Titel

ÜBERSETZUNG AUS DEM AMERIKANISCHEN ENGLISCH
VON CHRISTINA NEISKE

MIT ILLUSTRATIONEN
VON KERSTIN SCHOENE

BASTEI ENTERTAINMENT

Für John und Elaine Snyder, Beth,

Linda und Michelle,

gute Nachbarn und gute Freunde,

auch nach ihrer Landflucht.

INHALT

  1. Einleitung
  2. 1 Schöne Scheiße

  3. 2 Von Riesen und Zwergen

  4. 3 Burger, Bulldoggen und Bärensaison

  5. 4 Zuckersüße Folter

  6. 5 Hetzjagd

  7. 6 Salzlösung

  8. 7 Pfirsichduftgefahr

  9. 8 Ganz schön sti(n)ckig

  10. 9 Da ist was faul

  11. 10 Müll deponieren

  12. 11 Verfolgungsjagd

  13. 12 Möge der Schlechteste gewinnen

  14. 13 Kleider machen Leute

  15. 14 Austernschlacht

  16. 15 Eingeschweißt

  17. 16 Zerfetzte Träume

  18. 17 Instinktverhalten

  19. 18 In geheimer Mission

  20. 19 Auf hoher See

  21. 20 Fliegenflucht

  22. Später

EINLEITUNG

Ich hätte eigentlich gedacht, dass es das Leben einfacher macht, wenn man tot ist. Schließlich muss man nicht mehr auf sich aufpassen oder sich um die richtige Ernährung sorgen und so. Aber tote Kids haben einen Haufen anderer Probleme. Anstatt meine Sorgen loszuwerden, habe ich sie also bloß eingetauscht gegen einen Haufen viel schlimmerer Probleme.

1
SCHÖNE SCHEISSE

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»Schöne Scheiße«, sagte Mookie.

»Stimmt. Voll ätzend«, meinte Abigail.

Sie hatten recht – das war echt nicht toll. Aber verglichen damit, in ein Zombiekind verwandelt worden zu sein, war es halb so wild, also bemühte ich mich, es positiv zu sehen. »Wenigstens ist es ja nur für eine Woche oder zwei.« Ich rutschte auf dem winzigen Stuhl herum. Wenn ich meine Füße übereinanderlegte, konnte ich die Beine knapp unter den Minitisch quetschen. Er fühlte sich an wie ein unbequemes Kleidungsstück.

»Hey, wisst ihr was? Wir tun einfach so, als wären wir Riesen.« Mookie hob seinen Tisch mit einer Hand etwas an. Dabei knurrte er und schwenkte ihn hin und her.

»Cool. Auf die Idee wär ich gar nicht gekommen.« Ich starrte meinen Tisch an und versuchte mir vorzustellen, er hätte eine normale Größe und ich wäre riesig. Das war lustig. Auf der Strandpromenade von Wildwood gibt es einen Riesenstuhl. Man kann sich draufsetzen und sich fotografieren lassen. Es gibt da auch einen riesigen Bleistift, den man in der Hand halten kann. So sieht man echt wie ein Minimensch aus. Das hier war vermutlich das Gegenteil davon. Der Minitisch und der Ministuhl ließen mich wie einen Riesen wirken.

»Tja, fee fie foe fum!«, sagte Abigail. »Das macht es ja echt viel besser.«

»Ich rieche Menschenfleisch …« Mookie schnüffelte. »Nein, Moment. Mein Fehler. Ich rieche die Bohnensuppe von gestern Abend.«

»Pfui.« Abigail rutschte von ihrem Stühlchen, taumelte von Mookie weg und setzte sich an den freien Tisch neben mir. »Mookie, du musst dein Verdauungssystem dringend als Giftmülldeponie bei der Regierung melden.«

