Das Flüstern
der Wände
von Rebecca Michéle
Impressum
1. Auflage 2015
© Dryas Verlag
Herausgeber: Dryas Verlag, Frankfurt am Main, gegr. in Mannheim.
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.
Herstellung: Dryas Verlag, Frankfurt am Main
Lektorat: Ilse Wagner, München
Korrektorat: Andreas Barth, Oldenburg
Umschlaggestaltung: © Guter Punkt, München (www.guter-punkt.de)
Umschlagmotiv: © Sabine Dunst, Guter Punkt, unter Verwendung von Motiven von shutterstock
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar
ISBN Printausgabe 978-3-940855-61-9, ISBN EBook 978-3-941408-83-8
www.dryas.de
Prolog
Higher Barton, Cornwall – 1837
Stolz betrachtete er seinen neuen Sohn. Der Achtjährige saß auf dem Teppich und spielte mit seinen Bauklötzen. Er hatte sich schnell in seinem neuen Zuhause eingelebt. In ein paar Jahren würde er den Jungen nach Eton schicken. Das war Tradition in der Familie. Er selbst, sein Vater, sein Großvater und zuvor deren Väter hatten diese exklusive Ausbildung ebenfalls genossen. Im Anschluss folgte ein Studium in Oxford oder Cambridge und schließlich ein großes Erbe. Vor dem Jungen lag eine glänzende Zukunft.
In seiner Vorstellung malte er sich für den Jungen weitere Pläne aus und dachte dabei auch an seine Tochter. Sie war erst vier Jahre alt, aber schon jetzt ein äußerst aufgewecktes Mädchen, das zu einer Schönheit heranwachsen würde. Der Altersunterschied zwischen den Kindern war perfekt. Er war fest entschlossen, dass sie – wenn die Zeit gekommen war – einander heiraten und Higher Barton somit in der Familie bleiben würde.
Auch wenn der Junge nicht sein eigen Fleisch und Blut war – er wollte ihn lieben wie einen eigenen Sohn. Und schließlich war seine Frau noch jung und gesund, also hoffte er auf weitere Kinder, am besten Söhne, wobei ihm auch ein zweites Mädchen willkommen wäre. Hauptsache, das große Herrenhaus würde sich mit Kinderlachen füllen.
Er beugte sich hinunter und strich dem Jungen über das weiche, dunkelblonde Haar. Dieser sah ihn aus großen, hellbraunen Augen vertrauensvoll an.
„Daddy!“
Gerührt wandte er sich ab. Alles würde sich zum Guten wenden. Das Tal der Tränen war durchschritten, und das Leben war wieder lebenswert.
Nachdem er das Kinderzimmer verlassen hatte, griff er in seine Westentasche und holte ein kleines, ovales Bild hervor. Er zögerte, wusste, es war an der Zeit, sich nicht länger in der Vergangenheit zu verlieren, sondern in die Zukunft zu blicken. Trotzdem betrachtete er lange die Miniatur, die kaum größer als seine Handinnenfläche war. Der Maler hatte jede Einzelheit des anmutigen Gesichts mit dem Pinsel festgehalten und die einzigartige Schönheit seiner ersten, viel zu früh verstorbenen Frau auf die Leinwand gebannt. Das schmale Gesicht, die porzellanweiße Haut, die großen, blauen Augen mit den sanft geschwungenen Brauen und die vollen Lippen. Sie lächelte nicht, strahlte aber trotzdem Glück und Freude aus, und ihm war, als würde sie jeden Moment zu ihm sprechen. Schwer atmend lehnte er sich gegen die Wand.
„Eleonor …“ Es war nicht mehr als ein heiseres Flüstern „Ich musste wieder heiraten, unsere Tochter brauchte eine Mutter. Das verstehst du doch? Bitte, verzeih mir.“
Er ließ seinen Tränen freien Lauf, sicher, dass ihn hier niemand sehen würde, denn ein Mann weinte nicht, auch nicht, wenn er die große Liebe seines Lebens verloren hatte. Entschlossen steckte er die Miniatur in die Tasche zurück. Vernichten konnte er sie nicht, das brachte er nicht übers Herz. Es lag ein neuer Lebensabschnitt vor ihm, und er musste die Vergangenheit ruhen lassen. Sein kleines Mädchen würde ihn immer an Eleonor, ihre Mutter, die sie nie kennengelernt hatte, erinnern, und er würde sie nie vergessen können …
Eve
Cornwall, Herbst 1940
1
Je weiter sie nach Westen kamen, desto mehr brach die Sonne durch die Wolken. Am Vormittag, als sie in London aufgebrochen waren, hatte es in Strömen geregnet, trotzdem war ihr der Abschied schwergefallen, denn Eve hatte keine Ahnung, wann sie in die Stadt zurückkehren konnten. In diesen Zeiten wusste niemand, was die Zukunft bringen würde, man versuchte einfach, die Tage, und vor allen Dingen die Nächte, zu überleben. Bis auf ein oder zwei Wochen während der vergangenen Sommer, die die Familie in einem der Seebäder an der Kanalküste verbrachten, hatte Eve die Großstadt nie verlassen. Die Siebzehnjährige liebte die hektische Betriebsamkeit der Metropole, die breiten Boulevards, die grünen, stillen Parkanlagen ebenso wie die zahlreichen historischen Bauten, in denen die Vergangenheit lebendig wurde. Seit ein paar Wochen war jedoch alles anders. London war nicht länger das starke, mächtige und uneinnehmbare Bollwerk Großbritanniens. Nacht für Nacht heulten die Sirenen, die Menschen flüchteten vor den Bomben in die Luftschutzkeller, um dort auszuharren, zitternd aneinandergekauert, die Gasmasken vors Gesicht gepresst und nicht wissend, ob ihr Haus und ihr Hab und Gut noch vorhanden sein würde, wenn Entwarnung gegeben wurde. London brannte, und unter der Bevölkerung machte sich langsam, aber sicher Panik breit.
„Ihr müsst hier weg“, hatte vor einigen Tagen Eves Vater, Robert Carlyon, gesagt. „Ich bringe euch so schnell wie möglich zu Verwandten aufs Land.“
Ihr – das waren neben Evelyn, die von allen nur liebevoll Eve genannt wurde, ihr drei Jahre jüngerer Bruder Mickey und ihre Mutter Melanie, die wegen der Bombenangriffe einem Nervenzusammenbruch nahe war. So erhob niemand Einwände dagegen, die Stadt zu verlassen, auch wenn das die Trennung von Robert bedeutete. Unmittelbar nachdem Großbritannien dem Deutschen Reich den Krieg erklärt hatte, hatte sich Robert Carlyon zum Kriegsdienst gemeldet. Als aufstrebender Politiker wurde er jedoch nicht an die Front geschickt, sondern bekam einen Posten im Kriegsministerium. Eve wusste nicht, mit welchen Aufgaben ihr Vater dort betraut war, denn selbst gegenüber seiner Familie war er zur Verschwiegenheit verpflichtet.
