Jagd auf die Paria

 

 

 

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Band 8

 

Jagd auf die Paria

 

von Ernst Vlcek, Dario Vandis und Christian Montillon

 

 

© Zaubermond Verlag 2012

© "Das Haus Zamis – Dämonenkiller"

by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

 

Titelbild: Mark Freier

eBook-Erstellung: story2go

 

http://www.zaubermond.de

 

Alle Rechte vorbehalten

 

 

 

 

Was bisher geschah:

 

Die junge Hexe Coco Zamis ist das weiße Schaf ihrer Familie. Die grausamen Rituale der Dämonen verabscheuend, versucht sie den Menschen, die in die Fänge der Schwarzen Familie geraten, zu helfen.

Ihr Vater sieht mit Entsetzen, wie sie den Ruf der Zamis-Sippe zu ruinieren droht. Auf einem Sabbat soll Coco deswegen zur echten Hexe geweiht werden. Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie der Dämonen, hält um Cocos Hand an. Doch sie lehnt ab. Asmodi kocht vor Wut, und das Verhältnis zwischen ihm und der Zamis-Sippe ist fortan von Hass geprägt.

Coco allerdings interessieren die Intrigen ihrer Familie wenig. Sie würde sich aus den Angelegenheiten der Schwarzen Familie am liebsten vollständig heraushalten. Und der Lauf der Ereignisse gibt ihr Recht. Als ihr Vater Michael Zamis den Aufstand gegen Asmodi probt, gerät die Zamis-Sippe prompt in große Schwierigkeiten, aus denen nur Coco sie wieder befreien kann. Die junge Hexe rettet ihrem Bruder Georg das Leben, als er auf der Teufelsinsel Asmodis dem sicheren Tod ins Auge schaut.

Von da an sieht zumindest Georg seine jüngste Schwester mit anderen Augen. Ohnehin ist Georg der einzige in ihrer Sippe, dem Coco ansatzweise vertrauen kann. Gleichzeitig weiß sie jedoch, dass auch Georg der Schwarzen Familie fest verbunden ist und ihre Andersartigkeit höchstens toleriert, sie nicht aber versteht. Mit ihrem Vater Michael Zamis dagegen steht es noch schlimmer. Er bringt, um Asmodi nach dem gescheiterten Putsch zu besänftigen, Coco als Bauernopfer dar. Sie wird nach Südamerika unter die Obhut ihres Großonkels Enrique Cortez verbannt. Doch damit ist Coco nur für kurze Zeit »aus dem Weg geschafft«. Nach ihrer Rückkehr nach Wien deckt sie eine Verschwörung auf: Skarabäus Toth, der scheinbar so ehrenwerte Advokat und Schiedsrichter der Schwarzen Familie, hat eine Armee von Toten hinter sich versammelt, um Asmodi den Thron streitig zu machen. Doch ehe Coco anderen von ihrer Entdeckung berichten kann, versetzt Toth ihren Geist in eine der lebenden Leichen. In einem uralten verbrauchten Körper kann sie fliehen – aber was ist dieses »Leben« wert, das sie gerettet hat ...?

 

 

 

 

Erstes Buch: Die sterbende Hexe

 

 

Die sterbende Hexe

 

von Christian Montillon und Dario Vandis

 

1. Kapitel

 

Michael Zamis schnitt dem Opfer mit einer raschen Bewegung die Kehle durch. Der doppelte Kreidekreis auf dem Boden flammte auf; der Erdgeist im Inneren der magischen Aura heulte und irrte in den engen Grenzen des Kreises umher. »Nichts, nichts! In diesem Körper ist nichts, das noch lebt.« Er wand sich und versuchte zu entkommen, musste sich jedoch der magischen Aura beugen.

Michael Zamis zwang ihn unerbittlich, weiter zu suchen. »Wo befindet sich Coco Zamis?«

Die Kreatur wand sich. »Sie ist hier, nur hier im Keller, und ich kann sonst nichts finden, sie ist tot.«

Zamis brach das Ritual ab, und der Erdgeist nutzte die Gelegenheit, sich zu verflüchtigen. Cocos Leichnam lag unverändert auf der Bahre. Michael Zamis fluchte. Sie hatten mehr über das neueste – und letzte – Rätsel herauszufinden versucht, das der missratene Spross Coco ihnen aufgegeben hatte. Zeit und Energie hatten sie investiert, sogar ein Opfer dargebracht.

»Nun, Georg«, brummte er, »was hat es uns geholfen?«

»Vater«, antwortete der Angesprochene, »es ist offensichtlich, dass mit Cocos Tod irgendetwas nicht stimmt. Toth hat …«

»Schweig mir mit Toth! Er hat uns genug Ärger bereitet – dank Cocos Eigenmächtigkeiten. Was auf Schloss Waller geschehen ist, hat sie sich selbst zuzuschreiben.«

Michael Zamis Reaktion war ungewohnt impulsiv. Offenbar trifft Cocos Tod ihn stärker, als er zugeben möchte, dachte Georg.

»Du glaubst, dass Coco tot ist«, erwiderte er, »aber warum geht ihr Leib dann nicht in Verwesung über?«

»Dafür habe ich auch keine Erklärung. Aber ihr Körper liegt vor uns, und es ist eindeutig, dass kein Leben mehr in ihr steckt.«

»Ein fremder Einfluss muss die Ursache sein. Vielleicht hat Toth …«

»Es bestand durchaus die Möglichkeit, dass Cocos Seele aus ihrem Körper verschlagen wurde, das gebe ich zu. Aber alle Versuche, sie zu orten, sind fehlgeschlagen. Soeben hat dieser jämmerliche Erdgeist nichts finden können. Wir sind diesem Geheimnis nicht auf die Spur gekommen. Niemand weiß, welche Kräfte Coco entfesselte, als sie an der Macht der TABULA TENEBRARUM rührte. Sie hat ihr Geheimnis mit in den Tod genommen.«

»Lass ihren Körper hier, Vater!«, bat Georg. »Wir sollten beobachten, wie lange dieser Zustand anhalten wird.«

Michael Zamis überlegte einen Moment, dann nickte er. »Ich habe nichts dagegen, auch wenn ich jede weitere Untersuchung für Zeitverschwendung halte. Allerdings kannst du nicht auf unsere Unterstützung hoffen. Ich muss in den nächsten Tagen fort, um einige dringende Geschäfte zu erledigen. Deine Brüder werden mich begleiten.«

Georg begriff, dass sein Vater ihm damit ein Ultimatum setzte. Wenn er zurückkehrte, erwartete er ein endgültiges Ergebnis. »Ich werde mich um Coco kümmern«, sagte er gehorsam.

Michael Zamis verließ den Keller, und Georg blieb allein zurück.

Er hatte als Einziger die Hoffnung nicht aufgegeben, dass Coco noch leben könnte, aber obwohl er Zeit gewonnen hatte, hatte er keine Idee, wie er dem Geheimnis der Unversehrtheit von Cocos Leichnam auf die Spur kommen sollte.

Da lag sie vor ihm, aufgebahrt, das lange schwarze Haar zu beiden Seiten herabfließend. Im Tode wirkte sie so zerbrechlich – gerade wegen der schrecklichen Verletzungen, die die Untoten des Skarabäus Toth ihr zugefügt hatten. Dunkle Flecken entstellten ihren zarten Hals und zogen sich bis über Brust und Bauch. Die Sklaven der TABULA TENEBRARUM hatten ganze Arbeit geleistet. Auf Cocos Gesicht lag der Ausdruck des Schmerzes, den sie in den letzten Sekunden ihres Lebens empfunden haben musste.

