Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre
Johann Gottlieb Fichte
Inhalt:
Johann Gottlieb Fichte – Biografie und Bibliografie
Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre
Vorbericht zur zweiten Auflage.
Vorbericht zur ersten Auflage.
Erster Theil. Grundsätze der gesammten Wissenschaftslehre.
§ 1. Erster, schlechthin unbedingter Grundsatz.
§ 2. Zweiter, seinem Gehalte nach bedingter Grundsatz.
§ 3. Dritter, seiner Form nach bedingter Grundsatz.
Zweiter Theil. Grundlage des theoretischen Wissens.
§ 4. Erster Lehrsatz.
Dritter Theil. Grundlage der Wissenschaft des Praktischen.
§ 5. Zweiter Lehrsatz.
§ 6. Dritter Lehrsatz.
§ 7. Vierter Lehrsatz.
§ 8. Fünfter Lehrsatz.
§ 9. Sechster Lehrsatz.
§ 10. Siebenter Lehrsatz.
§ 11. Achter Lehrsatz.
Fußnoten
Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, J. G. Fichte
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849612580
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Geb. 19. Mai 1762 in Rammenau (Oberlausitz) als Sohn eines Bandwirkers. Er besuchte 1774-80 die Schule in Pforta, studierte in Jena, und Leipzig Theologie und gab Privatstunden. 1784-88 war er Hauslehrer in sächsischen Orten, 1788-90 in Zürich, wo er sich mit einer Nichte Klopstocks, Johanna Rahn, verlobte. 1790 gab er in Leipzig einem Studenten Unterricht in der Kantschen Philosophie, die ihn selbst von seinem anhänglichen Determinismus und Spinozismus abbrachte. 1791 ging er (von Warschau, wo er eine Erzieherstelle hätte bekommen sollen) nach Königsberg, wo er sich mit dem Manuskript seiner »Kritik: aller Offenbarung« Kant vorstellte, der ihn sehr wohlwollend, aufnahm und den Druck der Schrift vermittelte, die nach ihrem Erscheinen (1792, anonym) Kant selbst zugeschrieben wurde. Kurze Zeit war F. Hauslehrer beim Grafen von Krokow bei Danzig, dann ging er (1793) wieder nach Zürich, wo er schriftstellerisch tätig war und 1793 heiratete. 1794 wurde er als Professor der Philosophie nach Jena (an Stelle von Reinhold) berufen und hatte dort eine große Hörerschaft. 1798 brachte Forbergs »Philos. Journal« einen Aufsatz Fichtes »Über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung« im Anschluss an Forbergs Abhandlung »Über die Bestimmung des Begriffs der Religion«. Fichte bestimmte hier Gott als die »sittliche Weltordnung« und wurde nun des Atheismus beschuldigt. Er erhielt einen Verweis und wurde – da er erklärt hatte, im Falle eines solchen werde er seinen Abschied nehmen – entlassen. Er ging nun, 1799, nach Berlin, wo er öffentliche Vorlesungen hielt. 1805 erhielt er eine Professur in Erlangen, wo er aber nur ein Sommersemester las. 1806 hielt er Vorlesungen in Königsberg, 1807-8 in Berlin die »Reden an die deutsche Nation«. 1809 wurde er Professor an der neubegründeten Berliner Universität, deren Rektor er 1811 war. Er starb am 27. Januar 1814 an einem Nervenfieber, das er sich bei der Pflege seiner Frau zugezogen hatte. In. Fichtes Natur fehlt alles Weiche, Schmiegsame. Er war ein strenger, oft starrer, starrsinniger, aber höchst lauterer, ehrlicher Charakter, ein Willensmensch, dessen Denken ein Ausdruck seiner nach Aktivität und innerer Freiheit strebenden, die Geistes- und Willenskraft aufs höchste schätzenden Persönlichkeit ist. Er war ferner ein höchst national und patriotisch denkender Mann der unerschrocken seine Ideen verfocht und durch seine aufrüttelnde Energie stark und breit wirkte.
F. ist von Kant ausgegangen und hat dessen Kritizismus zu einem vollen: (»subjektiven« oder besser »ethischen«) Idealismus ausgestaltet, indem er das »Ding an sich« ganz streicht und Inhalt wie Form der Erfahrung aus dem »Ich« (dem allgemeinen, überindividuellen Subjekt) ableitet. Da nach Fichte das Primäre nicht das Sein, sondern das Tun, die Handlung ist, so ist seine Philosophie Aktualismus und Aktivismus; den Primat der »praktischen Vernunft« führt F. konsequent durch.
Die Philosophie ist ein Ausfluss der ganzen Persönlichkeit. »Was für eine Philosophie man wähle..., hängt davon ab, was man für ein Mensch ist.« Auch in dem theoretischen Teile hat sie es mit dem Handeln zu tun, wenn auch mit der rein geistigen, inneren Richtung desselben, mit der aber zugleich die Setzung des Äußeren, des Objekts, der Außenwelt verknüpft ist. Die Philosophie untersucht, was im Geiste an ursprünglichen »Tathandlungen« besteht und in welchem Zusammenhange sich diese entfalten. So ist sie »Erkenntnis, die sich selbst werden sieht, genetische Erkenntnis«, »Erkenntnis der gesamten Erkenntnis«. Sie ist Wissenschaftslehre. Diese ist »eine pragmatische Geschichte des menschlichen Geistes«, die Ableitung alles Seine der Erscheinung aus dem Geiste, die Begründung des Wissens; ihre Aufgabe ist es, »das eine, allgemeine und absolute Wissen in seiner Entstehung zu sehen«. Vermittelst einer Art transzendentaler oder metaphysischer Psychologie wird der allgemeine Inhalt der Erfahrung und die Form derselben aus Vorbewussten Prozessen des Geistes deduziert. So ist die Quelle der philosophischen Erkenntnis die intellektuale Anschauung als »das unmittelbare Bewusstsein, dass ich handle und was ich handle; sie ist das, wodurch ich etwas weiß, weil ich es tue«. Die logische Methode, deren sich F. bedient, ist dialektisch (»synthetisch«); sie besteht in der Aufsuchung des Übereinstimmenden im Entgegengesetzten nach dem Schema: Thesis, Antithesis, Synthesis. Dogmatisch ist nach F. jede Philosophie, welche vom Sein, von Dingen ausgeht, also über das Ich hinausgeht. Die kritische (idealistische) Philosophie hingegen geht vom Ich aus, ist »immanent«, weil sie »alles in das Ich setzt«, alles aus dem Ich (Kants »transzendentaler Apperzeption«) ableitet, die Welt als Produkt geistiger Aktivität begreift.
