Buchinfo

 

Ein Jahr Los Angeles! Jojo ist überglücklich. Als sie dann auch noch in der Villa eines Filmproduzenten landet, weiß sie: Sie hat mit ihrer Gastfamilie den Hauptgewinn gezogen. Klar, dass die Chaoskönigin trotzdem kein Fettnäpfchen in ihrer neuen Glamourwelt auslässt. Aber Rettung naht – und zwar in Form eines unverhofften Märchenprinzen ...

 

Frech & davon – Jojo erobert die USA!

 

Autorenvita

 

Ullrich

 

© Thienemann Verlag GmbH

 

Hortense Ullrich redet gern, lacht gern und schreibt gern. Und zwar über alles, was das Leben an Lustigem und Komischem zu bieten hat. Sie schreibt einfach auf, was bei ihr zu Hause tagtäglich passiert. Allerdings nie die volle Wahrheit, denn die würde ihr ohnehin niemand glauben. Ihre Töchter Allyssa und Leandra sind die Vorbilder für Jojo und ihre Schwester Flippi. Jojos überbesorgte, kochunfähige Mutter hat rein zufällig große Ähnlichkeit mit der Autorin. Nur Hortense Ullrichs Mann und die beiden Hunde kommen ungeschoren davon. Noch. Acht Jahre verbrachte Hortense Ullrich mit ihrem Mann und ihren Kindern in New York, inzwischen lebt sie in Bremen.

IT

IT02

 

 

Durch die Passkontrolle war ich durch, meinen Koffer hatte ich vom Laufband gefischt, und bitte: Alles ohne besondere Vorkommnisse! Jetzt musste ich nur noch durch den Ausgang des Ankunftsbereichs des Flughafens von Los Angeles. »Flughafen«, »Los Angeles« – ich liebe es, wenn ich solche Wörter benutzen kann. Also, natürlich kann ich die Wörter jederzeit benutzen, hey, wer will mich daran hindern? Aber jetzt bedeuteten sie was: Ich bin wirklich da! Wenn ich nicht so leicht blaue Flecken bekommen würde, würde ich mich kneifen. Nee, würde ich nicht. Tut weh und sieht dämlich aus.

Also, jetzt noch durch diese Tür und auf der anderen Seite empfangen mich dann die Vandenbergs, meine amerikanische Gastfamilie. Aah, ein Jahr Amerika. Und nicht nur Amerika: Hollywood! Na gut, nicht Hollywood, sondern Beverly Hills, aber meine beste Freundin Lucilla fand, dass Hollywood besser klingt, weil es sich nach Film und Stars und Glamour und Partys anhört. Beverly Hills würde nur nach Wohngegend klingen. Einer sehr teuren Wohngegend allerdings. Also durfte ich fortan nur noch erzählen, dass ich nach Hollywood gehe. Ich rechne es Lucilla hoch an, dass sie sich so für mich freute, denn schließlich wurde ihr Laramie in Wyoming zugeteilt. Der Bundesstaat mit der geringsten Bevölkerungsdichte in ganz Amerika, in dem es mehr Rinder als Einwohner gibt. Aber ihre Gastfamilie hat dort ein Hotel und Lucilla sah sich schon als VIP-Betreuerin für internationale und berühmte Gäste.

 

Als ich nun den Ausgang hinter mir gelassen hatte, blieb ich stehen und scannte die Leute, die ihre Besucher oder Familienmitglieder abholten. Hm. Die eine Hälfte der Wartenden hielt Kaffeebecher in der Hand, die andere Hälfte kleine Plastikflaschen mit Powerdrinks oder Mineralwasser. Ein durstiges Land offensichtlich. Und ein Land der Kopfbedeckungen. Baseballcaps, wohin man sah. Meist von Sportmannschaften. Sollte vielleicht sportlich wirken, so nach dem Motto: Muss zwischen zwei wichtigen Spielen nur mal kurz zum Flughafen, um jemand abzuholen, dann geht’s sofort zurück aufs Spielfeld.

Oder die Cap-Träger hatten Frisurprobleme. Ich hab mich auch schon oft mit der einen oder anderen Kopfbedeckung durch einen Tag gerettet, an dem meine Haare ein Eigenleben führten und sich auch durch gutes Zureden nicht bändigen ließen.

