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Daphne du Maurier war erst 19 Jahre alt, als sie sich 1926 dazu entschloss, das Feriendomizil ihrer Eltern im kornischen Bodinnick nicht mehr zu verlassen. Denn dort in Cornwall hatte sie ihre neue Heimat gefunden, wo sie nicht nur die Freiheit spürte, ihr Leben zu verbringen und die Natur zu genießen, sondern auch die Inspiration, zu schreiben.

In Zauberhaftes Cornwall setzt sie ihrem Herzensort ein Denkmal. Sie erzählt von der wunderbaren kornischen Landschaft, ihren Menschen und ihrer Lebensart. Ebenso Reiseliteratur wie Roman und Memoire, ist dieses Buch Daphne du Mauriers ganz persönliche Hommage an eine der reizvollsten Gegenden Englands, ein Buch voller Geschichten und Legenden, von geheimnisvollen Schlössern, verwunschenen Spelunken, Schmugglern und legendären Königen.

 

 

Daphne du Maurier wurde 1907 in London geboren und lebte seit ihrem 19. Lebensjahr in Cornwall. Alle ihre Romane lässt sie dort spielen: Jamaica Inn, Das Wirtshaus im Bodmin Moor, Meine Cousine Rachel und natürlich Rebecca, 1938 erschienen und von Hitchcock verfilmt. Daphne du Maurier starb 1989 Jahren in Kilmarth.

 

 

DAPHNE DU MAURIER

Zauberhaftes

Cornwall

Aus dem Englischen neu übersetzt von
Brigitte Heinrich

Insel Verlag

 

 

Umschlagabbildung: Robert Holmes/Corbis
Die Originalausgabe erschien 1967 unter dem Titel
Vanishing Cornwall. The Spirit and History of Cornwall
bei Gollancz, London.

 

 

 

eBook Insel Verlag Berlin 2014

Copyright © Daphne du Maurier and
Christian Browning, 1967 and © 1981

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

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Umschlag: cornelia niere, münchen

Satz: Satz-Offizin Hümmer GmbH, Waldbüttelbrunn

 

eISBN 978-3-458-73634-9

www.insel-verlag.de

Zauberhaftes Cornwall

 

 
 
 
In gemeinsamer Erinnerung und aus Liebe zu Cornwall – zum Gedenken an meinen Mann und für unseren Sohn Christian, der die Gegenwart fotografierte, während ich in der Vergangenheit schwelgte.

Menabilly, 1966.

Inhalt

Prolog

1 Ursprünge und Annäherungen

2 Auf der Suche nach Artus und Tristan

3 Klima

4 Die kornischen ›Hundreds‹ und Madron Well

5 Die Sage von Penrose

6 Die Hohe Küste und ›The Lizard‹

7 Die kornische Gentry

8 Die Tinner

9 Religion und Aberglaube

10 Exzentriker

11 Moore und Tongruben

12 Das Erbe der Brontës

13 Häfen und Sardinen

14 Schmuggler

15 Das Wo und Wann

Prolog

Ich sah ihn mit einem Stock auf das hohe Gras einschlagen, dann griff seine Hand plötzlich in die Tiefe und zog das sich krümmende und windende Wesen hervor.

Die Frauen, die sich um die Hintertür versammelt hatten, kreischten. »Töten Sie sie rasch«, riefen sie, »gleich, gleich, bevor sie beißt.«

Der Gärtner lächelte, die Schlange, deren Kopf ihm hilflos ausgeliefert war, fest in der linken Hand. Ihre Zunge zuckte blitzschnell hervor und verschwand. Er schlug mit seinem Stock ein-, zweimal gegen das Schwanzende, und die Schlange ringelte sich zusammen. Dann trat der Gärtner an den großen Baum mit der ausladenden Krone, der ein paar Meter neben dem Küchengarten dicht bei der Hintertür wuchs.

»Sie stirbt noch nicht gleich«, sagte er zu ihnen, »sie stirbt erst bei Sonnenuntergang.«

Er legte seinen Stock beiseite, ging in den nahe gelegenen Werkzeugschuppen und kehrte mit Hammer und Nagel zurück. Die Frauen beobachteten ihn fasziniert. Er schlug den Nagel irgendwo zwischen Kopf und Schwanz durch die Schlange und hämmerte sie fest an den Baum. Dann trat er einen Schritt zurück und sah zu, wie sie zappelte.