„Wann sind wir endlich da?“ Mickey versuchte, seine Beine auszustrecken. Für einen Vierzehnjährigen war er hochgewachsen, und das stundenlange Sitzen im Fond des Rovers war alles andere als bequem. „Außerdem habe ich Hunger.“
„Ein oder zwei Stunden wird es noch dauern“, antwortete Robert. „Wir werden bei Okehampton eine Pause machen und etwas essen.“
„Lieber nicht.“ Melanie Carlyons Stimme war so zart wie ihre ganze Erscheinung. „Lass uns bitte durchfahren, damit wir ankommen, bevor es dunkel wird.“
Mit der linken Hand berührte Robert kurz den Arm seiner Frau. „Du brauchst keine Angst zu haben, meine Liebe, hier wird uns nichts geschehen. Bisher haben die Deutschen nur die großen Städte angegriffen.“
Melanie seufzte, drehte den Kopf zur Seite und starrte auf die vorbeiziehende Landschaft, die sich, obwohl es Herbst war, in saftigem Grün und üppiger Vegetation präsentierte. Bedingt durch den Golfstrom, kam im Westen Englands der Herbst später, und kalte, schneereiche Winter waren eher selten.
Sie passierten kleine, zum Teil strohgedeckte Cottages in dem für die Gegend typischen grauen Granit. Auf den grünen Wiesen weideten braune und gescheckte Kühe und Schafe mit schwarzen Köpfen, die wegen ihres weißen Fells wie willkürlich verteilte Wattetupfen wirkten. Es herrschte wenig Verkehr, und über der Landschaft lag eine friedliche Ruhe, die es unvorstellbar machte, dass Tag für Tag und Nacht für Nacht in den Groß- und Hafenstädten die Häuser brannten und Menschen starben. Eve wusste von der panischen Angst ihrer Mutter, mitten auf der Straße von Kampfflugzeugen angegriffen zu werden. Melanie Carlyon hatte allerdings vor allem und jedem Angst, sie fürchtete sich sogar vor einer harmlosen, kleinen Spinne an der Wand.
Robert Carlyon hielt bei einem kleinen Landgasthof direkt an der Hauptverbindungsstraße zwischen Exeter und Penzance, auf deren linker Seite die Ausläufer des Dartmoors zu erkennen waren. Trotz der angespannten Situation ließ Eve sich ein herzhaftes Cottage Pie schmecken, ihre Mutter rührte indes keinen Bissen an.
Als sie ihre Fahrt fortsetzten, fragte Eve ihren Vater: „Und du kennst die Familie wirklich nicht? Warum nehmen sie uns dann einfach in ihr Haus auf?“
Im Rückspiegel trafen sich ihre Blicke. Robert zwinkerte seiner Tochter vertraulich zu. „Bisher gab es kaum Kontakt zwischen uns, da wir nur entfernt miteinander verwandt sind. Helen Tremaine ist eine Art Großcousine. Ihre Großmutter und euer Urgroßvater waren Base und Vetter. Mein Vater korrespondierte früher mit der Familie, und wir schreiben uns regelmäßig Weihnachtskarten. Wir sind uns aber nie persönlich begegnet.“
„Also handelt es sich um völlig fremde Menschen.“ Melanie seufzte schwer. „Es ist mir sehr unangenehm, auf deren Mildtätigkeit angewiesen zu sein.“
„Helen war sofort bereit, euch aufzunehmen, als ich ihr schrieb“, erklärte Robert geduldig, denn über dieses Thema hatten sie fast die ganze letzte Nacht diskutiert. „Immer mehr Familien – und vor allem Kinder – werden aus den Städten auf das Land evakuiert. Walter Tremaine ist an der Front, und Cousine Helen meinte, sie wäre über etwas Gesellschaft ganz froh.“
„Hoffentlich wird es nicht zu eng werden.“ Melanie Carlyon musste ihre Bedenken vorbringen. „Wenn sie in einem Cottage lebt, dann werden wir vielleicht alle zusammen in einem kleinen Zimmer hausen müssen, und das würden meine Nerven nicht aushalten.“ Ihre Mundwinkel zogen sich weinerlich nach unten. „Ich weiß nicht, ob ich das ertragen kann ...“
„Jetzt mach mal einen Punkt!“ Robert reagierte ungewöhnlich scharf, seine Hände krallten sich um das Lenkrad. „Helen Tremaine hätte das freundliche Angebot nicht gemacht, wenn für euch drei nicht genügend Platz vorhanden wäre. Oder willst du lieber weiterhin Nacht für Nacht vor den Bomben in die U-Bahn-Schächte flüchten?“
Melanie zuckte zusammen, schlang den Schal fester um den Hals und kauerte sich im Sitz zusammen. Fast tat Eve ihre Mutter leid, doch sie verstand ihren Vater, der nur das Beste für seine Familie wollte. Bisher war ihr Haus am Holland Park nicht von den Bomben getroffen worden. Seit Wochen jedoch waren sie vom Rauch der Brände umgeben, und das Heulen der Sirenen ließ sie nicht zur Ruhe kommen. Eve war ein bodenständiges Mädchen. Obwohl auch sie der neuen Unterkunft mit gemischten Gefühlen entgegensah, wollte sie sich bemühen, der fremden Verwandten kein Klotz am Bein zu sein und sich für die Aufnahme erkenntlich zu zeigen. Seit der Geburt ihres Bruders war ihre Mutter leidend, wie sie es ausdrückte, wobei eigentlich niemand genau wusste, woran sie litt. Zwar war Mickeys Weg in diese Welt nicht einfach gewesen, und Melanie wäre bei der Geburt beinahe gestorben, inzwischen aber war sie organisch wieder gesund. Jahrelang hatte Robert die besten Ärzte bemüht, die aber alle nur zu dem Ergebnis gekommen waren, dass Melanie melancholisch war. In London hatten sie neben einer Köchin und einem Hausmädchen auch eine Frau gehabt, die sich regelmäßig um Melanie kümmerte. Ihre Angestellten konnten sie aber nicht mit nach Cornwall nehmen und die unbekannte Tante zusätzlich belasten. Eve wusste, dass es nun ihre Aufgabe war, sich um die Mutter zu kümmern.
Kurz vor der Stadt Launceston überquerten sie den Tamar, den natürlichen Grenzfluss zwischen den Grafschaften Devon und Cornwall.
„Eve, lies mir bitte vor, wie ich nun zu fahren habe“, bat Robert seine Tochter.
Helen Tremaine hatte ihrem Brief eine ausführliche Wegbeschreibung beigefügt und angemerkt, dass ihr Haus nicht auf Anhieb zu finden wäre. Nachdem Robert die Hauptstraße verlassen hatte, wurden die Wege so schmal, dass die Zweige der Hecken, die rechts und links die Fahrbahn säumten, die Karosserie streiften. Die Gegend war einsam, nur selten konnte man ein Cottage oder eine kleine Farm in der Ferne erkennen. Robert bog zweimal nach rechts und dann nach links ab, und nach etwa vier oder fünf Meilen ging die Straße in einen ungepflasterten Feldweg über.
„Hier wohnt niemand!“, jammerte Melanie. „Wir haben uns verfahren, und bald wird es dunkel.“
„Daddy ist exakt so gefahren, wie Tante Helen es beschrieben hat“, erklärte Eve.