Der Idealismus muss (wie schon Reinhold betont) alles aus einem einzigen Grundsatz ableiten; er geht nicht von Tatsachen aus, sondern von »Tathandlungen«, von absoluten »Setzungen« des Ichs, welches kein Ding, sondern »absolute Tätigkeit und nichts als Tätigkeit« ist. Dieses Ich ist das allen Einzel-Ichs gemeinsame, ihnen logisch vorangehende, das bewusste, intelligente Ich ebenso wie die Außenwelt erst in sich setzende reine, absolute, aktive, dem empirischen Bewusstsein vorangehende Ich, die »Ichheit«, das »absolute Subjekt«, dessen Sein bloß darin besteht, dass es sich selbst als seiend setzt. »So wie es sich setzt, ist es; und so, wie es ist, setzt es sich, und das loh ist demnach für das Ich schlechthin und notwendig.« Substanz ist das Ich nur als »den ganzen schlechthin bestimmten Umkreis aller Realitäten umfassend«. Es ist das »erste Prinzip aller Bewegung, alles Lebens, aller Tat und Begebenheit«. Als Subjekt hat es das Objekt zum Korrelat, so aber, dass das »Nicht-Ich« selbst schon ein Produkt der absoluten Ich-Tätigkeit ist und als unabhängig vom Ich nur erscheint. Das absolute Ich ist die Identität des Bewußtseienden und Bewussten, die allen gemeinsame Vernunft, die erst in dem Ich als Idee, dem idealen Ich (als Strebensziel) vollkommen realisiert ist.
Der oberste Grundsatz alles menschlichen Wissens soll »diejenige Tathandlung ausdrücken, die... allem Bewusstsein zum Grunde liegt und allein es möglich macht«. Als Thesis nimmt F. den Satz: A ist A (A = A), welcher schlechthin, ohne allen weiteren Grund gewiss ist. Man schreibt sich damit das Vermögen zu, »etwas schlechthin zu setzen«. Gesetzt ist hier aber nicht, dass A sei, sondern: Wenn A ist, so ist B, also ein notwendiger Zusammenhang zwischen A und B. Und zwar wird er im Ich und durch das Ich gesetzt, d.h. es wird gesagt, dass im Ich etwas ist, was sich stets gleich ist, so dass man sagen kann Ich = Ich, Ich bin Ich. In diesem Satze ist das Ich schlechthin gesetzt (nicht, wie A, bedingt), er bedeutet soviel wie: Ich bin. Es ist Erklärungsgrund aller Tatsachen des empirischen Bewusstseins, dass vor allem Setzen im Ich vorher das Ich selbst gesetzt sei. Allem Urteilen liegt das: Ich bin zugrunde. Der reine Charakter des Geistes ist Tätigkeit; das Ich ist das Handelnde und zugleich sein Produkt. »Sich selbst setzen und Sein sind, vom Ich gebraucht, völlig gleich«. Ich bin daher schlechthin, weil ich bin. So ergibt sich, dass nicht der Satz A = A den Satz: Ich bin, sondern dass vielmehr dieser den ersteren begründet, denn dieser ergibt sich durch Abstraktion vom Gehalt des ersteren. Abstrahiert man von der Handlungsart des Geistes, so hat man die Kategorie der Realität. Was durch das Setzen irgend eines Dinges gesetzt ist, ist in ihm Realität, ist sein Wesen. »Alles, was ist, ist nur insofern, als es im Ich gesetzt ist, und außer dem Ich ist nichts.« An der Hand des Satzes vom Widerspruch (Non-A nicht –A) weist F. das »Entgegensetzen« als Tathandlung auf. Das dem Ich Entgegengesetzte ist »Nicht-Ich« (Objekt). Dem Ich wird schlechthin entgegengesetzt ein Nicht-Ich. »Von allem, was dem Ich zukommt, muss kraft der bloßen Gegensetzung dem Nicht-Ich das Gegenteil zukommen«. Die Reflexion auf die Form der Folgerung vom Entgegengesetzten auf das Nicht-Sein ergibt die Kategorie der Negation. Ich und Nicht-Ich sind beide »Produkte ursprünglicher Handlungen des Ich«. Sie schränken sich gegenseitig ein d.h. ihre Realität wird partiell aufgehoben: Ich und Nicht-Ich werden als teilbar gesetzt. Es ergibt sich: »Ich setze im Ich dem teilbaren Ich ein teilbares Nicht-Ich entgegen«. Die Reflexion auf die bloße Form der Vereinigung Entgegengesetzter durch den Begriff der Teilbarkeit ergibt den Satz des Grundes (A zum Teil = Non-A), aus dem die Kategorie der Bestimmung (Begrenzung, Limitation) folgt. Aus dieser Synthesis folgen alle anderen apriorischen Grundsätze und Kategorien. In ihm liegt zweierlei: l. »Das Ich setzt das Nicht-Ich als beschränkt durch das Ich« – die Grundlage der praktischen Wissenschaftslehre; 2. »Das Ich setzt sich selbst als beschränkt durch das Nicht-Ich« – die Grundlage der theoretischen Wissenschaftslehre.
Die Kategorien entstehen (zugleich mit den Objekten) durch die Tathandlungen des Ichs. Aus der Verbindung von Tätigkeit und Leiden im Ich ergibt sich die Wechselbestimmung (bei Kant: Relation). Das Nicht-Ich hat nur Realität, sofern das Ich leidet (d.h. sich selbst beschränkt). Es wird hier dem Nicht-Ich Tätigkeit zugeschrieben, dieses gilt als Ursache und so haben wir die Kategorie der Wirksamkeit (Kausalität). Das Ich als umfassend alle Realitäten ist Substanz, nämlich insofern alle möglichen Handlungsweisen (Seinsweisen) in das Ich gesetzt werden. Das unendliche Ich ist Eins und Alles, da es an sich unendlich ist. »Leiden« ist nur ein geringeres Quantum der ins Unendliche gehenden Ich-Tätigkeit, die sich selbst begrenzt. Das Handeln ist nur dadurch begrenzt, dass es dem Ich ein Nicht-Ich entgegensetzen muss. Das Gesetz des Bewusstseins lautet: »Kein Subjekt, kein Objekt; kein Objekt, kein Subjekt«.
Die (unbewusst) die Anschauungsinhalte und deren Formen setzende Funktion ist die der (produktiven) Einbildungskraft, durch welche das Ich sich begrenzt. »Es kann nichts in den Verstand kommen, außer durch die Einbildungskraft.« Der Wechsel des Ichs, dass es sich endlich und unendlich zugleich setzt, ist das Vermögen der Einbildungskraft, welche zwischen Endlichem und Unendlichem in der Mitte schwebt. Für uns entsteht alle Realität durch die Einbildungskraft. Die Empfindung ist eine Handlung des Ichs, durch welche dieses etwas in sich aufgefundenes Fremdartiges in sich setzt. Die Anschauung ist die Zusammenfassung eines Mannigfaltigen. Sie erfolgt durch einen »Anstoß« auf die Tätigkeit des Ichs, die nach innen getrieben und reflektiert wird, so dass das Angeschaute als Vorstellungsinhalt dem Ich gegenübersteht. Das Angeschaute als solches wird produziert. Das Anschauen ist ein Schweben der Einbildungskraft zwischen widerstreitenden Richtungen und wird erst durch den Verstand (die »durch Vernunft fixierte Einbildungskraft«) fixiert, womit erst Realität gesetzt ist, das Ideale zum Realen wird. Als »gegeben« erscheint das Reale, weil wir uns der Art seiner Produktion nicht bewusst werden. Der »Zwang« des Objektiven ist nur die »Unmöglichkeit der entgegengesetzten Tätigkeit« des Ichs. Als Ursache der Anschauung wird das als denkbar Beurteilte gedacht. Die Anschauungsformen (Raum und Zeit) entstehen zugleich mit dem Anschauungsinhalte und sind ideell wie dieser. Das vorstellende Ich ist Intelligenz; dies ist es aber nur in Beziehung auf das Nicht-Ich, da die Vorstellung nur durch einen »Anstoß« auf die Ich-Tätigkeit möglich ist. Erst die praktische Wissenschaftslehre erklärt diesen Anstoß. Der Grenzpunkt liegt, wohin in die Unendlichkeit ihn das Ich setzt. Das Ich ist endlich, weil es begrenzt sein soll. Es ist die Forderung der praktischen Vernunft, »dass alles mit dem Ich übereinstimmen, alle Realität durch das Ich schlechthin gesetzt sein solle«. Setzen einer Schranke und stete Erweiterung unserer Schranken ist unsere Aufgabe.
