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Titelmotiv: Anzugtester Daniel Schildhammer vom Österreichischen Weltraum Forum während eines Kontaminationsexperiments in den Dachstein Rieseneishöhlen

Eugen Reichl

SPACE 2013

Das aktuelle Raumfahrtjahr mit Chronik 2012

Impressum

Vorwort

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Thomas Reiter, Chef des Direktorates für bemannte Raumfahrt bei der Europäischen Raumfahrtbehörde ( ESA ). DLR

Europa ist mit seiner Luft- und Raumfahrt über mehr als 40 Jahre hinweg etwas gelungen, was kein europäischer Staat allein geschafft hätte: Europa ist heute in der Luft- und Raumfahrt aktiv, international anerkannt und geachtet, mit oft führenden Positionen in Wissenschaft und Wirtschaft – ein begehrter Kooperationspartner. Insofern stehen Luft- und Raumfahrt für die großartigen Chancen, die das gemeinsame Europa uns bietet. Dies gilt für die gesamte europäische Luft- und Raumfahrtindustrie zum einen und zum anderen besonders für die Wissenschaft. Denn dort werden die Grundlagen für diesen Erfolg geschaffen. Europa fertigt mit der Ariane-5 die gegenwärtig erfolgreichste Trägerrakete bei kommerziellen Satellitenstarts. Nicht zu vergessen: das Columbus-Modul und das Versorgungsfahrzeug ATV sowie die wissenschaftlichen und kommerziellen Satelliten. Auf nahezu allen Gebieten der Raumfahrt hat Europa eigene Kompetenzen, die es zu erhalten- und weiterzuentwickeln gilt.

Unsere Eigenständigkeit in der Raumfahrt wollen und müssen wir uns bewahren, insbesondere unter den gegenwärtig schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen. Dazu können wir sowohl in der europäischen Kooperation als auch im internationalen Wettbewerb noch besser werden. Dies erreichen wir durch wichtige Entscheidungen zu technologischen Entwicklungen und ein effizientes Management.

Beiträge dazu werden in vielen Bereichen geleistet. Nicht nur durch die, die auf Grund ihres Berufes die Raumfahrt voran bringen. In ganz Europa gibt es Vereine deren Ziel es ist, die Belange der Raumfahrt zu unterstützen und zu propagieren. Mit zu den führenden dabei gehört der Verein zur Förderung der Raumfahrt VFR und seine Raumfahrtchronik SPACE. Seit nunmehr zehn Jahren dokumentiert SPACE die weltweiten Aktivitäten auf dem Weg ins All – objektiv, sachlich, kritisch.

Dem VFR und SPACE wünsche ich weiterhin viel Erfolg!

Thomas Reiter

Editorial

Liebe Leserin, Lieber Leser,

schon immer beflügelte der Mars unsere Gedanken. Seit einem halben Jahrhundert versuchen Menschen den Roten Planeten mit Raumsonden zu erreichen. Die überwiegende Zahl dieser Versuche ist in der Vergangenheit gescheitert und selbst heute halten sich Erfolg und Niederlage die Waage. Die russische Raumsonde Fobos-Grunt, die neben der Erkundung des Planeten Mars aus der Umlaufbahn auch eine Landung auf seinem Mond Phobos, die Entnahme einer Bodenprobe und deren Rücktransport zur Erde versuchen sollte, ist schon auf dem ersten Wegabschnitt gescheitert. Der US Rover Curiosity dagegen hat es in einem dramatischen Landemanöver zur Oberfläche des Mars geschafft und beginnt in den Tagen, an denen diese Zeilen entstehen, gerade seine mehrjährige Forschungsmission im Gale-Krater.

Eines hoffentlich nicht allzu fernen Tages werden sich auch Menschen auf den Weg zum vierten Planeten unseres Sonnensystems machen. Die Vorbereitungen dafür laufen bereits. Wir berichten in dieser Ausgabe von SPACE über eine sogenannte Mars Analog-Mission, bei der bestimmte Aspekte einer bemannten Erkundung des Roten Planeten in geeignetem Gelände auf der Erde simuliert werden. Das macht man nicht in der Erwartung, möglichst glatt über die Runden zu kommen, sondern ganz im Gegenteil in der Hoffnung, dass möglichst viele Probleme auftreten. Auf der Erde können sie dann in aller Ruhe gelöst werden. Auf dem Mars könnten sie zur Katastrophe führen.

Wir berichten in diesem Zusammenhang über die „Dachstein Mars Simulation 2012“ und den Raumanzug-Simulator Aouda.X. Er wurde von einem Team aus Ingenieuren und Technikern des Österreichischen Weltraum Forums unter der Leitung von Dr. Gernot Grömer entwickelt. Der Test-Anzug wurde im Mai dieses Jahres in einem fünftägigen „Mars Analog Feldtest“ in den Rieseneishöhlen des Dachstein-Gebirges im Salzkammergut erprobt. Und ich kann Ihnen schon soviel verraten: Außerirdischer geht eine Mars-Simulation auf der Erde kaum irgendwo.

Neben dem Schwerpunkt Mars haben wir viele weitere interessante Themen für Sie vorbereitet. Wir berichten über die Fortschritte der privaten Raumfahrt ( und sie hat enorme Fortschritte im Berichtsjahr gemacht ), wir berichten über den Erstflug der neuen europäischen Trägerrakete Vega und den Jungfern-Einsatz der bewährten Sojus 2.1b vom europäischen Weltraumflughafen im Dschungel von Kourou. Wir berichten über Erfolge und Triumphe. Wir berichten aber auch über traurige Ereignisse, wie den Tod von Neil Armstrong, der im August 2012 überraschend verstarb.

Wir haben für Sie Stories zur Geschichte der Raumfahrt und ihrer Zukunft, Berichte zu den aktuellen Themen und zu raumfahrtpolitischen Entwicklungen. Wir bringen Reportagen, Glossen, Meinungen, Kommentare und – wie jedes Jahr – die Siegerbeiträge aus dem VFR Science-Fiction Wettbewerb. Nicht zu vergessen den Chronik-Teil mit den Ereignissen des vergangenen Jahres. Die ausführliche Statistik der im Berichtszeitraum erfolgten Starts, und den Ausblick auf die im laufenden Jahr noch folgenden Flüge.

Machen Sie sich einfach selbst ein Bild und schmökern sie in dieser wieder einmal – wie wir finden – besonders gut gelungenen Ausgabe von SPACE. Wenn Sie Kritik haben oder Lob, Tipps oder Meinungen, ein Problem oder eine Frage zu den Inhalten, wenn Sie sich schon mal die Ausgabe für das nächste Jahr reservieren oder gerne der Oma eins der Bücher schenken wollen: schreiben Sie uns einfach eine Mail an space@vfr.de. Wir freuen uns auf Ihr Feedback.

