ELKE REICHART

Was heißt hier
RESPEKT

Vorwort

Was heißt hier Respekt?!

Fußballer in aller Welt fordern »Respekt« – im Fernsehen und auf Plakaten beschwören sie ihre Fans: »Kein Platz für Rassismus!« Staatschefs schütteln sich mit eisigen Mienen die Hände und versichern sich »gegenseitigen Respekts, über alle Differenzen hinweg«. Ein abgewählter Parteichef zollt seinem Nachfolger zähneknirschend »aufrichtigen Respekt«. Auf Bürgerversammlungen geht es um die »respektbasierte Integration von Menschen mit Migrationshintergrund«, und in einem Leserbrief der lokalen Zeitung klagt ein Uniprofessor über mangelnden Respekt, weil seine Studenten nur noch auf ihre Handys starren. Im Lokalteil empören sich Senioren über die respektlose Jugend, die keinen Platz im Bus mache. In den sozialen Netzwerken wird erbittert diskutiert, ob man auf eine erhaltene WhatsApp-Nachricht sofort antworten müsse (»So viel Respekt muss sein!«), und in einer Talkshow verwendet ein bekannter Rapper das R-Wort fast inflationär – egal, ob es um seine »liebe Mutter« oder irgendeinen gefährlichen »Gangsta« geht.

Es kursieren ganz unterschiedliche Auffassungen von Respekt in unserer Gesellschaft. Die einen verstehen darunter Höflichkeit oder Ehrfurcht, die anderen Gehorsam oder Angst oder aber auch Toleranz beziehungsweise Akzeptanz. Respekt ist jedoch eine ganz eigene Form der Wertschätzung, Aufmerksamkeit und Ehrerbietung.

Drei eher theoretische Abhandlungen über den Begriff gibt es in diesem Buch: Was ist Respekt? Was hat sich geändert? Und, ganz wichtig, ein ausführliches Kapitel über den Selbstrespekt – wichtig, weil es hier um die Würde des Menschen geht im philosophischen Sinne: »Bediene dich deines Verstands, lass dich nicht unterdrücken, zeige Selbstrespekt.«

Darüber hinaus aber werden in diesem Buch vor allem viele Geschichten erzählt – Interviews mit Menschen, die mir davon berichteten, wie sie Respekt erlebten und wie sie ihn leben in ihrer Arbeit, im Privaten, im Umgang mit anderen und sich selbst gegenüber.

Es gibt ein Handy-Foto von mir, aufgenommen auf dem Platz vor der Münchner Staatsoper, kurz vor der Fertigstellung dieses Buches. Zwei Tage vor Heiligabend waren mehr als 12 000 Münchner zusammengekommen, um für Toleranz und gegen Fremdenfeindlichkeit und Pegida zu demonstrieren. Damals öffneten sich plötzlich die Flügeltüren der Oper, Chor und Orchester traten auf die Treppe heraus und sangen und spielten Beethovens »Freude, schöner Götterfunken«. Hinter ihnen flatterte zwischen den Säulen der Banner »Respekt«, vor ihnen standen die Münchner und sangen mit: »Alle Menschen werden Brüder …« Meinem Gesicht sieht man auf diesem Foto die Überraschung und Freude an. Endlich einmal keine Aggressionen, keine Wut, keine Schlägereien, dafür das wunderbare Gefühl einer respektgetragenen Gemeinschaft.