Das Ich setzt eine Außenwelt, um praktisch-sittlich wirken zu können. Die Außenwelt ist das »versinnlichte Material unserer Pflicht«. »Objekt und Sphäre meiner Pflicht«. »Weil das Ich sich im Selbstbewusstsein nur praktisch setzen kann, überhaupt aber nichts denn ein Endliches setzen kann, mithin zugleich eine Grenze seiner praktischen Tätigkeit setzen muss, darum muss es eine Welt außer sich setzen«.
Den Übergang zur Ethik bildet die Untersuchung des praktisch sich verhaltenden Ichs. Das Ich setzt sich als tätig und frei, inwiefern es ein Handeln oder Sein aus seinem Begriffe erklärt. Das Geistige im Ich, unmittelbar als Prinzip einer Wirksamkeit angeschaut, ist Wille, dessen Objektivation der Leib ist (vgl. Schopenhauer). Als wollend finde ich mich durch intellektuelle Anschauung. »Tendenz zur Selbsttätigkeit um der Selbsttätigkeit willen« ist das Wesen des Ichs; diese Tendenz ist ein Trieb. Das vernünftige Ich ist frei, autonom. Das Prinzip der Sittlichkeit ist der notwendige Gedanke der Intelligenz, »dass sie ihre Freiheit nach dem Begriffe der Selbständigkeit, schlechthin ohne Ausnahme, bestimmen sollte«. Endzweck alles sittlichen Handelns ist, »dass die Vernunft, und nur sie, in der Sinnenwelt herrsche«. »Alle physische Kraft soll der Vernunft untergeordnet werden.« Sittlichkeit soll in der Gemeinschaft vernünftiger Wesen herrschen. Das Sittliche ist Selbstzweck, da die Natur als solche nichtig und wertlos ist. So ist z.B. der menschliche Leib nur »ein Werkzeug zur Realisierung des Sittengesetzes in der Sinnenwelt«. Das Sittengesetz ist die Darstellung des reinen, absoluten Ich in der Individualität. Kultivierung der Sinnlichkeit ist ein sittliches Ziel. Die Pflicht gebietet unbedingt, ohne jede Rücksicht auf Glückseligkeit u. dgl. Das Leben ist Zweck nur um der Pflicht willen. »Mein empirisches Selbst ist nur Mittel zur Erreichung des Zwecks der Vernunft«; es ist nur ein »Werkzeug des Sittengesetzes«. Objekt des Sittengesetzes ist »die Vernunft überhaupt«.
Das Ganze der vernünftigen Wesen ist die »Darstellung des reinen Ich«. Mein Grundtrieb ist die Übereinstimmung des wirklichen mit dem idealen Ich (Unterscheidung des »reinen« Triebes vom »Naturtrieb«). Das Gewissen ist »das unmittelbare Bewusstsein unserer bestimmten Pflicht«, das »Bewusstsein unserer höheren Natur und absoluten Freiheit«. Die allgemeinste ethische Forderung lautet: »Erfülle jedes Mal deine Bestimmung!« (Forderung des sittlichen Triebes). Oder: »Handle stets nach bester Überzeugung von deiner Pflicht«, oder: »Handle nach deinem Gewissen«. Das ist das Prinzip der Moralität (Gesinnung), das formale Sittengesetz. Das Sittengesetz gebietet, »jedes Ding nach seinem Endzwecke zu behandeln«. Moralität aller vernünftigen Wesen ist Endzweck; wir sollen alle gleich handeln.
In seiner Rechts- und Staatslehre deduziert F. zuerst die Existenz von vernünftigen Individuen außer dem Ich. Ohne die Setzung freier, aktiver, vernünftiger Wesen, welche das Ich zur Selbstbestimmung veranlassen und mit ihm in Wechselwirkung stehen, kann sich das Ich als Vernunftwesen nicht denken. Deduziert wird das Rechtsverhältnis also aus dem Ich, aus der »reinen Form der Vernunft«, unabhängig von der Ethik, d.h. vom guten Willen. Es ist ein Verhältnis gegenseitiger Einschränkung freier Wesen. Das Recht ist Bedingung einer Gemeinschaft solcher Wesen, ist durch die Vernunft gefordert. Es gibt kein besonderes Natur- oder Vernunftrecht, sondern alles Recht ist seiner Idee nach Vernunftrecht. Der Zweck ist der Grund und Maßstab des Rechtes. Das allgemeine Rechtsgesetz lautet: »Ich muss das freie Wesen außer mir in allen Fällen anerkennen als ein solches, d.h. meine Freiheit durch den Begriff der Möglichkeit seiner Freiheit beschränken«. »Urrechte« sind die Ansprüche des Vernunftwesens auf Freiheit seines Leibes als Organs der sittlichen Pflichterfüllung und seines Eigentums. Zur gegenseitigen Sicherheit vereinigen sich die Individuen in einem gemeinsamen Willen und es entsteht der Staatsbürgervertrag. Der Staat ist »das Recht selbst, zu einer zwingenden Naturgewalt geworden«, er ist ein Organ der Vernunftverwirklichung, sein letztes Ziel ist die Sittlichkeit; er geht auf seine eigene Vernichtung aus: »Es ist der Zweck aller Regierung, die Regierung überflüssig zu machen«. Kontrolliert wird der Staat am besten durch »Ephoren«. Im »geschlossenen Handelsstaate«, welcher die Produktion, Güterverteilung, die Preise regelt, nur ein »Landesgeld« duldet, kurz möglichst selbständig ist, hat jeder das Recht auf Arbeit und Existenz, aber auch die Pflicht zur Arbeit (Staatssozialismus).
