachtete ein Foto von ihnen, von Char und sich selbst und ihrem Bruder, der dann ertrank. Et war auf dem Foto zehn, Char vierzehn und Sandy sieben, nur ein paar Wochen weniger alt, als er je werden würde. Et saß auf einem Stuhl, Char stand hinter ihr, die gekreuzten Arme auf der Lehne, und Sandy saß in seinem Matrosenanzug im Schneidersitz auf dem Fußboden – oder auf einer Marmorterrasse, könnte man meinen, bei der merkwürdigen Wirkung von nichts als einem staubigen, vergilbten Wandschirm, der aber auf dem Foto aussah wie eine Säule mit drapiertem Vorhang vor einer Pappelallee mit Springbrunnen. Char hatte sich für die Aufnahme vorn die Haare hochgesteckt und trug ein knöchellanges hellblaues Seidenkleid – die Farbe war natürlich nicht zu sehen – mit komplizierter Paspelierung aus schwarzem Samt. Sie lächelte ein wenig, mit großer Gelassenheit. Sie hätte achtzehn sein können, sie hätte zweiundzwanzig sein können. Ihre Schönheit war nicht von der drallen, schüchternen Art, wie sie meistens zu jener Zeit auf Kalendern und Zigarrenkisten zu finden war, sondern spitz und zart, intolerant und herausfordernd.

Et schaute lange dieses Foto an, dann ging sie und betrachtete Char, die in der Waschküche stand. Es war Waschtag. Die Frau, die dabei half, zog Wäsche durch die Wringmaschine, und Mutter saß da, ruhte sich aus und starrte durch die Fliegengittertür (sie war nie über Sandy hinweggekommen, was auch niemand von ihr erwartete). Char stärkte die Kragen von Vater. Er hatte einen Tabak- und Süßwarenladen am Marktplatz und trug jeden Tag einen frischen Kragen. Et erwartete eine Metamorphose wie bei dem Hintergrund, aber es fand keine statt. Char, schweigend und schlecht gelaunt über die Schüssel mit der Stärke gebeugt (sie hasste den Waschtag, die Hitze, den Dampf, die klatschenden Betttücher und das Gerumpel der Maschine – tatsächlich war ihr jede Art von Hausarbeit zuwider), trug auf ihrem wirklichen Gesicht dieselbe fast herablassende Harmonie zur Schau wie auf dem Foto. Dadurch begriff Et, irgendwie ein wenig ungern, dass Legenden auf realen Dingen gründen und dass diese Dinge zu Tage treten, wo und wann man es am wenigsten erwartet. Sie hätte beinahe gedacht, schöne Frauen seien eine dichterische Erfindung. Sie ging mit Char sonntags oft hinunter, um zuzuschauen, wie die Leute vom Ausflugsdampfer herunterkamen und sich zum Hotel hinauf begaben. So viel Weiß tat den Augen weh, die Kleider und Sonnenschirme der Damen, die Sommeranzüge und Panamahüte der Herren, ganz zu schweigen vom Glitzern der Sonne auf dem Wasser und der Kapelle, die spielte. Aber bei genauem Hinsehen fand Et an diesen Damen einiges auszusetzen. Lederne Haut oder dicke Hintern oder Hühnerhälse oder stumpfe Haarnester, wahrscheinlich mit Haarteilen aufgestockt. Et kannte keine Nachsicht, so jung, wie sie war. In der Schule wurde sie wegen ihrer Selbstbeherrschung und ihrer spitzen Zunge respektiert. Sie war diejenige, die es einem sagte, wenn man mit einem Loch im Strumpf oder zerrissenem Rocksaum an der Tafel gewesen war. Sie war diejenige, die die Lehrerin nachäffte (aber immer in einer sicheren Ecke des Schulhofs, außer Hörweite), wie sie »Die Grablegung von Sir John Moore« vortrug.

Trotzdem hätte es ihr besser gepasst, eine dieser Damen schön zu finden und nicht Char. Es wäre angemessener gewesen. Passender als Char mit ihrer nassen Schürze und ihrem mürrischen Gesicht, über die Schüssel mit der Wäschestärke gebeugt. Et war eine Person, die keine Widersprüche mochte, nichts, was fehl am Platz war, nichts Geheimnisvolles oder Gegensätzliches.

Sie mochte nicht die traurige Berühmtheit, die ihr durch Sandys Ertrinken anhaftete, mochte nicht, wenn die Leute sich daran erinnerten, wie ihr Vater den Leichnam vom Strand heraufgetragen hatte. Sie ließ sich in der Dämmerung sehen, schlug in ihrer Turnhose Rad auf dem Rasen des heimgesuchten Hauses. Sie zog eine Grimasse, auch wenn die niemand sah, eines Tages im Park, als Char sagte: »Das war mein kleiner Bruder, der da ertrunken ist.«

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Vom Park aus hatte man Sicht auf den Strand. Sie standen mit Blaikie Noble dort, dem Sohn des Hotelbesitzers, der sagte: »Diese Wellen können gefährlich sein. Vor drei oder vier Jahren ist da ein Kind ertrunken.«

Und Char sagte – das musste man ihr lassen, sie sagte es nicht tragisch, sondern beinahe amüsiert, weil er so wenig über die Leute in Mock Hill wusste –: »Das war mein kleiner Bruder, der da ertrunken ist.«

Blaikie Noble war nicht älter als Char – wäre er älter gewesen, hätte er in Frankreich gekämpft –, aber er hatte nicht sein ganzes Leben in Mock Hill verbringen müssen. Er kannte die Einwohner dort nicht so gut wie die Stammgäste im Hotel seines Vaters. Jeden Winter fuhr er mit seinen Eltern nach Kalifornien, mit der Eisenbahn. Er hatte die Brandung des Pazifiks gesehen. Er hatte den Fahneneid geschworen. Seine Umgangsformen waren demokratisch, seine Haut war braungebrannt. Dabei, wenn Menschen zu jener Zeit braungebrannt waren, dann meistens nicht als das Ergebnis von Müßiggang, sondern nur von Arbeit. Seine Haare waren von der Sonne ausgeblichen. Sein gutes Aussehen war fast so bemerkenswert wie das von Char, aber das seine war von Charme korrumpiert, das ihre dagegen nicht.