»Das wird sie den ganzen Tag über tun«, stellte er fest, »doch das Gift verliert sich, wenn die Sonne untergeht. Dann stirbt sie.«

Er wandte sich ab und ging in den Küchengarten. Die Frauen verschwanden im Haus, die Küchenmagd schwatzte aufgeregt auf die Köchin ein, das Hausmädchen rannte die Hintertreppe hinauf, um der Kinderfrau davon zu erzählen. Das Drama war vorüber. Der Tag nahm weiter seinen Lauf. Es war Morgen.

Jetzt war außer mir niemand mehr an dem Baum, und ich trat näher und starrte zu der Schlange hinauf. Sie war nicht sehr groß, überhaupt nicht wie die Ungeheuer im Zoo. Ihre Farbe war grünlich-schwarz. Ihr Körper wand sich manchmal, doch nicht die ganze Zeit. Ich fragte mich, warum sie bis lange nach dem Tee warten musste, um zu sterben. Verwirrt entfernte ich mich und ging zur Hauswand in der Nähe des Kinderzimmers im unteren Stock. Ein Tisch stand neben dem Fenster, darauf ein Käfig, und darin saßen zwei Tauben. Die Tauben waren ein Geburtstagsgeschenk gewesen. Ich war fünf Jahre alt. Ich starrte die Tauben an, wie ich die Schlange angestarrt hatte, mit gemischten Gefühlen. Das Wort Langeweile gehörte noch nicht zu meinem Wortschatz, doch hätte ich es gekannt, hätte es ausgedrückt, was ich empfand. Die Tauben langweilten mich. Sie hockten nebeneinander auf der Stange, gurrten oder zupften an ihrem Gefieder und verursachten einen widerlichen Schmutz auf dem Käfigboden. Jeden Tag mussten sie mit frischem Sand, frischem Trinkwasser, frischen Körnern versorgt werden, und das nahm wertvolle Zeit in Anspruch, die ich mit anderen Dingen, zum Beispiel mit Streifzügen durch den Garten, hätte verbringen können. Meine ältere Schwester hielt Kanarienvögel, glückliche Tiere, die tirilierten und sangen und sich auf einer kleinen Schaukel hin und her schwangen. Sie fand es nicht lästig, sich um sie zu kümmern, sondern sang mit ihnen, wenn sie ihren Käfig säuberte. Die Tauben waren anders. Sie drängten sich aneinander, mutlos und doch aufgeblasen in einer Art verzweifelter Gier, mit der sie bei der Fütterung mit den Schnäbeln aufeinander einhackten und sich gegenseitig von dem kleinen Futternapf verdrängten.

Ich ging ein weiteres Mal zu dem Baum, um mir die Schlange anzusehen. Sie bewegte sich immer noch und versuchte mit machtlos zuckendem Schwanz, sich zu befreien. Sie hatte die Hoffnung nicht aufgegeben und würde es auch nicht tun, bis die Sonne unterging. Sie wusste nicht, dass sie zum Sterben verurteilt war. Sie war tapfer, denn sie war wild. Sie war nie in einen Käfig eingesperrt gewesen. Ich rannte rasch zu den wartenden Tauben, die noch nicht gefüttert waren, schob den Haken des Käfigverschlusses zur Seite, und sperrte die Tür weit auf …

Tauben und Schlange gerieten im Verlauf des langen Sommertages in Vergessenheit. Auf den nahen Feldern machten der Farmer und seine Männer Heu, und meine achtjährige Schwester war in Arthur verliebt, den gutaussehenden Dunklen. Er setzte sie auf sein Pferd, und sie lächelte stolz wie eine Königin auf mich herab. Der ältere Mann, Tom, hob mich auf seinen Sattel. Doch das war nicht das Gleiche. Man hatte mich mit dem Trostpreis abgefunden.

Vom Haus her riefen sie uns zum Tee, doch anstatt ihn draußen zu trinken, gingen wir in das stickige Kinderzimmer, denn die Tante unserer Kinderfrau war aus London angereist, um den Tag hier zu verbringen, und alles musste perfekt sein. Ich erinnerte mich an die Tauben und sah verstohlen aus dem Fenster. Mein Herz setzte aus. Nur eine von ihnen war ausgeflogen, und ihre Gefährtin hockte niedergeschlagen allein auf der Stange. Es war schrecklich.