Und dann möchte ich an dieser Stelle wie immer dem SPACE-Team recht herzlich danken, allen voran den beiden Hauptprotagonisten: Unserem Grafiker, Layouter und Ideengeber Stefan Schiessl, der dafür sorgt, dass dieses Werk von optisch herausragender Qualität ist und Peter Schramm, dem „General Manager“ des Projektes. Er ist „die Mutter der Kompanie“. Er sorgt für die organisatorische Abwicklung des Ganzen, er sorgt dafür, dass Anzeigen hereinkommen und das Buch im Buchhandel platziert wird, er treibt das Team an und steckt mit nachsichtigem Lächeln so manch mürrischen oder unwilligen Kommentar weg, wenn er „seine“ Mannschaft mal wieder zur Termintreue mahnen muss. Und wenn‘s brennt, dann ist er auch als Korrekturleser tätig. Viel Arbeit steckt jedes Jahr auch Reinhold Glasl in das Buch. Er ist der Organisator des Science-Fiction Wettbewerbs, der eine etablierte Größe in den Aktivitäten des Vereins zur Förderung der Raumfahrt ist. Und schließlich möchte ich auch Ditmar Eckert danken, der in diesem Jahr einmal den „Wahrheitsgehalt“ unseres Statistik-Teils auf Herz und Nieren geprüft hat.

Besonders danken möchten wir auch Thomas Reiter, der als deutscher Astronaut auf zwei Raumstationen ( Mir und ISS ) insgesamt ein Jahr im Weltraum verbracht hat. Er ist heute Chef des Direktorats für Bemannte Raumfahrt bei der ESA und hat den VfR schon vor vielen Jahren mit Vorträgen unterstützt, als ihn noch kaum jemand kannte. In diesem Jahr hat er uns das schöne Geleitwort geschrieben, das Ihnen eingangs begegnet ist.

Und jetzt hinein ins Raumfahrtgeschehen. Wir wünschen Ihnen viel Freude bei der Lektüre von SPACE 2013. Halten Sie uns weiterhin die Treue. Im Namen des ganzen Teams, Ihr

Eugen Reichl

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Themen im Fokus

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Dragon nähert sich der ISS. – Bildquelle: NASA

Von der Riesen-Eishöhle zu den Sieben Schwestern

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Arbeiten im Raumanzug-Simulator im Tristan Dome der Dachstein Rieseneishöhle. ÖWF ( Katja Zanella-Kux )

Beginnen wir mit ein paar Fakten: Der Mars verfügt über etwa elf Prozent der Erdmasse. Ein Astronaut bringt auf seiner Oberfläche nur 38 Prozent seines irdischen Gewichtes auf die Waage. Die Oberfläche des Roten Planeten ist so groß, wie die aller Landmassen der Erde zusammen. Ein Tag auf dem Mars dauert 24 Stunden und 37 Minuten und er hat, verglichen mit den Bedingungen auf allen anderen Planeten und großen Monden des Sonnensystems, bedeutende klimatische und geo-logische Ähnlichkeiten mit unserem Heimatplaneten. Es gibt, hier wie da, Wolken, Wetter und Niederschläge. Es gibt Vulkane und Flusstäler. Und es gibt ziemlich viel Wasser. Stark salzhaltig und hart gefroren wie Granit, aber immerhin.

Die Durchschnittstemperatur auf dem Mars beträgt -63 °C. Verglichen damit ist die Durchschnittstemperatur der winterlichen Antarktis auf der Erde geradezu tropisch. Sein Magnetfeld ist viel zu schwach, um uns auf seiner Oberfläche vor der schweren Partikelstrahlung der Sonne und der interstellaren kosmischen Strahlung zu schützen und die Luft ist so dünn, wie auf der Erde in 30 Kilometern Höhe. Was aber auch schon egal ist, denn sie wäre auch dann nicht atembar, wenn sie dichter wäre. Unser Körper mag nun mal kein Gemisch aus Kohlendioxid und Argon.

Kurz und gut: Bei aller Erdähnlichkeit kann man die Bedingungen auf dem Mars durchaus mit dem Prädikat „Besonders anspruchsvoll“ beschreiben. Trotzdem wollen die Menschen dorthin. Aus vielen Gründen. Angefangen von der „Herausforderung“, also dem menschlichen „Sportsgeist“, über mögliche wirtschaftliche Aspekte, denn der Mars könnte dereinst als „Absprungbasis“ des künftigen Rohstoff-Abbaus auf den Asteroiden dienen, bis zum aus heutiger Sicht wichtigsten Punkt von allen: der Frage, ob es Leben im Weltall auch außerhalb der Erde gibt. Die Klärung dieses kosmologischen Grundproblems dominiert gegenwärtig unsere Aktivitäten auf dem Roten Planeten. Und das nicht zu Unrecht, denn soviel haben wir schon herausgefunden: In seiner Frühgeschichte herrschten auf dem Mars – im Gegensatz zu heute – durchaus lebensfreundliche Bedingungen. Um gerade über diesen letzten und vielleicht wichtigsten Aspekt Klarheit zu bekommen, wird es nicht genügen, Roboter zum Mars zu senden. Da müssen wir schon selber hin. Und um ein wenig das Gefühl über das „Wie“ und „Wo“ zu bekommen werfen wir jetzt einfach einen Blick in die Zukunft. Wir schreiben den 10. Januar 2034.

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Nach der Landung auf dem Mars wird die Expedition zum Arsia Mons vorbereitet. NASA

10. Januar 2034

Seit der Landung der „Zhèng Hé“ am Fuße des Vulkans Arsia Mons sind gut zwei Wochen vergangen. Die „Post Landing Deltas“, wie es in der Sprache der Internationalen Besatzung des Schiffes für die Abarbeitung der Tätigkeiten nach der Landung heißt, sind soweit erledigt, dass sich die Crew auf den Weg zu einer ersten Expedition machen kann.

Chinas nationale Raumfahrtbehörde hatte das Zielgebiet bereits in der Euphorie nach dem Erfolg der ersten Chinesischen Mars-Landesonde „Yinghuo-3“ im Rahmen eines internationalen Fach-Symposiums festgelegt. Auf demselben Kongress war der Beschluss gefasst worden, das günstige Startfenster im April des Jahres 2033 für eine bemannte Expedition zu nutzen. Nachdem eine solche Expedition finanziell, organisatorisch und infrastrukturtechnisch außerhalb der Reichweite aller anderen Nationen und Staatenverbände war, erklärte sich das Reich der Mitte bereit, die Projektführung ganz und die Kosten zu großen Teilen zu übernehmen. Von den beteiligten Nationen und Staatenverbänden sollten dafür allerdings einige Systemanteile zur Expedition beigesteuert werden.

