GEISTREISE
BUCH 2:
DER FEIND
MEINES FEINDES
Die deutsche Ausgabe von STAR TREK – VOYAGER: GEISTREISE 2 – DER FEIND MEINES FEINDES wird herausgegeben von Amigo Grafik, Teinacher Straße 72, 71634 Ludwigsburg.
Herausgeber: Andreas Mergenthaler und Hardy Hellstern, Übersetzung: Andrea Bottlinger;
verantwortlicher Redakteur und Lektorat: Markus Rohde; Lektorat: Wibke Sawatzki
und Gisela Schell; Satz: Rowan Rüster/Amigo Grafik; Cover Artwork: Martin Frei;
Print-Ausgabe gedruckt von CPI Morvia Books s.r.o., CZ-69123 Pohorelice. Printed in the Czech Republic.
Titel der Originalausgabe: STAR TREK – VOYAGER: SPIRIT WALK 2 – ENEMY OF MY ENEMY
German translation copyright © 2014 by Amigo Grafik GbR.
Original English language edition copyright © 2004 by CBS Studios Inc. All rights reserved.
™ & © 2014 CBS Studios Inc. STAR TREK and related marks and logos are trademarks of CBS Studios Inc. All Rights Reserved.
This book is published by arrangement with Pocket Books, a Division of Simon & Schuster, Inc., pursuant to an exclusive license from CBS Studios Inc.
Print ISBN 978-3-86425-421-5 (Juni 2014) · E-Book ISBN 978-3-86425-348-5 (Juni 2014)
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Dieses Buch ist all jenen gewidmet,
die gegen irgendeine Form der Dunkelheit gekämpft haben
und ohne Schaden daraus hervorgegangen sind.
Alles Gute.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
ÜBER DIE AUTORIN
»DIE GESCHICHTE MEINES LEBENS!«
ROMANE BEI CROSS CULT
Commander Andrew Ellis nahm den Daumen von dem im Erdboden verborgenen Knopf. Er betrachtete Captain Chakotay und dessen Schwester Sekaya, die auf der Kreidezeichnung lagen, die sein Partner angefertigt hatte. Beide waren bewusstlos. Hervorragend. Er drückte einen zweiten Knopf, stand auf und wischte sich die Hände ab.
Seine … Diener … kamen ein paar Minuten später an. Sie näherten sich fast lautlos; das einzige Geräusch war das leise Rascheln, das ihre breiten Beine im langen Gras erzeugten. Anerkennend begutachtete er sie.
Man konnte sie als annähernd humanoid bezeichnen. Alle waren sie über zwei Meter groß, besaßen dicke, überentwickelte Brustkörbe und Arme, und ihre Münder waren voller scharfer Zähne. Ihre Körper waren mit rostorangefarbenem Fell bedeckt, aus dem entlang ihrer Wirbelsäule spitze Stacheln ragten. Durch dichte Haarsträhnen blickten kleine schwarze Augen ihren Meister an. Einer begann erwartungsvoll zu sabbern; ein langer Speichelfaden hing von seiner Unterlippe. Ihr Geruch war moschusartig und aufgrund ihrer Aufregung noch deutlicher wahrzunehmen.
»Ihr«, Ellis suchte sich zwei von ihnen aus, »bringt die beiden in die Station.« Er wies auf Chakotays und Sekayas bewusstlose Körper. »Ihr anderen hört mir zu.«
Er hob die Hand und wies mit Zeige- und Mittelfinger auf seine Augen, wie man es mit einem Hund tun würde, dem man etwas beibringen wollte. Gehorsam richteten sich ihre Blicke auf ihn.
»Vier weitere Personen, die Uniformen wie diese tragen, laufen hier herum. Greift sie an.«
Eine der Kreaturen brüllte bestätigend und hüpfte glücklich auf und ab. »Ruhe!«, rief Ellis ärgerlich. Das Wesen verstummte.
»Aber ihr dürft sie nicht töten. Verstanden?«
Die Kreaturen sahen enttäuscht aus. Eine von ihnen winselte.
Ellis fuhr fort. »Ihr sollt sie hetzen, ihnen Angst einjagen. Verletzt sie, wenn es sein muss, aber ich werde sehr, sehr böse, falls einer von ihnen stirbt. Ich werde herausfinden, wer es war, und ihn oder sie töten. Verstanden?«
Sie grunzten.
»Gut. Und nun geht und habt Spaß.«
Schnatternd und heulend, begierig darauf, eine solch angenehme Aufgabe zu erfüllen, zerstreuten sich die Kreaturen. Die beiden, die ausgewählt worden waren, Chakotay und Sekaya zu tragen, tapsten heran und hoben die schlaffen Körper mühelos mit ihren kräftigen Armen vom Boden.
Ellis sah ihnen nach. In ihm breitete sich ein warmes Gefühl der Freude aus. Alles verlief nach Plan. Es war ungünstig gewesen, dass sich Chakotay unerwartet dazu entschlossen hatte, bezüglich des Außenteams nach Vorschrift zu verfahren, aber Ellis hatte sich anpassen können. Mit einer kurzen Planänderung war er in der Lage gewesen, nicht nur den menschlichen Captain, sondern auch dessen Schwester auf den Planeten zu locken. Sein cardassianischer Verbündeter würde sehr zufrieden sein.
Er folgte seinen Kreaturen, die sich auf einen scheinbar massiven Felsblock zubewegten und einfach hindurchgingen. Es war schwierig gewesen, sie davon zu überzeugen, dass sie sicher durch etwas hindurchlaufen konnten, was massiv aussah. Aber mit der Zeit hatten sie sich an die holografische Illusion gewöhnt. Nun folgte Ellis ihnen die groben, in den Fels gehauenen Stufen hinab. Er konnte es kaum erwarten, dass Chakotay aufwachte.
Lieutenant Devi Patel liebte die Wissenschaften. Sie umwarb sie förmlich, in einem Ausmaß, dass sie deswegen manchmal intellektuell anspruchslosere Bindungen ablehnte. Nur einmal hatte ihr ihre Leidenschaft für die Wissenschaft Kummer bereitet: auf der Akademie, als man sie dazu gezwungen hatte, sich auf ein Gebiet zu spezialisieren. Sie wünschte sich, es gäbe so etwas wie einen ›Universalisten‹. Selbst nachdem sie sich für Biologie entschieden hatte, hatte sie so viele Kurse wie möglich auf anderen Gebieten belegt, bis sie praktisch ein Experte in allen Bereichen der Wissenschaft gewesen war.