Selten haben mich die Arbeit an einem Projekt und das Schreiben von Geschichten so gefordert, mir aber gleichzeitig auch so viel Freude gemacht wie bei diesem Buch. Eine Schwierigkeit gab es allerdings: Jeder meiner Freunde – und ich meine wirklich: JEDER! –, mit dem ich über das Respekt-Thema sprach, hatte eine feste Meinung zu dem, was unbedingt noch in das Buch gehöre. Spontan konnte jeder von einem unverzichtbaren Aspekt, einem eindrucksvollen Menschen oder einem hochaktuellen Hintergrund berichten, ohne den das Buch auf keinen Fall erscheinen dürfe. Das Thema Respekt beschäftigt tatsächlich jeden. Heute bitte ich alle Freunde um Verständnis dafür, dass ich irgendwann akzeptieren musste, dass nicht alle vorstellbaren Geschichten in diesem Buch auch untergebracht werden können. Selbst jetzt, da ich dieses Vorwort schreibe, erreichen mich allein durch die aktuellen Nachrichten ununterbrochen neue Ideen. Respekt vor der Meinungsfreiheit, Respekt im Internet – das alles wird in der Zukunft noch viel problematischer werden, als es heute schon ist. Helfen, das habe ich durch meine Buchrecherchen gelernt, kann da nur der aufrichtige Respekt eines jeden von uns vor seinen Mitmenschen – und ein gesunder Selbstrespekt.

Anstand, Ehrlichkeit, Fleiß: Das alles sind selbstverständlich nach wie vor sehr wertvolle Tugenden. Respekt aber ist der Wert geworden, den man seinen Kindern mitgeben MUSS. Denn Respekt ist der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält.

Elke Reichart

Was bedeutet Respekt?

Der Respekt wird in unserem Wertesystem als »extrem wichtig« eingeordnet – in der Organisation komplexer Systeme wie Bildung, Wirtschaft oder Politik ebenso wie im täglichen Miteinander der Menschen. Jeder wünscht sich Respekt, jeder möchte anerkannt werden.

Das Problem ist, dass sich jeder unter Respekt etwas ganz Bestimmtes vorstellt, das nicht unbedingt mit den Erwartungen seiner Mitmenschen übereinstimmt. Respekt erscheint in vielen Formen, Missverständnisse sind oft nicht zu vermeiden.

Dr. Tilman Eckloff ist Respektforscher, er hat die Bedeutung des Respekts in Schule, Beruf und Gesellschaft wissenschaftlich untersucht. In diesem Buch nimmt er sich des Themas in zwei Kapiteln an.

Dr. Tilman Eckloff, Teil I: Respekt und seine Abgrenzung

Der Respektforscher

Eine Annäherung an einen schwierigen Begriff

Ein Gespräch mit Dr. Tilman Eckloff

Die RespectResearchGroup

Die »RespectResearchGroup« wurde 2003 von den beiden Psychologen Dr. Tilman Eckloff und Professor Niels van Quaquebeke in Hamburg gegründet: Eine der Universität angegliederte Forschungsgruppe, die Modelle entwickelt für den respektvolleren Umgang in unserer Gesellschaft. Ein Zusammenschluss von Jungwissenschaftlern der unterschiedlichsten Disziplinen, für die der Respekt der »Kitt der Gesellschaft« ist – ein bis heute in Deutschland einzigartiges wissenschaftliches Modell.

Der RespectResearchGroup geht es in ihrer Forschung um das systematische Untersuchen des Begriffs Respekt mit der Möglichkeit einer praktischen Anwendung für das Handeln in unterschiedlichen Feldern. Auf der Grundlage existierender philosophischer Ansätze und der empirisch (also mithilfe von Verfahren, die auf überprüften Erkenntnissen beruhen) arbeitenden Psychologie wird ein allgemeines theoretisches Rahmenmodell entwickelt. Für das, so die Überzeugungen der Wissenschaftler, inzwischen ein dringender Bedarf existiert: »Die Annahme, dass es für alle Menschen gemeinsame oberflächliche Kriterien gibt, die respektiert werden müssen, ist überholt. Mit Vielfalt umzugehen ist die Chance moderner Demokratien, die sich auf jeder Ebene abbildet, sei es in der Partnerschaft, in der Bildung, in der Politik oder in der Wirtschaft.«

Dr. Tilman Eckloff

Zum Interview kommt Tilman Eckloff, einer der beiden Gründer der RespectResearchGroup, im Kapuzenpullover und mit Rucksack; er ist 1975 geboren, blond, groß, schlank und allerbester Laune, was sich auch nach drei intensiven Gesprächsstunden nicht geändert haben wird.