„Das liegt ja am Ende der Welt.“ Seit der letzten Rast waren das Mickeys erste Worte, denn er hatte mit geschlossenen Augen vor sich hin gedöst. „Das wird ziemlich öde werden. Hoffentlich gibt‘s hier wenigstens irgendwo ein Kino.“
„Ich fürchte nicht“, antwortete Robert, „dafür aber auch keine Fliegerangriffe.“
Sein Tonfall verriet Eve, unter welcher Anspannung ihr Vater stand, und sie beschloss, ihrem Bruder später dazu ein paar Worte zu sagen. Da bemühte sich Robert, seine Familie in Sicherheit zu bringen, und ihre Mutter und Mickey suchten regelrecht nach dem Haar in der Suppe. Auch Eve hatte London und ihre Freundinnen ungern zurückgelassen, sah aber dem Leben auf dem Land erwartungsvoll entgegen. Selbst hier im geschlossenen Wagen bemerkte sie, dass die Luft viel klarer war als in der Stadt. Ja, sie meinte, sogar einen Hauch von Salz und Tang riechen zu können. Das Meer konnte also nicht weit entfernt sein.
„Ich glaube, wir sind ganz in der Nähe.“ Robert Carlyon bremste ab, denn sie hatten die ersten Häuser einer kleinen Ortschaft erreicht. „Das ist wohl Lower Barton.“
Eve nickte. „Tante Helen schreibt, du sollst den Ort durchqueren, die Straße hinter dem Hotel Three Feather’s nehmen und dann immer geradeaus fahren. Nach etwa drei Meilen kommt eine Abzweigung, die direkt nach Higher Barton führt.“
„Dann können wir ja nur hoffen, dass Higher Barton ein etwas größeres Kaff als das hier ist“, maulte Mickey. „Hier sagen sich ja Fuchs und Hase gute Nacht.“
„Halt endlich den Mund“, raunte Eve ihrem Bruder, die Stirn ärgerlich gerunzelt, zu, woraufhin er ihr die Zunge herausstreckte. Manchmal war Mickey noch ein richtiges Kind, obwohl er es sich verbat, als ein solches bezeichnet zu werden.
Nachdem Robert an der genannten Abzweigung auf einen kurvigen, nun wieder asphaltierten Weg abgebogen war, änderte sich die Umgebung. Die Straße wurde nicht länger von den bewachsenen Trockensteinmauern begrenzt, sondern von mächtigen Eichen und Buchen gesäumt. Dazwischen wucherten ausladende Hortensien, Rhododendren- und Rosensträucher in einer Größe, wie Eve sie nie zuvor gesehen hatte. Es mutete mehr wie ein herrschaftlicher Landschaftspark an als wie eine Zufahrt zu einem Cottage. Robert bog um eine Kurve und trat so heftig auf die Bremse, dass sie alle nach vorn geschleudert wurden.
„Du meine Güte, das ist ja ein Schloss!“, rief Mickey und rieb sich die Augen. „Ist das etwa Higher Barton?“
„Es scheint so“, antwortete Eve und grinste. „Mum, ich glaube, deine Bedenken, zu dritt in ein Zimmer gepfercht zu werden, sind hinfällig.“
Melanie wandte sich an ihren Mann. „Hast du nicht gewusst, dass deine Cousine in einem Schloss lebt?“
Er schüttelte den Kopf. „Ich wusste nur, dass ihr Schwiegervater ein Baronet ist, sie also eine Lady. Das bedeutet heutzutage aber nicht automatisch mehr Reichtum und Besitz.“
„Na bravo!“, murmelte Mickey. „Dann werden wir stocksteif wie Schaufensterpuppen dasitzen müssen, von goldenen Tellern mit silbernem Besteck essen, öde Teeeinladungen und Dinnerpartys ertragen müssen und nur sprechen dürfen, wenn es uns erlaubt wird.“
„Also, Mickey!“ Nun musste Eve laut lachen. „Deine Ansichten über den Adel stammen wohl aus dem letzten Jahrhundert. Ich wusste gar nicht, dass du die Romane von Jane Austen liest. Denn woher sonst hast du solche Vorstellungen?“
„Lese ich ja gar nicht“, protestierte Mickey, wurde aber von seinem Vater unterbrochen.
„Keinen Streit, Kinder! Und vergesst nicht, dass ihr hier nur zu Gast seid.“
In mancher Hinsicht teilte Eve Mickeys Meinung und war auf Lady Helen Tremaine sehr gespannt. Sicher war sie schon alt, kleidete sich in dunkle Gewänder und benutzte zum Gehen vermutlich einen Stock. Seit ihrer Kindheit liebte Eve Bücher und hatte schon zahlreiche historische Romane verschlungen, und jetzt sollte sie in einem richtigen Schloss wohnen! Hoffentlich würde die Tante ihr erlauben, das Haus von oben bis unten zu erkunden. In einem solchen alten Gemäuer gab es bestimmt Geheimgänge und verborgene Verstecke, vielleicht auch Verliese oder gar eine Folterkammer. Eves Fantasie schlug Purzelbäume. Sie sah Ritter in schimmernden Rüstungen und Burgfräulein in kostbaren, fließenden Gewändern, die sich leichtfüßig beim Tanz im Kreis drehten.
„Hey, träumst du?“ Ein schmerzhafter Stoß ihres Bruders brachte Eve in die Gegenwart zurück. „Nimm deinen Koffer, den schleppe ich sicher nicht auch noch.“
„Es scheint niemand da zu sein“, sagte Robert Carlyon, nachdem er wiederholt den altmodischen Klingelzug betätigt hatte, im Haus aber alles ruhig blieb.
Eve erwartete, dass die Tür jeden Moment von einem alten, distinguierten Butler in schwarzem Anzug und mit weißen Handschuhen geöffnet werden würde, während Melanie jammerte: „Du hast doch geschrieben, wann wir ankommen, nicht wahr, Robert? Was, wenn wir die Nacht jetzt auf der Straße verbringen müssen?“
Bei diesen theatralischen Worten tauschten Eve und Mickey einen verschwörerischen Blick, und Robert antwortete gelassen: „Es ist noch lange nicht Nacht. Wir werden einfach warten, es wird schon jemand kommen.“
In diesem Moment bog eine junge, schlanke Frau um die Ecke. Sie trug schlammverschmierte Gummistiefel, eine derbe Männerhose, eine grüne Wachstuchjacke und hatte ihre kastanienbraunen Haare mit einem Band aus dem ungeschminkten Gesicht gebunden. Als sie die Ankömmlinge bemerkte, stellte sie den Eimer, den sie getragen hatte, ab und trat auf die Wartenden zu.
Freundlich lächelnd erklärte sie: „Verzeiht, ich musste noch die Hühner und die Schweine füttern, bevor es dunkel wird. Im Stall gibt es nämlich kein elektrisches Licht.“
„Wir werden von Lady Tremaine erwartet“, sagte Robert. „Wenn Sie so freundlich wären, unsere Ankunft zu melden?“
Die junge Frau lachte laut und wischte sich die Hände an der nicht ganz sauberen Hose ab.
