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michaelboyle@rivaverlag.de
6. Auflage 2015
© 2010 by riva Verlag,
ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2004 bei Human Kinetics, Champaign, IL, USA, unter dem Titel Functional Training for Sports. © 2004 by Michael Boyle. All rights reserved.
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Übersetzung: Marion Pyrlik
Redaktion: Sonja Erdmann
Inhaltliche Prüfung: Dr. Lutz Graumann
Umschlaggestaltung und Layout: Sabine Krohberger
Umschlagabbildung: Gary Land
Satz: satz & repro Grieb, München
E-Book: Grafikstudio Foerster, Belgern
Printed in Germany
ISBN Print 978-3-86883-028-6
ISBN E-Book (PDF) 978-3-86413-396-1
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86413-397-8
Wichtiger Hinweis
Sämtliche Inhalte dieses Buches wurden – auf Basis von Quellen, die der Autor und der Verlag für vertrauenswürdig erachten – nach bestem Wissen und Gewissen recherchiert und sorgfältig geprüft. Trotzdem stellt dieses Buch keinen Ersatz für eine individuelle Fitnessberatung und medizinische Beratung dar. Wenn Sie medizinischen Rat einholen wollen, konsultieren Sie bitte einen qualifizierten Arzt. Der Verlag und der Autor haften für keine nachteiligen Auswirkungen, die in einem direkten oder indirekten Zusammenhang mit den Informationen stehen, die in diesem Buch enthalten sind.
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Ich widme dieses Buch Cindy und Michaela, die es mir ermöglicht haben, mich zweimal zu verlieben.
Functional Training ist heutzutage ein fester Bestandteil der Trainingslehre. Dieses Buch möchte die Methode des funktionellen Trainings auch ohne sportwissenschaftliches Studium allen Interessierten verständlich machen. Es richtet sich an Trainer und Profisportler, an Physiotherapeuten, Hobbyathleten und Laien, die sich eine einfache Darstellung dieses komplexen Themas wünschen.
Die Übungen und Programme des funktionellen Trainings zielen darauf ab, das Leistungsniveau des Sportlers anzuheben. Sie basieren auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und sind das Ergebnis von über 20 Jahren Erfahrung und Tausenden Trainingseinheiten. Beim funktionellen Trainings geht es nicht allein darum, die Kraft des Athleten zu erhöhen – vielmehr sollen die Leistungsfähigkeit in der sportlichen Disziplin verbessert und gleichzeitig Verletzungen vermieden werden.
Functional Training ist nicht bloß ein Trend; es ist die logische Folge neuester Erkenntnisse in den Bereichen der Trainingswissenschaft und der Rehabilitation und die Methode der Zukunft im Bereich der Leistungssteigerung.
Natürlich führt diese Trainingsform auch zu einem sichtbaren Muskelzuwachs, der allerdings nicht aus ästhetischen Gründen angestrebt wird, sondern allein dazu dient, die Leistung des Sportlers zu verbessern. Daher werden in erster Linie Muskelgruppen trainiert, die von dem erhöhten Volumen und Kraftpotenzial profitieren. Auch wenn heute immer noch viele Trainer die rohe Muskelkraft in den Vordergrund stellen und sich über eine hohe Maximalkraft ihrer Athleten freuen, sollte man nicht vergessen, dass nur die funktionelle Kraft wirklich wertvoll ist. Viele Menschen machen Krafttraining, um besser auszusehen. Im Functional Training, das primär auf Leistungssteigerung abzielt, ist dies aber nur ein positiver Nebeneffekt.
Die auf dem Markt erhältlichen Bücher zum funktionellen Training sind in der Regel von Profitrainern und Sportwissenschaftlern für Profitrainer und Sportwissenschaftler geschrieben. Auch das vorliegende Buch ist für diese Leser interessant. Mit seiner leicht verständlichen Sprache richtet es sich jedoch auch an Trainer und Sportler aller Leistungsstufen. Es bietet eine Fülle an Übungen, die vom Aufwärmen bis zum gezielten Kraft- und Kraftausdauertraining für die verschiedensten Sportarten reicht. Alle Übungen werden außerdem so detailliert beschrieben, dass sie auch Physiotherapeuten als Anleitungen dienen können.
