Eduard von Keyserling


Im stillen Winkel


Nicky

Impressum

Regenbrecht Verlag

www.regenbrecht-verlag.de

ISBN: 978-3-943889-17-8

Vorlage dieser Ausgabe ist Eduard von Keyserling: Im stillen Winkel. Erzählungen. Fischer Verlag, 1918

Umschlagbild: Wassily Kandinsky: Kochel - Bergwiese vor Waldrand, 1902



© für dieses E-Book: Regenbrecht Verlag, Berlin, 2. Auflage 2019

Porträt Eduard von Keyserlings von Arthur Holitscher

Um fünf Uhr traf sich im Café Stefanie regelmäßig eine kleine Tafelrunde, zu der Wedekind, Graf Keyserling, Halbe, der Maler Melchior von Hugo, der Schauspieler Emil Lind, Kurt Martens und Ludwig Scharff gehörten. Wie blieben bis acht beisammen, worauf Wedekind sich empfahl, um zu den »Scharfrichtern« zu gehn. Nach dem Theater trafen wir uns in der kleinen American Bar im Kellergeschoss der »Vier Jahreszeiten«, wo wir bis zwei Uhr nachts beisammenblieben.

Fünf Jahre hindurch bestand diese Tafelrunde, mancher fiel ab, mancher kam hinzu, aber es muss gesagt sein, dass in dieser Zeit keine einzige hohle, leere, mit Geschwätz oder »Fachsimpelei« verbrachte Stunde zu verzeichnen war. Es wurde über Dinge des Lebens gesprochen; oft, wenn der Kreis ganz eng war, über die wesentlichsten, schmerzhaftesten Dinge der Existenz. Manches Entscheidende wurde in dem kleinen Kreis über Dinge der Kunst, der Phantasie und der Erfahrung unter Menschen und Gedanken geäußert, und es ist schade, dass dieser Kreis keinen Chronisten gefunden hat, der die Aussprüche Wedekinds oder Keyserlings aufgeschrieben hätte. Besonders die des Grafen Eduard, der ein Weiser der Welterfahrung war, ganz anders weise als sein rühriger Neffe Hermann, von dem neuerdings so viel die Rede ist.

Eine tiefere Kameradschaft verband diesen kleinen Kreis dabei keineswegs, all die fünf Jahre hindurch nicht. Oft, wenn wir, Wedekind, Martens und ich, nachts den Heimweg antraten, und Keyserling, halb gelähmt schon, einen Wagen bestieg und seine Zigarette zwischen den dünnen Lippen, mit seitwärts und uns Fußgängern abgewandtem Gesicht in dem nächtlichen Einspänner vorbeifuhr, sagten wir uns: »Seht ihr — das ist der innere Zusammenhang!« Es war aber lediglich: München; nicht die Boheme allein, auch nicht die »Kameradschaft« unter Literaten, es war vor allen Dingen München — und nach fünf Jahren hielt ich dies, fast physisch schon, nicht mehr aus.

Dabei war Keyserling sicherlich noch der Treuesten, menschlich Tiefsten, für Kameradschaft Dankbarsten einer aus der ganzen Tafelrunde. Der »Aristokrat, dem wir ein paar Stunden vertreiben halfen« und der an uns vorüberfuhr, ohne uns weiter zu beachten, war in unserem Kreise jedenfalls der, der das Leben am intensivsten genossen, erlitten, betrachtet und durchschaut hatte. Der in alle Schichten der Gesellschaft am lebhaftesten eingedrungen war und sich keiner aus Enttäuschung oder Voreingenommenheit gehässig erwiesen hatte.

Er lebte schon lange in München, ehe er sich uns näherte. Jedem von uns war seine sonderbare, dekadente, hagere und auf steifen Beinen vornüber stelzende, stolpernde Gestalt von der Straße und vom Theater her bekannt. Nach dem anonym eingereichten und von Brahm in Berlin aufgeführten Drama »Frühlingsopfer« wandte sich das Interesse dem unbekannten Verfasser zu, in dem man einen sehr verspäteten Nachzügler der Epoche des Hauptmann-Holz-Schlafschen Realismus vermutete, einen begabten und entwicklungsfähigen jungen Springinsfeld. Da weist eines Nachmittags der Schauspieler Lind auf einen vornehmen alten Herrn, der auf der Straße vor dem Café vorübergeht, und sagt: »Der Verfasser des Frühlingsopfers‹!« Eine Minute später saß Keyserling unter uns, nicht um eine Nuance intimer oder weniger intim, als er sich fünf Jahre später in unserem Kreise bewegte, nicht kälter, nicht wärmer, nicht fremder, nicht vertrauter, der selbstsichere, in allen Lagen und allen Schichten des Lebens heimische Weltmann und Menschenkenner.