Die meisten Leute trugen Shorts. In verschiedenen Längen. Es gab einen Zusammenhang zwischen Körperfülle und Saumlänge der Shorts: Je dicker der Besitzer der Shorts, desto kürzer die Shorts. Na gut.

Ich suchte nach Mutter, Vater und einer Tochter in meinem Alter. Ah ja. Die vielleicht. Ja! Die Tochter strahlte mich an, ich strahlte zurück, sie stieß ihre Mutter an, die lächelte nun ebenfalls in meine Richtung. Ich ging auf sie zu, sie kamen auf mich zu; hastig stellte ich meinen Koffer ab, um sie begrüßen zu können.

Ich hatte mir bereits im Flugzeug verschiedene Varianten überlegt, wie ich meine neue Familie begrüßen würde. Da wäre einmal ein bescheidenes, reserviertes Handhinstrecken und ein paar Höflichkeiten in meinem besten Englisch: »Guten Tag, mein Name ist Jojo Sonntag. Haben Sie herzlichen Dank für die Gastfreundschaft, die Sie mir gewähren.« Oder ein anderer Ansatz wäre eine herzliche Umarmung und ein lockeres: »Hi, ich bin Jojo. Danke, dass ich bei Ihnen wohnen darf.«

Da das Mädchen und auch ihre Mutter so nett gelächelt hatten, hielt ich eine Umarmung für durchaus angebracht. Ich fiel dem Mädchen also um den Hals. Das Mädchen war wohl auf so viel Herzlichkeit nicht vorbereitet. Sie sah mich etwas pikiert an, schob mich von sich, ging um mich herum und umarmte einen älteren Herrn, der direkt hinter mir stand. »Hi, Opi!«, rief sie überschwänglich und warf mir noch mal einen tadelnden Blick zu. Okay. Die also nicht.

»Hey, du kannst hier nicht im Ausgang stehen bleiben«, rügte mich jemand, als er um mich herumlaufen musste. Na, ist ja auch nicht meine erste Wahl, nur, wie soll ich sonst meine Familie finden? Oder sie mich?

Nachdem ich aber mittlerweile den fünften Rempler verzeichnen musste, nahm ich dann doch meinen Koffer und ging weiter. So, nun war ich hinter der Absperrung, stand etwas verloren hinter dem Pulk der Abholer und wirkte bestenfalls so, als ob ich selbst auf einen der Ankömmlinge wartete. Sehr schlau, Jojo. Super und jetzt?

Ich drängte mich wieder nach vorn, lief an den wartenden Leuten vorbei und hoffte, dass mich jemand erkennen würde. Schließlich hatte ich ein Foto von mir schicken müssen. Vielleicht hätte ich Lucilla nicht erlauben sollen, mich zu schminken und zu stylen. Sie hatte nämlich darauf bestanden, mich optisch hollywoodtauglich zu machen. Aber das Foto war weit von der Realität entfernt. Ich sah gut aus auf dem Bild, keine Frage, und ich sah auch im echten Leben nicht schlecht aus. Aber eben nicht so, wie auf diesem Foto. Das stellte sich nun doch als hinderlich heraus. Okay, dann blieb nur noch eins: einfach zu warten, bis alle sich gefunden hatten und gegangen waren, dann würde meine Familie übrig bleiben und wir würden zueinanderfinden. Happy End.

IT

Ich drängte mich also wieder durch die Menge nach hinten, um mich dort etwas abseits auf meinen Koffer zu setzen und ergeben zu warten. Da entdeckte ich am Ende der Absperrung einen Schwung Männer in schwarzen Anzügen und mit Mützen, alle brav nebeneinander aufgereiht hielten sie Schilder mit Namen hoch. Edel. Offensichtlich wurden einige Leute von Chauffeuren abgeholt. Auf den Schildern standen meist Namen wie »Takashi Nakamura« oder »Min Yi Chang« oder »Rajesh Sharma«. Dann riss ich verblüfft die Augen auf. Einer der Pinguine streckte ein Schild mit der Aufschrift »Josephine Sonntag« in die Höhe.

Ist nicht wahr! Die lassen mich von einem Chauffeur abholen? Wie cool ist das denn!

Ich stürmte auf ihn zu. »Hi, ich bin’s.« Er reagierte nicht sofort, daher deutete ich zur Bekräftigung auf das Schild. »Das bin ich. Jojo.«

Er nickte und griff nach meinem Koffer. Ich hielt meinen Koffer fest. Schließlich schärften die einem ja auf Flughäfen ein, die Koffer nicht unbeaufsichtigt stehen zu lassen, und überall hingen Schilder, die vor Dieben warnten.