Damit sind wir bei der Sozial- und Geschichtsphilosophie F.s angelangt. Gesellschaft ist nach ihm die »Beziehung der vernünftigen Wiesen aufeinander«. Der soziale Trieb ist ein Grundtrieb des Menschen, dieser ist bestimmt, in der Gesellschaft zu leben, da er nur in dieser ganz Mensch ist. Das Leben im Staate ist ein Mittel zur »Gründung einer vollkommenen Gesellschaft«. »Wechselwirkung durch Freiheit« ist der Charakter der Gesellschaft. Durch sie entsteht die Vervollkommnung der Gattung; gemeinschaftliche Vervollkommnung ist unser Ziel in der Gesellschaft. Kultur als Gestaltung und Beherrschung äußerer und innerer Verhältnisse durch die Vernunft ist Endzweck des Menschen, dem er sich in der Geschichte immer mehr nähert.
In ihr wirkt die Vernunft erst als Instinkt (Stand der Unschuld), dann ab, Autoritätszwang, es kommt zur Auflehnung gegen diese, bis endlich eine Synthese eintritt, bei der alles frei durch Vernunft organisiert wird, die Menschheit ihr Leben aktiv-bewusst, rationell-sittlich gestaltet. Endphase ist der Stand der »vollendeten Rechtfertigung und Heiligung«. Eine besondere Aufgabe hat in der Gesellschaft der Gelehrte, er ist der Vertreter der Vernunft, er widmet sein Leben der Idee. – Ideen zu einer National- und Sozialpädagogik führt F., unter dem Einfluss von Pestalozzi, in den »Reden an die deutsche Nation« aus. Nur durch innere Umwandlung kann das deutsche Volk wieder sich erheben, auf die Jugend muss man einwirken. Die Erziehung ist (wie nach Plato) eine Sache des Staates, der darauf zu sehen hat, dass die Jugend in geeigneten Anstalten sittlich und national erzogen wird. Eine »deutsche Nationalerziehung« tut not. Wichtig ist vor allem die Erziehung zu einem festen, nicht schwankenden Willen; denn der Wille ist die »Grundwurzel des Menschen selbst«. Die Liebe zum Guten als solchen muss zur Entfaltung gelangen. Die eigene Tätigkeit des Zöglings anzuregen, ist notwendig. Für die Förderung des Vernunftzwecks ist auch ästhetische Bildung höchst wirksam.
Auf dem Gebiete der Religionsphilosophie erklärt F. in der »Kritik aller Offenbarung« die Offenbarung als Erziehungsmittel für möglich. Sollen Wesen, deren Natur gegen das Sittengesetz teilweise widerstreitet, die Sittlichkeit nicht ganz verlieren, so musste diese durch Offenbarung gefördert werden. In der Schrift, die ihm den Vorwurf des Atheismus zuzog (»Über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltordnung«) bezeichnet F. Gott als die lebendige, aktive »moralische Weltordnung« (als »ordo ordinans«). Es bedarf keines ändern Gottes; Gott ist kein Ding, keine besondere Substanz. In der »Appellationsschrift« erklärt er, keineswegs Atheist zu sein; seine Gegner, welche nur ihre Wünsche personifizieren, für die also Gott nur »Geber des Genusses« sei, seien die eigentlichen Atheisten, religionslos. Später identifiziert er Gott mit dem unendlichen, absoluten Welt-Ich, der die Welt setzenden absoluten Vernunft, die reine Tätigkeit ist. Dann, in der Abhandlung »Über das Wesen des Gelehrten«, fasst er Gott als ein unendliches »Leben« auf, dessen Erscheinung die Welt ist. Das Sein ist »lebendig und in sich tätig«. Das Leben aus und durch sich ist »das Leben Gottes oder des Absoluten«. Dieses ist an und für sich »rein in sich selber verborgen«, es ist alles Sein, ist ohne Veränderung. Seine Äußerung, Darstellung, äußerliche Existenz ist die Welt. »Das göttliche Leben an sich ist eine durchaus in sich geschlossene Einheit, ohne alle Veränderlichkeit oder Wandel... In der Darstellung wird dasselbe... ein ins Unendliche sich fortentwickelndes und immer höher steigendes Leben in einem Zeitflusse, der kein Ende hat«. Die immer wieder zu überwindende Schranke des Lebens ist die Natur, ein totes, starres, in sich beschlossenes Dasein. Aus dem göttlichen Leben fließt das »Zeitleben«. Wo die göttliche Idee rein und ohne Beimischung des natürlichen Antriebes ein Leben gewinnt, da baut sie neue Welten auf (vgl. Eucken). Erst in der Erscheinung zerfällt das eine Leben in Individuen. Die Idee selbst verschafft sich im Menschen ein selbständiges und persönliches Leben und gestaltet vermöge desselben die Welt nach sich. Dieses Leben der Idee stellt sich dar als Liebe, als Liebe zur Idee. Die Schrift »Anweisung zum seligen Leben« führt aus, wie das göttliche Leben im gottergebenen Menschen rein zur Äußerung gelangt, wie die Seligkeit in der Liebe besteht.
Unter dem Einflüsse Schellings hat F. später (von 1811 an) seine Lehre dahin modifiziert, dass er das göttliche Sein dem Wissen voranstellt. Das Sein ist, »Insichsein«, unveränderliches »Beruhen auf sich selbst, Absolutheit«. Alles ist Bild, Erscheinung des einen Seienden, Gottes. Das Wissen ist das Sehen des Seins durch ein Bild, die Erscheinung des Seins, die sich als Bild erfaßt und so in der Form des Ichs auftritt, für die es erst Dinge gibt.
Anhänger Fichtes sind Forberg, Niethammer, J. B. Schad, Mehmel u. a.; weitergebildet wurde seine Lehre durch Schelling und Hegel. Von den »Neukantianern« sind stark von Fichte beeinflußt Windelband, Rickert u. a. (»Neufichteaner«), aber auch Cohen, Natorp u. a. Ferner Wundt, Lipps u. a., besonders Eucken, J. Bergmann, Schellwien, F. Medicus, Münsterberg, teilweise I. H. Fichte, Fortlage, Harms u. a.
SCHRIFTEN: Aphorismen über Religion und Deismus, 1790. – Versuch einer Kritik aller Offenbarung, 1792; auch in d. Philos. Bibl., 1872. – Zurückforderung der Denkfreiheit von den Fürsten Europas, 1793. – Beiträge zur Berichtigung der Urteile d. Publikums über d. französ. Revolution, 2. A. 1795. – Über den Begriff der Wissenschaftslehre, 1794. – Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, 1794; 2. A. 1802 (Hauptwerk). – Über die Bestimmung des Gelehrten, 1794; auch in der Univ.-Bibl. – Grundriß des Eigentümlichen der Wissenschaftslehre, 1795. – Grundlage des Naturrechts, 1796. – Erste Einleit. in d. Wissenschaftslehre usw. Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre, 1797. – System der Sittenlehre, 1798. – Über d. Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltordnung, 1798. – Appellation an das Publikum gegen die Anklage des Atheismus, 1799. – Die Bestimmung des Menschen, 1800; auch in der Univ.-Bibl. – Der geschlossene Handelsstaat; 1800; auch in der Univ.-Bibl. – Darstellung der Wissenschaftslehre, 1801. – Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, 1806. – Anweisung zum seligen Leben, 1806. – Über das Wesen des Gelehrten 1806. – Reden an die deutsche Nation, 1808; auch in der Univ.-Bibl. – Die Tatsachen des Bewusstseins, 1810. – Staatslehre, 1813; erschienen 1820, u. a. – Sämtliche Werke, hrsg. von I. H, Fichte, 8 Bde., 1845-46. – Nachgelassene Schriften, 3 Bde., 1834. – Briefe, hrsg. von Weinhold, 1862. – J. G. F.s Leben und literar. Briefwechsel, hrsg. von I. H. Fichte, 1830; 2. A. 1862. – Werke in Auswahl, hrsg. von F. Medicus. – Vgl. J. H. LÖWE, Die Philosophie F.s, 1862. – K. FISCHER, Gesch. d. neueren Philos. VI. – W. KABITZ. Studien zur Entwicklungsgesch. d. Fichteschen Wissenschaftslehre, 1901. – E. LASK, F.s Idealismus u. d. Geschichte, 1902. – X. LÉON, La philosophie de Fichte, 1902. – MEDICUS, F., 1905.
