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ISBN 978-3-7117-5189-8
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EINLEITUNG – Eine Krise der Demokratie
1. EUER ZYNISMUS KOTZT MICH AN! (UND MEINER AUCH) – Bürgerfrust und Parteipolitik in der Ära der Postdemokratie
2. REDET SO, DASS EUCH DIE BÜRGER VERSTEHEN KÖNNEN! – Eine neue Sprache für die Politik
3. WILLKOMMEN IN DER MITMACHDEMOKRATIE – Parteien, Aktivismus und Zivilgesellschaft: Engagement in flexiblen Netzwerken
4. MÜSSEN NUR WOLLEN! – Eine progressive Reformbewegung für das 21. Jahrhundert
Eine kleine Auswahl der verwendeten Literatur
ANHANG - »MARTIN LUTHER KING HAT NICHT GESAGT, ICH HABE EINEN ALBTRAUM, ER HAT GESAGT: ICH HABE EINEN TRAUM!« – Rede vor der Fraktionsklausur der SPD im Jänner 2011
Während ich die letzten Absätze dieses Buches in meine Computertastatur hacke, sind die Wahlkämpfe in den beiden Gesellschaften, die ich am besten kenne, gerade in ihre Hochphase eingetreten – der Nationalratswahlkampf in Österreich und der Bundestagswahlkampf in der Bundesrepublik Deutschland. Es kann sein, dass Sie, lieber Leser und liebe Leserin, wenn Sie diese Zeilen lesen, schon wissen, wie diese Wahlen ausgegangen sind. Es kann auch sein, dass diese Wahlen noch vor uns liegen und sie noch mitfiebern mit den von Ihnen bevorzugten Parteien. Gut möglich ist aber auch, dass Sie die Sache, egal ob sie nun knapp vor uns oder schon hinter uns liegt, weitgehend kaltlässt; dass es Ihnen völlig schnuppe ist, wer diese Wahlen gewinnt (gewonnen hat), oder dass es Ihnen zumindest weitgehend egal ist; gewiss, es mag Parteien geben, die Ihnen noch unsympathischer sind als andere, aber das heißt noch lange nicht, dass Sie sich von diesen Parteien, die es in diesem Negativ-Contest gerade noch schaffen, als kleinstes Übel durchzugehen, besonders viel erwarten. Und dieser Umstand, dass Ihnen die eine oder andere Partei noch sympathischer ist als der Rest der Bewerberschar, reicht jedenfalls nicht aus, um Sie wirklich zu fesseln.
Oder womöglich ist es ja auch so, dass Sie eine der Parteien schon ganz okay finden, sodass Sie ihr einen Erfolg wirklich gönnen würden oder sich für sie richtig freuen würden. Dann gehören Sie ohnehin schon einer sehr exzentrischen Minderheit an. Und dennoch, Hand aufs Herz, glauben Sie wirklich, dass der Erfolg dieser Partei substanziell etwas ändern würde? Nein, natürlich denken Sie das nicht. Vielleicht dreht diese Partei an ein paar feinen Stellschrauben, die Ihnen schon wichtig sind, aber dass sich fundamental etwas ändern könnte, darauf hoffen Sie doch schon längst nicht mehr.
»In den rund vierzig Jahren, in denen ich mich jetzt für die Politik interessiere, habe ich noch nie erlebt, dass eine Bundestagswahl in einem solchen Ozean von Gleichgültigkeit versinkt. Die Leute ärgern sich ja nicht mal. Sie gähnen«, schrieb Bettina Gaus, die Kolumnistin der Berliner taz im Frühsommer 2013. Und in der gleichen Woche verkündete der Gelehrte und Bestseller-Autor Harald Welzer in einem großen Essay im Magazin Der Spiegel »Das Ende des kleineren Übels«. Er erklärte darin, »warum ich nicht mehr wähle«. Die CDU auf der einen und SPD sowie Grüne auf der anderen Seite seien ununterscheidbar geworden; die fatale Europapolitik der Merkel-Regierung sei völlig oppositionslos über die Bühne gegangen. »Was haben die Grünen und die SPD sich davon versprochen, in einer Art Großsimulation staatsmännischer Verantwortung den Konsens mit der Regierungskoalition zu pflegen? Wieso sollte man Parteien seine Stimme geben, die, wenn es darauf ankommt, die Gefolgschaft aufzukündigen, zuverlässig versagen?« Nein, er mache dabei nicht mehr mit, nicht so sehr aus Langeweile oder Wut, sondern aus der Einsicht, dass man eine schiefe Ebene etabliert, wenn man beginnt, Dinge einfach fatalistisch hinzunehmen. »Die zur Gewohnheit gewordene Entscheidung für das kleinere Übel ist die eigentliche Ermöglichung des größeren.«
Es ist ohnehin bezeichnend, welche Karriere die Formel vom »kleineren Übel« in den vergangenen Jahrzehnten gemacht hat. Vor dreißig Jahren war sie noch eine Spottvokabel, mit der sich Kabarettisten über Parteien lustig gemacht haben. Mittlerweile haben die Parteipolitiker sie aber – ganz im Ernst und ohne Witz – verinnerlicht, und bilden sich schon etwas darauf ein, immerhin das »kleinere Übel« zu sein. Ja, lachen Sie nicht: Auch viele Sozialdemokraten sehen heute die Sozialdemokratie als das kleinere Übel an, und das, ohne sofort in Heulkrämpfe auszubrechen.