Cocos Tod war ein schwerer Schlag für die Zamis-Sippe. Zwar hatte sie immer schon als weißes Schaf gegolten, aber nun war einmal mehr klar, dass die Zamis angreifbar waren.

Ich muss das Geheimnis ihres Todes lösen, dachte Georg.

Denn dass es ein Geheimnis gab, war unverkennbar. Ganz tief in seinem Innern glomm immer noch ein Funke Hoffnung, dass Coco lebte, dass ihr Geist irgendwo in diesem Körper gefangen war und sich nicht bemerkbar machen konnte. Eine Art magisches Koma, bei dem sämtliche Organe ihren Dienst einstellten …

Er konnte sich genauso gut irren. Aber er war bereit, das Risiko einzugehen, wenn er damit seine Schwester retten konnte.

 

Irgendwo, im Zwielicht

Er konnte sich nicht bewegen, das war das Erste, was in seinem Bewusstsein aus der Benommenheit aufstieg. Arme und Beine waren mit Bändern fixiert. Dieser Erkenntnis folgte die Erinnerung an einen Namen.

Daniel Harris.

Harris – das war er.

Wie kam er hierher?

Ein Schmerz stieg in ihm auf, Taubheit in Händen und Füßen, wo die Lederriemen die Blutzirkulation unterdrückten. Er öffnete die Augen und presste sie gleich darauf wieder zu. Er hatte nichts gesehen. War er blind? Bevor Panik in ihm emporkriechen konnte, öffnete er erneut die Augen.

Das Zimmer, in dem er sich befand, war abgedunkelt. Er konnte in dem Dämmerlicht schwach die Umrisse des Raumes erkennen. Eine Tür und kahle Wände, deren Farbe er nicht bestimmen konnte. Möglicherweise weiß oder ein helles Grau. Egal.

Er versuchte, aus seiner Erinnerung heraus mehr zu erfahren. Harris. Daniel Harris. Steuerberater. Verheiratet.

Er sah seine Frau vor sich. Ihre braunen Haare, lang und glatt. Sie war schön. Ein ebenmäßiges Gesicht, hohe Wangenknochen, volle Lippen. Ihre Figur war schlank und biegsam. Sie liebte ihn, sie waren glücklich.

Daniel Harris sah die Fotografie vor sich, die sie zu ihrem zehnten Hochzeitstag hatten machen lassen. Da war seine lachende Frau, und da war er selbst: blondes, für einen Mann ungewöhnlich feines Haar, in der Mitte gescheitelt, mit makellosen, fast zu schönen Gesichtszügen. Lediglich die etwas zu dünnen Lippen störten. Dennoch war einmal eine Modelagentur an ihn herangetreten. Er könne Karriere machen, hatten sie gesagt.

Daniel Harris, festgezurrt auf einer Liege, dachte zurück und merkte, dass da noch mehr war. Etwas, das er in seinem bürgerlichen Leben als erfolgreicher Steuerberater gern verdrängt hatte. Etwas, das er selbst nicht wahrhaben wollte, das aber immer wieder an die Oberfläche gespült wurde und ihn beherrschte. Er konnte nicht anders. Er brauchte es.

Kinder. Jungen.

Jung mussten sie sein, vor dem Erwachen der eigenen Sexualität. Er lauerte ihnen auf, und er belästigte sie. Nein, er vergewaltigte sie nicht, wozu auch. Nur sie zu bedrängen, zu spüren, wie …

Aber das passte nicht in sein Leben, sein verdammtes bürgerliches Leben. Also wurde das verheimlicht, vor der Welt, vor seiner Frau.

Schnell entstanden Probleme. Seine Frau bemerkte, dass »etwas mit ihm nicht stimmte«. So nannte sie es. Oh, sie kannte ihn gut, denn sie sagte es immer dann, wenn er unruhig wurde. Wenn es wieder so weit war. Wenn er es brauchte, wenn er es zu lange vor sich hinschob.

Sie stritten sich dann. Immer wieder. Erst einmal im Monat, dann einmal die Woche. Nachdem er es dann hinter sich hatte, versöhnten sie sich wieder. Dann fand er auch seine Frau wieder attraktiv.

– Eine Zeitlang. –

Irgendwann verlangte sie Erklärungen. Also gab er ihr, was sie wollte. Erklärungen waren leicht zu finden, leicht zu erfinden. Doch mit der Zeit meinte sie, das sei alles widersprüchlich. Da begann er ihre Arroganz zu hassen. Ein Jahr lang schlief er im Wohnzimmer. Da wurde alles besser.

– Eine Zeitlang. –

Doch weil es ihm zu Hause nicht mehr gefiel, trieb es ihn nach der Arbeit immer öfter an irgendwelche geheimen Orte, zu irgendwelchen kleinen Jungen. Wenn die Arbeit dann überhandnahm, fragte er sich, warum er eigentlich schuftete und das Geld seiner Frau in den Hals warf. Er dachte an Scheidung, aber es war nicht möglich. Das würde kein gutes Licht auf ihn werfen. Die Nachbarn, das Gerede … Er war stolz auf die Fassade, die er errichtet hatte. Auf den ach so hübschen, blondgescheitelten Erfolgsmenschen, den er nach außen hin gab. Also hielt er es aus.

– Eine Zeitlang. –

Dann kam der Tag, wo er nach Hause kam und ein Stöhnen aus dem Schlafzimmer hörte. Die Tür stand einen Spalt breit offen, und er konnte genau auf das Bett sehen. Seine Frau saß auf einem anderen. Da setzte in seinem Kopf etwas aus. Er ging aus dem Haus und wartete, bis ein fremder Mann sein Haus verließ. Dann ging er wieder hinein. Seine Frau begrüßte ihn beiläufig wie immer. Vielleicht setzte sie ihm schon monatelang Hörner auf und trieb es mit diesem Kerl. Er ging auf sie zu und schlug ihr ins Gesicht. Dann legte er seine Hände um ihren Hals und drückte zu.

– Eine Zeitlang. –

Als sie endlich leblos auf dem Boden lag, lief er in die Küche, holte ein langes Messer und erledigte den Rest. Blutverschmiert ging er auf die Straße, hörte noch verschiedene Schreie, dann versank die Welt in roten Farbschleiern.

Jetzt schnürten Riemen seine Arme und Beine und seine Leibesmitte. Auf einmal war ihm klar, wo er sich befand. Ein Irrenhaus. Man hatte ihn hierher gebracht und wie einen Psychopathen auf einer Trage festgeschnallt.

Dabei hatte er doch nur getan, was nötig gewesen war.

Das hatte er auch Dr. Cheryl Evans gesagt, als sie am nächsten Tag zu ihm gekommen war.

»Ich kann mir denken, wer Sie sind«, hatte er ihr das Wort aus dem Mund genommen. »Die Chefin dieser Anstalt.« Das Gesicht von Dr. Evans war so ganz anders als das seiner Frau. Sie hätte ihn sicherlich nicht betrogen, nicht mit diesem verhärmten Gesicht. Sie war so kühl. Nicht einmal Guten Tag hatte sie gesagt.

