Jean Paul

Leben des vergnügten
Schulmeisterleins
Maria Wuz in Auenthal

Eine Art Idylle

Berlin 1793

Herausgegeben von
Joseph Kiermeier-Debre

Deutscher Taschenbuch Verlag

Originalausgabe 2013

Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

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© 2013 Deutscher Taschenbuch Verlag, München

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eBook ISBN 978-3-423-41685-6 (epub)

ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-02687-1

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Leben des vergnügten Schulmeisterleins Maria Wuz in Auenthal

Ausläuten oder Sieben letzte Worte an die Leser der Biographie und der Idylle.

Zu dieser Ausgabe

Zur Textgestalt

Glossar

Daten zu Leben und Werk Jean Paul (d.i. Johann Paul Friedrich Richter) (1763-1825)

1763-1765 WUNSIEDEL

1765-1776 JODITZ

1776-1778 SCHWARZENBACH

1779-1781 HOF

1781-1784 LEIPZIG

1785-1786 HOF

1787-1790 GUT TÖPEN UND HOF

1790-1794 SCHWARZENBACH

1794-1797 HOF

1797-1798 LEIPZIG

1798-1800 WEIMAR

1800-1801 BERLIN

1801-1803 MEININGEN

1803-1804 COBURG

1804-1825 BAYREUTH

Leben des vergnügten Schulmeisterleins Maria Wuz in Auenthal

Fußnoten

[Informationen zum Autor]

[Informationen zum Buch]

Der Nachdruck des Textes folgt originalgetreu der Erstausgabe von 1793. Sie erschien als Anhang zur Erstausgabe der „Unsichtbaren Loge“, Band 2, Berlin 1793, in Karl Matzdorffs Buchhandlung.

Die Originalpaginierung wird im fortlaufenden Text vermerkt.

Der Anhang gibt Auskunft zu Autor und Werk.

Abb. S. 5
Abb. S. 6

Wie war dein Leben und Sterben so sanft und meerstille, du vergnügtes Schulmeisterlein Wuz! der stille laue Himmel eines Nachsommers gieng nicht mit Gewölk, sondern mit Duft um dein Leben herum: deine Epochen waren das Schwanken und dein Sterben war das Umlegen einer Lilie, deren Blätter auf stehende Blumen aus einander flattern – und schon außer dem Grabe schliefest du sanft!

Jezt aber, meine Freunde, müssen vor allen Dingen die Stühle um den Ofen, der Schenktisch mit dem Trinkwasser an unsre Knie gerückt und die Vorhänge zugezogen und die Schlafmützen aufgesetzt werden und an die grand monde über der Gasse drüben und ans palais royal muß keiner von uns denken, bloß weil ich die ruhige Geschichte des vergnügten Schulmeisterleins erzähle – und du, mein lieber Christian, der du eine einathmende |370| Brust für die einzigen dephlogistisierten und stärkenden Freuden des Lebens, für die häuslichen hast, setze dich auf den Arm des Stuhls, aus dem ich heraus erzähle und lehne dich zuweilen ein wenig an mich! du machst mich gar nicht irre.

Seit der Schwedenzeit waren die Wuze Schulmeister in Auenthal und ich glaube nicht, daß Einer vom Pfarrer oder von seiner Gemeinde verklagt wurde. Allemal acht oder neun Jahre nach der Hochzeit versahen Wuz und Sohn das Amt mit Verstand – unser Maria Wuz dozierte unter seinem Vater schon in der Woche das Abc, in der er das Buchstabieren erlernte, das nichts taugt. Der Karakter unsers Wuz hatte wie der Unterricht anderer Schulleute etwas Spielendes und Kindisches, aber nicht im Kummer sondern in der Freude.

Schon in der Kindheit war er ein wenig kindisch. Denn es giebt zweierlei Kinderspiele, kindische und ernsthafte – die ernsthaften sind Nachahmungen der Erwachsenen, das Kaufmanns- Soldatens- Handwerkers-Spielen – die kindischen sind Nachäffungen der Thiere. Wuz war beim Spielen nie etwas anders als ein Haase, eine Turteltaube |371| oder das Junge derselben, ein Bär, ein Pferd oder gar der Wagen daran. Glaubt mir! ein Seraph findet auch in unsern Kollegien und Hörsälen keine Geschäfte sondern nur Spiele und, wenn ers hoch treibt, jene zweierlei Spiele.

