Michael Schewe
Artem Tschuwin
Europa wir kommen!
Michael Schewe
Artem Tschuwin
EUROPA
WIR KOMMEN!
UND WIR WERDEN IMMER MEHR
Politische Hintergründe
und wahre Geschichten
von Flüchtlingsfamilien
1. Auflage 2015
© 2015 CBX Verlag UG (haftungsbeschränkt)
Frankfurter Ring 150
80807 München
info@cbx-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf in keinerlei Form - auch nicht auszugsweise - ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Lektorat: Ulla Bucarey
Umschlaggestaltung: Nina Knollhuber
Umschlagabbildung: iStock/geopaul/12563731
Layout und Satz: Sina Georgi
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
Printed in Germany
ISBN 978-3-945794-72-2
Vorwort
1. Das Boot ist voll
2. Die unsichtbare Bedrohung
3. Islamistischer Terror in Süd- und Südostasien
4. Afghanistan
5. Syrien
6. Irak
7. Wer manipuliert wen? Terrorgruppen und westliche Geheimdienste
8. Der Iran und die Rivalität zwischen Schiiten und Sunniten
9. Vom Jemen bis Afrika – Gotteskrieger auf dem Vormarsch
10. Milliardengeschäft Menschenschmuggel
11. Unterwegs nach Deutschland – Fünf Flüchtlinge berichten
12. Willkommenskulturin Deutschland: Wunsch und Wirklichkeit
13. Flüchtlingsunterkünfte als soziale Brennpunkte
14. Noch besorgt oder schon wütend? Bürgerlicher Protest
15. Knallharte kriminelle Strukturen – Parallelgesellschaften in Deutschland
16. Wollen wir das überhaupt? Integration von Muslimen
17. Der „amerikanisierte“ homo oeconomicus im entfesselten Kampf der Kulturen
Artem Tschuwin:
Interviews und Hintergrundinformationen
Quellenangaben
Literaturverzeichnis
Spätestens mit den Anschlägen Mitte November 2015 in Paris steht fest, dass der IS mehr als je zuvor gnadenlos entschlossen ist, den Terror ins Herz Europas zu tragen.
Die Strategie der Terroristen ist klar. Sie wollen die Staaten der Europäischen Union dazu bringen, in dieser kritischen Situation übereilte und unüberlegte Entscheidungen zu treffen. Es ist dies ein bewährtes Mittel der Gotteskrieger im Kampf gegen den verhassten Westen. Auch dieses Mal hat man sofort zurückgeschlagen. Eine mehr symbolische als militärisch erfolgversprechende Aktion. Doch nun gilt es Ruhe zu bewahren und nicht die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.
Seit dem Jahr 1979, als der iranische Revolutionsführer Ayatollah Kohmeini als erster islamischer Fundamentalist die Weltmacht USA herausgefordert hat, befinden sich die Islamisten auf dem Vormarsch. Die Amerikaner haben sie ebenso unterschätzt wie die Staaten der Europäischen Union. Man glaubte felsenfest an die eigene moralische und kulturelle Überlegenheit und zog die Möglichkeit, dass sich ganze Bevölkerungsgruppen absichtlich gegen Demokratie und Fortschritt aussprechen könnten, gar nicht in Betracht. Bis sich in Afghanistan die ehemaligen Verbündeten gegen den Westen erhoben und die Machthaber in Washington und den europäischen Metropolen eines Besseren belehrten.
Aus dem Krieg gegen „das Reich des Bösen“ wird ein Krieg gegen den Terror. Die Konfrontation zweier Ideologien wird durch das ersetzt, was Huntington zu Beginn des 21. Jahrhunderts „Den Kampf der Kulturen“ genannt hatte.
Unter dem Deckmantel religiöser Rechtgläubigkeit beginnt die Terrororganisation Al-Quaida ihren Kampf gegen den Westen, der am 11. September 2001 einen ersten erschreckenden Höhepunkt erreicht. Mit den Türmen des World Trade Center versinkt auch der Nahe und Mittlere Osten in Schutt und Asche.