Cheryl. Er mochte sie. Doch sie betonte, an ihm als Patienten Interesse zu haben. An seinem Fall. Zuerst wehrte er sich, er sei doch kein »Fall«, er habe in einem Irrenhaus nichts zu suchen.

»Klinik«, verbesserte sie ihn.

Natürlich war er nicht wirklich verrückt. Nach einigen Besuchen von Dr. Evans gestand er sich jedoch ein, dass er ein psychisches Problem hatte. Erstmals erzählte er von den Jungen. Seltsam, sie fehlten ihm gar nicht.

Dr. Evans sah erschrocken aus, und doch sagte sie mit kühler Professionalität: »Sehen Sie, Mr. Harris, jetzt kommen wir der Sache näher.«

Das konnte er nicht so sehen. Im Gegenteil, er saß hier in dieser Zelle fest, und das war es, was ihn langsam aber sicher verrückt machte. Bald würde er wirklich ein Fall für dieses Irrenhaus sein. Das sagte er Dr. Evans auch, und dabei wurde er zum ersten Mal wirklich ungehalten. Er schnauzte sie regelrecht an. Sie wandte sich ab.

Am nächsten Tag kam sie nicht. Danach immer seltener. Diese vier Wände machten Daniel Harris immer mehr verrückt. Bald rastete er aus, es war ganz ähnlich wie damals, als er seine Frau im Bett mit einem anderen erwischt hatte. Doch diesmal war niemand da, den er strafen konnte, auch Cheryl nicht.

Er trat gegen die Tür. Er schlug gegen die Tür. Er rannte mit dem Kopf gegen die Tür.

Knockout.

Jetzt lag er auf dieser Pritsche, und sein Kopf tat ihm weh. Weil es heller wurde, erkannte Daniel Harris, dass die Tür geöffnet worden war und Licht in das abgedunkelte Zimmer fiel. Zwei Pfleger betraten den Raum, hässliche Typen. Wortlos kam einer der beiden auf ihn zu. In seiner Hand hielt er eine Spritze. Ehe Harris zu irgendeiner Reaktion fähig gewesen wäre, drückte der Pfleger ihm den Inhalt der Spritze in den rechten Arm. Er sah noch das teuflische Grinsen des Mannes über sich.

»Deine Tage sind gezählt, Harris!«, vernahm er wie durch Watte die Stimme des Pflegers.

Dann wurde es langsam dunkel. Die Welt versank in Schwärze, in bodenloser Dunkelheit.

In der Nähe der Klinik, bei Philadelphia

Es war neblig, dunkel und kalt. Die beiden Gestalten konnten kaum die Hand vor Augen sehen, und doch fanden sie sich gut zurecht.

»Da lang, hat er gesagt, der Doktor«, spie der eine aus und lachte gluckernd. Ein Speichelfaden lief aus seinem Mund, den er wegen einer seltsamen Kieferstellung nie ganz schließen konnte. Rechts zeigten seine Lippen stets einige darunter liegende schiefstehende Zähne, und selbst diese lagen nicht aufeinander.

Der andere lachte ebenfalls. Er stützte sich auf eine Schaufel, damit er schneller vorankam. Sein rechtes Bein endete dicht unterhalb des Kniegelenks, und er nutzte die Schaufel als Krücke. »Unser Doktor hat uns noch nie den falschen Weg gewiesen«, meinte er und verzog sein nicht minder hässliches Gesicht. »Er lässt uns nicht im Stich.«

»Pah!«, brummte der Erste und schwang die Hacke, die er in seiner Linken trug. »Wir müssen gleich da sein.«

Der Zweite stützte sich mit der Schaufel auf eine Wurzel und verlor das Gleichgewicht. Eine Spinne krabbelte über seine Hand. Er zerquetschte sie mit einer raschen Bewegung.

»Steh auf«, sagte sein Begleiter. »Ich sehe den Platz schon.«

Tatsächlich fanden sie nur etwa zwei Meter weiter in dem dichten Wald die Stelle, die ihnen vom Doktor genannt worden war. Zwischen großen Tannen lag ein Stück frisches Erdreich, dem man ansah, dass hier vor kurzem gegraben worden war. Mit Hacke und Schaufel machten sich die beiden Unholde an die Arbeit. In der weichen Erde kamen sie rasch voran. Als der eine die Schaufel wieder ansetzte, um etwas Erde auszuheben, stockte er. Eine Hand ragte aus der krümeligen Erde.

»Guter Doktor.« Er lachte abfällig.

»Wir sollten weitermachen. Ich habe Hunger.«

Vorsichtiger als zuvor holten die beiden in den nächsten zehn Minuten die Leiche aus der Erde. Der Körper enthielt Restwärme. Er konnte noch nicht lange in dem unterkühlten Boden gelegen haben.

»Befreien wir ihn von dem letzten Schmutz«, meinte der mit dem kurzen rechten Bein. Seine Hände hatten nur vier Finger, der Mittelfinger fehlte. Das hinderte ihn nicht daran, rasch und geschickt die Gesichtszüge des Mannes von feuchter Erde zu befreien. Anschließend fuhr er durch die feinen blonden Haare. »Hätte eine Karriere als Model machen können.«

»Hätte er. Jetzt macht er Karriere als Mahlzeit.«

Die verwachsenen Unholde begannen mit ihrem Schreckensmahl. Nach einigen Minuten lag ein Skelett auf dem Waldboden. Sie warfen die Überreste zurück in die Grube und bedeckten sie mit Erde.

Dann machten sie sich lautlos davon.

 

In der Klinik

Thomas Eddington fühlte sich unwohl, als er das geräumige Büro von Dr. Cheryl Evans betrat. Die Ärztin bat ihn Platz zu nehmen und schloss die Tür hinter ihm.

»Was führt sie zu mir?«, fragte sie, während sie in Eddingtons Kliniküberweisung blätterte, die er in fachmännischer Weise hatte fälschen lassen.

»Ich bin Boulevard-Fotograf«, sagte Eddington und versuchte ein hilfloses Grinsen aufzusetzen. »Tag und Nacht bin ich Prominenten auf der Spur, immer auf der Suche nach dem besten Schnappschuss. Sie wissen schon, nur damit irgendein Redakteur ein Foto hat, um das er seine hanebüchene Glamourstory entwickeln kann. Ich habe schon alles gemacht: Hochprominenz, Sportler, Schauspieler, sogar die Queen. Ich bin ausgebrannt, völlig erledigt. Ich brauche einfach ein paar Tage Ruhe.«

Dr. Evans schaute ihn über den Rand ihrer Brille hinweg an, als sei sie im Zweifel, ob er ihr Mitleid verdiene. »Ich hoffe, Sie sind nicht hier, um einige meiner Patienten abzulichten«, sagte sie nervös.

Eddington hob die Hände. »Nie im Leben. Hab die Kamera zu Hause gelassen. Ich muss eine Pause machen, sonst dreh' ich durch.«

Er hätte sich am liebsten ins Fäustchen gelacht. Es schien alles nach Plan zu laufen.