Die ersten Kapitel befassen sich mit der Entstehungsgeschichte des funktionellen Trainings und erklären den Nutzen dieser Trainingsform. In den folgenden Kapiteln werden – nach Körperregionen unterteilt – die Übungsmethoden erläutert. Ein Kapitel beschäftigt sich mit den unteren Extremitäten, eines mit dem Rumpf und ein weiteres Kapitel mit dem Oberkörper. Weitere Kapitel thematisieren plyometrisches Schnellkrafttraining und das Gewichtheben. Und da ein Bild mehr sagt als tausend Worte, verdeutlichen Fotografien den Bewegungsablauf jeder einzelnen Übung in diesen Kapiteln.
Im letzten Kapitel werden die Übungen in Trainingsprogrammen zusammengefasst. Diese Programme sind nicht nur nach Sportart, sondern auch nach der Zahl der Trainingseinheiten pro Woche (2-Tages-, 3-Tages- und 4-Tagesprogramme) und nach der Trainingsphase des Athleten (Vorbereitungs-, Wettkampf- oder Übergangsphase) unterteilt. Dieses letzte Kapitel ist besonders wertvoll für Trainer und Athleten aller Leistungsklassen, da es ihnen hilft, ihr Training mit minimalem Aufwand optimal zu strukturieren. Sie müssen einfach nur das passende Programm für ihre Sportart und ihre Trainingsphase heraussuchen.
Komplizierte anatomische und physiologische Beschreibungen werden in diesem Buch möglichst vermieden, und wo sie nötig sind, erleichtern Erklärungen und Abbildungen das Verständnis. Absicht ist es, den Leser zu unterrichten, ohne ihn zu verwirren. Im Vordergrund steht dabei die gezielte Stärkung jeder Körperregion anhand von aufeinander aufbauenden, immer anspruchsvoller werdenden Übungen.
Functional Training ist ein umfassendes Trainingsprogramm für alle Sportarten. Der Athlet findet darin Übungen zum Aufwärmen und kann sich anschließend den verschiedenen Phasen des Kraftaufbaus widmen. Bevor Sie von einer Übung zur nächsten übergehen, sollten Sie allerdings sicherstellen, dass Sie den Bewegungsablauf beherrschen, da die Übung ansonsten nicht den gewünschten Erfolg bringen kann. Unabhängig vom Leistungsniveau des Einzelnen nimmt jede Trainingsphase mindestens drei Wochen in Anspruch.
Dieses Buch vermittelt sehr komplexe Zusammenhänge auf einfache und allgemein verständliche Art. Es bietet Trainern und Athleten durchdachte Übungsfolgen, die bei richtiger Ausführung Leistungssteigerungen auf allen Leistungsniveaus garantieren. Darüber hinaus ermöglicht das hier erworbene Wissen Trainern, die Leistung ihrer Athleten genauer zu bestimmen und eventuellen Schwächen rasch entgegenzuwirken.
Funktion bedeutet im Grunde so viel wie Sinn oder Zweck. Funktionelles Training ist demnach zweckmäßiges Training. Viele Athleten und auch Trainer missverstehen funktionelles Training als sportartspezifisches Training. Ihrer Ansicht nach hat jede Sportart ihre eigenen Gesetze, ihre eigenen spezifischen Bewegungsabläufe und braucht daher auch spezifische Übungen. In Wirklichkeit sollte funktionelles Training sogar als sportartübergreifende Trainingsform angesehen werden, denn es konzentriert sich auf die Gemeinsamkeiten von Sportarten, nicht auf die Unterschiede. Grundbewegungsformen wie Springen, Laufen und Seitwärtsbewegungen kommen in vielen Sportarten vor. Schnellkraft wird beispielsweise in allen Ballsportarten benötigt und kann daher bei diesen Sportlern auch auf die gleiche Weise trainiert werden. Rumpfkraft ist für den Tennisspieler ebenso wichtig wie für den Golf- oder Hockeyspieler.