Es war die Glanzzeit von Mock Hill und all den anderen Städtchen um die Seen, von all den Hotels, die in späteren Jahren einmal Erholungsheime für Großstadtkinder werden sollten oder Lungensanatorien oder Kasernen der R.A.F., die dort im Zweiten Weltkrieg Piloten ausbildete. Der weiße Anstrich des Hotels wurde in jedem Frühjahr erneuert, ausgehöhlte, mit Blumen gefüllte Baumstämme wurden auf die Geländer gestellt, Töpfe mit Blumen schwangen an Ketten darüber. Krocketbahnen und Schaukeln aus Holz wurden auf den Rasenflächen aufgebaut, der Tennisplatz wurde gewalzt. Leute, die sich das Hotel nicht leisten konnten, junge Handwerker, Verkäufer und Fabrikarbeiterinnen aus der Großstadt, wohnten in einer Reihe winziger Ferienhäuser, verbunden durch Gitterwerk, das die Müllkübel und die gemeinsame Außentoilette verbarg, ganz am Ende des Strandes. Mädchen aus Mock Hill mit Müttern, die ihnen sagten, was sie zu tun hatten, bekamen gesagt, nicht dorthin zu gehen. Niemand sagte Char, was sie zu tun hatte, also ging sie in der grellen Nachmittagssonne auf dem Plankenweg davor spazieren und nahm Et als Gesellschafterin mit. Die Fenster der Ferienhäuschen waren nicht verglast, sie hatten nur hochgeklappte hölzerne Läden, die nachts geschlossen wurden. Aus den dunklen Löchern kamen ein oder zwei undeutliche, traurige oder betrunkene Einladungen, das war alles. Chars Aussehen und Stil zogen Männer nicht an, schüchterten sie vielleicht ein. Während der gesamten Highschool-Zeit in Mock Hill hatte sie keinen einzigen Freund. Blaikie Noble war ihr erster, wenn er denn einer war.

Worauf lief diese Affäre von Char und Blaikie Noble im Sommer 1918 eigentlich hinaus? Et war sich nie sicher. Er kam nicht ins Haus, jedenfalls nicht öfter als ein oder zwei Mal. Er hatte viel zu tun, arbeitete im Hotel. Jeden Nachmittag kutschierte er einen offenen Ausflugswagen mit einer Markise obendrauf die Uferstraße entlang, damit die Leute sich die Indianergräber und den Kalksteingarten ansehen und durch die Bäume einen Blick auf das gotische Herrenhaus werfen konnten, erbaut von einem Schnapsbrenner aus Toronto und örtlich bekannt als die Grogburg. Er war auch für den Varietéabend verantwortlich, den das Hotel einmal wöchentlich veranstaltete, mit einer Mischung aus lokalen Talenten, mitwirkenden Gästen und eigens für die Vorstellung engagierten Sängern und Komikern.

Der späte Vormittag schien die Zeit für ihn und Char zu sein. »Komm mit«, sagte Char dann, »ich muss in die Stadt«, und sie nahm tatsächlich die Post mit und ging ein Stück weit um den Marktplatz, bevor sie in den Park abbog. Bald trat dann Blaikie Noble aus der Seitentür des Hotels und kam den steilen Weg heraufgestürmt. Manchmal hielt er sich gar nicht mit dem Weg auf, sondern sprang über den Zaun, um sie zu beeindrucken. Keins davon, weder das Heraufstürmen noch das Springen, machte er so, wie es ein Junge aus der Highschool von Mock Hill gemacht hätte, linkisch, aber natürlich. Blaikie Noble benahm sich wie ein Mann, der einen Jungen nachahmt; er machte sich über sich selbst lustig, bewegte sich aber so elegant wie ein Schauspieler.

»Der ist doch in sich selbst verliebt?«, sagte Et zu Char, als sie ihm zuschauten. Sie hatte von Anfang an beschlossen, Blaikie nicht zu mögen.

»Ja, selbstverständlich«, sagte Char.

Sie erzählte es Blaikie. »Et sagt, du bist in dich selbst verliebt.«

»Und was hast du geantwortet?«

»Ich habe ihr gesagt, das musst du ja sein, da es niemand sonst ist.«

Blaikie machte das nichts aus. Er hatte beschlossen, Et zu mögen. Er legte es immer darauf an, mit einem raschen Zupfer ihre Frisur aus aufgebundenen Zöpfen zu zerstören. Er tischte ihnen einiges über die Varietékünstler auf. Er erzählte ihnen, dass der schottische Balladensänger ein Trunkenbold war und ein Korsett trug, dass der Damenimitator sogar in seinem Hotelzimmer ein blaues Nachthemd mit Federn anlegte, und dass die Bauchrednerin mit ihren Puppen – sie hießen Alphonse und Alicia – redete, als seien es lebendige Menschen, und sie im Bett immer neben sich setzte.

»Woher weißt du das?«, fragte Char.

»Ich habe ihr das Frühstück gebracht.«

»Ich dachte, dafür habt ihr Zimmermädchen.«

»Am Morgen nach der Vorstellung tue ich das. Dann gebe ich ihnen die Lohntüte und ihre Entlassungspapiere. Einige von denen würden die ganze Woche über bleiben, wenn ich ihnen nicht Bescheid gäbe. Sie sitzt im Bett und will sie mit Schinkenstückchen füttern, redet mit ihnen und lässt sie antworten, du würdest dich totlachen, wenn du sie sehen könntest.«

»Sie ist eben übergeschnappt«, sagte Char friedlich.