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Arsia Mons und drei weitere Schildvulkane. NASA

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Diese riesigen Mars-Höhleneingänge wurden von der Raumsonde „Mars Odyssey“ entdeckt. Sie heißen, von links oben nach rechts unten Dena, Chloe, Wendy, Annie, Abbey, Nikki und Jeanne. Diese gewaltigen Schächte haben einen Durchmesser zwischen 100 und 250 Metern. Ihre Tiefe ist unbekannt, ebenso, ob sie sich unter der Oberfläche horizontal fortsetzen. NASA

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Hier ist noch das beim Deckeneinbruch in die Höhle gestürzte Material zu erkennen. NASA

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Aus dem Schatten auf die Wand dieses Höhleneingangs kann man berechnen, dass die Grube mindestens 178 Meter tief ist, wahrscheinlich aber deutlich mehr. NASA

Aus den USA kam beispielsweise das Nautilus-Habitat mit der daran angedockten Erdlandekapsel, die derzeit unbemannt in einer Marsumlaufbahn auf die Rückkehr der sechs Astronauten wartete. Russland hatte die Aufstiegsstufe gebaut. Ein Verbund der Unternehmen Porsche, Daimler und Volkswagen hatte es sich nicht nehmen lassen, die beiden Rover beizusteuern. Die Habitate stammten aus Japan und von der ESA kam die Ausrüstung für die Außenbordaktivitäten. Dies beinhaltete vor allem Raumanzüge, Experimente und Messgeräte. Im Austausch dafür durften die Projektpartner je ein Crew-Mitglied benennen. Die Besatzung der „Zhèng Hé“ bestand somit aus sechs Astronauten. Die Kommandantin und ihr Stellvertreter aus China. Die weiteren Besatzungsmitglieder kamen aus den USA, Russland, Japan und Europa.

Die Benennung des europäischen Expeditionsmitgliedes erwies sich als Überraschungs-Coup. Nachdem sich die ESA-Repräsentanten aus Frankreich, Deutschland, Italien und Belgien auch nach einer ganzen Reihe von Sitzungen nicht einigen konnten, welcher ihrer nationalen Astronauten bei dieser Reise dabei sein sollte, einigte man sich am Ende völlig überraschend darauf, einen Kompromiss-Kandidaten aus einem der kleineren ESA-Mitgliedsstaaten zu benennen. Und der kam aus einem Land, das sich eigentlich keinerlei Chancen ausgerechnet hatte, denn gewählt wurde am Ende ein Österreicher, der 50jährige Daniel Schildhammer.

Begründet wurde der Beschluss damit, dass Österreich seit vielen Jahren federführend an der Entwicklung des Mars-Raumanzugs beteiligt war, dieses Land bereits vor Jahrzehnten Simulationen mit Mars-Raumanzügen in Höhlensystemen durchgeführt hätte und „der Österreicher an sich“ im Übrigen bereits alpine Umgebung gewöhnt sei.

Das Ziel der Gruppe, Arsia Mons, ist der südlichste der vier großen Mars-Vulkane. An seinen Flanken kann man Moränen beob-achten, die von Gletschern stammen. Diese Eiszungen sind heute von Staub bedeckt, aber immer noch vorhanden. An den Hängen dieses Vulkanes wurden auch die „Sieben Schwestern“ entdeckt. Es sind dies sieben Höhleneingänge, die sich aus kollabierten Lavagängen gebildet haben. Sie tragen die Namen Dena, Chloë, Wendy, Annie, Abbey, Nikki und Jeanne. Schon früh hatte man aus der Umlaufbahn gemessen, dass an und in den Eingangsbereichen dieser Höhlen die Temperaturschwankungen viel geringer sind als an der Oberfläche. Man ging damals davon aus, dass es wegen der extremen Höhe, in der sich die Eingänge befinden, eher unwahrscheinlich sei, dass dort marsianisches Leben existiert. Im Laufe der Zeit mehrten sich jedoch die Anzeichen für vulkanische Restaktivitäten, und die Wahrscheinlichkeit stieg wieder.

Und so führte an jenem Januartag die erste große extraterrestrische Feldexpedition zu den Höhlen des Mars…

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So sah Eugene Cernans Raumanzug nach der dritten Mond-exkursion aus. Er wäre vielleicht noch ein viertes Mal, aber keinesfalls ein fünftes Mal einsetzbar gewesen. – Bildquelle: NASA

Wichtiges Expeditionselement: Der Raumanzug

Unser kurzer Abstecher in die Zukunft hat gezeigt: bei künftigen Marsmissionen wird die Erforschung der Höhlensysteme des Roten Planeten eine Top-Priorität bekommen. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Höhlen bieten eine perfekte Abschirmung gegen die Strahlung aus dem Weltraum. Sie eröffnen den Zugang zu Mineralien, Gasen und Eis, ohne dass erst meterdicke Schichten von Regolith entfernt werden muss. Sie haben eine vergleichsweise hohe Luftfeuchtigkeit. Und schließlich ist die Wahrscheinlichkeit, Leben auf dem Mars im gleichmäßigen Klima einer Höhle anzutreffen, bedeutend höher als unter den unwirtlichen Bedingungen der freien Oberfläche.

Wesentliches Element einer extraterrestrischen Felderkundung ist der Raumanzug. Dieser Anzug ist weniger ein Kleidungsstück als vielmehr ein Mini-Raumschiff zum Anziehen. Sein Gewicht darf unter den Schwerebedingungen des Mars 40-45 Kilogramm nicht überschreiten. Das ist ein recht anspruchsvolles Ziel. Es bedeutet, dass dieses System, das seinen Träger bis zu 12 Stunden schützen und versorgen muss, auf der Erde nicht wesentlich mehr als etwa 100 Kilogramm wiegen darf. Zum Vergleich: Die A7LB-Raumanzüge, wie sie im Apollo-Programm bei den Missionen Apollo 15 bis Apollo 17 auf der Mondoberfläche eingesetzt wurden wogen auf der Erde „vollgetankt“ 96 Kilogramm. Sie schützten ihren Träger für neun Stunden vor dem tödlichen Vakuum und versorgten ihn mit Luft, Wasser und Energie.