Er hatte als junger, aus jenen Mitau-Rigenser baltischen, durch Inzucht und intensiv-sybaritische Lebensweise raffinierten Adelsfamilien stammender Landedelmann das Leben in Russland, Italien, Österreich kennengelernt; er hatte mit den Komtessen, die er in seinen Romanen zart und voll sehnsüchtiger Resignation schildert, auf den Schlössern geflirtet und in Begleitung seines Dieners auf Jagdzügen und Streifen durch die lettischen Dörfer und Krüge mit dem niederen Volk, den armen, halbtierischen Bauern, den Wilddieben, den Kronsbeerenpflückern, Juden und Dirnen verkehrt. Die Komtessen ließen sich von ihm den Hof machen, denn er war geistreich und amüsant, aber er war nicht schön, und sie liebten ihn nicht. Die Bauern und Juden betrachteten den »Barin«, die »Herrschaft«, mit Neugier und Misstrauen; aus welchem Grunde mengte er sich unter sie, das gemeine Volk? In Wien hatte er eine Zeit im Kreise von Anzengruber verlebt, ohne Fuß zu fassen; in Italien mit seinen Landsleuten, die reicher waren als er. Schließlich vergrub er sich in München, wohnte mit zwei älteren Schwestern abseits und einsam, bis ihn der Zufall zu uns führte. Auch das war ihm recht, im Laufe der ersten Stunde war er akklimatisiert. Er vertrug Menschen und Einsamkeit wie später immer schwerere Krankheit, Lähmung, Erblinden, drückende Armut. Er war allem und allen Wechselfällen des Lebens gewachsen und überlegen.

aus: Arthur Holitscher: Lebensgeschichte eines Rebellen. Meine Erinnerungen, Berlin 1924, S. 192-194.

Im stillen Winkel

Die Familie von der Ost ging, wie sie es gewohnt war, auf das Land hinaus. Sie wollte wieder die alte Villa beziehen, die drüben im Gebirge am Ende der Dorfstraße stand. Bruno von der Ost verließ für einen Tag die Bank, deren Direktor er war, um den Umzug der Familie zu leiten. Er war ein großes organisatorisches Talent und liebte es, diese Eigenschaft auch in den kleinen Angelegenheiten des Hauses und der Familie zu zeigen. Es machte ihm Vergnügen, in der Bahnhofshalle mitten unter Kisten und Körben zu stehen und den Trägern kurze Befehle zu erteilen. »Alles,« pflegte er zu sagen, »auch das Geringste, muss vernunftgemäß durchgeführt werden.« Später auf dem Bahnsteig ordnete er die Unterbringung des zahlreichen Handgepäcks an, dann musste die Familie ihre Plätze einnehmen. Frau von der Ost, Tante Dina, der kleine Paul und die alte Marie, Pauls frühere Wärterin. Paul ließ seinen Vater nicht aus den Augen, es verursachte ihm ein seltsam aufregendes Wohlgefühl, die hohe, breitschultrige Gestalt zu betrachten, die graublauen Augen hinter den blanken Brillengläsern, der blonde Schnurrbart, der sachte im Winde flatterte, dazu die schnarrende, befehlende Stimme — all das war prachtvoll und erregend.

Nun war alles geordnet, Herr von der Ost stieg in den Wagen, und die Türe ward zugeschlagen. Durch das niedergelassene Fenster wurde noch ein Rosenstrauß hereingereicht, und ein lachendes Gesicht erschien: Hugo von Wirden war es, der Volontär der Bank, der Herrn von Ost zu besonderer Aufsicht empfohlen war. Der junge Mann war leichtsinnig gewesen und sollte in der Bank wieder ein ordentlicher Mensch werden. Paul lächelte, er musste immer lächeln, wenn er dieses hübsche Gesicht mit den lustigen, braunen Augen und dem breiten, roten Munde sah. Paul liebte es, wenn Herr von Wirden zu ihnen kam, es wurde dann gleich so heiter, Mama lachte soviel, Herr von Wirden neckte Tante Dina, Paul, und selbst die alte Marie. »Er ist hübsch,« sagte einmal Paul zur alten Marie, »er hat ein hübsches, unartiges Gesicht.«