Sein Lebensthema »Respekt« war bereits in seinem Elternhaus ein unanfechtbarer Grundwert gewesen. Vater und Mutter Eckloff lebten dem Sohn die Achtung vor der Natur vor, und darum marschierte Tilman Eckloff schon als Kind auf Demonstrationen gegen das Waldsterben mit, er protestierte gegen Atomkraft und hüpfte vor Giftmülldeponien durch die Reihen der Polizisten. »Ich hatte den festen Glauben an eine gerechtere Gesellschaft.« In seinen Visionen lebten glückliche Gleichgesinnte gleichberechtigt in Kommunen und verwirklichten friedlich und respektvoll den Aufbau einer schönen neuen Welt.

Bis zu der verhängnisvollen Woche im »Ökotopia«-Camp in den Pyrenäen, in dem der Gymnasiast Tilman mit Gleichgesinnten aus aller Welt Modelle für ein besseres Miteinander entwerfen wollte. Das Lagerleben nahm seinen friedlichen Lauf – bis plötzlich spanische Polizei-Hubschrauber am Himmel auftauchten und die vermeintlichen Terroristen observierten. Im Camp folgte eine Krisensitzung der anderen, es wurde diskutiert, was zu tun sei – nervenzermürbend, stundenlang, begleitet vom an- und abschwellenden Lärm der Hubschrauber.

Mittendrin meldete sich bei Tilman ein nagendes Hungergefühl. Im Gegensatz zu den anderen hatte er völlig vergessen, sich am inzwischen geschlossenen Küchenwagen zu versorgen. Er bat einen Mitbewohner, der mit drei dicken Käsebroten unter einem Baum saß, mit ihm zu teilen. »Bis heute habe ich seinen kampfbereit-verschämten Blick nicht vergessen und die Art, wie er seine Hände über dem Essen verschränkte. Für ihn war klar: Abgegeben wird nichts. Mir aber wurde auch etwas klar: Wenn die Ressourcen knapp sind, ist Schluss mit der gerechten Gesellschaft. Dann denkt jeder nur noch an sich selbst.«

Eine interessante Lektion für den jungen Idealisten. Tilman Eckloff zog daraus folgende Lehre: Wenn man will, dass alle gemeinsam etwas erreichen wollen und zufrieden sind, muss man die richtigen Strukturen dafür schaffen. In der Praxis hätte das im Camp durchgehende Öffnungszeiten für den Küchenwagen bedeutet. Und in der Theorie: die prinzipielle Anerkennung des gleichen Rechts aller auf freie Entfaltung. Mit anderen Worten: Respekt. Tilman hatte viele Illusionen verloren, aber sein Lebensthema gefunden.

Tilman Eckloff: Was ist Respekt?

Re/spic/ere, (lat.) u. a.: zurückschauen, berücksichtigen, beachte dich selbst, überdenke dich selbst

Etwas respektieren heißt zunächst einmal: es genau zu betrachten, es ernst zu nehmen, es klar und deutlich so wahrzunehmen, wie es ist. Respekt drückt sich aus in der Anerkennung des Mitmenschen mit allen seinen Gegensätzen als eine Person, die das gleiche Recht hat wie ich, sich frei zu entfalten.

In einer respektvollen Gesellschaft erkennen sich die verschiedenen Menschen wechselseitig als gleichwertig an. Das ist das Grundprinzip. Und darauf wird aufgebaut: Man handelt anschließend miteinander aus, wie die Ausgestaltung des Miteinanderlebens konkret aussehen soll. Das kann sehr unterschiedliche Formen annehmen, aber die wesentliche Voraussetzung ist die Haltung, den anderen wirklich wertzuschätzen, ihn für wichtig und ernst zu nehmen.

Ohne Respekt kann der Einzelne in unserer Gesellschaft keinen sicheren Ort für sich finden. Respekt ist die Grundlage, um in einer komplexen Gesellschaft in Frieden und Freiheit leben zu können.

