Globetrottel aller Welt, blamiert euch!
Fettnäpfe gibt es, wie wir im vorigen Kapitel bereits gesehen haben, also genügend – doch wer sind eigentlich die Menschen, die auf Reisen zielsicher vom einen zum nächsten tappen? Hier gibt es eine beeindruckende Bandbreite, die sich in diverse Unterspezies einteilen lässt:
Der Vielreisende
Heute Rom, morgen Ruanda, übermorgen Saigon – und all das natürlich immer im faltenfreien Anzug. Er hat schon alles gesehen, nichts kann ihn mehr beeindrucken. Seine Uhr zeigt mindestens drei Zeitzonen gleichzeitig an und über den Jetlag kann er nur trocken husten. Großkotzig dominiert er jede Diskussion: Phnom Penh? Ach ja, da war er auch schon, Paris ist schon lange nicht mehr das, was es mal war, und Nigeria ist sowieso in Geschäftsfragen indiskutabel. Er kann jede Skurrilität übertrumpfen, schließlich kennt er alle Hotelbars der Welt persönlich und die horizontalen Damen aus der Seitengasse daneben auch. Wenn er von Stunden spricht, sind natürlich Flugstunden gemeint – und zwar in der Businessclass. Kommt er doch in die Verlegenheit, Holzklasse fliegen zu müssen, erkennt man ihn am angeekelten Gesichtsausdruck. Bei Gesprächen an der Hotelbar muss er hier und da auch mal ein wenig das Revier markieren: »Mit dem einarmigen Piloten im Zweisitzer über den Kriegsgebieten des Sudan …, da macht ihr Euch kein Bild …« In Sachen Fettnäpfchen ist der Vielreisende dank seiner unübersehbaren Arroganz und mangelnder Fremdsprachenkenntnisse jenseits des Englischen eine verlässliche Größe. Oft weiß er nämlich gar nicht mehr so ganz genau, in welchem Land er sich gerade befindet, da kann man die Kulturstandards schon mal durcheinanderbringen. Macht aber nichts, morgen ist er sowieso schon wieder woanders.
Der Gutmensch
Zielstrebig steuert er in Bombay, Sao Paulo und Nairobi die Slums an, um sich mit den Menschen dort zu verbrüdern. Wenn er diese Exkursionen überlebt, ist dies nur der Tatsache geschuldet, dass es die lokalen Gangster und Banden gar nicht fassen können, dass sich ein wohlhabender Tourist allen Ernstes in diese Ecke wagt und sie ihn deshalb für wichtig halten. Taschendiebe sind für den Gutmenschen bedauernswerte Kreaturen, die von der Gesellschaft in die Kriminalität gezwungen wurden und denen er verzeiht, wenn sie ihn berauben. Den Verlust des Geldes verschmerzt er gerne, es ist ja sowieso nur ein Symbol des Kapitalismus, doch insgeheim ist er schon ein bisschen enttäuscht, dass ihn die Armen nicht als Ihresgleichen angenommen haben.
Äußerlich erkennt man ihn an den ausgebeulten Leinenhosen aus der Khaosan Road in Bangkok oder vom Indianermarkt in Otavalo, und natürlich am bequemen Schuhwerk, gerne auch mit Fußbett und aus der Haut glücklicher Kühe gefertigt. In Laos und Vietnam trägt er aus Solidarität mit den armen Massen jedoch auch Flipflops. In den öffentlichen Verkehrsmitteln wird das Ticket zur politischen Demonstration. Mit dem Stehplatz auf der 25-stündigen Nachtfahrt von Mombasa nach Nairobi dokumentiert er die Scham ob seines westlichen Reichtums, während alle anderen Passagiere über die Frage grübeln: »Kann sich dieser Ausländer wirklich kein anständiges Ticket leisten?« Dass der Gutmensch trotz seiner vergleichsweise guten Info-Lage bereitwillig in alle Fettnäpfchen tritt, lässt sich mit einer gewissen Naivität erklären: Was die Menschen wirklich beschäftigt, hat er vor lauter rosa Brille nicht verstanden, sodass seine Kontaktversuche immer ein wenig putzig wirken.
Der Adaptionist
Für Reisende, die sich im Ausland freiwillig oder unfreiwillig als Deutsche zu erkennen geben, haben die Adaptionisten nur Verachtung übrig. Damit ihnen das bloß nicht passiert, unterhalten sie sich ausschließlich, auch untereinander, in der jeweiligen Landessprache, wenn es sein muss auch auf Chinesisch. Dass das Gesprächsniveau dadurch auf das Niveau einer PEKiP-Spielgruppe sinkt, ist kein Hinderungsgrund. Pikanterweise outen sich die Adaptionisten gerade durch diesen verkrampften Versuch der sprachlichen Mimikry als Deutsche – keine andere Nationalität käme auf einen solchen hirnrissigen Gedanken!