„Ich freue mich sehr, euch alle endlich kennenzulernen.“ Sie blickte von einem zum anderen. „Ich hoffe, ihr hattet eine gute Fahrt und verzeiht, dass ich euch nicht gleich begrüßen konnte.“
„Lady Tremaine?“ Robert begann zu verstehen.
„Ach, lassen wir die Förmlichkeiten.“ Sie winkte ab. „Schließlich sind wir verwandt. Ich bin Helen, und ihr“, sie sah zu den Kindern, „müsst Eve und Mickey sein. Wagt es aber bloß nicht, mich Tante zu nennen! Das macht mich älter, als ich bin.“ Jetzt streckte sie Melanie eine Hand hin. „Und du bist Melanie, nicht wahr?“
„Helen …“, sagte diese leise und ergriff zögernd die Hand. „Ich danke dir, dass du uns Asyl gewährst.“
Ein Schatten fiel über Helens Gesicht. „Furchtbar, dieser Krieg, ganz schrecklich, aber zum Glück geht es euch gut. Ich bin froh, dass ihr aus London raus seid. Jetzt kommt aber erst mal rein, ihr habt bestimmt Hunger.“
Nicht nur die Kleidung, sondern auch die Ausdrucksweise von Helen Tremaine entsprachen ganz und gar nicht Eves und Mickeys Bild von einer Landadligen, was besonders Mickey sehr begrüßte. Vielleicht würde es hier doch nicht so öde werden wie befürchtet.
Durch die doppelflügelige Holztür traten sie in eine große Halle, die Eves Vorstellungen in allen Details entsprach. Der Boden bestand aus eckigen Steinen, die von unzähligen Schritten glatt geschliffen waren, die Wände aus einem hellen Rauputz, und die Balkendecke musste uralt sein. An einer Wand befand sich sogar eine Rosette aus alten Schusswaffen. Es fehlten in den Ecken nur noch die typischen Ritterrüstungen.
„Willkommen auf Higher Barton“, sagte Helen. „Keine Sorge, das Haus ist moderner, als es die Halle vermuten lässt. In allen Gästezimmern gibt es elektrisches Licht und pro Stockwerk zwei moderne Bäder. Apropos Bad“, sie sah in die Runde, „ihr wollt euch bestimmt frisch machen und eure Sachen auspacken. In der Zwischenzeit bereite ich das Abendessen zu. Wir können dann in einer Stunde essen.“
„Leben Sie …“, begann Robert, berichtigte sich aber sofort: „Lebst du ganz allein hier? Ich meine, hast du denn keine Hilfe?“
Helen nickte. „Mein Mann und ich hatten noch nie viel Personal. Jetzt sind alle Männer an der Front, und die Frauen arbeiten in den Waffen- und Uniformfabriken in Exeter oder in Plymouth. Wir benutzen nur ein paar Räume, das ist auch wegen der Verdunklung praktischer. Mein Schwiegervater wohnt ebenfalls im Haus, aber er verlässt seine Räume nie, denn er ist sehr krank.“ Sie wandte sich an die Kinder. „Für euch habe ich Zimmer im zweiten Stock hergerichtet. Die Treppe hinauf, dann links den Gang entlang. Es sind die beiden letzten Räume auf der rechten Seite. Ich denke, Eve nimmt das Eckzimmer, Mickey das danebenliegende. Das Badezimmer ist schräg gegenüber, dort findet ihr frische Handtücher. Melanie, Robert, euch bringe ich gleich in euer Zimmer. Es befindet sich im Westflügel im ersten Stock und hat einen schönen Blick auf den Garten.“
„Ich kann nicht hierbleiben“, wandte Robert ein. „Eigentlich muss ich noch heute Abend nach London zurück ...“
„Nichts da!“, unterbrach Helen ihn. „Die eine Nacht wird das Kriegsministerium auch ohne dich auskommen. Es ist eine weite Fahrt, und du musst dich ausruhen, bevor ich dich zurückfahren lasse.“
Eve schmunzelte. Auf den ersten Blick wirkte Helen Tremaine eher unscheinbar, sie war auch keine Schönheit im landläufigen Sinn, bewies aber, dass sie sehr resolut war. Wenn sie in diesem großen Haus allein mit ihrem Schwiegervater lebte, dann war ein gewisses Maß an Entschlossenheit auch vonnöten.
Eve und Mickey fanden ihre Zimmer auf Anhieb. Der Gang, der von dem breiten Haupttreppenhaus nach links und rechts abzweigte, war holzgetäfelt und mit bunten Landschaftsbildern geschmückt. In Mickeys langem und schmalem Zimmer war das Fenster, das der Tür gegenüberlag, bleiverglast, die Möbel waren modern und aus hellem Holz. Eves Zimmer strahlte mit einer hellroten Tapete, die mit kleinen goldenen Sternen versehen war, und einem farblich passenden Teppich eine deutlich weiblichere Note aus. Auf dem Waschtisch standen ein paar Figuren aus Meißener Porzellan, aber besonders begeistert war Eve über das Himmelbett mit ebenfalls hellroten Vorhängen. Sie spürte, dass sie sich hier wohlfühlen würde.
„Wie kitschig!“, kommentierte Mickey abfällig. „Ein richtiges Mädchenzimmer.“
Eve ging auf seine Bemerkung nicht ein, wuchtete ihren Koffer auf das Bett und erwiderte: „Ich gehe zuerst ins Bad, derweil kannst du deine Sachen auspacken und dir dann die Hände waschen.“
„Hoffentlich beeilst du dich“, murrte Mickey. „Auf keinen Fall will ich das Abendessen verpassen, mein Magen hängt mir schon in den Kniekehlen.“ Dann ging er in sein Zimmer zurück und packte aus. Der Blick aus dem Fenster zeigte den rückwärtigen Garten, der etwas verwahrlost wirkte, weiter hinten erkannte Mickey mehrere flache Gebäude, vermutlich die Stallungen. Helen Tremaine hatte von Hühnern und Schweinen gesprochen. Hoffentlich erwartete sie nicht, dass er die Ställe ausmistete! Er mochte Tiere zwar, aber die Vorstellung, bis zu den Knien in Mist zu waten, behagte ihm gar nicht.
Eve war ganz anders. Während sie heißes Wasser ins Becken laufen ließ und sich den Reisestaub vom Gesicht wusch, stieg ihre erwartungsvolle Spannung immer mehr an. Natürlich würde sie ihre Freundinnen vermissen, sie wollten einander aber regelmäßig schreiben. Außerdem waren zwei Mädchen auch aufs Land geschickt worden, um dem Schrecken in der Hauptstadt zu entfliehen, leider nicht nach Cornwall, sondern in ein kleines Dorf in Nordwales. Was derzeit in Europa geschah, war schrecklich! Es riss ganze Familien auseinander, und Eve war froh, dass sie keine Familie kannte, in der der Krieg Opfer gefordert hatte. Wenn dieser furchtbare Hitler nicht bald besiegt würde, dann war es nur eine Frage der Zeit, bis auch in ihrem Bekanntenkreis die ersten Verluste zu beklagen wären. Eve war dankbar, dass ihr Vater nicht an der Front kämpfen musste. Sie hatte Mitleid mit Helen Tremaine, die noch nicht lange verheiratet war. Es musste schrecklich sein, den Ehemann im Krieg zu wissen.