Ausreichend, könnte man auf den ersten Blick sagen. Doch dem ist leider nicht so, denn der Mars spielt, hinsichtlich der Anforderungen an einen Raumanzug, in einer ganz anderen Liga als die ISS oder der Mond. Man ist viel weiter von der heimatlichen Erde entfernt und somit völlig auf sich alleine gestellt. Bei Apollo, und selbst heute noch in der ISS, wurden und werden fast alle Telemetrie-Daten des Anzugs von der Erde aus überwacht. Beim Mond ist das ohne weiteres machbar. Die Signal-Laufzeit hin und zurück beträgt nur drei Sekunden. Beim Mars dagegen ist das ganz anders. Hier brauchen die Funksignale zur Erde und wieder zurück bis zu 40 Minuten. Außerdem hat der Mars – im Gegensatz zu Mond und freiem Weltraum – eine Atmosphäre, wenngleich auch eine extrem dünne. Der Anzug muss daher möglicherweise mit Staubstürmen und den allgegenwärtigen Marsianischen Staubteufeln fertig werden. Das sind Windhosen, die an sich für einen Astronauten kaum spürbar sind, die aber dennoch feinsten Staub verfrachten und in alle Ritzen des Anzugs eindringen. In Scharniere, Gelenke und Dichtungen.

Überhaupt: Der Staub. Vielleicht DAS Problem schlechthin. Schon bei Apollo waren die Astronauten kurz nach dem ersten Außenbordmanöver völlig verschmutzt. Die elektrisch aufgeladenen Partikel hingen überall fest und waren nicht mehr vom Anzug wegzubringen. Bei den letzten Mondlandungen behalfen sich die Besatzungen der Mondfähren mehr recht als schlecht mit einer Art Besen, mit dem sie sich nach der Außenbord-Aktivität „abstaubten“. Die Apollo-Raumanzüge überstanden gerade mal so eben drei Einsätze. Auf dem Mars aber muss jeder Anzug hunderte Male verwendbar sein.

Ein anderes Problem ist die Muskelermüdung. Bei einem „aufgepumpten“ Raumanzug muss der Astronaut ständig gegen die Tendenz der Biege-Elemente ankämpfen, eine steife Haltung einzunehmen. Es bedarf einer erheblichen Kraftanstrengung, die Hand zu schließen, die Finger zu bewegen, die Knie zu beugen oder die Arme anzuwinkeln. Hier müssen leichte, widerstandsfähige Mechanismen entwickelt werden, die mit der Ressource „Körperkraft“ der Astronauten pfleglich umgehen. Bei den Mond-Exkursionen, ja selbst noch bei den Außenbordmanövern der ISS war und ist es gang und gäbe, dass sich die Nägel der Astronauten ablösen und Blutergüsse an den Fingern entstehen. Und zwar einfach durch das stundenlange Scheuern der Fingerspitzen am Inneren der Raumanzugs-Handschuhe.

Derlei Hindernisse mögen bei einer kurzen „Sprint-Mission“, wie es die Mondlandungen des Apollo-Programms waren, eben noch gerechtfertigt sein. In diesen acht bis zwölf Tagen war der Adrenalin-Pegel im Blut der Astronauten ohnehin permanent so hoch, dass sie die Schmerzen kaum spürten. Bei einer Expedition, die allein auf dem Mars 15 Monate zubringt, wird dies jedoch anders sein. Ganz abgesehen vom hohen Entzündungsrisiko, das dann besteht.

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Anzugtester Daniel Schildhammer im King-Arthur Dome, Dachstein Rieseneishöhle. – Bildquelle: ÖWF ( Katja Zanella-Kux )

Prinzessin Aouda ist ein Monster

Über all das und noch viel mehr muss man sich lange im Vorfeld der ersten bemannten Expedition zum Mars Gedanken machen. Und das führt uns zu den Riesen-Eishöhlen des Dachstein-Gebirges. Denn dort fanden sich im Mai 2012 auf Einladung des Österreichischen Weltraum Forums eine ganze Reihe befreundeter Pro-Space Organisationen, wissenschaftliche Institute und Pressevertreter ein. Menschen aus insgesamt 10 Nationen und drei Kontinenten waren vertreten. Und Prinzessin Aouda.

Prinzessin Aouda ist bekannt aus Jules Vernes Roman „In 80 Tagen um die Welt“. Doch die Aouda, die auf dem Dachstein in den Diensten des Österreichischen Weltraum Forums stand, hat so gar nichts von der grazilen Anmut an sich, die man bei einer Prinzessin gemeinhin erwartet. Trotzdem verdrehte sie allen Leuten mindestens so sehr den Kopf, wie die literarische Aouda dem Romanhelden Phileas Fogg. Was aber daran liegt, dass diese Aouda eher ein Monster ist. Eine klobige Mischung aus Maschine und Gewand. Nur das Gewicht – etwa 45 Kilogramm – könnte in etwa zu Jules Vernes Figur passen. Die „Dachstein-Aouda“ hat dafür einen spacigen Namenszusatz erhalten, nämlich ein „.X“ ( für Experimental ). Aouda.X ist auch keine Prinzessin, sondern ein Raumanzug-Simulator. Und die 45 Kilo verteilen sich nicht in anmutige Proportionen aus Fleisch und Blut sondern sind in Geräten, Batterien, Elektronik, Verbrauchs- und Versorgungsgütern, einem Exo-Skelett, Gummibändern, einer silbrigen Hülle und einem Plexiglas-Helm angelegt. Aouda.X verfügt auch über ein Lebenserhaltungssystem, das zwar nicht gegen das Vakuum des Weltalls oder die Strahlung anarbeiten muss, aber doch immerhin seinem Träger ein halbwegs angenehmes Klima schaffen soll. Entwickelt wurde Aouda.X von einem Team aus Ingenieuren und Technikern des Österreichischen Weltraum Forums, in Zusammenarbeit mit einer Reihe namhafter Industrieunternehmen unter der Leitung von Dr. Gernot Grömer. Sie stand im Mittelpunkt der „Dachstein Mars Simulation 2012“, einem fünftägigen so genannten „Mars Analog Feldtest“.

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Anzugtester Daniel Schildhammer bei der Probenentnahme in der Dachstein Rieseneishöhle. – Bildquelle: ÖWF ( Katja Zanella-Kux )

Statt in 80 Tagen um die Welt 400 Tage auf dem Mars

Ziel ist es, eines nicht allzu fernen Tages alle Spezifikationsdaten für einen voll funktionsfähigen, für sein Aufgabengebiet optimierten und lange haltbaren Mars-Raumanzug zur Verfügung zu haben. In diesem Sinne ist die Dachstein-Simulation nur eine in einer ganzen Reihe immer weiter verbesserter Feldversuche. Weltweit arbeiten derzeit vier Teams an solchen Simulationen, die Experimente in den Höhlen des Dachstein-Gebirges sind aber die ersten unter realistischen Bedingungen.