Er klopfte auf seinen Bauch. »Ich würde es eher als Naturschutzgebiet bezeichnen.« Er schnüffelte erneut. »Hm, eigentlich rieche ich überhaupt nichts. Wahrscheinlich krieg ich eine Erkältung. Trotzdem bin ich lange nicht so mies drauf wie du.«

»Stimmt, was ist los mit dir?«, fragte ich Abigail. »Normalerweise beschwerst du dich nicht.«

»Hier zu sein bringt viel zu viele unliebsame Erinnerungen zurück«, erklärte sie. »Ich hatte nicht damit gerechnet, noch mal damit konfrontiert zu werden.«

»Ich habe nur gute Erinnerungen an meine Grundschulzeit«, sagte Mookie. »Buntstifte, Lieder, Kasperlefiguren. Lauter tolle Sachen. Und es gab immer Muffins. Ich erinnere mich an jede Menge Muffins.« Er schlug mir auf die Schulter. »Weißt du noch?«

Ich überlegte. »Klar. Mit riesigen Klümpchen in der Glasur.«

»Die Eltern haben immer welche gebacken, wenn jemand Geburtstag hatte«, sagte Mookie. »In einem Jahr hatte ich drei Mal Geburtstag, weil meine Mom zweihundert Muffins beim Preisausschreiben eines Radiosenders gewonnen hatte und sie loswerden wollte. Ist aber keinem aufgefallen, schätze ich. Oder die anderen fanden die Muffins einfach genauso toll wie ich. Wir essen jetzt viel zu selten Muffins. Ich vermisse diese Zeit.«

Ich dachte an die Muffins von damals zurück. Sie waren grün. Ich glaube, sie waren mit Broccoli oder Zucchini oder so. Aber mit genug Zuckerguss obendrauf schmeckt fast alles gut, also hat sich niemand beschwert.

Mookie stellte sich auf seinen Stuhl und schrie: »Hey, hat irgendjemand in nächster Zeit Geburtstag? Vergesst bloß nicht die Muffins! Ihr müsst welche mitbringen. Das ist hier so.«

Ich schätze mal, ich hatte sowohl gute als auch schlechte Erinnerungen, sodass sie sich die Waage hielten. Damals hatten wir eine Kunstlehrerin, die meine Werke immer in den Schaukasten gestellt und gesagt hat, ich hätte Talent. In der ersten Klasse hatte ich eine fiese Lehrerin, die immer alle Kinder anbrüllte und nach Mundwasser roch, aber die ging dann weg, und der Lehrer, der sie ersetzte, war echt nett. Also fand ich es im Gegensatz zu Abigail nicht so schlimm, hier zu sein – abgesehen davon, dass alles zu klein für uns Fünftklässler war. Nicht nur die Tische und Stühle, sondern auch die Trinkwasserbrunnen waren so niedrig, dass sie aussahen, als wären sie für Hunde.

»Hey, kommt schon – keine Geburtstage?«, brüllte Mookie und stieg auf den Tisch. Er knarrte, aber er hielt. »Muss ja nicht jetzt sofort sein. Kann auch irgendwann später in diesem Monat sein.«

In dem Moment klingelte es und Mrs Otranto, unsere Englisch- und Gemeinschaftskundelehrerin, betrat das Klassenzimmer. Sie starrte Mookie an.

»’tschuldigung«, sagte er und kletterte vom Tisch, um sich hinzusetzen. »Ich habe grad eine Umfrage gemacht.«

Während Mrs Otranto nach vorn zu ihrem Pult ging, das natürlich normalgroß war, betrachtete sie die Zeichnungen von Figuren aus Kinderliedern, die an der Wand über der Tafel hingen.