„Bist du endlich fertig?“ Mickey pochte an die Tür. „Warum müssen Frauen immer so lange das Bad blockieren?“
Rasch strich Eve ihr mittelblondes Haar zurück, das ihr glatt auf die Schultern fiel, dann öffnete sie die Tür.
„Nur nicht so ungeduldig, Kleiner, du kannst jetzt rein.“
Bei dem Wort Kleiner musste Mickey grinsen, denn er war jetzt schon fast einen Kopf größer als Eve. Diesbezüglich schlug er nach seinem Vater, während Eve mehr nach der Mutter kam und wohl nicht mehr wachsen würde. Melanie Carlyon hatte einen zierlichen Körperbau, Eves Hüften indes waren etwas zu breit, ihre Beine zu kurz, dafür war der Oberkörper zu lang, um als wohlproportioniert bezeichnet zu werden. Eve war sich bewusst, dass sie nicht sonderlich hübsch war, das machte ihr aber nichts aus.
Bevor die Angriffe auf London begonnen hatten, hatte sie mit ihren Freundinnen die eine oder andere nachmittägliche Tanzveranstaltung besucht. Dabei war sie zwar nie als Mauerblümchen am Rand sitzen geblieben, die jungen Männer hatten sich aber auch nicht gerade um einen Tanz mit ihr gerissen, obwohl sie gut tanzen konnte. Während Melanie ihre Tochter gern recht bald und angemessen verheiratet gesehen hätte, war Robert glücklicherweise nicht so konservativ eingestellt. Im Frühjahr dieses Jahres hatte Eve die Schule mit einem guten Abschluss verlassen und vorgehabt, an einer Universität Literatur und Geschichte zu studieren. Durch den Krieg war nun alles anders geworden. Auch wenn die Universitäten geöffnet waren, konnte Eve ihre Mutter und Mickey nicht allein lassen. Sie hoffte, dass dieser Wahnsinn bald vorbei sein würde, damit sie wieder ein normales Leben führen könnte.
Das Abendessen war einfach, aber schmackhaft. Zu einer dickflüssigen Kartoffelsuppe gab es Schinken- und Käsesandwiches und hart gekochte Eier. Dazu tranken sie einen kräftigen Tee, und zum Nachtisch servierte Helen sogar einen Schokoladenpudding mit der berühmten Clotted Cream, ohne die in Cornwall kaum eine Süßspeise auskam.
„Auf dem Land sind die Lebensmittel noch nicht rationiert“, erklärte Helen, „auch wenn wir sparsam sein müssen. Higher Barton ist eigentlich kein landwirtschaftliches Anwesen, Walter und ich haben uns im Frühjahr aber ein paar Tiere angeschafft. Sicher ist sicher. Wenn der Winter kommt, könnte es mit der Versorgung schwieriger werden. In den Blumenbeeten habe ich Gemüse gepflanzt, und wir tauschen mit den Nachbarn die Nahrungsmittel. So kommen wir ganz gut über die Runden.“
„Dein Mann ist auf dem Festland eingesetzt worden?“, fragte Robert interessiert.
Helen nickte, einen traurigen Zug um den Mund. „Er ist Unteroffizier in einer Fliegerstaffel, die irgendwo in Europa stationiert ist. Wo genau, das darf er selbst mir nicht mitteilen.“
„Das muss sehr schwer für dich sein.“ Zum ersten Mal meldete sich Melanie zu Wort, die schweigend dagesessen und von den Speisen nur sehr wenig zu sich genommen hatte.
„Dieses Schicksal teile ich mit Hunderttausenden anderer Frauen“, antwortete Helen. „Walter schreibt, sooft er kann. Und noch funktioniert die Briefzustellung. Erst letzte Woche teilte er mir mit, er hoffe, zu Weihnachten Urlaub zu bekommen. Dann kommt er nach Hause. Ihr werdet ihn sicher mögen.“
„Weihnachten!“ Entsetzt starrte Melanie Helen an. „An Weihnachten werden wir längst wieder in London sein, nicht wahr, Robert? So lange können diese schrecklichen Angriffe doch nicht andauern!“
Robert zog eine Augenbraue hoch. Er hätte seine Frau gern beruhigt, im Moment konnte man aber nicht wissen, wie sich das Schreckgespenst Nazideutschland entwickeln würde. Hitlers Truppen überrollten ein Land nach dem anderen, und die Kanalinseln – immerhin ein Teil des Britischen Empires – waren seit dem Sommer von den Feinden besetzt. Derzeit standen die Chancen für Großbritannien nicht gut, Robert hütete sich aber, seine Familie in noch größere Unruhe zu versetzen. Er legte seine Serviette zur Seite und stand auf.
„Es ist spät, wir sollten zu Bett gehen, denn ich möchte morgen bei Sonnenaufgang aufbrechen. Wir sind dir sehr dankbar, Helen, und es ist selbstverständlich, dass die Kinder dir bei der Arbeit zur Hand gehen werden.“
„Natürlich, das machen wir gern“, warf Eve ein und trat unter dem Tisch auf den Zeh ihres Bruders, bevor er seinen deutlich sichtbaren Unwillen äußern konnte.
Dennoch konnte sie nicht verhindern, dass Mickey murrend fragte: „Muss ich hier wirklich zur Schule gehen, Daddy? Ich kenne doch niemanden.“
„Dann lernst du die Kinder kennen“, antwortete Robert in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. „In Lower Barton gibt es eine Schule, dort wirst du dich nächste Woche vorstellen. Krieg hin oder her – die Bildung unserer Kinder darf nicht vernachlässigt werden.“
Der Wunsch des Vaters war Befehl, und Mickey wandte den Blick ab. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, in die Schule zu gehen, dann hatte er nicht genügend Zeit, um Helen zu helfen. Hausarbeit war schließlich Frauensache.
Obwohl ein anstrengender Tag hinter ihr lag, war Eve nicht müde. Zu aufregend war die Tatsache, dass sich die Verwandte als Adlige und ihr neues Zuhause als großes, altes Schloss entpuppt hatte.
Während des Abendessens hatte Helen Tremaine einen kurzen Abriss über die Geschichte Higher Bartons gegeben: „Rupert Tremaine, der Erbauer des Hauses, lebte im sechzehnten Jahrhundert. Bei der Seeschlacht gegen die spanische Armada segelte er an der Seite von Francis Drake. Aufgrund seiner Verdienste erhielt er von der Krone ein großzügiges Stück Land, auf dem er Higher Barton errichtete. Damals gab es nur den Mittelteil, die große Halle ist fast in ihrer ursprünglichen Form erhalten. Im Laufe der Jahrhunderte haben Generationen von Tremaines das Haus umgebaut und modernisiert, ohne den Charakter eines elisabethanischen Herrenhauses zu zerstören, und das soll auch so bleiben.“
Zu Eves Enttäuschung gab es weder Kellerverliese noch Folterkammern, auch von Geheimgängen war Helen nichts bekannt. Helen hatte nur laut gelacht, als Eve danach fragte.