Die Freude an der Anpassung ist nicht nur in linguistischer Hinsicht grenzenlos: Weibliche Adaptionisten entdecken trotz eines plakativ nach außen getragenen Feminismus nach drei Wochen Orient die Erotik des Schleiers, oder flanieren im Sari durch Indien. Männer hingegen entwickeln eine Vorliebe für schlecht gewickelte Turbane oder Wasserpfeifen. In Sachen Fettnapf verhalten sich die Adaptionisten vorbildlich: Sie übernehmen mit wehenden Fahnen und wahllos alle Kulturstandards, denen sie begegnen. Wenn sie mit den Einheimischen trotz allen Entgegenkommens nie so recht warm werden, dann liegt es meist daran, dass sie ihnen nicht nur entgegenkommen, sondern diese weit überholen. Adaptionisten in Japan sind japanischer als der Tenno, und auch in Pakistan, Dubai oder sonst wo auf der Welt sind sie der Lokalbevölkerung suspekt – schon weil sie in keinster Weise den Erwartungen der Einheimischen an Europäer gerecht werden. Schlimmer noch, sie weigern sich, billige Souvenirs zu kaufen, laufen jede Strecke zu Fuß und geben grundsätzlich nie mehr als fünf Euro pro Übernachtung aus.
Der Offene
Katzenragout? Na klar, immer her damit! Der Offene probiert alle Nationalgerichte, lässt sich auf indische Hochzeiten einladen, die sich über zwei Tage erstrecken, er schläft im brasilianischen Dschungel im Baumhaus und schafft es als Einziger, sich konsequent an einheimischen Imbissständen zu ernähren, ohne von Montezumas Rache geplagt zu werden. Der Offene nimmt alles mit, hat einen Heidenspaß dabei und weiß nach der Reise zwar nicht mehr über die Welt als vorher, kann sich aber mit einer großen Weltkarte mit vielen kleinen Nadeln brüsten.
Der Besserwisser
Die Tropen könnten so schön sein – wenn nur die Leute nicht alles falsch machen würden! Italien ohne Italiener, wäre das nicht herrlich? Hier müsste nur mal einer …! Besserwisser erläutern den Bahnarbeitern am Bahnhof von Neapel, wie das mit dem An- und Abkoppeln richtig geht, verteilen Postkarten ihrer Heimatstadt und sind immer bereit, spontane Referate zu halten. Sogar großflächige Konflikte wie jene im Nahen Osten könnten sie lösen, wenn man sie nur ließe! In dieser Disziplin kämpfen Deutsche und US-Amerikaner um den Spitzenplatz.
Der Senior-Reisende
Italiener sind charmante Chaoten, Afrikaner sind »Neger« und Asiaten kann man sowieso nicht trauen: Das Weltbild älterer Reisender wird hier und da nicht mehr so ganz den aktuellen Gegebenheiten gerecht. Das wäre eine gefährliche Haltung, profitierten sie nicht von der Tatsache, dass gerade in den Ländern, die sie so schmählich beschimpfen, ältere Menschen meist sehr in Ehren gehalten werden und die Servicekräfte deshalb zähneknirschend aber lächelnd alle sprachlichen Ausrutscher tolerieren. Außerdem kaufen Senioren die fast echt persischen Teppiche aus dem überteuerten Souvenirshop und entfernen sich nie weit von den touristischen Pfaden. Dennoch: Im ganz normalen Alltag in der Fremde sind sie ein nimmer versiegender Quell an Peinlichkeiten. Die Senioren haben den höchsten Reiseleiterverschleiß, vor allem wenn eine pädagogische Laufbahn hinter ihnen liegt. Der Ausdruck »pensionierter Oberstudienrat« gehört deshalb zu den Schreckensvokabeln aller Tourguides.
Kolonialherren
Was wäre Afrika ohne die Franzosen, wo stünden die Inder heute ohne die Briten? Genau! Und mal ehrlich, war früher, in Deutsch-Kamerun und in der wilhelminischen Kolonie Tsingtau nicht sowieso alles besser organisiert? Die verkappten Kolonialherren sprechen grundsätzlich von »Chinks« wenn es um Chinesen geht, treffen »Pakis« in Pakistan und glauben noch immer fest an die Überlegenheit der weißen Rasse. In Sachen Fettnapf sind die Kolonialisten daher ganz oben mit dabei. Dass sie ihre Reisen meist ohne körperliche Schäden überstehen, liegt daran, dass sie vorrangig in der gehobenen Hotellerie verkehren und dort gut geschultem Personal begegnen, das seine Aggressionen abends am Sandsack auslebt, anstatt den Kolonialherren den Cocktail über den Kopf zu schütten.