Er strafte mich mit einem Blick, der keinen Widerspruch zuließ, ich murmelte »sorry«, meine Finger lösten sich vom Griff und der Koffer fiel zu Boden. Leider auf seinen Fuß. Er zuckte still leidend zusammen. Und wieder murmelte ich »sorry«.

Ich hatte die Befürchtung, dass ich dieses Wort sehr oft benutzen werden müsste.

»Wo sind die anderen?«, fragte ich fröhlich. Ich wollte ihn damit von seinem schmerzenden Fuß ablenken.

»Welche anderen?«

»Na, meine Familie. Die Leute, bei denen ich wohnen werde.«

»Das weiß ich nicht. Ich habe nur den Auftrag, dich abzuholen.«

»Merkwürdig. Von einem Chauffeur hat niemand was gesagt.«

Ich wurde misstrauisch. Er auch. Er stellte meinen Koffer ab und sagte: »Kann ich bitte eine Identifikation sehen?«

»Eine was?«

»Etwas, worauf dein Name steht.«

Beleidigt hielt ich ihm meinen Pass hin, er warf einen Blick drauf, gab ihn mir zurück. Ich überlegte kurz, ob ich mir nicht auch eine »Identifikation« von ihm zeigen lassen sollte, nur so aus Gerechtigkeitsgründen. Aber da er sich schon wieder meinen Koffer schnappte und sich in Bewegung setzte, verzichtete ich darauf und lief hinter ihm her. Also hinter meinem Koffer. Den sollte man ja laut Flughafenbestimmung im Auge behalten. Und das tat ich.

Wir verließen das Gebäude, kämpften uns durch eine Traube von orientierungslos herumstehenden Touristen und stoppten schließlich vor einer Limousine. Vor einer dieser riesigen, langen schwarzen Limousinen mit den dunkel getönten Scheiben. Ich schnappte nach Luft. Ist nicht wahr! Doch, war es. Der Chauffeur hielt mir die Autotür der XL-Limousine auf. Es gibt übrigens auch XXL-Limos, aber die sehen aus wie verhinderte Reisebusse, find ich nicht so schick. Ich stieg ein und bedauerte, dass mich jetzt niemand mehr sehen konnte. Schade. Wenn ich schon mal in so einem Wagen saß. Ob es okay wäre, mehrmals einzusteigen, bis auch wirklich alle Herumstehenden mitbekommen hatten, dass ich, Jojo Sonntag, in eine Limousine einstieg? Die Frage erübrigte sich, denn der Chauffeur verstaute mein Gepäck im Kofferraum und stieg nun selbst ein.

Bevor er losfuhr, drehte er sich kurz um und teilte mir mit: »Mein Name ist Franco. Alles okay? Können wir fahren?«

Wozu nannte er mir seinen Namen? Könnte ich, wenn mir sein Name nicht gefällt, etwa sagen: »Ich hätte aber lieber einen James oder einen Maurice. Von einem Franco möchte ich nicht gefahren werden«?

Na, ich wollte es nicht verkomplizieren, also nickte ich gnädig und meinte bloß: »Franco klingt gut.«

Woraufhin er mich durch den Rückspiegel merkwürdig ansah, jedoch den Wagen startete, und so verließen wir den Parkplatz und bogen auf den Highway.

Ich kramte mein Handy heraus. Ich musste Lucilla schreiben, hatte ich ihr doch versprochen, sie über jedes noch so winzige Detail auf dem Laufenden zu halten.

Sie schrieb postwendend zurück.

IT

Mann, Jojo, das Leben ist so ungerecht! Du sitzt in einer Limousine und ich – rate mal, in was für einem Gefährt ich sitze?

Pferd? Postkutsche?

In einem alten verbeulten himmelblauen Pick-up-Truck. Aber tröste dich, von meiner Familie war auch keiner am Flughafen, sie haben genauso ihren Fahrer geschickt. Hahaha. Und mein Fahrer hat auch eine Kopfbedeckung auf, nämlich einen Cowboyhut! Die laufen hier alle so rum: Cowboyhut, Jeans, kariertes Hemd und Cowboyboots.