Die Terroristen verstehen es, aus den Fehlern der USA und Europas Kapital zu schlagen. Geschickt nutzen sie den überall in muslimischen Ländern vorhandenen Antiamerikanismus, um Stimmung gegen den Westen zu machen. Jetzt rächt sich die skrupellose wirtschaftliche Ausbeutung der Dritten Welt. In den Augen der Islamisten wird der Westen zum Feind der Muslime und der Terror gegen die „Ungläubigen“ zum Dschihad, zum Heiligen Krieg.
Zum ersten Mal bekommen die Menschen in Deutschland die Folgen der Kriege, welche der Westen führt, zu Gesicht. Die Flüchtlingszahlen steigen kontinuierlich an, von Jahr zu Jahr strömen mehr Migranten nach Europa.
Für die Menschen in Deutschland kommt der Zustrom unerwartet. Medien und Politik haben es versäumt, die Bürger im Land über das wahre Ausmaß der Krise zu informieren. Es wird immer deutlicher, dass die Verantwortlichen keinerlei Vorbereitungen getroffen haben, um dem Problem Herr zu werden. Es fehlt an einer geeigneten Infrastruktur und funktionierenden Integrationskonzepten. Man ist gezwungen, die Migranten in Massenunterkünften unterzubringen. Als die ersten Meldungen von Ausschreitungen in Flüchtlingseinrichtungen im Internet verbreitet werden, erhebt sich Protest in der Bevölkerung.
Die Deutschen fühlen sich im eigenen Land nicht mehr sicher. Jahrelang hat man ihnen von muslimischen Terroristen berichtet. Jetzt hören sie von randalierenden Muslimen mitten in Deutschland. Fremdenfeindliche Rechtspopulisten greifen die Meldungen auf und beginnen mit einer beispiellosen Hetzkampagne gegen Muslime. Ihnen ist es egal, ob man sie als Nazis oder Populisten beschimpft. Sie sagen die „Wahrheit“, die von den Eliten im Land verschwiegen wird. Medien und Politiker rufen die Menschen dazu auf, den Demagogen keinen Glauben zu schenken.
Ende 2015 ist die Gesellschaft in Deutschland in drei Lager gespalten. Rechts die „Wutbürger“, links die „Gutmenschen“, in der Mitte die (noch) unentschlossene Mehrheit. Es herrscht eine ungeheure Anspannung im Land. Keiner weiß, in welche Richtung die Stimmung kippen wird. Man weiß nur, dass in den Krisengebieten im Nahen Osten und in Afrika Millionen Menschen in ständiger Todesangst leben. Noch harren sie in ihren Heimatländern aus. Fragt sich nur, wie lange noch.
Am Abend des 25.Oktober 2015 meldet die Bundespolizei Land unter. „Wir saufen heute ab“, sagt Behördensprecher Frank Koller der Presse.1 Die Situation im Bayern ist kritisch, man weiß nicht mehr, wo man die Flüchtlinge unterbringen soll, die aus Österreich kommend die Grenze passieren. Niemand mehr verbreitet Optimismus, auch von applaudierenden Deutschen, die gekommen sind, um den Migranten einen herzlichen Empfang zu bereiten, ist weit und breit nichts mehr zu sehen. Was viele seit Wochen prophezeit haben, ist eingetreten.
Eine Bekannte (die als ehrenamtliche Helferin für Flüchtlinge tätig ist) hat bereits Anfang September, also zu einem Zeitpunkt, als die Medien noch eifrig bemüht waren, negative Schlagzeilen zur Flüchtlingskrise zu vermeiden, das Bild vom vollen Rettungsboot benutzt, als sie mir erklären wollte, dass es besser wäre, den Zuzug von Migranten möglichst rasch zu begrenzen. Sie meinte, es sei eine Dummheit, immer mehr Flüchtlinge aufzunehmen. „Irgendwann kentert der Kahn und wir saufen alle ab“, stellte sie verärgert fest.
