Über Fred Vargas

Fred Vargas, geb. 1957 und von Haus aus Archäologin. Sie ist heute die bedeutendste französische Kriminalautorin und eine Schriftstellerin von Weltrang. 2004 erhielt sie für »Fliehe weit und schnell« den Deutschen Krimipreis, 2012 den Europäischen Krimipreis für ihr Gesamtwerk.

Ihre Werke sind in über 40 Sprachen übersetzt und liegen sämtlich bei Aufbau in Übersetzung vor.

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Die charmanteste Art, die Welt zu sehen

Ironisch, todernst und köstlich amüsant – dieses geistreiche kleine Werk über die Tücken des Lebens und der Liebe und noch einige andere unvermeidliche Verführungen unseres Daseins, über Gott und die Männer und die Regenwürmer – das ist höchster Lesegenuß aus der Feder der großen französischen Krimiautorin.

»Es gibt eine Magie Vargas.« Le Monde

»Vargas schreibt die schönsten und spannendsten Krimis in Europa.« Die Zeit

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Fred Vargas

Vom Sinn des Lebens, der Liebe und dem Aufräumen von Schränken

Aus dem Französischen von Christel Gersch

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Impressum

Wenn ich mir an diesem Ostermontag 2001 so ein scheinbar unernstes Werk vornehme, heißt das nicht, Sie kriegen was zum Lachen. Die Hoffnung töte ich gleich im Keim. Es ist besser, glauben Sie mir.

Offen gestanden, schwebte mir zunächst vor, die Welt mit einer kleinen Aphorismensammlung zum Thema der menschlichen Existenz zu beschenken, und wenn ich »klein« sage, ist das reine Redensart: klein vom Umfang her, ja, aber der Inhalt groß und dermaßen konzentriert, daß da Seite für Seite die Flammenschrift der Wahrheit über das Sein aufgeloht wäre, also über das Leben, meine ich.

Dann fand ich, ich sollte diese Aphorismen lieber durch etwas umfassendere Äußerungen ersetzen, denn das dumme am Aphorismus ist doch, daß man mit so einer knapp gefaßten Maxime auf dem trockenen sitzt, ohne daß einem das Wie und Warum der Dinge erklärt würde. Eine Virtuosenübung, aber enttäuschend. Also entschloß ich mich zu der idealen Mischform, einem KLEINEN RATGEBER ZU EINIGEN WAHRHEITEN UNSERES DASEINS, der hier und da in Aphorismen gipfelt. Gelassen wartete ich auf den günstigen Moment, dieses gedrängte und gehaltvolle Werk anzufangen, indem ich von überall die zu seiner Herstellung unerläßlichen Materialien zusammentrug.

Nun ist der Zeitpunkt gekommen, und das ist eine großartige Nachricht für die Welt.

Wenn ich »klein« sage, ist das wohlüberlegt, denn wir wollen ja Masse und Wert nicht verwechseln. Ein allzu umfänglicher Ratgeber ist doch nur eine mit Fleiß betriebene Verwässerung anfechtbarer Regeln und verrät die Inkompetenz des Autors auf dem Gebiet, ich meine das Leben. Dabei sind Wahrheiten über das menschliche Sein goldene Pfeile, die unmittelbar ins Schwarze zielen, und gerade ein schmaler Werkumfang bezeugt, wie gewiß der Autor seiner Sache ist und daß Verwässerungen seinem durchdringenden Geist fremd sind. Der echte Verfasser eines Ratgebers weiß um die Dinge und geht sie ohne Drumherumreden an. Etwa hundert Seiten, und die Sache ist im Kasten.

Zumal so eine wohltuende Schrift dank ihres bescheidenen Formats in jede Tasche paßt, sie kann auch, verschwiegen, wirkmächtig und entspannend, im Hosenbund, im Ärmel eines Sari, im Burnus des Beduinen verschwinden. Meldet sich unvermutet ein Zweifel in Seinsfragen, ist sie zur Stelle, in Reichweite der dankbaren Hand. Ein Blick, und das Problem ist gelöst. Unter welchen Umständen auch immer, im Bistro, in der Bibliothek, im Flugzeug, im Kanu oder auf einer Parkbank, alles Orte, wo Lebensfragen sich mit Vorliebe stellen, treten Sie kurz seitab mit Ihrem Bändchen, und kaum daß Sie gelesen haben, sind Sie für Ihren Kasus gerüstet und sehen klar. Denn Sie bekommen hier nicht etwa einen schwerverdaulichen Text ohne Hand und Fuß angedreht, wo alles wie Kraut und Rüben durcheinandertrudelt, wie es dem Autor gerade einfällt. Das wäre ein Mangel an Barmherzigkeit, an gesundem Menschenverstand, und es wäre dem Zweck dieses Werkes strikt zuwider. Nein, klar gegliedert, verständlich, bündig und jeweils mit Lösungen, so hat ein guter Ratgeber fürs Leben zu sein.