Dann seufzte sie und sagte ziemlich genau das, was ich auch gesagt hatte. »Macht euch keine Sorgen, Kinder. Es ist ja nur für eine Woche oder zwei. Wir sollten froh sein, dass sie überhaupt einen eigenen Raum für uns hatten. Alle anderen fünften Klassen müssen zusammenrücken und sich zu zwei Klassen einen Raum teilen.«

Da waren wir also, gequetscht in ein Klassenzimmer der Borloff-Grundschule, während unsere eigene Schule – die Belgosi – gereinigt und desinfiziert wurde. Offenbar war das Gebäude von gefährlichen Schimmelsporen befallen, dank einer undichten Stelle in der Decke der Kantine. Das hatte übrigens nichts mit dem riesigen Schleimpilz zu tun, mit dem ich neulich Bekanntschaft gemacht hatte – genauer gesagt, in den ich eingetaucht war. Es war etwas, das an ganz vielen Schulen im Land passiert war. Jedenfalls hockten wir jetzt hier, bis das Gesundheitsamt grünes Licht gab, an die Belgosi zurückzukehren.

Schimmelsporen einzuatmen, kann für Kinder sehr gefährlich sein. Für mich ist das allerdings kein Problem, denn ich muss gar nicht atmen. Ich könnte problemlos einen Monat lang auf dem Meeresgrund hocken. Ich könnte ohne mit der Wimper zu zucken durch eine Giftgaswolke laufen. Mookie könnte jeden Teller Bohnensuppe des ganzen Universums in Giftgasbomben verwandeln, und es wäre mir egal.

Ich bin nämlich sozusagen halb tot. Das ist so, seit der Onkel meiner Freundin Abigail, ein verrückter Wissenschaftler, mir aus Versehen eine Riesenladung Verschwinde-Schmerz übergekippt hat. Seitdem spüre ich keinen Schmerz mehr. Ich muss auch nicht mehr schlafen, und mein Herz schlägt nicht mehr.

Mit seinem Riesen-Vergleich hatte Mookie wirklich den Nagel auf den Kopf getroffen. Nicht nur die Stühle und so waren klein, sondern auch die Kinder an der Borloff. An der Belgosi waren wir ja schon die Großen, denn die ging von der dritten bis zur fünften Klasse. Also waren wir als Fünftklässler dort die größten Kids weit und breit.

Hier an der Borloff dagegen bewegten wir uns zwischen Kindergartenkindern, Erstklässlern und Zweitklässlern. Die Kindergartenkinder waren besonders winzig. Ich hatte fast Angst, ich könnte über eins stolpern. Oder dass Mookie im Flur über seine Schnürbänder fallen und in eine Gruppe von ihnen hineinstürzen könnte. Vermutlich würde er sie alle zerquetschen wie Käfer. Mookie stolpert ziemlich oft.

Tja, wir waren also Riesen – bis die echten Riesen in unser Klassenzimmer schlurften. Zwanzig an der Zahl. Sie waren groß und furchterregend, und sie sahen nicht sehr glücklich aus.

2
VON RIESEN UND ZWERGEN

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Die Riesen trugen kleine Stühlchen, wodurch sie noch riesiger aussahen. Ein Mann in einem zerknitterten grünen Jackett und einer fleckigen roten Krawatte folgte ihnen ins Klassenzimmer. Obwohl er erwachsen war und größer als die meisten der Riesen, wirkte er trotzdem irgendwie geschrumpft. Er nickte Mrs Otranto zu und sagte: »In der Mittelschule wurde jetzt auch Schimmel gefunden. Sieht aus, als müssten wir zusammenrücken.«

Sie wandte sich zu uns und sagte: »Rückt eure Tische so nah wie möglich aneinander, damit Mr McGavins Klasse Platz hat.«

Ich rammte meinen Tisch gegen Mookies, und Abigail schob ihren geräuschvoll näher an meinen ran. Wir rutschten alle zusammen und machten uns klein. Die großen Kids – ich schätze, es waren Achtklässler – quetschten sich um uns herum und stellten ihre Stühle hin.

»Hat irgendjemand von euch bald Geburtstag?«, fragte Mookie. »Das ist wichtig. Für die richtige Antwort gibt es Muffins.«

Sie ignorierten ihn.