Funktionelles Training baut auf den Gemeinsamkeiten verschiedener Sportarten auf und trainiert diese Sportler mit ähnlichen Übungen. Nur wenige Sportarten fallen aus dem Rahmen und müssen mit speziellen Übungen trainiert werden. Eine Sondergruppe stellen die Sportarten dar, die im Sitzen ausgeübt werden. Hierzu gehört zum Beispiel das Rudern.
Wenn wir traditionelles Krafttraining an Geräten auf seine Funktionalität hin überprüfen, stellen wir fest, dass das Kraftgerät die Stabilisierung für den Sportler übernimmt, da das Gewicht auf einer fest vorgegebenen Bahn bewegt wird. Das ist nicht funktionell, da der Athlet bei der Ausführung praktisch aller Sportarten selbst für Stabilität im Bewegungsablauf sorgen muss. Daraus folgt, dass Krafttraining an Geräten nicht als funktionell bezeichnet werden kann. Befürworter des traditionellen Krafttrainings argumentieren gerne mit dem Sicherheitsfaktor. Sie betonen, dass bei geführten Bewegungen die Verletzungsgefahr geringer sei. Das ist zwar richtig, denn es ist wenig wahrscheinlich, sich bei Kniebeugen zu verletzen, wenn die Hantelstange geführt an einer Multipresse entlangläuft. Doch wer nicht zugleich seine Propriozeption (die Eigenwahrnehmung von Muskeln, Sehnen und Gelenken) trainiert und seine Muskeln mit Stabilisierungsübungen sukzessive aufbaut, der setzt sich im Wettkampf beziehungsweise beim Training außerhalb des Kraftraums erhöhter Verletzungsgefahr aus.
Schauen wir uns die Übungen des traditionellen Krafttrainings mit seinen auf ein einziges Gelenk beschränkten Bewegungen noch etwas genauer an, und fragen wir uns, wie viele Bewegungen im Sportalltag auf nur ein Gelenk beziehungsweise eine Muskelgruppe beschränkt sind. Die Antwort lautet: keine. Daher beinhalten die Übungen des funktionellen Trainings weitgehend komplexe Bewegungsabläufe, die mehrere Gelenke und Muskelgruppen gleichzeitig beanspruchen. Vern Gambetta und Gary Gray, zwei renommierte Experten für Functional Training, sagen hierzu: »Bewegungen, die nur einen einzigen Muskel isoliert beanspruchen, sind als unfunktionell zu bezeichnen. Funktionelle Bewegungsformen integrieren immer mehrere Muskeln und Muskelgruppen gleichzeitig« (Gambetta und Gray 2002, Paragraph 13).
Funktionelles Training dient der Entwicklung von Kraft und Balance, die der Athlet benötigt, um sich auf instabilem Untergrund wie Gras oder Kunstrasen schnell und sicher zu bewegen.
Das vorherrschende Ziel der Trainer und Betreuer von professionellen Athleten ist die Verletzungsprophylaxe. Trainer sollten daher nicht nur darauf achten, Verletzungen im Training zu vermeiden, sondern gleichermaßen den Athleten mit der spezifischen Kraft ausstatten, die ihn in extremen Belastungssituationen vor Verletzungen schützt. Funktionelles Training hat genau dieses eine Ziel, nämlich den Athleten optimal auf die Ausübung seiner Sportart vorzubereiten.