Und am besten sollen Sie auch gleich wissen, daß dieses Werk hier etwas Endgültiges ist. Schluß mit dem Kleinklein, den unbeholfenen Versuchen, dem Stochern im Nebel. Zum Beweis dient mir, daß heutzutage niemand behaupten kann, er hätte Antworten auf die Rätsel des Lebens, der ganze Planet taumelt doch wie eh und je zwischen Panik und In-die-Irre-Rennen. Aber wir haben jetzt 2001, und es ist höchste Zeit, daß etwas geschieht. Wir haben schon viel zu lange gezögert. Daß man seit dreißigtausend Jahren Anlauf nimmt zu einem guten Sprung, schön, das lasse ich gelten. Aber einmal kommt der Tag, wo zuviel zuviel ist und wo man den Stier bei den Hörnern packen muß. Mit dieser Metapher meine ich das Leben und seine Mysterien. Jeder neue Tag bringt ein gerüttelt Maß an unlösbaren Fragen, und wenn man das auf Monate, auf Jahre umrechnet – stellen Sie sich mal vor, welche Masse an Ungewißheiten uns da erdrückt und unserem Dasein diesen torkelnden Gang gibt, der aus Millionen unaufhörlich wiederholter Dummheiten entsteht. Wo es so einfach ist, mit einer wirklich effektiven kleinen Schrift unsere Schritte zielsicher zu lenken. Wo es so einfach ist, unseren Irrungen mit runden hundert Seiten abzuhelfen.

Ein Autor, der sich vor dieser Aufgabe drücken würde, wäre in meinen Augen, ich verhehle es nicht, ein schäbiger Egoist, der lieber mit Freunden in Bars rumsumpft, anstatt mal eine kleine Woche seiner Zeit zu opfern und der Menschheit ihre quälenden Zweifel zu nehmen. Ein elender Mistkerl, jawohl. Aber anscheinend – ein trauriges Resultat unserer individualistischen Epoche – sumpfen die Autoren lieber herum oder planschen im warmen Wasser des Indischen Ozeans, anstatt sich ein paar Tage hinter ihre Tastatur zu klemmen, was doch wohl das mindeste ist, was wir unseren bedrängten Schwestern und Brüdern schulden.

Denn soweit ich weiß, gibt es bis heute keinen aphoristischen Ratgeber, der die Probleme des Lebens endgültig klärt. Das hätte sich herumgesprochen.

Also, alle Autoren sumpfen und planschen herum, und das wirft kein gutes Licht auf die Innung. Demnach bin ich wohl die einzige, die sich der uns obliegenden Verantwortung bewußt ist, die einzige, die vor ihrem Bildschirm klebt, weil sie ihre Pflicht kennt wie der Ackergaul, der auf seinem Widerrist ein moralisches Kummet lasten fühlt (doch, ja, beim Pferd heißt es »Kummet« und beim Ochsen »Joch«, halten wir uns ab jetzt an die exakten Begriffe), die einzige, die, aufgerüttelt durch die Gleichgültigkeit der Kollegen und den erstickten Hilfeschrei der Menschheit im Ohr, nicht wankend wird auf einsamem Pfad, kurz, die als einzige den Weg beschreitet und Ihnen alles Wesentliche in die Tasten haut, was man im Leben wissen muß, um mit den vielen Rätseln fertigzuwerden, die es einem immerfort vor die Nase setzt.

Gedacht, getan, ich greife mir meinen Pilgerstab und meine Stiefel, und los geht’s. Zeitlich paßt es gut, es ist Ostern, und ich habe ein paar Tage frei, an die ich bereitwillig noch ein paar Abende und ein paar Sonntage dranhänge, denn ich finde, bei einer großen Aufgabe darf man nicht kleinlich sein, die Lösung der Lebensrätsel verdient es, daß man ihr acht Tage opfert, das ist schließlich nicht die Welt. Nachher habe ich dann mein gutes Gewissen, und Sie haben Ihre Wahrheiten, damit ist immerhin etwas getan, was nicht mehr wartet. Denn wie meine Großmutter immer sagte, »was getan ist, wartet nicht mehr«, aber ich will Sie nicht mit meinen Familiengeschichten langweilen.

