Das Dekameron
Giovanni Boccaccio
Inhalt:
Giovanni Boccaccio – Biografie und Bibliografie
Das Dekameron
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Das Dekameron, Giovanni Boccaccio
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849605599
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Einer der größten ital. Dichter und hochverdienter Humanist, geb. 1313 in Paris, gest. 21. Dez. 1375 in Certaldo bei Florenz, war der natürliche Sohn des Florentiner Kaufmanns Boccaccio di Chellino, der aus Certaldo stammte, weshalb B. seinem Namen stets da Certaldo hinzufügte, und einer jungen, vornehmen Pariser Witwe mit Vornamen Gianna (Jeanne). Zum Kaufmann bestimmt, widmete er sich 6 Jahre lang mit Widerwillen diesem Beruf, während ihn seine Neigung zu den Wissenschaften und der Dichtkunst zog. Etwa Ende 1330 siedelte er nach Neapel über. Sein Widerwille gegen den Kaufmannsstand wuchs in der prächtigen Umgebung noch mehr, und endlich gestattete ihm sein Vater, einen andern, freilich nicht den ersehnten, Beruf zu ergreifen. Er sollte kanonisches Recht studieren, »um dadurch später reich zu werden« (1332). Sechsjähriges Studium blieb erfolglos. Mit aller Macht zog es B. zur Dichtkunst und zum Studium der klassischen Literatur. Dichter und Gelehrte am Hofe, dessen Gesellschaftskreise ihm durch seinen Landsmann Niccolò Acciajuoli zugänglich gemacht wurden, waren sein liebster Umgang. Zu seinen ersten Werken, die italienisch geschrieben sind, begeisterte ihn die Liebe zu der natürlichen Tochter König Roberts von Neapel, Maria (»Fiammetta«). B. hat ihr viele lyrische Gedichte gewidmet, und in einer Reihe von Romanen und Erzählungen in Prosa und Versen hat er die Geschichte seines Werbens, seines Glückes und seiner Verschmähung in die Darstellung eingefügt. 1340 oder 1341 rief ihn der Vater nach Florenz zurück, 1346 war er in Ravenna, 1348 in Forlì. Als sein Vater 1348 oder 1349 an der Pest gestorben war, kehrte B. nach Florenz zurück. Er war nun freier Herr und konnte sich mit seinen bescheidenen Mitteln das Leben nach Wunsch gestalten. Als Dichter besaß er schon großen Ruf, und seine Mitbürger übertrugen ihm nun auch manche wichtige politische Ämter. Die 1350 mit Petrarca geschlossene Freundschaft bewirkte, daß er sich fast ausschließlich humanistischen Studien zuwandte und weckte in ihm wahre Gläubigkeit. B. besuchte Petrarca wiederholt auf längere Zeit (1359, 1363, 1368). 1359 gelang es B., den Griechen Leontius Pilatus als Professor nach Florenz zu ziehen. So war er der erste, der für eine Neubelebung der Kenntnis des Griechischen sorgte. Er selbst brachte es freilich nicht mehr weit in dieser Sprache. 1362 siedelte B. auf dringen des Bitten des Großseneschalls Niccolò Acciajuoli nach Neapel über, kehrte aber schon 1363 nach Florenz zurück, weil der Empfang den Erwartungen Boccaccios nicht entsprochen hatte. In Florenz blieb er nun mit kurzen Unterbrechungen bis an sein Lebensende, oft auf seinem Gütchen in Certaldo weilend, oft auch noch mit politischen Missionen betraut, so 1365 an Urban V. nach Avignon und 1367 an denselben nach Rom. 1370 bis 1371 war B. noch einmal in Neapel. Mit dem zunehmenden Alter befielen ihn allerlei Krankheiten. Dennoch übernahm er noch 1373 den ebrenvollen Auftrag der Florentiner Regierung, öffentliche Vorlesungen über Dantes »Divina Commedia« zu halten, die er im Oktober d. J. begann. Schon im Januar 1374 zwang ihn jedoch sein Gesundheitszustand, das Lehramt aufzugeben, und im Herbst zog er sich ganz nach Certaldo zurück. Im Juni 1879 wurde ihm hier auf der Piazza Solferino ein Denkmal errichtet.
