Wieder einmal war für die berühmte Himmelsteiner Wallfahrt die Zeit herbeigekommen. Zwei Männer schritten auf die Schlucht zu, durch welche man zur Höllenmühle gelangte.
Der Eine mochte wohl über fünfzig Jahre zählen, sah aber bedeutend älter aus. Seine eingefallenen Schläfe und Wangen und die tiefen Furchen, welche die hohe Stim durchzogen, fießen vermuten, daß weniger die Jahre als gewisse seelische Vorgänge schuld seien, daß die Haltung seiner hohen Gestalt eine so müde und geknickte war. Der Andere war ein junger rüstiger Mann im Alter von vielleicht etwas über zwanzig Jahren. Ihre außerordentliche Ähnlichkeit ließ vermuten, daß sie Vater und Sohn seien. Beide trugen eine zwar einfache Kleidung, deren Schnitt aber doch ein solcher war, wie bei den besseren Ständen gebräuchlich zu sein pflegt.
"Ob wir wohl den richtigen Weg zur Höllenmühle haben?" fragte der Ältere.
"Ich denke es, Papa. Wir haben uns ja genau nach der Beschreibung gerichtet."
"Und ob der geheimnißvolle Fremde auch wirklich eintreffen wird?"
"Sicher! Er sah mir nicht aus, als ob die Sache im Scherz sei. Er war dem Prinzen nicht weniger als freundlich gesinnt und schien sehr wohl zu wissen was er tat. jedenfalls aber sagte er bedeutend weniger, als was er hätte sagen können."
"Das ist es, was mich mißtrauisch macht. Konnte er nicht aufrichtig sein?"
"Er hatte jedenfalls triftige Gründe zur Verschwiegenheit. Dort sind Leute im Grummet. Wollen einmal fragen."
Nicht fern von ihnen, hart neben dem Eingange der Schlucht, ruhten auf einer Wiese mehrere Personen, welche Grummet geschnitten hatten und nun ihre Vespertnahlzeit verzehrten. Die Beiden schritten auf sie zu, und nachdem sie gegrüßt hatten, fragte der Ältere:
"Kommt man hier nach der Höllenmühle?"
Einer der Männer erhob das Gesicht. Er hatte eine ganz entsetzlich lange Nase. Sie hob sich empor, wie um die Ankömmlinge genau in Augenschein zu nehmen, und wandte sich dann seitwärts nach der Schlucht hinüber; nun endlich erst antwortete ihr Besitzer:
"Das versteht sich ganz von selber!"
"Wie hat man zu gehen?"
"Hier durch den Engpaß."
Sein Nachbar, welcher neben ihm saß, hatte einen Stelzfuß und gar keine Nase. Er erhob sich und meinte:
"Wir gehören zur Mühle. Ich werde Sie führen, denn in wie fern denn und in wie so denn, ich muß einmal nach Hause, um Rechen zu holen."
"Ist es weit?"
"Zehn Minuten. Kommen Sie!"
Sie folgten ihm. Während des Gehens beobachtete er sie von der Seite. Er wußte sichtlich nicht, für wen und was er sie zu halten habe. Endlich fragte er:
"Sie haben wohl Geschäfte in der Mühle?"
"Möglich."
"Getreide- und Mehlhandel?"
"Nein."
"Was denn?"
"Zunächst wollen wir jemand dort treffen. Ist Besuch beim Müller?"
"Nein."
"Es wird auch Niemand erwartet?"
"Ich weiß nichts davon."
"Sind Sie bereits lange in der Mühle?"
"Viele Jahre. Ich bin mit dem Klaus zu gleicher Zeit eingetreten."
"Wer ist dieser Klaus?"
"Der mit der langen Nase. Er könnte mir ein Stück davon ablassen."
"Das ist richtig. Sind Sie stets ohne Nase gewesen?"
"Nein. Ich habe sie und das Bein im Gefechte verloren."
"Ah! Sie waren Soldat?"
"Sehr."
"Kavallerist?"
"Hm! Ich sollte. Man wollte mich dazu zwingen, ich aber gab es nicht zu."
"Ich denke, man wird da gar nicht gefragt. Warum wollten Sie nicht?"
"Weil ich ein Gelübde getan hatte."
"Ein Gelübde? Welches?"
"Ich hatte gelobt und geschworen, niemals zu reiten."
"Ah! Warum?"
"Das ist eine sehr schlimme Geschichte, die ich gar nicht jedem erzählen kann."
"Warum nicht?"
Es war Brendel mit seiner letzten Behauptung gar nicht ernst gemeint, sondern er war im Gegenteile ganz glücklich, seine berühmte Geschichte wieder einmal an den Mann zu bringen. Darum antwortete er:
"Hm, weil man am Ende gar noch ausgelacht wird. Aber weil Sie zwei ernsthafte Männer zu sein scheinen, so sollen Sie es hören. Ich war damals nämlich noch Lehrjunge in der Sonntagsmühle, und da kommt eines schönen Tages ein Roßkamm und bietet uns ein Pferd an."
"Was für eins?"
"Es war ein Apfelschimmel, aber er hatte keine Apfeln mehr, sondern sah vor Alter schneeweiß aus wie ein Gänserich. Die Kanaille war nicht sehr hoch gebaut, aber kräftig, sie hatte in guter Pflege gestanden und in früheren Zeiten bei den Husaren gedient. Dann aber, Donnerwetter, ich kann nicht weiter erzählen!"
"Warum nicht?"
"Dort kommt der Meister."
"Der Müller?"
"Ja. Er ist in der Stadt gewesen."
Wirklich kam Uhlig über den Rand der Schlucht in dieselbe herabgestiegen. Als er der beiden Fremden ansichtig wurde, blieb er stehen, um sie zu erwarten. Der nasenlose Mühlknappe ließ seine schöne Geschichte im Stiche und humpelte an ihm vorüber. Die Drei grüßten sich.
"Sie sind der Müller Uhlig?" fragte der Ältere.
"Ja."
"Es ist vor ungefähr einer Woche ein Fremder bei Ihnen gewesen, ein Amerikaner, ein kleiner schmächtiger Mann, der sich Master Ellis nannte?"
"Ja."
"Hat er Ihnen Gäste angemeldet?"
"Mehrere."
"Wen?"
"Hm, ich weiß nicht, ob es mir erlaubt ist Ihnen die Namen zu nennen."
"Wir der eines Grafen von Mylungen dabei?"
"Allerdings."
"Ich bin es, und das hier ist mein Sohn."
"Ah, willkommen, Erlaucht! Der junge Herr ist Seemann und ein Freund des Marineleutnants Kurt Schubert?"
"Der bin ich!" antwortete Karl von Mylungen.
"So wiederhole ich, daß Sie mir herzlich willkommen sind. Bitte, begleiten Sie mich nach meiner Wohnung!"
"Gern. Nun werden Sie uns wohl sagen, welche Gäste Sie noch erwarten?"
"Einen Baron Friedrich von Walmy ..."
"Ah!" unterbrach ihn der Graf in einem sehr verwunderten Tone.
"Ja. Dann einen gewissen Holmers, der auch ein Amerikaner Ist."
"Weiter!"
"Von Herrn Ellis wurden mir nur diese Beiden angesagt. Heut am Morgen aber erhielt ich eine Depesche, nach welcher auch der junge Herr Kurt Schubert kommt. Er muß mit Herrn von Walmy noch heute hier eintreffen."