Ich gehöre nämlich nicht zu denen, die unter dem Vorwand von Aphorismen und rein zu ihrer narzißtischen Befriedigung Ihnen achthundert Seiten über ihren Vater hinblättern (oder über ihre Mutter, das hängt vom einzelnen ab, bei den meisten ist es eher die Mama, darüber reden wir noch, keine Sorge) und über ihr Heimatdorf. Nein, solche Nabelschau, die sich aus falsch verstandener Proust-Lektüre herleitet (auf diesen Punkt, der ja ein integrierender Bestandteil der Geheimnisse des Daseins ist, komme ich bei Gelegenheit noch zu sprechen), die liegt mir nicht.

Obwohl Sie allerdings wissen sollten, daß ich mütterlicherseits aus einer zahlreichen Sippe normannischer Bauern stamme, ansässig in einer stolzen Gemeinde, deren Winzigkeit gleichwohl der Größe nicht entbehrt, ich meine Villiers-d’Écaudart, 110 Wahlberechtigte. Der Glockenturm der Kirche ragt majestätisch übers Land, über regensatte Wiesen bis ins Endlose, wo Kühe, Korn und Rüben gedeihen. Nein, fern sei mir der Gedanke, Sie mit meinen Familiengeschichten zu nerven, diese kleine Schrift ist auf Allgemeingültigkeit im besten Sinne bedacht, sonst könnte sie nicht der unvergleichliche Leitfaden werden, der sie für jedwedes Menschenwesen sein soll.

Aber wenn ich mich immerzu befleißige, dem Leser nicht mit meinen Familienangelegenheiten zu kommen, fallen sie womöglich ganz unter den Tisch. Und da sage ich: »Halt!« Mit dem Schwamm über Villiers-d’Écaudart zu gehen, das wäre kein guter Einstieg in dieses Werk, ja, es wäre sogar ein grundlegender Fehler. Denn daß Familienprobleme integrierender Bestandteil der Rätsel des Lebens sind, ist doch wohl nicht zuviel gesagt. Deshalb wird es manchmal unumgänglich sein, daß ich, neben anderen internationalen Orten von universeller Bedeutung, ganz diskret jene stolze Gemeinde ins Spiel bringe, die ihren alten Glockenturm über durchweichte Felder erhebt, wo es von Regenwürmern wimmelt.

Von Regenwürmern, die immerhin 70 Prozent der Fauna ausmachen, gewichtsmäßig, die Menschen eingeschlossen, und man wird zugeben müssen, daß das ein verdammter Batzen ist, der da auf der Erde lastet. Sie mögen mir entgegenhalten, daß diese krasse Statistik nichts allzu Erfreuliches enthüllt. Vielleicht, aber so ist das Leben, und ich warne Sie lieber gleich, daß diese Abhandlung mit dem Leben nicht viel Federlesens macht. Es gehört nun mal zur Größe und Stärke jedweder kleinen Sammlung von Wahrheiten, daß sie die Mysterien des Lebens nicht mit Samthandschuhen anfaßt, sonst läuft sie fehl und versickert wie ein Bach im schimmernden Sand der normannischen Strände, doch fern sei mir der Gedanke, Sie mit der Normandie zu langweilen. Dieses Beispiel habe ich gewählt, wie ich jedes andere hätte wählen können. Und die Regenwürmer, die belasten den Planeten auch nicht mit ihrer ungeheuerlichen wirbellosen Masse, nein, sie wühlen und wühlen sich durch den Humus, bis hinunter in seine geheimsten Tiefen, ohne daß die Ärmsten überhaupt wissen, warum sie wühlen. Während wir es wissen. Aber ich schreibe hier keine Blütenlese für Regenwürmer, lassen wir also im Augenblick die stumme Frage beiseite, die ihrem ganzen selbstlosen Leben innewohnt. Selbstlos, sage ich, denn indem sie so blindlings wühlen, bohren sie Löcher, Röhren, Hohlräume, und auf diese Weise, verstehen Sie, belüften sie die Erde, die absolut unfähig ist, sich von allein zu belüften. Das klingt vielleicht etwas hart, aber es ist so. Und indem sie immer so belüften, ohne um ihren kleintierlichen Seinszweck zu wissen, ermöglichen sie das wunderbare Wachstum der Pflanzen, die von den Pflanzenfressern gefressen werden, die wiederum von den Allesfressern und den Fleischfressern gefressen werden. Und wir, wir schlucken das alles: Regenwürmer, Pflanzen, Pflanzenfresser, Allesfresser (ich denke an die Schweine), Fleischfresser und alles, was dazu gehört. Ja, die Fleischfresser auch, und vor gar nicht so ferner Zeit aßen die Gallier sogar Hunde, aber ich will Ihnen nicht noch mit anderen Völkern kommen, das Beispiel ist bereits auf Internationalität angelegt.