Gewiss, jedes Land hat seine eigene Geschichte – und seine eigene Gegenwart. Deutschland und Österreich lassen sich nur bedingt vergleichen.
In Deutschland regiert eine christdemokratische Kanzlerin, die, wenn man von ihrer Europapolitik absieht, nichts getan hat, wofür man sie rechtschaffen verachten könnte. Von dieser furchtbaren Europapolitik kann man zwar nicht absehen, aber gleichzeitig war, wie Welzer richtig sagt, von der Opposition auch nicht sehr viel an Kritik daran zu hören. Die FDP ist ohnehin nur mehr eine Lachnummer. Die SPD schleppte sich lahm durch den Wahlkampf. Die Grünen machen ihre Sache schon ganz ordentlich, aber das ist man ja auch gewohnt. Und ansonsten? Nichts Nennenswertes. Die meisten rechnen mit einer Großen Koalition. Andere Regierungsformen wären auch keine Tragödie. Etwas wirklich Innovatives ist nicht in Sicht. Da kann einem natürlich langweilig werden.
In Österreich ist die Lage ein wenig anders. Hier haben wir einen Bundeskanzler, Werner Faymann, der seine Partei, um es extrem freundlich zu formulieren, betont uninspiriert führt und sich mitten in der größten Krise des westlichen Kapitalismus (was ja auch ein sozialdemokratischer Moment sein könnte) schon als toller Hecht vorkommt, wenn er an der Dreißig-Prozent-Marke von unten kratzen würde. Das Beste, was man über ihn zu hören bekommt, ist, dass er nett sei. Und dass, abseits der Führungsfigur, besondere visionäre Lebendigkeit die SPÖ prägen würde, wird von niemandem ernsthaft behauptet. Die zweite große Traditionspartei, die ÖVP, wird von einem traurigen Mann namens Michael Spindelegger geführt, der es wenigstens geschafft hat, sich von der Zwanzig-Prozent-Marke ein bisschen wegzuarbeiten. Hält er eine Rede, sagt er mal Richtiges, mal Falsches, was aber nicht sonderlich stört, da er die Dinge in einem monotonen Sound vorträgt, der signalisiert, dass der Redner weder versteht, was er da vorliest, noch dass er es sonderlich ernst meint.
Ja, und dann gibt es noch die Grünen, die über die Jahrzehnte erstarken, was bedeutet, dass sie so ziemlich alle fünf Jahre einen Prozentpunkt zulegen, weshalb sie die Rolle der Kleinpartei, auf die es nicht ankommt, so sehr verinnerlicht haben, dass sie etwa, wie unlängst in Salzburg, das Angebot, die Landeshauptfrau zu stellen, abschlagen und lieber als Juniorpartner in eine Koalition mit der ÖVP einziehen.
All das ist nicht sonderlich erfreulich, aber auch kein Beinbruch, sodass die Österreicherinnen und Österreicher sich daran in langer Übung gewöhnt haben.