Er glaubte einer ganz großen Sache auf der Spur zu sein. Er wollte in der psychiatrischen Klinik von Dr. Cheryl Evans ermitteln. Angeblich wandte sie unmenschliche Methoden an, um ihre Patienten zu heilen. Gerüchte kursierten: von Essensentzug, tagelanger Fixierung in völlig abgedunkelten Einzelzellen, Drogenmissbrauch und anderen Grausamkeiten. Thomas Eddington wollte wissen, ob die Behauptungen der Wahrheit entsprachen. Waren es nur Verleumdungen von Kollegen, die der jungen Dr. Evans ihren Erfolg neideten? Ihr eilte der Ruf voraus, selbst als unheilbar krank eingestufte Patienten wieder fit zu bekommen.

Dr. Evans blätterte gedankenverloren in der Akte. Sie stellte ihm einige Fragen zu seiner blitzsauberen Krankheitsgeschichte, die er zusammen mit seinem Redakteur entworfen hatte. Sie wirkte dabei irgendwie abwesend, als sei sie gerade mit einer ganz anderen Sache beschäftigt. Eddington trug die Antworten glaubwürdig und scheinbar spontan vor.

»Sie haben Glück«, sagte die Ärztin. »Ich habe noch einen Raum frei. Eine Suite sogar, die allerdings nicht günstig ist. Wie Sie wissen, werden alle Kosten privat abgerechnet.«

»Das ist kein Problem«, sagte Eddington schnell. »Die Redaktion zahlt. Sie sagen, sie brauchen mich so schnell wie möglich zurück. Das sollen sie sich ruhig was kosten lassen!« Er grinste wie über einen guten Witz.

»Dann werde ich jetzt Dr. Walker rufen, der Sie auf Ihre Suite bringen wird.« Sie drückte einen Knopf, und wenig später öffnete sich eine Tür.

Ein etwa vierzigjähriger Mann trat ein. Er humpelte leicht und hatte einen kahlen Schädel.

»Ich darf Ihnen meinen Assistenten Dr. Walker vorstellen«, fuhr Dr. Evans fort. Ihre Miene war abfällig, als sie diesen Satz aussprach. Thomas Eddington entging das nicht. »Walker, zeigen Sie Mr. Eddington die Klinik.«

Walker, dachte Eddington. Kein Doktor mehr, als sei er nur ein notwendiger Lakai. Hier herrschten wahrhaft seltsame Zustände.

Als er mit Dr. Walker kurz darauf durch die Gänge der Klinik ging, fiel ihm auf, dass dieser nicht nur leicht humpelte, sondern manchmal das linke Bein wie taub hinter sich herzog. Außerdem zeichnete sich unter seinem lose fallenden Arztkittel eine ungewöhnliche Beule auf seiner Brust ab. Seine Augen waren dunkel umrandet.

Ein unheimlicher Kerl, dachte Eddington.

Dr. Walker zeigte Eddington das Klinikgebäude. Neben dem Kiosk im Erdgeschoss befand sich ein öffentliches Telefon, direkt daneben der Eingang zur Besuchertoilette. Eddington erblickte einen geschmacklos eingerichteten Fernsehraum, in dem sich einige Patienten aufhielten, einen Ruheraum mit einer bequemen Couch und eine Teeküche, die für alle Patienten frei nutzbar war. Die Klinik hatte nur wenige Patientenzimmer, wie er an der Rezeption erfuhr. Hinter dem Pult saß eine ältere Dame, die längst über die Pensionsgrenze hinweg sein musste. Sie gab Eddington bereitwillig Auskunft.

Als sie die Rezeption verließen, knurrte Walker: »Die Alte wird auch bald abkratzen.«

Eddington schluckte.

»Vertrocknete Alte«, setzte Walker hinzu. Dann ging er weiter.

Im ersten Obergeschoss standen sie dann vor einer verschlossenen Tür.

»Hier geht es zu den schweren Fällen«, sagte Dr. Walker.

»Könnte ich vielleicht einen Blick hineinwerfen?«, fragte Eddington neugierig.

Er wurde enttäuscht. »Nein, dort können nur enge Angehörige hinein. Aber glauben Sie mir, dort tummeln sich interessante Gestalten.«

»Wie meinen Sie das, Dr. Walker?«

Dieser rieb sich die Hände und kicherte. »Schwere Fälle eben. Die, die völlig ausgerastet sind.«

»Also medizinisch interessante Fälle?«

»Ja, ja.«

Eddington kam das ganze Gehabe Dr. Walkers so vor, als stecke mehr dahinter.

Bald darauf wurde ihm sein eigenes Zimmer zugewiesen. »Sie sollten sich schon einmal ein wenig einrichten«, empfahl Walker. »Zwar wird Dr. Evans sich erst morgen genauer mit Ihnen beschäftigen, aber ich bin überzeugt, Sie werden hier einige Zeit verbringen. Wie lange leiden Sie schon unter Depressionen?«

»Es hat schon vor etwa vier Jahren angefangen.«

»Wann wollten Sie sich das erste Mal umbringen?«

»Den ersten Versuch, mich zu töten, unternahm ich vor neun Monaten.«

»Was haben Sie getan?«

Eddington begann am Haaransatz leicht zu schwitzen. Seine sorgfältig zurechtgelegte Krankengeschichte drohte durch eine unbedachte Äußerung ins Wanken zu geraten. Er durfte jetzt keinen Fehler machen. »Tabletten. Ich habe eine ganze Schachtel Schlaftabletten geschluckt. Danach habe ich mich übergeben.«

Dr. Walker gab sich damit zufrieden. Er öffnete die Tür zu Eddingtons Zimmer. »Treten Sie ein, Mr. Eddington.«

»Danke. Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder, Dr. Walker.«

»Natürlich«, sagte Walker. Ein sadistisches Grinsen lag um seine Lippen.

Eddington schloss die Tür. Er war froh, Walker los zu sein.

Das hässliche Gesicht des Doktors verfolgte ihn bis in die Nacht hinein. Irgendwann schreckte er auf und war völlig verwirrt. Er bekam schlecht Luft und stand auf, um das Fenster zu öffnen. Da sah er im Hof der Anstalt einige dunkle Gestalten hin und her eilen. Einmal meinte er, ein metallisches Aufblitzen wahrzunehmen.

Er wankte zum Bett zurück und fiel in tiefen, traumlosen Schlaf.

Erst in den frühen Morgenstunden wachte er wieder auf und wusste nicht, ob er sich diese kleine Episode nur eingebildet hatte.

 

In einem Flugzeug auf dem Weg nach Boston

Ich fand nur langsam zu mir, wie aus einem tiefen Schlaf erwachend. Es kostete mich ungewohnt große Mühe, die Augenlider zu öffnen.

Ungewohnt? Ja. Die Augen, mit denen ich sah, gehörten nicht mir, sondern einer Frau namens Monika Beck. Mein Bewusstsein lebte in ihrem Körper, dem durch die Magie der TABULA TENEBRARUM die Lebensenergie entzogen worden war. Eine Teenagerin, war sie innerhalb von Sekunden zur Greisin gealtert.

Als die Sklaven der TABULA TENEBRARUM mich attackierten und meinen Körper töteten, hatte sich mein Bewusstsein in den Leib Monika Becks geflüchtet. Das Ergebnis war, dass ich jetzt in diesem hinfälligen Körper festsaß. Aber das war immer noch besser als der Tod.