Billy Joe, der Pick-up-Fahrer, ist Pferdetreiber auf der Rattlesnake Ranch und er hat erzählt, dass sich alle sehr auf mich freuen, weil man auf einer Ranch jede Hilfe gut gebrauchen kann. Ich hab das erst mal gar nicht kapiert. Eine Ranch? Ich soll helfen? Ich hab dann mehrfach nachgefragt und es gibt keinen Zweifel, Jojo: Ich bin auf einer Ranch gelandet! Im Profil der Organisation stand, dass meine Familie einen Hotelbetrieb in der Nähe von Laramie leitet. Wer stellt sich denn da eine Ranch vor? Ich hatte immer ein Hotel im Kopf. Ein schickes Hotel. Und wer bitte übernachtet auf einer Ranch? Durchreisende Pferde und Rinder?

Hihi. Dann musst du wahrscheinlich den Pferden eine Karotte aufs Kopfkissen legen, statt den sonst in schicken Hotels üblichen Schokolädchen.

Sehr witzig. Und den Rindern einen Ballen Heu?

Wieso haben die mir nicht gesagt, dass der »Hotelbetrieb« meiner Gastfamilie eine Ranch ist? Und nirgendwo stand, dass hier alle als Cowboys verkleidet sind.

Die sind nicht verkleidet, die meinen das ernst.

Das macht’s auch nicht besser. Modisch gesehen ist das ein Desaster. Von den karierten Hemden tun mir bereits die Augen weh.

Na, dann bist du ja goldrichtig und wirst jede Menge zu tun haben, bis du alle auf den neusten modischen Stand gebracht hast.

IT

Aber frag mal, wieso die Ranch »Rattelsnake Ranch« heißt. Gibt es dort tatsächlich Klapperschlangen?

Verflixt. Es gibt hier wirklich Klapperschlangen, ich hab Billy Joe eben gefragt. Er schießt manchmal welche. Und für das Schwanzende mit der Klapper kriegt er 30 Dollar Prämie. Ob ich das auch tun sollte? Ich könnte mein Taschengeld damit aufbessern.

Bleib lieber bei der Modeberatung. Vielleicht kriegst du ja für jedes karierte Hemd, das du gegen ein augenfreundlicheres Hemd eintauschst, auch eine Prämie.

IT

Von wem? Der Innung der Augenärzte? Eher nicht, ich befürchte, die leben von der Wirkung dieser Hemden. Im Ernst, Jojo, wenn ich hier ein Jahr bleibe, werde ich ein Cowgirl sein. Und du wirst ein Filmstar sein. Wirst du auch dann noch meine Freundin bleiben?

Auf immer und ewig, Lucilla!

Hey, Jojo, ein Lichtblick: Billy Joe hat mir gerade mitgeteilt, dass wir einen Stopp einlegen müssen, weil wir shoppen gehen.

Na also! Shopping ist doch deine Leidenschaft! Dann lernst du jetzt gleich mal eine von diesen sagenumwobenen amerikanischen Malls kennen. Überrede ihn dazu, sich ein anständiges Hemd zu kaufen.

Erzähl mir lieber von Hollywood. Wie ist es?

Bist du sicher? Ich hab ein schlechtes Gewissen, es ist einfach zu toll hier. Du wirst mich hassen.

Kann sein, aber ich will trotzdem jedes Detail erfahren!

Ich weiß nicht …

Jojo, du bist nicht auf Hollywood vorbereitet und Hollywood nicht auf dich. Du brauchst jede Hilfe, die du kriegen kannst. Und ich kenn mich aus. Schließlich lese ich seit Jahren die einschlägigen Zeitschriften. Und jetzt erzähl. Was siehst du?

Okay. Also: Palmen, Palmen … überall Palmen. Rechts und links der Straße stehen Palmen. Und riesige Reklametafeln. Wir fahren den Sunset Boulevard entlang, er führt durch Hollywood in Richtung Beverly Hills. Wenn man die Straße bis zum Ende fährt, kommt man am Pazifik in Santa Monica an, sagt Franco, mein Chauffeur, hihi. Eben sind wir an einem pinkfarbenen Hotel vorbeigekommen, das sieht aus wie ein Palast.

Das ist das Beverly Hills Hotel.

Stimmt. Du bist gut!!

Oh sorry, wir halten an. Shoppingtime! Bis später!