Boccaccios überaus zahlreiche Werke sind teils in italienischer, teils in lateinischer Sprache geschrieben. Leidenschaftliche Liebe brachte sein Dichtertalent zur Entfaltung. Im Auftrag Marias schrieb B. sein erstes Werk, den dicken Roman »Filocolo« (1338–1340, zuerst gedruckt Vened. 1472), eine weitschweifige und schwülstige Bearbeitung der Sage von Flor und Blancheflor. Wahrscheinlich noch 1338 vollendete er den »Filostrato« in Ottaven (Vened. 1480), die B. zuerst in der Kunstdichtung verwendete. Das prächtige Gedicht hat Chaucer in »Troylus and Cryseyde« oft wörtlich übersetzt, und darauf beruht Shakespeares »Troilus and Cressida«. Nicht so schön ist die ebenfalls in Ottaven gedichtete »Teseide« (1341, gedruckt Ferrara 1475), welche die Liebe des Palemone und Arena zu des Theseus Schwägerin Emilia behandelt und von Chaucer für seine »Knightes Tale« verwertet wurde. B. vollendetstes Gedicht in Ottaven ist das idyllische »Ninfale Fiesolano« (Vened. 1477), wohl der Abschluß seiner Jugendwerke. Wohl schon früher ist das »Ninfale d'Ameto« (1341–42), in Prosa und Terzinen verfaßt (Rom 1478), eine Hirtendichtung in Verbindung mit Allegorie. Ebenfalls verherrlicht noch die Maria die allegorische »Amorosa Visione« (etwa 1342, gedruckt Mail. 1521) in 50 Gesängen in Terzinen. Dem Trennungsschmerz gibt die »Fiammetta« (1342, gedruckt Padua 1472) Ausdruck, ein Liebesroman von feinster psychologischer Durchführung und hinreißendem Zauber der Sprache. Alle Phasen der Liebe zu Maria spiegeln endlich auch noch die lyrischen Gedichte wider (Livorno 1802). Eine kulturhistorisch wertvolle, aber oft unflätige Satire in Prosa auf eine Florentiner Witwe, die sich B. versagte, ist der »Corbaccio« oder »Labirinto d'amore« (zuerst Flor. 1487). Boccaccios Dantebegeisterung entsprang die Lobschrift (zwischen 1357 u. 1362) »Vita di Dante« (hrsg. von Macri-Leone, Flor. 1888; der erste Entwurf von Rostagno, Bologna 1899) und seinen Vorlesungen der wertvolle »Commento sopra la Commedia« (beste Ausg. von Milanesi, Flor. 1863, 2 Bde.), der leider nur bis zum 17. Gesang der Hölle reicht. Das Werk jedoch, dem der Dichter B. seinen Nachruhm zumeist verdankt, ist das »Decamerone«, das man treffend die »Menschliche Komödie« genannt hat und das durch die Schönheit der Sprache und den Stil der Erzählung ein fast unerreichtes Muster seiner Gattung geworden ist. Das »Decamerone« ist eine Sammlung von 100 durch eine Rahmenerzählung miteinander verbundenen Novellen, die der Dichter von zehn während der Pest 1348 aus Florenz entflohenen Personen, sieben Damen und drei Jünglingen aus der seinen Gesellschaft, zu ihrer Unterhaltung an zehn Tagen (daher der nach dem Griechischen gebildete Name) vortragen läßt. Die Erzählungen sind von der mannigfachsten Art; sie behandeln tragische und komische, wunderbare und rührende, witzige und schlüpfrige Stoffe und sind den mannigfachsten Quellen entnommen. Die Verschiedenheit der dem Leser vorgeführten Menschenklassen und Persönlichkeiten, ihre vortreffliche Charakteristik, die Mannigfaltigkeit der Vorgänge, der reizvolle Wechsel von Ernst und Scherz, die Anmut der Erzählungsweise, verbunden mit der Fülle und Gewandtheit der Sprache, haben das »Decamerone« zu einem der hervorragendsten Werke der italienischen Literatur gemacht. Die Unsittlichkeiten des Buches, die nie um ihrer selbst willen dargestellt werden, sondern um ihre Komik hervorzuheben, fallen der Sittenlosigkeit der Zeit des Dichters zur Last.
Das »Decamerone« ist unendlich oft gedruckt und wiederholt in alle gebildeten Sprachen übersetzt worden. Der vielleicht älteste sogen. Deo gratias-Druck erschien ohne Angabe des Jahres und des Ortes, der zweite Venedig 1471; außerdem brachte das 15. Jahrh. noch elf Ausgaben. Über die Ausgaben vgl. Bacchi della Lega, Serie delle edizioni delle opere di Giovanni B. (Bologna 1875), und Passano, I novellieri italiani in prosa (2. Ausg., Turin 1878). Bereits um 1460 wurde das »Decamerone« ins Deutsche von Arigo (s.d.) übertragen (hrsg. von Keller, Stuttg., Literarischer Verein, 1860); neuere deutsche Übersetzungen lieferten Soltau (Berl. 1803, 3 Bde.; neue Ausg., das. 1884) u. a., die besten K. Witte (3. Aufl., Leipz. 1859, 3 Bde.). Zu den Übersetzungen vgl. Bacchi della Lega a. a. O.; über die Quellen grundlegend Landau, Quellen des Dekameron (2. Aufl., Stuttg. 1884), und Bartoli, I precursori del B. e alcune delle sue fonti (Flor. 1876). Boccaccios »Opere volgari« gab Moutier heraus (Flor. 1827–34, 17 Bde.), eine Auswahl in deutscher Übersetzung W. Röder (»Boccaccios Romane und Novellen«, Stuttg. 1844, 4 Bde.). – In lateinischer Sprache schrieb B. verschiedene mythologische u. historische Werke, die »Genealogia deorum gentilium«, 15 Bücher; »De montibus, sylvis, fontibus, lacubus, fluminibus, stagnis etc.« (in alphabetischer Ordnung); »De casibus virorum illustrium«; »De claris mulieribus« (deutsche Übersetzung von Steinhöwel, hrsg. von Drescher für den Literarischen Verein, Stuttg. 1896); außerdem 17 Eklogen, Briefe u. a. Vgl. Hortis, Studj sulle opere latine del B. (Triest 1879); Hecker, Boccaccio-Funde (Braunschw. 1901).
Biographische Literatur etc.: Landau, B., sein Leben und seine Werke (Stuttg. 1877; erweiterte ital. Übersetzung von Antona-Traversi, Neapel 1881); Körting, Boccaccios Leben und Werke (Leipz. 1880); Crescini, Contributo agli studj sul B. (Turin 1887); Wesselofsky, Boccaccio (Petersb. 1893–1894); Rossi, Dalla mente e dal cuore di Giovanni B. (Bologna 1900).