„Ich weiß, nahezu jedes alte Haus in England birgt ein Geheimnis. Higher Barton ist jedoch eine Ausnahme, da muss ich dich leider enttäuschen, Mädchen.“
Jetzt stand Eve am Fenster und blickte in die Nacht hinaus. Wegen des Neumondes war es stockdunkel, die Umrisse der Bäume waren eher zu erahnen als zu sehen. Sie konnte die Vorhänge offen lassen, solange sie kein Licht anmachte. Später musste sie die dicken, schweren Vorhänge vorziehen, denn Helen achtete streng darauf, dass die Verdunklung eingehalten wurde. Eve zuckte zusammen, als sie plötzlich ein Geräusch über sich hörte. Sie lauschte, hatte sich aber nicht getäuscht. Über ihrem Zimmer schien jemand zu sein, ganz deutlich waren Schritte zu vernehmen. Sie runzelte die Stirn. Das Zimmer der Eltern lag im ersten Stock im gegenüberliegenden Flügel, und Helen hatte gesagt, dass sie selbst in einem Raum im Erdgeschoss schlief.
„Das kann ich besser verdunkeln als die oberen Räume“, hatte sie erklärt.
Erneut hörte sie Geräusche aus dem Dachgeschoss, wo sich früher die Dienstbotenzimmer befunden hatten. Vielleicht hatte sie sich auch getäuscht, denn in einem solchen Haus gab es immer Geräusche, da das alte Gebälk ständig arbeitete. Da knarzte es vor der Tür. Eve schoss herum. Jetzt irrte sie sich nicht – da war eindeutig jemand an der Tür!
„Eve, bist du noch wach?“
Erleichtert atmete Eve auf. „Ja, komm rein, Mickey.“
Auf nackten Füßen tappte Mickey ins Zimmer und setzte sich auf die Bettkante. „Ich kann nicht schlafen.“
„Ich auch nicht“, erwiderte Eve. „Es ist alles so anders und neu.“
„Und so ruhig.“
„Was?“
„Na ja, hörst du es nicht?“, fragte Mickey, und für einen Moment dachte Eve, er hätte die Schritte ebenfalls gehört, dann aber fuhr er fort: „Man hört eben nichts! Das ist irgendwie … seltsam. Zu Hause gibt es draußen immer irgendein Geräusch.“
Nun fiel es auch Eve auf. Bis auf das seltsame Tappen, das jetzt verstummt war, war es totenstill. In London war es sogar mitten in der Nacht nie völlig ruhig. Die Geräusche eines Autos, manchmal auch die eines von Pferden gezogenen Wagens oder menschliche Stimmen waren in der Stadt zu jeder Tages- und Nachtzeit zu hören, auch war es nicht so dunkel.
„Kann ich bei dir bleiben?“, fragte Mickey leise und hörte sich an wie ein kleines Kind und keineswegs wie ein vierzehnjähriger Junge.
Eve lachte laut. „Du wirst doch wohl nicht etwa Angst vor der Stille haben!“
„Ich hab keine Angst.“
„Nein? Dann kannst du auch wieder in dein Zimmer gehen“, entgegnete Eve streng. „Du hast unsere Tante gehört: Es gibt hier weder Gespenster noch sonst etwas, das man fürchten muss.“
„Du bist so blöd wie alle Mädchen.“ Mickey stand auf und fügte frech hinzu: „Vergiss einfach, dass ich hier war, ja?“
Die Tür fiel so laut hinter ihm ins Schloss, dass Eve befürchtete, alle im Haus würden aufwachen. Mickey war in einem schwierigen Alter, das hatte ihr Vater erst kürzlich erklärt, sie jedoch, Eve, war in diesem Alter allerdings nicht so kompliziert gewesen. Der Bruder würde sich schon eingewöhnen, und ewig würde dieser Krieg ja auch nicht dauern.
Eve rollte sich auf die Seite, zog die Knie an, kuschelte sich in die weiche Decke, die leicht nach Verbenen duftete, und beschloss, sich auf Higher Barton unter allen Umständen wohlzufühlen.
2
Eve hatte tief und traumlos geschlafen, war vor Sonnenaufgang erwacht und fühlte sich frisch und ausgeruht. Schnell zog sie sich an und eilte nach unten. Rechts unterhalb der Treppe, die in die große Halle führte, zweigte ein schmaler Gang in die Wirtschaftsräume ab. Durch den Spalt unter der Küchentür schimmerte trotz der frühen Morgenstunde Licht, und Eve trat in die geräumige Küche, die von einem wuchtigen Tisch dominiert wurde. Helen Tremaine und Robert Carlyon saßen einander gegenüber, beide einen Becher Tee in den Händen. Helen trug einen flauschigen Morgenmantel, Eves Vater war bereits korrekt mit Anzug, Weste und Krawatte gekleidet und rauchte eine Zigarette. Er sprang auf, als seine Tochter eintrat.
„Eve! Warum bist du schon wach? Es ist noch nicht einmal sechs Uhr.“
Eve flüchtete in seine Arme und barg ihr Gesicht an seiner Jacke. Er roch nach Tabak, einem herben Rasierwasser und ganz einfach nach Vater.
„Ich wollte dir auf Wiedersehen sagen, Daddy. Musst du heute wirklich schon zurückfahren?“
Seine Hand strich über ihr Haar. „Ach, mein Mädchen, es geht nicht anders. In London habe ich eine Aufgabe zu erfüllen.“ Sanft schob er Eve von sich, die Hände auf ihren Schultern, und sah sie eindringlich an. „Pass auf Mum und auf deinen Bruder auf, ja? Du bist die Vernünftigste, und ich weiß, dass ich mich auf dich verlassen kann.“
Eve kämpfte mit den Tränen, wollte aber tapfer sein. „Natürlich, Daddy.“
„Ich rufe so oft an, wie es geht, und wir werden uns schreiben“, sagte er und hauchte einen Kuss auf ihren Scheitel. Dann ließ er seine Tochter los und wandte sich an Helen: „Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll. Hoffentlich ist dieser Albtraum bald vorbei.“
Helen Tremaine winkte ab. „Das ist doch selbstverständlich, wir sind schließlich eine Familie.“ Da sie bemerkte, wie Eves Augen verdächtig feucht schimmerten, sagte sie betont burschikos: „Leistest du mir beim Frühstück Gesellschaft, oder möchtest du noch mal ins Bett gehen?“
Eve schluckte. „Eine Tasse Tee wäre nett, danke.“ Robert Carlyon wandte sich zum Gehen, und Eve folgte ihm. „Ich begleite dich zum Wagen, Daddy.“
„Bitte nicht, mein Mädchen!“ Er lächelte verkrampft. „Ich hasse Abschiedsszenen. Von deiner Mutter habe ich mich bereits verabschiedet, sie ist in ihrem Zimmer geblieben, und Mickey habe ich gestern Abend adieu gesagt.“
Eve akzeptierte seinen Wunsch und umklammerte Halt suchend die warme Teetasse, die Helen ihr hingestellt hatte. Der Vater zwinkerte ihr ein letztes Mal zu, dann fiel die Tür hinter ihm ins Schloss. Kurze Zeit später hörte sie den Motor seines Wagens anspringen.