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Eines Nachts in jenem Sommer wurde Et wach, und ihr fiel ein, dass ihr rosa Organdykleid, das sie von Hand gewaschen hatte, immer noch auf der Wäscheleine hing. Sie meinte es regnen zu hören, gerade die ersten Tropfen. Es regnete nicht, es war nur Laub, das raschelte, aber sie war durcheinander von diesem Aufwachen. Sie meinte auch, es sei tiefste Nacht, aber als sie später darüber nachdachte, kam sie zu dem Schluss, dass es auch erst Mitternacht gewesen sein konnte. Sie stand auf, ging hinunter, knipste das Licht in der Waschküche an, öffnete die Hintertür, trat auf die kleine Veranda und zog die Wäscheleine zu sich heran. Dann, fast unter ihren Füßen, im Gras gleich neben der Veranda, wo ein großer Fliederstrauch stand, der ohne Pflege zur Größe eines Baums gewachsen war, regten sich zwei Gestalten, standen nicht auf, setzten sich nicht einmal auf, hoben nur die Köpfe wie im Bett, immer noch irgendwie miteinander verknotet. Die Küchenlampe schien nicht direkt in den Hof, warf aber so viel Licht, dass sie ihre Gesichter sehen konnte. Blaikie und Char.

Sie konnte nicht erkennen, in welchem Zustand ihre Bekleidung war, wie weit sie gegangen waren oder gingen. Nicht, dass sie es gewollt hätte. Ihre Gesichter zu sehen genügte ihr. Ihre Münder waren groß und geschwollen, ihre Wangen eingedrückt und rau, ihre Augen waren Löcher. Et ließ ihr Kleid los, sie floh ins Haus und in ihr Bett, wo sie zu ihrer Überraschung einschlief. Char erwähnte am nächsten Morgen kein Wort davon. Sie sagte nur: »Ich habe dein Kleid reingeholt, Et. Ich dachte, vielleicht regnet es.« Als hätte sie Et überhaupt nicht da draußen an der Wäscheleine ziehen sehen. Et überlegte. Sie wusste, wenn sie sagte: »Du hast mich gesehen«, würde Char ihr wahrscheinlich einreden, dass es ein Traum war. Dann brauchte sie Char nur noch im Unklaren zu lassen, ob sie ihr das abnahm. Dadurch würde Et mehr erfahren; sie würde erfahren, wie Char aussah, wenn sie die Macht verlor, ihr Amt niederlegte. Der ertrunkene Sandy, mit grünem Zeug, das seine Nasenlöcher verstopfte, konnte nicht elender ausgesehen haben.

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Vor Weihnachten erreichte Mock Hill die Nachricht, dass Blaikie Noble geheiratet hatte. Er hatte die Bauchrednerin geheiratet, die mit Alphonse und Alicia. Diese Puppen, die Abendkleidung und gelackte Frisuren im Stil von Vernon und Irene Castle trugen, waren deutlicher in Erinnerung geblieben als die Dame selbst. Das Einzige, was sich den Leuten eingeprägt hatte, war, dass sie nicht unter vierzig gewesen sein konnte. Ein neunzehnjähriger Junge. Das lag daran, dass er nicht so erzogen worden war wie andere Jungen, man hatte ihm erlaubt, das Hotel zu führen, nach Kalifornien mitzufahren, mit allen möglichen Leuten zu verkehren. Das Ergebnis war Verworfenheit, wie nicht anders zu erwarten.

Char schluckte Gift. Oder was sie für Gift hielt. Es war Wäscheblau. Das Erste, was ihr auf dem Regal in der Waschküche in die Hand gefallen war. Et kam am Nachmittag von der Schule nach Hause – sie hatte die Nachricht mittags erfahren, sogar von Char selbst, die lachend gesagt hatte: »Würde dich das nicht umbringen?« – und fand Char im Badezimmer vor, wo sie in die Toilette kotzte. »Hol das Medizinbuch«, sagte Char zu ihr. Ein schreckliches, unfreiwilliges Stöhnen drang aus ihr heraus. »Lies mir vor, was da über Gift steht.« Et ging stattdessen den Arzt anrufen. Char kam aus dem Badezimmer getorkelt, in der Hand die Flasche mit Chlorkalklösung, die hinter der Badewanne aufbewahrt wurde. »Wenn du nicht auflegst, trinke ich die ganze Flasche aus«, sagte sie in heiserem Flüsterton. Ihre Mutter schlief wahrscheinlich hinter ihrer geschlossenen Tür.

Et musste auflegen und in dem hässlichen alten Buch nachsehen, in dem sie vor langer Zeit über die Geburt und über Todeszeichen nachgelesen und erfahren hatte, dass man einen Spiegel vor den Mund halten muss. Sie nahm irrtümlich an, dass Char schon aus der Chlorkalkflasche getrunken hatte, also las sie alles darüber nach. Dann stellte sich heraus, dass es das Wäscheblau war. Über Wäscheblau stand nichts im Buch, aber das Beste schien zu sein, Erbrechen herbeizuführen, wie das Buch es für die meisten Gifte empfahl – was Char bereits getan hatte, das musste nicht herbeigeführt werden –, und dann einen Liter Milch zu trinken. Als Char die Milch schluckte, wurde ihr wieder schlecht.