Ein Raumanzug, mit dem man bei einer 400tägigen Marsexpedition unzählige EVA‘s – ExtraVehikulare Aktivitäten – durchführt, muss sehr gut durchdacht sein. Einem Test-Astronauten auf der Erde kann man den Helm abnehmen, wenn er merkt, dass innen irgendwas verrutscht ist. Auf dem Mars ist das weniger empfehlenswert. Nachdem Aouda.X nicht wie ein richtiger Raumanzug „aufgepumpt“ ist ( er wird ja nicht im Vakuum getestet ), wird der Widerstand in den beweglichen Elementen wie den Fingern, den Knie- oder Ellbogengelenken, mechanisch simuliert. Das Ziel ist die Entwicklung passender Innenbeschichtungen der Handschuhe und mechanischer Beugehilfen, die in möglichst wenig anstrengende Arbeitsbedingungen für den Astronauten resultieren. Der Träger des Simulators ist auch mit medizinischen Sensoren ausgerüstet, ganz wie ein echter Mars-Astronaut. Weitere Schwerpunkte der Dachstein-Marssimulation liegen auf der Erprobung der Telemetrie, auf Aspekten der allgemeinen Tragbarkeit des Anzuges, der Gewichtsverteilung, der Verteilung der Untersysteme, der Häufigkeit des Einsatzes und vielem mehr.

Aouda.X ermöglicht es seinem Träger aber immerhin, nicht nur mit der „Bodenstation“ ( die auf der Schönbergalm eingerichtet worden war ) zu kommunizieren, sondern auch mit unbemannten Rovern, die mit ihm zusammen auf dem „Dachstein-Mars“ tätig sind und auch mit der Besatzung eines fiktiven zweiten Mars-Raumschiffes. Dieses zweite Mars-Raumschiff wurde von einer weiteren „Bodenstation“ simuliert, die sich im 20.000 Kilometer entfernten Wellington in Neuseeland befand.

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Erst im Feld tauchen Probleme auf, die im Labor nie vorhanden waren. So verrutschte den Anzugtestern regelmäßig das Headset, so dass der Helm erneut geöffnet wurde um das Headset an die ursprüngliche Position zu bringen. Am Mars wäre dies natürlich unmöglich. – Bildquelle: ÖWF ( Katja Zanella-Kux )

So real wie irgend möglich

Der Raumanzug-Tester am Dachstein war der 28 Jahre alte Student der Materialwissenschaften Daniel Schildhammer. Er zieht sich zunächst schwarze Spezialunterwäsche an. Darüber kommt das Exo-Skelett in das Expander eingearbeitet sind. An einigen Körperstellen sind zusätzliche Gewichte angebracht. Die Bewegungen werden soweit erschwert, dass sie denen eines realen Raumanzuges entsprechen. Wie in jedem richtigen Raumanzug kann man auch in Aouda.X essen und trinken, und – nicht unwichtig – auch „aufs Klo gehen“. Buck Rodgers im Science Fiction-Film macht so was natürlich nie. Aber wir sind hier im richtigen Leben und wir erinnern uns: der Mensch ist bis zu zwölf Stunden in diesem Anzug eingeschlossen und kann nicht eben mal kurz austreten. Auch das Arbeiten mit zusätzlicher Ausrüstung gehörte zu den Aufgaben der Dachstein-Simulation. So musste der Test-Astronaut beispielsweise den „Cliffbot“ betätigen, den „Klippen-Robot“. Das ist ein Gerät, das mit einem Seil über steile Abhänge oder Klippen herabgelassen wird, um dann an einer Felswand oder in unzugänglichem Gelände In-Situ-Untersuchungen durchzuführen. Auf dem Mars wird manches schwierige Gelände nicht direkt erreichbar sein. Dann schlägt die Stunde des „Cliffbots“. Dieses Gerät stellte übrigens die französische Mars-Gesellschaft zur Verfügung, die ebenfalls an der Simulation teilnahm.

Am Dachstein wurde auch eine Sprachsteuerung des Anzuges getestet. Sie muss im Ernstfall auch dann noch funktionieren, wenn sein Träger heiser wird oder sich seine Tonlage stressbedingt ändert.

Ihre Funktionstüchtigkeit, wie auch die vieler anderer Komponenten, wird ständig gemessen und in das Kontrollzentrum übertragen. Übrigens auch alles, was der Astronaut in seinem Anzug sieht, denn ähnlich wie in richtigen Raumanzügen ist auch der Simulator mit einer Helmkamera ausgerüstet, welche die Bilder in Echtzeit zur „Mission Control“ überträgt. Eines kann man mit dem Simulator übrigens nicht: Sich klammheimlich anschleichen. Der Anzug ist nämlich laut. Sehr laut. Im Inneren befinden sich vier leistungsstarke Ventilatoren. Die sollen verhindern, dass der Träger von Aouda.X aufgrund seiner Eigenwärme einen Hitzschlag bekommt. Und so braucht man gar nicht hinzugucken. Wenn man schwere Schritte in Verbindung mit einem turbinenartigen Heulen hört, dann weiß man: Aouda.X ist im Anmarsch.

Neben Aouda.X wurden auch zahlreiche Rover und Fluggeräte in den Höhlen getestet. Manche unabhängig vom Raumanzug-Simulator, manche im Zusammenspiel mit diesem. So freuten sich beispielsweise die „Part Time Scientists“ ( die eigentlich einen Mond-Rover konstruieren ) über die zahlreichen unterschiedlichen Bodenstrukturen, die sie in den Höhlen vorfanden: von Schnee und Eis, über Schotterpisten und aufgeweichte Sandböden bis hin zu verschiedenen Härtegraden von Kalkstein.

Dann war auch der polnische Rover MAGMA zu Gast. Er wurde von der privaten ABM-Space in Thorn entworfen; und ein amerikanisch-französisches Geologenteam baute das Instrument WISDOM – ein Radargerät das für eine aktuelle ESA-Mission entwickelt wurde und das den Boden mehrere Meter tief analysieren kann. Im Zentrum stand aber stets Aouda.X mit seinen Problemen und den daraus resultierenden Lösungen. Dr. Gernot Grömers Fazit ist ebenso überraschend wie einleuchtend: „Wir müssen für jedes Problem, auf das wir hier stoßen, dankbar sein. Denn die Probleme, die wir hier haben, können wir auf dem Mars vermeiden“.