Während der Ausarbeitung einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre hat es sich dem Urheber dieser Wissenschaft abermals deutlich ergeben, dass die gegenwärtige erste Darstellung vorläufig noch durch keine neue völlig überflüssig und entbehrlich gemacht werden könne. Noch scheint der grössere Theil des philosophirenden Publicums für die neue Ansicht nicht so vorbereitet, dass es ihm nicht nützlich seyn sollte, denselben Inhalt in zwei sehr verschiedenen Formen zu finden, und als denselben wieder zu erkennen; ferner ist in der gegenwärtigen Darstellung ein Gang gehalten, auf welchen die in der neuen Darstellung zu beobachtende, mehr auf Fasslichkeit berechnete Methode zurückzuführen, bis zu der einstigen Erscheinung einer streng scientifischen Darstellung immer sehr gut seyn wird; endlich sind in ihr mehrere Hauptpuncte mit einer Ausführlichkeit und einer Klarheit vorgestellt, welche je zu übertreffen der Verfasser keine Hoffnung hat. Er wird auf mehrere Stücke dieser Art in der neuen Darstellung sich beziehen müssen.
Dieser Gründe halber haben wir einen neuen unveränderten Abdruck dieser ersten Darstellung, welche sich vergriffen hatte, besorgt.
Die neue Darstellung wird im künftigen Jahre erscheinen. Berlin im Augustmonat 1801.
Fichte.
Ich würde vor diesem Buche, das nicht eigentlich für das Publicum bestimmt war, demselben nichts zu sagen gehabt haben, wenn es nicht, sogar ungeendigt, auf die indiscreteste Weise vor einen Theil desselben wäre gezogen worden. Ueber Dinge der Art vor der Hand nur soviel! -
Ich glaubte, und glaube noch, den Weg entdeckt zu haben, auf welchem die Philosophie sich zum Range einer evidenten Wissenschaft erheben muss. Ich kündigte dies1 bescheiden an, legte dar, wie ich nach dieser Idee gearbeitet haben würde, wie ich nun nach veränderter Lage nach ihr arbeiten müsste, und fing an den Plan ins Werk zu setzen. Dies war natürlich. Es war aber ebenso natürlich, dass andere Kenner und Bearbeiter der Wissenschaft meine Idee untersuchten, prüften, beurtheilten, dass sie, sie mochten nun innere oder äussere Gründe haben, sich den Weg nicht gefallen zu lassen, den ich die Wissenschaft führen wollte, mich zu widerlegen suchten. Aber wozu es dienen sollte, das, was ich behauptet, geradezu ohne alle Prüfung zu verwerfen, höchstens sich die Mühe zu nehmen, es zu verdrehen, jede Gelegenheit herbeizuziehen, um es auf die leidenschaftlichste Weise zu schmähen und zu verschreien, lässt sich nicht einsehen. Was mag doch jene Beurtheiler so ganz aus ihrer Fassung gebracht haben, Sollte ich von Nachbeterei und Seichtigkeit mit Achtung sprechen, da ich dieselben doch gar nicht achte? Was hätte dazu mich verbinden sollen? - besonders, da ich mehr zu thun hatte, und vor mir jeder Stümper ruhig seinen Weg hätte gehen mögen, wenn er mich nicht nöthigte, durch Aufdeckung seiner Stümperei mir selbst Platz zu machen.
Oder hat ihr feindseliges Benehmen noch einen anderen Grund? - Für ehrliche Leute sey folgendes gesagt, für welche allein es einen Sinn hat. - Was auch meine Lehre sey, ob ächte Philosophie, oder Schwärmerei und Unsinn, so verschlägt dies meiner Person nichts, wenn ich redlich geforscht habe. Ich würde durch das Glück, die erstere entdeckt zu haben, meinen persönlichen Werth so wenig gehoben, als durch das Unglück, neue Irrthümer auf die Irrthümer aller Zeiten aufgebaut zu haben, denselben erniedrigt glauben. An meine Person denke ich überall nicht; aber für die Wahrheit bin ich entflammt, und was ich für wahr halte, das werde ich immer so stark und so entscheidend sagen, als ich es vermag.
Im gegenwärtigen Buche, wenn man die Schrift: Grundriss des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre in Rücksicht auf das theoretische Vermögen mit dazu nimmt, glaube ich mein System so weit verfolgt zu haben, dass jeder Kenner sowohl den Grund und Umfang desselben, als auch die Art, wie auf jenen weiter aufgebaut werden muss, vollständig übersehen könne. Meine Lage erlaubt mir nicht, ein bestimmtes Versprechen abzulegen, wann und wie ich die Bearbeitung desselben fortsetzen werde.
Die Darstellung erkläre ich selbst für höchst unvollkommen und mangelhaft, theils weil sie für meine Zuhörer, wo ich durch den mündlichen Vortrag nachhelfen konnte, in einzelnen Bogen, so wie ich für meine Vorlesungen eines bedurfte, erscheinen musste; theils weil ich eine feste Terminologie - das bequemste Mittel für Buchstäbler, jedes System seines Geistes zu berauben, und es in ein trockenes Geripp zu verwandeln - so viel möglich zu vermeiden suchte. Ich werde dieser Maxime auch bei künftigen Bearbeitungen des Systems, bis zur endlichen vollendeten Darstellung desselben, treu bleiben. Ich will jetzt noch gar nicht zubauen, sondern möchte nur das Publicum veranlassen, mit mir den künftigen Bau zu überschlagen. Man wird aus dem Zusammenhange erklären, und sich erst eine Uebersicht des Ganzen verschaffen müssen, ehe man sich einen einzelnen Satz scharf bestimmt; eine Methode, die freilich den guten Willen voraussetzt, dem Systeme Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, nicht die Absicht, nur Fehler an ihm zu finden.
Ich habe viele Klagen über die Dunkelheit und Unverständlichkeit des bis jetzt auswärts bekannten Theils dieses Buchs, wie auch der Schrift: Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre, gehört.