ES BEGINNT DER ERSTE TAG DES DEKAMERON, AN DEM NACH EINER DARLEGUNG DES AUTORS, WARUM DIE SPÄTER AUFTRETENDEN PERSONEN ZUSAMMENKAMEN, UM EINANDER GESCHICHTEN ZU ERZÄHLEN, UNTER PAMPINEAS HERRSCHAFT VON DEM GESPROCHEN WIRD, WAS EIN JEDER AM LIEBSTEN HAT.
Einleitung:
Sooft ich, holde Damen, in meinen Gedanken erwäge, wie mitleidig ihr alle von Natur aus seid, erkenne ich auch, daß eurer Meinung nach dies Werk einen betrübten und bitteren Anfang haben wird, da es an seiner Stirn die schmerzliche Erwähnung jener verderblichen Pestseuche trägt, die vor kurzem jeden, der sie sah oder sonst kennenlernte, in Trauer versetzte.
Doch wünsche ich, daß ihr euch nicht vom Weiterlesen in dem Glauben abschrecken lasset, ihr müßtet immer zwischen Seufzern und Tränen lesend weiterwandeln. Dieser schreckensreiche Anfang soll euch nicht anders sein wie den Wanderern ein steiler und rauher Berg, jenseits dessen eine schöne und anmutige Ebene liegt, die ihnen um so wohlgefälliger scheint, je größer die Anstrengung des Hinauf- und Hinabsteigens war. Und wie der Schmerz sich an das Übermaß der Lust anreiht, so wird auch das Elend von der hinzutretenden Freude beschlossen. Dieser kurzen Trauer – kurz nenne ich sie, weil sie in wenigen Zeilen enthalten ist – folgen alsbald die Lust und die Süßigkeit, die ich euch oben versprochen habe und die man nach einem solchen Anfang ohne ausdrückliche Versicherung vielleicht nicht erwartete. In der Tat, hätte ich füglich vermocht, euch auf einem anderen und minder rauhen Pfade als diesem dahin zu führen, wohin ich es wünsche, so hätte ich es gern getan. Weil aber ohne diese Erwähnung nicht berichtet werden konnte, warum das geschah, was weiterhin zu lesen ist, entschließe ich mich gewissermaßen notgedrungen zu dieser Beschreibung.
Ich sage also, daß seit der heilbringenden Menschwerdung des Gottessohnes eintausenddreihundertachtundvierzig Jahre vergangen waren, als in die herrliche Stadt Florenz, die vor allen andern in Italien schön ist, das tödliche Pestübel gelangte, welches – entweder durch Einwirkung der Himmelskörper entstanden oder im gerechten Zorn über unseren sündlichen Wandel von Gott als Strafe über den Menschen verhängt – einige Jahre früher in den Morgenlanden begonnen, dort eine unzählbare Menge von Menschen getötet hatte und dann, ohne anzuhalten, von Ort zu Ort sich verbreitend, jammerbringend nach dem Abendlande vorgedrungen war.
Gegen dieses Übel half keine Klugheit oder Vorkehrung, obgleich man es daran nicht fehlen und die Stadt durch eigens dazu ernannte Beamte von allem Unrat reinigen ließ, auch jedem Kranken den Eintritt verwehrte und manchen Ratschlag über die Bewahrung der Gesundheit erteilte. Ebensowenig nützten die demütigen Gebete, die von den Frommen nicht ein, sondern viele Male in feierlichen Bittgängen und auf andere Weise Gott vorgetragen wurden.
Etwa zu Frühlingsanfang des genannten Jahres begann die Krankheit schrecklich und erstaunlich ihre verheerenden Wirkungen zu zeigen. Dabei war aber nicht, wie im Orient, das Nasenbluten ein offenbares Zeichen unvermeidlichen Todes, sondern es kamen zu Anfang der Krankheit gleichermaßen bei Mann und Weib an den Leisten oder in den Achselhöhlen gewisse Geschwulste zum Vorschein, die manchmal so groß wie ein gewöhnlicher Apfel, manchmal wie ein Ei wurden, bei den einen sich in größerer, bei den andern in geringerer Anzahl zeigten und schlechtweg Pestbeulen genannt wurden. Später aber gewann die Krankheit eine neue Gestalt, und viele bekamen auf den Armen, den Lenden und allen übrigen Teilen des Körpers schwarze und bräunliche Flecke, die bei einigen groß und gering an Zahl, bei andern aber klein und dicht waren. Und so wie früher die Pestbeule ein sicheres Zeichen unvermeidlichen Todes gewesen und bei manchen noch war, so waren es nun diese Flecke für alle, bei denen sie sich zeigten.
Dabei schien es, als ob zur Heilung dieses Übels kein ärztlicher Rat und die Kraft keiner Arznei wirksam oder förderlich wäre. Sei es, daß die Art dieser Seuche es nicht zuließ oder daß die Unwissenheit der Ärzte (deren Zahl in dieser Zeit, außer den wissenschaftlich gebildeten, an Männern und Frauen, die nie die geringste ärztliche Unterweisung genossen hatten, übermäßig groß geworden war) den rechten Grund der Krankheit nicht zu erkennen und daher ihr auch kein wirksames Heilmittel entgegenzusetzen vermochte, genug, die wenigsten genasen, und fast alle starben innerhalb dreier Tage nach dem Erscheinen der beschriebenen Zeichen; der eine ein wenig früher, der andere etwas später, die meisten aber ohne alles Fieber oder sonstige Zufälle.