"Dann ist etwas an der ursprünglichen Disposition verändert worden."
"Es muß etwas geschehen sein, denn die Depesche empfahl mir, scharf aufzumerken, ob Prinz Hugo nach Burg Himmelstein komme."
"Hm! Ist er angekommen?"
"Noch nicht. Sobald er aber kommt, werde ich es sofort erfahren. Mein Lehrjunge hat sich oben am Schlosse postirt und wird mir Nachricht geben."
Sie erreichten die Mühle, und die beiden Gäste wurden von der Müllerin mit respektvoller Herzlichkeit aufgenommen. Sie erhielten ein Zimmer, auf welches ihnen auch das Essen gebracht wurde. Der Graf tat es nicht anders, der Müller mußte an dem Mahle teil nehmen.
"Sie haben eine Tochter?" fragte Mylungen.
"Ja."
"Wie kommt es, daß ich sie nicht gesehen habe?"
"Sie ist nicht hier, sie ist verheiratet."
"An wen?"
"Mein Schwiegersohn heißt Walther. Er ist Pfarrer in der norländischen Residenz."
"Ah, es ist derselbe Theologe, welcher Erzieher in Helbigsdorf gewesen ist?"
"Ja."
"Ich kenne ihn."
"Sie haben ihn gesehen und gesprochen?"
"Nein. Leutnant Schubert hat meinem Sohne von ihm erzählt. Pastor Walther war lange Zeit mit Ihrer Tochter verlobt?"
"Einige Jahre."
"Ihre Tochter verschwand eines schönen Tages?"
"Sie wissen auch hiervon?"
"Alles. Der Leutnant hat das Abenteuer ausführlich berichtet. Es war schauderhaft, ja, es war unglaublich."
"Und dennoch wahr."
"Was haben Sie getan?"
"Hm!"
"Natürlich Anzeige gemacht."
"Allerdings."
"Man hörte aber doch von einer Bestrafung nichts!"
"Sie wundern sich darüber? Vierzehn Tage nach meiner Anzeige kam ein hoher Justizbeamter nach der Höllenmühle, der meine Tochter, meine Frau und mich einem sehr scharfen Verhöre unterwarf. Er behandelte uns, als ob wir Verbrecher seien. Nach ihm hatte meine Tochter eine heimliche Liebschaft mit einem Himmelsteiner Knechte gehabt und die Mühle verlassen, um mit ihm nach Amerika zu gehen, und der Vogt hatte sie bis zur geeigneten Zeit als Magd da oben behalten. Der Prinz hatte von dieser Angelegenheit nicht die mindeste Ahnung gehabt, und das einzige Strafbare war gewesen, daß der Vogt mir die Anwesenheit meiner Tochter nicht gemeldet habe. Gegen ihn könne ich Klage führen, dann aber werde man auch mich zur Untersuchung ziehen wegen falscher Anschuldigung des Prinzen, denn das ganze Abenteuer sei ja nur erfunden, um meine Tochter vor den Augen Walthers zu rechtfertigen, nachdem sie wieder Sehnsucht nach dem Elternhause bekommen habe. Das war das ganze Ende des großen Liedes."
"Und Sie haben wirklich geschwiegen?"
"Ich wollte nicht, ich wollte lieber zu Grunde gehen, als den Prinzen unbestraft sehen, aber ich erkundigte mich bei verschiedenen Rechtsgelehrten, welche mir abrieten, da sowohl der betreffende Knecht als auch der Vogt nebst seiner Frau ihre Aussagen beschworen hatten."
"Aber Ihre beiden Zeugen, der Leutnant und Ihr Knappe, die Ihre Tochter befreit hatten? Man mußte doch auch diese vernehmen!"
"Der Herr Leutnant war Ausländer und übrigens bereits wieder zur See gegangen, und Klaus hätte man sehr einfach den Prozess gemacht. Unter diesen Umständen riet mir auch mein Schwiegersohn ab, er meinte, ich sollte die Entscheidung einem höheren Richter anheimgeben, der kein Ansehen der Person kenne und früher oder später doch sein Urteil sprechen werde."
"Das wird er, darauf können Sie sich verlassen! Vielleicht hat er gerade uns zu Ihnen geführt, um den Täter zu bestrafen. Hat Ihnen dieser Master Ellis irgend welche Mitteilungen gemacht?"
"Nein. Er schien ein sehr verschlossener Mann zu sein. Er zog sehr eingehende Erkundigungen über die hiesigen Verhältnisse ein, obgleich es mir schien, als ob sie ihm bereits mehr als genugsam bekannt seien."
"Sind Sie erst seit einigen Wochen hier?"
"Ja. Ich kam aus Norland herüber."
"So können Sie mir keine Auskunft geben. Aber wir sind Leidensgefährten, denn auch mir ist eine liebe Tochter ganz plötzlich verschwunden."
"Nicht möglich! Eine gräfliche Prinzessin!"
"Allerdings."
"Und Sie haben Verdacht?"
"Dieser Ellis hat meinen Verdacht beinahe zur Gewißheit erhoben."
"Gegen den Prinzen?"
"Gegen ihn. Meine Tochter war ihm zugetan, obgleich ich es nicht unterließ, sie vor ihm zu warnen. Sie wurde sogar nach ihrem Verschwinden in seiner Begleitung gesehen, aber die Spur ging leider verloren."
"Vielleicht hat er auch sie nach Burg Himmelstein geschafft!"
"Diese Vermutung ist jetzt in mir erweckt worden."
"Was gedenken Sie zu unternehmen? Seien Sie überzeugt, Erlaucht, daß Sie auf meine Hilfe nach jeder Tragweite hin vollständig rechnen können!"
"Ich danke! Was ich tun werde, weiß ich nicht, da ich versprochen habe, nichts ohne Ellis zu unternehmen, der, wie er mir sagte, auch einen Kampf mit dem Prinzen auszufechten habe."
Da wurde es unten im Hofe laut. Man brachte ein Fuder Grummet gefahren, und Klaus, welcher die Pferde führte, rief den Namen des Müllers. Der Letztere trat an das Fenster.
"Was gibt es denn?" fragte er hinab.
"Kommen Sie rasch herab! Der Herr Leutnant Kurt ist da mit noch Einem; das versteht sich ja ganz von selber!"
"Wo sind sie?"
"Jn der Stube. Sie sind mit mir gekommen."
Der Müller eilte hinab. Die anderen folgten. Kurt Schubert hatte Friedrich von Walmy bei sich. Er war nicht wenig verwundert, die beiden Mylungen hier zu sehen.
"Sie hier in der Höllenmühle, Erlaucht?" fragte er, als er von ihnen begrüßt und umarmt worden war.
"Haben Sie uns nicht hier erwartet?" gegenfragte der alte Graf.
"Offen gestanden, nein. Wie konnte ich denken, Sie hier zu treffen!"
"Hat Ihnen Ellis nichts gesagt?"
"Ellis? Welcher Ellis?"
Der Graf blickte ihn erstaunt an. Dann fragte er:
"Kommen Sie aus Helbigsdorf?"
"Allerdings."
"War Ellis nicht dort? Er wollte doch dahin zum General."
"Ich wiederhole, daß ich keinen Ellis kenne. Wer ist dieser Mann?"
"Ein kleiner, schmächtiger, sonnverbrannter Mensch, welcher mir sagte, daß er von seinen Freunden in Helbigsdorf sehnsüchtig erwartet werde."
