ornament Heiligenhafen, April 1428 ornament

Ein letztes Mal flackerte das Signalfeuer auf der Fehmarner Seite der Bucht, dann verlosch sein Licht, und die Morgenröte vertrieb die Dunkelheit. Nichts erinnerte mehr an die aufgepeitschten Wellen der vergangenen Nacht.

Arne liebte die Tage nach dem Sturm, wenn das Meer wieder klar war und der Geruch von Seetang die Luft erfüllte. Ein guter Tag, um die Netze auszuwerfen.

Sein Boot lag am Strand, unmittelbar hinter den Dünen. Dort hatte es bislang jedem Unwetter getrotzt. Auch an diesem Morgen wartete es auf ihn, unversehrt und bereit, ihn hinauszutragen.

Eine dunkle Planke dümpelte zwischen dem Schlick. Arne stutzte. Dann sah er den leblosen Körper, der mit den Beinen noch halb im Wasser lag. Er rannte los, Muschelschalen und Sand knirschten unter seinen Stiefeln. Überall waren Trümmer an den Strand gespült worden. Neben einem zerbrochenen Fass nahe der Sandbank trieben weitere Körper, alle mit dem Gesicht nach unten. Ein bitterer Geschmack legte sich auf Arnes Zunge. Ein Jahr war es her, dass er zum letzten Mal Tote am Strand gefunden hatte. Doch damals war er darauf vorbereitet gewesen.

Er beugte sich zu dem Mann hinunter, berührte ihn. Ein leises Stöhnen.

»Hörst du mich?«

Der Verletzte murmelte etwas. Arne glaubte, »hvor« und »jeg« verstanden zu haben. War der Mann ein Däne? Vor einem Jahr waren es Deutsche gewesen, die er am Strand gefunden hatte. Opfer der dänischen Flotte. Er hatte einige Freunde verloren. Junge Männer, die dachten, auf den hanseatischen Kriegsschiffen schneller zu Ruhm und Reichtum zu gelangen als mit ihrem ehrlichen Handwerk. Arne atmete tief durch. Es war vorbei. Dies hier war ein unglückliches Opfer des gestrigen Sturms. Ein Mann, der seine Hilfe brauchte, ganz gleich, woher er kam.

Er versuchte, den Körper aus dem Wasser zu ziehen. Ein erstickter Schrei ließ ihn zurückzucken. Erst jetzt sah Arne das Blut, das aus einer Wunde in der Brust des Mannes gesickert war und seine Kleidung durchtränkt hatte. Das war kein Seemann. Solche feinen Hemden trugen nur reiche Leute, Patrizier aus den großen Hansestädten oder Adlige.

»Wer seid Ihr?«

Der Mann stöhnte, war kaum noch bei Bewusstsein. Arne betrachtete ihn genauer. Er war höchstens Mitte zwanzig, blondes Haar, glatt rasiert. Die Hände gepflegt und frei von den Spuren schwerer Arbeit. Vielleicht ein Kaufmann? Aber wobei hatte er sich diese Verletzung zugezogen? Sie sah aus wie ein Schwerthieb.

Einerlei. Er würde den Mann zu Brida bringen. Die würde schon wissen, wie dem Verwundeten zu helfen war. Und dann würde er zurückkommen und schauen, was das Meer sonst noch herzugeben bereit war. Vielleicht war es ja eine Kogge mit reicher Ladung gewesen. Auf jeden Fall schien die Suche danach lohnenswerter, als heute zum Fischen hinauszufahren.