Hanns Reska
e-artnow, 2018
Kontakt: info@e-artnow.org
ISBN 978-80-7484-168-2
Der April ging zu Ende. Nun war die kurze Periode herangekommen, in der arktische Expeditionen überhaupt nur möglich find. Die Verhältnisse an Bord lagen allerdings keineswegs günstig; doch war meine Gegenwart nicht unbedingt erforderlich. Jetzt mußte ans Werk gegangen werden.
Die solange betriebenen Vorbereitungen für die neue Expedition waren bald beendet. Ich besaß jetzt wieder sieben Hunde, die sehr gut miteinander eingefahren waren. Ich übergab Ohlsen den Befehl über die Brigg und erteilte ihm ausführliche Verhaltungsmaßregeln, die sich namentlich auf den Verkehr mit den Eskimos bezogen: Man sollte sie mit Güte behandeln, doch zugleich sorgsam überwachen, sie streng an unsere Schiffsordnung binden und nicht nach ihrem Belieben an Bord kommen lassen. Bestrafungen dürften nur durch sie selbst oder in ihrer Gegenwart erteilt werden, Feuerwaffen dürften nur gebraucht werden, wenn es sich um Zurückweisung eines Angriffs handele. In solchem Falle aber sei scharf – und nicht etwa über die Köpfe weg – zu feuern. Denn der Zauber der Feuerwaffen den Wilden gegenüber müsse unfehlbar sein.
Am meisten drückte mich der Gedanke, daß ich von der ganzen Mannschaft nur zwei einigermaßen Gesunde zurückzulassen hatte und nur zwei Offiziere, nämlich der Arzt und Herr Bonsall, Ohlsen Beistand leisten konnten. Denn aus vier Gesunden und sechs Invaliden besteht unsere ganze Schiffsbesatzung.
Mein Reiseplan ging dahin, dem Eisgürtel bis zum großen Humboldtsgletscher zu folgen, dort aus unserm Depot vom vorigen Oktober Vorräte einzunehmen, dann entlang dem Fuße des nordwestlich laufenden Gletschers weiter zu gehen und den Versuch zu wagen, ob nach der amerikanischen Seite hinüber zu kommen sei. War ich an dieser Küste erst einmal auf glattem Eis, dann kam ich auch weiter und vermochte festzustellen, was sich jenseits der eisumpanzerten Fläche jener Bucht ergab.
MacGary ging am 25. April mit dem Hauptschlitten ab, während ich mit Godfrey dem Plane gemäß zwei Tage später folgte. Auf unserm neugebauten, leichten, nur neun Fuß langen Schlitten nahmen wir Brot, Tee, Pemmikan, ein kleines Zelt und zwei Schlafsäcke mit. Unsere Küche bestand aus einem Suppenkessel zum Schneeschmelzen und Teekochen, den wir ebenso mit Speck wie mit Spiritus heizen konnten. Dazu kamen die notwendigsten mathematischen Instrumente. Der vordere Schlitten führte wenig Vorräte, da er sich aus den Depots versorgen sollte. Seine Ladung bestand meist aus Brot, das wir bei gekochten Speisen nur ungern entbehren; außerdem wickelt es auch das Fett des Pemmikans ein, das sonst dem Magen leicht zuwider wird.
Das Zelt erfuhr in seiner Einrichtung eine Abänderung, die auf unseren Erfahrungen der Herbstreisen beruhte. Ein großer Uebelstand beim Lagern unter einem Zelt liegt – wenigstens im Norden – darin, daß der gefrierende Hauch des Atmens sich in langen Federn an die schrägen Zeltwände, also wenige Zoll vom Munde des Schläfers, anhängt und sammelt und beim etwaigen Schmelzen auf ihn herabtropft. Und dem abzuhelfen, ließ ich die Zeltstangen erst in etwa achtzehn Zoll Höhe vom Boden durch die Leinwand gehen; dadurch fiel das untere Stück senkrecht herab und lief dann als Bodendecke nach innen. So wurde zu unbehindertem Atmen eine genügende Höhe gewonnen.