"Ah! Er hat einen Messerhieb über die Stirn?"
"Ja."
"Dann kennen wir ihn. Also Ellis hat er sich bei Ihnen nennen lassen?"
"So ist es."
"Er ist ein amerikanischer Prairienjäger, welcher bei seinen Gefährten den Namen Bowie-Pater führt. Vielleicht ist sein eigentlicher Name Ellis. Er ist es allerdings, auf dessen Rat wir nach Himmelstein gegangen sind."
"Er hat Ihnen erzählt, daß er bei uns war?"
"Er hat es kurz erwähnt, denn bei seiner Ankunft in Helbigsdorf wurde er von unserm Unglück so in Anspruch genommen, daß ihm keine Zeit zu anderen Auseinandersetzungen übrig blieb."
"Sie sprechen von einem Unglück?"
"Allerdings. Haben Sie noch nichts davon gehört?"
"Kein Wort!"
"Daß Helbigsdorf niedergebrannt ist?"
"Niedergebrannt? Unmöglich!"
"Bis auf den Grund!"
"Armer Helbig! Welch ein Unglück! Wenn ist es geschehen?"
"Am Abend vor unserer Abreise. Es war vorigen Dienstag."
"Wie kam das Feuer aus?"
"Es wurde angelegt."
"Schrecklich! Hat man den Täter vielleicht erwischt?"
"Ja. Aber Derjenige, in dessen Auftrage er es tat, ist entkommen."
"Wer ist dies?"
"Es ist ... raten Sie!"
"Wer könnte das!"
"Prinz Hugo von Süderland."
"Der ... der tolle Prinz?"
"Derselbe!"
"Das klingt ja ganz und gar unglaublich! Ein Prinz ein Mordbrenner!"
"Oh, er ist noch mehr! Er ließ das Schloß anstecken, um die Tochter des Generals zu entführen."
"Das wird ja immer schauderhafter! Natürlich ist es ihm nicht gelungen?"
"Doch!"
"Mein Gott! Was ist da zu tun?"
"Man ist sofort seiner Spur gefolgt, und während der verzweifelnde General bei der Brandstelle zurückbleiben mußte, sind wir nach Himmelstein geeilt. Ah, ich vergaß im Eifer ganz, Ihnen meinen Freund vorzustellen: Herr Baron Friedrich von Walmy, Graf von Mylungen, Karl von Mylungen, mein Kamerad zur See."
Die Herren gaben sich die Hände, dann meinte der alte Graf zu Kurt:
"Wir sind hier unter uns. Bitte, erzählen Sie doch das Schreckliche!"
Kurt berichtete ausführlich von dem Abende jenes Brandes. Kaum hatte er geendet, so trat der Lehrling ein und meldete seinem Meister atemlos:
"Er ist da!"
"Der Prinz?"
"Ja. Er kam in einer Kutsche."
"Wir sie offen?"
"Nein, sie war zu."
"Hast Du ihn denn gesehen?"
"Er guckte durch das Fenster."
"Wir noch jemand darin?"
"Ich habe nichts gesehen."
"Gut. Gehe auf das Feld!"
Als der Junge sich entfernt hatte, rief Kurt:
"Welch ein Versehen! Das ist kaum wieder gut zu machen!"
"Was?"
"Ich ahnte nicht, daß er bereits kommen werde. War er bei unserer Ankunft noch nicht hier, so wollte ich mich ihm in den Weg stellen, um seinen Wagen zu öffnen. Nun aber ist er bereits zur Burg hinauf und wir haben nicht erfahren können, ob er Magda bei sich hatte."
"Wir werden es erfahren," meinte Friedrich von Wilmy.
"Wie?"
"Wirten wir bis der Pater kommt. Übrigens bin auch ich bereits da. Einem Prairiemanne kann so leicht nichts entgehen. Meine Ansicht ist übrigens die, daß die junge Dame in dem Wagen gesessen hat. Der Pater und Holmers müssen übrigens auf seiner Fährte sein, denn ... ah!"
Er deutete durch das Fenster. Draußen kamen zwei Gestalten auf die Mühle zugeschritten, der eine war klein und sehr schmächtig, der Andere aber stark und breit wie ein Riese gebaut. Es waren die beiden Genannten, der Pater und Holmers. Der Müller öffnete ihnen die Türen und führte sie herein.
"Ah!" rief der Pater, "bereits Alle da!"
"Soeben erst gekommen," antwortete Kurt. "Auch der Prinz traf vor erst wenigen Augenblicken ein."
"Weiß es! Donnerwetter, es ist ärgerlich, daß wir. ihn nicht einholen konnten. Nun hat er das Fräulein in Sicherheit gebracht!"
"Hatte er sie mit?"
"Ja."
"Gewiß?"
"Wir waren ihm hart auf den Fersen und wissen, daß sie bis nach Himmelstein nicht ein einziges Mal aussteigen durfte."
"Alle Teufel! Hätte ich ihm doch begegnet!" rief Kurt.
"Ärgern Sie sich nicht, junger Mann," tröstete der Pater. "Wir werden die Taube dem Stößer ganz sicher aus den Krallen reißen. Vor allen Dingen ist es notwendig, dem General zu telegraphieren. Ich werde das selbst besorgen."
"Er muß her?"
"Natürlich. Es ist vielleicht notwendig, sein Ansehen zur Geltung zu bringen, wenn List vorher nichts helfen sollte."
"Und bis dahin sollen wir warten?"
"Das ist nicht nötig. Wir werden das Terrain heute noch sondiren."
"Thun Sie das! Sie sind darin geübt und hier in der Gegend nicht bekannt. Wenn ich mich dem Schlosse nähere, könnte man mich sehen und erkennen. Ich werde lieber die Depesche selbst besorgen."
"Wie Sie wollen. Aber das müßte gleich geschehen!"
"Ich eile schon."
Ohne sich auf weitere Auseinandersetzungen einzulassen, verließ Kurt die Mühle und ging nach der Stadt. Dort gab er die Depesche auf und trat dann, da es sehr heiß war und er Durst empfand, in ein Wirtshaus, um sich ein Glas Bier geben zu lassen. Der Wirt blickte ihm beinahe erstaunt in das Gesicht.
"Wie kommt es, daß sie sich einmal zu mir herablassen, Herr Geißler?" fragte er, indem er dem Gaste das Glas mit schäumendem Bier vorsetzte.
"Geißler? Ich heiße nicht so."
"Nicht? Sie scherzen! Man wird Sie ja kennen!"
"Ah, Sie meinen den Neffen des Schloßvogtes? Der bin ich nicht."
"Nicht? Wirklich nicht?"
"Nein."
"Das wäre ja eine ganz staunenswerte Ähnlichkeit. Wer sind Sie denn?"
"Ich bin hier fremd."
"Fremd? Sie reisen nur durch? Oder bleiben Sie zum Feste hier?"
"Ich weiß noch nicht."
"Sie wissen es noch nicht? Dann haben Sie aber ja einen Ort, wo Sie sich entscheiden werden ...?"
Der Mann fragte aus bloßer wirtschaftlicher Neugierde, aber es war dennoch unklug von Kurt, daß er ihm antwortete:
"Ich bin für heute draußen in der Mühle."
"In der Höllenmühle?"
"Ja. Hier ist Geld. Adieu!"