Ein Mangel an Respekt kann unglücklich und krank machen, er zerstört Beziehungen und ist häufig der Grund für Partnerprobleme, Familienzwist, Sinnkrisen. Wer zum Beispiel auf seine Fragen keine Antworten oder auf sein Verhalten keine Reaktion von seinem Gegenüber bekommt, wird dies als Angriffe auf seine seelische Unversehrtheit empfinden und mit schwindendem Selbstrespekt reagieren. Den anderen beschämen, ihn erniedrigen, ihm Gewalt antun: Respektlosigkeit hat viele Facetten, die das Selbstvertrauen vernichten können.

Kann nicht einfach jeder jeden respektieren?

Nein, das ist nicht möglich. Respekt ist keine Eigenschaft, die man hat und die man dann immer und jederzeit auf jeden anwenden kann. Respekt entsteht in der Beziehung, die man zu einem anderen hat. Erst in einer konkreten Situation – zum Beispiel im Konfliktfall – erkennt man, ob man den anderen als gleichwertigen Partner anerkennt oder nicht. Wenn es keinen Streit gibt, dann ist der Respekt gar nicht herausgefordert. Wenn alles gut läuft, dann ist es mir vielleicht egal, was der andere denkt oder tut. Ich stimme dem anderen zu oder bin gleichgültig. Das alles ist noch kein Respekt. Erst wenn ich die Haltung des anderen ablehne, ist der Respekt gefordert – dann stellt sich die Frage: Wie gehe ich damit um?

Menschen sind soziale Wesen, sie tragen den Respekt voreinander grundsätzlich in sich. Ohne diesen schon vorhandenen Respekt gäbe es ständig noch viel mehr Probleme zwischen den einzelnen Individuen, Generationen, Milieus und Kulturen. Wir töten einander ja nicht nur deshalb nicht, weil es gesetzlich verboten ist, sondern weil wir uns im Großen und Ganzen respektieren. Allerdings gibt es immer wieder gesellschaftliche Systeme, die bestimmten Menschen ihre elementaren Rechte vorenthalten und sie als minderwertig degradieren. Dann ist auch der Respekt im persönlichen Miteinander mit diesen Menschen grundsätzlich in Gefahr.

Es gibt viele unterschiedliche Auffassungen von Respekt. Der Großvater will Respekt – soll heißen: Er will höflich behandelt werden. Der Lehrer verlangt Respekt – und meint Gehorsam. Man hat Respekt vor einem Hund oder dem Türsteher einer Disco – und hat in Wirklichkeit Angst. Man sagt, man respektiere Menschen aus anderen Kulturkreisen – und versteht darunter oft bestenfalls nicht mehr als tolerieren.

Was ist der Unterschied zwischen …

Respekt/Toleranz?

Toleranz lässt sich von dem lateinischen Verb »tolerare« ableiten, was in der Übersetzung »ertragen« oder »erleiden« bedeutet. Toleranz hat immer etwas Herablassendes, es hat den Beigeschmack, dass ein Mächtiger den Schwächeren duldet. Am Beispiel Migration: Der junge Türke mit dem Obstladen um die Ecke wird toleriert, solange er lieb und nett ist und nicht stört. Er aber will mehr – er will Respekt. Es reicht ihm nicht, geduldet zu werden, er will als gleichwertig anerkannt werden.

Und das aus gutem Grund. Wenn er nur toleriert wird, muss er sich an die herrschenden Verhältnisse anpassen und kann seine Freiheit und Identität nicht so entfalten, wie es ihm entspräche, wenn er anerkannt werden würde. Wird er hingegen als prinzipiell gleichwertiges Gegenüber respektiert, ist es nicht nur er, der sich anpassen muss, sondern auch die Gesellschaft, in der er lebt. Beide handeln dann in einem Prozess wechselseitiger Anerkennung aus, auf welche Weise ein Zusammenleben möglich ist und wie die Freiheit des Einzelnen so gelebt werden kann, dass sie sich in ein friedliches Miteinander integriert.

Respekt/Gehorsam?