Widerstrebend hatte sie entschieden, dass Medizin eines der Gebiete war, von denen sie sich trennen konnte. Sie hatte nie den Drang verspürt, eine Heilerin zu werden, sondern sah sich eher als Forscherin. Sie verfügte über eine unstillbare Neugierde, die sie schon öfter in Schwierigkeiten gebracht hatte. Dazu kam eine eigenwillige Kombination aus fröhlichem Optimismus und logischem Intellekt, die ihr aus den meisten dieser brenzligen Situationen wieder herausgeholfen hatte. Während ihrer ersten Mission an Bord der Voyager hatte man ihr den Spitznamen ›die Furchtlose‹ verpasst. Sie war sich nicht so sicher, ob er passte. Patel hatte furchtlos immer mit heldenhaft gleichgesetzt, und sie hatte sich noch nie heldenhaft gefühlt. Es war nur so, dass sie in den meisten Situationen eher neugierig als ängstlich war. Das Universum war voller wissenschaftlicher Wunder, und ihr Gehirn schaltete eher auf Neugierde als auf: Machen wir, dass wir hier wegkommen.
Von einem wissenschaftlichen Standpunkt gesehen war dieser Planet langweilig. Auf der Reise hierher hatte sie ihre Freizeit dazu genutzt, die Daten, die Marius und die anderen Kolonisten gesammelt hatten, zu analysieren. Es hatte sich um das übliche Klasse-M-Material gehandelt. Obwohl es wie immer interessante Variationen von Dingen gab, wie eine neue Art von Orchideen oder Arachniden, hatte sie nichts Verblüffendes, Unglaubliches oder Herausragendes gefunden. Dennoch hielt sie den Trikorder in den Händen und betrachtete ihn aufmerksam. Vielleicht empfing sie ja etwas Aufregendes oder Ungewöhnliches und wäre diejenige, die …
Patel atmete rasch ein und starrte überrascht auf die Anzeige des Trikorders.
Sie empfing die Lebenszeichen von riesigen, zweibeinigen Säugetieren …
Und sie kamen direkt auf sie zu.
Was für ein wirklich schöner Planet, dachte Harry Kim, während er sich dem Zentrum der Kolonie näherte, das zum Treffpunkt ernannt worden war. Kein Wunder, dass Fortier und die anderen zurückkehren wollten. Er fragte sich, ob sie sich wirklich wieder an diesem Ort niederlassen wollten, nun, da sie wussten, dass niemand von denen, die geblieben waren, überlebt hatte.
Er hatte es sich anders gewünscht und hoffte, dass sie wenigstens die Leichen fanden, um sie anständig zu beerdigen.
Nun kletterte er eine flache Hügelkette hinauf und sah auf die kleine Gruppe von Gebäuden hinab, die sich im Tal zusammendrängte. Was war das Wort, nach dem er suchte? Ländlich? Idyllisch? Beides passte. Es war kein rustikales Farmland des achtzehnten Jahrhunderts oder so etwas – Fortier und seine Freunde verweigerten sich nicht den Vorzügen der Technologie –, aber die kleine Stadt, die da vor ihm lag, strahlte eine Einfachheit aus, die in ihm den Wunsch weckte, durch ihre Straßen zu gehen, sich hinzusetzen und die Sonnenuntergänge am See zu genießen.
Kim stieg den Hügel hinab, trat gelegentlich seitlich auf, um nicht auf dem noch regennassen Gras auszurutschen. Er sah noch einmal zu dem kleinen Stadtzentrum und entdeckte plötzlich etwas, das die Szenerie ihrer Idylle beraubte. Die reglosen Körper der Sicherheitsoffiziere Brendan Niemann und Kathryn Kaylar.
Er hatte seinen Phaser weggesteckt, als er den Hang hinabgestiegen war. Nun zog er ihn wieder und rannte den Hügel hinunter, wobei sein Blick umherirrte und nach dem oder den Tätern suchte.
Kim bemerkte den Angreifer nicht, der ihn leise verfolgt hatte und ihn nun von hinten ansprang.
Patel hielt zwei Geräte in den Händen – den Phaser und den Trikorder. Mit dem Daumen drückte sie einen Schalter auf Letzterem und hob die Waffe, aber sie hatte die Schnelligkeit der Kreatur unterschätzt. In dem Moment, in dem sie feuerte, stürzte das Wesen sich auf sie, und der Schuss ging daneben. Unter dem Gewicht ging sie zu Boden und verlor den Trikorder.
Die Bestie wog mehrere Hundert Kilo, und Patel spürte, wie ihre Rippen brachen. Sie ignorierte den Schmerz, als sie sich trotz festgehaltener Arme unter ihm wand und ihm dabei in die kleinen dunklen Augen und auf die Schnauze voller Zähne starrte.
Ein Gedanke formte sich in einem losgelösten Teil ihres Verstandes: Fleischfresser. Sie spürte den heißen Atem auf ihrem Gesicht und roch verrottendes Fleisch. Ganz eindeutig Fleischfresser.
Patel machte sich darauf gefasst, dass die scharfen Zähne ihr die ungeschützte Kehle zerfetzten, aber dazu kam es nicht. Ihr Blick begegnete für die Zeitspanne von ein paar Herzschlägen dem der Kreatur. Speichel tropfte ihr auf die Wange.
Dann, so schnell, wie das Wesen sie angegriffen hatte, war es fort. Patel schnappte nach Luft und bereute es sofort, als der Schmerz schlimmer wurde. Während sie unter Qualen atmete, fragte sie sich: Warum hat mich das Ding nicht getötet?
»Sekky, bist du in Ordnung?«
Ah, gut, dachte Ellis. Sie sind wach. Dann macht es gleich doppelt so viel Spaß. Er sah zu seinem Verbündeten, grinste und wies mit dem Kinn in Richtung des Labors. Sein Begleiter nickte und ging rasch den kurzen Korridor entlang zu ihren Gefangenen. Ellis wartete auf den richtigen Moment für seinen Auftritt.
»Was ist passiert?« Sekayas Stimme klang undeutlich.
»Eine ausgezeichnete Frage, und eine, die wir nur allzu gerne beantworten werden.«
Sekaya keuchte, als sie den Cardassianer erkannte, und Ellis grinste. Er wollte ihre Reaktion selbst sehen, wusste aber, dass es umso süßer war, wenn er es hinauszögerte.
»Sie! Sie elender Dreckskerl!«
Ellis hob überrascht eine Augenbraue. So harte Worte aus einem so hübschen Mund? dachte er amüsiert. Er trat ebenfalls auf den Korridor hinaus, bewegte sich leise auf den Raum zu, während Crell Moset sprach.
»Hallo, Sekaya. Ich bin geschmeichelt, dass Sie mich erkennen.« Der Cardassianer grinste. »Ich muss einen ziemlichen Eindruck hinterlassen haben. Nein, nein, meine Liebe, wehren Sie sich nicht gegen die Fesseln. Sie würden sich nur selbst verletzen, und ich müsste Sie sedieren.«
Jetzt.