Gehen die die letztere Schrift betreffenden Klagen insbesondere auf § 8. derselben, so kann ich allerdings Unrecht gehabt haben, dass ich die bei mir durch das ganze System bestimmten Grundsätze desselben hingab, ohne das System; und mir von den Lesern und Beurtheilern die Geduld versprach, alles so unbestimmt zu lassen, als ich es gelassen hatte. Gehen sie auf die ganze Schrift, so bekenne ich im voraus, dass ich im Fache der Speculation für diejenigen nie etwas verständliches werde schreiben können, denen sie unverständlich war. Ist jene Schrift die Grenze ihres Verstehens, so ist sie die Grenze meiner Verständlichkeit; unsere Geister sind durch diese Grenze von einander geschieden, und ich ersuche sie mit dem Lesen meiner Schriften nicht die Zeit zu verderben. - Habe dieses Nichtverstehen einen Grund, welchen es wolle, es liegt in der Wissenschaftslehre selbst ein Grund, warum sie gewissen Lesern immer unverständlich bleiben muss: der, dass sie das Vermögen der Freiheit der inneren Anschauung voraussetzt. - Dann verlangt jeder philosophische Schriftsteller mit Recht, dass der Leser den Faden des Raisonnements festhalte, und nichts vorhergegangenes vergessen habe, wenn er bei dem folgenden steht. Etwas, das unter diesen Bedingungen nicht verstanden werden könnte, und nicht nothwendig richtig verstanden werden müsste in diesen Schriften - ist mir wenigstens nicht bekannt; und ich glaube allerdings, dass der Verfasser eines Buchs selbst bei Beantwortung dieser Frage eine Stimme habe. Was vollkommen klar gedacht worden ist, ist verständlich; und ich bin mir bewusst, alles vollkommen klar gedacht zu haben, so dass ich jede Behauptung zu jedem beliebigen Grade der Klarheit erheben wollte, wenn mir Zeit und Raum genug gegeben ist.
Besonders halte ich für nöthig zu erinnern, dass ich nicht alles sagen, sondern meinem Leser auch etwas zum Denken überlassen wollte. Es sind mehrere Misverständnisse, die ich sicher voraussehe, und denen ich mit ein paar Worten hätte abhelfen können. Ich habe auch diese paar Worte nicht gesagt, weil ich das Selbstdenken unterstützen möchte. Die Wissenschaftslehre soll sich überhaupt nicht aufdringen, sondern sie soll Bedürfniss seyn, wie sie es ihrem Verfasser war.
Die künftigen Beurtheiler dieser Schrift ersuche ich auf das Ganze einzugehen, und jeden einzelnen Gedanken aus dem Gesichtspuncte des Ganzen anzusehen. Der Hallische Recensent äussert seine Vermuthung, dass ich bloss einen Scherz habe treiben wollen; die anderen Beurtheiler der Schrift: Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre, scheinen dies gleichfalls geglaubt zu haben; so leicht gehen sie über die Sache hin, und so spasshaft sind ihre Erinnerungen, als ob sie Scherz durch Scherz zu erwiedern hätten.
Ich kann zu Folge der Erfahrung, dass ich beim dreimaligen Durcharbeiten dieses Systems meine Gedanken über einzelne Sätze desselben jedesmal anders modificirt gefunden, erwarten, dass sie bei fortgesetztem Nachdenken sich immer weiter verändern und bilden werden. Ich werde selbst am sorgfältigsten daran arbeiten, und jede brauchbare Erinnerung; von anderen wird mir willkommen seyn. - Ferner, so innig ich überzeugt bin, dass die Grundsätze, auf welchen dieses ganze System ruht, unumstösslich sind, und so stark ich auch hier und da diese Ueberzeugung mit meinem vollen Rechte geäussert habe, so wäre es doch eine mir bis jetzt freilich undenkbare Möglichkeit, dass sie dennoch umgestossen würden. Auch das würde mir willkommen seyn, weil die Wahrheit dadurch gewinnen würde. Man lasse sich nur ein auf dieselben, und versuche es, sie umzustossen.
Was mein System eigentlich sey, und unter welche Klasse man es bringen könne, ob ächter durchgeführter Kriticismus, wie ich glaube, oder wie man es sonst nennen wolle, thut nichts zur Sache. Ich zweifle nicht, dass man ihm mancherlei Namen finden, und es mehrerer einander gerade zuwider laufenden Ketzereien beschuldigen werde. Dies mag man; nur verweise man mich nicht an alte Widerlegungen, sondern widerlege selbst. Jena zur Ostermesse 1796.
Wir haben den absolut-ersten, schlechthin unbedingten Grundsatz alles menschlichen Wissens aufzusuchen. Beweisen oder bestimmen lässt er sich nicht, wenn er absolut-erster Grundsatz seyn soll.
Er soll diejenige Thathandlung ausdrücken, welche unter den empirischen Bestimmungen unseres Bewusstseyns nicht vorkommt, noch vorkommen kann, sondern vielmehr allem Bewusstseyn zum Grunde liegt, und allein es möglich macht2. Bei Darstellung dieser Thathandlung ist weniger zu befürchten, dass man sich in etwa dabei dasjenige nicht denken werde, was man sich zu denken hat - dafür ist durch die Natur unseres Geistes schon gesorgt - als dass man sich dabei denken werde, was man nicht zu denken hat. Dies macht eine Reflexion über dasjenige, was man etwa zunächst dafür halten könnte, und eine Abstraction von allem, was nicht wirklich dazu gehört, nothwendig.
Selbst vermittelst dieser abstrahirenden Reflexion nicht - kann Thatsache des Bewusstseyns werden, was an sich keine ist; aber es wird durch sie erkannt, dass man jene Thathandlung, als Grundlage alles Bewusstseyns, nothwendig denken müsse.
Die Gesetze3, nach denen man jene Thathandlung sich als Grundlage des menschlichen Wissens schlechterdings denken muss, oder - welches das gleiche ist - die Regeln, nach welchen jene Reflexion angestellt wird, sind noch nicht als gültig erwiesen, sondern sie werden stillschweigend, als bekannt und ausgemacht, vorausgesetzt. Erst tiefer unten werden sie von dem Grundsatze, dessen Aufstellung bloss unter Bedingung ihrer Richtigkeit richtig ist, abgeleitet. Dies ist ein Cirkel; aber es ist ein unvermeidlicher Cirkel. (S. über den Begriff der Wissenschaftslehre § 7) Da er nun unvermeidlich, und frei zugestanden ist, so darf man auch bei Aufstellung des höchsten Grundsatzes auf alle Gesetze der allgemeinen Logik sich berufen.
Wir müssen auf dem Wege der anzustellenden Reflexion von irgend einem Satze ausgehen, den uns Jeder ohne Widerrede zugiebt. Dergleichen Sätze dürfte es wohl auch mehrere geben. Die Reflexion ist frei; und es kommt nicht darauf an, von welchem Puncte sie ausgeht. Wir wählen denjenigen, von welchem aus der Weg zu unserem Ziele am kürzesten ist.