Wer Gehorsam fordert, verlangt von dem anderen, dass er ihm folgt. Der Gehorsam aber sollte in einer respektvollen Beziehung immer freiwillig sein, nicht eingefordert werden. Eltern sollten ihren Kindern die Erfahrung vermitteln, dass diese selbst einen Wert haben, ebenso wie Lehrer ihren Schülern, Ausbilder ihren Auszubildenden, Professoren ihren Studenten. Die Jüngeren sollten wissen, dass das, was sie tun und sind, nützlich für die Gesellschaft ist. Dann bleibt das Gefühl, wertvoll zu sein, auch in solchen Zeiten erhalten, in denen die Leistungen in der Schule und im Beruf nicht den Vorstellungen der Umgebung entsprechen. Wenn Menschen fühlen, dass sie wirklich einen Wert haben, dann fällt es ihnen sehr viel leichter, Probleme und Konflikte auf Augenhöhe auszuhandeln.

Respekt/Liebe?

Respekt wird »geschuldet«, man »verdient« ihn oder hat etwas an sich, was Respekt »hervorruft«. Diese (alltags-) sprachlichen Verwendungsformen des Begriffs verweisen darauf, dass das Gegenüber aus Sicht dessen, der respektiert, bestimmte Merkmale besitzt, welche Beachtung und eine angemessene – respektvolle – Reaktion rechtfertigen.

Insofern unterscheidet sich Respekt von Liebe, denn er ist, anders als die Liebe, allgemeingültig. Die neue große Liebe kann bei der Umwelt auf Unverständnis oder Kritik stoßen, auf Ablehnung oder gar Hohn, während der Mensch, den man respektiert, auch von den anderen akzeptiert werden würde. Wenn ich jemanden liebe, heißt das noch lange nicht, dass andere diese Person genauso lieben müssten wie ich. Und es heißt auch nicht, dass ich andere, die dieselben Eigenschaften wie mein Geliebter haben, auch lieben würde. Wenn ich jedoch jemanden aus einem bestimmten Grund respektiere, dann würde ich auch alle anderen respektieren, die die entsprechenden Merkmale aufweisen.

Dementsprechend können wir auch Dinge respektieren, die wir nicht mögen oder mit denen wir überhaupt nicht übereinstimmen.

Horizontaler Respekt – vertikaler Respekt

In der RespectResearchGroup wurden die Begriffe des horizontalen und des vertikalen Respekts entwickelt.

Horizontaler Respekt setzt die Einsicht voraus, dass Menschen gleichwertig (nicht gleich) sind. Er basiert auf den Erkenntnissen des bedeutenden deutschen Philosophen der Aufklärung, Immanuel Kant (1724–1804): »Ein jeder Mensch hat rechtmäßigen Anspruch auf Achtung von seinen Nebenmenschen, und wechselseitig ist er dazu auch gegen jeden anderen verbunden.«

Die Wünsche und die Wahrheiten des anderen sollten also im eigenen Handeln bedingungslos berücksichtigt werden. Hier geht es im Wesentlichen um die prinzipielle Anerkennung des gleichen Rechts jedes Menschen auf freie Entfaltung.

Vertikaler Respekt dagegen basiert auf der Frage: Wem folge ich gern? Wer darf Einfluss ausüben?

Wir respektieren einen großen Intellektuellen, eine talentierte Führungskraft, einen integren Menschen, einen Lehrer, einen Sportler – aufgrund seines Wissens, seiner Fähigkeiten, seiner Leistung oder Eigenschaften. Von jemandem, den wir vertikal respektieren, würden wir uns auch etwas sagen lassen. Wir signalisieren, dass wir uns freiwillig und gern unterordnen würden – zumindest in dem Bereich, für den wir ihn/sie respektieren. Gruppen, die auf vertikalem Respekt aufbauen, funktionieren reibungsloser.