Selbst unter den günstigsten Verhältnissen und für noch ungebeugte Männer mußte die jetzt bevorstehende Reise hart werden. Sie sollte der ganzen Expedition die Krone aufsetzen. Man wollte bis an das äußerste Ende Grönlands vordringen, die Eiswüste zwischen ihm und dem unbekannten Westlande durchmessen und rundum nach einem Ausgang in das geheimnisvolle Jenseits suchen. Dieser Plan ließ sich nicht völlig durchführen, immerhin aber soweit verfolgen, daß man erkannte, was später noch zu tun sei, und außerdem mancherlei geographisch interessante Punkte feststellte … –
Wir waren dem ersten Schlitten am 27. April gefolgt und holten ihn zwei Tage später ein. Die Hunde befanden sich in gutem Reisezustande; und außer der Schneeblindheit schien sich kein Hindernis entgegenzustemmen. Doch schon beim Passieren der Marschallsbucht fanden wir so hohe Schneewehen, daß wir mit den Schlitten steckenblieben. Wir mußten abladen, das Gepäck auf den Rücken nehmen und für die Hunde eine Bahn treten. So quälten wir uns vorwärts bis an die Mündung des Mary-Minturn-Flusses, wo das Wasser erst später zugefroren war und wir daher eine lange Strecke ebene Bahn fanden. Von jetzt an kamen wir schneller vorwärts und erreichten am 4. Mai den Fuß des großen Gletschers. Dieser Erfolg war jedoch teuer erkauft. Schon vom 3. an zeigte sich der Skorbut wieder in bedenklicher Weise. Bei unserm Marsch längs der Küste versanken wir oft bis an die Hüften im Schnee, und die Hunde waren so vergraben, daß man unmöglich daran denken konnte, sie zum Ziehen zu verwenden. Diese enorme Schneeablagerung war vermutlich auf kalte niederschlagende Winde zurückzuführen, die von den benachbarten Gletschern abprallten; denn im Rensselaerhafen hatten wir durchschnittlich nur vier Zoll Schneetiefe. So mußten wir häufig die Schlitten abladen und die Ladung selbst schleppen – eine Anstrengung, die wassersüchtige Anschwellungen und große Hinfälligkeit zur Folge hatte. Drei Leute wurden von Schneeblindheit befallen, ein vierter bekam zu seinem Skorbut noch Brustanfälle, und am 4. Mai wurde noch ein fünfter dienstuntauglich. Vielleicht wären wir dennoch weiter gegangen. Aber zu allen Uebeln kam noch das größte, daß die Bären unsere Proviantverstecke gefunden und erbrochen hatten. So war die Hoffnung vernichtet, unsere Vorräte aus den verschiedenen Depots ergänzen zu können. Dies war gewiß ein unvermeidliches Unglück, denn die Offiziere, denen ich die Anlegung der Depots anvertraut, hatten alles Erdenkliche getan, um sie zu sichern. Die Pemmikanfässer waren mit Steinblöcken bedeckt, zu deren Handhabung drei Männer erforderlich waren. Doch die ungeheure Kraft des Bären befähigt ihn, die schwersten Felsblöcke zu beseitigen; und mit seinen Klauen hatte er die eisernen Fässer buchstäblich zerfetzt. Das Spiritusfaß, dessen Herschaffung im vorigen Herbst mich eine besondere Reise gekostet, war so total zerstört, daß davon nicht eine einzige Daube mehr aufzufinden war.
Auf der Höhe von Kap James Kent wurde ich selbst, während ich die geographische Breite aufnahm, plötzlich von Krämpfen und Ohnmacht befallen. Meine Glieder wurden steif, und es zeigten sich Symptome unsers Winterfeindes, des Starrkrampfes. Ich wurde auf den Schlitten gebunden, und weiter ging die Reise wie bisher.
Eisbären an einem ausgegrabenen Depot
Daher konnten wir am Tage nur neun englische Meilen zurücklegen. Meine Kräfte sanken aber so rapid, daß mir sogar die sonst so behagliche Temperatur von 3° unter Null (- 17° K.) unerträglich war. Der linke Fuß erfror mir, was einen störenden Aufenthalt verursachte; und in der Nacht zeigte sich deutlich, daß die Gliedersteife von wassersüchtigen Ergüssen herrührte. Am 5. Mai bekam ich Delirien und wurde jedesmal ohnmächtig, wenn man mich aus dem Zelt auf den Schlitten brachte.
Meine Kameraden stellten mir vor, daß es selbst bei guter Gesundheit unmöglich sei, noch weiter vorzustoßen. Der Schnee wurde immer tiefer, manche Wehen waren gar nicht zu passieren. Auch unter der übrigen Mannschaft war der Skorbut mit ähnlichen Symptomen wie bei mir ausgebrochen; selbst Morton, der stärkste von allen, wurde hinfällig. So wenig mir aus jener Periode auch erinnerlich ist, so weiß ich doch, daß ich diesen fünf braven Männern – Morton, Riley, Hickey, Stephenson und Hans – meine Rettung zu verdanken habe. Obwohl sie selbst kaum mehr sich fortzuschleppen vermochten, schafften sie mich doch in Gewaltmärschen zurück, nachdem sie unsere Vorräte und das Gummiboot bei der Dallasbucht versteckt hatten. Am 14. Mai wurde ich an Bord wieder aufgenommen und schwebte eine Woche lang zwischen Leben und Tod. Nach des Arztes Diagnose hatte ich neben Skorbut auch noch ein typhöses Fieber. Stephenson ging es ebenso. Unsere schlimmsten Symptome waren wassersüchtige Ergüsse und Nachtschweiße.
Der arme Schubert, unser lustiger französischer Koch mit seinem reichen Schatz Berangerscher Lieder, war unterdes in eine bessere Welt heimgegangen. Sein stets heiteres Gesicht und seine Schnurren vermissen wir sehr in unserer traurig-engen Wohnung.