Er ging. Kaum aber war er um die Ecke der Gasse verschwunden, so kam ein Anderer von der andern Seite her auf das Haus zu. Er trat ein und verlangte auch ein Glas Bier. Der Wirt grüßte ihn mit tiefster Devotion und meinte, indem er ihm das Glas vorsetzte:
"Jetzt eben ist mir etwas ganz Ungewöhnliches passirt, Herr Schloßvogt."
"Was?" fragte der Alte mürrisch.
"Fast hätte ich einen Fremden für Ihren Herrn Neffen gehalten."
"Dummheit!"
"Das war es wohl weniger. Die Ähnlichkeit war zu groß. Ich glaube, Sie selbst hätten diese Beiden nicht sofort auseinander gekannt."
Der Schloßvogt stutzte.
"Wirklich?" dehnte er.
"Ja."
"Wer war der Mann?"
"Ein Fremder, wie ich bereits sagte."
"Woher?"
"Weiß es nicht."
"Ihr neugieriges Volk pflegt doch in solchen Fällen stets zu fragen!"
"Ich tat es auch, er schien aber keine Lust zur Antwort zu haben."
"Wohin ging er?"
"Von hier aus? Das weiß ich nicht. Er sagte aber, daß er für heute draußen in der Höllenmühle sei."
Der Vogt erhob sich schnell.
"Donnerwetter! Ist er seit lange fort?"
"Soeben erst."
"Rechts oder links?"
"Rechts um die Ecke."
"Adieu!"
Er eilte fort, ohne sein Bier zu kosten oder zu bezahlen. Trotz seines Alters war er schnell um die von dem Wirte bezeichnete Ecke gelangt und schritt so schnell wie möglich die Straße entlang, welche aus dem Städtchen hinausführte. Dort sah er Kurt vor sich hergehen.
"Er ist es; es ist dieser Marineleutnant. Ich muß sofort aufs Schloß."
Er wandte sich seitwärts und bog dann in die Straße ein, welche zur Burg Himmelstein emporführte. Er legte diesen Weg mit der ihm möglichsten Hast zurück und eilte, oben angekommen, sofort zum Prinzen. Dieser befand sich auf seinem Zimmer und blickte ihm erstaunt entgegen.
"Du bist noch nicht fort?" fragte er.
"Ich war fort, habe aber nichts besorgen können."
"Warum nicht?"
"Weil ich etwas gesehen habe, was mich bewog sofort umzukehren."
"Was?"
"Einen Menschen, der im Stande ist, die Pläne Ew. Hoheit zu durchkreuzen."
"Das wäre! Wer ist es?"
"Jener Marineleutnant Schubert, der meinem Neffen so ähnlich sieht."
Der Prinz sprang überrascht empor.
"Unmöglich!"
"Er war es."
"Wirklich?"
"Ohne Zweifel. Der Wirt zum Bären, bei dem er eingekehrt war, machte mich auf ihn aufmerksam, auch er hatte ihn mit Franz verwechselt."
"Alle Teufel! Wo ist er?"
"Unterwegs nach der Höllenmühle."
"Er ist mir gefolgt. Er weiß, daß ich das Mädchen hier habe!"
Der Prinz ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab; in seinem Gesicht arbeitete es lebhaft. Endlich blieb er vor dem Vogte stehen.
"Er muß unschädlich gemacht werden!" meinte er mit finsterer Stirn.
"Das versteht sich!"
"Aber wie?"
"Hm!"
"Kann ich auf Deine Hilfe rechnen?"
"Vollständig!"
"Es wird schwer werden!"
"Es scheint gar Manches schwieriger zu sein, als es eigentlich ist."
"Er muß verschwinden," meinte der Prinz entschlossen.
"Aber wie?"
"Darüber denke ich soeben nach."
"Es gibt Messer, es gibt Kugeln, es gibt sogar auch gewisse Gifte."
"Das geht nicht. Mit diesem Menschen ist nicht gut anzubinden. Wir müssen ihn verschwinden lassen, ohne daß wir ihn anzurühren brauchen."
"Das wäre allerdings ein Kunststück, wie ich noch keines gesehen habe!"
"Und dennoch werden wir es fertig bringen, wenn ich mich auf Dich verlassen kann, auf Dich und auf Deinen Neffen Franz."
"Auf den?"
"Ja."
"Er ist nicht hier!"
"Du mußt ihn holen."
"Was soll er tun?"
"Hm! Wie wäre es, wenn dieser Marineleutnant eine Tat beging, ein Verbrechen, in Folge dessen die Polizei sich seiner sofort bemächtigen muß?"
"Er wird sich hüten!"
"Pah! Er wird es tun!"
"Sollte mich wundern!"
"Ich meine, daß ein Anderer dieselbe Tat für ihn begehen wird."
"Ein Anderer?"
"Allerdings. Ich habe wahrhaftig nicht geglaubt, daß Du so schwer begreifst!"
"Hoheit, kommen Sie doch meinem schwachen Begriffsvermögen zu Hilfe."
"Franz sieht ihm zum Verwechseln ähnlich ..."
"Ah, ich beginne einzusehen!"
"Das freut mich! Du holst ihn sofort."
"Gut!"
"Wenn Du jetzt sofort abreisest und den Abendzug benützest, kommst Du noch während der Nacht nach der Residenz und kannst am Mittag mit ihm hier sein."
"Bereits am Vormittage."
"Es darf aber weder dort noch hier jemand etwas sehen oder merken."
"Ich werde dafür sorgen. Ich kann Franz ganz unbemerkt treffen."
"Ich werde darüber wachen, daß Ihr heimlich das Schloß erreicht."
"Was soll er hier tun?"
"Das wird sich noch entscheiden. Die Hauptsache ist, daß er sich nicht weigert auf meinen Plan einzugehen. Du wirst ihn zu behandeln wissen."
"Das ist gar nicht nötig, denn er ist Ew. Hoheit mit großer Treue ergeben."
"Welche Kleidung trug dieser Schubert?"
"Er ging ganz grau mit einem schwarzen niedrigen Filzhut."
"Das ist vortrefflich, denn Franz hat einen ganz gleichen Anzug. Er mag ihn anlegen. jetzt gehe! Du hast nicht die mindeste Zeit zu versäumen."
"Ich werde augenblicklich aufbrechen. Aber ... das Reisegeld, Hoheit?"
"Schlaukopf! Hier hast Du genug. Und gelingt der Spaß, so darfst Du und auch er einer ungewöhnlich reichen Gratifikation versichert sein."
Er gab ihm eine volle Börse, mit welcher sich der Vogt sogleich entfernte.
Es war am Nachmittage des andern Tages. Vor der Höllenmühle saßen die Bewohner derselben und aßen ihre kühlende Semmelmilch. Unweit des Tisches, an welchem sie Platz genommen hatten, zog sich der Gartenzaun dahin, welcher mit dichtem Hollunder überzogen war. Unter den Zweigen desselben kauerten zwei Männer tief an der Erde. Sie hatten sich so zusammengeschmiegt, daß man sie trotz des hellen Tageslichtes nicht zu sehen vermochte, und konnten von ihrem Punkte aus die Gesellschaft genau beobachten. Es war der Schloßvogt Geißler und Franz, sein sauberer Neffe.
"Eine gefährliche Situation, in der wir uns befinden," meinte der Erstere.
"Warum?" fragte der Letztere.
"Wenn man uns bemerkt, wird es uns schlimm ergehen!"