Die Seuche gewann um so größere Kraft, da sie durch den Verkehr von den Kranken auf die Gesunden überging, wie das Feuer trockene oder brennbare Stoffe ergreift, wenn sie ihm nahe gebracht werden. Ja, so weit erstreckte sich dies Übel, daß nicht allein der Umgang die Gesunden ansteckte und den Keim des gemeinsamen Todes in sie legte; schon die Berührung der Kleider oder anderer Dinge, die ein Kranker gebraucht oder angefaßt hatte, schien die Krankheit dem Berührenden mitzuteilen.
Unglaublich scheint, was ich jetzt zu sagen habe, und wenn es nicht die Augen vieler sowie die meinigen gesehen hätten, so würde ich mich nicht getrauen, es zu glauben, hätte ich es auch von glaubwürdigen Leuten gehört. Ich sage nämlich, daß die ansteckende Kraft dieser Seuche mit solcher Gewalt von einem auf den anderen übersprang, daß sie nicht allein vom Menschen dem Menschen mitgeteilt ward, sondern daß auch, was viel mehr sagen will, häufig und unverkennbar andere Geschöpfe außer dem Menschengeschlecht, wenn sie Dinge berührten, die einem an der Pest Leidenden oder an ihr Gestorbenen gehört hatten, von der Krankheit befallen wurden und an diesem Übel starben. Davon habe ich unter anderm eines Tages mit eigenen Augen, wie ich vorhin gesagt habe, folgendes Beispiel gesehen: man hatte die Lumpen eines armen Mannes, der an dieser Seuche gestorben war, auf die offene Straße geworfen, und dort fanden sie zwei Schweine, welche sie nach der Art dieser Tiere anfangs lange mit dem Rüssel durchwühlten, dann aber mit den Zähnen ergriffen und hin und her schüttelten; nach kurzer Zeit aber fielen sie beide, als hätten sie Gift gefressen, unter einigen Zuckungen tot auf die Lumpen hin, die sie zu ihrem Unheil erwischt hatten.
Aus diesen und vielen anderen ähnlichen und schlimmeren Ereignissen entstand ein allgemeiner Schrecken, und mancherlei Vorkehrungen wurden von denen getroffen, die noch am Leben waren. Fast alle strebten zu ein und demselben grausamen Ziele hin, die Kranken nämlich und was zu ihnen gehörte, zu vermeiden und zu fliehen, in der Hoffnung, sich auf solche Weise selbst zu retten. Einige waren der Meinung, ein mäßiges Leben, frei von jeder Üppigkeit, vermöge die Widerstandskraft besonders zu stärken. Diese taten sich in kleineren Kreisen zusammen und lebten, getrennt von den übrigen, abgesondert in ihren Häusern, wo sich kein Kranker befand, beieinander. Hier genossen sie die feinsten Speisen und die ausgewähltesten Weine mit großer Mäßigkeit und ergötzten sich, jede Ausschweifung vermeidend, mit Musik und anderen Vergnügungen, die ihnen zu Gebote standen, ohne sich dabei von jemand sprechen zu lassen oder sich um etwas, das außerhalb ihrer Wohnung vorging, um Krankheit oder Tod zu kümmern.
Andere aber waren der entgegengesetzten Meinung zugetan und versicherten, viel zu trinken, gut zu leben, mit Gesang und Scherz umherzugehen, in allen Dingen, soweit es sich tun ließe, seine Lust zu befriedigen und über jedes Ereignis zu lachen und zu spaßen, sei das sicherste Heilmittel für ein solches Übel. Diese verwirklichten denn auch ihre Reden nach Kräften. Bei Nacht wie bei Tag zogen sie bald in diese, bald in jene Schenke, tranken ohne Maß und Ziel und taten dies alles in fremden Häusern noch weit ärger, ohne dabei nach etwas anderem zu fragen als, ob dort zu finden sei, was ihnen zu Lust und Genuß dienen konnte. Dies wurde ihnen auch leicht gemacht, denn als wäre sein Tod gewiß, so hatte jeder sich und alles, was ihm gehörte, aufgegeben. Dadurch waren die meisten Häuser herrenlos geworden, und der Fremde bediente sich ihrer, wenn er sie zufällig betrat, ganz wie es der Eigentümer selbst getan hätte.
Wie sehr aber auch die, welche so dachten, ihrem viehischen Vorhaben nachgingen, so vermieden sie doch auf das sorgfältigste, den Kranken zu begegnen. In solchem Jammer und in solcher Betrübnis der Stadt war auch das ehrwürdige Ansehen der göttlichen und menschlichen Gesetze fast ganz gesunken und zerstört; denn ihre Diener und Vollstrecker waren gleich den übrigen Einwohnern alle krank oder tot oder hatten so wenig Gehilfen behalten, daß sie keine Amtshandlungen mehr vornehmen konnten. Darum konnte sich jeder erlauben, was er immer wollte.
Viele andere indes schlugen einen Mittelweg zwischen den beiden obengenannten ein und beschränkten sich weder im Gebrauch der Speisen so sehr wie die ersten, noch hielten sie im Trinken und in anderen Ausschweifungen so wenig Maß wie die zweiten. Vielmehr bedienten sie sich der Speise und des Tranks nach Lust und schlossen sich auch nicht ein, sondern gingen umher und hielten Blumen, duftende Kräuter oder sonstige Spezereien in den Händen und rochen häufig daran, überzeugt, es sei besonders heilsam, durch solchen Duft das Gehirn zu erquicken; denn die ganze Luft schien von den Ausdünstungen der toten Körper, von den Krankheiten und Arzneien stinkend und beklemmend.