Als wir vor Monatsfrist gegen Norden zu einer Expedition aufbrachen, die bis in die Mitte des Juni hätte dauern sollen, hatte ich angeordnet, die Niederlage auf der Butlersinsel einzuziehen und die Vorräte rund um das Schiff auf das Eis zu legen. So wurde den Eskimos die Versuchung und Möglichkeit zu Plünderungen benommen; und die Sachen waren zum sofortigen Verladen bereit, falls irgendein Zwischenfall dies erforderlich machen sollte. Ohlsen hatte die Weisung erhalten, das Verladen allmählich zu betreiben, die Winterbedachung des Schiffes abzunehmen und das Vorderkastell wieder bewohnbar zu machen. Bei meiner Rückkehr war alles gut und ordnungsgemäß ausgeführt. Ich fand das Schiff so hergerichtet, daß wir in vier Tagen hätten in See gehen können. Lediglich das Quarterdeck besaß nun noch seinen Ueberbau; – hier wohnten die Offiziere und sämtliche Kranke. Zwar rumorte der Wind etwas in diesem Bretterhause, doch war das für die Kranken weit wohltätiger als die weniger gelüfteten Räume unterhalb.
Verfallender Eisberg
Den Hans befreite ich nunmehr von jeder andern Beschäftigung und übertrug ihm ausschließlich die Jagd, versprach ihm auch ein Geschenk für seinen Schatz, wenn wir nach Fiskernaes kamen. Er schoß sofort die zwei ersten Renntiere, was uns 140 Pfund schönen Wildbraten verschaffte – eine wahre Wohltat für unsere kranken und heruntergekommenen Leute. Ueberhaupt war nun die Zeit der Entbehrungen vorüber und mit dem Tageslicht auch die Aussicht wiedergekehrt, daß wir keinen Mangel an gesunder Nahrung mehr leiden würden. Schon am 1. Mai waren die freundlichen Schneeammern zu unserm Felsen zurückgekehrt, die uns am 4. November verlassen hatten, und erfüllten die Luft wieder mit ihrem lieblichen Gezwitscher. Von Seehunden begann es buchstäblich zu wimmeln. Ich habe gelernt, ihr Fleisch dem des Renntiers vorzuziehen; wenigstens das der weiblichen Robbe, das von dem Geruch frei ist, der den Männchen anhängt.
Seit dem 12. Mai waren die Seiten der »Advance« frei von Schnee und das Takelwerk rein und trocken. Die Eisfelder durchlaufen schnell die merkwürdigen Prozesse des Zerfalls, und das Wintereis ist nur noch sechs Fuß dick. Am 20. Mai brachte man die Neuigkeit, daß eine Burgemeistermöve gesehen worden sei – eins der frühesten und sichersten Zeichen des wiederkehrenden offenen Wassers. Es ist kein Wunder, daß wir im Eis vermauerten Einsiedler auf solche Dinge achten und uns ihrer freuen: sie sind Pfänder des nahenden Lebens, ein Oelzweig in dieser trostlosen Wüste. Wir fühlen den Frühling in jedem Pulsschlag.
Das erste, was ich nach meiner Rückkehr tat, war die Absendung MacGarys nach Süden, um zu untersuchen, ob unser erstes Lebensmitteldepot mit dem Rettungsboot noch in guter Beschaffenheit sei: Er machte die Reise im Hundeschlitten binnen vier Tagen und kehrte mit der hocherfreulichen Nachricht zurück, es sei alles wohlerhalten. Die angenehmste Feststellung auf seiner Reise war ihm aber eine Spalte offenen Wasser, die sich wie eine Zunge nach dem Zufluchtshafen hin erstreckte.
Sobald ich mich etwas besser fühlte, begann ich darüber nachzudenken, wie der Fehlschlag unsers nördlichen Ausflugs wieder gutzumachen sei. Leider waren unsere Mittel und Kräfte sehr zusammengeschmolzen. Schubert war gestorben, und sein Tod hatte einen ungünstigen Eindruck auf die Gemüter hinterlassen. Nur drei Mann waren noch dienstfähig; von den Offizieren lagen Wilson, Sonntag, Brooks und Petersen darnieder. Außer Sonntag, Hayes und mir verstand niemand eine Landaufnahme zu leiten, und von uns dreien war nur Dr. Hayes auf den Füßen.
Nach den Hindernissen, die unseren Fortschritten am Humboldtgletscher ein Ziel gesetzt, blieb uns noch übrig, die westliche Küste des Sundes von Kapitän Inglefields Kap Sabine an aufwärts zu untersuchen. Man mußte sich darüber Klarheit verschaffen, ob der Smithssund in seiner ferneren Ausdehnung in noch entlegenere Kanäle münde. Dies zu wissen, war für uns um so wertvoller, als unsere Beobachtungen uns gezeigt hatten, daß die nördliche Küste nach Osten, nicht aber nach Westen umbiege, wie unser Vorgänger angenommen … Ich beschloß, mich bei diesen bevorstehenden Ausflügen fast ganz auf die Hunde zu verlassen und die Forschungsexpeditionen eine nach der andern abgehen zu lassen, so schnell es die Hunde ausführen können. Dr. Hayes wurde zur Durchführung dieser Aufgabe bestimmt. Ich selbst war erst soweit, daß ich mit einiger Unterstützung die Runde an den Krankenbetten machen konnte; so mußte ich mich damit begnügen, wenigstens in dieser Art nützlich zu sein.