So wie dieser Satz zugestanden wird, muss zugleich dasjenige, was wir der ganzen Wissenschaftslehre zum Grunde legen wollen, als Thathandlung zugestanden seyn: und es muss aus der Reflexion sich ergeben, dass es als solche, zugleich mit jenem Satze, zugestanden sey. - Irgend eine Thatsache des empirischen Bewusstseyns wird aufgestellt; und es wird eine empirische Bestimmung nach der anderen von ihr abgesondert, so lange bis dasjenige, was sich schlechthin selbst nicht wegdenken und wovon sich weiter nichts absondern lässt, rein zurückbleibt.
1) Den Satz: A ist A (soviel als A = A, denn das ist die Bedeutung der logischen Copula) giebt Jeder zu; und zwar ohne sich im geringsten darüber zu bedenken: man erkennt ihn für völlig gewiss und ausgemacht an.
Wenn aber Jemand einen Beweis desselben fordern sollte, so würde man sich auf einen solchen Beweis gar nicht einlassen, sondern behaupten, jener Satz sey schlechthin, d. i. ohne allen weiteren Grund, gewiss: und indem man dieses, ohne Zweifel mit allgemeiner Beistimmung, thut, schreibt man sich das Vermögen zu, etwas schlechthin zu setzen.
2) Man setzt durch die Behauptung, dass obiger Satz an sich gewiss sey, nicht, dass A sey. Der Satz: A ist A ist gar nicht gleichgeltend dem: A ist, oder: es ist ein A. (Seyn, ohne Prädicat gesetzt, drückt etwas ganz anderes aus, als seyn mit einem Prädicate; worüber weiter unten.) Man nehme an, A bedeute einen in zwei gerade Linien eingeschlossenen Raum, so bleibt jener Satz immer richtig; obgleich der Satz: A ist, offenbar falsch wäre. Sondern man setzt: wenn A sey, so sey A. Mithin ist davon, ob überhaupt A sey oder nicht, gar nicht die Frage. Es ist nicht die Frage vom Gehalte des Satzes, sondern bloss von seiner Form; nicht von dem, wovon man etwas weiss, sondern von dem, was man weiss, von irgend einem Gegenstande, welcher es auch seyn möge.
Mithin wird durch die Behauptung, dass der obige Satz schlechthin gewiss sey, das festgesetzt, dass zwischen jenem Wenn und diesem So ein nothwendiger Zusammenhang sey; und der nothwendige Zusammenhang zwischen beiden ist es, der schlechthin, und ohne allen Grund gesetzt wird. Ich nenne diesen nothwendigen Zusammenhang vorläufig = X.
3) In Rücksicht auf A selbst aber, ob es sey oder nicht, ist dadurch noch nichts gesetzt. Es entsteht also die Frage: unter welcher Bedingung ist denn A?
a. X wenigstens ist im Ich, und durch das Ich gesetzt - denn das Ich ist es, welches im obigen Satze urtheilt, und zwar nach X als einem Gesetze urtheilt; welches mithin dem Ich gegeben, und da es schlechthin und ohne allen weiteren Grund aufgestellt wird, dem Ich durch das Ich selbst gegeben seyn muss.
b. Ob, und wie A überhaupt gesetzt sey, wissen wir nicht; aber da X einen Zusammenhang zwischen einem unbekannten Setzen des A, und einem unter der Bedingung jenes Setzens absoluten Setzen desselben A bezeichnen soll, so ist, wenigstens insofern jener Zusammenhang gesetzt wird, A in dem Ich, und durch das Ich gesetzt, so wie X; X ist nur in Beziehung auf ein A möglich; nun ist X im Ich wirklich gesetzt: mithin muss auch A im Ich gesetzt sein, insofern X darauf bezogen wird.
c. X bezieht sich auf dasjenige A, welches im obigen Satze die logische Stelle des Subjects einnimmt, ebenso wie auf dasjenige, welches für das des Prädicats steht; denn beide werden durch X vereinigt. Beide also sind, insofern sie gesetzt sind, im Ich gesetzt; und das im Prädicate wird, unter der Bedingung, dass das im Subjecte gesetzt sey, schlechthin gesetzt; und der obige Satz lässt demnach sich auch so ausdrücken: Wenn A im Ich gesetzt ist, so ist es gesetzt; oder - so ist es.
4) Es wird demnach durch das Ich vermittelst X gesetzt: A sey für das urtheilende Ich schlechthin und lediglich kraft seines Gesetztseyns im Ich überhaupt; das heisst: es wird gesetzt, dass im Ich - es sey nun insbesondere setzend, oder urtheilend, oder was es auch sey - etwas sey, das sich stets gleich, stets Ein und ebendasselbe seyn; und das schlechthin gesetzte X lässt sich auch so ausdrücken: Ich = Ich; Ich bin Ich.
5) Durch diese Operation sind wir schon unvermerkt zu dem Satze: Ich bin (zwar nicht als Ausdruck einer Thathandlung, aber doch einer Thatsache) angekommen. Denn X ist schlechthin gesetzt; das ist Thatsache des empirischen Bewusstseyns. Nun ist X gleich dem Satze: Ich bin Ich; mithin ist auch dieser schlechthin gesetzt.
Aber der Satz: Ich bin Ich, hat eine ganz andere Bedeutung als der Satz: A ist A. - Nemlich der letztere hat nur unter einer gewissen Bedingung einen Gehalt. Wenn A gesetzt ist, so ist es freilich als A, mit dem Prädicate A gesetzt. Es ist aber durch jenen Satz noch gar nicht ausgemacht, ob es überhaupt gesetzt, mithin, ob es mit irgend einem Prädicate gesetzt sey. Der Satz: Ich bin Ich, aber gilt unbedingt und schlechthin, denn er ist gleich dem Satze X; er gilt nicht nur der Form, er gilt auch seinem Gehalte nach. In ihm ist das Ich, nicht unter Bedingung, sondern schlechthin, mit dem Prädicate der Gleichheit mit sich selbst gesetzt; es ist also gesetzt; und der Satz lässt sich auch ausdrücken: Ich bin.
Dieser Satz: Ich bin, ist bis jetzt nur auf eine Thatsache gegründet, und hat keine andere Gültigkeit, als die einer Thatsache. Soll der Satz: A - A (oder bestimmter, dasjenige was in ihm schlechthin gesetzt ist = X) gewiss seyn, so muss auch der Satz: Ich bin, gewiss seyn. Nun ist es Thatsache des empirischen Bewusstseyns, dass wir genöthigt sind, X für schlechthin gewiss zu halten; mithin auch den Satz: Ich bin - auf welchen X sich gründet. Es ist demnach Erklärungsgrund aller Thatsachen des empirischen Bewusstseyns, dass vor allem Setzen im Ich vorher das Ich selbst gesetzt sey. - (Aller Thatsachen, sage ich: und das hängt vom Beweise des Satzes ab, dass X die höchste Thatsache des empirischen Bewusstseyns sey, die allen zum Grunde liege, und in allen enthalten sey: welcher wohl ohne allen Beweis zugegeben werden dürfte, ohnerachtet die ganze Wissenschaftslehre sich damit beschäftiget, ihn zu erweisen.)