Andere aber waren grausameren Sinnes – obgleich sie vermutlich sicherer gingen – und erklärten, kein Mittel gegen die Seuche sei so wirksam und zuverlässig wie die Flucht. In dieser Überzeugung verließen viele, Männer wie Frauen, ohne sich durch irgendeine Rücksicht halten zu lassen, allein auf die eigene Rettung bedacht, ihre Vaterstadt, ihre Wohnungen, ihre Verwandten und ihr Vermögen und flüchteten auf ihren eigenen oder gar einen fremden Landsitz; als ob der Zorn Gottes, der durch diese Seuche die Ruchlosigkeit der Menschen bestrafen wollte, sie nicht überall gleichmäßig erreichte, sondern nur diejenigen vernichtete, die sich innerhalb der Stadtmauern antreffen ließen, oder als ob niemand mehr in der Stadt verweilen solle und deren letzte Stunde gekommen sei.
Obgleich diese Leute mit den also verschiedenen Meinungen nicht alle starben, so kamen sie doch auch nicht alle davon, sondern viele von den Anhängern jeder Meinung erkrankten, wo immer sie sich befanden, und verschmachteten fast ganz verlassen, wie sie das Beispiel dazu, solange sie gesund gewesen waren, denen gegeben hatten, die gesund blieben. Wir wollen davon schweigen, daß ein Mitbürger den andern mied, daß der Nachbar fast nie den Nachbarn pflegte und die Verwandten einander selten oder nie besuchten; aber mit solchem Schrecken hatte dieses Elend die Brust der Männer wie der Frauen erfüllt, daß ein Bruder den andern im Stich ließ, der Oheim seinen Neffen, die Schwester den Bruder und oft die Frau den Mann, ja, was das schrecklichste ist und kaum glaublich scheint: Vater und Mutter weigerten sich, ihre Kinder zu besuchen und zu pflegen, als wären es nicht die ihrigen.
In dieser allgemeinen Entfremdung blieb den Männern und Frauen, die erkrankten – und ihre Zahl war unermeßlich –, keine Hilfe außer dem Mitleid der wenigen Freunde, die sie nicht verließen, oder dem Geiz der Wärter, die sich durch einen unverhältnismäßig hohen Lohn zu Dienstleistungen bewegen ließen. Aber auch der letzteren waren nicht viele zu finden, und die sich dazu hergaben, waren Männer oder Weiber von geringer Einsicht, die meist auch zu solchen Dienstleistungen gar kein Geschick hatten und kaum etwas anderes taten, als daß sie den Kranken dies oder jenes reichten, was sie gerade verlangten, oder zusahen, wenn sie starben. Dennoch gereichte ihnen oft ihr Gewinn bei solchem Dienste zum Verderben.
Weil die Kranken von ihren Nachbarn, Verwandten und Freunden verlassen wurden und nicht leicht Diener finden konnten, bürgerte sich ein Brauch ein, von dem man nie zuvor gehört hatte: daß nämlich Damen, wie vornehm, sittsam und schön sie auch waren, sich, wenn sie erkrankten, durchaus nicht scheuten, von Männern, mochten diese jung oder alt sein, bedient zu werden und vor ihnen, ganz als ob es Frauenzimmer wären, ohne alle Scham jeden Teil ihres Körpers zu entblößen, sobald die Bedürfnisse der Krankheit es erforderten. Vielleicht hat dieser Brauch bei manchen, die wieder genasen, in späterer Zeit einigen Mangel an Keuschheit veranlaßt. Überdies starben aber auch viele, die vermutlich am Leben geblieben wären, hätte man ihnen Hilfe gebracht.
So war denn, teils wegen des Mangels gehöriger Pflege, teils wegen der Heftigkeit der Seuche, die Zahl der bei Tag und Nacht in der Stadt Gestorbenen so groß, daß man sich entsetzte, wenn man sie erfuhr, geschweige denn, wenn man das Elend selbst mit ansah. Daraus entstand fast unvermeidlich unter denen, die am Leben blieben, manche Unregelmäßigkeit, die den früheren bürgerlichen Sitten widersprach. So war es früher üblich gewesen – wie wir es auch heute noch sehen –, daß die Nachbarinnen und die weiblichen Verwandten mit den nächsten Angehörigen eines Verstorbenen in dessen Hause zusammenkamen und klagten, während sich die männlichen Mitglieder der Familie sowie Nachbarn und andere Bürger vor seiner Tür in Menge versammelten. Auch kam die Geistlichkeit dazu, je nach dem Stande des Verstorbenen, und dann wurde die Leiche auf den Schultern seiner Genossen bei angezündeten Wachskerzen mit Gesang und anderen Begräbniszeremonien zu der Kirche getragen, die jener noch vor seinem Tode bestimmt hatte. Als indessen die Heftigkeit der Seuche zunahm, hörten alle diese Bräuche ganz oder teilweise auf, und neue traten an ihre Stelle. Denn nicht allein starben die meisten, ohne daß viele Frauen zusammengekommen wären, sondern gar manche verließen dieses Leben ohne die Gegenwart eines einzigen Zeugen, und nur wenigen wurden die mitleidigen Klagen und die bitteren Tränen ihrer Angehörigen vergönnt. Statt dieser hörte man nun meist geselliges Lachen, Scherze und Gespött, eine Weise, welche die Frauen, ihr weibliches Mitleid großenteils verleugnend, um sich gegen die Krankheit zu wahren, meisterlich gelernt hatten. Es kam selten vor, daß eine Leiche von mehr als zehn oder zwölf Nachbarn zur Kirche geleitet wurde. Dabei trugen nicht achtbare und befreundete Bürger die Bahre, sondern eine Art Totengräber, die sich aus dem niederen Volk zusammengefunden hatten und Pestknechte genannt wurden, gingen eilfertig mit dem Sarge und vier oder sechs Geistlichen nicht in die vom Verstorbenen vorher bestimmte Kirche, sondern in die nächste beste, manchmal mit wenigen Lichtern, zuweilen aber auch mit keinem. Hier ließen die Geistlichen mit Hilfe der Pestknechte den Toten in die erste beste Gruft legen, die sie offen fanden, ohne sich zu langen Feierlichkeiten Zeit zu nehmen.