Functional Training besteht überwiegend aus Übungen, bei denen der Sportler mit beiden Füßen auf dem Boden steht und nicht von einem Kraftgerät unterstützt wird. Er lernt dabei, sein eigenes Körpergewicht zu halten und in verschiedenen Stellungen zu stabilisieren beziehungsweise auszubalancieren. Als Widerstand wird häufig nur das eigene Körpergewicht eingesetzt. Die Übungen verbessern die Kraft, Schnellkraft, Balance und Stabilität der Athleten und mindern damit die Verletzungsanfälligkeit. Gambetta und Gray (2002, Paragraph 8) erklären hierzu: »Funktionelle Trainingsprogramme versetzen den Athleten gewollt in eine instabile Lage. Der Sportler muss reagieren und mit gezielten Bewegungen Stabilität wiederaufbauen.«
Fortgeschrittene Sportler führen die Übungen einbeinig aus. Nach und nach wird der Untergrund instabiler, sodass es für den Trainierenden immer schwieriger wird, Stabilität und Balance zu halten. Wir arbeiten auf verschiedenen Oberflächen wie Eis, Gras oder Kunstrasen. Diese bieten unvorhersehbare Störfaktoren, die der Sportler ausgleichen muss.
Functional Training basiert auf Übungen wie Kniebeugen und Ausfallschritten für die Beinmuskulatur sowie Zieh- und Stoßbewegungen für den Oberkörper. Der Athlet lernt, sein Körpergewicht in verschiedenen Bewegungsabläufen zu stabilisieren und zu balancieren. Funktionelles Training lässt sich am besten als ein Kontinuum von Übungen beschreiben, das den Sportler lehrt, sein eigenes Körpergewicht auf allen Bewegungsebenen zu kontrollieren. Experten betonen, dass funktionelles Training in erster Linie Bewegungen, nicht Muskeln trainiert. Dabei soll keine einzelne Bewegung im Übermaß geschult werden. Vielmehr wird darauf geachtet, dass ein Gleichgewicht zwischen Stoß- und Ziehfähigkeit ebenso wie zwischen knie- und hüftdominanter Hüftstreckung, also der Kraft der vorderen und der hinteren Oberschenkelmuskulatur, besteht.
Wer das Konzept des funktionellen Trainings verstehen möchte, muss zunächst ein neues Erklärungsmodell für Bewegungsabläufe begreifen. Dieses wurde in den 1990er-Jahren von dem Physiotherapeuten Gary Gray eingeführt, der in seinen Kursen über Bewegungsketten eine neue Sicht auf die Muskelfunktionen vertrat. Diese stützte sich nicht mehr auf die hergebrachten Begriffe der Beugung und Streckung, Adduktion und Abduktion, sondern betrachtete die Muskelfunktionen als kinetische Kettenreaktionen. Bis dahin hatte nur die Anatomie untersucht, wie ein einziger Muskel ein Gelenk bewegt, währenddessen unbeachtet geblieben war, was mit dem Muskel während eines Bewegungsablaufs geschieht. Das Konzept der kinetischen Kettenreaktion dagegen betrachtet alle an der Bewegung beteiligten Gelenke und Muskeln und beschreibt, wie diese zusammenspielen, um eine komplexe Bewegung auszuführen.
Knapp zusammengefasst, beschrieb Gray die Funktion des Unterkörpers in etwa folgendermaßen: Sobald der Fuß auf dem Boden aufsetzt, hat jeder Muskel des Unterkörpers eine Aufgabe. Gesäßmuskulatur, vordere und hintere Oberschenkelmuskulatur arbeiten zusammen, um Fuß-, Knie- und Hüftgelenk zu stabilisieren und ein Nach-vorne-Fallen zu vermeiden. Sie alle haben die Aufgabe, die Bewegung der Gelenke zu verlangsamen beziehungsweise zu kontrollieren. Die vordere Oberschenkelmuskulatur arbeitet bei der Landung nicht als Kniestrecker, sondern kontrahiert sich exzentrisch, um die Beugung des Knies zu verhindern. Der hintere Oberschenkelmuskel dient nicht als Kniebeuger, sondern hat zwei andere Aufgaben bei der Landung: Er verhindert Knie- und Hüftbeugung. In der Stützphase des Laufens arbeiten daher alle Muskeln der unteren Extremitäten zusammen, um eine Bewegung zu vermeiden, nicht um eine Bewegung auszuführen. Sie verlängern sich exzentrisch und verlangsamen damit die Beugung von Fuß-, Knie- und Hüftgelenk.