Ich gab dem Arzt, der noch keine Reise unternommen, einen Schlittenzug und unsern besten Treiber Godfrey mit. Er soll in so gerader Linie als möglich über den Sund auf Kap Sabine gehen. Längs des jenseitigen Küstenzuges könnte leicht das Eis ebener und fahrbarer sein als auf der grönländischen Seite, wo der große Gletscher seine Massen von Eisbergen aussendet, die das Eis in Aufruhr bringen. Die beiden erhielten den von Ohlsen gebauten leichten Schlitten. Der Schnee war jetzt so wässerig, daß fast kein Feuer nötig war, um Wasser zu bekommen; sie konnten also Spiritus und Talg entbehren und um so mehr Pemmikan mitnehmen. Die Hunde waren wieder in ausgezeichnetem Stande. Voll brennenden Eifers verließ die Expedition am 20. Mai das Schiff. Sie hatten prachtvolles Wetter; einen klaren milden Sonnenschein, der die Robben haufenweise aus ihren Löchern auf das Eis lockte.
Die Anzeichen des nahen Sommers mehrten sich. Leider gestattete unsere Schwäche uns noch nicht, ernsthafte Aufgaben in Angriff zu nehmen. Das Eis verlor schnell an Zusammenhalt; es fiel Schnee, der wieder zerfloß. Leichter Nebel überzog in den letzten Maitagen das Land; die bisherige Klarheit der Atmosphäre schwand, und der Himmel nahm ein perlfarbiges Sommerkolorit an. Wir konnten nun süßes Wasser aus den Felsspalten holen, und von den Eisbergen rannen dünne Wasserfäden herab. Der Eisgürtel war kaum noch erkennbar, abgerundet, gesunken und gebrochen, seine Basis mit Wassertümpeln überschwemmt. Jetzt war er der Brigg, die er durch sein ständiges Wachsen im Winter bereits hinten gehoben, nicht mehr gefährlich.
Robben von der zottigen Abart – die Netsik der Eskimos und Dänen – werden auf den Eisfeldern immer zahlreicher. Sie legen sich neben ihren Eislöchern vorsichtig in die Sonne. Hans schoß vier von ihnen, wobei er sich des Eskimo-Jagdkniffes bediente, daß ein weißer Schirm auf einem Schlitten langsam vorgeschoben wird, bis der Jäger in Schußweite heran ist. Wir haben jetzt mehr frisches Fleisch, als wir genießen können: in den letzten drei Wochen außer den Seehunden noch Schneehühner, Kaninchen und zwei Renntiere. So erholen wir uns rasch vom Skorbut.
Wie könnte ich bei all diesen so unerwartet gekommenen Hilfsmitteln an dem Schicksal Franklins und seiner Genossen verzweifeln? Können sie noch leben? Vier Monate früher, von der Dunkelheit und Krankheiten niedergebeugt, hätte ich wohl mit Nein geantwortet. Aber mit der Rückkehr des Lichtes kommt zu uns ein wildes Volk herunter, das nur die primitivsten Jagdgeräte besitzt und sich dennoch kaum 40 Meilen von uns fettgemästet hat, während ich der Gegend alle Hilfsmittel absprach. Wie wir jetzt wissen, finden sich selbst im härtesten Winter hier und da offene Wasserstellen, an denen es Seehunde, Walrosse und zeitig ankommende Vögel in Menge gibt.
In einem Punkte habe ich meine Ansicht geändert: nämlich hinsichtlich der Befähigung des Europäers und Amerikaners, sich an das Klima des hohen Nordens zu gewöhnen. Gott möge allerdings jeden zivilisierten Mann vor dem Schicksal bewahren, eine Reihe von Jahren in dieser entnervenden Nacht auszuhalten. Aber um den Polarkreis – selbst bis zum 72. Grad hinauf, wo es nur darauf ankommt, der Kälte zu widerstehen – können sich Menschen akklimatisieren; denn es ist immerhin hell genug, um im Freien zu arbeiten.
Ich kann mir kaum denken, daß von den 138 auserlesenen Mannschaften Franklins – darunter Männer von den Orkneyinseln, Walfischjäger, junge abgehärtete Leute unter so intelligenter Führung – nicht noch einige am Leben sind. Vielleicht haben doch einige kleinere Trupps, mit oder ohne Hilfe der Eskimos, einen Jagdgrund gefunden, wo sie von Sommer zu Sommer Speise und Brennstoff und Renntierhäute genug einbringen konnten, um sich drei bis vier Winter zu halten.