Was aber Österreich von Deutschland unterscheidet, ist die Stärke diverser rechtspopulistischer Parteien. Da ist die rechtsradikale Radaupartei FPÖ unter ihrem Frontmann HC Strache. Jedes Ressentiment, das darauf wartet, ausgebeutet zu werden, wird von der FPÖ prompt in holprige Slogans übersetzt, womit sie nun schon seit einem Vierteljahrhundert Erfolg hat. Neuerdings ist ihr in Gestalt des verhaltensauffälligen, greisen Politik-Clowns Frank Stronach Konkurrenz erwachsen, der findet, dass das Problem in der Politik darin liege, dass die Politiker etwas zu reden haben, weshalb er die Politik wie ein Unternehmen führen würde, denn in der Wirtschaft kennt er sich aus, wie er immerzu sagt, wenn man ihn fragt. Oder besser: Er sagt es auch, wenn man ihn nicht fragt. Überhaupt sagt er die komischsten Dinge, ganz ohne gefragt zu werden, weshalb Fernsehinterviews mit Herrn Stronach auch immer sehr lustig sind. Zu Nationalratswahlen ist sein »Team Stronach« zwar bisher noch nie angetreten, aber eine Parlamentsfraktion hat er dennoch – er hat sie sich halt einfach zusammengekauft. Als Milliardär hat man eben gewisse Vorteile.
Die gewichtige Rolle, die rechtspopulistische Spinner in der österreichischen Politik spielen, verleiht Wahlen hier noch ein wenig Spannung – so kann man wenigstens zittern und hoffen, dass die bescheuertsten Vollkoffer nicht allzu viele Stimmen ergattern. Sich von der Wahl des »kleineren Übels« zu verabschieden, wie das Herr Welzer in Deutschland macht, ist so gesehen ein Luxus, der, würde man ihn sich in Österreich zu eigen machen, in einem bösen Erwachen enden könnte.
Die Differenzen sind also augenfällig – und doch vielleicht kleiner, als es den Anschein hat. Wie in beinahe allen westlichen Demokratien nimmt die Legitimation des politischen Systems ab. Bürger und Bürgerinnen verlieren ihr Vertrauen in die Parteien und erwarten von ihnen nichts Besonderes mehr. Im besten Fall verfolgen sie ihr Treiben indifferent. Im schlechteren Fall halten sie sie für eine Ansammlung unfähiger Glücksritter, die den Staat und die Institutionen kapern. Das Wort »Wutbürger« wurde schließlich in Deutschland erfunden.
Dieses Buch handelt vom Verdruss, von seinen Ursachen, und von den Folgen, die er hat – von der Politik unter den Bedingungen wachsenden Verdrusses. Denn es ist die Eigenart unseres gegenwärtigen Zustandes, dass die verbreitete Unzufriedenheit ja keineswegs zu einer Besserung der Lage führt. Man könnte sich das ja durchaus vorstellen: Wenn die Bürger und Bürgerinnen mit den Parteien nicht mehr zufrieden sind, dann könnten die Parteien sich ändern; oder es könnten neue entstehen, deren die Bürger eben nicht überdrüssig sind.
Aber nichts – oder wenig – von dem passiert. Ja, die etablierten Parteien versuchen, sich an die neue Lage zu adaptieren – nicht immer mit durchschlagendem Erfolg. Ja, es entstehen auch neue Parteien – aber die zerlegen sich meist in Windeseile, und wenn sie es nicht tun, sind die Bürger ihrer oft auch bald überdrüssig. Und von den großen Legitimationskrisen profitieren nicht immer die zukunftsfähigsten Parteien. Oft ist das Gegenteil der Fall: Man denke nur an Silvio Berlusconi in Italien oder Viktor Orbán in Ungarn.
Der Verdruss kann im Gegenteil die Lage sogar noch verschlimmern: Die Verachtung, die der Politik zunehmend entgegenschlägt, ist nicht unbedingt ein Anreiz für talentierte Leute, sich in Parteien zu engagieren. Politiker, die ihre Legitimation schwinden sehen, werden auch nicht gerade zu mutigen Entscheidungen neigen.
So kann der Verdruss selbst zu einem Problem werden.
Dieses Buch will aber weder den Verdruss beschreiben noch im längst gewohnten Klagemodus verbleiben, also in das große Gejammer über den Zustand der Politik einstimmen. Ich will hier eher gemeinsam mit Ihnen darüber nachdenken, was denn getan werden müsste, um die gegenwärtige Krise der demokratischen Politik zu überwinden.
