»Ich schwöre und rufe Apollon, den Arzt, und Asklepios und Hygeia und Panakeia und alle Götter und Göttinnen zu Zeugen an, dass ich diesen Eid und diesen Vertrag nach meiner Fähigkeit und nach meiner Einsicht erfüllen werde. […]
Ich werde ärztliche Verordnungen treffen zum Nutzen der Kranken nach meiner Fähigkeit und meinem Urteil, hüten aber werde ich mich davor, sie zum Schaden und in unrechter Weise anzuwenden. […]
In alle Häuser, in die ich komme, werde ich zum Nutzen der Kranken hineingehen, frei von jedem bewussten Unrecht und jeder Übeltat […]
Wenn ich diesen Eid erfülle und nicht breche, so sei mir beschieden, in meinem Leben und in meiner Kunst voranzukommen, indem ich Ansehen bei allen Menschen für alle Zeit gewinne; wenn ich ihn aber übertrete und breche, so geschehe mir das Gegenteil.«
gewidmet
Archibald Leman Cochrane (†)
und allen Medizinerinnen und Medizinern, die sich
der evidenzbasierten Medizin verpflichtet fühlen
Als Die weiße Mafia im Frühjahr 2012 herauskam, hatte ich Glück. Nur drei Wochen später veröffentlichte die OECD eine Expertenschrift zur Mengenentwicklung im europäischen Krankenhauswesen. Demnach lagen in Deutschland die Krankenhausbehandlungen in vielen Bereichen in einem nicht nachvollziehbaren Ausmaß über dem europäischen Durchschnitt. Problembereiche (Orthopädie!) und Zahlen, die in meinem Buch thematisiert wurden, fanden sich oft identisch in der OECD-Studie. Plötzlich war ich nicht mehr der Journalist, der versuchte, mit einem reißerischen Titel einen Buchhit zu landen, sondern galt als Experte, der zutreffende Kritik an objektiv vorhandenen Missständen im deutschen Gesundheitswesen übte.
Etwa 20 Auftritte in Funk und Fernsehen waren die Folge. Im ZDF-Frühstücksfernsehen live vor einer Million Zuschauer mit dem exzellent informierten Moderator Ingo Nommsen eine Viertelstunde lang die zentralen Aussagen meines Buchs zu besprechen, war eine wirklich intensive Erfahrung. Natürlich trugen auch die Auftritte bei Maischberger und in anderen Sendungen dazu bei, dass Die weiße Mafia ein Spiegel-Bestseller wurde. Der wichtigste Grund für den Erfolg des Buches war aber – zumindest nach meiner Überzeugung –, dass immer mehr Menschen die gravierenden Mängel in unserem Gesundheitswesen wahrnehmen und die heutige ökonomisierte Medizin, die unabhängig vom Bedarf immer mehr behandelt, um mehr zu erwirtschaften, nicht länger hinnehmen möchten Auch die Pharmaindustrie führt die (Fach-)Öffentlichkeit mit verzerrten Informationen in die Irre über Wirkungen und Nebenwirkungen der Produkte, die sie uns für teuer Geld verkauft. Die Politik sieht tatenlos zu, wie sich in der Medizin Strukturen ausbilden, die man als organisierte Kriminalität, ja als mafiös begreifen muss. Schließlich geht es hier um Schäden in Milliardenhöhe und – schlimmer noch – darum, dass Millionen von Menschen falsche, schlechte oder vollkommen überflüssige Medizin erhalten, wofür sie mit ihrer Gesundheit oder sogar mit ihrem Leben bezahlen.