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Asimov Jr. R3 Rover der Part-Time Scientists ( Google Lunar X-Prize team ) im King Arthur Dome in der Dachstein Eishöhle. – Bildquelle: ÖWF ( Katja Zanella-Kux )

24. März 2035

Am Fuß des Marsvulkans ist der Tag des Abflugs gekommen. Die zurückbleibenden Instrumente und Forschungseinrichtungen werden in den automatischen Modus geschaltet, die Ausrüstung wird eingemottet. Die Forscher sind sicher: Sie waren zwar die Ersten, aber sie werden nicht die Letzten sein. Doch jetzt, nach 15 Monaten, heißt es Abschied nehmen vom Arsia Mons und den sieben Schwestern. Die Triebwerke der zweistufigen Orbitalrakete feuern und knapp sieben Minuten nach dem Abheben hat die Crew die Umlaufbahn erreicht und ist auf dem Weg zum Nautilus-Habitat. Mit diesem werden die Astronauten wenige Tage später den Rückweg zur Erde antreten.

Am 9. Dezember 2035 werden sie die Mondbahn in Richtung Erde überqueren und dann in ihre Erdrückkehr-Kapsel umsteigen. Das Nautilus-Habitat geht danach in eine weit geschwungene elliptische Umlaufbahn um die Erde, um zunächst am Raum-Depot am Lagrange-Punkt 2 zu tanken und sich dann innerhalb weniger Wochen der Internationalen Raumstation „Beta“ zu nähern und dort anzulegen. Dort werden Wissenschaftler die geologischen und – vielleicht – biologischen Proben der „Zhèng Hé“ Expedition untersuchen.

Zu diesem Zeitpunkt hat aber die Crew die Re-Adaption an die irdische Schwerkraft schon wieder abgeschlossen und wird aus der medizinischen Aufsicht entlassen. Ein guter Grund für den nunmehr 52jährigen Daniel Schildhammer für einen Urlaub an den Ort zurückzukommen, an dem alles begonnen hat: Der Riesen-Eishöhle am Dachstein.

„Unternehmen Himmelskran“ oder „Sieben Minuten Terror“

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Der „Skycrane-Modus“ wird eingeleitet. – Bildquelle: NASA

Am frühen Morgen des 6. August, um 7:32 Uhr mitteleuropäischer Zeit landete das Mars Science Laboratory der NASA, besser bekannt unter der Bezeichnung „Curiosity“ sicher im Gale-Krater auf dem Mars. Das Unternehmen war waghalsig. Fest stand an diesem Tag nur, dass an seinem Ende Curiosity auf dem Mars sein würde. Schon Monate zuvor ließ die Mechanik seiner Flugbahn keine andere Möglichkeit mehr zu, sofern man sie nicht beeinflusste. Die entscheidende Frage war nur: Wo auf dem Mars wird Curiosity landen, und vor allem: mit welcher Geschwindigkeit wird der Rover es tun?

Für die Landung von Curiosity hatten sich die Ingenieure der Jet Propulsion Laboratories ein Verfahren ausgedacht, das man nicht anders als haarsträubend bezeichnen kann. Vielleicht machte sich da die Nähe zu Hollywood bemerkbar. Allerdings wäre die Sache bei der Planung der Stunts für einen James Bond-Film wahrscheinlich durchgefallen. Zu abgefahren. Das glaubt keiner. Ein siebenminütiger Höllenritt im Unwahrscheinlichkeitsmodus. Und am Schluss, als Gipfel des Ganzen: der Einsatz des „Skycrane“. Ein Kran ohne Mast, der direkt aus dem Himmel kommt, unter feuernden Triebwerken ein Fahrzeug von der Größe eines PKW abseilt und sich dann mit Vollgas wieder davonmacht.

Landungen auf dem Mars sind so ziemlich das Anspruchsvollste, was die Astronautik der Gegenwart zu bieten hat. Landungen auf der Venus sind dagegen ein Kinderspiel ( über das, was danach folgt, reden wir hier nicht ). Landungen auf Asteroiden? Eher Anlegemanöver. Landungen auf der Erde? Ein Hitzeschild, ein Fallschirm, passt. Und auch auf dem Mond kann man ordentliche Landungen planen. Nur ein Betriebsmodus und nie schlechtes Wetter.

Nur mit dem Mars hat die Raumfahrt ein echtes Problem. Da gibt es drei Problemzonen und für jede braucht man eine handgestrickte Lösung. Er hat zunächst einmal eine Atmosphäre. Das bedeutet: Man benötigt einen ordentlichen Hitzeschild der mit der entstehenden Wärme gut zurechtkommt. Dann braucht man ein Fallschirmsystem, um im mittleren Bereich des Bremsmanövers die kinetische Energie abzubauen. Doch dann ist die Atmosphäre viel zu dünn, als dass es alleine genügen würde. Recht viel langsamer als etwa 300 Kilometer pro Stunde wird man auf dem Mars auch mit dem größten Fallschirm nicht. Also muss man den Rest der Fahrt mit Raketenantrieb herunterbremsen. Auch das Wetter sollte mitspielen. Auf dem Mars gibt es böse Sandstürme, Windböen und Mini-Tornados, die so genannten Staubteufel. Mindestens eine Landung in der Raumfahrtgeschichte ist gescheitert, nachdem auf dem Weg zum Boden zwar alles so halbwegs geklappt hatte, aber dann das Wetter vor Ort einfach zu schlecht war. Der Druck auf die NASA war enorm, denn Curiosity ist nicht irgendeine Raumsonde. Es ist eine Flaggschiff-Mission ( ja, es heißt wirklich so: „Flagship-Mission“ ). Sie kostet ungefähr so viel, wie ein halbes Dutzend Raumsonden des NASA Discovery-Programmes zusammen. Und schon die sind nicht billig. Da guckt die Öffentlichkeit, vertreten durch die Medien, schon sehr genau hin. Doch sehen wir uns nun an, wie sie abliefen, die sieben Minuten Terror.

Eintritt in die Marsatmosphäre

Bis etwa 10 Minuten vor dem Eintritt in die Mars-Atmosphäre war Curiosity ein ganz gewöhnliches interplanetares Raumfahrzeug. Rover und Abstiegsstufe waren bis zu diesem Zeitpunkt in einer Verkleidung eingeschlossen, welche die Form einer diskusförmigen fliegenden Untertasse hatte. Sie sah damit ganz ähnlich aus wie die Marsraumschiffe in den Science-Fiction B- und C-Moviesder 50iger Jahre ( wobei die ja bekanntlich immer in der Gegenrichtung unterwegs waren: Vom Mars zur Erde ). Ihr Durchmesser betrug 4,5 Meter. Diese „Schutzhülle“, denn genau das ist es, bestand aus zwei Teilen: dem Hitzeschild unten und der Rückenabdeckung oben. Letztere ist auch ein Hitzeschild, sie braucht aber nicht so hohe Temperaturen zu überstehen wie das Unterteil und sie hatte Aussparungen, durch die während des Abstiegs zum Boden die Kurskorrekturtriebwerke feuerten. Diese fliegende Untertasse war mit einem ringförmigen Service-Modul verbunden, welches in der achteinhalb Monate dauernden Transferphase von der Erde zum Mars alle Transport- und Versorgungsfunktionen für Curiosity übernommen hatte. Hier befanden sich beispielsweise die Kurskorrekturtriebwerke mit ihren Tanks. Diese Triebwerke wurden während der Transferphase mehrfach eingesetzt, um das Raumfahrzeug auf den richtigen Kurs zu bringen.