Die Lage der kleinen Leute und wohl auch der meisten aus dem Mittelstand war noch viel elender, da sie entweder von der Hoffnung oder von der Armut in ihren Häusern zurückgehalten wurden, mit den Nachbarn verkehrten und daher täglich zu Tausenden erkrankten und bei dem vollständigen Mangel an Pflege und Hilfe rettungslos starben. Es gab viele, die bei Tag oder Nacht auf offener Straße verschieden, viele, die ihren Geist in den Häusern aufgaben und ihren Nachbarn erst durch den Gestank, der aus ihren faulenden Leichen aufstieg, Kunde von ihrem Tode brachten. So war von den einen wie von den andern alles voll; denn überall starben Menschen. Dann verfuhren die Nachbarn meist auf die gleiche Art, zu welcher sie ebensosehr aus Furcht, daß die Fäulnis der Leichname ihnen schaden werde, als aus Mitleid für die Verstorbenen bewogen wurden. Sie schleppten nämlich entweder selbst oder mit Hilfe einiger Träger, wenn sie solche bekommen konnten, die Körper der Toten aus ihren Wohnungen und legten sie vor den Türen nieder. So hätte, wer – zumal am Morgen – durch die Stadt gegangen wäre, der Leichen unzählige liegen sehen. Dann ließen sie Bahren kommen oder legten, wenn es an diesen gebrach, ihre Toten auf ein bloßes Brett. Auch geschah es, daß auf einer Bahre zwei oder drei davongetragen wurden, und nicht einmal, sondern viele Male hätte man zählen können, wo dieselbe Bahre die Leichen des Mannes und der Frau oder zweier und dreier Brüder oder des Vaters und seines Kindes trug.
Oft ereignete es sich auch, daß, wenn ein paar Geistliche vor einer mit dem Kreuz hergingen, sich gleich drei oder vier Bahren mit anschlossen und die Priester, die einen Toten begraben zu sollen glaubten, nun deren sechs, acht und zuweilen noch mehr hatten. Dabei wurden dann die Verstorbenen mit keiner Kerze, Träne oder Begleitung geehrt, vielmehr war es so weit gekommen, daß man sich nicht mehr darum kümmerte, wenn Menschen starben, als man es jetzt um den Tod einer Geiß täte. Woraus denn gar deutlich wird, daß ein geduldiges Hinnehmen der Ereignisse, welches der gewöhnliche Lauf der Welt durch kleines und seltenes Unglück auch den Weisen nicht zu lehren vermag, durch die Größe des Elends auch den Einfältigen mitgeteilt werden kann.
Da für die große Menge Leichen, die, wie gesagt, in jeder Kirche täglich und fast stündlich zusammengetragen wurden, der geweihte Boden nicht langte, besonders wenn man nach alter Sitte jedem Toten eine besondere Grabstätte hätte einräumen wollen, so machte man, statt der kirchlichen Gottesäcker, weil diese bereits überfüllt waren, sehr tiefe Gruben und warf die neu Hinzukommenden in diese zu Hunderten. Hier wurden die Leichen aufgehäuft wie die Waren in einem Schiff und von Schicht zu Schicht mit ein wenig Erde bedeckt, bis die Grube bis zum Rand voll war.
Um aber alles Elend, das unsere Stadt betroffen hat, nicht weiter in seinen Einzelheiten auszuspinnen, sage ich, daß, während ein so feindliches Geschick in ihr hauste, die umliegende Landschaft deshalb nicht um das mindeste mehr verschont blieb. Ich schweige von den Burgflecken, die in kleinerem Maßstab den gleichen Anblick boten wie die Stadt. Auf den zerstreuten Landgütern und Meierhöfen jedoch starben die armen unglücklichen Landleute mit den Ihrigen ohne allen ärztlichen Beistand und ohne Pflege eines Dieners auf Straßen und Feldern wie in ihren Häusern, ohne Unterschied bei Tag und Nacht, nicht wie Menschen, sondern fast wie das Vieh. Darum wurden sie ebenso wie die Städter ausschweifend in ihren Sitten und kümmerten sich nicht mehr um ihren Besitz oder ihre Arbeit. Sie dachten nicht daran, die Früchte ihres früheren Schweißes, ihrer Ländereien und ihres Viehstandes für die Zukunft zu pflegen und zu vermehren, sondern bemühten sich mit allem Scharfsinn einzig und allein darum, die vorhandenen zu verzehren, als erwarteten sie den Tod an demselben Tage, den sie hatten anbrechen sehen. Daher geschah es denn, daß Ochsen, Esel, Schafe, Ziegen, Schweine, Hühner, ja selbst Hunde, die dem Menschen doch am treuesten sind, von den Häusern, denen sie zugehört, verjagt, nach Gefallen auf den Feldern umherliefen, wo das Getreide verlassen stand und weder geerntet noch geschnitten wurde. Manche unter diesen kehrten, ohne von einem Hirten angetrieben zu werden, als ob sie mit Vernunft begabt gewesen wären, am Abend gesättigt zu ihren Häusern zurück, nachdem sie den Tag über Nahrung gesucht hatten.