»Und das würde ja keinen Spaß machen, nicht wahr, Chakotay?«, sagte Ellis, während er eintrat. Er musste grinsen, als er sah, wie Chakotays Blick von seinem Gesicht zu dem des echten Andrew Ellis zuckte, der noch immer in der Stasiskammer lag. »Es würde überhaupt keinen Spaß machen.«
Auf diesen Augenblick hatte er gewartet. Den Moment, wenn Chakotay nach so vielen Jahren endlich verstand. Er veränderte seine Züge, ließ sie miteinander verschmelzen, sich zu einem Gesicht neu anordnen, das Chakotay vor so langer Zeit so gut gekannt hatte.
»Arak Katal«, keuchte Chakotay.
Der Formwandler, der das Gesicht eines bajoranischen Freiheitskämpfers trug, zuckte mit den Schultern. Sein Ohrring hüpfte bei der Bewegung. »Unter anderem.«
»Jetzt ergibt alles einen Sinn. Ich konnte mir nie einen Reim darauf machen, warum ein Bajoraner den Maquis verraten würde.«
»Das hat Sie lange beschäftigt, ich weiß«, antwortete Katal/ Ellis. »Ich bin froh, dieses kleine Mysterium lösen zu können. Aber ich habe Sie nicht hierher gebracht, um in Erinnerungen zu schwelgen. Ich bin schon eine ganze Weile auf der Suche nach Ihnen, Chakotay.«
Mit jeder Sekunde, die verging, konnte Chakotay klarer denken. Er erinnerte sich daran, dass es Katal gewesen war, der ihn auf seine letzte Mission als Maquis geschickt hatte. Die Mission, die ihn dazu gezwungen hatte, sich in den Badlands zu verstecken, von wo sein Schiff vom Fürsorger entführt worden war. Chakotay hatte seine Missionen von Tevliks Mond aus durchgeführt. Er hatte Admiral Janeway erzählt, dass er, wenn er nicht in die Badlands geflogen wäre, um dem Zugriff durch Gul Evek zu entgehen, zusammen mit den anderen bei dem Massaker gestorben wäre. Im Delta-Quadranten zu stranden, hatte ihm wahrscheinlich das Leben gerettet.
»Sie haben mich losgeschickt«, sagte er zu dem Formwandler. »In die Badlands. Wussten Sie irgendwie vom Fürsorger?«
»Natürlich nicht. Das war das Gegenteil von dem, was ich beabsichtigte. Ich wollte, dass Sie gefangen genommen werden, Chakotay. Nicht getötet, nicht von einem Superwesen siebzigtausend Lichtjahre weit weg gerissen … nur im sicheren Gewahrsam eines cardassianischen Guls.«
Ohne es sich anmerken zu lassen, prüfte Chakotay die Haltegurte. Sie waren stabil. Neben ihm war Sekaya still geworden. Aus dem Augenwinkel sah er, wie sie die Augen aufgerissen hatte und völlig schockiert zuhörte.
Bleib ruhig, Sekky. Lass mich das regeln.
»Im sicheren Gewahrsam eines Cardassianers«, wiederholte er, »um dann der wohlwollenden Fürsorge eines gewissen Dr. Crell Moset überlassen zu werden.« Besser bekannt als der Schlächter von Bajor.
»Genau«, sagte Moset. »Soweit ich weiß, sind Sie das, was Ihre Leute als widerspenstig bezeichnen. Das hat mir meine Aufgabe etwas schwieriger gemacht. Sind Sie sich darüber im Klaren, dass Sie der einzige Bewohner von Dorvan V sind, der den Planeten jemals verlassen hat? Und ich lege großen Wert auf Vollständigkeit.«
»Verzeihen Sie, dass ich Ihnen Unannehmlichkeiten bereitet habe«, sagte Chakotay sarkastisch. Allmählich begriff er, was hier vorging. Aus irgendwelchen Gründen wollte Moset ihm Proben entnehmen, um seine Analyse der Kolonisten von Dorvan V abzuschließen.
Welcher kranke Verstand würde sich mit so etwas Belanglosem abgeben, wenn sein Volk vollständig besiegt war? Und welchen Grund hatte Katal, Moset zu helfen? Die ganze Angelegenheit war bizarr. Bizarr und verstörend. Sollte ihm und Sekaya nicht die Flucht gelingen, hatte Chakotay keinen Zweifel daran, dass sie Träumer Des Blauen Wassers früher wiedersehen würden, als ihnen lieb war.
»Was genau möchten Sie vervollständigen?« Chakotay versuchte, Zeit zu gewinnen. »Ihnen ist vielleicht nicht bekannt, dass unser Doktor auf der Voyager eine holografische Simulation von Ihnen erschaffen hat. Ihr Fachwissen hat das Leben eines Mannschaftsmitgliedes gerettet. Das Leben einer Freundin.«
Als Moset antwortete, schaffte er es, sowohl geschmeichelt wie auch beleidigt zu wirken. »Das ist mir durchaus bekannt, Captain. Und ich weiß, dass Ihr Doktor, ungeachtet meines Fachwissens, die Entscheidung getroffen hatte, mein Programm vollständig zu löschen. Denken Sie nur an all die Leben, die ich … entschuldigen Sie, mein Hologramm … noch hätte retten können! Denken Sie an das Wissen, das wir hätten erlangen können! Sieben Jahre unterwegs im Delta-Quadranten, all diese neuen Informationen …
Chakotay behielt den Cardassianer im Blick, aber aus den Augenwinkeln versuchte er, so viele Informationen wie möglich zu sammeln: die Größe des Raumes, die Instrumente, die Werkzeuge, die Art des umgebenden Felsens; irgendetwas, was man als Waffe benutzen konnte. Und selbstverständlich beobachtete er Katal … Verdammt, den Formwandler. Höchstwahrscheinlich ein Wechselbalg, wenn man bedachte, wie gelassen er sich dem Cardassianer gegenüber verhielt.
Jetzt sah er ihn, Chakotay, mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an.
»Er führt Sie vor, Moset«, sagte er gedehnt. Beim Klang der vertrauten Stimme spürte Chakotay ein Kribbeln auf seiner Haut, und eine Woge aus Wut und Hass brach über ihn herein. Die Stimme, von der er angenommen hatte, dass sie einem Freund gehörte; die Stimme, die Lügen wie Wahrheit klingen ließ, sodass niemand auch nur vermutet hatte, was wirklich vorging.
»Unsinn.« Moset wirkte etwas unterwürfig.
»Kommen Sie, mein Freund.« Der Wechselbalg nahm ihn am Arm und zog ihn mit sich. »Es gibt viel zu besprechen.«
In ein halblautes Gespräch vertieft entfernten sie sich über den Korridor. Chakotay konnte kein Wort verstehen, aber das war gerade nicht sein Hauptproblem.
»Sekaya, bist du in Ordnung?«, zischte er.
Zunächst antwortete sie nicht. Dann drehte sie langsam den Kopf, um ihn anzusehen. Ihre schönen Augen waren feucht.