So konnte ich nicht einmal den Triumph auskosten, dass Skarabäus Toth, der verräterische Schiedsrichter der Schwarzen Familie, die TABULA TENEBRARUM hatte vernichten müssen, um alle Spuren seiner Intrige gegen Asmodi zu verwischen. Ich hatte seine Pläne gründlich durchkreuzt.

Aber mir würde nicht viel Zeit bleiben, diesen bitteren Sieg zu genießen. Monika Becks Körper war bereits gestorben, nur die Magie der TABULA hatte ihn am Leben erhalten. Mit der Vernichtung des Buches der Toten hätte er eigentlich zu Staub zerfallen müssen – wenn ich nicht rasch den Körperwechsel vollzogen hätte. So steckte ich in einem Leib, den es eigentlich gar nicht mehr geben durfte, und der längst vom Keim des Todes befallen war.

Wie viel Zeit blieb mir noch, bevor der Zerfall einsetzte?

Stunden? Tage? Vielleicht ein paar Monate?

Ich hatte vor Erschöpfung fast den kompletten Flug über geschlafen, obwohl die Sorge um meine Zukunft mich kaum zur Ruhe kommen ließ. Im Traum hatte ich den Augenblick noch einmal erlebt, in dem mein Vater, Georg und Volkert auf Schloss Waller aufgekreuzt waren, um meinen Leichnam abzuholen. Sie hatten Toth für das Unglück verantwortlich gemacht, aber sie konnten ihm nichts beweisen. Der Schiedsrichter der Schwarzen Familie wies ihre Verdächtigungen zurück.

Ich hatte sie aus dem Gebüsch beobachtet, mich jedoch nicht zu erkennen gegeben – aus Angst vor Skarabäus Toth und aus Angst davor, dass einige Mitglieder der Familie meine Schwäche ausnutzen und mich endgültig töten würden. Ich wusste, dass ich keinem von ihnen vertrauen konnte. Vielleicht Georg, meinem ältesten Bruder, aber er stand innerhalb unserer Sippe ziemlich allein da mit seiner Meinung über mich.

Ich hatte mich heimlich davongemacht und irgendwo mit frischen Kleidern versorgt. Das war gar nicht einfach gewesen, denn ich hatte feststellen müssen, dass mir meine Hexenkräfte in Monika Becks Körper nicht zur Verfügung standen.

Ich konnte mich jedoch noch an diverse Zaubersprüche erinnern, die jedermann sprechen konnte, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Das war ein schlechter Ersatz für echte Magie, aber ich konnte damit immerhin eine alte Frau vorübergehend außer Gefecht setzen und mich an ihrem Kleiderschrank und ihrem Geldbeutel bedienen, der erfreulich gut gefüllt war. Bald war ich am Wiener Flughafen angelangt und hatte mich auf den Weg nach London gemacht.

Mein erster Gedanke war, meine Freundin Rebecca aufzusuchen. Aber sie war fort, und meiner Schwester Lydia, die mit ihr zusammenwohnte, wollte ich auf keinen Fall begegnen. Sie hätte meine Lage schamlos ausgenutzt.

Ratlos stand ich irgendwo in der Londoner Innenstadt, als mir schwindlig wurde. Der alte ausgelaugte Körper Monika Becks brauchte eine Ruhepause. Hilfreiche Hände streckten sich mir entgegen, als ich taumelte. »Kann ich Ihnen helfen?«, wurde ich gefragt, murmelte jedoch nur etwas Ablehnendes. Ich setzte mich auf eine Bank, da mir etwas schwarz vor Augen geworden war.

Langsam klärte sich mein Blick, und ein Gedanke setzte sich in mir fest. Monikas Körper reagierte nicht so, wie ich es gewohnt war, doch dieses Gefühl war nichts völlig Neues für mich. Schon einmal war ich in einem anderen Körper gefangen gewesen – sogar nacheinander in mehreren anderen Körpern. Der Seelenfänger aus der künstlichen Dämonenfamilie der Alcastas hatte damals sein grausames Spiel mit mir getrieben. Mit mir und über hundert anderen Personen, als er sein sadistisches Vergnügen daran hatte, Seelen und Körper von uns allen zu trennen und wie in einem makabren Karussell einander auszutauschen.

Sheridan Alcasta! Ich hatte ihm das Handwerk gelegt, doch nie hatte ich erfahren, was aus ihm geworden war, damals in der Klinik von Bill Maddock. Ich war zunächst davon ausgegangen, dass er von seinen eigenen Opfern getötet worden war, als sie sich auf ihn gestürzt hatten. Sheridan Alcastas Opfer waren aus seinem Bann befreit worden, Seelen und Körper wieder so vereint worden, wie es seine Richtigkeit hatte. Es lag nahe zu denken, dass dies durch den Tod des Seelenfängers ausgelöst worden war, doch später hatte es Gerüchte gegeben, er habe überlebt.

Was war aus ihm und dem Rest der Alcasta-Familie geworden? Die Alcastas hatten große Pläne gehabt, doch man hatte nie wieder von ihnen gehört. Sie waren in der Bedeutungslosigkeit versunken. Ich hatte Sheridan Alcasta gehasst für das, was er mir angetan hatte. Jetzt wurde er zu einem Lichtblick, zu meiner einzigen Hoffnung, an die ich mich wie an einen Strohhalm klammerte.

Er musste mir helfen, ob er wollte oder nicht!

Wo ich ihn finden konnte, wusste ich nicht, in Bill Maddocks Klinik hatte sich seine Spur verloren. Doch ich hatte damals über eine alte Freundin meines Vaters Kontakt zu der Alcasta-Sippe aufgenommen – besser gesagt, sie hatte mich auf höchst unfeine Art und Weise zu sich gezwungen.

Die alte Mara. Ich hatte sie nie wieder gesehen, aber das sollte sich jetzt ändern. Vielleicht konnte sie mir sagen, wo sich Sheridan Alcasta befand. Der Gedanke, dass er vielleicht tot war, schien mir unerträglich. Das durfte nicht sein.

Es musste doch eine Möglichkeit geben, diesen alten, verbrauchten Körper zu verlassen …!

Ich schreckte aus meinen Gedanken auf, als das Fahrwerk der Boeing auf dem Landefeld des Bostoner Flughafens aufsetzte.

Maras Antiquitätenladen war nicht mehr weit entfernt.

 

In der Nähe von Boston, Massachusetts

Ich war lange nicht hier gewesen, und so wunderte ich mich über die hässliche Front des Gebrauchtwarenladens, die zwischen einem noblen Juwelier und einer Bank völlig deplatziert wirkte. Ich öffnete die alte Glastür, was eine Glocke zum Scheppern brachte. Das Zwielicht im Laden erhellte kaum das Chaos aus Tausenden Gegenständen, von denen die meisten absolut wertlos waren. Alles war dermaßen überfüllt, dass eine leere Stelle in einem der Regale direkt auffiel. In einer Reihe von mit lateinischen Aufschriften versehenen magischen Apothekengläsern fehlte eines. Hätte ich über meine alten Kräfte verfügt, hätte ich sicher erkennen können, welches Glas aus der nach magischen Gesichtspunkten aufgestellten Reihe fehlte. So jedoch war ich magisch blind. Ich quälte Monikas alten Körper zur Kasse, an der Mara stand und sich mit einem Kunden unterhielt.