Kollers Worte haben mich an dieses Gespräch erinnert, und daran, dass wir damals einer Meinung gewesen waren über die Folgen einer solchen Situation. Sollten wir tatsächlich „absaufen“, wären wir nicht einmal mehr in der Lage, denen zu helfen, die bereits bei uns sind. Schon jetzt sind Kommunen und Städte überfordert mit der Versorgung der registrierten Flüchtlinge. Es nützt niemandem, wenn man sich die Arbeit schwerer macht als sie ohnehin schon ist. Abgesehen von den Rechtspopulisten natürlich. Die warten seit langer Zeit voller Sehnsucht auf den Moment, an dem sich die Konflikte in den Flüchtlingsunterkünften in ein einziges, kaum noch beherrschbares Chaos verwandeln. Schon jetzt nutzen sie jede noch so kleine Auseinandersetzung unter Flüchtlingen, um die Furcht vor den vermeintlichen Invasoren zu schüren.
Politik, Asylverbände und Prominente rufen zu mehr Zivilcourage und Engagement auf, und hoffen fest darauf, dass sich die Menschen in Deutschland für die Grundwerte unserer Gesellschaft einsetzen. Gegen Fremdenfeindlichkeit und Volksverhetzung, für Toleranz und Weltoffenheit. Leider reicht das im Kampf gegen die Flüchtlingskrise nicht mehr aus. In dieser Situation ist eine andere Art von Zivilcourage gefordert.
Der 2009 verstorbene Pädagoge Kurt Singer hat Zivilcourage als eine Form von Bürgermut definiert, die damit beginnt, „genau hinzusehen und wahrzunehmen, was wirklich ist: Statt wegschauen und das Unrecht in Schweigen hüllen.“ Er glaubt, dass Mut im Allgemeinen und Zivilcourage im Besonderen für Politiker schwierige Tugenden sind, weil sie oftmals für couragiertes Verhalten erhebliche Nachteile zu befürchten haben. Deswegen beschränken sich Politiker gerne darauf, von Bürgern jenen Mut einzufordern, den sie selbst aus Furcht um ihre Position und Reputation nicht aufbringen können oder wollen. Singer betont, dass aus eben diesem Grund die Gesellschaft auf „mutige Bürger“ angewiesen ist, die zum Protest bereit sind.
Der Politikwissenschaftler Gerd Meyer vertritt eine ähnliche Ansicht, wenn er schreibt, dass „es an Mut zum Widerspruch in der Politik, in den Parlamenten und Parteien mangelt, weil Unangenehmes und Gefährliches für einzelne Institutionen oder auch für die Gesellschaft insgesamt verschwiegen oder vertuscht wird.“ Deswegen fordert er die Bürger auf, mehr sozialen Mut zu beweisen und Verantwortung zu übernehmen, auch und gerade dann, wenn den Regierenden in bestimmten Situationen offen geäußerte Kritik ungelegen kommt.
Es ist typisch für die Situation in Deutschland Ende 2015, dass solche Worte von seriösen, kompetenten Wissenschaftlern kaum über die Hörsäle und Bibliotheken der Universitäten hinaus wahrgenommen werden. Man will nicht mit unangenehmen Fakten konfrontiert werden von Leuten, die man ernst nehmen muss. Da lässt man sich lieber von einem Mann wie Sarrazin kritisieren, dessen Kompetenz in diesem Punkt in jeder Hinsicht bezweifelt werden kann.
Lesenswert werden dessen Aussagen aber an der Stelle, wo er sich und seine Gesinnungsfreunde als soziale Mutbürger zu präsentieren versucht. Es ist offensichtlich, dass Sarrazin sich und die Wutbürger im Sinne der Aussagen von Singer und Meyer als couragierte Bürger darstellen will, die bestehende Missstände zum Wohle der Gemeinschaft aufdecken, allen Anfeindungen der Politiker und der „Lügenpresse“ zum Trotz. Ein mehr als misslungener Versuch, trotz der großen Worte. Interessant finde ich aber, dass er dabei unfreiwillig Auskunft über das soziale und politische Innenleben dieser „Bewegung“ gibt.