Wir setzten uns zum Tee, meine ältere Schwester von Träumen über Arthur beseelt, während die Jüngste, noch immer in ihrem hohen Kinderstuhl, gebieterisch die Hand ausstreckte und Marmelade auf ihr Butterbrot forderte. Die Älteren unterhielten sich. Sie hatten den offenen Käfig nicht bemerkt. Das Geplauder summte eintönig dahin, doch ich hatte keinen Appetit, denn irgendwo war die mutigere Taube in Freiheit und traf auf den Bäumen von Bookham Common bereits mit ihren wilden Artgenossen zusammen, während ihre schüchterne Gefährtin auf ihre Rückkehr wartete.

»Und was sind die Pläne für August?«, fragte die Besucherin.

Unsere Kinderschwester rührte mit einem Blick auf ihre drei Zöglinge in ihrem Tee. »Dieses Jahr gibt es eine Veränderung«, sagte sie, »etwas anderes. Sie fahren nach Cornwall.«

Die Wirkung war dramatisch, das Wort ›Cornwall‹ in der Betonung deutlich hervorgehoben. Es hörte sich an wie eine Reise zum Mond. Ich sah von ihrem netten, ernsten Gesicht – denn sie lächelte nicht – zu der Besucherin, die, ein Stück Kuchen auf halber Höhe zum Mund, überrascht innehielt.

»Nach Cornwall?«, rief sie aus.

Sie tauschten Erwachsenenblicke. Etwas Unausgesprochenes schien in der Luft zu liegen. Unvermittelt trat eine Pause ein, dann gingen sie zu anderen Themen über, als wäre dieses im Moment verboten. Ich dachte erneut an die Taube, die entkommen war. Nicht umsonst hatte ich sie Peter genannt und ihre zögerliche Gefährtin Wendy. Sie war die Erste gewesen, die eines Wolkenkuckucksheims zuliebe verschwunden war, das sich hinter Bookham Common auftat; möglicherweise war sie gerade jetzt flugs unterwegs nach Cornwall. Auf irgendeine Art und Weise musste die andere ihr folgen. Die Schuld lastete schwer auf meinem Herzen. Niemand durfte etwas erfahren. Wieder trat Schweigen ein, und als ich mich umsah, stellte ich fest, dass das Kinderzimmer im Schatten lag und aus der dahinterliegenden Halle kein Sonnenstrahl mehr hereinfiel. Bald wäre Sonnenuntergang. Zeit für die Schlange, zu sterben.

Ich rutschte ruhelos auf meinem Stuhl hin und her. Unsere Kinderfrau ahnte möglicherweise etwas und warf mir einen prüfenden Blick zu. Sie rührte noch einmal in ihrem Tee, doch ihr Blick ließ mein Gesicht nicht los.

»Ja«, sagte sie langsam, »ja, sie fahren nach Cornwall …«

Ich fragte, ob ich aufstehen dürfe, und sie nickte wortlos. Ich schlüpfte aus dem Zimmer und rannte nach draußen zu dem Taubenkäfig. Ein Wunder war geschehen. Der Käfig war leer. Ich blickte hoch in die umstehenden Bäume, doch da war nichts. Beide Vögel waren ausgeflogen. Morgen würde es wegen meiner Nachlässigkeit Beschuldigungen, Vorwürfe und Schelte regnen. Das spielte keine Rolle. Die Tauben waren frei und ich ebenfalls, denn nun würde ich sie nicht mehr füttern oder ihren Käfig säubern müssen.

Ein flirrender Sonnenstrahl fiel auf die höheren Äste des großen Baums neben der Hintertür. Ich beobachtete, wie er verschwand. Als ich an den Baum trat, sah ich, dass das lange, dunkle Geschöpf nicht mehr länger zuckte. Die Schlange war tot.

 

Der Eisenbahnwaggon war voll. Wir waren in Begleitung unserer Mutter und einer neuen Kinderfrau. Außerdem eines Kindermädchens und einer Gouvernante für die Ferien. Tatsächlich hatte sich alles verändert, und es waren sehr viele Personen, die sich um drei kleine Kinder kümmerten.

