Lesereise Abu Dhabi
Picus

Elisabeth Jupiter

MACH WITZE!

Copyright © 2013 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien
Alle Rechte vorbehalten
Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien
Umschlagabbildung: © Jose Giribas
Datenkonvertierung E-Book: Nakadake, Wien
ISBN 978-3-7117-5164-5
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt

Informationen über das aktuelle Programm
des Picus Verlags und Veranstaltungen unter
www.picus.at

Elisabeth Jupiter

MACH WITZE!

Der jüdische Humor
als Quelle der Toleranz

Picus Verlag Wien

Meiner Mutter gewidmet

Inhalt

Vorwort

Jüdisches Leben und Sterben

Die Religiosität

Der Geiz

Die Chuzpe

Die eheliche Treue

Die Beherrschung der Welt

Glossar

VORWORT

Ein Talmudgelehrter bringt sein erstes Buch zum Rabbi, damit er es begutachte. Dieser sagt: »Mein Lieber, wenn du wirklich Schriftsteller werden willst, musst du dich damit abfinden, die ersten vierzig Jahre Hunger zu leiden.« »Und danach?« »Danach wirst du weiter Hunger leiden, aber du hast dich daran gewöhnt. Ein einsames Geschäft, das Schreiben.« »Wieso Geschäft?«

Kennen Sie den?

Diese Frage kann in jüdischen Kreisen ohne Weiteres als gefährliche Drohung aufgefasst werden, denn sie hat oft schwerwiegende Konsequenzen: Der potenzielle Zuhörer sagt gleich nach den ersten Worten »Ja, aber erzählen Sie ruhig weiter«, lacht dann auch und fügt sofort hinzu, dass er diesen Witz aber anders kenne und erzählt ihn nun in seiner Version. Der ursprüngliche Erzähler ist beleidigt, findet die Geschichte des Gegenübers schlechter als die eigene, lacht aber trotzdem. Es scheint überhaupt ein ungeschriebenes jüdisches Gesetz des Mitgefühls zu sein, dass man über jeden erzählten Witz lacht, denn die Kränkung, einen Witz zu erzählen, ohne dass jemand lacht, ist fast nicht therapierbar.

Und diesbezüglich weiß ich, wovon ich rede, denn in meinem Beruf als Psychotherapeutin bin ich mit allen Spielarten des Humors oder seiner Absenz konfrontiert. Immer wieder kommt es vor, dass mir zu einem Ereignis, das mir ein Patient erzählt, der passende Witz einfällt. Ob ich ihn auch wirklich erzähle, ist dann erstens eine Frage des Fingerspitzengefühls und zweitens auch abhängig davon, wie stark die Beziehung schon geworden ist. Ganz am Anfang einer Therapie würde ich das nicht tun, aber wenn man einander schon kennt und der Patient sich sicher nicht ausgelacht, sondern empathisch unterstützt fühlt, kann ein Witz, angewandt wie eine Metapher, ohne Weiteres auch das so oft zitierte Aha-Erlebnis verursachen.

Es kann natürlich auch vorkommen, dass der Zuhörer verneint, den Witz zu kennen, zuhört, kaum lacht und erst dann sagt, er habe ihn ohnehin gekannt, habe aber nicht unterbrechen wollen. Eine große Frustration!

Ich habe eine Freundin, die zwar fast alle Witze, die ich erzähle, schon kennt, die aber darauf besteht, dass ich sie noch einmal erzähle und dann so herzlich lacht, als hätte sie sie soeben das erste Mal gehört. Das ideale Publikum!

Wenn man Nichtjuden jüdische Witze erzählt, begibt man sich aufs Glatteis und in eine Situation, die darüber entscheiden kann, ob die Beziehung zu diesem Menschen aufrechtzuerhalten oder sofort zu beenden ist.

Tatsächlich ist es ein Indikator einer möglichen Freundschaft, wenn Menschen, die ohne die typisch jüdischen Neurosen aufgewachsen sind, dennoch herzlich lachen können, wenn der jüdische Witz eben diese auf die Schaufel nimmt.