Als sie saßen, waren sie immer noch viel größer als wir. Ich hatte das Gefühl, in einem Wald voller Mammutbäume gelandet zu sein.

»Vielleicht sollten wir ihnen Gullivers Reisen vorlesen«, sagte Mrs Otranto zu Mr McGavin.

Er lachte. »Würde sich anbieten.«

Die beiden Lehrer steckten die Köpfe zusammen und unterhielten sich weiter. Ich sah zu Abigail rüber.

»Das ist ein Buch über einen Typen, der Riesen und Zwerge besucht«, erklärte sie. »Es ist eine Allegorie.«

»Danke.« Wenn Abigail in der Nähe war, brauchte man keinen Internetanschluss. Sie konnte fast jede Frage beantworten. Nur verstand ich die Antworten leider oft nicht. Vermutlich hätte ich sie fragen können, was eine Allegorie ist, aber ich war gar nicht so scharf drauf, das zu erfahren. Ich war mir ziemlich sicher, dass es in unserer nächsten Klassenarbeit nicht vorkommen würde.

Mrs Otranto wandte sich uns wieder zu und sagte: »Das ist doch eine wunderbare Gelegenheit für uns alle. Mr McGavin und ich haben beschlossen, dass wir den Unterricht so halten werden, dass ihr alle davon profitiert. Wir können so viel voneinander lernen.«

Mehrere Leute schnaubten in den hinteren Reihen. »Die können von uns lernen, was Schmerzen sind«, murmelte einer.

Schmerzen?

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Ich sah über die Schulter. Da saß der kräftigste Junge der ganzen Klasse und starrte mich an. Und er kam mir erschreckend bekannt vor, mit seinem stumpfsinnigen Schlägerblick und dem fetten Schädel eines Urwaldaffen.

»Wer ist das?«, fragte ich Mookie flüsternd. »Der sieht aus wie Rodney.«

Rodney Mullasco war der Schultyrann. Der Gedanke, dass er mit lauter kleinen Kindern in einen Raum gepfercht war, gefiel mir nicht. Genau in diesem Moment kniff er garantiert irgendwo in der Borloff einem bedauernswerten Erst- oder Zweitklässler ins Ohr.

»Oh nein«, sagte Mookie. »Das muss Ridley sein.«

»Ridley?«

»Rodneys großer Bruder. Ich hab gehört, er ist noch fieser als Rodney.«

»Na toll.« Ich war mir nicht sicher, ob meine Zombie-Ohren es überleben würden, wenn dieses Monster hineinkniff. Seine Finger waren so riesig wie Jumbo-Hotdogs.

»Wovor habt ihr Angst?«, fragte Abigail. »Schließlich habt ihr schon fiese feindliche Spione und Schleimmonster besiegt.«

Ich deutete über meine Schulter. »Die sahen aber alle nicht halb so gefährlich aus wie der da. Wir sind ihm völlig ausgeliefert. Er hat uns den ganzen Tag bequem in Reichweite.«

Ich drehte mich um und starrte ihn an. Das kann ich nämlich tun, ohne bemerkt zu werden. Da ich ja nicht lebendig bin, spüren die Leute es nicht, wenn ich sie anstarre. Aber das geht natürlich am besten, wenn ich mich hinter den Leuten aufhalte. Wenn ich jemanden anstarre und er zufällig in meine Richtung guckt, funktioniert es irgendwie nicht so gut.

Ridley fing meinen Blick auf. Ich musste schnell eine Entscheidung treffen. Wenn ich wegguckte, könnte er denken, dass ich Angst vor ihm hatte. Und dann könnte er Lust bekommen, mir noch mehr Angst einzujagen. Nach meiner Erfahrung suchen Tyrannen sich gern eine besondere Zielscheibe aus. Also wäre es vermutlich keine gute Idee, wegzugucken.