Der Zug fuhr in einen geschäftigen Bahnhof ein. Es herrschten Durcheinander und Geschrei. Wir alle waren müde. Um uns aufzumuntern, sagte unsere Mutter: »Wenn wir Plymouth hinter uns haben, kommen wir zu einer Brücke, und sobald wir die Brücke überquert haben, sind wir in Cornwall.«

Voller Erwartung hüpften wir aufgeregt auf der Stelle. Das Warten war unerträglich. Die Erwachsenen lächelten geheimnisvoll. Endlich verließ der Zug den Bahnhof, und bald darauf war ein merkwürdiges Rattern zu hören, als die Waggonräder auf die Brücke auffuhren. Um unsere fieberhafte Erregung noch weiter anzustacheln, hob die Gouvernante warnend die Hand. »Macht schnell die Augen zu«, befahl sie, »und macht sie erst wieder auf, wenn wir in Cornwall sind.«

Wir gehorchten, doch ich schummelte und öffnete meine, während wir uns noch auf der Brücke befanden. Es gab nichts zu sehen, nur Ausschnitte von Wasser zwischen etwas, bei dem es sich wohl um Eisenträger handelte. Das Geräusch des ratternden Zuges war furchterregend. Im einen Augenblick war es hell, im nächsten dunkel, dann hell, dann wieder dunkel. Ich war verwirrt, und die wenigen Augenblicke kamen mir vor wie Stunden. Plötzlich brach das Rattern ab, und die Räder änderten ihre Melodie. Überall war Licht, und die Sonne strömte durch das Waggonfenster.

»So. Jetzt sind wir in Cornwall«, sagte unsere Mutter und lachte.

Ich blickte hinaus und war ernüchtert. Was war hier anders? Die Landschaft sah unverändert aus. Häuser auf einem Hügel, noch ein kleiner Bahnhof, sogar die Menschen und die Träger auf dem Bahnsteig waren gleich. Was hatte ich erwartet?

Alle fingen gleichzeitig an zu reden. Die neue Kinderfrau hantierte mit dem Picknickkorb. Man reichte uns Tassen voll Milch, belegte Brote, Rosinenbrötchen. Angeblich war etwas Gewaltiges geschehen, als wir von Devonshire nach Cornwall übergesetzt waren.

Tief enttäuscht starrte ich weiter aus dem Fenster. Es musste ein Irrtum sein. Irgendwo erwartete uns das verborgene Land. Das war es nicht.

 

Im Alter von fünf Jahren, Mullion Cove … Im Alter von zehn Jahren, Kennack Sands … Im Alter von neunzehn Jahren, der erste Blick auf den Hafen von Fowey … Die Kinder, die die Tamar-Brücke nach Cornwall schon zuvor zweimal überquert hatten, waren größer geworden, obwohl die Jüngste noch immer ein Schulmädchen war.

Wir waren mit jeder Faser zu Abenteuern bereit, doch der Käfig hielt uns gefangen. Tatsächlich war der Käfig alles, was wir kannten. Der mit Sand bestreute Boden, die Körner, das Wasser, sogar die Stange, auf der wir hocken konnten, die Schaukel, um uns aufzuheitern. Wir waren umhegt, geliebt, beschützt. Kein Trio von Turteltauben konnte sich mehr wünschen.

Der Mietwagen kurvte schwungvoll um den Hügel, und unvermittelt tat sich unter uns in einem ausladenden Bogen der Hafen von Fowey auf. Der Kontrast zwischen der weiten Wasserfläche, den nahen Landungsbrücken, den ankernden Schiffen und auf der anderen Seite den grauen Dächern von Fowey, den auf dem Hügel gegenüber der Hafenmündung eng aneinandergedrängten Häuschen von Polruan und dem engen, klaustrophobischen Looe, wo wir die Nacht verbracht hatten, war erstaunlich, wie ein Tor zu einer anderen Welt. Plötzlich war ich hochfliegender Stimmung.

Der Mietwagen setzte unsere Mutter und uns am Fuß des Hügels bei der Fähre ab. Entweder konnten wir mit der Fähre nach Fowey übersetzen oder zuerst hier in Bodinnick im Ferry Inn zu Mittag essen. Es war beinahe ein Uhr, und wir entschieden uns für Letzteres. Bevor wir zum Mittagessen den Hügel hinaufstiegen, fiel unser Blick auf ein Schild an einem Tor gleich oberhalb der Fähre, auf dem »Zu verkaufen« stand. Hinter dem Tor war ein verwahrlostes Grundstück zu sehen und direkt am Ufer ein Haus, ein seltsam aussehendes Gebäude im Stil eines Schweizer Chalets.