»Ich habe das nicht wegen Blaikie getan«, sagte sie zwischen den Brechanfällen. »Denk das ja nicht. So töricht bin ich nicht. Ein Lump wie der. Ich habe es getan, weil ich das Leben satthabe.«

»Was hast du am Leben satt?«, fragte Et vernünftig, als Char sich das Gesicht abgewischt hatte.

»Ich habe diese Stadt satt und all die blöden Leute darin und Mutter und ihre Wassersucht und den Haushalt und jeden Tag große Wäsche. Ich glaube, ich muss mich nicht mehr übergeben. Ich könnte einen Kaffee vertragen. In dem Buch steht was von Kaffee.«

Et kochte eine Kanne, und Char holte zwei von den besten Tassen heraus. Sie fingen an zu kichern, während sie tranken.

»Ich habe Latein satt«, sagte Et. »Ich habe Algebra satt. Ich glaube, ich nehme Wäscheblau.«

»Das Leben ist eine Last«, sagte Char. »O Leben, wo ist dein Stachel?«

»O Tod. O Tod, wo ist dein Stachel?«

»Habe ich Leben gesagt? Ich meinte Tod. O Tod, wo ist dein Stachel? Entschuldige.«

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Eines Nachmittags war Et bei Arthur, während Char Einkäufe machte und in der Bibliothek Bücher tauschte. Sie wollte ihm einen Eierflip machen und suchte in Chars Küchenschrank nach Muskatnuss. Bei der Vanille und der Mandelessenz und dem Rumaroma fand sie eine kleine Flasche mit einer seltsamen Flüssigkeit. Zinkphosphid. Sie las das Etikett und drehte die Flasche in den Händen. Ein Rodentizid. Also offenbar Rattengift. Sie hatte nicht gewusst, dass Char und Arthur von Ratten geplagt wurden. Sie hielten einen Kater, den alten Tom, der jetzt zu Arthurs Füßen schlief. Sie schraubte den Deckel auf und roch daran. Es roch selbstverständlich nach nichts. Es durfte auch nach nichts schmecken, sonst würden die Ratten nicht darauf hereinfallen.

Sie stellte die Flasche dahin zurück, wo sie sie gefunden hatte. Sie machte Arthur seinen Eierflip, brachte ihn herein und sah zu, wie er ihn trank. Ein langsames Gift. Sie erinnerte sich daran aus Blaikies alberner Geschichte. Arthur trank mit eifrigem Geräusch, wie ein Kind, mehr ihr zu Gefallen, dachte sie, als weil es ihm schmeckte. Er trank immer alles, was man ihm gab. Natürlich.

»Wie geht es dir denn so, Arthur?«

»Ach, Et. An manchen Tagen ein bisschen besser, und dann scheine ich zurückzufallen. Es dauert eben.«

Aber es fehlte nichts, die Flasche schien voll zu sein. Was für ein schrecklicher Unsinn. Wie etwas, das man gelesen hatte, bei Agatha Christie. Sie würde es Char sagen, und Char würde es ihr erklären.

»Soll ich dir etwas vorlesen?«, fragte sie Arthur, und er sagte ja. Sie setzte sich neben das Bett und las ihm aus einem Buch über den Herzog von Wellington vor. Er hatte selbst darin gelesen, aber seine Arme wurden zu müde, um das Buch zu halten. All diese Schlachten und Kriege und scheußlichen Dinge, was wusste Arthur von solchen Staatsaffären, warum interessierte ihn das so? Er wusste nichts. Er hatte keine Ahnung, warum die Dinge geschahen, warum die Menschen sich nicht vernünftig verhalten konnten. Er war zu gut. Er wusste über die Geschichte Bescheid, aber nicht über das, was vorging, vor seinen Augen, in seinem Haus, überall. Et war anders als Arthur, denn sie wusste, dass etwas vorging, auch wenn sie nicht verstand, warum; anders als er wusste sie, dass es Menschen gab, denen man nicht trauen konnte.

Sie sagte doch nichts zu Char. Jedes Mal, wenn sie im Haus war, suchte sie sich einen Vorwand, um in der Küche allein zu sein, damit sie den Küchenschrank aufmachen und auf Zehenspitzen hineinschauen konnte, um die Flasche über die anderen hinweg zu erspähen, um nachzusehen, ob der Pegel gesunken war. Ihr kam der Gedanke, dass sie vielleicht ein bisschen wunderlich wurde, wie es alte Jungfern tun; ihre Befürchtung war wie die absurden und harmlosen Ängste, die junge Mädchen manchmal haben, dass sie aus dem Fenster springen werden oder ein Baby ersticken werden, indem sie sich in seinen Kinderwagen setzen. Obwohl es nicht ihre eigenen Taten waren, vor denen sie Angst hatte.

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Et betrachtete Char und Blaikie und Arthur, die auf der Veranda saßen und zu entscheiden versuchten, ob sie hineingehen und das Licht anmachen und Karten spielen sollten. Sie wollte sich von ihrer Torheit überzeugen. Chars Haare und auch Blaikies leuchteten in der Dunkelheit. Arthur war jetzt fast kahl, und Ets eigene Haare waren dünn und dunkel. Char und Blaikie kamen ihr vor wie die gleiche Art von Tier – groß, graziös, kraftvoll, von einer gefährlichen Prächtigkeit. Sie saßen getrennt voneinander, leuchteten aber zusammen. Liebende. Kein weiches Wort, wie viele dachten, sondern ein grausames und in Stücke reißendes. Da saß Arthur im Schaukelstuhl mit einer Decke über den Knien, unbedarft wie etwas, dem noch nicht das letzte, notwendigste Fell gewachsen ist. Doch in gewisser Weise waren Menschen wie Arthur die schlimmsten Störenfriede von allen.