 

Ich überlegte, ob ich versuchen sollte, mit dem Fahrer ein Gespräch anzufangen. Aber zwischen dem Fahrgastraum und dem Fahrer war eine Trennscheibe angebracht. Zu seinem oder meinem Schutz? Egal.

Es gab eine Bar in der Limousine. Nicht zu fassen, auf was für Ideen die kommen. Hier könnte man prima eine Party feiern. Sechs Leute passen locker rein. Und die doppelte Menge, wenn welche bereit sind, sich auf den Boden zu setzen. Es war wirklich irre geräumig. Neben der Bar lag Knabberzeug. Ich war hungrig und die Chipstüte sah mehr als verlockend aus.

Ich hätte ja gerne gefragt, ob ich die haben dürfte, aber die Trennscheibe … Ach was, natürlich waren die Snacks für die Fahrgäste, die lagen ja nicht zur Dekoration da. Ich könnte versuchen, sie schnell und unauffällig zu schnappen. Franco war ja aufs Fahren konzentriert. Aber die Tüte lag zu weit entfernt, um sie von meinem Platz aus zu erreichen. Könnte ich aufstehen und hinlaufen? Kaum, die gepolsterte Decke der Limousine war zu niedrig. Na ja, gebückt könnte ich die paar Schritte gehen. Sähe merkwürdig aus, aber ich käme an die Chips. Ich wollte es wagen, erhob mich etwas unsicher von meinem Sitz, der Wagen bog um eine Ecke und ich fiel um. Schnell rappelte ich mich wieder hoch und setzte mich zurück auf den Sitz. Okay, keine Chips. Hoffentlich hatte Franco das nicht gesehen. Die Trennscheibe fuhr herunter.

»Alles in Ordnung?«, fragte er.

»Ja.«

»Sicher?«

»Ja. Die Sitze sind etwas rutschig.«

»Möchtest du fernsehgucken oder Musik hören?«

Fernsehgucken im Auto? Nicht schlecht.

»Über dir sind Schalter, damit kannst du alles bedienen.«

Ich sah hoch, an der Decke war tatsächlich ein kleines Schaltpult eingelassen. Ich drückte auf einen der Knöpfe. Das Schiebedach fuhr zurück.

»Der Knopf für den Fernseher ist direkt daneben. Soll ich den Fernseher für dich einschalten?«

»Ich … ähm. Nein danke. Ich versuche gerade, es mir abzugewöhnen. Meine Mutter sagt immer, ich soll nicht so viel fernsehen, ich soll lieber an die frische Luft. Deshalb hab ich das Dach geöffnet.«

Klang doch plausibel. Er sollte nicht denken, ich wäre zu dämlich, den richtigen Knopf zu finden. Ich drückte erneut auf denselben Knopf – das Dach schloss sich wieder. Ich würde keinen dieser Knöpfe mehr anrühren, wer weiß, womöglich war da auch einer dabei, der eine Nebelmaschine anwarf oder das Auto in Überschallgeschwindigkeit versetzte.

Franco beobachtete mich im Rückspiegel, deshalb erklärte ich ihm: »Das war genug frische Luft, man muss es ja nicht übertreiben.«

IT

»Wir sind in L.A., da gibt es keine frische Luft.«

»Und wo bekommen sie ihre frische Luft her?«

»Du bist eine von der witzigen Sorte, was?«

Nein, die Frage hatte ich eigentlich ernst gemeint. Was tut man, wenn man in einer Stadt lebt, in der es keine frische Luft gibt?

Mein Blick blieb wieder an der Chipstüte hängen. Mein Magen knurrte. Ich überwand mich und fragte: »Die Chips … kann ich die Tüte Chips haben?«

»Bist du hungrig?«

»Nein, ich bin an der frischen Luft in der Tüte interessiert. Ich dachte, wenn die nicht in L.A. hergestellt wurden, ist da vielleicht etwas frische Luft drin, die ich einatmen könnte.«

Franco sah mir über den Rückspiegel direkt in die Augen.

»Das sollte jetzt ein Witz sein«, erklärte ich ihm.

»Du kannst dir nehmen, was immer du möchtest. Außer Alkohol.«

Gut, nun hatte ich die offizielle Erlaubnis, aber die Tüte lag immer noch zu weit weg. Wie kam ich auf elegante Art und Weise an diese Chipstüte? Ach, vergiss elegant! Ich kroch auf den Knien zur Bar, fischte mir die Chips aus dem Sortiment und kroch wieder zurück.