Seiner Meinung zufolge bedarf es des sozialen Mutes „einer geistig unabhängigen Minderheit“, um die Verengung des Zeitgeistes zu sprengen. „Die Fähigkeit, sich sozialem Druck mental zu entziehen, die eigene Urteilskraft ungetrübt zu erhalten und nach dem eigenen Urteil zu handeln, ist aber generell ein knappes Gut“, stellt Sarazzin fest, denn „das nicht angepasste Denken muss die Isolationsfurcht überwinden, die jeder geistige Sonderweg mit sich bringt. Dies gelingt meist dadurch, dass eine verschworene Gemeinschaft Andersdenkender entsteht, die sich zwar in ihrer Denkweise abgrenzt, dafür aber umso stärker aufeinander bezogen ist. (…) Das ist gleichzeitig auch ein Nährboden für Fundamentalismus innerhalb der Gruppe bis hin zur Radikalisierung. (…) Die Abhängigkeit des Einzelnen von seiner Gruppe kann dann unendlich groß werden. Das macht ihn so besonders wehrlos und fördert den Konformismus im Bezugssystem der Gruppe, aber auch die Gefahr, missbraucht zu werden. Dem Konformismuszwang in der Gruppe können wiederum nur ganz besonders starke Charaktere entgehen. Das sind aber meist auch jene, die den konformistischen Gruppendruck für eigene Machtzwecke nutzen und so dem ganz schlimmen Tugendterror Vorschub leisten.“2
An anderer Stelle fügt er hinzu, dass „die meisten normalen Menschen“ jene Meinungen teilen, „die sie als Mehrheitsmeinung in der Gesellschaft oder in der eigenen Bezugsgruppe wahrnehmen. So entstehen Moden des Denkens genauso wie Moden der Kleidung.“3
Die islamfeindliche Wutbürger-Bewegung als eine neue Mode des Denkens, geführt von starken Charakteren, die den konformistischen Gruppendruck für eigene Machtzwecke nutzen, weil sie sehr wohl wissen, dass die meisten Anhänger dieser Bewegung widerstandslos bereit sind, den Tugendterror innerhalb dieser für sie maßgeblichen Bezugsgruppe zu teilen?
Es sieht ganz so aus, oder, besser gesagt, es ist so. Die Kritiker von Politik, Wirtschaft und Medien sind längst in Parteien und großen Interessengruppen organisiert, welche von mehr oder weniger charismatischen und wortgewaltigen Persönlichkeiten dominiert werden. Diese haben sich zu Sprachrohren der Bewegung aufgeschwungen und versorgen ihre treue Anhängerschaft nun täglich mit neuen „Wahrheiten“ und „Enthüllungen“.
Sie nennen sich „Truther“, und betonen voller Zorn, dass sie nicht länger bereit sind, die Eliten mit all ihren Lügen und Vertuschungen ungeschoren davonkommen zu lassen. Sie warnen die Bürger in Deutschland davor, den Meldungen Glauben zu schenken, die von den Medien verbreitet werden. „Lügenpresse halt die Fresse!“ ist ihre Losung. Auf eigenen Internetseiten und Blogs informieren sie die wütenden Bürger im Land über all das, was in den Medien nicht zur Sprache kommt, und prangern mit deutlichen Worten skandalöse Missstände und schier unglaubliche Vorkommnisse an.
Die politisch korrekten sogenannten „Gutmenschen“ halten ebenso vehement dagegen und versuchen die Anhänger dieser neuen Mode des Denkens zu diskreditieren und zu diffamieren so gut sie nur können. Die Furcht vor einer schleichenden Islamisierung unserer Gesellschaft, welche von allen Kritikern der herrschenden Eliten geteilt wird, dient der „Lügenpresse“ dazu, den Wutbürgern Ausländerfeindlichkeit und Intoleranz zu unterstellen.