»Ich liebe meinen Liebsten mit einem R, denn er ist rücksichtslos. Sein Name ist Rex, und er wohnt in … einem Restaurant.«

»Ich liebe meinen Liebsten mit einem A, denn er ist altmodisch. Sein Name ist Arthur, und er wohnt in einem Ascheimer.«

»Aber Et«, sagte Arthur. »Das habe ich ja gar nicht geahnt. Aber ich weiß nicht, ob mir das mit dem Ascheimer gefällt.«

»Man sollte meinen, wir sind alle zwölf Jahre alt«, sagte Char.

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Nach der Episode mit dem Wäscheblau wurde Char beliebt. Sie wirkte mit bei den Aufführungen des Amateurtheatervereins und des Oratorienvereins, obwohl sie keine besondere Schauspielerin oder Sängerin war. In den Theaterstücken war sie immer die kalte und schöne Heldin oder die spröde, elegante junge Salondame. Sie lernte rauchen, weil sie das auf der Bühne tun musste. In einem Stück, das Et nie vergaß, war sie eine Statue. Oder vielmehr, sie spielte ein Mädchen, das vorgeben musste, eine Statue zu sein, so dass ein junger Mann sich in sie verliebte und später zu seiner Verwirrung und vielleicht auch Enttäuschung entdeckte, dass sie nur ein Mensch war. Char musste auf der Bühne acht Minuten lang stockstill stehen, in weißen Krepp gehüllt und mit dem edlen, gleichgültigen Profil zum Publikum. Alle fragten sich verwundert, wie sie das fertigbrachte.

Die treibende Kraft hinter dem Amateurtheaterverein und dem Oratorienverein war ein Highschool-Lehrer, der neu in Mock Hill war, Arthur Comber. Et hatte bei ihm in ihrem letzten Schuljahr Geschichtsunterricht. Alle sagten, er gab ihr Einsen, weil er in ihre Schwester verliebt war, aber Et wusste, es war, weil sie härter arbeitete als je zuvor; sie lernte die Geschichte von Nordamerika, wie sie in ihrem Leben noch nie etwas gelernt hatte. Der Missouri-Kompromiss. Mackenzie zum Pazifik 1793. Sie vergaß es nie mehr.

Arthur Comber war um die dreißig, mit hoher kahler Stirn, einem roten Gesicht, obwohl er nicht trank (das später bleich wurde), und einer ungeschickten, aufgeregten Art. Er stieß ein Tintenfass von seinem Katheder, so dass auf dem Fußboden des Geschichtssaals ein bleibender Fleck entstand. »Oh je, oh je!«, sagte er, hockte sich zu der zerfließenden Tinte und fuhrwerkte mit seinem Taschentuch herum. Et äffte das nach. »Oh je, oh je!« »Ach, du mein Himmel!« All seine erschreckten Ausrufe und zappeligen Gesten. Dann, wenn er an der Tür mit rotem Gesicht, das vor Eifer leuchtete, ihren Aufsatz in Empfang nahm, ihr und ihrer Arbeit solch Wohlwollen entgegenbrachte, tat es ihr leid. Deshalb arbeitete sie so hart, dachte sie, um die Verspottung wiedergutzumachen.

Er besaß einen schwarzen Talar, den er über dem Anzug trug, wenn er unterrichtete. Sogar wenn er ihn nicht trug, konnte sie diesen Talar an ihm sehen. Wenn er durch die Straßen eilte, unterwegs zu einer seiner zahllosen, freudig eingegangenen Verpflichtungen, vor den Oratoriensängern fuchtelte, auf die Bühne sprang – so dass der ganze Boden bebte –, um den Schauspielern etwas zu demonstrieren, kam es ihr so vor, als flatterten hinter ihm diese langen, lächerlichen Krähenflügel, als sei er so verschieden von anderen Männern, so absurd, aber dabei faszinierend wie der Priester vom Heiligen Kreuz. Char überredete ihn dazu, den Talar abzulegen, nachdem sie geheiratet hatten. Sie hatte gehört, dass er gestolpert war, als er darin eine Treppe in der Schule hinaufeilte. Er war lang hingeschlagen. Das reichte ihr, sie zerriss den Talar.

»Ich hatte Angst, das du dir demnächst richtig weh tust.«

Aber Arthur sagte: »Ach was. Du dachtest, ich sehe aus wie ein Tollpatsch.«

Was Char nicht abstritt, obwohl seine Augen, sein breites Lächeln sie darum anflehten. Ihre Mundwinkel zuckten gegen ihren Willen. Verachtung. Zorn. Et sah, sie beide sahen eine große Welle davon über sie hinweggehen, bevor sie ihn anlächeln und sagen konnte: »Sei nicht albern.« Dann versuchten ihr Lächeln und ihre Augen, sich an ihm festzuhalten, sich an seine Güte zu klammern (die sie sah, ebenso wie jeder andere, die sie aber letztlich nur in Rage brachte, ebenso wie seine schweißfeuchte Stirn oder sein galoppierender Optimismus), bevor die tosende Welle zurückkommen, sie mit sich forttragen konnte.

Char hatte im ersten Jahr ihrer Ehe eine Fehlgeburt und war danach lange krank. Sie wurde nie wieder schwanger. Et wohnte inzwischen nicht mehr im Haus; sie hatte sich etwas Eigenes am Marktplatz gesucht, aber sie war immer am Waschtag da und half Char die Bettwäsche von der Leine abzunehmen. Ihre Eltern waren zu jener Zeit schon beide tot – ihre Mutter war vor und ihr Vater war nach Chars Hochzeit gestorben –, aber für Et sah es aus wie Wäsche für zwei Betten.