»Er hat uns gefunden, Chakotay.« Ihre normalerweise melodische Stimme klang belegt. »Beim Großen Geist, er hat uns gefunden. Ich dachte, ich hätte ihn hinter mir gelassen. Ich dachte, er hätte mir schon genug genommen. Erst Träumer Des Blauen Wassers, und dann Vater … und nun wird er auch uns töten.«
»Nein, das wird er nicht.« Während er die Worte sprach, sah er sich mit sinkender Hoffnung um und fragte sich, ob er sich letzten Endes genauso als Lügner herausstellen würde wie Arak Katal.
Der Trill-Doktor und der Huanni-Counselor beugten sich über den Computerbildschirm, um sich die Ergebnisse des letzten Tests anzusehen. Als die Information angezeigt wurde, spürte Dr. Kaz, wie sein Herz einen Satz machte.
»Da, sehen Sie?« Unnötigerweise deutete er darauf. »Die Isoboramin-Werte haben sich wesentlich erhöht.«
»Aber sie liegen noch nicht im Normalbereich.« Astall kaute auf ihrer Unterlippe. »Jarem, ich bin mir wirklich nicht sicher, was ich hier sehe. Ich bin mit der Trill-Physiologie nicht so vertraut wie Sie.«
»Glauben Sie mir, es ist in Ordnung. Ich muss nicht vom Dienst suspendiert werden.«
»Seien Sie ehrlich.« Sie sah mit ihren großen Augen zu ihm auf. »Würden Sie dasselbe sagen, wenn es sich um jemand anderes handeln würde?«
Er nickte lächelnd. »Ehrlich, das würde ich. Aber ich würde darauf bestehen, dass man denjenigen beobachtet.«
Sie lächelte und war offensichtlich ebenso erleichtert wie er. Impulsiv umarmte sie ihn. Er spannte sich in ihren Armen an, dachte dann aber: Niemand sonst ist hier, vergessen wir den Anstand, und erwiderte die Umarmung.
»Wie sieht es nun aus mit dem Mittagessen?«, fragte er.
Das Wesen, das das Gesicht des Bajoraners Arak Katal und des menschlichen Sternenflottenoffiziers und noch Dutzende, vielleicht Hunderte andere getragen hatte, seit es im Alpha-Quadranten war, trieb Moset die klaustrophobischen Flure entlang, bis es sicher war, dass man sie nicht belauschen konnte.
»Danke, dass Sie das Symbol gemalt haben. Selbst ich hatte keine Gelegenheit dazu. Wir hatten ohnehin nur wenig Zeit.«
»Nicht der Rede wert«, widersprach Moset. »Es war ganz leicht. Und Sie haben mir genau das gebracht, was ich benötige. Was wir benötigen«, korrigierte er sich.
»Ich musste auch das Mädchen herbringen.«
»Oh, das ist ein glücklicher Zufall. Ich kann sie bestimmt auch gebrauchen. Es ist immer hilfreich, ein genetisch ähnliches Kontrollsubjekt zur Verfügung zu haben. Nein, nein, alles ist in Ordnung. Sehr gut sogar.«
Katal drehte sich zu dem Wissenschaftler um. Er versuchte sich seine Ungeduld nicht anmerken zu lassen, als er fragte: »Also, wie geht es voran? Ganz ehrlich?«
Moset lächelte zufrieden. »Die Experimente verlaufen genau so, wie ich es vorhergesagt habe. Keine Überraschungen. Und nun, da ich mit Chakotay und Sekaya frisches Material habe, sollten sich bald messbare Erfolge zeigen. Sie werden schon bald wieder Ihr altes Selbst sein.«
Katal klopfte Moset auf die Schulter. »Ich kann Ihnen nicht sagen, wie sehr es mich freut, das zu hören, mein Freund. Wie steht es um unser anderes Projekt?«
Moset zögerte. »Nun, es braucht noch etwas Zeit und Nachdenken. Aber es geht ebenfalls gut voran. Kommen Sie. Sehen wir, was meine letzten Änderungen für Ergebnisse gebracht haben.«
Der Wissenschaftler drehte sich um, als wollte er ins Labor zurückgehen. Katal legte ihm eine Hand auf den Arm, um ihn zurückzuhalten.
»Ich möchte nicht unbedingt, dass Chakotay weiß, was vorgeht.«
Moset lächelte. »Und wohin glauben Sie, wird er mit der Information verschwinden?«
Katal lachte. »Sie haben recht.«
Die beiden kehrten ins Labor zurück. Katal sah zu Chakotay, der offenbar noch vor Sekunden an seinen Fesseln gezerrt hatte. »Sie können sich nicht befreien, Chakotay. Sparen Sie sich also Ihre Kraft.«
Kalt blickte ihn Chakotay an. Bei allen Göttern, die man in diesem Quadranten verehrt, dachte Katal, ich habe noch nie solchen Hass gesehen. Er spürte, wie er lächeln musste.
»Glauben Sie mir, sobald Moset mit Ihnen fertig ist, werden Sie all Ihre Kraft brauchen. Das haben Sie doch schon erlebt, nicht wahr, Sekaya?«
Als er die Geschwister zum ersten Mal auf der Voyager zusammen gesehen hatte, hatten sie sich sehr ähnlich gesehen, und jetzt trugen sie denselben Ausdruck von Abscheu in den Gesichtern. Der einzige Unterschied war, dass Chakotays kalt und zurückhaltend war, und nur ihm galt, während Sekayas wie Lava kochte und sich wie der Strahl eines Lasers auf Moset richtete. Er erwartete jeden Moment, dass sie anfing, wie ein Tier zu knurren.
Während er die beiden Geschwister amüsiert beobachtete, hatte Moset summend ein Hypospray vorbereitet.
»Haben Sie das gesungen, als Sie Träumer Des Blauen Wassers getötet haben?«, spie Sekaya.
Moset sah die Frau vorwurfsvoll an. »Lassen Sie mich Ihnen versichern, niemand sollte sterben. Meine Versuchsobjekte nutzen mir lebendig mehr als tot. Ich bedaure Ihren Verlust.«
»Das ist der größte Haufen …«
»Sekaya«, unterbrach Chakotay sie streng. Sie sah ihn an, die Brust bebend vor Wut, und er schüttelte langsam den Kopf.
»Ihr Bruder hat recht. Es bereitet Moset nicht unbedingt Freude, seinen Versuchsobjekten Schmerzen zuzufügen … normalerweise. Aber wenn man ihn dazu treibt – nun, ich kann nicht mit Sicherheit sagen, wozu er imstande ist.«
»Ach, hören Sie doch auf, ihr Angst zu machen«, wies Moset Katal zurecht. »Sagen Sie mir, wie sich das anfühlt.«
Er drückte ihm das Hypospray an den Hals. Es fühlte sich kühl an, und der Formwandler spürte, wie sich der dunstige Inhalt in ihm verteilte. Er betrachtete konzentriert seine Hände. Sie schimmerten kurz und verfestigten sich dann wieder in starke, fünffingrige humanoide Hände.