"Pah, man kann uns ja gar nicht bemerken."
"Wenn ich nur wüßte, was Dir der Prinz auftragen wird."
"Das werden wir ja wohl erfahren."
"Und Du wirst Alles tun, was er verlangt?"
"Alles!"
"Einen Diebstahl?"
"Ja."
"Einen Betrug?"
"Ja."
"Einen Raub?"
"Auch."
"Oder gar einen Mord?"
"Alles! Er wird uns gut bezahlen, das sind wir ja Beide überzeugt."
"Aber wie bekommen wir den Leutnant in unsere Hand?"
"Hm! Wenn er doch wenigstens zu sehen wäre!"
"Er muß sich entweder verborgen halten oder wohl abwesend sein."
"Wir werden es erfahren. Horch!"
Das Mahl war beendet, und die Knechte und Mägde hatten sich entfernt. Nun saß nur noch der Müller mit seinen Gästen am Tische. Es waren die beiden Mylungen und Friedrich von Walmy. Kurt Schubert fehlte.
"Wann denken Sie, daß der General eintreffen wird?" fragte der Müller.
"Morgen früh," antwortete Walmy.
"Wir werden sehr viele Leute zu sehen bekommen. Das Städtchen wimmelt bereits von Fremden, welche die Wallfahrt herbeigezogen hat."
Walmy blickte empor zu den beiden Klöstern.
"Und da oben," sagte er, "ist man eifrig beschäftigt, die Gebäude mit Kränzen und Guirlanden zu dekoriren. Was sind das für Buden, welche man an der Straße baut?"
"Man wird in ihnen schänken und Allerlei verkaufen. Die Wallfahrt ist stets mit einer Art Messe verbunden."
"Auch da oben wimmelt es bereits von Leuten."
"Der Herr Leutnant wird sich doch in Acht nehmen, daß er nicht bemerkt wird? Der Prinz braucht nicht zu erfahren, daß er sich hier befindet."
"Sorgen Sie sich nicht. Kurt ist sehr vorsichtig. Er hat den Berg von der andern Seite erstiegen, wo kein Mensch zu sehen ist, und wird sich droben am Felsenkegel so verstecken, daß ihn sicher Niemand sieht."
"Das ist derselbe Felsen, von dem aus er damals meine Tochter erblickte?"
"Höchst wahrscheinlich!"
Da gab der Vogt seinem Neffen einen leisen Stoß.
"Hast Du es gehört?" fragte er.
"Ja."
"So wissen wir genug. Nicht?"
"Es gäbe hier vielleicht noch manches Wichtige zu belauschen; aber wir haben keine Zeit zu verlieren. Komm!"
Sie krochen unter den Zweigen hervor und schlichen sich vorsichtig durch den Garten, über dessen hinteren Zaun sie stiegen. Erst als sie einige Felsen zwischen sich und der Mühle hatten, blieben sie überlegend halten.
"Wer waren diese Drei?" fragte der Vogt.
"Wer weiß es!"
"Gewöhnliche Leute sicherlich nicht."
"Allerdings."
"Zwei von ihnen waren Vater und Sohn; das sah man ihnen an."
"Wenn man nur wenigstens einen Namen oder einen Titel gehört hätte!"
"Sie sprachen von einem Generale, welcher kommen wolle. Welcher mag das wohl sein?"
"Es kommen zur Wallfahrt stets auch hohe Offiziere herbei. Die Drei waren wohl auch nur Gäste, welche keinen andern Zweck haben, als der Prozession beizuwohnen."
"Das glaube ich nicht. Sie kennen den Leutnant und sprachen auch von damals, wo uns das verteufelte Malheur mit der Müllerstochter passirte. Es muß etwas im Werke gegen uns sein."
"Das wird sich ja wohl zeigen. Für jetzt genügt es, daß wir wissen, wo dieser Schubert steckt."
"Also das Schloß will er beobachten! Was tun wir?"
"Wir sehen, ob wir uns unbemerkt anschleichen können und geben ihm Eins auf den Kopf. Meinst Du nicht?"
"Es wird das Beste sein. Komm, wir kennen ja die Wege."
Sie schritten weiter. Indem sie das Terrain gehörig benutzten, gelang es ihnen den Wald zu erreichen, der sich an der entgegengesetzten Seite des Berges bis nahe zur Spitze desselben hinaufzog. Oben angelangt, sahen sie Burg Himmelstein vor sich liegen, und nahe am Graben jenen Felsen, von welchem in der Mühle gesprochen worden war. Sie blieben halten, um scharf auszuschauen.
"Siehst Du etwas?" fragte der Vogt.
"Nein."
"Ich auch nicht."
"Vielleicht ist er schon fort, wenn er überhaupt und wirklich hier gewesen ist."
"Hm! Er könnte auch die Steine erstiegen haben und auf dem Felsen liegen."
"So bleibt uns nichts übrig, als auch hinaufzusteigen."
"Das geht nicht."
"Warum?"
"Er würde uns ganz sicher bemerken. Es bleibt nur eins, wir müssen warten."
"Bis er heimkehrt?"
"Ja."
"Das ist eine langweilige Geschichte. Er kann bis zur Nacht hier liegen."
"Es geht nicht anders."
"Vielleicht warten wir dann, und er ist gar nicht mehr hier."
"Das ist allerdings ... halt, zurück!"
Er faßte seinen Verwandten schnell am Arme und zog ihn hinter einen Busch.
"Was gibts?" fragte dieser.
"Er kommt."
"Wo?"
"Da."
Der Sprecher streckte den Arm aus und deutete nach einer Stelle des Felsens, an welcher sich eine Gestalt zu regen begann. Es war allerdings Kurt Schubert, den die Beiden nicht gesehen hatten, weil seine dunkelgraue Kleidung nicht von dem fast gleich gefärbten Steine abgestochen hatte. Er stieg vorsichtig die gefährliche Steilung herab und schritt dann nach dem Walde zu.
"Jetzt!" meinte der Neffe des Vogtes.
Er bückte sich, hob einen Stein auf und wickelte ihn in sein Taschentuch.
"Was soll das?" fragte sein Oheim.
"Das wirkt gerade so wie eine Keule."
"Halt, verletzen darfst Du ihn nicht!"
"Warum nicht?"
"Eine Wunde würde seine Verteidigung erleichtern. Wir fassen ihn von hinten, ohne daß er uns sehen kann, und würgen ihn so lange, bis er die Besinnung verliert. Dann binden wir ihn."
"Verdammt! Es wäre jedenfalls leichter und kürzer, ihn gleich kalt zu machen."
"Das ist richtig, aber der Prinz will es nicht."
"Dummheit! Dieser Kerl soll sehr stark sein!"
"Fürchtest Du Dich?"
"Fällt mir nicht ein! Aber man kann dennoch leicht etwas davontragen."
"Die Überraschung wird uns zu statten kommen. Ich fasse ihn von hinten so, daß er sich nicht rühren kann, und Du nimmst ihn bei der Kehle. Das wird eine sehr leichte und glatte Arbeit geben."