»Das gibt viel zu waschen.«

»Was?«

»Die Bettwäsche so oft zu wechseln, wie du es tust.«

Et war oft abends da, spielte Rommé mit Arthur, während Char im anderen Zimmer im Dunkeln auf dem Klavier herumklimperte. Oder sie las Bücher aus der Bibliothek und unterhielt sich mit Char, während Arthur Klassenarbeiten korrigierte. Arthur brachte sie dann nach Hause. »Warum musstest du überhaupt ausziehen und alleine wohnen?«, schalt er sie. »Du solltest zurückkommen und bei uns leben.«

»Drei sind einer zu viel.«

»Es wäre ja nicht für lange. Ein Mann wird eines Tages des Wegs kommen und sich heftig in dich verlieben.«

»Wenn er so ein Blödmann wäre, das zu tun, würde ich mich nie in ihn verlieben, also wäre alles wieder auf Anfang.«

»Ich war ein Blödmann, der sich in Char verliebt hat, und am Ende hat sie mich genommen.«

Genauso wie er sagte, Chars Name weise bereits darauf hin, dass sie über, außerhalb aller normalen Erwägungen sei – ein Wunder, ein Rätsel. Niemand konnte hoffen, sie je zu lösen, sie konnten schon von Glück sagen, dass ihnen erlaubt war, sie zu betrachten. Et war drauf und dran zu sagen: »Sie hat mal wegen eines Mannes, der sie nicht haben wollte, Wäscheblau geschluckt«, doch dann dachte sie, worauf würde das hinauslaufen, Char würde ihm nur noch großartiger vorkommen, wie eine Heldin bei Shakespeare. Er kniff Et in die Taille, als wollte er ihrer beider kameradschaftliche Ratlosigkeit, unwillkürliche Verneigung vor ihrer Schwester betonen. Sie spürte hinterher die Druckstellen seiner Finger, als hätten sie direkt über ihrem Rockbund Dellen hinterlassen. Es hatte sich angefühlt, als probierte jemand geistesabwesend Klaviertasten aus.

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Et hatte sich als Damenschneiderin niedergelassen, in einem langen, schmalen Raum am Marktplatz, ein ehemaliger Laden, wo sie das Zuschneiden, Nähen, Bügeln und die Anproben erledigte und hinter einem Vorhang kochte und schlief. Sie konnte im Bett liegen und die Platten aus gepresstem Blech an ihrer Decke betrachten, deren Blumenmuster, alle ihr Eigentum. Arthur hatte es nicht gefallen, dass sie Schneiderin wurde, denn er fand, sie sei dafür zu intelligent. Ihre harte Arbeit in Geschichte hatte bei ihm zu einer übertriebenen Vorstellung von ihren Geistesgaben geführt. »Außerdem«, sagte sie ihm, »braucht man mehr Grips fürs Zuschneiden und Anpassen, wenn man’s richtig macht, als dafür, jemandem was über den Krieg von 1812 beizubringen. Denn wenn man das mal gelernt hat, hat man’s gelernt, und es wird einen nicht verändern. Während jedes Kleidungsstück, das man anfertigt, ein völlig neues Vorhaben ist.«

»Trotzdem ist es überraschend«, sagte Arthur, »zu sehen, wie du Fuß fasst.«

Es überraschte alle, nur nicht Et selbst. Ihr fiel die Verwandlung leicht, von einem Rad schlagenden Mädchen zu einer festen Einrichtung der Stadt. Sie vertrieb die anderen Damenschneiderinnen aus dem Geschäft. Es waren ohnehin bescheidene, unbedeutende Geschöpfe gewesen, die zu den Leuten ins Haus kamen, in Hinterzimmern nähten und dankbar für Mahlzeiten waren. Nur eine ernsthafte Rivalin erschien in all den Jahren, und das war eine Finnin, die sich Modeschöpferin nannte. Einige Frauen probierten es mit ihr, weil Frauen nie zufrieden sind, aber bald stellte sich heraus, dass bei ihr der Stil alles war und die Passform nichts. Et sprach nie von ihr, sie überließ es den Kundinnen, es selbst herauszufinden; aber hinterher, als diese Frau die Stadt verlassen hatte und nach Toronto gegangen war – wo, nach dem, was Et auf den Straßen gesehen hatte, niemand ein gut sitzendes Kleid von einem schlecht sitzenden unterscheiden konnte –, tat Et sich keinen Zwang an. Sie sagte zu einer Kundin bei der Anprobe ohne Weiteres: »Wie ich sehe, tragen Sie immer noch das Fischgrät, das meine ausländische Freundin Ihnen zusammengeheftet hat. Ich habe Sie auf der Straße gesehen.«

»Ja, ich weiß«, antwortete dann die Frau. »Aber ich muss es doch auftragen.«

»Sie können sich ja gottlob nicht von hinten sehen, also was macht das schon.«

Die Kundinnen nahmen derlei von Et hin, erwarteten es schließlich sogar. Sie hat ein Schandmaul, sagten sie, Et hat ein Schandmaul. Sie war ihnen gegenüber im Vorteil, hatte sie in Schlüpfer und Korsett vor sich. Damen, die äußerlich recht fest und gebieterisch aussahen, waren hier außer Gefecht gesetzt, kleinlaut, mit den zur Schau gestellten wabbeligen, ins Korsett eingezwängten Hüften, den langen, traurigen Falten zwischen den Brüsten, dem aufgedunsenen, von Kindern und Operationen verunstalteten Bauch.

Et zog immer die Schaufenstervorhänge zu, verschloss den Spalt mit einer Sicherheitsnadel.

»Das soll die Männer davon abhalten, zu glupschen.«

Die Damen lachten nervös.

»Das soll Jimmy Saunders davon abhalten, herüberzustapfen und sich sattzusehen.«

Jimmy Saunders war ein Veteran aus dem Ersten Weltkrieg mit einem kleinen Laden gleich neben Et für Zaumzeug und Lederwaren.