»Nichts.« Seine Stimme klang in Katals eigenen Ohren leise und wütend.
»Wie enttäuschend.« Moset starrte den zylindrischen Behälter des Hyposprays an, als läge die Schuld bei dem Instrument und nicht bei ihm. »Hmmm, ich bin mir nicht sicher, was schiefgegangen ist. Ich muss meine Notizen noch einmal durchgehen. Aber keine Sorge, sobald ich diese beiden auswerten kann, werden wir große Fortschritte machen. Davon bin ich überzeugt.«
Katal starrte weiter auf seine Hände, kämpfte gegen die rasende Wut an, die sich in ihm aufzubauen drohte. Der Cardassianer war so nahe dran. Und er hatte in der Vergangenheit seinen Wert bewiesen. Die Tatsache, dass er mit dem Gesicht und Körper eines bajoranischen Maquis vor ihm stand, war ein Beweis dafür, wie viel Moset erreicht hatte. Aber Katal verlor langsam die Geduld. Er war so lange geduldig gewesen, so unglaublich lange …
»Sie haben natürlich recht«, sagte er sanft und zwang sich zu einem Lächeln. »Sobald Sie mit den beiden zu arbeiten beginnen, bin ich mir sicher, dass Sie sprunghafte Fortschritte machen werden.«
Moset legte den Kopf schief. »Interessante Wortwahl.«
»Es ist ein menschlicher Ausdruck. Ich habe ihn von Ellis aufgeschnappt.«
»Sprunghaft … gefällt mir. Es klingt nach … Spaß. Energisch und sehr bildlich. Ja, ich werde sprunghafte Fortschritte machen.«
»Wenn Sie mich nun entschuldigen würden«, sagte Katal zu Chakotay, Sekaya und Moset. »Ich habe einiges zu erledigen.«
Noch während er die Worte aussprach, zögerte er. Er kannte Chakotay schon so lange, auch wenn dem Menschen das nicht klar gewesen war. Er genoss es, den Menschen auszutricksen. Chakotay war so schrecklich aufrichtig. Nobel. Leicht an der Nase herumzuführen. Das erinnerte den Formwandler an eine uralte Methode auf der Erde, die Nase eines Bullen zu durchstoßen und ihn an dem eingeführten Ring herumzuführen. Genauso war es mit Chakotay; ein großer Mann, kräftig gebaut und, was es noch amüsanter machte, nicht dumm. Nur … vertrauensselig. Ein Bulle … Der Gedanke gefiel ihm.
Erst als Katal, einem ›Waffenbruder‹, und dann als verstockter, immer nach Vorschrift handelnder ›Besen‹ Ellis hatte er Chakotay dazu verleitet, ihm zu vertrauen, ihn sogar zu mögen. Katal war klar, dass, egal was Moset für die Menschen geplant hatte, Chakotay am Ende sterben würde. Selbst wenn er und seine Schwester die Experimente überlebten, die Moset an ihnen durchführen würde, mussten sie zu guter Letzt sterben.
Und dann würde das Spiel, das er seit über acht Jahren mit Captain Chakotay spielte, ein Ende finden. Katal bedauerte das, zuckte aber innerlich mit den Schultern.
Man musste Opfer bringen.
Er drehte sich um und schritt entschlossen die engen Korridore entlang, die mit Phasern aus dem soliden Fels geschnitten worden waren, bis er einen großen Raum erreichte. Hier befanden sich Dutzende von eingeschalteten Bildschirmen, und alle zeigten etwas, das für Katal wichtig war. Er suchte sich einen aus und stellte sich davor.
»Computer, aktiviere holografisches Programm A-4.«
Der grauschwarze Fels der Höhle verschwand, als sich der holografische Hintergrund aufbaute. Er manipulierte die Farben, entschied sich für Schieferblau mit etwas Grün. Nach kurzer Überlegung fügte er ein paar Kunstwerke an den Wänden hinzu – nichts Markantes – und rundete das Ganze mit einem weichen, dunkelblauen Teppichboden ab. Nun sah der Raum wie einer von Dutzenden undefinierten neutral dekorierten Konferenz- oder Bankettsälen aus, die es auf so vielen Planeten der Föderation gab.
Nachdem er die Einstellungen vorgenommen hatte, kümmerte sich der Formwandler um sein eigenes Aussehen. Die bajoranischen Züge wurden breiter. Der Mund streckte sich, wurde weiter, die Haut nahm einen fahlen Orangeton an, und die Haarfarbe veränderte sich von dunklem Braun zu leuchtendem Rot. Er betrachtete seine Finger, die länger und dicker wurden, nickte zufrieden, als dort, wo zuvor noch fünf Finger gewesen waren, sich nun vier bildeten. Kurz sah er in den Spiegel, um sicherzugehen, dass alles seine Ordnung hatte, und baute dann die Verbindung auf.
Auf dem Bildschirm erschien Amar Merin Kol, deren Augen vor Freude strahlten, als sie ihn sah. Er neigte respektvoll den Kopf.
»Grüße, Amar.«
»Grüße, Alamys. Sie haben sich etwas verspätet«, wies sie ihn sachte zurecht.
»Verzeihen Sie, Amar.« Er runzelte die Stirn, versuchte gleichzeitig wütend und unglücklich zu wirken. »Ich war verstrickt in ein … Streitgespräch.«
»Meine Güte, ich hatte gehofft, dass es nicht zu Unannehmlichkeiten kommen würde.«
So war Merin Kol nun einmal. Sie mochte keine Reibereien, verabscheute es, jemanden vor den Kopf zu stoßen, und schaffte es trotzdem, ihre Ziele voranzutreiben. Kurz dachte der Formwandler darüber nach, dass es eine Herausforderung sein musste, eine solche Einstellung zu vertreten. Sicher schwierig zu imitieren, insbesondere, da es Kol ehrlich meinte.
Sie war ehrlich und, wie so viele, leichtgläubig.
»Ich fürchte, es gab einige … Unannehmlichkeiten … in den letzten Tagen«, seufzte er. Als wäre er müde, rieb er sich die Wangen, wo sich eine Ansammlung von Nerven befunden hätte, wäre er ein echter Kerovianer.