„Du liebst deinen Vater sehr?“, fragte Helen vorsichtig.
Eve nickte, erneut stiegen Tränen in ihre Augen. „Du hast ja schon bemerkt, dass Mum – und zwar seit Mickeys Geburt – nicht ganz gesund ist. Irgendwie sind Daddy und ich über die Jahre zusammengewachsen.“
„Ich nehme an, du hast dich mehr um deinen Bruder gekümmert als Melanie?“
„Als ich älter wurde, ja, vorher hatten wir ein Kindermädchen.“
Helen Tremaine wollte nicht mehr nachhaken, machte sich aber ihre eigenen Gedanken über Melanie Carlyon. Sie wollte jedoch nicht vorschnell urteilen, auch wenn Robert ihr versichert hatte, seine Frau wäre organisch völlig gesund. Was Melanie brauchte, war die frische und klare Luft Cornwalls, lange Spaziergänge im Moor und am Meer und vor allen Dingen Ruhe. Das alles würde sie in Higher Barton bekommen, und Helen war sicher, in wenigen Wochen würde es Melanie deutlich besser gehen. Allerdings hatte sie gehofft, mit Melanie Unterstützung im Haushalt zu haben. Das große Haus in Ordnung zu halten, die Tiere zu versorgen, zu kochen und die Wäsche zu waschen, sich um ihren Schwiegervater zu kümmern – das wuchs Helen manchmal über den Kopf.
Als hätte Eve ihre Gedanken erraten, sagte sie: „Tante Helen, ich …“
„Bitte, ohne Tante!“
„Okay, das habe ich vergessen.“ Eve lächelte wieder. „Ich werde dir helfen, wie und wo ich kann. Ich kann leidlich gut kochen, und in der Schule war ich im Nähkurs die Beste.“
Dankbar nickte Helen. „Leider kann ich dein Angebot nicht zurückweisen. Da Mickey ab nächster Woche zur Schule gehen wird und deine Mutter Schonung braucht, müssen wir beide alles in Gang halten.“ Sie griff über den Tisch und drückte Eves Hand. „Ich glaube, wir werden uns gut verstehen, vielleicht sogar Freundinnen werden.“
„Wie alt bist du eigentlich?“, fragte Eve direkt.
„Letzten August wurde ich vierundzwanzig, Walter und ich haben erst vor knapp drei Jahren geheiratet. Du bist siebzehn, nicht wahr?“
Eve nickte, wollte gerade sagen, dass sie sich freue, auf Higher Barton sein zu dürfen, als eine schrille Klingel ertönte. Sie zuckte zusammen, und Helen fuhr hoch. Ihre Wangen verloren plötzlich alle Farbe. Es klingelte erneut, dieses Mal länger und nachdrücklicher. Da bemerkte Eve eine Art Schaltpult an der Küchenwand. Wie in alten Filmen gab es einzelne, runde Anzeigen, die mit den Namen der Räume beschriftet waren. Beim Brown Bedroom leuchtete es rot.
„Ich muss dich mal kurz allein lassen“, sagte Helen fahrig. „Du kannst dir gern schon etwas zum Frühstück aus dem Kühlschrank holen.“
„Wer wohnt im braunen Zimmer?“, fragte Eve. „Wenn es meine Mutter ist, dann kann ich gehen.“
„Äh … nein … das ist …“ Helen zögerte, schloss für einen Moment die Augen, dann stieß sie hervor: „Es ist mein Schwiegervater. Ich sagte euch gestern schon, dass er krank ist. Ich muss jetzt zu ihm, er wird leicht ungeduldig, wenn man ihn warten lässt.“
Zur Bestätigung ihrer Worte schlug die Klingel erneut an, und Helen eilte hastig aus der Küche. Eve vermutete, dass das braune Zimmer direkt über ihrem Raum lag, denn das würde die Schritte erklären, die sie gestern Abend gehört hatte. Offenbar war er nicht so krank, um nicht auf und ab gehen zu können. Seltsam erschien ihr aber Helens Reaktion. Es war, als würde sie sich vor dem Vaters ihres Mannes regelrecht fürchten.
Zwei Stunden später saßen sie alle um den wuchtigen Küchentisch und ließen sich das Frühstück schmecken, das Eve zubereitet hatte. Zuerst hatte Melanie nicht herunterkommen wollen, Eve hatte ihrer Mutter aber klargemacht, dass sie alle zusammenhalten mussten.
„Mum, du kannst nicht erwarten, hier bedient zu werden.“ Im Laufe der Jahre hatte sich Eve angewöhnt, Melanie gegenüber eine gewisse Strenge zu zeigen, was ihr zwar manchmal schwerfiel, aber unabdingbar war. „Wir verdanken es Helens Großzügigkeit, dass wir nun in Sicherheit sind, im Gegenzug müssen wir uns erkenntlich zeigen und ihr nicht noch zusätzliche Arbeit aufbürden.“
„Ich habe schreckliche Kopfschmerzen“, jammerte Melanie. „Und mir ist schwindlig, ich glaube nicht, dass ich laufen kann.“
„Ich werde dich stützen.“ Eve blieb unnachgiebig. Sie kannte ihre Mutter gut genug, um einschätzen zu können, ob es ihr wirklich schlecht ging oder ob sie nur wieder eines ihrer Leiden vorschob.
Melanie jammerte zwar leise, als Eve ihr beim Ankleiden half, und griff immer wieder Halt suchend nach der Stuhllehne, ließ sich nun aber das Frühstück sichtlich mit Appetit schmecken.
Als sie bei der letzten Tasse Tee angelangt waren, räusperte sich Helen vernehmlich, tauschte mit Eve einen verstohlenen Blick und sagte: „Ich muss euch noch ein paar Worte über Alwyn Tremaine, Walters Vater, sagen.“ Sie hob die Hand, als Eve sie unterbrechen wollte. „Ihr werdet nichts mit ihm zu tun haben, denn er ist über achtzig und krank und verlässt nie seine Räume. Ich muss euch“, sie sah Mickey und Eve eindringlich an, „jedoch bitten, das Dachgeschoss im Westflügel zu meiden. Er braucht absolute Ruhe, empfängt keinen Besuch und ist über unliebsame Störungen sehr ungehalten.“
„Dann wird es ihm sicher nicht gefallen, Fremde im Haus zu haben“, gab Melanie zu bedenken.
„Ihr seid keine Fremden“, erwiderte Helen bestimmt. „Es ist schließlich auch das Haus von Walter und mir, und ihr werdet gar nicht bemerken, dass er da ist.“
„Ist er denn sehr krank?“, fragte Mickey.
„Wie es in dem Alter eben so ist“, antwortete Helen mit einem Lächeln. Eve hätte sie gern gefragt, warum sie so nervös wurde, wenn der alte Mann nach ihr klingelte, spürte aber, dass Helen ihr ausweichend antworten würde. Sie vermutete, dass das Verhältnis der beiden nicht das beste war.