»Wie schön die Familie hier verfrachtet ist,« rief Herr von Wirden in den Wagen hinein. »Glückliche Reise! Ich komme bald nach.« Frau von der Ost nahm die Rosen in Empfang und beugte sich nahe auf sie nieder. »Wie sie duften!« sagte sie. »Noch gibt es keinen Urlaub,« meinte Herr von der Ost. »Ich weiß, ich weiß,« entgegnete Wirden; »dass Sie auch immer an die Ketten erinnern müssen, lieber Direktor! Gleichviel, ich komme doch. Adieu.« Damit verschwand er. »Ein Windhund,« bemerkte Herr von der Ost. Die alte Marie lachte. Der Zug setzte sich in Bewegung. Paul drückte sich in seine Ecke. So war es gut. Sie saßen hier alle beisammen, und er fühlte sich geschützt und geborgen. Dieser Knabe hatte ein seltsam starkes Gefühl für die Unsicherheit unsres Daseins, er wusste nicht, was es war, aber er ahnte überall in der Welt dunkle Mächte, die ihm und denen, die er liebte, auflauerten. Wenn die Lebenslage einmal sicher und behaglich war, dann empfand er ein starkes Wohlgefühl. Er selbst war klein und schwächlich, er wurde »der kleine Paul« genannt, obgleich er schon über elf Jahre zählte, sein bleiches Gesicht hatte runde, kindliche Züge, die grauen Augen konnten in der Erregung hell werden wie Silber, das dichte, krause Blondhaar ließ seinen Kopf seltsam groß erscheinen.

Paul begann in seiner nachdenklichen Art die Gesichter seiner Angehörigen zu studieren. Zuerst das schmale, schöne Gesicht seiner Mutter; unter dem großen, gelben Sommerhut stahlen sich blonde Löckchen über die Stirn, die Lippen waren geschlossen, feine, sehr rote Striche, die sich an den Enden ein wenig hinaufbogen. Die grauen Augen waren ganz blank und die sonst blassen Wangen leicht gerötet. Es ergriff Paul stets, wenn seine Mutter erregte, blanke Augen und gerötete Wangen hatte, sie sah dann so jung und leicht verwundbar aus, und er fürchtete, jemand könnte ihr etwas zuleide tun. Das Gesicht der Tante Dina war für Paul stets ein interessanter Gegenstand der Beobachtung gewesen, es ging auf ihm soviel vor; all die Falten und Fältchen, die wunderliche Muster auf der Stirn und den Schläfen bildeten, die tiefen Augenhöhlen, der weiche, bewegliche Mund, die Härchen am Kinn, all das war merkwürdig genug. Das braune Gesicht der alten Marie mit den kleinen, wie mit dem Messer hineingeritzten Falten, den trübblauen, schläfrigen Augen war Paul bekannt und vertraut wie seine Kinderstube. Endlich galt es, den Vater anzusehen, und das war gefährlich, denn wie leicht konnten die stahlblauen Augen sich auch auf Paul richten, mit dem strengen, ein wenig unzufriedenen Blick. Paul wusste, er gefiel seinem Vater nicht, er gefiel ihm nicht, weil er klein und schwach war. Dennoch verursachte es Paul einen aufregenden Genuss, die hohe Stirn mit den zwei aufrechten Fältchen zu betrachten, die gerade Nase, das mächtige Kinn, die Haare an den Schläfen, die schon ein wenig grau wurden — alles das schüchterte Paul ein und gefiel ihm dennoch. Immerhin musste es nicht gemütlich sein, Tag und Nacht mit solch einem Gesicht einherzugehen. Jetzt aber richteten sich wirklich die Augen hinter den Brillengläsern auf Paul, dieser wandte schnell den Kopf ab und schaute zum Fenster hinaus. Draußen regnete es, das Land war von einem Schleier kleiner, schräger Striche verhangen, die Telegraphenstangen rannten vorüber — eilig, eilig — das machte schläfrig. Paul bog den Kopf zurück und schloss die Augen, er konnte ja schlafen, hier war er in Sicherheit, nichts Bedrohliches stand in Aussicht, er freute sich auf die Villa, auf den Garten, die Schule war weit. Ja, die Schule, die war auch solch ein Ort der Gefahren. Nicht das Lernen machte Paul Mühe, nicht die Lehrer fürchtete er, sondern die Kameraden. Anfangs hatten sie ihn geneckt und gequält, jetzt beachteten sie ihn kaum mehr. Wenn in der Erholungspause alle in den Hof gingen, dann schlich auch Paul sich hinunter, er lehnte sich gegen eine Mauer und schaute zu, wie die andern Jungen miteinander kämpften. Seine Augen wurden dann groß und blass wie Silber und seine Hände kalt. Besonders dem langen Müller schaute er gern zu, er war der Stärkste. Wie mühelos er die andern zu Boden schleuderte, wie er auf ihnen kniete und mit den Fäusten auf ihnen trommelte! Paul hasste ihn und bewunderte ihn. Zu Hause dann in seiner Kinderstube spielte er »stark sein«, ein Stuhl war der lange Müller, und er kämpfte mit ihm bis zur Ermattung. Nun, an diese Dinge brauchte er jetzt lange Zeit nicht mehr zu denken, er konnte ruhig schlafen.