Ich habe weit über 100 E-Mails und Briefe von Leserinnen und Lesern bekommen. Besonders gefreut hat mich die häufige Anmerkung, dass es sich trotz des beklagenswerten Themas um ein Buch handle, das spannend und oft auch amüsant zu lesen sei. Ein Kritiker schrieb, er habe zuvor noch nie ein Sachbuch am Stück durchgelesen, aber Die weiße Mafia habe er einfach nicht aus der Hand legen können. Eine Medizinstudentin schrieb mir: »Ich muss mich bald entscheiden, in welchem Gebiet ich meinen Facharzt mache. Aber es ist überall so, wie Sie in Ihrem Buch schreiben. Überall derselbe wirtschaftliche Druck. Überall ökonomisch motivierte Behandlungen. Ich fühle mich wie in einem Haifischbecken.« Ich schrieb ihr zurück, dass es zwei Bereiche gebe, in denen sie kaum auf »Nonsense-Medizin« treffen würde: die Palliativ- und die Notfallmedizin. Im Frühjahr 2014 erzählte ich von diesem Schriftwechsel auf dem Kongress der Österreichischen Hospitalmanager, wo ich den Impulsvortrag mit dem Titel: »Ansichten von der Nachtseite der Medizin« halten durfte. Nachdem ich eine knappe Stunde lang Kritik an den mafiösen Strukturen in der Medizin geübt hatte, rechnete ich bei der anschließenden Diskussion mit heftiger Gegenwehr von den Medizinmanagern. Stattdessen gab es Aussagen wie diese: »Sie haben gesagt, nur in der Palliativ- und der Notfallmedizin könne man einigermaßen sicher vor ökonomisch motivierter Überbehandlung sein, aber das stimmt nicht. Es gibt noch die Reha-Medizin. Da wird auch nur medizinisch motiviert behandelt.« Da waren es schon drei …
Für die Taschenbuchausgabe habe ich Die weiße Mafia aktualisiert. In einigen Bereichen gab es tatsächlich Neuentwicklungen, die die bestehenden, absurden Verhältnisse noch einmal getoppt haben. Etwa in der Orthopädie, die sich weigert, den Empfehlungen des offiziellen deutschen Medizin-TÜVs (IQWIG) zu folgen. Weil das kritisierte Geschäftsmodell der Knorpelglättung im Knie einfach zu lukrativ ist. Da spielt es offenbar auch keine Rolle, dass viele Studien zeigen, dass die Knorpelglättung im Knie medizinischer Unsinn ist, und dass jedes Jahr in deutschen Krankenhäusern 200 Menschen an der Operation sterben. Mich machen solche Vorgänge – trotz meiner langjährigen Beschäftigung mit dem Thema – nach wie vor fassungslos.
»Die weiße Mafia.« Sie finden, das hört sich reißerisch an? Ich finde das auch. Mafia bedeutet immerhin: organisiertes Verbrechen. Es hat definitiv etwas Ungeheuerliches, der Medizin zu unterstellen, sie sei mafiös organisiert. Und zwar gerade dort, wo es um zentrale Weichenstellungen geht: bei wissenschaftlichen Studien, die die Wirksamkeit von Medikamenten beweisen sollen, bei der Einführung von Produkten oder bei der Formulierung von Leitlinien für die medizinischen Zünfte. Und das, obwohl kein anderer Teil unserer Gesellschaft so sehr die Flagge der Ethik vor sich herträgt wie die Medizin.
Gibt es das tatsächlich: unsinnige, ja schädliche medizinische Interventionen – seien es chirurgische Eingriffe oder Produkte der pharmazeutischen Industrie –, die uns nur verordnet werden, weil Industrie und Mediziner Profit damit machen? Auch wenn Sie und ich das lieber nicht glauben möchten: Das gibt es. Und es sind keine Ausrutscher oder Ausnahmen. Es sind nicht einige wenige »schwarze Schafe im weißen Kittel«. Der Wahnsinn hat Methode. Es geschieht auf breiter Front. Und bei näherer Betrachtung ist das gar nicht überraschend. Oder finden Sie es wirklich so erstaunlich, dass die gewaltige Summe von 280 Milliarden Euro, die wir jährlich in unser Gesundheitssystem pumpen, eine Menge krimineller Energie auf den Plan ruft?