Den Lebenszweck der Regenwürmer muß man gut im Kopf behalten, zumal, es tut mir leid, darauf hinweisen zu müssen, die Würmer auch alles Tote fressen, sonst wäre die Erde nach den Hunderten von Millionen Jahren, die auf ihr schon gestorben wird, ein widerlicher Schlammpfuhl (in dieses »gestorben wird« schließe ich die Dinosaurier und andere Tierchen mit ein, die vor uns existierten, und zwar in einem ganz natürlichen Verständnis von Osmose mit der tierischen Gattung, aus der wir uns entwickelt haben, darauf komme ich noch). Der Regenwurm also, für unseren beschränkten Geist das Symbol eines ekligen Korpuskels, ist in Wahrheit die Reinlichkeit selbst und der große Allesernährer, er ist die Essenz des Weins wie auch des Calvados (ich sage Calvados, könnte aber ebensogut Sake oder Wodka sagen). Da sieht man, wie man sich täuschen kann und daß der Schein nicht die Wahrheit ist, und dies ist ein wesentlicher Sachverhalt, der hinsichtlich der Mysterien des Lebens erst einmal festgestellt werden mußte, wenn ich mit Ordnung und Methode vorgehen will.

Aus den genannten Gründen kann dieses allgemeingültige Werk die stolze Gemeinde Villiers-d’Écaudart nicht ausklammern, Paradies der Regenwürmer und integraler Bestandteil des Planeten, symbolhaft zudem für Familiensorgen – obwohl ich Sie damit nicht belästigen will. Trotzdem müssen Sie wissen, daß zur Stunde, da ich zu Ihnen spreche, die alte Familienferme, die ganz aus so bescheidenen bäuerlichen Materialien wie Lehm, Holz und Stroh gebaut ist, am Westgiebel Wasser zieht und am Ostgiebel auch, was mir nicht geringe Sorgen bereitet. Am 10. April rief ich den Maurer an, und, o Wunder, er kam. Von der ziemlich quälenden Frage, ob der Maurer kommt oder nicht kommt, spreche ich noch, aber später, denn diese Schrift ist in erster Linie ihrer klaren Struktur und Logik sowie der ständigen Beweisführung für die vorgetragenen Fakten verpflichtet, ohne die eine philosophische Unternehmung nicht weit käme.

Und um diese Struktur auf feste Füße zu stellen und dieser kleinen Schrift die gebotene Allgemeingültigkeit zu verleihen, sehe ich mich genötigt, erst einmal von mir zu reden.

Denn wer bin ich, mag man doch denken, daß ich Ihnen diese kleine Sammlung von Wahrheiten vorlege? In wessen Namen bin ich dazu befugt? Und inwiefern kann, was ich zum Thema Existenz vorzutragen entschlossen bin, ohne, das sei gleich gesagt, irgendwelche Umschweife zu machen, auch für verläßlich gelten? Schließlich ist es das mindeste, daß der Leser an die Wahrhaftigkeit des Ratgebers in seinem Gürtel blindlings glauben kann, daß er sich mit geschlossenen Augen darauf verlassen kann, daß er sicher sein kann, Offenbarungen, eine so gültig wie die andere, darin zu finden. Aus reiner Sorge um den Zusammenhang also sehe ich mich gezwungen, von meiner Person und meinem Leben zu sprechen, denken Sie nicht, daß mir das Spaß macht.

Wenn etwas Sie versichern kann, daß Sie meinem Wort Glauben schenken können, so ist dies zuallererst, daß ich seit mindestens zwanzig Tagen absolut nicht gepichelt habe, also wirklich kein kleines bißchen, was mir eine eindeutige Überlegenheit gegenüber vielen meiner Kollegen verschafft, die, soviel ich weiß, ihren Text noch immer nicht angefangen haben, obwohl der doch am 22. April abzugeben ist.