Der Safari-Hut
Er reist stets gut vorbereitet und hat dennoch keinen Schimmer vom Reiseland: Der Safari-Hut erlebt die Welt als permanentes Abenteuercamp. Weil er jedoch immer mit Familie unterwegs ist, sinkt er vor Freude auf die Knie, wenn er doch überraschend in eine Situation gerät, in der er das Taschenmesser einmal ausprobieren darf.
Wie schlimm es um den Safari-Hut bestellt ist, erkennt man an der Anzahl der Taschen seiner Survivalweste und an der Straffung der hochgezogenen Tennissocken am nackten Bein. Auch am Schweizer Taschenmesser mit mindestens 20 Funktionen und der allzeit bereiten Taschenlampe ist er gut zu identifizieren. Ein fast zur Unkenntlichkeit zerfleddertes Deutsch-Englisch-Lexikon muss ebenfalls ins Gepäck. Trotzdem gehört er zur aussterbenden Spezies von Reisenden, die wirklich und allen Ernstes noch Sätze wie »When do I become a sausage« sagt. Von den Einheimischen wird er als willkommene Abwechslung betrachtet, als skurrile Laune der Natur, der man die diversen Fauxpas gerne ob ihres Unterhaltungsfaktors verzeiht.
Die Horde
Ob auf Mallorca oder in der Türkei, die Horde fällt im Ausland ein wie ein Stamm Termiten. Auf dem Weg vom Hotel in die Disko und zurück tapst die Horde nicht in Fettnäpfchen, sie walzt sie nieder! Tourismus-Profis der betroffenen Länder räumen daher vorher alle kulturellen Hürden aus dem Weg und lassen sie, natürlich gegen Bares, im kulturfreien Raum wüten. Außerdem haben Horden die seltene Gabe, sich auch betonverkleidete Strände schönzusaufen, dafür mag man sie in der Touristik ganz besonders. Verirrt sich ein Hordenmitglied versehentlich allein ans Tageslicht, ist sein Weg gepflastert von Fehlverhalten, da ihm jegliches Wissen über Land und Leute fehlt. Woher sollte er das auch haben, zu Hause glänzt er ja auch nicht gerade mit Raffinesse und Intellektualität. Sprachlich haben Hordenmitglieder jedoch wenig Probleme: Nach dem zweiten Eimer Sangria versteht man sie sowieso nicht mehr, egal in welchem Idiom.
Austauschschüler
Blutjung, rudimentäre Sprachkenntnisse und wenig Welterfahrung: Austauschschüler haben quasi ein Abonnement für Blamagen und Fettnäpfchen. Was nicht daran liegt, dass sie besonders dumm sind. Sollten sie sich in der ungewohnten Umgebung wider Erwarten gut anstellen, geben ihre neuen pubertierenden Freunde alles, um sie doch noch zum nächsten Fauxpas zu lotsen. Beliebt und bewährt sind Tricks wie obszöne Ausdrücke oder Gesten als vermeintliche Grußformel auszugeben (Wenn du im Laden was kaufst, sag einfach »Va te faire foutre« dazu, das sagt man bei uns in Frankreich so) und Ähnliches. Dank des G8-Abiturs und der allgemeinen Straffung der Studienzeiten zählen auch die nunmehr blutjungen Auslandsstudenten seit Kurzem wieder zu dieser Spezies.
Falls Sie sich in dieser Klassifikation nicht wiederfinden, kann das zwei Gründe haben: Entweder sind Sie einfach unauffällig und nett und tappen deshalb auch nur selten in Fettnäpfchen, oder Sie wissen nicht, dass Sie zu einer dieser Gruppen gehören. Sicher ist: Wer glaubt, eine Auslandsreise ohne Fauxpas bewältigt zu haben, war mit großer Wahrscheinlichkeit einfach nicht sensibel genug, die ungläubigen Blicke und das Gekicher der Einheimischen wahrzunehmen. Versprochen!
So blamieren Sie sich richtig!
Echten Globetrotteln gelingt es mühelos, die Charakteristika mehrerer Unterspezies auf sich zu vereinen – wer hat gesagt, dass man nicht doppelt trotteln darf? Zum Beispiel Hordenmitglieder, die wie Kolonialherren auftreten, Austauschschüler mit Adaptionisten-Tendenzen, Vielreisende, die selbstverständlich auch auf Pauschalreisen mit Safariausrüstung unterwegs sind, und so weiter und so fort …