Was kann ich Stärkeres sagen, wenn ich mich nun wieder vom Lande zur Stadt zurückwende, als daß die Härte des Himmels und vielleicht auch die der Menschen so groß war, daß man mit Gewißheit glaubt, vom März bis zum nächsten Juli seien, teils von der Gewalt dieser bösartigen Krankheit, teils wegen des Mangels an Hilfe, den manche der Kranken leiden mußten, weil die Gesunden sie aus Furcht vor der Ansteckung in ihrer Not verließen, über hunderttausend Menschen innerhalb der Mauern von Florenz dem Leben entrissen worden, während man vor diesem verheerenden Ereignis der Stadt vielleicht kaum so viele Einwohner zugeschrieben hätte. Ach, wie viele große Paläste, wie viele schöne Häuser und vornehme Wohnungen, die einst voll glänzender Dienerschaft, voll edler Herren und Damen gewesen waren, standen jetzt bis auf den geringsten Stallknecht leer! Wieviel denkwürdige Geschlechter blieben ohne Stammhalter, wie viele umfassende Verlassenschaften und berühmte Reichtümer ohne Erben! Wieviel rüstige Männer, schöne Frauen und blühende Jünglinge, denen, von andern zu schweigen, selbst Galen, Hippokrates und Äskulap das Zeugnis blühender Gesundheit ausgestellt hätten, aßen noch am Morgen mit ihren Verwandten, Gespielen und Freunden, um am Abend des gleichen Tages in einer andern Welt mit ihren Vorfahren das Nachtmahl zu halten!
Es schmerzt mich, so lange bei solch großem Elend zu verweilen. Deshalb will ich nun die Erzählung aller jener Ereignisse auslassen, die ich schicklich übergehen zu können glaube, und sage statt dessen, daß es sich, während unsere Stadt von Bewohnern fast verlassen stand, zutrug (wie ich später von jemand Glaubwürdigem gehört habe), daß sieben junge Damen, die einander sämtlich als Freundinnen, Verwandte oder Nachbarinnen nahestanden, sich an einem Dienstagmorgen in der ehrwürdigen Kirche Santa Maria Novella, die nahezu von niemand besucht war, trafen, nachdem sie in Trauerkleidern, wie sie für eine solche Zeit sich schickten, dem Gottesdienst beigewohnt hatten. Keine von ihnen hatte das achtundzwanzigste Jahr überschritten, keine zählte weniger als achtzehn Lenze. Jede war verständig, jede schön von Gestalt, von reinen Sitten und von anständiger Munterkeit. Ich würde ihre wahren Namen nennen, hielte nicht ein guter Grund mich davon ab. Ich wünsche nämlich nicht, daß eine von ihnen um der Geschichte willen, die sie damals erzählt und angehört und die ich in der Folge mitteilen werde, sich in Zukunft zu schämen habe, was doch geschehen könnte, da heute den Sitten viel engere Grenzen gesetzt sind als damals, wo sie aus den oben erwähnten Gründen nicht nur ihrem, sondern auch viel reiferem Alter zu Belustigungen die größte Freiheit ließen. Ebensowenig möchte ich den Neidischen, die immer bereit sind, löblichen Lebenswandel zu verleumden, Gelegenheit geben, durch üble Nachrede in irgendeiner Hinsicht den guten Ruf dieser ehrenwerten Damen zu schmälern. Um indes ohne Verwirrung unterscheiden zu können, was eine jede von ihnen sprach, gedenke ich ihnen fernerhin Namen beizulegen, die den Eigenschaften einer jeden vollständig oder teilweise entsprechen. Und so wollen wir denn die erste und im Alter am meisten vorgerückte Pampinea nennen, die zweite Fiammetta, Filomena die dritte, die vierte Emilia, Lauretta soll die fünfte heißen, die sechste Neifile, und die letzte mag, nicht ohne Grund, Elisa genannt werden.
Diese sieben waren nun in einer Ecke der Kirche zusammengekommen, wo sie bald das Vaterunserbeten aufgaben, sich fast im Kreis niedersetzten und nach einigen Seufzern untereinander von den schlimmen Zeiten viel und mancherlei zu reden begannen. Nach einer Weile begann Pampinea, als die andern alle schwiegen, also zu reden:
»Liebe Mädchen, ihr werdet so gut wie ich gehört haben, daß es niemand Schande bringt, sich in geziemender Weise seines Rechts zu bedienen. Das natürliche Recht eines jeden, der auf Erden geboren ward, ist es aber, sein Leben, soviel er vermag, zu pflegen, zu erhalten und zu verteidigen. Dies ist auch so anerkannt wahr, daß schon manch einer um des lieben Lebens willen einen anderen ungestraft getötet hat. Erlauben nun die Gesetze, denen es obliegt, darüber zu wachen, daß jeder recht und schlecht leben kann, solche Handlungen, wieviel mehr muß es uns und jedem andern freistehen, alle Mittel, die wir kennen, zur Erhaltung unseres Lebens anzuwenden, ohne daß wir dadurch irgend jemand zu nahe träten. Indem ich unser Betragen an diesem Morgen und an vielen andern vergangenen Tagen aufmerksam betrachte und bedenke, worüber und wie wir uns miteinander zu besprechen pflegen, so fühle ich und bin gewiß, daß ihr es ebenso werdet fühlen können, daß eine jede unter uns für sich selbst bangt.