Nach dem kontrollierten Aufsetzen des Fußes wird die Streckung von Fuß-, Knie- und Hüftgelenk vorbereitet, und wieder arbeiten alle Muskelgruppen der unteren Extremitäten zusammen. Nun hat die vordere Oberschenkelmuskulatur nicht nur die Aufgabe, das Knie zu strecken, sondern sie unterstützt auch die Beugung des Fußgelenks und die Streckung der Hüfte. Man kann also sagen, dass alle arbeitenden Muskelgruppen in der ersten Millisekunde exzentrisch wirken, um eine Bewegung zu stabilisieren. Dann arbeiten sie konzentrisch, um Bewegung zu erzeugen.
Wenn Sie dieses Konzept der Bewegung verstanden haben, wird Ihnen klar, dass ein Athlet, der im Krafttraining die Beinstreckung am Gerät trainiert, eine Bewegung ausführt, die beim Gehen oder Laufen nicht vorkommt. Er führt sogenanntes Open-chain-Muskeltraining aus. Open chain (»offene Kette«) heißt, dass der Fuß keinen Kontakt mit dem Boden hat wie zum Beispiel beim Beincurl. Wer dagegen den Muskel so realitätsgetreu trainieren möchte, wie er auch gebraucht wird, der muss die Kette schließen und den Fuß auf den Boden aufsetzen. Erst dann werden alle Muskeln aktiviert, die an der Bewegung beteiligt sind. Speziell bei Übungen für die Beine sind Open-chain-Bewegungen, die nur ein einziges Gelenk isoliert bewegen, unfunktionell.
In den letzten zehn Jahren wurden vermehrt neue Ansätze gesucht, Training funktionell zu gestalten und so den Sportler vor Über- oder Fehlbelastung zu schützen. Eingeleitet wurde diese Wende, wie so oft, von Physiotherapeuten. Diesen folgten dann auch Trainer, Sportler und schließlich die Sportartikelindustrie. Ein deutliches Zeichen für die Wende war, dass viele Hersteller von Kraftgeräten begannen, neues Trainingszubehör zu produzieren, mit dem Sportler ground-based (»am Boden«) trainieren konnten. Das bedeutet, dass sich die Füße während der Übung auf dem Boden befinden und der Sportler nicht im Liegen oder Sitzen in einen starren Bewegungsablauf eingebunden ist. Außerdem kamen einfache Multipressen und Hantelbänke auf den Markt. Sportler und Trainer nahmen die Neuerungen an, und traditionelle Kraftgeräte verloren, insbesondere im Bereich des Leichtathletiktrainings, mehr und mehr an Popularität.
Gleichzeitig entstand eine Diskussion darüber, wie funktionelles Training zu definieren ist: Die Vorreiter des funktionellen Trainings vertraten den Standpunkt, dass diese Trainingsform immer stehend zu absolvieren sei und mehrere zu trainierende Bereiche gleichzeitig ansprechen müsse. Zahlreiche Trainer dagegen, die das Konzept des Functional Training zwar eigentlich guthießen, unterstützten plötzlich Trainingsformen, die auf den ersten Blick unfunktionell wirkten. Die Anwendung solcher Trainingsformen durch vermeintliche Anhänger des funktionellen Trainings sorgte für einige Verwirrung. Dabei ist die Ursache für diesen scheinbaren Widerspruch simpel: Was als funktionell gilt, hängt vom jeweiligen Trainingsziel ab. Stabilisierende Übungen müssen anders aussehen als Übungen, die die Beweglichkeit verbessern sollen.