Er war großgewachsen und muskulös. Als er mich erblickte, brach er das Gespräch ab und ließ mir den Vortritt. Ich nahm an, dass er aus Höflichkeit handelte, und bedankte mich. Doch er ignorierte mich und betrachtete stattdessen einige Gegenstände im Schaufenster.

»Mundfauler Kerl«, murmelte Mara und wandte sich rasch mir zu, was ihre großen Armreife zum Klingen brachte. Das war Mara, wie ich sie kannte: über und über mit Schmuck behangen, dicke Ohrringe, protzige Ringe an fast jedem Finger, lange goldene Ketten um den Hals.

Mit ihren stechenden Augen sah sie mich an. Natürlich erkannte sie mich nicht, und ich sah keinen Grund, mich zu offenbaren. Damals hatte sie in gutem Kontakt zu meinem Vater gestanden, mancher in der Schwarzen Familie hatte sogar etwas von einer Liaison geflüstert. Ich wollte nicht riskieren, dass meine Familie auf diese Weise von meinem Schicksal erfuhr.

Endlich verließ der Kunde das Geschäft. Ich atmete erleichtert auf.

Maras Augen blitzten in ihrem knochigen Gesicht. Sie machte einige Schritte auf mich zu, musste sich dabei einmal unter einem seltsamen Möbelstück, das in den Raum ragte, ducken, da sie sehr groß war. Ich vermochte keinerlei magische Ausstrahlung an ihr festzustellen, doch ich wusste, dass sie eine reinrassige Dämonin war. Ich sah, wie sie ihre Lippen zusammenpresste. Offenbar hatte sie bemerkt, dass mit mir etwas nicht stimmte. Nun, ich hatte mir eine passende Geschichte zurechtgelegt, die sie hoffentlich zufrieden stellen würde.

»Was kann ich für Sie tun?«, fragte sie.

»Mein Name ist Monika Beck. Unsere Sippe lebt in Deutschland. Ich weiß über dich Bescheid, Mara.« Das sollte eigentlich genügen, damit Mara wusste, dass sie es mit keinem normalen Kunden zu tun hatte.

»Ich habe nie von den Becks gehört«, sagte sie achselzuckend.

»Wir halten uns gerne im Hintergrund, doch wir sind stets gut informiert. Wer etwas wissen will, der kommt zu uns, und es ist eine Frage der Ehre, dass er bei uns Auskunft bekommt, wenn er gut bezahlt. Deshalb müssen wir über vieles Bescheid wissen. Es gibt Gerüchte um das, was vor einigen Jahren hier geschehen ist.« Ich ließ eine berechnete Pause folgen, in der Mara mich durchdringend ansah. »Damals machte die Alcasta-Familie von sich reden, bevor sie von heute auf morgen von der Bildfläche verschwand. Um einen ihrer Vertreter, Sheridan Alcasta ranken sich merkwürdige Geschichten.«

Sie blickte mich spöttisch an. »Du willst also wissen, was damals geschah. Nun, das ist kein Geheimnis. Sheridan Alcasta war ein Seelenfänger, der mit den Menschen gespielt hat. Es bestand die Gefahr, dass die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Schwarze Familie fiel. Ich habe geholfen, seine Untaten aufzudecken.«

Das war ja allerliebst. Ich konnte mich sehr gut daran erinnern, wie skeptisch sie reagiert hatte, als ich ihr von den Umtrieben der Alcastas erzählte. Und jetzt stellte sie es so hin, als hätte sie die Sippe damals im Alleingang besiegt!

»Man erzählt sich, dass die Alcastas nicht sonderlich beliebt waren«, sagte ich.

»Das stimmt«, erwiderte Mara. »Sie waren neu in der Stadt. Die Alcastas waren eine Symbiose von sieben unbekannten Familien, deren Anfangsbuchstaben das Kunstwort »Alcasta« ergaben – die Ambix, Laton, Crocus, Agathodaimon, Sacrobosco, Temurah und Arbatel.«

Daran erinnerte ich mich sehr gut. Gerade mit der Temurah-Magie hatte ich einige unangenehme Erfahrungen sammeln müssen.

»Was geschah mit Sheridan Alcasta, als seine Machenschaften aufgedeckt wurden?«

»Er wurde vor ein Tribunal gezerrt. Es heißt, Asmodi habe die Alcastas in Sippenhaft genommen und zu Freaks gemacht. Sheridan soll besonders hart bestraft worden sein, aber Genaueres weiß niemand. Man hat hier nie wieder von einem Alcasta gehört, geschweige denn einen gesehen.«

Das half mir leider nicht weiter. »Wo könnten sich die Alcastas heute aufhalten?«

Mara strich sich gelangweilt durch ihr langes Haar. Offenbar hatte sie keine Lust, über Vergangenes zu reden. »Nach dem Tribunal ging das Gerücht um, Sheridan Alcasta sei nach Philadelphia gebracht worden. Aber wie gesagt, seitdem ist mir nichts mehr zu Ohren gekommen.«

Philadelphia. Das war in einigermaßen erreichbarer Nähe. Ich brauchte jedoch einen Ansatzpunkt, um dort mehr herausfinden zu können.

»Du interessierst dich ja wirklich sehr für Sheridan Alcasta«, sagte sie misstrauisch. »Na ja, soll mir egal sein, was du wirklich für Gründe hast. Ich kann dir die Anschrift von Carl Ramon geben. Er lebt in Philadelphia. Vielleicht kann er dir weiterhelfen.«

Ich bedankte mich und verließ kurz darauf den Laden.

Als ich mich auf der Straße noch einmal flüchtig umdrehte, bemerkte ich, dass Mara mir nachdenklich hinterher sah.

 

 

2. Kapitel

 

Kaum hatte die Greisin das Geschäft verlassen, setzte sich Mara auf einen alten Stuhl und dachte nach. Dass sich nach so langer Zeit jemand für die Alcastas interessierte, machte sie nachdenklich. Angeblich verfolgte die Alte kein bestimmtes Ziel mit ihren Nachfragen, aber das konnte sie Mara nicht weismachen.

Die Glocke über der Tür schepperte. Schon wieder Kundschaft!

Mara hob erstaunt die Brauen, als sie den großen Kerl erkannte, der heute schon einmal in ihrem Laden gewesen war. »Haben Sie sich doch zum Kauf entschlossen?«

Er hatte sich für einen alten Globus interessiert, der anstelle der Längen- und Breitengrade verschiedene magische Kraftlinien aufwies.

Der andere brummte etwas vor sich hin und sagte dann: »Erzähle mir von den Alcastas.«

Mara stutzte. Hatte sie sich vorhin also doch nicht getäuscht. Es war ihr gleich aufgefallen, dass der Mann die Greisin Monika Beck mit besonderem Interesse betrachtet hatte. Fast, als hätte er ihre Ankunft in dem Laden erwartet.

Mara wiederholte bereitwillig, was sie der Greisin gesagt hatte. Sie sah keinen Grund zu verschweigen, was sowieso jeder wusste. Außerdem hatte sie keine Lust, sich in eine Auseinandersetzung hineinziehen zu lassen.

»Hast du der alten Frau dasselbe erzählt?«

Mara nickte.

»Wo wollte sie jetzt hin?«

»Ich habe ihr eine Adresse in Philadelphia genannt. Sie schien sehr an Sheridan Alcasta interessiert zu sein.«

Auf den Lippen des Mannes erschien der Anflug eines Lächelns. »Es war eine kluge Entscheidung von dir, mir alles zu berichten«, sagte er.