Von dem Stoß des haltenden Zuges erwachte Paul, schlaftrunken blickte er auf. Um ihn her war es unruhig. Die Wagentür wurde geöffnet, Handgepäck wurde hinausgereicht, endlich stiegen alle aus. Auch Paul musste hinaus. Auf dem Bahnsteig schien es ihm, als liefen viele Menschen erregt umher und schrien, auch die Stimme seines Vaters war vernehmbar, er ärgerte sich wohl, denn er sprach sehr laut. Ein Wagen stand bereit, Paul musste hineinsteigen und sich zwischen Tante Dina und seine Mutter setzen, sein Vater und Marie saßen auf dem Rücksitz. So fuhren sie in das dämmerige Land hinaus. Der Direktor schalt noch ärgerlich auf die Kofferträger: »Auch in die einfachste Hantierung versteht dieses Volk keine Spur von Methode zu legen.«

»Sie haben soviel zu tun,« wandte Tante Dina ein, die stets verteidigte, wenn jemand getadelt wurde. Der Direktor jedoch winkte mit der Hand ab. »Da gibt es nichts zu verteidigen, diese Leute sind dumm und faul.«

Der Regen hatte aufgehört, die Luft war kalt und feucht, es duftete stark nach Heu, die Berge, groß und schwarz, schienen ganz nah, und weiße Wolken rannen an ihnen nieder. Dunkel standen die kleinen Häuschen am Rande der Wiesen, und struppige Hunde kläfften dem vorüberrollenden Wagen giftig nach. Das sonst so vertraute Tal erschien Paul heute fremd und unheimlich.

Endlich hielt der Wagen vor der Villa. Auch diese stand seltsam schwarz zwischen den schwarzen, nassen Bäumen. Die alte Bäuerin, welche im Winter die Villa hütete, und die beiden Mägde, Babette und Käti, erwarteten die Herrschaften vor der Haustür, sie lächelten alle drei zum Willkomm, als der Direktor jedoch rief: »Was, alles dunkel! Kein Feuer, kein Licht? Das ist ein schöner Empfang!« da machten sie erschrockene Gesichter. Dann stieg man aus. Im großen, finsteren Flur war es auch kalt und feucht und roch nach Heu. Eine Treppe führte zu den Zimmern hinauf, erregt rannten die Mägde hin und her. Paul stand mitten in dem großen, ein wenig niedrigen Wohnzimmer, durch die offenen Türen fegte eine scharfe Zugluft herein, polternd wurden im Flur die Koffer abgeladen, und gereizte Stimmen riefen einander zu. Paul stand regungslos da und verzog sein Gesicht, als wollte er weinen. Erst als es um ihn stiller wurde, als die Türen geschlossen waren und Käti die Hängelampe angezündet hatte, begann er langsam mit von der Fahrt ein wenig steifen Beinen im Zimmer umherzugehen, er besah sich nachdenklich die Möbel, strich mit der Hand über sie hin. »So geht es immer,« dachte er, »fährt man am Ende des Sommers fort, dann sind die Möbel gute alte Kameraden geworden, von denen zu scheiden es einem weh tut, und kommt man das nächste Jahr wieder, dann stehen sie wieder steif und tot da, als habe man sie nie gekannt.« Er ging zu dem Tisch und öffnete das Schubfach: wirklich, da lag ein kleiner Papiersoldat, der vorigen Sommer wohl hier vergessen worden war. Er trug rote Hosen und einen blauen Rock und hatte ein ganz rosa Gesicht. »Der Arme,« dachte Paul, »den ganzen Winter hat er hier in Kälte und Dunkelheit ganz allein gelegen.« Ein großes Erbarmen mit dem kleinen Soldaten ergriff ihn, er nahm ihn steckte ihn hinter seine Weste, dort sollte er warm werden.