Die Hauptaufgabe vieler Muskelgruppen im menschlichen Körper ist die Stabilisation. Übungen für solche Muskelgruppen beinhalten oft relativ einfache Bewegungen mit kleiner Bewegungsamplitude, die die Muskeln kräftigen und so die Gelenke stabilisieren. Doch diese Stabilisierungsaufgaben wurden von den um Funktionalität bemühten Sportlern und Trainern häufig übersehen.
Die Hauptmuskelgruppen, die stabilisierendes Training benötigen, sind:
Viele Trainer waren der Auffassung, dass Übungen für diese Bereiche in die Rehabilitation oder Verletzungsvorbeugung gehörten. Doch eine stabile Hüfte beispielsweise verbessert nicht nur die Funktion des Hüftgelenks, sondern wirkt sich ebenso positiv auf die Funktion von Knie-und Fußgelenk aus. Manche Sportler müssen zunächst die Hüftabduktoren trainieren, um so die Muskelgruppen zu aktivieren, die ihre Hüfte stabilisieren.
Der amerikanische Fitnessexperte Mark Verstegen, der das Athletes’ Performance Institute gegründet und das Trainingsprogramm Core Performance entwickelt hat, bezeichnet dieses Konzept als »Innervation durch Isolation« (isolation for innervation): Manchmal müssen bestimmte Muskelgruppen isoliert werden, wenn man ihre Funktion verbessern möchte. Hierzu gehören insbesondere die tiefe Bauchmuskulatur, die Hüftabduktoren und die Schulterblattstabilisatoren. Somit können vermeintlich nicht funktionelle, da auf einen einzigen Muskel oder eine Muskelgruppe beschränkte Übungen sich positiv auf die Funktionalität des gesamten Körpers auswirken.
Die Funktion des Schultergelenks wird verbessert, indem man an den Schulterblattstabilisatoren arbeitet. Wenn auch viele Athleten die Rotatorenmanschette umfassend trainieren, gibt es nur wenige Übungen für die Schulterblattstabilisatoren. Doch eine starke Rotatorenmanschette kann ohne starke Schulterblattstabilisatoren keine gute Arbeit leisten, weil ihr die Stabilität fehlt. Im Training haben wir festgestellt, dass die meisten Athleten zwar über eine gut ausgebildete Rotatorenmanschette verfügen, die Schulterblattstabilisatoren jedoch vernachlässigt haben. Aus diesem Grund lassen wir sie häufig Übungen für die Schulterblattstabilisatoren absolvieren, auch wenn diese auf den ersten Blick nicht funktionell erscheinen. Langfristig führt eine gute Ausbildung dieser Bereiche zu einer verbesserten Leistungsfähigkeit des Schultergelenks.
Auch in der Stabilisierung des unteren Rückens sind die Physiotherapeuten Vorreiter. Bauchmuskeltraining zur Stärkung der unteren Rückenmuskulatur ist natürlich kein neues Konzept, doch die Methoden hierzu werden ständig weiterentwickelt. So haben Wissenschaftler in Australien herausgefunden, dass zwei tiefe, die Wirbelsäule stabilisierende Muskeln, der Transversus abdominis und der Multifidus, bei Patienten mit lang anhaltenden Schmerzen im unteren Rücken zur Abschwächung neigen. Werden diese Muskeln nicht wieder trainiert, ist mit immer wiederkehrenden Rückenschmerzen zu rechnen. Um die Funktion der Lendenwirbelsäule zu verbessern, muss sie mit Isolationsübungen gestärkt werden. Hierzu gehören Kontraktionen der Bauchmuskulatur mit möglichst kleiner Bewegungsamplitude.
Der Schlüssel zu einem effektiven funktionellen Training liegt darin, nicht zu einseitig zu denken. Der Großteil der Übungen sollte stehend absolviert werden und mehrere Muskelgruppen auf einmal ansprechen, aber gleichzeitig müssen die wichtigsten stabilisierenden Muskeln in Hüfte, Rumpf und Schulter mit Isolationsübungen trainiert werden.