Andererseits – wenn ich ihn weiter anstarrte, könnte er denken, ich wollte ihn provozieren. Das wäre natürlich lächerlich, denn er war ja fast so groß, dass er mich in die Tasche stecken konnte. Aber irgendetwas sagte mir, dass logisches Denken nicht seine Stärke war. Also, weiterstarren oder weggucken?

Ich musste keins von beidem tun.

»Eine Biene!«, kreischte Abigail.

Alle drehten sich zu ihr um, während sie von ihrem Stuhl aufsprang und wild um sich schlug. Die Kids in ihrer Nähe duckten sich. Ich duckte mich auch, obwohl ich mir über Schmerzen echt keine Sorgen mehr machen musste. Aber ich wollte nicht, dass die anderen sich fragten, warum ich keine Angst hatte. Ferdinand stieß einen lauten Schrei aus und versuchte sich unter seinen Tisch zu quetschen. Mir fiel auf, dass sogar Ridley zusammengezuckt war. Ich schätze mal, dass man auch als Achtklässler noch nicht zu groß war, um Angst vor Bienen zu haben.

»Beruhigt euch, Kinder!«, rief Mrs Otranto. »Die Biene hat mehr Angst vor euch als ihr vor ihr.«

Ich wette, sie ist noch nie gestochen worden. Ich bin erst zweimal gestochen worden, aber ich kann mich gut daran erinnern, wie sehr es wehgetan hat. Ich drehte mich wieder nach vorn. »Ich wusste gar nicht, dass du Angst vor Insekten hast«, flüsterte ich Abigail zu. Ich hatte mal gesehen, wie sie im Wald ein Stück verfaultes Holz angehoben hat, um neugierig zu betrachten, was darunter herumkrabbelte. Und einmal hatte ich sie neben einem Spinnennetz hocken sehen, um die Spinne beim Fressen zu beobachten.

»Hab ich auch nicht«, flüsterte sie zurück. »Ich hatte nur Angst davor, dass dieses Monster dich mit seinem Blick zermalmen würde. Also dachte ich mir, eine Ablenkung wäre gut.«

»Danke. Normalerweise ist Mookie derjenige, der für Ablenkung sorgt.«

»Er ist viel zu sehr damit beschäftigt, zu niesen, die Nase hochzuziehen und um Muffins zu betteln. Außerdem glaube ich nicht, dass eine Gaswolke Ridley überhaupt aufgefallen wäre«, meinte Abigail. »Aber er ist definitiv ein Typ, der auf einen panischen Schrei reagiert.«

»Ich weiß, was du meinst.« Tyrannen haben definitiv einen besonderen Radar für jegliche Anzeichen von Angst. Hoffentlich hatte Ferdinand nicht Ridleys Aufmerksamkeit auf sich gezogen, als er sich unter dem Tisch versteckt hatte.

Mrs Otranto und Mr McGavin begannen mit dem Unterricht. Als es Zeit für Naturwissenschaften war, kamen unsere Naturwissenschaftslehrerin Ms Delambre und der Lehrer der achten Klasse, Mr Verne, ins Zimmer.

Danach mussten wir raus in die Pause, genau wie an der Belgosi. Nur dass wir den Schulhof mit den kleinen und den großen Kindern teilen mussten.

»Wo sollen wir hingehen?« Ich stellte fest, dass sich bereits eine Menge Kids auf den Schaukeln und anderen Spielgeräten tummelten. Die älteren Kinder hatten das Fußballfeld besetzt und spielten Kickball. Und zwar offenbar eine ziemlich harte Version von Kickball, denn sie schubsten und boxten sich, kämpften gegeneinander und stolperten immer wieder. Die jüngeren Kinder spielten Hüpfkästchen und Fangen.

Schließlich setzten wir uns an die Rückwand des Gebäudes. Das schien der sicherste Ort zu sein.