Eilig verließ er den Antiquitätenladen.

Mara sah, dass er ein Taxi anzuhalten versuchte, das jedoch besetzt war. Der Fahrer beachtete ihn nicht.

Der muskulöse Mann schaute dem Taxi nach, das wenige Meter weiter plötzlich stoppte. Der Fahrgast stieg aus und zahlte. Das Taxi setzte zurück, und der muskulöse Mann stieg ein.

Mara sah zu, wie das Taxi in Richtung Bahnhof davonbrauste. Sie öffnete die Tür und näherte sich dem Fahrgast, der mit leerem Blick auf dem Bürgersteig stand. Als er Mara erblickte, schien er wie aus einem Traum zu erwachen.

»Wo bin ich? Wieso sitze ich nicht mehr im Taxi?«

»Sie haben bezahlt und sind ausgestiegen«, sagte Mara.

»Unmöglich!«, rief der Mann. »Ich wollte mich doch nach Boston bringen lassen!«

Damit hatte Mara den Beweis. Der Fahrgast war hypnotisiert worden. Der muskulöse Fremde musste ein starker Dämon sein, wenn er Menschen aus der Entfernung zu beeinflussen vermochte.

 

Thomas Eddington verließ sein Zimmer. Leise schloss er die Tür ab und schlich über die Treppe nach unten ins Erdgeschoss. Es war dort bis auf eine Notbeleuchtung dunkel. Er ging zum öffentlichen Telefon, das sich auf dem Flur befand. Das Telefon im Zimmer wollte Eddington nicht benutzen, damit man diesen Anruf nicht verfolgen konnte. Er ließ eine Stabtaschenlampe aufleuchten, um wählen zu können. Danach stand er in fast völliger Dunkelheit, nur durch das kleine in die Empfangshalle weisende Fenster fiel ein wenig Licht.

Es war kurz nach fünf Uhr morgens; bei seiner Assistentin Susan Barry schlug das Telefon jetzt bereits zum vierten Mal an. Eddington wurde ungeduldig. Wieso ging sie nicht dran? Sie hatten doch vereinbart, dass er sich zwischen fünf und sechs Uhr melden würde. Noch während Eddington darüber nachdachte, hörte er die Stimme Susans. Erleichtert atmete er auf.

»Susan, hier ist Thomas.«

»Oh, entschuldige«, sagte sie, »ich muss eingeschlafen sein.«

Er tadelte sie nicht. Er war nur froh, ihre Stimme zu hören. Die Begegnung mit Walker, die unheimliche Atmosphäre, die hier herrschte, dazu noch Walkers seltsame Andeutungen – all das hatte ihn nervös und unsicher werden lassen.

»Wie geht es dir? Hast du schon Informationen?«

»Später, Susan. Irgendetwas ist hier faul, ich weiß nur noch nicht, was. Cheryl Evans kommt mir gar nicht so seltsam vor, aber ihr Assistent, ein gewisser Dr. Walker, ist wirklich ein komischer Kerl. Nicht nur, dass er äußerst hässlich ist, dafür kann er ja nichts – nein, er wirkt sadistisch und brutal. Allerdings scheint er völlig unter der Fuchtel von Evans zu stehen. Ich blicke noch nicht durch, was hier vor sich geht.« Eddington redete wie ein Wasserfall.

»Hauptsache, es geht dir gut … Ich hatte schon Befürchtungen …« Sie sprach nicht weiter.

»Aber wir haben doch ausgemacht, erst in der Nacht zu telefonieren.«

»Ich weiß, aber das alles ist so seltsam. Die Idee, sich unter falschem Namen in die Klinik einzuschleichen, gefällt mir überhaupt nicht.«

Er lächelte unwillkürlich. Das war typisch Susan. Sie sorgte sich immer ein wenig, wenn sie meinte, dass er ein unnötiges Risiko einging. Aber wenn er ehrlich war, genoss er diese Art von Aufmerksamkeit sogar. Susan war nicht nur klug und eine gute Wahl als Assistentin, sondern auch äußerst attraktiv.

Reiß dich zusammen, Eddington.

»Was hast du herausgefunden, Susan?«

»Ich habe heute weiter über die Klinik recherchiert und dabei einen interessanten Kontakt knüpfen können. Mittlerweile sind mindestens vier Menschen verschwunden. Die Presse wird morgen ein großes Geschrei darum machen.«

»Das ist unsere Chance, Susan! Wenn wir die Verbrechen aufklären …«

»Sei vorsichtig, Thomas. Zuletzt ist ein gewisser Daniel Harris verschwunden – ein Psychopath, der seine Frau erstochen hat. Höchste Sicherheitsstufe. Deshalb ist es ja auch so komisch, dass er entkommen konnte.«

Er ist nicht entkommen, sondern er wurde verschleppt. Aber Eddington behielt seinen Verdacht vorerst für sich.

»Von der Klinikleitung gibt es dazu keinerlei Stellungnahme«, beendete Susan ihren Bericht.

Eddington wechselte noch ein paar Worte mit ihr, dann unterbrach er die Verbindung. Er musste nachdenken. Morgen um dieselbe Zeit wollte er sich wieder bei Susan melden. Vielleicht wusste er bis dahin schon mehr.

Das Telefonat hatte seine Stimmung beträchtlich angehoben. Er nahm sich vor, Susan zum Essen einzuladen, sobald dieser Einsatz vorbei war. Er spürte, dass sie ihm ebenfalls zugetan war. Sie zeigte es nur nicht offen, aber gerade das machte sie in seinen Augen so attraktiv.

Er ahnte nicht, dass er keine Gelegenheit mehr bekommen sollte, sein Vorhaben auszuführen.

 

In einem Zug auf dem Weg nach Philadelphia

Die Strapazen der letzten Stunden hatten von meinem Gastkörper Tribut gefordert. Ich war eingeschlafen, und wieder fiel mir das Erwachen sehr schwer. Nur langsam ordneten sich meine Gedanken, während das bleierne Gefühl in den Gelenken verschwand.

Ich saß in einem kleinen Abteil, in dem sich außer mir nur noch ein weiterer Reisender befand, ein junger Mann von vielleicht zwanzig Jahren. Er sah sehr gut aus, und ich bedauerte, in diesem Augenblick nicht über meinen richtigen Körper zu verfügen.

Der junge Mann stieg an der nächsten Station aus und ließ die Zeitung, in der er geblättert hatte, auf dem Sitz liegen. Ohne näheres Interesse ergriff ich sie.

Wieder ein Patient verschwunden!, stand in großen Lettern auf der Titelseite. Darunter als zweite Überschrift: Was geht vor in der Klinik von Cheryl Evans? Vier Patienten verschwunden, und noch kein Ende abzusehen!

Ich las den Artikel weiter. Gegen die Leiterin einer psychiatrischen Klinik wurden heftige Vorwürfe erhoben. Vier Patienten seien aus ihrer Klinik verschwunden. Es wurde spekuliert, ob es sich um Menschenraub handelte. Der Leiter einer konkurrierenden Klinik mutmaßte, dass Dr. Cheryl Evans möglicherweise etwas zu verbergen habe, und bemühte sich nach Kräften, die Leiterin der Klinik zu verleumden. Der ganze Artikel erwies sich meiner Meinung nach als aufgeblasene Spekulation, und so blätterte ich weiter. Auf der nächsten Seite war ein halbnacktes Mädchen abgebildet, das in einer Sprechblase verkündete, sie würde gerne auch noch den Slip ausziehen, wenn es nur nicht so kalt wäre. Ich legte die Zeitung zur Seite.