Sie schritten etwas tiefer in den Wald hinein, wo sie sich so postirten, daß Kurt zwischen ihnen vorüber mußte. Er war auf dem Berge gewesen, um vielleicht eine Spur von Magda zu entdecken, hatte aber nicht das mindeste bemerkt und kehrte nun höchst mißvergnügt zurück. Da plötzlich legten sich von hinten zwei Arme um seinen Leib, die eigenen Arme wurden ihm fest an den Körper gepreßt, und ehe er noch Zeit gefunden hatte sich umzublicken oder überhaupt eine Bewegung zu machen, wurde er mit solcher Gewalt am Halse gepackt, daß ihm fast augenblicklich der Atem und die Besinnung verging; er befand sich wehrlos in der Gewalt der beiden Schurken. Sie rissen ihn zu Boden, verhüllten ihm die Augen und banden ihm die Arme und Beine so fest, daß er sich nach der Rückkehr des Bewußtseins sicherlich nicht zu rühren vermochte.
"Was nun?" fragte der Neffe.
"Hm! Werden wir ihn unbemerkt nach dem Steinbruche bringen können?"
"Wirum nicht? Der Wald stößt ja daran. Warum dorthin?"
"Ich weiß dort ein Versteck."
"Wo?"
"Hinter Brombeerbüschen gibt es ein Loch, wo er sicher liegt."
"Das kenne ich doch noch nicht!"
"Wir auch bisher nicht nötig. Komm, und faß ihn bei den Beinen!"
Sie hoben ihn empor und trugen ihn durch den Wald. Bei dem leisesten Geräusch blieben sie ängstlich halten, aber sie gelangten dennoch unbemerkt an den Ort, wo man vor langen Zeiten die zum Baue des Schlosses und der beiden Klöster nötigen Steine herausgebrochen hatte. Der Bruch schnitt schmal und tief in die Seite des Berges ein, und sowohl seine Sohle als auch seine Seiten waren von Bäumen und Sträuchern dicht bestanden, weil bereits seit Jahrhunderten nicht mehr in ihm gearbeitet worden war. In seinem hintersten Winkel wucherten üppige Brombeerranken über dem Gestein, und dorthin lenkte der Schloßvogt seine Schritte.
"Hier ist es," meinte er. "Lege ihn ab!"
Sie legten den Gefangenen zur Erde, und Franz Geißler blickte seinen Onkel erwartungsvoll an. Dieser schob die Ranken behutsam, um sich an ihren Dornen nicht zu verletzen, bei Seite, und nun zeigte sich ein schmaler Felsenspalt, der früher wohl mit einem Steine verschlossen gewesen war; dieser aber war mit der Zeit verwittert und lag zerbrochen an der Erde. Dennoch war der Spalt nicht zu bemerken, so lange ihn die dichten Ranken bedeckten.
"Ein Loch oder ein Gang?" fragte der Neffe.
"Ein Gang."
"Wohin?"
"Das sage ich Dir später einmal."
"Warum nicht gleich jetzt?"
"Er führt zum Schlosse und auch in die Klöster. Doch vorwärts jetzt. Halte Du das Gesträuch, und ich werde den Kerl hineinschaffen."
Er faßte Kurt Schubert an und zerrte ihn in die Öffnung. Diese erweiterte sich nach innen immer mehr, so daß es ihm leicht wurde, sein Opfer fast zwanzig Fuß nach innen zu schleifen. Diesem war indessen die Besinnung wiedergekehrt. Er begriff seine Lage vollständig; er ahnte, daß er sich in den Händen von Leuten befinde, welche mit dem tollen Prinzen in Beziehung standen. Zu rühren vermochte er sich nicht; auch zu rufen war ihm unmöglich, weil man ihm einen Knebel in den Mund gesteckt hatte; aber ein Erkennungszeichen wollte er sich dennoch verschaffen. Gerade in dem Augenblicke, an welchem er niedergelassen werden sollte, schnellte er sich in die Höhe, und es gelang ihm trotz der gefesselten Arme, da er einige Finger frei bewegen konnte, den Rockschooß des Schloßvogtes zu erfassen und ein Stück aus dem alten, morsch gewordenen Futter desselben zu reißen. Der Vogt bemerkte dies kaum, und wenn er es ja bemerkte, so glaubte er jedenfalls, an einer scharfen Stelle des Gesteines hängen geblieben zu sein, denn er tat nicht das Geringste, um den abgerissenen Fetzen wieder zu erlangen. Er verließ den Gang und verdeckte ihn wieder mit den Ranken.
"Das wäre gelungen," sagte sein Neffe.
"So gut, wie wir es nur wünschen können. Nun aber schnell zum Prinzen!"
Sie verließen den Steinbruch. Noch aber hatten sie ihn nur einige Schritte hinter sich, als Franz stehen blieb.
"Donnerwetter, ich habe den Stiefelabsatz verloren!"
"Da magst Du auch schöne Stampfer anhaben!"
"Sie waren alt. Wollen wir ihn suchen?"
"Pah! Hast Du andere Stiefel mit?"
"Ja."
"So wollen wir mit dem Suchen ja keine Zeit verlieren. Wo hast Du den Absatz verloren? Im Bruche oder früher?"
"Ich weiß es nicht. Es ist auch nicht schade. Die Stiefel sind so abgetragen, daß ich sie einem Knecht schenken werde. Er mag sie sich ausbessern lassen."
Sie kehrten auf demselben Wege zurück, auf welchem sie gekommen waren. Oben auf der Höhe trennten sie sich. Während der Vogt durch das Thor in das Schloß ging, schritt sein Neffe den leeren Burggraben entlang, bis er ein kleines Ausfallspförtchen erreichte. Er zog einen Schlüssel aus der Tasche, öffnete, trat ein und schloß von innen wieder zu. Er befand sich in dem inneren Hof, in welchem kein Mensch zu sehen war. Ganz derselbe Schlüssel öffnete ihm auch die Tür zu dem kleinen Gärtchen, in welchem damals die Komtesse Toska mit dem Prinzen gesprochen hatte, und er nahm ganz auf derselben Bank Platz, die ihr an jenem Tage zum Sitze diente.
Nach einiger Zeit ließen sich nahende Schritte hören. Der Prinz kam in Begleitung des Vogtes herbei. Franz erhob sich.
"Nun? Gelungen, wie ich höre?" fragte der Prinz.
"Vollständig, Hoheit!"
"Was nun?"
"Ich warte auf Ihre gnädigsten Befehle."
"Und wirst sie erfüllen?"
"Ja."
"Wirklich?"
"Gewiß."
"Tausend Taler sind Dein und fünfhundert Deinem Oheim hier, wenn Ihr mir gehorcht."
"Hoheit, wir stehen auch ohne dies ganz zu Diensten," meinte Franz, aber doch mit einem gierigen Blicke seiner Augen.
"Ihr wartet bis es dunkel ist, dann geht der Vogt nach dem Bruche, um dort auf Dich zu harren. Du aber gehst in eine der Schenkbuden am Kloster, sagst so beiläufig, daß Du der Marineleutnant Schubert bist und in der Höllenmühle wohnest. Du fängst Streit mit einem der Anwesenden an und schießest ihn nieder."
"Todt?"
"Es ist besser, Du triffst ihn gut."
"Hoheit wissen, daß ich zu schießen verstehe."
"Gut. Du entfliehst natürlich sofort ..."
"Ich habe keine Pistole!"