Wegen der hartnäckigen Proteste gegen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin und der damit verbundenen Forderung, den Zuzug von Flüchtlingen sofort zu stoppen und so viele Migranten wie möglich wieder abzuschieben, werden die Wutbürger als „Intelligenzflüchtlinge“ und „Wir-sind-keine-Nazis-aber-Idioten“ beschimpft.4 Man sprichtauch von „Schlechtmenschentum“ und „Arschlöchern“5 und berichtet von gewalttätigen Ausschreitungen gegen Journalisten und niveaulosen Verbalattacken auf Politiker (die bei Kundgebungen auch gern als „Volksverräter“ beschimpft werden).6
Man spricht den Kritikern der Regierung die Seriosität ab und verweist dabei auf das Vokabular ihrer Wortführer, welche die Flüchtlinge bevorzugt als „Asylforderer“ oder „Invasoren“ bezeichnen7 und von einer gegen Deutschland gerichteten „Migrationswaffe“8 sprechen. Dem begegnen die Befürworter der Flüchtlingspolitik mit demonstrativer Zurschaustellung der „Willkommenskultur“ und einem täglich erneuerten Bekenntnis zum „Einwanderungsland Deutschland“, das die Flüchtlinge sogar unbedingt braucht.9
Und mittendrin, gewissermaßen zwischen den erstarrten Fronten dieses ideologischen Stellungskrieges, stehen die sozialen Mutbürger, die laut Sarrazin die Einzigen sind, welche die Verengungen dieses Zeitgeistes zu sprengen vermögen. Bislang hat man nichts von diesem scheinbar verlorenen Häuflein gesehen oder gehört, doch nun hat eine unerschrockene Polizistin ihre Furcht vor Ausgrenzung und Häme überwunden und ist an die Öffentlichkeit getreten.
Ihr Name ist Tania Kambouri. Der Titel ihres kürzlich erschienen Buches lautet „Deutschland im Blaulicht - Notruf einer Polizistin.“ Was sie zu sagen hat, polarisiert nicht, es öffnet die Augen, jedem Einzelnen, ob man will oder nicht. Dieses Buch prangert nicht nur jene Missstände an, welche die Verantwortlichen im Land beharrlich zu verschweigen oder zu relativieren versuchen, es zeigt auch, dass man mit Mut weit mehr erreichen kann als mit Wut. Denn es gehört eine Menge Mut dazu, in einer derart aufgeheizten Atmosphäre zwischen die Fronten zu treten und in dieser Deutlichkeit die Stimme zu erheben, auch auf die Gefahr hin, dass man von beiden Seiten mit einem Schwall ideologischer Jauche übergossen wird.
Aber nichts dergleichen geschieht. Vielmehr kann man etwas beobachten, was man bis dahin nicht für möglich gehalten hätte. Die Verantwortlichen in Politik und Medien bekommen endlich den Mund auf und reden Tacheles, und die anscheinend völlig verdutzten Anführer der Wutbürger-Bewegung tun das, was sie sonst voller Empörung der verhassten „Lügenpresse“ zum Vorwurf machen: Sie schweigen betreten und ignorieren das Buch von Frau Kambouri geflissentlich. Dabei repräsentieren dieses Buch und seine Autorin nicht mehr und nicht weniger als die richtige Botschaft zur rechten Zeit. Auch wenn es inzwischen etwas später geworden ist als fünf vor zwölf.
Schon im Herbst 2013 hat Kambouri auf die unerträglichen Zustände in Deutschland aufmerksam gemacht. Damals hatte sie einen Leserbrief an die Gewerkschafts-Zeitschrift „Deutsche Polizei“ geschickt, der dort auch veröffentlicht wurde und auf ein sehr großes und vor allem positives Echo bei Kambouris Kollegen gestoßen ist. Sie lobten die griechischstämmige Streifenpolizistin für ihren Mut und dankten ihr dafür, dass sie offen aussprach, was viele seit langem dachten, aber nie zu sagen wagten. „Meine deutschen Kollegen scheuen sich, ihre Meinung über straffällige Ausländer zu äußern, da sofort die alte Leier mit den Nazis anfängt“, schreibt sie.