Versteht das Gegenüber den erzählten jüdischen Witz nicht und will eine Erklärung dazu, sollte man sich doch am besten gleich verabschieden.

Da ich Psychotherapeutin bin, interessiert mich natürlich auch die psychische Komponente des Humors. Sigmund Freud hat ein ganzes Buch dem Witz und seiner Beziehung zum Unbewussten gewidmet.

Es ist kein Zufall, so wie ja eigentlich nichts Zufall ist, welcher Witz einem wann einfällt und warum man manchmal den einen und manchmal den anderen Witz zu seinem Favoriten erklärt.

Genauso kann man aus dem Vergessen von Witzen seine Schlüsse ziehen, dass sich nämlich die repressive Zensur gegen die latenten und unbewussten Tendenzen, die der Witz enthält, richtet.

Dieses Dilemma wird durch den folgenden Witz gelöst:

Drei Männer sitzen in einem Zugabteil Richtung Czernowitz, zwei Freunde und ein Dritter. Einer sagt: »Zwölf!«, der Freund schüttelt sich vor Lachen und sagt noch in dieses Lachen hinein: »Vierundzwanzig«, worauf der andere brüllt vor Lachen. Das macht den dritten Fahrgast natürlich sehr neugierig, und auf seine Frage, was das denn soll, wird er aufgeklärt, dass die beiden die ihnen bekannten Witze einfach durchnummeriert haben und so beim Erzählen Energie sparen. »Darf ich das auch probieren?«, fragt er. »Sicher.« »Dreizehn!« Keiner lacht. »Wieso lachen Sie nicht?« »No, erzählen muss man können!«

Freud schreibt: »Mit der Witzarbeit ist der Drang zur Mitteilung des Witzes untrennbar verbunden; ja, dieser Drang ist so stark, dass er sich oft genug mit Hinwegsetzung über wichtige Bedenken verwirklicht …«

Wie zum Beispiel im folgenden Witz:

Zwei jüdische Damen sitzen im Café, als die eine sagt: »Ich habe Neuigkeiten: eine gute und eine schlechte Nachricht.«

»Fang mit der schlechten an.«

»Mein Sohn ist schwul.«

»Und was ist dann die gute Nachricht?«

»Er heiratet einen Arzt!«

Weiter meint Freud auch, dass man zwar das Komische allein genießen kann, den Witz hingegen ist man genötigt mitzuteilen.

Genötigt scheint mir hier wirklich der richtige Ausdruck, denn wenn mir in einer Runde ein Witz einfällt, muss ich ihn unbedingt erzählen, um nicht daran zu ersticken.

Nach dem Traum sei der Witz der zweite Königsweg zum Unbewussten, meint Freud, denn: »Die interessanten Vorgänge der Verdichtung mit Ersatzbildung, die wir als Kern der Technik des Wortwitzes erkannt haben, wiesen uns auf die Traumbildung hin, in deren Mechanismus die nämlichen psychischen Vorgänge aufgedeckt worden sind …«

Der Patient erzählt seinem Analytiker, was er letzte Nacht geträumt hat: »Ich sah meine Mutter, aber sie hatte nicht ihr eigenes Gesicht, sondern das Ihre. Ich konnte dann nicht mehr einschlafen, stand auf, trank ein Cola und lief zu Ihnen, um Ihre Deutung zu hören.«

Darauf der Analytiker: »Cola, soll das ein Frühstück sein?«

Freud stellt die Frage, warum man nicht über seinen eigenen Witz lacht und welche Rolle nun der andere hat. Das kann ich nicht ganz bestätigen, denn ich muss immer selbst über meine Witze lachen, sogar wenn ich sie schon seit Jahren kenne, aber vielleicht ist ja auch das Lachen der Zuhörer, manchmal bereits die Erwartung dieses Lachens, ansteckend. Eine Freundin erzählte mir, dass ihr Onkel ein großartiger Witzeerzähler war, und bevor er noch zur Pointe kam, schüttelte es ihn so sehr vor Lachen, dass die Zuhörer auch nicht mehr anders konnten als loszubrüllen.