"Hier hast Du einen Revolver, er ist geladen. Du fliehst also, und zwar nach dem Steinbruche. Ihr schafft den Leutnant heraus, aber so, daß er nicht wissen kann, wo er sich befunden hat, und steckt ihm unbemerkt den Revolver in die Tasche. Sobald er sich frei fühlt, wird er natürlich zur Mühle eilen, und daß ihn dort die Polizei bereits erwartet, dafür werde ich sorgen. Er kann kein Alibi bringen, denn man wird seine Erzählung für eine Erfindung halten. Außerdem findet man den Revolver bei ihm, er muß verurteilt werden. Es hat Dich doch kein Mensch gesehen?"
"Nur Einer."
"Wer?"
"Jakob, der Knecht."
"Der ist dumm! Wir haben ihn nicht zu fürchten. Natürlich reisest Du sofort und heimlich wieder ab. Zu Hause wird man Dich nicht vermißt haben?"
"Nein; dafür habe ich gut gesorgt."
"So sind wir fertig. Gelingt Euch der Coup, so werde ich mein Versprechen halten. Ihr kennt mich ja zur Genüge."
Er ging, und der Vogt folgte ihm.
Als es dunkel geworden war verließ Franz durch das kleine Pförtchen das Schloß. Er schritt dem Walde zu, um unten am Fuße des Berges die Straße zu erreichen, welche zur Höhe führte. Man sollte glauben, daß er aus der Höllenmühle komme. Beim Emporsteigen nahm er sich sehr in Acht, von keinem genauen Bekannten gesehen zu werden. Oben in der Nähe der Klöster standen zwei Reihen von Vergnügungszelten und allerlei Verkaufsstellen. Er schritt zwischen ihnen dahin, um sich einen passenden Ort auszusuchen, und trat endlich in eine der ambulanten Schenkbuden, in welcher nur drei Männer saßen, die an einem Tische Karten spielten. Er kannte sie nicht und durfte also vermuten, daß auch er ihnen nicht bekannt sei.
Er nahm in ihrer Nähe Platz und beobachtete ihr Spiel mit einem Interesse, aus welchem sie schließen konnten, daß er auch ein Freund einer derartigen Unterhaltung sei. Dies machte sie aufmerksam, so daß schließlich Einer ihn fragte:
"Sie spielen auch Skat?"
"Ja."
"Wollen Sie den Vierten machen?"
"Ich bin kein vollendeter Skater. Sie würden oft meine Fehler zu rügen haben, und dies ist für beide Ileile gleich sehr unangenehm."
"O, wir sind ja selbst auch keine Meister. Kommen Sie nur!"
"Wie hoch spielen Sie?"
"Billig, nur halb."
"Wenn Sie wirklich erlauben ...?"
"Gewiß! Setzen Sie sich her. Zu Vieren spielt es sich besser als zu dreien. Und damit Sie wissen, mit wem Sie spielen: Ich bin der Besitzer dieser Bude, und diese beiden anderen Herren sind Beamte aus der Kreisstadt, welche Urlaub genommen haben, um sich die Wallfahrt anzusehen."
"Danke! Ich bin Marineleutnant. Meine Name ist Kurt Schubert, und ich habe mein Absteigequartier da unten in der Höllenmühle."
Er setzte sich zu ihnen und das Spiel begann. Franz trank sehr fleißig dazu, um sich den Anschein geben zu können, daß er nach und nach berauscht werde. Zunächst spielte er sehr ruhig, später begann er zu streiten, erst mit kurzem Brummen und dann in lauteren kräftigeren Ausdrücken. Endlich meinte er, seinen Oheim nicht länger warten lassen zu dürfen. Ein neues Spiel begann. Er hatte einen Grand mit zwei blanken Zehnem und vier Matadoren.
"Ich frage!" begann er.
"Roth?"
"Ja."
"Grün?"
"Ja."
"Eichel?"
"Ja."
"Solo?"
"Ja."
"Einen?"
"Auch."
"Roten?"
"Sehr."
"Null?"
"Ja."
"So passe ich!"
"Grün Solo?" fragte der dritte Mann.
"Auch diesen."
"Aber Eichel Solo haben Sie jedenfalls nicht?"
"Sogar sehr."
"So haben Sie Grand, und ich passe. Spielen Sie aus!"
Franz spielte den einen blanken Zehner vor, welcher mit dem Aß gestochen wurde. Das zweite Aß wurde vorgelegt, aber anstatt seinen zweiten blanken Zehner zuzugeben, stach er mit dem Unter und spielte die dritte Farbe mit dem Aß vor. Natürlich blieb ihm am Schlusse des Spieles der verleugnete Zehner übrig.
"Herr, da ist ja Zehn in Grün!" meinte sein Nebenmann.
"Allerdings."
"Und Sie haben ja das Aß gestochen?"
"Ist mir nicht eingefallen!"
Mit diesen Worten nahm er seine Stiche auf und mischte sie.
"Halt, nicht mischen!" rief der Andere.
"Warum nicht?"
"Ich wollte Sie bitten, die einzelnen Stiche vorzulegen. Bei dem zweiten haben Sie mein Aß mit dem Schellen Unter genommen."
"Das ist nicht wahr!"
"Gewiß. Die andern beiden Herren werden es mir bezeugen."
"Ja, wir wissen es genau," stimmten diese ein,
"Heißt das etwa, daß Sie mich für einen falschen Spieler erklären?"
"Nein. Es liegt hier jedenfalls nur ein kleines Versehen vor. Sie werden zugeben, den Grünzehner gehabt und doch das Aß gestochen zu haben."
"Ich gebe es nicht zu, denn das Aß hat im Skate gelegen."
"Das ist nicht wahr!"
"Das ist wahr!"
"Das ist sogar eine vorsätzliche Lüge, wie ich nun sehe."
"Sie nennen mich Lügner, Herr!"
"Wenn ich es tue, so sind Sie selbst schuld daran. Warum geben Sie Ihren Irrtum nicht zu? Warum ließen Sie Ihre Karten nicht ruhig liegen? Warum mischten Sie die Stiche unter einander? Das tut doch kein ehrlicher Spieler!"
"Also meinen Sie doch, daß ich falsch gespielt habe?"
Er sprang mit drohender Miene auf.
"Erst meinte ich es nicht, jetzt aber bin ich überzeugt davon."
"Wollen Sie Ihr Wort sofort zurücknehmen?"
"Nur dann, wenn Sie Ihren Irrtum eingestehen!"
"Das werde ich bleiben lassen. Ich habe ehrlich gespielt. Aber Sie, Sie spielen falsch. Ich habe mehrere Male gesehen, daß Sie beim Kartengeben das unterste Blatt heraufgenommen haben."
"Herr!"
"Pah! Sie sind zwar der Besitzer dieser alten Bretterbude, aber ich werde Ihnen dennoch sagen, was ich beobachtet habe. Sie haben falsch abgezogen, Sie sind ein Betrüger! Merken Sie sich das!"
Jetzt richtete sich auch der Wirt empor.
"Hören Sie einmal, Mann, was wollen Sie sein? Marineleutnant? Hm! Ich würde mich als Leutnant schämen, eine sol ..."
"Halt! Kein Wort weiter!" donnerte Franz. "Sonst sollen Sie erfahren, wie ein Marineleutnant mit Gaunern umspringt."
"Papperlapapp! Wir sind auch noch da. Wenn ein Herr Leutnant von der Marine falsch spielt, wenn er betrügt und ..."
"Halt, Schurke! Sage dieses Wort noch einmal, so geht Dir es schlimm!"
"Ich wiederhole es: Wenn ein Oberlieutenant von der Marine falsch spielt, wenn er den Betrüger macht, so ..."