Die amerikanische Raumfahrtbehörde NASA hat schon sehr früh erkannt, dass wahre Führungsqualitäten nicht an der Anzahl der Sterne zu messen sind, die jemand an der Epaulette hat. Für die Zusammensetzung ihrer Spaceshuttle-Crews wurden daher schon im Vorfeld Simulationen auf der Erde durchgeführt, um herauszufinden, auf wen die Besatzung in Krisensituationen wohl am meisten hören würde. Diese Person wurde dann zum Chef gemacht und mit entsprechender formaler Macht ausgestattet. Dadurch wurde sichergestellt, dass die Spaceshuttle-Crew auch in brenzligen Situationen schnell und effizient handeln kann.

Diese Erkenntnisse lassen sich natürlich auch wunderbar auf Unternehmen oder andere Organisationen übertragen. Idealerweise sollten auch hier diejenigen die Führung übernehmen, von denen wir uns auch etwas sagen lassen. Denn wenn die »formale« Hierarchie in einer Organisation nicht mit der »natürlichen« Hierarchie übereinstimmt, gibt es große Reibungsverluste und viele Konflikte. Das gilt sowohl in der Wirtschaft als auch in der Schule oder bei Behörden.

Leider finden diese Erkenntnisse erst langsam Eingang in Managerschulungen oder bei der Auswahl von Führungskräften. Denn die Erkenntnis, dass man sich diese Art des Respekts erst verdienen muss, macht es natürlich für all diejenigen schwer, die denken, dass man ihnen allein schon deshalb folgen sollte, weil sie eine bestimmte Position als Lehrer, Führungskraft oder Trainer innehaben.

Respekt in der Schule

In einer idealen Welt gelingt es dem Lehrer, seine Schüler für das Wissen, das er ihnen vermitteln will, zu begeistern. Mit Engagement und gegenseitigem Respekt findet eine gemeinsame Suche nach Antworten auf die Frage statt, was die Welt im Äußeren und Innersten zusammenhält. In einer Atmosphäre von Achtung und Ruhe, an die man sich ein Leben lang gern erinnern wird.

Mag sein, dass diese Idealvorstellungen im realen Schulalltag oft empfindlich von Missverständnissen und Konflikten gestört oder sogar zerstört werden. Der Respekt jedoch, der maßgeblich zum Gelingen oder Scheitern eines Unterrichts beiträgt, sollte niemals infrage gestellt werden: der Respekt des Lehrers gegenüber den Schülern ebenso wie der Respekt der Schüler gegenüber dem Lehrer.

Der Schüler

Warum wir manche Lehrer respektieren und andere nicht

Ein Essay von Luca Kochendörfer

Luca Kochendörfer legte sein Abitur an einem naturwissenschaftlichen Gymnasium im Norden von München ab. Danach volontierte er bei der örtlichen Tageszeitung – um sich schließlich doch gegen den Journalismus zu entscheiden und für ein Jurastudium. Hier sein Rückblick auf Respekt in der Schulzeit.

»Respekt für eure Leistung!« Mit diesem Slogan warb Startrainer Felix Magath vor einigen Jahren für mehr Anerkennung gegenüber der Leistung von Sportlern, die auf einem anderen Gebiet als dem medienpräsenten Fußball Großes vollbringen. Respekt ist aber ein Wert, der auch in vielen anderen Bereichen unseres Lebens eine große Bedeutung hat. Eines der ersten Aufeinandertreffen mit sogenannten Respektspersonen haben die meisten Menschen wohl in der Schule. »Der Lehrer ist zu respektieren«, so wird es schon in der Grundschule propagiert. Dennoch kann ich nach zwölf Jahren Schulzeit und geschätzt über vierzig verschiedenen Lehrern sagen, dass nicht jedem Pädagogen dieselbe Menge an Respekt entgegengebracht wird.