Ein weiteres Problem stellen multiplanare, also auf mehreren Ebenen auszuführende Bewegungen dar, die in einer sportartspezifischen Position eingeübt werden. Befürworter dieser Form des funktionellen Trainings begrüßen nämlich auch den Einsatz von Zusatzgewichten wie Kurzhanteln oder Gewichtsgürteln, während die Wirbelsäule gebeugt ist und die Füße nicht anatomisch günstig gerade stehen. Das Absolvieren solcher Übungen wird damit begründet, dass diese Bewegungen im sportlichen Alltag der Athleten regelmäßig vorkommen. Mit gezielten Übungen möchte man die Sportler auf Spiel- und Wettkampfsituationen vorbereiten. Hier sollte der Trainer abwägen, inwieweit er Bewegungen, die im sportlichen Alltag vorkommen, wirklich mit Zusatzgewichten im Kraftraum imitieren möchte. Ein Baseballspieler zum Beispiel beugt sich im Spiel regelmäßig hinunter, um einen Ball zu erreichen. Ihn mit gebeugter Wirbelsäule und zusätzlichen Gewichten Kniebeugen machen zu lassen setzt seine Wirbelsäule allerdings großen Belastungen aus und könnte mehr schaden als nützen. Doch wo ist die Grenze zu ziehen zwischen sicherem und gefährlichem Training? Inwieweit sollten solche Bewegungen, die im sportlichen Alltag vorkommen, auch im Kraftraum trainiert werden? Unser Standpunkt heißt klar: Wir gehen im Kraftraum keine Risiken ein, nur weil bestimmte Bewegungen in einer Sportart häufig vorkommen. Wenn wir die Maximalkraft trainieren (mit weniger als sechs Wiederholungen), gefährden wir auf keinen Fall unsere Gesundheit, indem wir realitätsnahe Körperhaltungen einnehmen. Trainieren wir dagegen die Kraftausdauer (mit zehn Wiederholungen oder mehr), kann es vorkommen, dass wir Übungen mit gebeugter Wirbelsäule ausführen und dabei Gewichtsgürtel oder Kurzhanteln verwenden. Bei der Wahl des Gewichts halten wir uns an die Richtlinien des Physiotherapeuten Mike Clark von der National Academy of Sports Medicine. Er rät, bei Übungen, in denen sich der Athlet nach vorne lehnt oder seine Wirbelsäule beugt, nicht mehr als zehn Prozent des eigenen Körpergewichts aufzulegen. Diese Zahl scheint für die meisten Athleten vernünftig zu sein. Nur bei besonders schweren Sportlern kann es ratsam sein, etwas weniger Gewicht zu wählen.
Wenn Sie das Konzept des funktionellen Trainings verstehen wollen, sollten Sie darüber nachdenken, wie und warum sich Athleten Ihrer Sportart bewegen. Das Training soll dazu dienen, Bewegungsabläufe zu verbessern, nicht bloße Kraft aufbauen. Viele Athleten lehnen den Einsatz von Krafttraining ab, weil sie dessen leistungsfördernde Komponente für ihre Sportart nicht nachvollziehen können. Sie akzeptieren nur Trainingsformen, bei denen sie einen direkten Zusammenhang mit der Leistung in ihrer Sportart sehen. Die Aufgabe des Trainers besteht also darin, dem Sportler den Sinn seines Trainings zu vermitteln. Bewegungen auszuführen, die im sportlichen Alltag nicht vorkommen, hat keinen Sinn. Daher muss ein Trainingsprogramm entwickelt werden, das die Sportler spezifisch auf die Anforderungen ihrer Sportart vorbereitet. Es müssen Übungen ausgeführt werden, die die Muskeln genau so trainieren, wie sie im sportlichen Alltag gebraucht werden. Das ist das Ziel des funktionellen Trainings.