Die rätselhaften Vorgänge in einem Körper, der sich einem fremden Klima anbequemen muß, sind hier noch auffälliger als unter den Tropen. Unähnlich den schleichenden bösen Einflüssen eines heißen Klimas, sind im Polarkreise die Anfälle unmittelbar und plötzlich und entscheiden sich schnell. Es bedarf kaum eines einzigen Winters, um sagen zu können, wer ein hitzeerzeugender akklimatisierender Mann werden wird. Petersen z. B., der sich zwei Jahre in Uppernawik aufgehalten , betritt selten einen geheizten Raum. Ein anderer von uns, Georg Riley, hat sich so an die Kälte gewöhnt, daß er auf unseren Schlittenreisen ohne anderen Schutz als seine Kleidung schläft, während draußen eine Temperatur von 30° unter Null herrscht. Die Mischlinge an der Grönlandsküste nehmen es ebenfalls mit den Eskimos im Ertragen von Kälte auf. Unter Franklins Leuten mußten sich viele solcher Männer befinden. Wie gesagt: ich vermag mir einfach nicht solch eine Katastrophe vorzustellen, die den Untergang sämtlicher Mannschaften herbeigeführt haben sollte. Ich denke mir, sie werden sich in kleinere Abteilungen aufgelöst haben, und eine oder die andere hat doch eine Wasserstelle gefunden, die durch Flutschnellen offen blieb und wo sie Füchse fangen, Bären, Seehunde, Walrosse und Walfische erlegen konnten …
Nun ist es gerade ein Jahr her, daß wir Neuyork verließen. Ich bin nicht mehr so optimistisch als damals; denn Zeit und Erfahrung haben mich ernüchtert. Alles um mich her ist ja auch dazu angetan, Enthusiasmus und selbst bescheidene Hoffnungen zu dämpfen. Ich liege hier in erzwungener Untätigkeit; ein gebrochener, von Sorgen gebeugter Mann; mit noch vielen Gefahren vor mir und einem harten Winter hinter mir, der mir zwei meiner besten Gefährten entriß.
Und doch bleibe ich noch jetzt, nach zwei unergiebigen Forschungsexpeditionen, bei meiner eben ausgesprochenen Ueberzeugung.
Am 1. Juni morgens kündete Hundegebell von draußen die Rückkehr von Dr. Hayes und Godfrey an. Beide waren völlig schneeblind, und der Doktor mußte an mein Bett geführt werden, um Bericht zu erstatten. Er war so erschöpft, daß ich ihn nicht sprechen ließ und meine Neugier bezähmte, bis er sich ausgeruht und gestärkt hatte. Auch die Hunde hatten sehr viel gelitten und wurden, als eine unentbehrliche Kostbarkeit, in sorgsame Pflege genommen. Sie erholten sich übrigens schneller als ihre Herren … –
Nachdem Dr. Hayes das Schiff verlassen hatte, nahm er eine genau nördliche Richtung, traf dabei auf das uns vom März her bekannte unwegsame Eis und wandte sich daher östlich. Ich hatte ihn angewiesen, den Smithssund hinabzugehen, da ich der Ueberzeugung war, daß weiter unten weniger Eisberge wären und auch wegen größerer Nähe der beiden Küsten der Uebergang leichter sein würde. Doch der Arzt hatte einen weniger gekrümmten Weg vorgezogen und war am 21. Mai schon so weit, daß er von einem großen Eisberg aus viele Punkte der gesuchten Küste in Sicht bekam. Am 22. Mai stießen sie auf einen Wall von Hummocks, der mehr als 20 Fuß hoch war und sich weithin nach Nordost erstreckte. Sie brauchten drei Tage, um sich durch diese Trümmerwüste zu kämpfen, wurden zuweilen von Nebeln befallen, sahen ab und zu die gesuchte Küste in Nordwest und erreichten sie am 27. Mai. Ohne die Hunde, sagt Dr. Hayes, wären sie oft keinen Schritt vorgekommen. Tiefe Höhlungen und Spalten, mit trügerischem Schnee ausgefüllt, lagen zwischen den Eisbarrikaden versteckt. Häufig stürzte der Schlitten um und kollerte mit Ladung und Hunden in irgendeine Tiefe hinab. Um die total undurchdringlichen Teile des Eislabyrinths zu umgehen, hatten sie ungeheure Umwege machen müssen. Denn zwischen dem Rensselaerhafen und dem zuerst erreichten Punkte der gegenüberliegenden Küste beträgt die direkte Entfernung nicht mehr als 90 englische Meilen, während die Reisenden nach ungefährer Berechnung wenigstens 270 zurückgelegt hatten.
Ihr erbittertster Feind war die Schneeblindheit; sie wurde so schlimm, daß sie geradezu ein paar Tage liegenbleiben mußten, bis ihre Sehkraft sich wieder gestärkt hatte. Ein Glück war, daß bei diesem gezwungenen Aufenthalt das Wetter mild und erträglich blieb. Von diesem Ruhepunkt aus nahmen sie zuverlässig die Küstenlinie auf und bestimmten die geographische Breite auf 79° 24’ 4’. Ein schönes Vorgebirge nannte ich verdientermaßen nach dem Entdecker Hayes.