6) Wir gehen auf den Punct zurück, von welchem wir ausgingen.
a. Durch den Satz A = A wird geurtheilt. Alles Urtheilen aber ist laut des empirischen Bewusstseyns ein Handeln des menschlichen Geistes; denn es hat alle Bedingungen der Handlung im empirischen Selbstbewusstseyn, welche zum Behuf der Reflexion, als bekannt und ausgemacht, vorausgesetzt werden müssen.
b. Diesem Handeln nun liegt etwas auf nichts höheres gegründetes, nemlich X = Ich bin, zum Grunde.
c. Demnach ist das schlechthin gesetzte, und auf sich selbst gegründete - Grund eines gewissen (durch die ganze Wissenschaftslehre wird sich ergeben, alles) Handelns des menschlichen Geistes, mithin sein reiner Charakter; der reine Charakter der Thätigkeit an sich abgesehen von den besonderen empirischen Bedingungen derselben.
Also das Setzen des Ich durch sich selbst ist die reine Thätigkeit desselben. - Das Ich setzt sich selbst, und es ist, vermöge dieses blossen Setzens durch sich selbst; und umgekehrt: das Ich ist, und es setzt sein Seyn, vermöge seines blossen Seyns. - Es ist zugleich das Handelnde, und das Product der Handlung; das Thätige, und das, was durch die Thätigkeit hervorgebracht wird; Handlung und That sind Eins und ebendasselbe; und daher ist das: Ich bin, Ausdruck einer Thathandlung; aber auch der einzig-möglichen, wie sich aus der ganzen Wissenschaftslehre ergeben muss.
7) Wir betrachten jetzt noch einmal den Satz: Ich bin Ich.
a. Das Ich ist schlechthin gesetzt. Man nehme an, dass das im obigen Satze in der Stelle des formalen Subjects4 stehende Ich das schlechthin gesetzte; das in der Stelle des Prädicats aber das seyende bedeute; so wird durch das schlechthin gültige Urtheil, dass beide völlig Eins seyen, ausgesagt, oder schlechthin gesetzt; das Ich sey, weil es sich gesetzt habe.
b. Das Ich in der ersteren, und das in der zweiten Bedeutung sollen sich schlechthin gleich seyn. Man kann demnach den obigen Satz auch umkehren und sagen: das Ich setzt sich selbst, schlechthin weil es ist. Es setzt sich durch sein blosses Seyn, und ist durch sein blosses Gesetztseyn.
Und dies macht es denn völlig klar, in welchem Sinne wir hier das Wort Ich brauchen, und führt uns auf eine bestimmte Erklärung des Ich, als absoluten Subjects. Dasjenige, dessen Seyn (Wesen) bloss darin besteht, dass es sich selbst als seyend setzt, ist das Ich, als absolutes Subject. So wie es sich setzt, ist es; und so wie es ist, setzt es sich; und das Ich ist demnach für das Ich schlechthin und nothwendig. Was für sich selbst nicht ist, ist kein Ich.
(Zur Erläuterung! Man hört wohl die Frage aufwerfen: was war ich wohl, ehe ich zum Selbstbewusstseyn kam? Die natürliche Antwort darauf ist: ich war gar nicht; denn ich war nicht Ich. Das Ich ist nur insofern, inwiefern es sich seiner bewusst ist. - Die Möglichkeit jener Frage gründet sich auf eine Verwirrung zwischen dem Ich als Subject; und dem Ich als Object der Reflexion des absoluten Subjects, und ist an sich völlig unstatthaft. Das Ich stellt sich selbst vor, nimmt insofern sich selbst in die Form der Vorstellung auf und ist erst nun Etwas, ein Object; das Bewusstseyn bekommt in dieser Form ein Substrat, welches ist, auch ohne wirkliches Bewusstseyn, und noch dazu körperlich gedacht wird. Man denkt sich einen solchen Zustand, und fragt: Was war damals das Ich; d.h. was ist das Substrat des Bewusstseyns. Aber auch dann denkt man unvermerkt das absolute Subject , als jenes Substrat anschauend, mit hinzu; man denkt also unvermerkt gerade dasjenige hinzu, wovon man abstrahirt zu haben vorgab; und widerspricht sich selbst. Man kann gar nichts denken, ohne sein Ich, als sich seiner selbst bewusst, mit hinzu zu denken; man kann von seinem Selbstbewusstseyn nie abstrahiren: mithin sind alle Fragen von der obigen Art nicht zu beantworten; denn sie sind, wenn man sich selbst wohl versteht, nicht aufzuwerfen).
8) Ist das Ich nur, insofern es sich setzt, sonst es auch nur für das setzende, und setzt nur für das seyende. - Das Ich ist für das Ich, - setzt es aber sich selbst, schlechthin, so wie es ist, so setzt es sich nothwendig und ist nothwendig für das Ich. Ich bin nur für Mich; aber für Mich bin ich nothwendig, (indem ich sage für Mich, setze ich schon mein Seyn).
9) Sich selbst setzen und Seyn sind, vom Ich gebraucht, völlig gleich. Der Satz: Ich bin, weil ich mich selbst gesetzt habe, kann demnach auch so ausgedrückt werden: Ich bin schlechthin, weil ich bin.
Ferner, das sich setzende Ich, und das seyende Ich sind völlig gleich, Ein und ebendasselbe. Das Ich ist dasjenige, als was es sich setzt; und es setzt sich als dasjenige, was es ist. Also: Ich bin schlechthin, was ich bin.
10) Der unmittelbare Ausdruck der jetzt entwickelten Thathandlung wäre folgende Formel: Ich bin schlechthin, d. i. ich bin schlechthin, weil ich bin; und bin schlechthin, was ich bin; beides für das Ich.
Denkt man sich die Erzählung von dieser Thathandlung an die Spitze einer Wissenschaftslehre, so müsste sie etwa folgendermaassen ausgedrückt werden: Das Ich setzt ursprünglich schlechthin sein eigenes Seyn.5
Wir sind von dem Satze A=A ausgegangen; nicht, als ob der Satz: Ich bin, sich aus ihm erweisen liesse, sondern weil wir von irgend einem, im empirischen Bewusstseyn gegebenen gewissen, ausgehen mussten. Aber selbst in unserer Erörterung hat sich erheben, dass nicht der Satz: A=A den Satz Ich bin, sondern dass vielmehr der letztere den ersteren begründe.
Wird im Satze Ich bin von dem bestimmten Gehalte, dem Ich, abstrahirt, und die blosse Form, welche mit jenem Gehalte gegeben ist, die Form der Folgerung vom Gesetztseyn auf das Seyn, übrig gelassen; wie es zum Behuf der Logik (S. Begriff d. W. L. § 6.) geschehen muss; so erhält man als Grundsatz der Logik den Satz A=A, der nur durch die Wissenschaftslehre erwiesen und bestimmt werden kann. ErwiesenbestimmtDing