Dabei hat das, was ihr auf dem Herzen liegt, nicht das Geringste mit Ausländerfeindlichkeit oder menschenverachtender Nazi-Rhetorik zu tun. „Ich möchte etwas Positives für dieses Land erreichen, möchte, dass Politiker und Justiz sich Gedanken machen, damit nicht alles schlimmer wird“, erklärt Kambouri, und meint, es sei höchste Zeit, die Situation im Land grundlegend zu verändern. „Falls wir das unterlassen, uns stattdessen noch länger von Sozialromantikern und Kulturrelativisten blenden lassen oder die Probleme nur halbherzig angehen, steht unsere Gesellschaft vor einer inneren Zerreißprobe.“10
Das kann ich nur bestätigen. Ich habe mit vielen „kleinen Leuten“ gesprochen, welche die Geschehnisse im Land voller Sorge mitverfolgen und sich das, was die Wutbürger zu sagen haben, aufmerksam anhören. Immer wieder bin ich dabei Reaktionen begegnet, die zwischen Anerkennung und Ablehnung hin und her gependelt sind. Einerseits hat man anerkannt, dass die Regierungskritiker gerade jene Probleme deutlich und offen ansprechen, die von der Politik und den Medien nicht ausreichend gewürdigt oder gänzlich verschwiegen werden. Andererseits hat man die Polemik gegen Ausländer zum Teil scharf abgelehnt.
Die Leute stehen im politisch-ideologischen Niemandsland und fühlen sich von den Eliten in Deutschland nicht nur im Stich gelassen, sondern regelrecht „verarscht“. Sie sind empört über das Verhalten jener Ausländer, die ganz offen bekennen, dass sie nicht daran denken, sich den Werten und Normen in diesem Land unterzuordnen. Die Selbstverständlichkeit mit der manche Muslime im Alltag ihre Ansichten in puncto Frauen und Rechtsprechung zur Schau tragen, macht viele Deutsche zuerst fassungslos und dann wütend.
Ich spreche an dieser Stelle von den Männern und Frauen, die ich persönlich kenne, und die wie ich in bürgerlichen Verhältnissen leben. Wir alle haben seit unserer Kindheit mit Ausländern Tür an Tür gewohnt, sind mit ihnen zur Schule gegangen, haben mit ihnen im Sportverein Fußball gespielt und empfinden es nun als völlig normal, dass unsere Kinder Freunde und Freundinnen ohne deutschen Pass haben.
Wenn man wie ich seit 47 Jahren Ausländern begegnet, für die es kein Problem ist, sich im Rahmen der in Deutschland gültigen Wertvorstellungen frei zu entfalten, bekommt man Magenkrämpfe, sobald man hört oder sieht, wie andere Migranten sich hierzulande zum Teil unkritisiert aufführen können. Asoziales Verhalten wird bei Deutschen normalerweise auch auf breiter gesellschaftlicher Basis geächtet und verurteilt. Bezeichnet man aber einen Ausländer als asozial, ist sofort von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit die Rede. Es kann nicht sein, dass man in diesem Punkt je nach Staatsangehörigkeit Unterschiede macht, die anschließend auch noch oftmals damit begründet werden, dass der Islam und unsere Demokratie nur teilweise zueinander passen. Für mich ist dieses „Argument“ schwer nachvollziehbar, da ich Tag für Tag Muslime sehe, die ihre Religion, Tradition und Kultur problemlos praktizieren können, ohne negativ aufzufallen oder kriminell zu werden.