Hier muss man von Anfang an differenzieren, denn Respekt ist ein sehr vielschichtiger Begriff. Auf der einen Seite beinhaltet er höfliches Verhalten der Menschen untereinander. Dieses Mindestmaß an guter Kinderstube dürfte wohl jedem Lehrer entgegengebracht werden, mag man nun meinen. Weit gefehlt! Jeder von uns könnte mit Sicherheit nach kurzer Bedenkzeit mindestens zwei Lehrer nennen, denen nicht einmal dieses Mindestmaß an Respekt zuteilwurde. Das äußerte sich dann in verschiedenen Symptomen wie Unpünktlichkeit, Schwätzen, Schlemmerbrotzeiten im Unterricht oder schlichtweg am Ton, der im Gespräch mit einem solchen Pädagogen die Regel war und noch heute ist. Jede Sekunde werden 150 Dosen Red Bull auf der Welt getrunken, und genauso schafft es jede Sekunde zwischen 8 und 13 Uhr pro Schule mindestens ein Lehrer nicht, dass ihm wenigstens ein Mindestmaß an Respekt gezollt wird. Die Schüler kommen, wann sie wollen, denken nicht einmal im Traum an eine Entschuldigung oder gar eine erfundene Ausrede, der Geräuschpegel im Klassenzimmer knackt jede Sekunde neue Höchstwerte, und es fehlt nur noch die Picknickdecke, um das Schlemmen optisch zu untermalen.

Und da sind wir schon bei einem Kernpunkt. Respekt erhält nur der Lehrer, der ihn auch einfordert! Wenn jeder von uns seine »Hall of Fame« der unrespektiertesten Lehrer vor seinem geistigen Auge vorbeiziehen lässt, dann wird vor allem ein Merkmal auffallen, das sie alle teilen: die nicht vorhandene Durchsetzungsfähigkeit. Ich will damit keinesfalls sagen, dass es am besten ist, wenn Lehrer schon bei einmaligem Verschlafen das erste Nachsitzen anberaumen. Keinesfalls! Dennoch ist »Schön, dass Sie doch gekommen sind« auch nicht das Mittel der Wahl. Wer sich respektlos behandeln lässt, der wird respektlos behandelt. Wer hingegen von der ersten Stunde an klare Grenzen zieht, der hat gute Chancen, dass diese auch befolgt werden.

Und hier sind wir bei einer weiteren Facette von Respekt: der Autoritäts- bzw. Angstkomponente. Denn wer eine »rote Linie« zieht, der sollte dies auch mit unlöslichem Stift tun. Schüler haben ein feines Gespür für solche Grenzen, und in den ersten Stunden eines neuen Schuljahres wird schnell ausgetestet, wie weit man gehen kann. Und wenn von Anfang an Einhalt geboten wird, dann bleibt das meistens auch den Rest der Zeit so. Ein für alle Mal, wie man so schön sagt. Einmal ein Exempel statuieren, dann ist es für den Rest der Zeit in den Köpfen verankert. Dass dazu nicht drakonische Strafen nötig sind, ist selbstverständlich klar. Wenn ein Lehrer eine gewisse Autorität hat – was oft mit dem Selbstvertrauen korreliert –, reicht oft auch ein strenges Wort. Wie gesagt, wir haben ein feines Gespür.

Das bringt auch eine Berechenbarkeit mit sich, die Schüler an Lehrern, so meine Erfahrung, durchaus schätzen. Wenn eine Aufgabe als Pflicht deklariert wird, dann muss sie auch in einer gewissen Weise eingefordert werden. Sonst ist das Verhalten des Lehrers denjenigen gegenüber respektlos, die sich die Arbeit gemacht haben. Sonst lässt sich der Lehrer von den einen respektlos behandeln und kann sich sicher sein, dass er es künftig auch von denen, die er auf diese Weise missachtet hat, mit gleicher Münze heimgezahlt bekommt! Sonst hat er damit den Respekt aller verspielt. Wenn er es nicht für nötig hält, dass die Arbeit gemacht wird, ist das ja ganz und gar nicht schlimm. Dann soll er es aber als freiwillige Aufgabe deklarieren und so bei seinem Wort bleiben. Berechenbarkeit ist wohl die wichtigste Eigenschaft eines Lehrers, und es ist kein Zufall, dass die unbeliebtesten Pädagogen die sind, die aus ihrer Laune heraus handeln.