»Ja«, sagte der Fährmann, der in der Nähe stand, »man nennt es Swiss Cottage. Früher wurden hier Boote gebaut, unten, und der zweite Stock wurde als Speicher benutzt. Der oberste Stock diente zum Wohnen. Ja, es steht tatsächlich zum Verkauf.«

Wir gingen in den Gasthof, um zu Mittag zu essen, und danach, beim Kaffee, unterhielt sich unsere Mutter mit dem Besitzer und erkundigte sich zuerst nach einer Unterkunft auf der gegenüberliegenden Seite in Fowey. Wir seien auf einer Reise durch Cornwall, erklärte sie, und sähen uns dabei nach einem Haus für die Ferien um; wir kämen aus London, aus Hampstead.

Ich war zu ungeduldig, um zu warten, als die Unterhaltung sich in die Länge zog. Ich gab den anderen mit dem Kopf ein Zeichen, dass sie mir folgen sollten, und überließ meine Mutter ihrem Gespräch. Wir gingen den Hügel hinunter. Meine Schwestern probierten das Tor nahe der Fähre und betraten das Grundstück. Ich machte noch ein Tor ausfindig und einen Pfad, der zur anderen Seite des Hauses führte. Hier gab es einen Garten, oder etwas, das einem Garten ähnelte, eine terrassierte Fläche über der anderen, und der Chaletteil des Hauses, der, wie es schien, gegen den Fels gebaut war, wies nach vorne mit Fenstern, die auf die Hafenmündung hinausblickten. Ich stand unterhalb des Chalets, das Wasser zu meinen Füßen, und schaute über die Hafenmündung. Überall lagen kleine Boote und Yachten vor Anker, doch noch aufregender war ein großes Schiff, das mit zwei Begleitschleppern näher kam und ein paar Kabellängen vom Haus entfernt festmachte.

In der Luft lag der Geruch nach Teer und Tauen und rostigen Ketten, der Geruch nach Tidenwasser. Unten am Hafen, hinter der Landspitze, erstreckte sich das offene Meer. Hier lag die Freiheit, die ich ersehnte, seit langem suchte, noch nicht kannte. Die Freiheit, zu schreiben, zu flanieren, zu wandern, die Freiheit, Hügel zu erklimmen, ein Boot zu rudern, allein zu sein. Es konnte nicht nur der Zufall sein, der uns zu dieser Fähre und an den Fuß von Bodinnick Hill geführt hatte, und damit zu dem Tor mit dem Schild, auf dem ›Zu verkaufen‹ stand. Mir fiel eine Zeile aus einem längst vergessenen Buch wieder ein, in der ein Liebender zum ersten Mal seine Auserwählte erblickt: »Ich für dies, und dies für mich.« Der Käfig war nicht verschlossen, und von den drei Tauben sollte ich die erste sein, die flügge wurde. Der Weg tat sich auf.

 

Die Erinnerungen stürzen auf mich ein, rasch und in großer Zahl. Ich lerne rudern, scullen, ein Kaninchen fangen und einen Fisch ausnehmen. Klettere auf die rostenden Rümpfe verlassener Schiffe. Bade nackt in einsamen Buchten. Schleiche mich heimlich auf Grundstücke, breche sogar in mit Läden verschlossene Fenster ein, meinen Mischlingshund auf den Fersen. »Wird es nicht langsam Zeit, dass Du nach London zurückkehrst? Wir können uns nicht vorstellen, womit Du Dir in Cornwall überhaupt die Zeit vertreibst. Mummy und Daddy vermissen dich schrecklich.« Ein zarter Hinweis meiner Tante und Patin, im Feuereifer ihrer Hingabe für die vereinte Familie. Sie war es, die mir mit fünf die Tauben geschenkt hatte. Der scharfe Holzgeruch eines Lagerfeuers. Das Brackwasser, wenn man ein sumpfiges Moor durchquerte. Die hohen Schornsteine des Jamaica Inn. Die herrliche Abgeschiedenheit eines grauen Herrenhauses tief zwischen hohen Bäumen und verwilderten Rhododendren, dessen Besitzer nie zu Hause war. Wenn ich beim Pferdetoto gewann, könnte ich vielleicht dort leben. Menabilly … Menabilly … Manderley …