Dabei ist der innere Kreis der weißen Mafia, der Kreis der wirklich vorsätzlich Kriminellen, die, von Profitgier getrieben, nutzlose und schädliche Medizin in Anschlag bringen, sicher nicht sehr groß. Es finden sich dort Vertreter aus den Chefetagen börsennotierter Unternehmen, die anordnen, Angaben über schädliche Nebenwirkungen zu verheimlichen, um den wirtschaftlichen Erfolg ihrer Produkte nicht zu gefährden. Zu den Paten dieser Mafia gehören aber auch zynische Funktionäre der medizinischen Selbstverwaltung und der Wissenschaft. Angesehene Leute, für die eine enge Verzahnung mit der ausschließlich profitorientierten Industrie unverzichtbarer Bestandteil ihres Karrieremodells ist. Doch dieser innere Zirkel der weißen Mafia könnte nicht die verhängnisvolle Macht über unser Gesundheitssystem erlangen, gäbe es da nicht die große Zahl von Profiteuren, Kollaborateuren und Mitläufern, die das mafiöse System stützen. »Die weiße Mafia« mag reißerisch klingen, doch angesichts der empörenden und unheilvollen Verhältnisse in unserem Gesundheitssystem ist dieser Titel angemessen.
Seit mehr als zehn Jahren arbeite ich als Journalist zum Thema »medizinische Überversorgung«, vor allem für Beiträge in Wissenschafts- und Gesundheitsmagazinen und längere Dokumentationen auf Feature-Sendeplätzen in den TV-Sendeanstalten der ARD. Zu überflüssigen Operationen, überflüssigen Medikationen, überflüssigen Vorsorgemaßnahmen und den Profiten, die damit erwirtschaftet werden. Millionen von Menschen haben diese Beiträge gesehen. Dennoch haben sich die mafiösen Verhältnisse in unserem Gesundheitssystem weiter verschärft. Die Manipulation des medizinischen Systems und die Desinformation der Öffentlichkeit werden heute professioneller und skrupelloser betrieben denn je.
Dennoch bin ich überzeugt davon, dass wir eine Chance haben, das zu ändern. Überflüssige Medizin muss in einem breiten gesellschaftlichen Diskurs thematisiert werden. Das Thema muss heraus aus dem »Immer mal wieder ein Aufreger«-Status: »Im Ernst? Grippeimpfung fast wirkungslos?« »Was haben die gesagt? Die Knieoperation ist Hightechschamanismus? Keine Wirkung abgesehen von ein bisschen Placebo?« »Ehrlich? Gebärmutteroperationen, die gar nicht nötig sind? Geldschneiderei? Empörend!« Und auf die Empörung folgen Ratlosigkeit und dann der Übergang zum Alltagsgeschäft. Das muss sich ändern. Wir brauchen eine Debatte über die Medizinwende. Weil uns die medizinische Überversorgung schadet und weil für diese Überversorgung enorme Mittel verschwendet werden. Mittel, die wir andernorts – zum Beispiel in der Pflege – dringendst benötigen.
Dafür habe ich dieses Buch geschrieben. Es schildert Missstände, von denen Sie zum Teil vielleicht schon gehört haben. Aber ich habe versucht, diese Missstände in größere Zusammenhänge einzuordnen. Nur so wird das System erkennbar, das diese Entgleisungen des medizinischen Betriebes verursacht. Dabei stütze ich mich auf wissenschaftliche Studien. Auf Dokumente, die einige Personen sicher nicht gerne in diesem Buch veröffentlicht sehen. Das Buch beinhaltet Aussagen von Experten, von Insidern, persönliche Schicksale von (Beinahe-)Opfern und weitere »Geschichten«, auf die ich bei meinen Recherchen gestoßen bin. All das, um das Wirken der weißen Mafia in unserem Gesundheitssystem möglichst vielschichtig darzustellen.
Am Ende des Buches stehen Tipps für Sie, wie Sie Ihr Risiko, Opfer der weißen Mafia zu werden, verringern können. Und einige Vorschläge für Änderungen in unserem Gesundheitssystem. Änderungen, die es der weißen Mafia in Zukunft schwerer machen könnten, uns auszubeuten und uns mit überflüssiger Medizin zu schaden. Und ganz am Ende werde ich Sie um Ihre Hilfe bitten, die Debatte über die Medizinwende in unserem Land anzuschieben.