Die Reisenden folgten nun auf dem Eise der Küste aufwärts, wobei sie sie aufnahmen; stießen aber bald auf neue Schranken zerbrochenen Eises, die ihre letzten Kräfte in Anspruch nahmen. Am 26. Mai brach Godfrey, einer der zähesten Männer, zusammen; und die unentbehrlichen Hunde waren in elender Verfassung. Das rohe Geschirr, das dauernd riß und sich verwickelte, war so oft und ungenügend ausgebessert worden, daß es fast unbrauchbar wurde. Bei solchen Schlittenexpeditionen ist dies Uebel eins der größten, die einem begegnen können. Der Eskimohund zieht an einem einzelnen Riemen von Seehund-oder Walroßhaut, und die Anspannung erfolgt immer nebeneinander. Diese verschiedenen Riemen – 7, 9 bis 14 – verschlingen und verwirren sich natürlich fortwährend, wenn die halbwilden oder gescheuchten Tiere links und rechts von der eigentlichen Richtung abspringen. Bei Tauwetter werden diese Zugriemen äußerst glatt und geschmeidig, und dann kann auch die bloße Hand mit einiger Geduld solche Verhedderung lösen. Bei strenger Kälte dagegen bietet das Messer das einzige Hilfsmittel; und zwar, wenn oft dazu gegriffen werden muß, ein gefährliches. Denn da durch jeden Schnitt und Knoten die Riemen kürzer werden, so kommen sie endlich so nahe an den Schlitten heran, daß sie keinen genügenden Spielraum mehr haben. Nur dadurch, daß er einen guten Teil seiner Seehundshosen opferte, konnte der Doktor die zerstückelten Zugriemen wieder ergänzen. Doch fand diese Tat auch ihren Lohn. Denn man entdeckte kurz darauf ein altes Eisfeld, auf dem sie glücklich die bis dahin unnahbare Küste erreichten. Dies war der erste gelungene Versuch, zu dem nördlichen Lande vorzudringen; denn die drei ersten organisierten Fußexpeditionen waren durch das Eis in ihren Erfolgen vereitelt worden. Der erreichte Punkt liegt unter 79° 43’ nördlicher Breite und 69° 12’ westlicher Länge. Auf 30 englische Meilen weit kann man die Küste nördlich und östlich überschauen. Hier war der Endpunkt des Vorstoßes; zwei große Vorgebirge – Kap Joseph Leidy und John Frazer – bezeichnen ihn. Die Klippen bestanden aus Kalk-und Sandstein, wie die gegenüberliegenden der Peabody-Bai, und stiegen im Norden höher als 2000 Fuß. Der Eisgürtel war zwischen 50 und 130 Fuß breit und stand gegen die von den Klippen herabgestürzten schwarzen Trümmer wie ein blanker Sims von blendendem Weiß.
Am 28. Mai besserten die beiden Reisenden ihren Schlitten aus, der völlig zerbrochen war, und pflegten ihre Hunde. Nur 18 Pfund Pemmikan waren noch vorhanden, und es bestand keine Aussicht, etwas zu jagen. Die Umkehr war daher eine Notwendigkeit. Nun ging die Fahrt auf dem Landeis in der entgegengesetzten Richtung auf Kap Sabine zu; und nachdem sie diesen Punkt bestimmt und mit der neu entdeckten Küstenlinie in Verbindung gebracht hatten, setzten sie in mehr südlicher Richtung über das Eis. Glücklicherweise fanden sie den Weg frei von Eisbergen, doch ihre Lebensmittel waren fast aufgezehrt und die Hunde erschöpft. Sie warfen ihre Schlafsäcke und manches von ihren Kleidern fort und gewannen dadurch eine Erleichterung um fast 50 Pfund. Jetzt verlief die Fahrt besser und endete mit ihrer Ankunft am 1. Juni an Bord der »Advance«.
Durch diese Reise wurde ein bedeutendes Stück der Küste entdeckt und mit den Aufnahmen meines Vorgängers in Verbindung gebracht. Irgendeinen Ausgang aus der Bai hatten wir nicht entdeckt; und doch war ich überzeugt, daß er vorhanden sein müsse. Die große Kurve konnte keine Sackgasse sein. Die allgemeine Bewegung der Eisberge, Fluten und Strömungen führten ebenso wie die aus der physischen Geographie geschöpften Analogien zu dieser zwangsläufigen Annahme. Um hierüber Klarheit zu gewinnen, bereitete ich eine neue Expedition vor, die nunmehr in nordöstlicher Richtung operieren sollte, wo sich möglicherweise wirklich noch neue Feststellungen treffen ließen. Diese Expedition war der letzte Einsatz, den ich noch machen konnte. Sie sollte mittels Hundeschlitten ausgeführt und von einem Trupp zu Fuß unterstützt werden, der Lebensmittel bis zum großen Gletscher vorausschaffte. Ich selbst konnte sie leider nicht begleiten, da ich noch immer an Skorbut krank darniederlag.
Nach Süden treibender Eisberg
MacGary, Bonsall, Hickey und Riley waren für die erste Abteilung der neuen Expedition bestimmt; Morton, der sie begleitete, hatte die Weisung, sich möglichst wenig anzustrengen, um recht frisch das ihm zugewiesene Stück der Linie, die erforscht werden sollte, aufnehmen zu können. Den Hans behielt ich noch zurück bei den Hunden; so konnte er uns durch seine Jagd noch eine Zeitlang nützlich sein.