Als Paul sich umwandte, sah er seine Mutter auf dem Sofa sitzen, sie hüllte sich in einen Schal und drückte sich fröstelnd in die Sofaecke. Ihr Gesicht war bleich, und sie schaute sinnend vor sich hin. »Komm, mein Junge,« sagte sie und zog Paul zu sich heran. Sie hüllte ihn in ihren Schal: »Du frierst?« meinte sie; »du denkst wohl, hier ist es unbehaglich und vielleicht etwas traurig, weil es hier kalt ist, und weil alle so unruhig hin und her laufen, weil der Regen wieder an die Fensterscheiben klopft, die Berge so schwarz zu den Fenstern hereinschauen, und unten im dunklen Dorf die fremden Hunde bellen. Aber es braucht nicht unbehaglich und traurig zu sein, wenn wir nicht wollen, wir können sagen: wir frösteln ein wenig, aber wir freuen uns auf die Wärme, die das Ofenfeuer gleich geben wird; der Regen singt gemütlich vor den Fenstern, die Berge stehen um uns her wie eine schützende Mauer, Tante Dina geht ab und zu und raschelt mit Papier, und unten im Dorf sitzen gute Hunde, sie bellen ein wenig, sie wollen miteinander sprechen, denn sie sind untereinander gut bekannt — nein, wenn wir nicht wollen, ist es nicht unbehaglich und traurig.«

Paul schaute lächelnd zu seiner Mutter auf. Wirklich, ihre Worte machten, dass alles gleich besser wurde. Die feuchten Scheite im Ofen begannen zu prasseln, Käti schloss die Fensterläden und deckte den Tisch für das Abendessen, und von der Küche nebenan klang die bekannte Stimme der alten Marie herüber, sie erzählte der Köchin etwas, nun lachten sie sogar miteinander.

Jetzt trat auch der Vater in das Zimmer. Er schien gar nicht mehr ärgerlich zu sein, er streckte sich in einem Sessel aus, rieb sich die Hände und sagte: »Hier sieht es ja wieder menschlich aus. Ich habe den Rotwein auspacken lassen, an dem wollen wir uns erwärmen. Ich spüre einen tüchtigen Hunger — aha, ich höre schon, wie nebenan in der Küche die Koteletts in der Pfanne miteinander zanken.« Dabei lächelte er und schaute Paul an, das war ermutigend. Dann erzählte er Neuigkeiten aus dem Dorf, die er vom Hausknecht erfahren hatte: Major Welker war hier mit Familie, ein neues Wirtshaus wurde gebaut, ein Mann im Steinbruch war verunglückt. Tante Dina hielt in ihren Gängen durch die Zimmer inne, hörte gespannt zu und sagte. »Ach Gott, was nicht alles geschieht!«

Endlich kam das Essen, Paul aß mit Appetit. »Seltsam,« dachte er, »das Essen schmeckt hier anders als in der Stadt. In den Koteletts ist etwas von der scharfen Luft der Berge, von dem Duft der Wiesen drin.« Das halbe Glas Rotwein, das er bekam, erwärmte ihn, er gab nicht acht darauf, was die Erwachsenen sprachen, es tat ihm jedoch wohl, dass ihre Stimmen friedlich und beruhigt klangen.

Als das Abendessen beendet war, setzten Paul und seine Mutter sich wieder in ihre Sofaecke, der Direktor zündete eine Zigarre an, und Tante Dina nahm ihr Strickzeug zur Hand. Sie sprachen von dem Wetter in früheren Sommern, von früheren Sommergästen und endlich von den Preisen der Lebensmittel. Es war nicht zu leugnen, dass die Preise mit jedem Jahre in die Höhe gingen. »Das ist nicht zu ändern,« meinte der Direktor, »doch habe ich diesen Umstand, wie immer, auch dieses Jahr in meinem Voranschlag für den Sommeraufenthalt berücksichtigt. Daher hoffe ich, dass es dieses Jahr stimmen wird.« Dabei sah er seine Frau durch die Brillengläser scharf an.

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