Indeß hatt' er auch wie alle Philosophen seine ernsthaftesten Geschäfte und Stunden. Setzte er nicht schon längst – ehe die brandenburgischen erwachsenen Geistlichen nur fünf Fäden von buntem Ueberzug umthaten – sich dadurch über große Vorurtheile weg, daß er eine blaue Schürze die seltner der geistliche Ornat als der in ein Amt tragende D. Fausts Mantel guter Kandidaten ist, Vormittags über sich warf und in diesem kouleurten Meßgewand der Magd seines Vaters die vielen Sünden vorhielt, die sie um Himmel und Hölle bringen konnten? – ja er grif seinen eignen Vater an, aber Nachmittags: denn wenn er diesem Kobers Kabinetsprediger vorlas, wars seine innige Freude, dann und wann zwei, drei Worte oder gar Zeilen aus eignen Ideen einzuschalten und diese Interpolation mit weg zu lesen, als spräche H. Kober selbst mit seinem Vater. Ich denke, ich werfe durch diese Personalie vieles Licht auf ihn |372| und einen Spaß, den er später auf der Kanzel trieb, da er auch Nachmittags den Kirchgängern die Postille an Pfarrers Statt vorlas, aber mit so viel hineingespielten eignen Verlagsartikeln und Fabrikaten, daß er dem Teufel Schaden that und dessen Diener rührte. „Justel sagt' er nachher um 4 Uhr zu seiner Frau, was weist du unten in deinem Stuhl, wie prächtig es einem oben ist, zumal unter dem Kanzelliede.“

Wir können's leicht bei seinen ältern Jahren erfragen, wie er in seinen Flegeljahren war. Im December von jenen ließ er allemal das Licht eine Stunde später bringen, weil er in dieser Stunde seine Kindheit – jeden Tag nahm er einen andern Tag – rekapitulierte. Indem der Wind seine Fenster mit Schnee-Vorhängen verfinsterte und indem ihn aus den Ofen-Fugen das Feuer anblinkte: so drückte er die Augen zu und ließ auf die gefrornen Wiesen den längst vermoderten Frühling niederthauen; da bauete er sich mit der Schwester in den Heuschober ein und fuhr auf dem architektorisch gewölbten Heu-Gebürge des Wagens heim und rieth droben mit geschlossenen Augen wo sie wohl nun fahren. In der Abendkühle unter dem |373| Schwalben-Scharmuzieren über sich schoß er, froh über die untere Entkleidung und das Deshabillée der Beine, als schreiende Schwalbe herum und mauerte sich für sein Junges – ein hölzerner Weihnachtshahn mit angepichten Federn wars – eine Koth-Rotunda mit einem Schnabel von Holz und trug hernach Bettstroh und Bettfedern zu Nest. Für eine andere palingenesierende Abendstunde wurde ein prächtiger Trinitatis (ich wolt' es gäbe 365 Trinitatis) aufgehoben, wo er am Morgen im tönenden Lenz um ihn und in ihm, mit läutendem Schlüssel-Bund und durchs Dorf in den Garten stolzierte, sich im Thau abkühlte und das glühende Gesicht durch die tropfende Johannisbeer-Staude drängte, sich mit dem hochstämmigen Grase maaß und mit zwei schwachen Fingern die Rosen für den H. Senior und sein Kanzelpult abdrehte. An eben diesem Trinitatis – das war die zweite Schüssel an dem nämlichen Dezember-Abend – quetschete er, mit dem Sonnenschein auf dem Rücken, den Orgeltasten den Choral „Gott in der Höh' sei Ehr“ ein oder ab (mehr kann er noch nicht) und streckte die kurzen Beine mit vergeblichen Approchen zur Parterre-Tastatur hinunter und der Vater riß für ihn die richtigen Register her|374|aus. – Er würde die ungleichartigsten Dinge zusammenschütten, wenn er sich in den gedachten zwei Abendstunden erinnerte, was er im Kindheits-December vornahm; aber er war so klug, daß er sich erst in einer dritten darauf besann, wie er sonst abends sich aufs Zuketten der Fensterläden freuete, weil er nun ganz gesichert vor allem in der lichten Stube huckte, ob er sich gleich vor der äußern Perspektive des die Stube abspiegelnden Fensters in Acht nahm; wie er und seine Geschwister die abendliche Kocherei der Mutter ausspionierten, unterstützten und unterbrachen, und wie sie mit zugedrückten Augen und zwischen den Brustwehr-Schenkeln des Vaters auf das Blenden des kommenden Lichts sich spitzten und wie sie, in dem aus dem unabsehlichen Gewölbe des Universums herausgeschnittenen oder hineingebauten Kloset ihrer Stube so beschirmet waren, so satt, so wol .... Und alle Jahre, so oft er diese Retourfuhre seiner Kindheit und des Wolfsmonats darin, veranstaltete, vergaß und erstaunt' er – sobald das Licht angezündet wurde – daß in der Stube, die er sich wie ein Loretto-Häusgen aus dem Kindheits-Kanaan herüber holte, er ja gerade jezt säße. – So beschreibt er wenigstens selber diese Er|375|innerungs-hohen-Opern in seinen Rousseauischen Spatziergängen, die ich da vor mich lege, um nicht zu lügen ....