Zweitens, daß ich ein paar freie Tage zu verbummeln habe (aber Zeit verbummeln heißt Zeit gewinnen, darauf komme ich noch) und daß ich heute morgen meine sämtliche liegengebliebene Post erledigt habe, was mir eine außerordentliche Konzentrationsfähigkeit garantiert, die ausschließlich diesem Werk zugute kommen wird.

Drittens, daß ich das Glück hatte, in der stolzen kleinen Gemeinde aufgewachsen zu sein, die von ihrer Höhe jene überschwemmten Fluren überschaut, und folglich von klein auf mit dem erhellenden Konzept »Regenwurm« Umgang hatte, wonach der Schein einer Sache nicht die Sache selbst ist. Darüber reden wir noch. So blieb es nicht aus, daß ich früh die Notwendigkeit erkannte, die Kehrseite der Dinge zu erforschen, und aus diesen Forschungen die Früchte zahlloser Erkenntnisse gewann.

Viertens, daß ich aufgrund meines liebenswerten Temperaments das Glück hatte, mich sehr früh mit einer beträchtlichen Anzahl meinesgleichen zu verbünden, was mir Gelegenheit zu vielerlei Beobachtungen über den Menschen bot, vor welche Rätsel er sich gestellt sieht, welche hinkenden Lösungen er probiert, woraus ich eine Menge Wahrscheinlichkeitsschlüsse ziehen konnte, die mich geradewegs zur Rigorosität dieser Abhandlung führen sollten.

Fünftens gesellte sich zu dieser unschätzbaren Menschenkenntnis eine breite Weltkenntnis, denn seit ich flügge wurde, bin ich unablässig gereist. Über die Maßen bereicherte mich mein zahlloses Hin und Her zwischen Paris und Villiers-d’Écaudart. Desgleichen stieß ich häufig bis Bernay, Condé-sur-Noireau, Pondouilly vor und, um die südliche Richtung nicht zu vernachlässigen, bis Vierzon, Tours, Toulouse und manchmal sogar bis Nizza, das heißt, auch die mediterrane Welt ist mir nicht unbekannt, obwohl die Rübe dort kaum beheimatet ist. Nun, jedem Boden seine Erzeugnisse (ich komme noch drauf zurück). Einmal im Schwung, überwand ich die Alpen und verschaffte mir punktuelle Kenntnisse der italischen Halbinsel. Auch verschmähte ich nicht, wie der Wind gen Osten zu brausen, erreichte Mühlhausen und überschritt mehrmals die deutsch-französische Grenze, um auf fremder Erde, einen Steinwurf weit von dem majestätischen Strom innezuhalten, ich meine den Rhein. Die Verwegenheit trieb mich sogar, einen Blick auf die sagenhaften Quellen der Donau zu werfen, die aber schrecklich enttäuschend sind. Unverzagt klomm ich nordwärts bis nach Belgien, wo ich es tapfer drei Tage aushielt, danach im Sauseschritt Amsterdam besichtigte, wovon mir nur ein paar verschwommene Erinnerungen geblieben sind.

Doch unverwandt richtete ich meine Blicke nach dem Ozean und dem Wilden Westen, als würdige Nachfahrin der stolzen Wikinger, die ja in hohem Maße die Kunst beherrschten, bei ihren friedlichen Nachbarn ein fürchterliches Durcheinander anzurichten. So kam es, daß die Abenteuerlust meine Schritte mitunter bis nach Quimper und Umgebung lenkte. Endlich aber hielt mich nichts mehr, und ich flog angstschlotternd nach New York, der Lichterstadt, wo die Freiheitsstatue ein für allemal über meine Berufung zur universellen Denkerin entschied. Eine Woche war ich dort und dann nie mehr.

Wer wollte demnach bestreiten, daß ich durch meine Abenteuer und Heldentaten mir die reichhaltigsten Landeskenntnisse erwarb, um die mich viele beneiden. Außer den Erkundungen im grenzenlosen Kosmos von Villiers-d’Écaudart bilden sie den ehernen Sockel meiner jetzigen Unternehmung.

Diese Tatsachen allein sollten wirklich genügen, Ihnen jeglichen Zweifel zu nehmen. Die Autorin kennt das Leben. Hinzufügen möchte ich dennoch, daß mir zum Glück ein