Kulturelle oder religiöse Unterschiede sind ebenso wenig eine Rechtfertigung für asoziales Verhalten wie politische Überzeugungen, es ist einzig und allein eine Folge von individuellen Entscheidungen, durch die sich der Betreffende gegen die Gemeinschaft stellt. Und mit Gemeinschaft meine ich all die in Deutschland lebenden Bürger, die sich unabhängig von Staatsangehörigkeit und Religion ganz selbstverständlich an die Regeln halten, die ein friedliches Zusammenleben von Millionen Menschen erst möglich machen.
Keiner von uns sympathisiert mit der Wutbürger-Bewegung oder rechtspopulistischen Parteien, aber wir alle fragen uns, an wen wir uns denn wenden sollen und können, wenn wir uns über etwas beschweren möchten, das mit der Flüchtlingskrise oder Ausländern zu tun hat. Es ist wie mit den deutschen Kollegen von Frau Kambouri. Die meisten unzufriedenen Bürger trauen sich nicht, den Mund aufzumachen gegenüber Leuten, die sie nicht seit Langem persönlich kennen, weil sie befürchten, dass man sie mit den Wutbürgern auf eine Stufe stellt oder womöglich sogar als rechtsextrem bezeichnet. Von überall her hört man Kritik an unfähigen Politikern und Medienvertretern, die ihr Fähnlein brav nach dem Wind drehen und jedem, der sich beklagt, mit der Nazi-Keule drohen, statt ihm zuzuhören.
Es hat sprachlos gemacht, wenn man mitansehen musste, wie die Eliten in diesem Land die Menschen den Wutbürgern in die Arme getrieben haben. Jeder, der sich zu Wort melden wollte, hatte nur die Wahl zwischen der Wutbürger-Bewegung und den etablierten Weiter-So-Eliten. Entweder man kritisierte von rechts außen oder man hat angesichts der menschenverachtenden Hetze dieser Rechtspopulisten seinen Ärger hinuntergeschluckt und weiter brav das Credo der Politik-Apostel heruntergeleiert. Es war die berühmt-berüchtigte Wahl zwischen zwei Übeln, wobei es jedem selbst überlassen blieb, zu entscheiden, welches das Kleinere ist.
Kambouri hat uns allen bewiesen, dass es noch eine dritte Möglichkeit gibt - sofern man mutig genug ist. Man kann auch entschlossen vortreten und die Eliten in diesem Land dazu zwingen, über ihre zerstörerische “Zwei-Affen-Mentalität” (alles sehen, aber nichts hören und nichts sagen wollen) nachzudenken, indem man dem zaudernden deutschen Michel mit aller Kraft in die Familienjuwelen tritt und ihn so aus seiner Angststarre reißt.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der sich keiner von uns länger den Luxus leisten kann, die Augen vor der Realität zu verschließen, nur weil sie uns Angst macht. Und genauso wenig können wir es den Eliten in diesem Land weiterhin erlauben, die Probleme totzuschweigen und die Sorgen der Menschen zu ignorieren. Diese Haltung der Verantwortlichen ist der Grund, warum die besorgten und frustrierten Menschen in Deutschland zu Wutbürgern werden und sich Stimmungsmachern zuwenden, welche Behauptungen in die Welt setzen, über die man zu anderen Zeiten bestenfalls herzlich gelacht hätte. Aber den Menschen ist eben nicht mehr nach Späßen zumute.
Statt zu handeln und die Öffentlichkeit über das ganze Ausmaß der Probleme zu informieren, haben Politiker und Medien nicht nur geschwiegen, sondern oftmals sogar gelogen und manipuliert. Kambouris Buch hat das eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Doch die Probleme, auf die Frau Kambouri uns alle aufmerksam gemacht hat, sind nicht die Ursachen der Misere in diesem Land, sondern eine Folge davon. Wenn man wissen will, was in diesem Land wirklich schief läuft, sollte man nicht nach unten, sondern nach oben schauen, hinauf zur Spitze der Gesellschaftspyramide, dorthin, wo seit Jahrzehnten fatale Fehlentscheidungen getroffen werden.
Nicht mit den Augen eines ideologisch eingeengten Wutbürgers, sondern mit denen des undogmatischen sozialen Mutbürgers.