Und ja, gemeinsam nachdenken ist der richtige Begriff, auch wenn Sie hier ein Buch in den Händen halten, das bereits geschrieben ist, es also ein wenig von Vorteil wäre, wenn der Autor bereits ein bisschen nachgedacht hätte. Aber als Autor kann man, erstens, natürlich nur Spuren legen, insbesondere bei einem Thema wie diesem, wo man sich als Autor zwar die schönsten Dinge wünschen kann, ob die Wünsche aber wahr werden, hängt immer von den Menschen ab, den Bürgerinnen und Bürgern; ob die sich engagieren; ob die Beiträge zur Veränderung leisten. Zweitens ist dieses Buch, wie schon mein Buch »Erklär mir die Finanzkrise«, das im Frühjahr im Picus Verlag erschienen ist, selbst Produkt einer Gesprächssituation: Es ist das Resultat einer Vortragsreihe, die ich im Frühjahr 2013 in der Volkshochschule Ottakring in Wien gehalten habe. Wie schon beim vorangegangenen Mal geht mein Dank für die tolle Zusammenarbeit an Mario Rieder von den Wiener Volkshochschulen und Ilkim Erdost, die Direktorin der VHS Ottakring.
Das Publikum, das diesen Vorträgen beiwohnte, bestand vornehmlich aus normalen, politisch interessierten Bürgerinnen und Bürgern, und auch dieses Buch wendet sich an alle Menschen, die nach Wegen suchen, unsere Gesellschaft auf eine bessere Spur zu bringen. Es wendet sich weder allein an die Anhänger dieser oder jener Partei, noch allein an jene unserer Zeitgenossen, die mit keiner Partei etwas zu tun haben wollen.
Als politischer Schriftsteller geht man immer an einem schmalen Grat entlang: Ich bin, einerseits, keineswegs unparteilich und will auch nicht den Eindruck erwecken. Aber als politischer Schriftsteller kann und soll man, andererseits, nicht die Sache einer einzelnen Partei zu seiner Sache machen. Man würde dann unglaubwürdig. Und man käme leicht in Versuchung, im schlechten Sinne parteiisch zu werden – etwa Kritik nicht mehr offen zu äußern, weil sie ja dem eigenen Laden schaden könnte. Beginnt man erst einmal damit, in diesen Kategorien zu denken, dann wird das, was man produziert, sehr schnell zu einem Fall für den Altpapiercontainer. Auch wenn ich niemals eines dieser kitschigen Loblieder auf die Vereinzelung und auf die solitäre Geistigkeit singen würde, wie sie in manchen Künstlerkreisen zum guten Ton gehören, so muss man sich als Autor seine uneingeschränkte Eigenständigkeit immer bewahren. Ich bin, in diesem Sinne, parteifrei, aber nicht unparteiisch.
Dennoch ist man natürlich froh, wenn man gehört wird; wenn die kritischen Fragen oder Ratschläge auch von politisch Handelnden zumindest registriert werden. Im Anhang zu diesem Buch finden Sie eine kurze Rede, die ich auf Einladung von Sigmar Gabriel vor zwei Jahren vor der Neujahrsklausur der SPD-Führung gehalten habe.
Wir haben im Westen Europas freiheitliche, demokratische Ordnungen etabliert. Jeder hier kann seine Meinung frei äußern. Es herrscht Pressefreiheit, und wenn uns manchmal beim Lesen der Zeitungen das große Gähnen überkommt, dann liegt das jedenfalls nicht an der Zensur irgendeiner Obrigkeit, sondern eher an Kommerzialisierung und Nivellierung. Jeder, dem danach ist, kann eine Partei gründen. Wir können wählen, wen wir möchten. Und die demokratischen Institutionen funktionieren auch: Es gibt Wahlen, und deren Ausgang bestimmt über die Zusammensetzung der Parlamente. Wer es im Parlament, sei es durch eigene Kraft, sei es durch Koalitionsverhandlungen, schafft, eine Mehrheit der Abgeordneten auf seine Seite zu ziehen, der wird Regierungschef. Und wenn uns die Arbeit der gegenwärtigen Regierung nicht passt, können wir sie ja bei der nächsten Gelegenheit abwählen und damit durch eine andere ersetzen.