»On the road to Manderley,

Where the flyin' fishes play …«

Eine Verwirklichung dieses Traums lag in weiter Ferne. Die Fensterluke, die auf den Hafen von Fowey hinausging, war noch immer mein Trost, und später ein gutaussehender Fremder auf einem vorbeifahrenden Motorboot, der zum Gruß winkte und später, bei Dunkelheit, mit der Schläue eines Soldaten ein Stelldichein mit mir verabredete. Ein paar Monate später schaute ich an meinem Hochzeitstag um acht Uhr morgens aus derselben Fensterluke und sah, dass die Häuser gegenüber geflaggt hatten, um die Braut zu grüßen, die übers Wasser zur Kirche fuhr und von der Hafenmündung aus zu ihrer Hochzeitsreise aufbrach, an den Helford River und zum Frenchman's Creek, in demselben Motorboot, das der Ort ihres ersten Stelldicheins gewesen war.

Später besaßen wir andere Boote, doch dies war seine erste Liebe, Ygdrasil, nach der Esche aus der nordischen Mythologie, unter der die Götter täglich ihren Rat abhielten. Jahr für Jahr wurden neue Maschinen eingebaut und wieder herausgerissen, in dem inbrünstigen Glauben, dass das Boot höchste Brecher bewältigen und auf ihnen zu fernen Horizonten segeln würde. Das Boot war unerschütterlich und ausdauernd und machte nie mehr als sieben Knoten. Und während ich dies in den sechziger Jahren niederschreibe, sind etwa vierunddreißig Jahre vergangen, und jetzt liegt es, dem Meer zugewandt, auf den Feldern Menabillys auf dem Trockenen, damit die Enkelkinder darin spielen können. In Nottingham erbaut, kreuzte es südwestlich in kornischen Gewässern und fand dabei, wie ihr Besitzer, Zufriedenheit. Weder das Soldatenleben noch die Kriege, für die Soldaten ausgebildet werden und in denen sie eines Tages kämpfen müssen, minderten seine Leidenschaft für das Meer.

Sein Beruf führte uns häufig von unserem geliebten Cornwall fort, doch wenn wir frei hatten und in den Ferien kehrten wir immer zurück. Einmal, von romantischem Eifer und von der Himmel weiß was für jungenhaften Träumen von Kavalieren und Rundköpfen beseelt, brachte er sein Grenadierbataillon nach Fowey und ließ es auf der Halbinsel Gribbin kämpfen. Der Kompaniekommandeur, der Befehl hatte, Gribbin anzugreifen, verirrte sich mit seinen Mannen hoffnungslos in den Wäldern von Menabilly und trat untröstlich den Rückzug an, das Ziel unerreicht. Heute ist dieser Kompaniekommandeur Generalmajor, und sollte ich ihm mit meiner Schilderung nicht ganz gerecht geworden sein, wird er mich in seinen Memoiren zweifellos berichtigen.

Der echte Krieg brach aus, hob Leben und Freizeit aus den Fugen, und inmitten all dessen wurde Cornwall damals für immer zu unserem wahren Zuhause. In Plymouth mochten die Bomben fallen, die Fenster klappern und über dem Strand von Pridmouth Minen explodieren, Fowey und sein Hafen zur Planung des D-Days der amerikanischen Marine überlassen werden, doch hier in Menabilly wuchsen die Kinder heran und gediehen. Jetzt haben sie ihre Schwingen ausgebreitet und sind ausgeflogen, wie vor langer Zeit meine Tauben aus ihrem Käfig. Die Tür stand offen. Wir glaubten nicht an Gitter.

Erinnerungen sind kostbar und, ob gut oder schlecht, niemals traurig. Ein Land, das man in all seinen Stimmungen kennt und liebt, webt sich in das Muster des Lebens ein und wird zu etwas, das geteilt und sichtbar gemacht werden muss. Wer in Cornwall geboren und aufgewachsen ist, hat gewiss das größte Verständnis für seine Menschen und ihre Lebensweise, für ihre Geschichte und ihre Legenden, ihre Möglichkeiten für künftiges Wachstum. Als eine, die seit langer Zeit versucht, dieses Land kennenzulernen, mit fünf Jahren auf der Suche nach Freiheit und später, um Wurzeln zu schlagen und Zufriedenheit zu finden, habe ich auf diesem Weg nur eine kurze Strecke zurückgelegt. Schönheit und Geheimnis locken noch immer.