Eine jiddische Mamme unterhält sich mit ihrer Freundin und prahlt, was für eine herrliche Partie ihre Tochter gemacht habe: »Sie kann schlafen so lange sie will, muss nicht mit ihm frühstücken, bevor er zur Arbeit geht, und braucht sich überhaupt nicht um den Haushalt zu kümmern.

Aber mein Sohn hat leider eine richtige Schlampe geheiratet. Sie bleibt in der Früh im Bett, macht ihm kein Frühstück und um den Haushalt kümmert sie sich überhaupt nicht.«

Das Schlimmste ist, wenn mich jemand, der weiß, dass ich gerne Witze erzähle, auffordert, doch einen zu erzählen. Resultat: Vorerst ist das Hirn leer, als hätte ich nie im Leben einen Witz gehört oder erzählt. Freud erklärt dieses Phänomen so: »Witze zeigen auch assoziativ ein besonderes Benehmen. Sie stehen unserem Gedächtnis häufig nicht zur Verfügung, wenn wir sie wollen, stellen sich dafür andere Male wie ungewollt ein, und zwar an Stellen unseres Gedankenganges, wo wir ihre Einflechtung nicht verstehen. Es sind dies wiederum nur kleine Züge, aber immerhin Hinweise auf ihre Abkunft aus dem Unbewussten …«

Der folgende Witz scheint mir ein guter Beweis für die Rolle des Unbewussten zu sein.

Der Sohn will heiraten, und um seiner Mutter auch einen Spaß zu bereiten, kommt er mit drei Frauen zu ihr auf Besuch und sie soll raten, welche der drei die Auserwählte ist. Sie unterhalten sich ein Stündchen, bevor der Sohn die Mutter fragt, ob sie wisse, welche er heiraten wolle.

»Die, die ganz rechts gesessen ist.«

»Ja, richtig, wie hast du das erraten?«

»Ich mag sie nicht!«

Mir genügt es oft in eine Runde zu schauen und schon stellen sich Assoziationen zu bestimmten Witzen ein. Das werden jeweils verschiedene sein, ob ich nun bei einem feinen Essen eingeladen bin oder mit einer Gruppe lebenslustiger Damen am Kaffeehaustisch sitze. Eine dieser Damen könnte Folgende gewesen sein:

Eine ältere Dame geht zum Hausarzt und beschwert sich über ihren quälenden Husten.

Der Arzt fragt: »Wie alt sind Sie?«

»Siebzig.«

»Haben Sie mit dreißig gehustet?«

»Nein!«

»Mit fünfzig?«

»Nein!«

»No, wann wollen Sie denn husten, wenn nicht jetzt?«

Die Endorphine, die beim Lachen freigesetzt werden, führen zu der Magie des Lachens. Denn in diesem Moment, in dem wir lachen, lieben wir das Leben. Zugegeben, das kann sehr kurz sein. Beides! Daher die Devise: Mehr lachen … mehr lieben, länger leben! Wenn’s wahr ist.

Es ist sicher kein Zufall, dass Freud in seinem Werk »Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten« vor allem jüdische Witze als Beispiele aussuchte. Denn der jüdische Witz ist voll von Weisheit, Psychologie des Alltags, Menschenkenntnis und Menschenliebe.

JÜDISCHES LEBEN
UND STERBEN

Interessanterweise kann man ein Buch über jüdischen Humor schreiben, ohne vom Judentum viel Ahnung zu haben. Man kann, und es findet vielleicht sogar reißenden Absatz.

Dennoch stellt sich die immer wiederkehrende Frage, was denn einen Juden oder eine Jüdin ausmacht, wenn sie oder er nicht gläubig ist und wenn sie oder er sich auch nicht über den Holocaust definieren will oder nur bedingt.