»Sie müssen erschöpft sein.« Mitfühlend ging sie sofort auf die Geste ein. »Sie haben mir gut und loyal gedient, Alamys – ebenso Kerovi. Aber es laugt Sie eindeutig aus.« Sie machte eine Pause, sah nachdenklich aus. »Vielleicht sollte ich Sie abziehen. Es gibt andere, die die Verhandlungen, die Sie eingeleitet haben, fortführen können.«
»Nein«, sagte er sofort und fürchtete einen Moment lang, dass er übertrieben hatte. »Nein, Amar. Ich möchte beenden, was ich begonnen habe. Einige der Verhandlungen sind kompliziert und benötigen Feingefühl. Ich habe Freunde gewonnen. Wir haben eine bessere Aussicht auf Erfolg, wenn ich bleibe und weitermache.«
»Ganz wie Sie wünschen. Ich bewundere Ihr Engagement. Aber ich muss zugeben, ich vermisse Ihren weisen Rat, mein Freund.«
»Ich hoffe, dass ich Sie weiterhin weise beraten kann, ungeachtet dessen, wo ich mich befinde«, sagte er unterwürfig. »Nun berichten Sie mir bitte, wie die Vorbereitungen für die Konferenz auf Vaan vorangehen.«
»Wie zu erwarten. Ich freue mich auf das Treffen mit Admiral Janeway.«
Der Formwandler blickte finster. »Ich habe gehört, sie sei eine ausgezeichnete Diplomatin, Amar. Sie dürfen nicht zulassen, dass sie Sie umstimmt.«
Kol legte den Kopf schief. »Bisher habe ich noch keine endgültige Entscheidung getroffen, was den Austritt aus der Föderation angeht. Das wissen Sie. Ich werde unvoreingenommen und ohne Vorurteile zuhören. Schließlich habe ich keine Ziele und nichts zu beweisen. Ich will nur, was für das Volk von Kerovi das Beste ist.«
Verdammt. Als er das letzte Mal mit ihr gesprochen hatte, war sie unverrückbar für einen Austritt gewesen. Ohne die Föderation im Nacken könnte er auf Kerovi viel ungestörter operieren. Und er hatte auf diesem hübschen kleinen Planeten viele – wie lautete der menschliche Ausdruck doch gleich? – ›Eisen im Feuer‹.
»Selbstverständlich, Amar«, sagte er beschwichtigend. »Ich wollte nichts anderes andeuten. Aber ich bin etwas verwirrt. Möchten Sie, dass ich die Konferenzen mit diesen Leuten abbreche, bis Sie eine Entscheidung getroffen haben?« Es wäre gefährlich, nach Kerovi zurückzukehren, bevor seine Arbeit hier beendet war. Aber wenn Kol so unentschlossen war, wie es den Anschein erweckte, konnte es gefährlicher sein, nicht zu gehen.
»Nein.« Ihre Stimme klang fest, und er verspürte eine Spur von Erleichterung. »Machen Sie mit Ihrer Arbeit weiter. Sie leisten einen wertvollen Dienst. So gerne ich Sie auch wieder an meiner Seite hätte, bin ich mir bewusst, dass Sie dort gebraucht werden, wo Sie sind.« Sie lächelte verschmitzt. »Und machen Sie sich keine Sorgen. Ich mag Janeway sehr und freue mich darauf, sie zu treffen. Vielleicht könnte ich sie sogar als Freundin bezeichnen. Aber das Schicksal meines Volkes ist zu wichtig, um auf dem Altar der Freundschaft geopfert zu werden.«
»Wie ich bereits sagte, Sie sind ebenso weise wie schön, Amar.« Er legte eine Hand an die Brust und verneigte sich vor ihr.
»Und Sie sind ein hochbegabter Schmeichler, mein Freund«, sagte sie zwinkernd. »Kol Ende.«
Er wechselte nicht sofort die Form, nachdem der Bildschirm schwarz geworden war. Im Geiste ging er die Unterhaltung noch einmal durch. Vielleicht hatte er diese Janeway unterschätzt. Dadurch, dass er Chakotay so gut kannte, hatte er Janeway indirekt kennengelernt. Und selbstverständlich hatte er in der fedrigen Gestalt des vogelartigen Captain Skhaa sämtliche Logbücher der Voyager herunterladen und lesen können. Auf diese Weise hatte er die notwendigen Informationen über Chakotay erlangt.
Dann schüttelte er den Kopf und nahm mit der Geste wieder die Gestalt von Commander Andrew Ellis an.
»Computer, holografisches Programm A-4 beenden.«
Er ging den Flur entlang. Chakotay versuchte noch immer Zeit zu gewinnen, dieses Mal, indem er Moset in eine Unterhaltung verstrickte. Der Cardassianer fand immer Zeit, über sich selbst zu reden, und Chakotay war schlau genug, das für sich zu nutzen.
Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte das den Formwandler geärgert. Aber es war ohne Belang, wenn Chakotay dem Wissenschaftler irgendwelche Informationen entlockte. Wie der Cardassianer gesagt hatte, er würde aus den Informationen keinen Nutzen ziehen können. Sollte Chakotay so viel mit Moset plaudern, wie er wollte. Vielleicht offenbarte er selbst dabei ja unabsichtlich etwas Nützliches.
Als er eintrat, endete die Unterhaltung, und Chakotay richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf ihn, das Wesen, das sich für einen Freund und für seinen neuen Ersten Offizier ausgegeben hatte.
Das freute ihn; er wollte, dass Chakotay sah, was als Nächstes kam. Vielleicht würde es ihn etwas verunsichern.
Der Formwandler, der das Gesicht von Andrew Ellis trug, trat an das in der Stasis-Kammer eingeschlossene Original heran. Er blickte Chakotay direkt in die Augen und lächelte leicht.
»Ich glaube nicht, dass wir noch einmal die Gelegenheit haben werden, uns zu unterhalten, aber ich bin mir sicher, Dr. Moset wird Sie über alles informieren.«
Vor den entsetzten Blicken Chakotays und Sekayas verliefen die Züge des Formwandlers und ordneten sich neu an. Seine Haut nahm eine dunklere Färbung an als die bleiche des europäisch-stämmigen Ellis; seine Augen wechselten von blau zu braun. Sein Haar veränderte sich von blond und schütter zu einem schwarzen Kurzhaarschnitt. Zum Abschluss ließ der Formwandler ein dunkles Linienmuster an seiner Stirn entstehen.
Chakotay starrte sich selbst an.
Der Formwandler griff nach ihm, und Chakotay spannte sich an. Aber alles, was der Formwandler wollte, war der Kommunikator, den er an seiner Uniform befestigte. »Machen Sie es gut, Chakotay.« Er berührte einen Knopf, woraufhin er und der echte Ellis verschwanden.
Nach den ersten paar Unterweisungen durch Admiral Janeway und Commander Tuvok hatte Lieutenant Commander Tom Paris das Gefühl, sein Gehirn sei zu Brei geworden.