Die demokratischen Institutionen funktionieren also. Aber doch ist für viele die Luft raus. Dass man angesichts des realen Zustands des Parteiensystems mit Wahlen viel ändern könnte, diese Hoffnung haben heute, wie gesagt, die wenigsten Bürgerinnen und Bürger. Aber womöglich ist die Sache noch vertrackter. In einer globalen kapitalistischen Marktwirtschaft ist das ökonomische System immer weniger durch nationale Regierungen und nationale Parlamente steuerbar. Anonyme Märkte haben eine Gewalt, der die Politik – jedenfalls eines einzelnen Landes – kaum beikommen kann. Angela Merkel, die deutsche Bundeskanzlerin, hat das böse Wort von der »marktkonformen Demokratie« eingeführt – was nichts anderes heißt, als dass Parlamente nur solche Entscheidungen treffen dürfen, die »die Märkte« nicht nervös oder sonst übel gelaunt machen. Und wie wir wissen, sind Märkte ziemliche Sensibelchen, die geraten schnell in schlechte Laune. Deshalb darf man sie nicht provozieren.
Aber die Demokratie kommt noch auf viel direktere Weise unter Druck. Sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene sind mächtige Lobbys in der Lage, sich parlamentarische Entscheidungen und Regierungsdirektiven buchstäblich zu kaufen. Und das ist noch nicht einmal das Ende vom Lied. Wir haben in Europa, gerade in den vergangenen Jahren, immer kompliziertere Mechanismen der Integration geschaffen, die die demokratischen Verfahren de facto aushebeln.
So beschließen die europäischen Regierungschefs, die ohne Zweifel gewählt sind – also demokratisch legitimiert –, regelmäßig irgendwelche »Pakte« und »Verträge«, in denen dann geregelt ist, dass diese und jene Abmachungen von den einzelnen Euroländern eingehalten werden müssen – mag das die Entwicklung der Budgetdefizite betreffen oder den Schuldenabbau oder die Entwicklung der Arbeitskosten oder viele andere Detailfragen. Die Überwachung dieser Abmachungen ist dann der EU-Kommission oder irgendwelchen Troikas aus Kommission, Europäischer Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds überantwortet. Diese Institutionen wurden von niemandem demokratisch gewählt, sie werden auch von keiner demokratisch gewählten Institution kontrolliert (die Befugnisse des Europäischen Parlaments sind dafür viel zu gering), nehmen sich aber ihrerseits heraus, demokratisch gewählten nationalen Parlamenten Vorschriften zu machen. So werden längst auch die demokratischen Institutionen unterspült. Technokraten, die von Bürgern nicht gewählt werden und sich damit auch den Bürgern nicht verantwortlich fühlen, erhalten Kompetenzen, die ihnen in einem wahrlich demokratischen Gefüge eigentlich nicht zustehen würden. Wenn Abgeordnete in nationalen Parlamenten dann nichts anderes mehr zu tun haben, als bereits getroffene Entscheidungen abzunicken, wird das zur Entwicklung einer demokratischeren Kultur wohl nicht eben beitragen.
Kurzum: Bei all diesen Fragen geht es letztendlich um unsere Demokratie. Ist sie uns egal? Vertrauen wir darauf, dass der erreichte Grad von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit schon beibehalten wird, ohne dass wir allzu viel dazu beitragen müssen? Haben wir uns ohnehin in eine Sackgasse manövriert, sodass wir völlig neu zu denken beginnen müssen?
Oder, eben anders gefragt: Ist unsere Politik überhaupt noch zu retten? Ich denke ja, und dieses Buch soll ein paar Pfade aufzeigen, wie das gehen könnte.
Dieses Buch handelt von der Politik, oder genauer: Von unserem Verdruss an der Politik. Und damit natürlich auch von der Politik unter den Bedingungen des allgemeinen Verdrusses. Von der Frage also, wie sie schon am Einband dieses Buches formuliert wird: Ist unsere Politik noch zu retten?
Und womöglich ist es durchaus beredt genug, wenn wir feststellen, dass wir zu dieser Fragestellung eigentlich nichts erklären müssen. Sie erklärt sich von selbst. Es ist die Frage, die sich längst in unser aller Köpfe festgesetzt hat, in diesen Köpfen, die wir immerzu und unablässig schütteln, wenn die Rede auf die Politik kommt. Denn sobald wir an Politiker, an Parteien, an unsere politischen Institutionen denken, schütteln wir automatisch den Kopf.
Der Kopfschüttelmodus, der Ärger, der Zorn, das Missbehagen, auch das verallgemeinerte Misstrauen – das ist der Modus, in dem wir der Politik gegenübertreten.