»Hmmm«, sagte ich, während ich die Kinder beobachtete, die wild durcheinanderliefen. »Anscheinend sind hier gar keine Lehrer.«

»Wahrscheinlich denkt jeder, dass der andere Aufsicht hat«, meinte Abigail. »Bei drei zusammengequetschten Schulen gibt es sicher viel Durcheinander.«

»Bei dem Anblick hab ich richtig Lust, nett zu sein zu den Kleinen«, sagte Mookie, als fünf riesige Achtklässler mit einem aus der Vierten von unserer Schule Fangen spielten.

»Ja, ich weiß, was du meinst.« Ich dachte an die Mission des BUM. Das BUM war die Organisation, die mich zum Spion ausbildete. Als sie mich angeworben haben, haben sie mir von ihrem Ziel erzählt. Wir beschützen Menschen, die sich nicht selbst beschützen können. Ich gehörte zum BUM. Ich musste dieses Kind beschützen. Also stand ich auf und überquerte den Schulhof.

Abigail lief hinter mir her und griff nach meinem Arm. »Ich weiß, was du vorhast, aber es ist nicht nötig. Es gibt echt ein paar fiese Kids da draußen, aber die meisten sind nicht so. Die meisten Kinder sind nett. Sogar die älteren Kinder. Guck mal, da drüben.«

Sie hatte recht. Vier der größeren Kinder – zwei Jungs und zwei Mädchen – rannten rüber zu den Tyrannen und beendeten das Spiel. Eins der beiden Mädchen umarmte sogar den Viertklässler.

»Ich schätze, die Fiesen fallen einfach mehr auf«, sagte ich.

»Besonders, wenn sie dich an den Füßen hochheben«, bemerkte Mookie. Er zeigte über den Schulhof auf Ridley, der Ferdinand an den Schuhen festhielt und ihn über einer Pfütze baumeln ließ. »Hoffentlich hat er seine Schuhe richtig gut zugeknotet.«

Viele Kinder sahen zu, aber anscheinend traute sich niemand einzuschreiten. »Ich muss etwas tun.« Ich wusste nur noch nicht was. Vielleicht könnte ich einen Luftangriff ordern, oder eine Steinlawine auslösen. Nur waren wir leider weder in der Nähe einer Airforce-Station noch in den Bergen.

»Warte«, sagte Abigail.

»Aber niemand tut was«, protestierte ich. »Also muss ich was tun.«

Sie klopfte auf ihre Uhr. »Die Klingel wird ihn retten. Drei, zwei, eins, jetzt!«

In dem Moment klingelte es, und Ridley ließ Ferdinand fallen.

»Hast du deine Uhr genau nach der Pausenglocke gestellt?«, fragte ich.

»Das tun doch alle, oder etwa nicht?«, entgegnete sie.

»Das bezweifle ich.«

Wir gingen rein zum Mittagessen. Sie hatten uns in drei Gruppen eingeteilt, damit jeder einen Sitzplatz hatte beim Essen. Wir waren in der ersten Runde dran, was bedeutete, dass der Raum noch ziemlich sauber war. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie es hier aussehen würde, wenn die dritte Gruppe fertig war. Vermutlich wie eine Müllhalde.

»Manches ändert sich nie«, bemerkte Mookie, als wir in die Kantine kamen.

Er hatte recht. Es war wie am ersten Tag der fünften Klasse. »Das nervt«, stellte ich fest.

»Das weckt definitiv schlechte Erinnerungen«, sagte Abigail.

3
BURGER, BULLDOGGEN UND BÄRENSAISON

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»Wo sollen wir uns hinsetzen?«, fragte ich.

Die beliebten Kids hatten bereits die besten Plätze besetzt. Wir landeten ganz hinten, in der Nähe eines ziemlich lauten Ventilators. Eins der Tischbeine war zu kurz, sodass der Tisch wackelte, wenn sich jemand bewegte.

Denali rüttelte an dem Tisch und starrte auf ihre Suppe. »Sieht aus wie Wackelpudding«, sagte sie.