An der Unterseite des Rings befanden sich die Solarzellen für die Stromversorgung der gesamten Kombination. Außerdem gab es dort ein flüssigkeitsbetriebenes Kühlsystem. Es war erforderlich, um die Überschusswärme des mit fünf Kilogramm Plutonium 238 bestückten Radio-Isotopengenerators von Curiosity in den Weltraum abzustrahlen. Der Rover benötigt seine Energiequelle schließlich erst auf dem Mars.

Zehn Minuten vor dem Eintritt in die Marsatmosphäre wurde das Versorgungsmodul abgesprengt. Zehn so genannte „Pyro-Cutter“, in der Raumfahrtsprache kurz „Pyros“ genannt, zündeten im Abstand von fünf Millisekunden und trennten die fliegende Untertasse von der Versorgungseinheit. 254 Tage waren die beiden Segmente miteinander verbunden gewesen. Nach der Trennung „lebte“ das Versorgungsmodul nur noch zehn Minuten und verglühte dann in den obersten Schichten der Marsatmosphäre. Die „Fliegende Untertasse“ war jetzt auf sich alleine gestellt. Was nun geschah unterschied sich von allen bisherigen Eintrittsmanövern in die Mars-Atmosphäre. Frühere Lander manövrierten ihren Hitzeschild einfach genau in die Flugrichtung. Sie wurden in Drehung versetzt, um eine Drallstabilisierung zu erhalten und das war es dann schon. Das Resultat war stets ein ballistischer Abstieg gewesen. Wind, Druckschwankungen in der Marsatmosphäre, Einflüsse aus dem Raumfahrzeug selbst, all das trug dazu bei, dass der Lander danach irgendwo in einem ziemlich großen Gebiet niederging. Die Lande-Ellipsen (Form des Zielgebietes) hatten bei den Rovern Opportunity und Spirit noch eine Länge von mehr als 100 Kilometern. Das Treffen dieser Ellipsen wurde seinerzeit schon als enorm genaues Navigieren betrachtet. Bei Curiosity wollte man es aber eine Größenordnung präziser haben. Beim Abstieg wurde die Ausrichtung deshalb über alle drei Achsen lagegeregelt. Um das zu erreichen musste als erstes die Drallstabilisierung aufgehoben werden, die das Raumfahrzeug seit dem Start von der Erde innehatte und die Curiosity selbst jetzt, nach der Trennung vom Service-Modul, immer noch aufrecht erhielt: Eine vollständige 360-Grad-Rotation alle 30 Sekunden.

Dann kamen erneut Pyros zum Einsatz und die Sonde warf zwei Tarier-Gewichte aus Wolfram ab. Jedes wog 75 Kilogramm. Sie dienten dazu, das Raumfahrzeug auszuwuchten. In der Start- und Transferphase war es wichtig gewesen, dass sich der Schwerpunkt genau im Zentrum des Raumfahrzeugs befand. Doch von nun an wäre zu viel Eigenstabilität hinderlich gewesen. Der Abwurf der Gewichte bewirkte, dass sich eine Seite des Diskus um etwa 20 °C senkte. Diesen Kippwinkel hielt das Raumfahrzeug beim Abstieg durch die Atmosphäre mehr oder weniger aufrecht. Das Kippen bewirkte, dass sich das Raumfahrzeug jetzt nicht mehr aerodynamisch neutral verhielt, sondern Auftrieb erzeugte.

Nun begannen die „Sieben Minuten des Terrors“, wie sie ein NASA-Ingenieur bildhaft genannt hatte, denn jetzt, sieben Minuten vor dem geplanten Landezeitpunkt, war das „Entry Interface“ erreicht, der Moment des Eintritts in die Marsatmosphäre. Er war für den Zeitpunkt definiert, an dem das Raumfahrzeug eine Flughöhe von 125 Kilometern relativ zur „Normal-Nulllinie“ des Mars unterschritt. Das wäre „Meereshöhe“, gäbe es einen Ozean auf dem Roten Planeten. Wenn man es genau nimmt, und das „Entry Interface“ nur auf die Landestelle bezieht, waren es 131 Kilometer, denn der Boden des Gale-Krater liegt sechs Kilometer unter „Normal-Null“. In seinem leicht gekippten Flugwinkel verhielt sich der Lander jetzt wie ein Flugzeug. Eines mit miserablen Flugeigenschaften allerdings. Immerhin „flog“ er jetzt durch die Atmosphäre und fiel nicht nur einfach. Er hätte jetzt sogar kurzfristig wieder Höhe gewinnen können, wäre dies nötig gewesen. Allerdings war das nicht der Fall. An Bord des Landers gab es ein Fluginstrument, das dem Bordcomputer sagte, in welche Richtung er die „Fliegende Untertasse“ steuern musste. Dieses Gerät war die IMU, die mit Kreiseln ausgerüstete Inertial Measurement Unit. Bei Abweichungen vom Soll-Kurs meldete sie das an den Bordcomputer, der daraufhin eines oder mehrere der Lageregelungstriebwerke zündete. Die wiederum bewirkten, dass sich der Diskus nach links oder rechts neigte, und somit S-Kurven flog. Oder die Nase anhob und seinen Flugweg verlängerte. Oder die Nase senkte und somit die Strecke verkürzte. Das Ziel der IMU war eine virtuelle Position unweit des Landeortes in einer Höhe von elf Kilometern über der Oberfläche. Doch noch war es nicht soweit, denn zunächst kam alles darauf an, dass der Hitzeschild, also die untere Hälfte der „Fliegenden Untertasse“, seinen Job wie vorgesehen erledigte. Ein Beobachter auf dem Mars hätte in dieser Phase ein spektakuläres Schauspiel zu sehen bekommen: einen schnell über den Himmel ziehenden Feuerball. 80 Sekunden nachdem Curiosity das „Entry Interface“ passiert hatte betrug die Temperatur an der Unterseite des Schildes 2.100 °C. „Peak Heating“ bezeichnen die JPL-Leute diesen Punkt. Nur zehn Sekunden später war die nächste Belastungsgrenze erreicht: „Peak deceleration“, der Zeitpunkt an dem die Bremsverzögerung ihr Maximum erreichte. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Fahrt von Curiosity mit Knochen brechenden 13 g abgebaut.