»Ach, Et. Jimmy Saunders hat doch ein Holzbein.«

»Seine Augen sind nicht aus Holz. Und soweit ich weiß, auch sonst nichts.«

»Et, Sie sind schrecklich.«

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Et versorgte Char ständig mit schönen Kleidern. Die zwei häufigsten Kritiken an Char in Mock Hill waren, dass sie sich zu elegant kleidete und dass sie rauchte. Als Lehrersfrau stand ihr weder das eine noch das andere zu, aber Arthur ließ sie natürlich tun, was ihr gefiel, und kaufte ihr sogar eine Zigarettenspitze, damit sie aussah wie eine Dame in einer Illustrierten. Sie rauchte auf einem Highschool-Ball, trug ein rückenfreies Abendkleid aus Satin und tanzte mit einem Jungen, der eine Schülerin geschwängert hatte, und all das machte Arthur nichts aus. Er wurde nicht zum Rektor ernannt. Zwei Mal überging ihn die Schulbehörde und holte jemanden von außen, und als er schließlich den Posten erhielt, im Jahre 1942, da war es nur provisorisch, weil so viele Lehrer im Krieg waren.

Char kämpfte in all diesen Jahren hart, um ihre Figur zu bewahren. Niemand außer Et und Arthur wusste, welche Anstrengungen sie das kostete. Niemand außer Et wusste alles. Beide Eltern waren korpulent gewesen, und Char hatte die Anlage dazu geerbt, auch wenn Et immer dünn wie ein Stock war. Char machte Gymnastik und trank vor jeder Mahlzeit ein Glas warmes Wasser. Aber manchmal ging die Fresssucht mit ihr durch. Et hatte erlebt, wie sie ein Dutzend Windbeutel hintereinanderweg verschlang, ein Pfund Erdnusskrokant oder eine ganze Zitronenbaisertorte. Dann schluckte sie bleich und entsetzt Epsomer Bittersalz, drei oder vier oder fünf Mal mehr als die vorgeschriebene Dosis. Worauf sie zwei oder drei Tage lang an Brechdurchfall litt, dehydriert war und ihre Sünden purgierte, wie Et sagte. In diesen Phasen konnte sie kein Essen sehen. Et musste kommen und Arthurs Abendessen kochen. Arthur wusste nichts von der Torte oder dem Erdnusskrokant oder was es nun war und auch nichts von dem Epsomer Bittersalz. Er dachte, sie hatte ein oder zwei Pfund zugenommen und quälte sich nun durch eine fanatische Diät. Er machte sich Sorgen um sie.

»Was macht das denn schon aus?«, sagte er jedes Mal zu Et. »Sie wäre doch immer noch schön.«

»Sie wird sich nichts Ernstes antun«, sagte Et, genoss ihr Essen und freute sich zu sehen, dass die Sorge ihm den Genuss an seinem nicht verdarb. Sie kochte ihm immer etwas Gutes.

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Es war in der Woche vor dem Tag der Arbeit Anfang September. Blaikie war nach Toronto gefahren, für ein oder zwei Tage, hatte er gesagt.

»Es ist still ohne ihn«, sagte Arthur.

»Mir ist nie aufgefallen, dass er so gesprächig ist«, sagte Et.

»Ich meine damit nur, wie man sich an jemanden gewöhnt.«

»Vielleicht sollten wir ihn uns abgewöhnen«, sagte Et.

Arthur war unglücklich. Er würde wahrscheinlich nicht an die Schule zurückkehren; er war bis nach Weihnachten beurlaubt worden. Niemand glaubte, dass er dann zurückkehren werde.

»Ich nehme an, Blaikie hat seine eigenen Pläne für den Winter«, sagte er.

»Vielleicht hat er seine eigenen Pläne für gleich jetzt. Du weißt, ich habe meine Kundinnen aus dem Hotel. Ich habe meine Freundinnen. Seit ich an dem Ausflug teilgenommen habe, höre ich so einiges.«

Sie hatte keine Ahnung, woher ihr die Eingebung für das kam, was sie dann sagte. Sie hatte es überhaupt nicht geplant, doch es ging ihr so leicht von der Zunge, so glaubhaft.

»Wie ich höre, hat er sich mit einer vermögenden Frau im Hotel eingelassen.«

Arthur interessierte das, Char nicht.

»Einer Witwe?«

»Zwei Mal verwitwet, glaube ich. Genau wie er. Und sie hat das Geld von beiden Männern. Es gab seit einiger Zeit Vermutungen, und sie hat offen darüber geredet. Er hat jedoch nichts gesagt. Hat er je was zu dir gesagt, Char?«

»Nein«, antwortete Char.

»Ich habe heute Nachmittag gehört, dass nicht nur er weg ist, sondern auch sie. Es wäre nicht das erste Mal, dass er so was geliefert hat. Char und ich können uns daran erinnern.«

Worauf Arthur wissen wollte, was sie damit meinte, also erzählte sie ihm die Geschichte von der Bauchrednerin, sogar mit den Namen der Puppen, obwohl sie alles über Char wegließ. Char saß das aus, trug sogar ein wenig dazu bei.

»Vielleicht kommen sie zurück, aber ich vermute mal, dass es ihnen peinlich wäre. Ihm wäre es peinlich. Jedenfalls wäre es ihm peinlich, hierher zu kommen.«

»Wieso?«, fragte Arthur, den die Geschichte mit der Bauchrednerin ein wenig aufgemuntert hatte. »Wir haben doch nie eine Regel aufgestellt, dass ein Mann nicht heiraten darf.«

Char stand auf und ging ins Haus. Nach einer Weile hörten sie Klavierklänge.