Auch wundere ich mich darüber keineswegs, wohl aber erstaunt mich, daß wir, die wir alle weiblicher Ängstlichkeit teilhaftig sind, dennoch für unsere wohlbegründete gemeinsame Furcht den Schutz nicht suchen, der uns zu Gebote stände. Wir verweilen meiner Meinung nach hier nicht anders, als wollten oder müßten wir Zeugnis darüber ablegen, wie viele Leichen hier zu Grabe getragen werden, oder ob die, wel che hier im Kloster wohnen und deren Zahl auf nichts zusammengeschmolzen ist, ihre Horen zur gehörigen Zeit singen, oder als dächten wir, durch unsere Trauerkleider jedem, der uns antrifft, anzuzeigen, wie groß und vielfach unser Elend sei.
Verlassen wir aber diesen Ort, so sehen wir entweder Leichen- und Krankenüberführungen, oder wir begegnen denen, die einst um ihrer Verbrechen willen von den Rechtsbehörden aus der Stadt verbannt wurden und nun, gleichsam zum Spott, weil sie die Vollstrecker der Gesetze tot oder krank wissen, mit lästigem Ungestüm durch die Straßen ziehen; oder wir sehen endlich den Abschaum unserer Stadt, von unserem Blute erhitzt, unter dem Namen Pestknechte zu unserm Unglück überall reiten und streifen, wobei sie uns unser Unglück mit schändlichen Liedern vorhalten. Auch hören wir nie etwas anderes als ›die und die sind tot und die und die liegen im Sterben‹, und außerdem würden wir, wenn es noch Leute gäbe, die es täten, nichts als schmerzliches Weinen vernehmen.
Kehren wir endlich in unsere Wohnungen zurück – ich weiß nicht, ob es euch ebenso geht wie mir, aber ich fürchte mich, wenn ich von einer zahlreichen Familie niemand mehr als eine Magd antreffe. Alle Haare sträuben sich mir, und wo ich gehe und stehe, glaube ich die Schatten meiner Verstorbenen zu sehen, und nicht mit den gewohnten Gesichtern, sondern ich erschrecke vor ihrem fürchterlichen, ich weiß nicht wodurch, so sehr entstellten Aussehen. Aus allen diesen Gründen fühle ich mich hier und anderwärts und zu Hause unglücklich, und das um so mehr, als es mir unmöglich scheint, daß jemand, der noch Blut in seinen Adern hat und anderswohin zu gehen imstande ist, außer uns hiergeblieben sei. Und sind wirklich noch einige hier, so habe ich mehrmals vernommen, daß diese, allein und in Gesellschaft, ohne zwischen anständigen und unanständigen Frauen einigen Unterschied zu machen, sobald die Lust sie dazu antreibt, mit einer jeden bei Tage und bei Nacht vornehmen, was ihnen am meisten Vergnügen macht. Und nicht allein die freien Leute, sondern auch die in den Klöstern eingeschlossenen haben unter dem Vorwand, was den andern nicht verwehrt werden könne, müsse auch ihnen freistehen, die Gesetze des Gehorsams über den Haufen geworfen, sich der Fleischeslust ergeben und sind in der Hoffnung, so dem Tode zu entgehen, ausschweifend und schamlos geworden.
Verhält es sich aber so, und daß es sich so verhält, ist offenbar, was tun wir dann hier? Worauf warten, wovon träumen wir? Warum sind wir saumseliger und träger, unsere Gesundheit zu schützen, als alle unsere übrigen Mitbürger? Halten wir uns für geringer als die anderen Frauen oder denken wir, unsere Seele sei mit stärkeren Banden an den Körper geknüpft, als die der übrigen ist, so daß wir uns um nichts zu kümmern brauchten, das unsere Gesundheit zu erschüttern vermöchte? Wir irren, wir betrügen uns; wie töricht sind wir, wenn wir solches wähnen! Sooft wir uns daran erinnern, wie viele und wie kräftige Jünglinge und Mädchen von dieser grausamen Seuche dahingerafft sind, sehen wir den offenbarsten Beweis dafür.
Damit wir nun nicht aus Trägheit oder Sorglosigkeit einem Unglück erliegen, dem wir, wenn wir wollten, auf irgendeine Weise entgehen könnten, dächte ich, wiewohl ich nicht weiß, ob ihr die gleiche Meinung habt, es wäre am besten, wir verließen, so wie wir sind, diese Stadt, wie es viele vor uns getan haben und noch tun. Die bösen Beispiele anderer wie den Tod verabscheuend, könnten wir mit Anstand auf unseren ländlichen Besitzungen verweilen, deren jede von uns eine Menge hat, wo wir uns dann Freude, Lust und Vergnügen verschafften, soviel wir könnten, ohne die Grenzen des Erlaubten irgendwie zu überschreiten. Dort hört man die Vöglein singen, dort sieht man Hügel und Ebenen grünen, dort wogen die Kornfelder nicht anders als das Meer, dort erblickt man wohl tausenderlei Bäume und sieht den Himmel offener, der, wie erzürnt er auch gegen uns ist, seine ewige Schönheit nicht verleugnet, was alles zusammen viel erfreulicher ist als der Anblick der kahlen Mauern unserer Stadt.