»Wow«, war alles, was er sagen konnte, nachdem sie fertig waren. »Ich glaube, es würde mir leichter fallen, das komplette Royalprotokoll zu rezitieren.« Er machte eine Pause. »Rückwärts.«
Janeway lächelte und griff nach seiner Hand, um sie zu drücken. »Keine Sorge. Ich erwarte nicht von Ihnen, dass Sie sich das alles merken. Sie sollten nur ein wenig damit vertraut sein. Hier ist ein Padd mit sämtlichen Informationen; Sie können es während des restlichen Flugs in aller Ruhe durchlesen.«
Sehnsüchtig blickte Paris zum Bug des kleinen Schiffes, wo der stoische Vulkanier an den Kontrollen des Delta Flyers saß. »Ich säße lieber am Steuer.«
»Das kann ich mir vorstellen. Und ich wäre lieber dort, wo Captain Chakotay gerade ist. Aber wir alle müssen Opfer bringen, Tom.«
Daraufhin sah Paris sie an. »Darf ich frei sprechen, Admiral?«
»Selbstverständlich.«
»Vermissen Sie es sehr? Captain zu sein?«
Er hatte eine wie aus der Pistole geschossene Antwort erwartet wie: »Ich diene der Föderation, wie sie es für richtig hält«, oder etwas in der Art. Aber sie nahm seine Frage ernst, lehnte sich im Sitz zurück und sah ihn nachdenklich an.
»Um ehrlich zu sein, nein. Zuerst tat ich das, sehr sogar. Aber mittlerweile frage ich mich, ob es daran lag, dass ich so lange gezwungen war, Captain zu sein. Während der letzten sieben Jahre habe ich nicht einmal im Landurlaub den Sessel des Captains tatsächlich verlassen. Es war eine derart ungewöhnliche Situation, dass das Captainsein sich tief in mein Selbstbild verwurzelt hat. Mehr, als es unter anderen Umständen der Fall gewesen wäre. Ich sehe mich selbst gerne als Mensch mit vielen Talenten, Tom. Ich glaube, wäre ich kein Raumschiffcaptain geworden, hätte ich dennoch alles in meiner Macht Stehende getan, um meine Welt – meinen Quadranten, meine Galaxis – zu verbessern. Egal, was ich mit meinem Leben angefangen hätte.«
Ihre Ehrlichkeit rührte Paris. »Da bin ich mir sicher.«
Sie nickte lächelnd. »Aber ich habe mich für diesen Weg entschieden, und er führte mich durch sieben sehr interessante Jahre. Ich muss also zugeben, als wir zu Hause ankamen, war es anfangs etwas schwierig, das alles hinter mir zu lassen. Insbesondere, wenn man die Umstände unserer Rückkehr in Betracht zieht.«
Paris konnte nicht anders, als das Gesicht zu verziehen. Das waren sehr schlechte Zeiten gewesen.
»Aber als sich der Staub gelegt hatte und ich die Möglichkeit erhielt, weiterzumachen, erkannte ich, dass ich noch viel für die Sternenflotte und die Föderation tun kann. Ich genieße meine Arbeit … und genieße es, von Zeit zu Zeit ein paar Fäden ziehen zu können, damit die richtigen Leute die Möglichkeiten erhalten, die ihnen zustehen.«
Tom spürte, wie er errötete.
»Beneide ich Captain Chakotay? Darauf können Sie Ihre Rangabzeichen verwetten. Ich liebe dieses Schiff und habe es geliebt, sein Captain zu sein. Aber nur weil man jemanden beneidet, möchte man nicht unbedingt mit dieser Person tauschen.«
»Ich glaube, langsam fange ich an zu verstehen, Admiral.«
»Das werden Sie ganz bestimmt. Es ist eine dieser Reifungsangelegenheiten.« Sie zwinkerte. »Sie wissen eine Menge über sehr viele Dinge, Tom. Und was Sie in den letzten sieben Jahren erlebt haben, hat Ihnen sehr viele neue Erfahrungen beschert. Aber während wir fort waren, hat sich eine Menge geändert, und wir alle müssen sichergehen, dass wir uns den neuen Umständen anpassen.«
Tom starrte das Padd an und seufzte. »Da erzählen Sie mir nichts Neues.«
Janeway sah ihn weiterhin ernst an. »Wie geht es Ihnen und B’Elanna?«
Die Frage überraschte ihn. »Uns geht es hervorragend.« Er fragte sich, worauf sie hinauswollte.
»Wie ist das Leben auf Boreth?«
»Es ist … interessant. Man kann richtiggehend in die Kultur eintauchen.«
Ihre Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. »Ich glaube, so kann man es auch ausdrücken.«
»Anfangs war es schwierig, aber wenn es das ist, was B’Elanna will, bin ich dabei. Wir haben in letzter Zeit viel in den Schriftrollen gelesen, von denen Kohlar gesprochen hatte, um Informationen zu sammeln.«
»Über Ihre kleine Kuvah’Magh?«
Tom grinste peinlich berührt. »Ich weiß, es wirkt ein wenig egozentrisch. Aber wenn Sie eine Tochter hätten, die möglicherweise in den Prophezeiungen einer anderen Kultur als Erlöserin genannt wird, wären Sie nicht auch neugierig?«
»Natürlich. Haben Sie etwas herausgefunden?«
»Ich habe herausgefunden, dass ich vielleicht Vegetarier werden möchte. Auf Boreth gibt es unglaublich niedliche kleine Wesen namens paagrat. Sie werden gegessen und zu Pergament verarbeitet.«
»Chakotay könnte Ihnen sicher helfen. Aber um ehrlich zu sein, kann ich mir nicht vorstellen, dass Sie sich mit einem Risotto zufriedengeben, während Ihr Freund Harry ein Steak verschlingt.«
»Sie haben wahrscheinlich recht.«
Sie zögerte und sagte dann: »Ihnen ist bewusst, dass Sie immer wieder für längere Zeit von Ihrer Frau und Ihrem Kind getrennt sein werden, falls ich Ihnen einen Posten als Erster Offizier verschaffen kann?«
Er nickte. »Natürlich, das ist Teil des Jobs.«
»Und B’Elanna ist damit einverstanden?«
»Ja«, sagte Tom überzeugt. »Sie unterstützt mich sehr.«
Janeway lächelte sacht. »Vielleicht, weil Sie sie und ihre Bedürfnisse unterstützt haben. Nur wenige menschliche Männer würden das Leben auf Boreth sechs Tage lang aushalten, geschweige denn sechs Monate.«
Tom zuckte mit den Schultern und fühlte sich etwas unbehaglich, da das Gespräch derart persönlich wurde. »Sie ist meine Ehefrau. Ich liebe sie und ich liebe Miral. Warum sollte ich nicht alles tun, was nötig ist, um sie glücklich zu machen?«
»Diese Einstellung ist der Grund, warum sie bereit ist, dasselbe für Sie zu tun. Glücklicherweise ist es unwahrscheinlich, dass Sie sieben Jahre lang fort sein werden, wenn Sie einen Posten auf einem anderen Schiff erhalten.«
»Darüber bin ich sehr froh«, sagte Tom und meinte es auch so.