Die Gesellschaft zog am 4. Juni ab; mit leichtem Gepäck und einem großen breitkufigen Schlitten, um besser durch den Schnee zu kommen. Sie sollten unsere letzte Reiselinie verfolgen, sich unterwegs aus den Depots versorgen und bis zum großen Gletscher vordringen. Hans sollte sie dann mit den Hunden einholen. Und während MacGary mit drei Mann versuchte, den Gletscher zu besteigen, zu messen und einen Blick in das innere Land zu tun, sollten Morton und Hans mit dem Hundeschlitten die Bai des Gletschers überschreiten und die jenseits liegende Küste besichtigen. An die Möglichkeit, den Gletscher zu ersteigen, glaubte ich allerdings nicht. Die größte Erwartung hegte ich von Morton, einem Manne voll Intelligenz, Mut und Ausdauer. Er hatte einen Sextanten, einen künstlichen Horizont und einen Taschenchronometer mit sich genommen …
Wir sind nun allein und können nichts tun als warten, wann das Eis uns gestatten wird, uns aus unserer Gefangenschaft zu befreien. Die Sonne scheint stark, und die Luft erinnert uns an einen heimischen Sommer. Wir sind eine Gesellschaft von Patienten; denn außer Ohlsen und Whipple ist kein gesunder Mann mehr an Bord. Wir benutzen unsere Muße, um den Witterungswechsel und alles, was der Sommer an Vögeln, Insekten und Gewächsen mit sich bringt, zu beobachten. Eine Fliege schwirrte heute (6. Juni) um Godfreys Ohr. Petersen brachte einen Kokon, aus dem sich das Insekt bereits herausgefressen. Hans erlegt täglich einen oder ein paar Seehunde und mitunter ein Schneehuhn oder einen Hasen. Auch eine Schnepfe wurde noch am Tage ihrer Ankunft glücklich erbeutet … So sind wir sicher, daß der Sommer kommt; obgleich unser Eisloch noch allnächtlich zufriert und die Eisdecke so fest als jemals ist.
Die Seehunde, die wir bis jetzt hier jagten, sind alle von der rauhen und borstigen Art. Das Fleisch dieser Robbe wird von den Dänen auf Grönland allgemein gegessen und bildet beinahe die Hauptkost der Eskimos. In rohem Zustande hat es ein schwammiges Aussehen, eher wie geronnenes Blut als wirkliches Muskelfleisch; gekocht wird es kohlschwarz. Es ist dann fester, doch aber mürbe und zart, mit kaum merklichem Oelgeschmack. Der frische Speck ist um diese Jahreszeit lieblich und schmackhaft.
Man schießt die Robben, während sie bei ihren Atemlöchern liegen. Gegen die Mitte des Sommers hin kann man ihnen leichter beikommen; denn dann greift das Sonnenlicht ihre Augen so an, daß sie fast blind sind. Wenn ein frischgeschossener Seehund der Sonne ein paar Stunden ausgesetzt ist, wird die Haut blasig aufgetrieben und zerstört; oder »gekocht«, wie die Seeleute sagen. Wir haben mehrere Häute auf diese Weise verloren. Außer der erwähnten Robbenart besuchte nur noch die bärtige Robbe den Rensselaerhafen. An einigen habe ich 10 Fuß Länge und 8 Fuß Umfang gemessen. Wegen seiner plumpen Größe verwechselten wir das Tier nicht selten mit dem Walroß.
Der borstige Seehund kann nur Eis vom Alter eines Jahres durchbrechen und erscheint mithin da, wo das Jahr vorher offenes Wasser war. Die bärtige Robbe stößt gar keine Atemlöcher ins Eis, sondern ist mit ihrem Luftbedarf auf zufällige Eisspalten angewiesen. Sie zieht sich daher nach Stellen, wo Eisberge und Felder in Bewegung sind, und verbreitet sich aus diesem Grunde über weitere Räume, während ihre kleineren borstigen Brüder sich in volkreiche Haufen zusammendrängen.
Der bärtige Seehund erscheint etwas später als der andere und wird von den Eskimos mit Spannung erwartet; denn seine Haut gibt die leichtesten, festesten und dauerhaftesten Fang-und Zugleinen. Um diese in größter Vollkommenheit zu erhalten, wird das Tier in einer Spirale abgehäutet, die ununterbrochen vom Kopf bis zum Schwanz läuft. Dieser Streifen wird von den alten Weibern sorgfältig durchgekaut, mit Lampenöl gründlich eingefettet und dann in den Hütten zum Reifwerden aufgehangen.