Unter dem Fallschirm

Elf Kilometer über der Oberfläche des Roten Planeten näherte sich Curiosity seinem zweiten wichtigen Aktionspunkt. Erneut warf das Raumfahrzeug Tariergewichte ab. Dieses Mal auf der anderen Seite des Diskus. Es waren wieder Wolfram-Barren, sechs Stück von je 25 Kilogramm. Das Vehikel war danach wieder in Balance. Alles in allem führte der Lander also 300 Kilogramm totes Gewicht mit sich. Erneut kamen Pyros zum Einsatz. Die Rückenabdeckung öffnete sich und der Fallschirm wurde ausgeworfen. Die Geschwindigkeit durfte bei diesem Manöver nicht mehr höher als etwa Mach 2,2 liegen, besser aber bei Mach 1,8.

Curiositys Fallschirm war der größte, der je bei einer Mars-Landemission eingesetzt wurde. Er hatte einen Durchmesser von mehr als 21 Metern. Zum Vergleich dazu: Der Fallschirm der Landesonde Phoenix aus dem Jahre 2009 hatte einen Durchmesser von knapp 12 Metern. Aufgabe des Fallschirms war es, innerhalb von 50 bis 90 Sekunden 95 Prozent der verbliebenen kinetischen Energie abzubauen. Die Zeitdauer der Fallschirmphase war dabei nicht genau berechenbar. Sie hing von der lokalen Dichte der Atmosphäre und von anderen atmosphärischen Bedingungen ab. Ingenieure mögen Fallschirme nicht besonders. Hier laufen teilweise chaotische Vorgänge ab, die sich nicht im Detail modellieren und berechnen lassen. So kommt es in der ersten Phase nach dem Öffnen zu einem Pump-Vorgang der Fallschirmkappe. Sie öffnet sich und schließt sich mehrmals wie der Kopfteil einer sich fortbewegenden Qualle. Erfahrungen zeigen, dass dieses Verhalten unterhalb von Mach 1,4 abnimmt. Doch danach neigt der Lander dazu, sich unter dem Fallschirm zu drehen.

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Curiosity während der Transferphase von der Erde zum Mars. Das ringförmige Versorgungsteil ist noch mit dem diskusförmigen Abstiegsteil verbunden. – Bildquelle: NASA

Curiosity wirkte diesen Drehungen durch das Feuern der Lagekontrolltriebwerke entgegen. Auch der Fallschirmflug von Curiosity wäre einem Beobachter auf dem Boden seltsam erschienen. Der Lander hing dabei nämlich keineswegs einfach vertikal unter der Schirmkappe und pendelte gemächlich zu Boden, wie wir es von irdischen Fallschirmen her gewohnt wären. Vielmehr flog er selbst in der letzten Phase der Fallschirm-Etappe mit der Geschwindigkeit eines Turboprop-Flugzeugs in einem relativ flachen Winkel auf die Oberfläche zu, die Schirmkappe in rasender Fahrt hinter sich herziehend.

Etwa 30 Sekunden nach dem Öffnen des Fallschirms war die Fahrt auf Unterschallgeschwindigkeit gesunken. Erst jetzt war sie niedrig genug, dass der Hitzeschild abgeworfen werden konnte. Erneut zündeten Pyros und der Schild fiel nach unten. Das hätte nicht früher geschehen können, denn dann wäre die Gefahr eines „Rekontaktes“, einer Kollision von Lander und Hitzeschild, zu groß gewesen. Nun wartete Curiosity fünf Sekunden lang. Erst dann aktivierte die Sonde den „Terminal Descent Sensor“, dessen wesentlicher Bestandteil das Landeradar war. Er musste vermeiden, dass sich das Radar auf den Hitzeschild „aufschaltete“ und falsche Daten an den Bordcomputer sendete. Auch der „Descent Imager“, eine Kamera, die den letzten Teil des Abstiegs filmte, wurde jetzt aktiviert. Zweck seiner Bilder war es, nach der Landung den exakten Landeort des Rovers schnell und genau festzustellen. Durch das Abtrennen des Hitzeschildes wurde auch die Landestufe mit dem Rover freigelegt. Curiosity war dabei eingekeilt zwischen vier kurzen Auslegern, die an Tischbeine erinnern. An jedem dieser vier Ausleger befanden sich jeweils zwei Triebwerke. Zusammen also acht Raketenmotoren.

In einer Höhe zwischen 2.000 und 1.500 Metern, bei einer Abstiegsgeschwindigkeit von etwa 370 Kilometern pro Stunde, wurden die Treibstoffleitungen durch kleine Explosivladungen geöffnet, unsere nun schon gut bekannten „Pyros“. Die Triebwerke zündeten und begannen im Leerlauf zu arbeiten. Mit nur einem Prozent des Maximalschubes.

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Infografik zur Landesequenz von Curiosity. – Bildquelle: NASA

Sekunden später war Curiosity in einer Höhe von 1.500 Metern angelangt. Die Geschwindigkeit betrug nur noch 300 Kilometer pro Stunde. Langsamer ging es jetzt nicht mehr mit dem Fallschirm in der dünnen Atmosphäre des Mars. Erneut zündeten Pyros und schnitten den Lander mit dem Rover aus der Rückenschale mit dem Fallschirm. Rover und Lander fielen sofort frei nach unten. Rasend schnell erhöhte sich die Geschwindigkeit wieder. Eine Sekunde nach der Trennung vom Fallschirm waren es schon wieder 430 Kilometer pro Stunde. Doch das war notwendig. Curiosity musste schnell Distanz zur Oberschale und dem Fallschirm gewinnen. Hätten die Bremsraketen zu früh gefeuert, dann wäre der Lander in sie hinein gekracht und die Mission wäre beendet gewesen. Eine Sekunde nach der Trennung vom Fallschirm wurde der Schub ein wenig hochgefahren. Noch nicht viel, denn es war zunächst Feinarbeit nötig, um die Lage des Raumfahrzeugs nach dem Herausfallen wieder zu stabilisieren. Bei all dem stürzte das Raumfahrzeug immer noch wie ein Felsen nach unten und beschleunigte weiter.

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Der Abstieg auf die Oberfläche des Mars beginnt. – Bildquelle: NASA