Der Formwandler materialisierte auf der Oberfläche von Loran II. Akribisch wie immer hatte er zuvor sichergestellt, dass keine störenden Offiziere der Sternenflotte in der Nähe waren, die sein Erscheinen hätten beobachten können. Dazu hatte er Geräte genutzt, die nicht von der Technik beeinträchtigt wurden, die der Ausrüstung der Sternenflotte solche Schwierigkeiten bereitete. Er würde sich noch mit den restlichen Sternenflottenoffizieren befassen, aber jetzt musste er alleine sein, um seine Pläne zu vollenden.
Neben ihm lag der echte Commander Andrew Ellis auf dem Boden. Seine Augen waren geschlossen und das bleiche Gesicht gen Himmel gerichtet. Der Sternenflottenoffizier war einer von mehreren Humanoiden, die der Formwandler in Stase hielt, um sie, wie jetzt, zur Hand zu haben. Während Ellis langsam das Bewusstsein wiedererlangte, wurden seine Atemzüge tiefer. Ellis hatte sich einige Jahre in Stase befunden; es würde bestimmt ein paar Sekunden dauern, bis er wieder bei vollem Bewusstsein war.
Genug Zeit für den Formwandler, um seinen Plan in die Tat umzusetzen.
Er zögerte, als er in das Gesicht hinabblickte, das ihm so vertraut war. Er hatte Ellis sieben Jahre lang imitiert. Es war dieser Körper gewesen, in dem er …
Die Erinnerung an die verlorenen Jahre, an das Leid, das zu ertragen er gezwungen worden war, ließ ihn vor Wut und Abscheu schaudern. Eben noch hatte er voller Mitgefühl an Ellis gedacht, als eine Art Begleiter auf einer langen und bitteren Reise. Auf einmal verkörperte der Solid alles, wogegen der Formwandler so lange angekämpft hatte, und seine Aufgabe, die ihm nie sonderlich schwierig vorgekommen war, schien nun geradezu einfach. Sogar erfreulich.
Er hatte ein langes, scharfes Skalpell mitgebracht. In einem Hightech-Labor fand man so etwas für gewöhnlich nicht, aber zum Glück setzte Moset gelegentlich gern ›primitivere‹ Technologie ein. Für die Absichten des Formwandlers wäre ein Laserskalpell unbrauchbar gewesen.
Ellis erwachte langsam aus der Stase. Sein Atem wurde regelmäßiger, und unter den noch immer geschlossenen Lidern zuckten die blassblauen Augen. Seine Hand bewegte sich.
Der Formwandler stach zu. Er beugte sich über den Menschen und empfand mehr Spaß dabei, ihn zu verletzen, als er erwartet hatte. Die ersten paar Schnitte waren nicht tödlich, und Ellis riss beim Schock des Schmerzes die Augen auf. Benommen wehrte er sich, noch unfähig, seine Bewegungen ausreichend zu koordinieren, um sich zu verteidigen und sein Leben zu retten. Er starrte in das Gesicht eines Sternenflottencaptains. Dieser Schreck kostete ihn wertvolle Nanosekunden.
Von Anfang an war der Kampf aussichtslos. Schließlich wurde der Formwandler des Spiels überdrüssig, stieß schnell zu und schlitzte Ellis die Kehle auf. Es spritzte rot auf den Boden, während Ellis spasmisch zuckte. Rasch trat der Formwandler zurück. Er wollte Ellis’ Blut nicht an sich haben; zumindest noch nicht.
Ellis brauchte überraschend lange, bis er starb. Zu guter Letzt lag der Mensch still da. Seine Augen waren aufgerissen, starrten ins Leere.
»Das wäre geschafft«, murmelte der Formwandler. »Ich war viel zu lange Sie, Ellis. Nun werde ich Ihr blasses, verkniffenes Gesicht nie wieder tragen müssen.« Er war versucht, die Leiche zu treten, hielt sich jedoch zurück. Er hatte eine Aufgabe zu erledigen.
Der Formwandler überlegte, wie er wohl aussehen würde, wenn die Kreaturen ihn angegriffen hätten. Selbstverständlich hätte er klaffende Wunden im Gesicht. Auch an der Kehle, aber nicht zu tief. Es sollte aussehen, als wäre er nur knapp entkommen. Nichts zu Großes, nichts, um das sich Kaz bei seiner Rückkehr kümmern musste. Nur ein paar Schnitte und Kratzer …
Die Wunden erschienen genau so, wie er sie sich vorstellte. Zwei Krallenspuren durchzogen sein Gesicht und setzten sich seinen Hals hinab fort. War Chakotay Rechts- oder Linkshänder? Er wusste es nicht und verfluchte sich selbst dafür, nicht aufmerksamer gewesen zu sein. Um sicherzugehen, ließ er an beiden Unterarmen leichte Kratzer entstehen, als hätte er sie hochgerissen, um sich zu schützen.
Drei über dem Bauch; genug, um die Uniform zu zerfetzen und etwas Blut fließen zu lassen, aber nicht wirklich besorgniserregend.
Sehr gut.
Er berührte seinen Kommunikator. Es war Zeit für die Vorstellung.
»Chakotay an Außenteam.« Seine Stimme war angespannt, aber ruhig, noch immer Herr der Lage. »Bericht.«
Stille. Der Formwandler runzelte die Stirn. Vielleicht hatten seine Kreaturen seinen Befehl, zu erschrecken, aber nicht zu töten, nicht befolgt.
»Hier Kim.« Der Atem des jungen Offiziers klang angestrengt. »Captain, wir wurden angegriffen.«
»Ich weiß, wir auch. Irgendwelche Verluste?«
»Sir? Befinden Sie sich auch auf dem Planeten?«
Stimmt ja, dachte der Formwandler. ›Ellis‹ hatte ihnen nie mitgeteilt, dass Chakotay und Sekaya auch mit einem Shuttle runtergekommen waren.
»Bestätigt. Ich wiederhole, irgendwelche Verluste, Lieutenant?«
»Negativ. Patel wurde ziemlich schwer verletzt, aber ich glaube, sie wird durchkommen. Niemann, Kaylar und ich wurden bewusstlos geschlagen und haben Kratzer. Sind Sie in Ordnung?«
»Wir haben Ellis und Sekaya verloren.« Der Formwandler legte gerade genug Trauer in seine Stimme.
»Sekaya? Das tut mir leid, Captain.« Jedes von Kims Worten vibrierte nur so vor Ehrlichkeit. Der Formwandler schüttelte grinsend den Kopf. Diese Solids waren so einfach zu manipulieren.
»Zum Trauern haben wir später Zeit. Wo befinden Sie sich gerade?«
»Wir sind im Hauptgebäude der Kolonie, wo wir uns auf Befehl von Commander Ellis wieder treffen sollten.«
»Ich möchte, dass alle sofort zurück zum Shuttle gehen. Halten Sie es startbereit, sobald ich ankomme. Wir werden … verdammt!«