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Die Frage ging Et in den Jahren danach oft durch den Kopf – was wollte sie mit dieser Geschichte anfangen, wenn Blaikie zurückkam? Denn sie hatte keinen Grund zu der Annahme, dass er nicht zurückkommen würde. Die Antwort war, dass sie überhaupt keine Pläne gemacht hatte. Sie hatte nichts geplant. Sie nahm an, vielleicht wollte sie für Ärger zwischen Char und ihm sorgen – Char dazu bringen, einen Streit mit ihm anzufangen, da ihr Argwohn geweckt war, auch wenn die Gerüchte sich nicht als wahr erwiesen, Char dazu bringen, sich klarzumachen, was er ein weiteres Mal tun konnte, in Anbetracht dessen, was er schon einmal getan hatte. Sie wusste nicht genau, was sie wollte. Einfach Verwirrung stiften, denn sie war damals überzeugt, dass jemand das tun musste, bevor es zu spät war.

Arthur erholte sich so gut, wie man es in seinem Alter erwarten konnte, unterrichtete wieder Geschichte in der Oberstufe und arbeitete halbtags, bis es für ihn Zeit wurde, in den Ruhestand zu gehen. Et blieb in ihrem eigenen Quartier am Marktplatz und versuchte außerdem noch für Arthur zu kochen und zu putzen. Schließlich, nachdem er im Ruhestand war, zog sie ins Haus zurück und behielt die andere Räumlichkeit nur zu Geschäftszwecken. »Sollen die Leute sich doch das Maul zerreißen, so viel sie wollen«, sagte sie. »In unserem Alter.«

Arthur lebte immer weiter, obwohl er gebrechlich und langsam war. Einmal am Tag lief er zum Marktplatz hinunter, schaute bei Et vorbei, ging dann und setzte sich in den Park. Das Hotel machte zu und wurde wieder verkauft. Es hieß, dass darin ein Rehabilitationszentrum für Rauschgiftsüchtige untergebracht werden sollte, aber die Stadt protestierte dagegen mit einer Eingabe, und dieser Plan scheiterte. Schließlich wurde es abgerissen.

Et konnte nicht mehr so gut sehen wie früher, sie musste kürzertreten. Sie musste Kundinnen wegschicken. Trotzdem arbeitete sie immer noch jeden Tag. An den Abenden sah Arthur fern oder las, aber sie saß bei warmem Wetter auf der Veranda oder im Winter im Esszimmer, schaukelte und ruhte ihre Augen aus. Sie kam und sah sich mit ihm die Nachrichten an und bereitete ihm sein Heißgetränk, Kakao oder Tee.

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Die Flasche war spurlos verschwunden. Et schaute im Küchenschrank nach, sobald sie konnte – nachdem sie auf Arthurs Anruf hin am frühen Morgen zum Haus geeilt und zur selben Zeit wie der Arzt, der alte McClain, dort eingetroffen war. Sie lief hinaus und sah im Müll nach, fand sie aber nicht. Konnte Char die Zeit gefunden haben, sie zu vergraben? Char lag auf dem Bett, voll und schön angezogen, die Haare hochgesteckt. Es gab kein Theater wegen der Todesursache, wie das in Geschichten der Fall ist. Sie hatte am Abend zuvor, nachdem Et gegangen war, bei Arthur über Schwäche geklagt, sie hatte gesagt, sie fühle sich, als kriege sie die Grippe. Also sagte der alte Arzt, das Herz, und beließ es dabei. Et würde nie Gewissheit erlangen. Würde das, was in der Flasche war, den Körper völlig makellos hinterlassen, so wie den von Char? Vielleicht war in der Flasche nicht das drin, was draufstand. Et war sich nicht einmal sicher, ob sie an jenem letzten Abend an ihrem Ort gestanden hatte, denn sie war von ihren eigenen Worten zu aufgewühlt gewesen, um zu gehen und nachzuschauen, wie sie es sonst immer tat. Vielleicht war die Flasche schon weggeworfen worden, und Char hatte etwas anderes genommen, Tabletten zum Beispiel. Vielleicht war es wirklich ihr Herz. All diese Abführkuren hätten jedes Herz geschwächt.

Ihre Beerdigung fand am Tag der Arbeit statt, und Blaikie Noble nahm daran teil, sagte deswegen seine Busfahrt ab. Arthur hatte in seiner Trauer Ets Geschichte vergessen und war nicht überrascht, Blaikie dort zu sehen. Er war an dem Tag, an dem Char gefunden wurde, nach Mock Hill zurückgekommen. Ein paar Stunden zu spät, wie in einer Geschichte. Et fiel in ihrer momentanen Verwirrung nicht ein, welche es war. Romeo und Julia, dachte sie später. Aber Blaikie nahm sich natürlich hinterher nicht das Leben, sondern ging zurück nach Toronto. Ein oder zwei Jahre lang schickte er eine Weihnachtskarte, dann ließ er nie mehr etwas von sich hören. Es hätte Et nicht gewundert, wenn ihre Geschichte von seiner Heirat am Ende wahr geworden wäre. Nur der Zeitpunkt, den sie gewählt hatte, war falsch.

Manchmal lag es Et auf der Zunge, zu Arthur zu sagen: »Da ist etwas, was ich dir schon immer sagen wollte.« Sie ging davon aus, dass sie ihn nicht sterben lassen würde, ohne dass er es wusste. Das durfte er nicht. Er bewahrte ein Foto von Char auf seinem Schreibtisch. Es war das von ihr in dem Kostüm für das Stück, in dem sie das Statuen-Mädchen gespielt hatte. Aber Et schob es von Tag zu Tag hinaus. Sie und Arthur spielten immer noch Rommé und gärtnerten ein wenig, banden die Himbeerranken auf. Wenn sie verheiratet gewesen wären, hätten die Leute gesagt, sie seien sehr glücklich.