„Ich schlage vor, wir machen jetzt einen Plan, wie wir die Tage gestalten wollen“, wechselte Helen auch schon das Thema. „Wie ihr wisst, haben wir kein Personal. Für die groben Arbeiten, zum Beispiel Fenster putzen und Böden schrubben, kommt bei Bedarf ein Mädchen aus dem Ort, ansonsten müssen wir uns um alles selbst kümmern.“
„Ich muss ja zur Schule“, murrte Mickey. „Wenn ich allerdings nicht dorthin müsste …“
„Nichts da!“, unterbrach Helen, die genau wusste, worauf er spekulierte. „Keine Angst, Mickey, es wird dir genügend Zeit zum Lernen bleiben, bei den Hausarbeiten lasse ich dich außen vor. Du könntest aber morgens, bevor du zur Schule gehst, die Tiere versorgen.“
Mickeys Augenbrauen zogen sich über der Nasenwurzel zusammen. Das war etwas, was er nicht tun wollte, er würde sich aber fügen müssen.
„Am liebsten würde ich zur Armee gehen und gegen den Feind kämpfen“, sagte er trotzig. „Für mein Alter bin ich nämlich bereits groß und kräftig, aber sie nehmen mich nicht.“
„Gott sei Dank!“, rief Melanie laut, und Eve ergänzte: „Willst du Mum zusätzlichen Kummer bereiten? Es reicht doch, wenn sie … wenn wir uns um Daddy sorgen.“
„Vielleicht ist der Krieg noch nicht vorbei, wenn ich alt genug bin.“
„Wir müssen dafür beten, dass das nicht der Fall sein wird“, sagte Helen leise. „Lasst uns jetzt nicht vom Krieg sprechen. Morgen ist Sonntag – wie wäre es mit einem Ausflug ans Meer? Das Benzin ist zwar rationiert, aber es fährt regelmäßig ein Bus von Lower Barton an die Küste nach Polperro.“
Eves Augen leuchteten, auch Mickey zeigte sich wieder etwas zugänglicher, einzig Melanie schien von dem Vorschlag nicht begeistert zu sein.
„Ein öffentlicher Bus?“, sagte sie gedehnt. „Bei so vielen fremden Menschen holt man sich schnell eine Infektion. Ihr wisst doch, dass ich sehr vorsichtig sein muss.“
„Ach, Mum …“ Eve seufzte. „Die Seeluft wird dich stärken, du wirst schon sehen.“
Melanie presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, wusste aber zugleich, dass sie – wollte sie nicht einen einsamen Sonntag in dem riesigen Haus verbringen – sich wohl anschließen musste.
„Also abgemacht“, sagte Helen. „Ich richte einen Picknickkorb, und wir hoffen, dass das Wetter weiterhin so schön bleibt.“
Helens Bitte wurde erfüllt. Am Sonntagmorgen zeigte sich der Herbst von seiner besten Seite, und gut gelaunt brach die kleine Gruppe auf. Bis in die Ortschaft Lower Barton chauffierte Helen den Wagen, dort stiegen sie in den örtlichen Bus, der die Dörfer an der Küste miteinander verband. Das schöne Wetter lockte viele Menschen an die See, und der Bus war dementsprechend voll von Erholungssuchenden. Melanie konnte es nicht lassen, sich demonstrativ ein Spitzentaschentuch auf Mund und Nase zu pressen. Eve war aber viel zu aufgeregt, um Kenntnis davon zu nehmen oder es gar zu kommentieren. Nach etwa einer halben Stunde schaukelnder Fahrt über enge, gewundene Straßen blitzte das Meer zwischen den Hecken auf. Der Bus hielt in der Höhe einer Kornmühle, deren Wasserrad von einem sprudelnden Bach gespeist wurde.
„Der Pol“, erklärte Helen. „Von ihm hat Polperro seinen Namen, wobei der ursprüngliche cornische Name Porthpyra lautete, was in etwa ‚kleiner Hafen an einer Bucht‘ bedeutet.“
Eve lauschte interessiert, denn Helen kannte sich in der Historie der Gegend gut aus. Während sie langsam in den schmalen Gassen, durch die kein Auto fahren konnte, an weiß getünchten Cottages vorbeischlenderten, erzählte Helen von der bewegten Vergangenheit des Fischerdorfes. Es war die Rede von Schmuggel und Wrackräuberei, aber auch von heftigen Stürmen, schweren Überschwemmungen, großer Not und Krankheiten. An dem kleinen, geschützten Hafen, der bei Stürmen mit einer Holzbarriere verschlossen werden konnte, waren die alten Häuser, keiner Planung gehorchend und in allen nur denkbaren Winkeln zueinander, stabil auf verschiedenen Ebenen und Felsvorsprüngen gebaut. Sie klammerten sich regelrecht an die Hänge und hatten schon seit Jahrhunderten Wind und Wetter getrotzt.
„Die meisten Häuser sind seit dem sechzehnten Jahrhundert kaum verändert worden“, erklärte Helen. „Seit etwa hundert Jahren kommen viele Kunstschaffende und Schriftsteller hierher. Ich habe gehört, dass ein Künstler aus Österreich mit dem beinahe unaussprechlichen Namen Oskar Kokoschka vor den Nazis geflohen ist und irgendwo hier leben soll.“
Obwohl es heute viele Menschen in das Fischerdorf zog, lag über Polperro eine friedliche Ruhe, die Eve den Krieg vergessen ließ. Nur ab und zu sah man einen Mann in Uniform, Frauen und Kinder waren deutlich in der Überzahl.
Helen schlug einen Trampelpfad rechts vom Hafen ein, der auf die Klippen führte. Der Weg und die Stufen waren steil, aber selbst Melanie meisterte diese kleine Anstrengung, ohne zu lamentieren. Ihre Wangen waren leicht gerötet, was ihr einen so gesunden Ausdruck verlieh, wie Eve lange nicht mehr bei ihrer Mutter gesehen hatte. Als es auf dem letzten Stück noch mal richtig steil bergan ging, stützte Mickey seine Mutter sogar, ohne dazu aufgefordert werden zu müssen.
Auf den Klippen gingen sie noch ein Stück nach Westen, dann breitete Helen die mitgebrachte Decke aus, und sie setzten sich alle auf den felsigen Untergrund. Etwa hundert Meter unterhalb von ihnen donnerte die Brandung gegen die Klippen, und über ihnen zogen weiße Möwen mit schwarzen Köpfen ihre Kreise und stießen heisere Schreie aus. Auf den Klippen wehte der Wind stärker und war kühler als in der Ortschaft, und Melanie Carlyon zog sich ihren Schal fester um den Hals.
Sie konnte es nun doch nicht lassen, zu klagen: „Ich werde mich erkälten! Vielleicht werde ich mir sogar eine Lungenentzündung holen!“ Wehleidig sah sie ihre Tochter an. „Eve, du weißt doch, wie empfindlich ich bin.“
Ja, weil du nichts tust, um dich zu stärken, dachte Helen. Wenn Melanie sich – so wie sie – zu jeder Jahreszeit in der freien Natur aufhielte, dann würde ihr so ein leichter, kühler Wind nichts anhaben können.
Eve zog ihren Mantel aus und legte ihn der Mutter zusätzlich um die Schultern. „Jetzt sollte dir warm genug sein“, sagte sie ruhig.