Als ich einmal nach den Eskimohütten unterwegs war, sah ich eine große bärtige Robbe, die auf dem Eise schlief und sich sonnte. Um heran zu kommen, gebrauchte ich das erfrischende Mittel, mich auf den Leib zu legen und unter der Deckung kleiner Eisbuckel langsam vorwärts zu kriechen. Als ich endlich in Schußweite war, sah ich, wie das Tier eine plumpe Seitenwendung machte und jählings den Kopf hob. Offenbar hatte diese Bewegung keinen Bezug auf mich; denn die Robbe wandte den Kopf fast in die entgegengesetzte Richtung. Jetzt sah ich aber auch, daß ich einen Jagdnebenbuhler hatte: einen großen Bären, der – gleich mir auf dem Bauch liegend – mit stoischer Geduld auf Gelegenheit zum Anpürschen wartete. Was sollte ich jetzt tun? Der Bär war mir natürlich mehr wert als die Robbe, aber diese war in Schußweite und jener ein Sperling auf dem Dach. Andererseits war ich wehrlos, sobald ich meinen Schuß auf die Robbe abgefeuert hatte. Dann hätte ich dem Bären einen Braten geschossen und mit meiner Person als Dessert dienen können. Dies Dilemma fand schnell sein Ende; denn eine Bewegung der Robbe erregte mein Jägerblut so stark, daß ich abdrückte. Doch nur das Zündhütchen ging los. Augenblicklich platschte die Robbe ins Wasser und verschwand in der Tiefe. Der Bär machte ein paar Sätze und stand verdutzt auf der Stelle, wo eben noch die Robbe gelegen. Einen Augenblick starrten wir uns gegenseitig an; dann wandte sich der Bär mit jener Selbstbeherrschung, die den Starken ziert, und trabte in der einen Richtung fort, ich in der andern.
Die allgemeine Annahme, daß der Polarbär mit dem Walroß kämpfe, findet bei den Eskimos am Smithssund keinen Glauben. Auch meine eigene Erfahrung widerspricht dem gänzlich. Das Walroß entfernt sich nie weit vom Wasser, und in diesem seinen eigentlichen Element hat es keinen Rivalen. Zwar habe ich gesehen, daß der Bär dem bärtigen Seehunde nachtauchte; doch bei der dicken Haut und kolossalen Kraft des Walrosses ist solch Angriff zwecklos.
Am 9. Juni konnte ich zum ersten Male wieder ins Freie gehen. Ich war sehr erstaunt über den Zustand des Eises. Bisher hatte ich mich auf die Aussagen meiner Kameraden verlassen müssen und glaubte den Auftauungsprozß in vollem, raschem Gange. Aber sie waren im Irrtum: ich erkannte, daß wir einen späten Sommer haben würden. Weder in der Breite noch Höhe hatte sich der Eisgürtel wesentlich verringert, und sein Fuß war kaum von den Fluten angegriffen. Die Eisebene zeigte sich weniger verändert, als zu erwarten gewesen wäre. So mußte ich mich auf die Möglichkeit gefaßt machen, daß wir für diesmal nicht aus dem Eise frei kommen würden. Das war eine Katastrophe. Denn wir hatten keine Kohlen für eine zweite Durchwinterung, unsere Vorräte an frischem Fleisch waren erschöpft, und die Kranken bedurften einer Veränderung, wenn es besser mit ihnen werden sollte.
Am selben Tage hatte ich Hans angewiesen, seine Jagd in der Gegend der Eskimohütten zu betreiben, da ich hoffte, daß er offenes Wasser finden würde. Er kehrte am Abend nicht zurück. Als am andern Morgen Doktor Hayes und Ohlsen ausgingen, um ihn zu suchen, fanden sie den abgehärteten Wilden kaum fünf englische Meilen von der Brigg in festem Schlaf. Neben ihm lag eine große bärtige Robbe, wie gewöhnlich in den Kopf geschossen. Er hatte sie sieben Stunden lang über das Eis geschleppt … –
Am 16. Juni besuchten uns zwei langschwänzige Enten – schöne Tiere, sowohl im Fluge als in der Ruhe. Außer ihnen hatten wir um diese Zeit zu Gesellschaftern in unserer Einöde Schneeammern, Schnepfen, die Burgemeistermöven, Schneehühner, nordische Taucher. Alles jedoch nur vereinzelte Paare; ausgenommen die Schneeammern, die in Scharen unsere Felsen bevölkern und uns mit ihrem Gesang an die Heimat erinnern. Am 20. Juni brachte mir Petersen zu meinem Erstaunen eine ganze Hand voll Scharbockkraut, das ich früher hier weder bemerkt noch vermutet hatte. Ich nahm es mit Dank an und aß es sofort auf, ohne erst so zu tun, als wolle ich den Anderen etwas davon abgeben. Die Pflänzchen waren etwa zollhoch, aber trotzdem mit aufbrechenden Blütenknospen versehen.
Am 21. Juni, zur Sommer-Sonnenwende, fiel bereits wieder ein feuchter flockiger Schnee, der auf unserm Deck schmolz und der großen schmutzigen Eisfläche ein reines Gewand anzog. Nun ließen sich auch Eidergänse sehen, hielten sich aber nicht auf, sondern zogen gen Süden. Sie schienen Brutplätze zu suchen, aber das viele Eis mochte sie verscheuchen. Ohlsen und Petersen sahen bei einem Ausflug an Land Renntiere und brachten ein schönes Exemplar der Königsente mit. Es war ein vereinzeltes Männchen, glänzend an Kopf und Nacken in Orange, Schwarz und Grün.
In unser aller Befinden ist eine zwar langsame, doch merkliche Besserung eingetreten. Ich gebe den Leuten leichte Beschäftigung und lasse sie fleißig sich sonnen. Des Nachmittags schlendern wir an der Küste umher und suchen im Schnee nach saftigen Pflanzen.