Zwei Stunden später erreichte ich Philadelphia. Ich verließ den Zug und durchquerte die Bahnhofshalle. Nach wenigen Minuten fand ich ein freies Taxi am Bahnhof und nannte die Adresse von Carl Ramon, die Mara mir gegeben hatte. Der Taxifahrer versuchte, mir eine Rundreise zu den Sehenswürdigkeiten von Philadelphia aufzuschwatzen – natürlich von ihm selbst durchgeführt. Ich hatte ihn bereits jetzt im Verdacht, einen gewaltigen Umweg zu fahren, während das Taxameter einen Dollar nach dem anderen verschluckte.

Wir durchfuhren das Stadtzentrum von Philadelphia, vorbei am Independence National Historical Park, in dem sich zwischen Baumreihen die Independence Hall befand. Ich wusste, dass hier die amerikanische Demokratie geboren worden war, denn hier hatten Jefferson, Washington und Franklin die Revolution auf den Weg gebracht und die Verfassung geschrieben. Der Taxifahrer leierte die Sätze herunter, als hätte er einen Reiseführer auswendig gelernt. Wie gerne hätte ich über meine Hexenkräfte verfügt, um ihn mittels Hypnose zum Schweigen zu bringen.

Am Ziel angekommen, zahlte ich und verließ das Taxi fluchtartig.

Ramon wohnte in einem alten Haus mit einer heruntergekommenen Fassade und einer alten, über zwei Meter hohen Holztür. Ich musste mehrmals klingeln, bis ich endlich Schritte vernahm, die sich der Tür näherten.

Ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen, als ich die verwachsene Gestalt sah. Haare wuchsen nur auf der linken Kopfseite, und die rechte Gesichtshälfte hing bewegungslos nach unten. Während die linke Körperhälfte normal ausgebildet war, wirkte die rechte gelähmt und verkümmert.

Ich hatte nicht gewusst, dass Carl Ramon ein Freak war.

Wie schon bei Mara gab ich mich als Monika Beck aus, erzählte Ramon die erfundene Geschichte der Beck-Sippe und erwähnte dabei auch Sheridan Alcastas Name. Ramon ließ mich ein. Der penetrante Gestank, der von ihm ausging, erfüllte den Flur, den wir durchquerten. Er führte mich in ein größeres Zimmer, das von einem gewaltigen Kronleuchter dominiert wurde.

»Sheridan Alcasta«, nahm Ramon den Faden auf. »Niemand weiß Genaues über ihn. Er ist hier gewesen, in einer psychiatrischen Klinik. Nicht ganz zwei Jahre ist das jetzt her. Ich glaube nicht, dass es mit dem Verschwinden der Patienten etwas zu tun hat. Aber man weiß ja nie. Vielleicht hat die Leiterin der Klinik tatsächlich Dreck am Stecken.«

Ich erinnerte mich an den Zeitungsartikel. Welch ein seltsamer Zufall. »Also weiß Dr. Cheryl Evans über die Existenz der Schwarzen Familie Bescheid – wenn sie nicht sogar selbst eine Dämonin ist.«

Ramon nickte anerkennend. »Dafür, dass du gerade erst aus Deutschland herübergekommen bist, bist du wirklich sehr gut informiert.«

Ich versuchte, eine möglichst selbstgefällige Miene aufzusetzen. Ramon sollte nicht wissen, dass meine Vermutungen nicht mehr als ein Schuss ins Blaue waren. Bei diesem Freak war ich jedenfalls an der richtigen Adresse. Er schien vertrauenswürdig zu sein. Mittlerweile war es mir sogar gelungen, den Gestank um mich herum zu ignorieren.

»Cheryl Evans war für uns ein unbeschriebenes Blatt«, fuhr Ramon fort. »Erst als die Patienten verschwanden, wurden wir auf sie aufmerksam. Es ist ihr lange gelungen, die Öffentlichkeit an der Nase herumzuführen – bis heute Morgen dieser Artikel in einer Boulevardzeitung erschien.«

»Das deutete daraufhin, dass Evans tatsächlich eine Dämonin ist.«

Er nickte, wenn auch zögernd. »Wir nehmen es zumindest an. Sie tarnt sich ausgezeichnet, und keiner meiner Freaks konnte bislang Näheres herausfinden. Wobei es verwunderlich ist, dass sich ein Dämon ausgerechnet eine psychiatrische Klinik als Ort für seine Machenschaften aussucht.«

Damit sprach er den wunden Punkt meiner Theorie an. Für jeden Dämon war die Nähe von Geistesgestörten Gift. Ihre Ausstrahlung verursachte ihm körperliche Schmerzen. »Erzähle mir von dir, Carl Ramon. Du scheinst der Anführer der Freaks von Philadelphia zu sein.«

»Ich spreche nicht gern über meine Vergangenheit. Ich war ein hochrangiger Dämon, bis Asmodi mich für das Versagen eines anderen zur Rechenschaft zog.« Er blickte mich durchdringend an. »Ich habe mich nie über mein Schicksal beklagt, aber ich verschweige nicht, dass ich der Schwarzen Familie seitdem sehr skeptisch gegenüberstehe.«

Diese Einschätzung teilte er mit den meisten Freaks. Viele von ihren waren verbittert und hassten die Dämonen gar.

»Wirst du mir helfen?«, fragte ich.

»Du gefällst mir, Monika Beck. Es ist lange her, dass sich jemand für die Freaks von Philadelphia interessiert hat.« Ich hatte Verständnis dafür, dass er zögerte, seine Haut zu riskieren. Für einen Freak war es gefährlich, sich mit der Schwarzen Familie anzulegen. Aber Carl Ramon schien meine Bedenken nicht zu teilen. »Ich werde einige Freaks ausschicken, um alte Verbindungen zu aktivieren. Ich habe einige Kontakte in der Stadt, die mir noch etwas schuldig sind. Der Reporter, der den heutigen Artikel geschrieben hat, wird beobachtet werden. Schon bald werden wir mehr wissen.«

»Ich werde die Klinik inzwischen offiziell aufsuchen«, sagte ich.

»Davon würde ich dir dringend abraten, Monika!«, erwiderte Ramon erschrocken.

Aber mein Entschluss war wohlüberlegt. »Ich bin alt. Dr. Evans wird in mir keine Gefahr sehen.« Zum ersten Mal seit meinem Körpertausch spürte ich wieder Hoffnung. Die Freaks von Philadelphia im Rücken zu haben, bedeutete eine große Verstärkung.

Ich konnte ja nicht ahnen, dass es nicht allein Dr. Cheryl Evans war, die ich mir mit meinem Entschluss zum Feind gemacht hatte.

 

Es war neun Uhr. Mara schloss die Tür zu ihrem Laden auf und begab sich gleich in den kleinen Nebenraum. Dort lag ein kleines Schild mit der Aufschrift Vorübergehend geschlossen bereit. Sie hängte es an die Eingangstür und verriegelte sie.