Er konnte nicht weiter reden. Franz hatte den Revolver gezogen, ihm denselben vor die Stirn gehalten und losgedrückt. Der Schuß ertönte, und der Wirt fiel tot zu Boden.
"Hilfe! Mord! Haltet Ihn!" riefen die beiden Andern.
Es war ihnen nicht gelungen den Mörder zu fassen, denn dieser war unmittelbar nach dem Schusse aus dem Zelte gesprungen und in der Dunkelheit verschwunden. In Zeit von kaum einer Minute war die Bude von Menschen erfüllt. Auch ein Gensd'arrn befand sich dabei. Er war schnell bei der Hand gewesen, da es bei der am Festorte anwesenden Menschenmenge nicht an polizeilicher Aufsicht fehlen durfte.
"Was ist hier geschehen?" fragte er.
"Ein Mord!" antwortete einer der beiden Spieler schaudernd.
"Wer ist der Gemordete?"
"Der Wirt hier."
"Zurück, Ihr Leute; greift nichts an, hier hat nur die Polizei und das Gericht Hand anzulegen!"
Er trat hinter den Tisch, wo die Frau des Wirtes über dem Toten ohnmächtig zusammengesunken war, und untersuchte den Letzteren.
"Todt!" meinte er. "Die Kugel ist ihm durch die Stirne in das Gehirn gedrungen. Diese Frau ist besinnungslos. Schafft sie hinaus in den Verschlag und laßt sie jetzt nicht wieder herein!"
Dies geschah, und dann wandte sich der Gensdarm zu dem Spieler:
"Wer ist der Mörder?"
"Ein Marineleutnant."
"Nicht möglich!"
"Er nannte sich einen Marineleutnant Kurt Schubert und sagte, daß er sein Absteigequartier unten in der Höllenmühle habe."
"Ah! Wie kam es zur Tat?"
"\Vir spielten Skat. Er stach falsch ab, und der Wirt machte ihn in aller Freundlichkeit darauf aufmerksam. Statt nun seinen Fehler ruhig einzugestehen, nannte er den Wirt einen Betrüger und schoß ihn schließlich nieder."
"Mit einem Revolver?"
"Ja."
"Wirum hielten Sie ihn nicht?"
"Er war im Augenblick verschwunden."
"Trug er Civil?"
"Ja. Grauen Anzug und schwarzen Hut."
"Würden Sie ihn wieder erkennen?"
"Sofort!"
"Ihr Gefährte auch?"
"Auf der Stelle."
"Wir noch jemand zugegen?"
"Nur die Wirtin, welche hinter dem Büffet saß."
"Wie heißen Sie, meine Herren?"
Die beiden Beamten nannten ihre Namen und ihren Wohnort. Während der Gensdarm die betreffende Notiz in sein Buch eintrug, trat ein Himmelsteiner Polizist in die Bude. Der Gensdarm bewillkommnete ihn und übertrug ihm die Überwachung des Tatorts und der Leiche. Dann wandte er sich wieder an die beiden Zeugen.
"Ich bedarf Ihrer sehr notwendig. Wollen Sie sich mir anschließen?"
"Wenn es nötig ist, ja."
"Ich muß sofort nach der Höllenmühle, und Sie sollen mich begleiten, um den Täter zu rekognosziren. Wenn wir eilen, treffen wir ihn vielleicht noch. Kommen Sie, meine Herren!"
Die Drei verließen mit der allergrößten Eile die Bude.
Unterdessen war Franz in langen Sätzen die Straße hinabgesprungen. Er tat dies mit Vorbedacht, um den vielen hier einzeln oder bei einander stehenden Leuten sehen zu lassen, daß er den Weg nach der Mühle einschlage. Als er aber aus dem Bereiche von aller Augen und Ohren gekommen war, lenkte er plötzlich links ein und wandte sich trotz des Dunkels über die kahlen und gefährlichen Felsen hinweg nach dem Steinbruche zu. Er kannte aber das Terrain sehr genau und langte glücklich an.
"Franz!" hörte er eine leise Stimme am Eingange zu dem Bruche.
"Oheim!"
"Geglückt?"
"Ja."
Der Vogt, der ihn hier erwartet hatte, erhob sich von dem Boden.
"Wo?"
"In einer Schenkbude."
"Du wurdest doch nicht erkannt?"
"Nein. Es waren nur Fremde da, der Wirt und zwei Beamte aus der Provinzialhauptstadt."
"Der Wirt? War er auch ein Fremder?"
"Ja."
"Wen hast Du getroffen?"
"Eben ihn."
"Ah! Ist er tot?"
"Ja. Die Kugel ging ihm durch die Stirn."
"Entkamst Du leicht?"
"Sehr leicht."
"Ich habe keine geringe Angst ausgestanden. Werden Sie Verdacht auf Schubert haben?"
"Das versteht sich! Ich habe gesagt, daß ich der Marineleutnant Kurt Schubert sei und in der Höllenmühle meine Wohnung genommen habe."
"Welchen Vorwand hattest Du zum Schusse?"
"Wir spielten, ich stach falsch ab, und somit war der Streit fertig."
"Man wird Dich sofort in der Mühle suchen, und wir müssen Schubert also schnell frei lassen, damit sie ihn da unten finden. Komm!"
"Hier ist der Revolver."
"Ja, den dürfen wir allerdings nicht vergessen. Unsere Arbeit wird keine leichte sein."
"Warum?"
"Weil wir ihn weit tragen müssen."
"Weit?"
"Natürlich. Er darf nicht ahnen wo er gelegen hat. Die Hauptsache ist, daß er uns nicht erkennt. Wir dürfen kein Wort sprechen und müssen bereits verschwunden sein, sobald er die Augen auftut."
"Bringst Du ihn heraus oder soll ich helfen?"
"Warte, ich tue es allein."
Sie schritten in den Bruch. Während Franz da stehen blieb, arbeitete sich sein Oheim in den Spalt hinein. Kurt lag noch so da, wie sie ihn verlassen hatten. Zwar hatte er sich alle Mühe gegeben, sich von seinen Fesseln zu befreien, aber es war ihm bei ihrer Festigkeit nicht gelungen. Das Stück Rockfutter aber hielt er noch fest zwischen den Fingern. Dieser Umstand konnte wegen der Dunkelheit von dem Schloßvogte nicht bemerkt werden. Dieser faßte ihn lautlos an und schleifte ihn zu dem Spalt hinaus. Draußen griff Franz mit zu, nun schleppten sie den Gefangenen den steilen Berg hinab bis nahe an die Schlucht, hinter welcher die Mühle lag.
Dort legten sie ihn auf den Boden nieder. Der Vogt steckte ihm zunächst den Revolver in die Außentasche, und dann wurden ihm die Fesseln, der Knebel und die Binde abgenommen. Im Nu waren die beiden Verbrecher verschwunden. Er sah nur zwei dunkle Gestalten forthuschen.
Zunächst richtete er sich auf und reckte seine von den Fesseln maltraitirten Glieder. Er bemerkte zu seiner Freude, daß sie nichts von ihrer Beweglichkeit eingebüßt hatten.
"Was war das?" dachte er. "Ein Streich, den man mir spielen wollte oder den man mir erst spielen will? Warum hat man mich frei gelassen, da man mich doch erst gefangen nahm? Was steckte man mir in die Tasche?"
Er untersuchte diese letztere.