Franco riss ungläubig die Augen auf, als er sah, dass ich auf allen vieren durch das Auto krabbelte. Okay, so also offensichtlich nicht. Ich würde an meiner Technik arbeiten müssen, es musste elegantere Methoden geben, zur anderen Sitzbank einer Limousine zu gelangen.

IT

Ich setzte mich wieder und riss die Chipstüte auf. Tja, auch da würde ich meine Technik verbessern müssen, die Chips hatten sich durch den Ruck alle auf einmal aus der Tüte geflüchtet und lagen nun verstreut um mich herum. Aber wegen eines solchen Missgeschicks muss man ja nicht gleich in Panik verfallen. Seelenruhig begann ich, die Chips Stück für Stück direkt vom Sitz und auch vom Boden zu essen. Wenn Franco fragen würde, würde ich einfach sagen, das wäre bei mir zu Hause so Brauch. Aber er fragte nicht.

Ich nahm mein Handy und schrieb an Lucilla.

 

Ich sitze in der Limo und esse Chips!

Ich sitze im Pick-up und esse einen Hotdog.

Hm. Lecker. Das fänd ich jetzt auch gut. Besser sogar.

Du würdest bloß wieder einen Ketchuptütchen-Unfall produzieren. Chips sind sicherer.

Na ja, nicht unbedingt.

Wieso? Was hast du getan?

Nichts, was nicht mit einem Staubsauger in Ordnung gebracht werden könnte. Wie war dein Shopping?

Frag nicht! Voll der Reinfall. Als wir angehalten haben, war weit und breit keine Mall zu sehen, nicht mal ein kleines Shoppingcenter. Nur ein – ja, was? – ein ziemlich großer Schuppen mitten in der Prärie. Billy Joe zerrte einen alten Sattel vom Pick-up und gab ihn einem Mann zum Reparieren und danach fing er an, Heuballen aufzuladen. Er hat Viehfutter gekauft! Mein erhofftes Einkaufsparadies war eine Großhandlung für Futterbedarf und anderen Pferdekram. Toll, was?

Hahaha. Oh, Lucilla, das tut mir echt leid. Kann ich was tun?

Ja, mir schreiben, dass es bei dir ganz und gar nicht gut läuft.

Na ja, ich bin ehrlich gesagt noch nicht so sicher, ob mich das hier alles nicht überfordert. Es ist zwar irgendwie toll, aber ich bin kein Hollywood-Material. Hilft das?

IT

Ja. Obwohl das ja nichts Neues ist. Versuch mal, ohne Chaos auszukommen, nicht dass sie dich gleich wieder heimschicken. Du musst mir vorher noch Autogramme besorgen. Ich maile dir demnächst mal eine Liste, von wem.

Schick auch Fotos mit. Wie soll ich denn sonst die Stars erkennen?

Die erkennst du an den Fotografen, die um sie herumhängen. Wenn also irgendwo ein Pulk von Paparazzi ist, die jemanden fotografieren, geh hin.

Okay. Obwohl, mit meinem Glück schick ich dir womöglich ein Autogramm von einem Serienmörder, der beim Verlassen des Gerichtsgebäudes von Fotografen umringt wird.

Dann lungere nicht vor Gerichtsgebäuden oder Polizeistationen rum, verbringe deine freie Zeit auf dem »Walk of Fame« in Hollywood. Da ist die Trefferquote höher.

IT

Lucilla, wir sind da, wir haben eben vor einem hohen Tor angehalten, das sich automatisch geöffnet hat, und jetzt fahren wir durch eine parkähnliche Anlage eine geschwungene Auffahrt hoch. Oh Mann, das Haus sieht fast so aus wie das Beverly Hills Hotel. Ich meld mich wieder!

ZK01

 

Ich öffnete die Autotür, stieg aus und starrte das Haus an. Unglaublich! Ich drehte mich zu Franco, der ebenfalls ausgestiegen war und nun merkwürdigerweise die hintere Autotür auf der anderen Seite des Wagens öffnete. Für wen bitte? Ich stand doch schon hier. Hatte er das nicht mitbekommen? Offensichtlich nicht, denn er beugte sich jetzt in den Wagen und schien leicht panisch, als er mich nicht darin entdecken konnte.