Allein ich schnüre mir den Fuß mit lauter Wurzelngeflecht und Dickigt ein, wenn ichs nicht dadurch wegreiße, daß ich einen gewissen äußerst wichtigen Umstand aus seinem männlichen Alter herausschneide und sogleich jezt aufsetze; nachher aber soll ordentlich a priori angefangen und mit dem Schulmeisterlein langsam in den drei aufsteigenden Zeichen der Alters Stufen hinauf und auf der andern Seite in den drei niedersteigenden wieder hinabgegangen werden – bis Wuz am Fuß der tiefsten Stufe vor uns ins Grab fällt.

Ich wolte, ich hätte dieses Gleichniß nicht genommen. So oft ich in Lavaters Fragmenten oder in Comenii orbis pictus oder an einer Wand das Blut- und Trauergerüste der sieben Lebens-Nationen [-Stationen] besah – so oft ich zuschauete, wie das gemalte Geschöpf, sich verlängernd und ausstreckend, die Ameisen-Pyramide aufklettert, drei Minuten droben sich umblickt und einkriechend auf der andern Seite niederfährt und abgekürzt umkugelt auf die um diese Schädelstätte liegende Vorwelt – und |376| so oft ich vor das athmende Rosengesicht voll Frühlinge und voll Durst, einen Himmel auszutrinken, trete und bedenke, daß nicht Jahrtausende sondern Jahrzehende dieses Gesicht in das zusammen geronnene zerknüllte Gesicht voll überlebter Hofnungen ausgedorret haben ... aber indem ich über andre mich betrübe, heben und senken mich die Stufen selber und wir wollen einander nicht so traurig machen!

Der wichtige Umstand, bei dem uns wie man behauptet so viel daran gelegen ist, ihn voraus zu hören, ist nämlich der, daß Wuz eine ganze Bibliothek – wie hätte der Mann sich eine kaufen können – sich eigenhändig schrieb. Sein Schreibzeug war seine Taschendruckerei; jedes neue Meßproduckt, dessen Titel das Meisterlein ansichtig wurde, war nun so gut als geschrieben oder gekauft: denn es setzte sich so gleich hin und machte das Produkt und schenkt' es seiner ansehnlichen Büchersammlung, die wie die heidnischen aus lauter Manuskripten bestand. Z.B. Kaum waren die physiognomischen Fragmente von Lavater da: so ließ Wuz diesem fruchtbarem Kopfe dadurch wenig voraus, daß er sein Konzeptpapier in Quarto brach |377| und drei Wochen lang nicht vom Sessel weggieng, sondern an seinem eignen Kopfe so lange zog bis er den physiognomischen Fötus heraus hatte – (er bettete den Fötus aufs Bücherbrett hin –) und bis er sich den Schweizer nachgeschrieben hatte. Diese Wuzische Fragmente übertitelte er die Lavaterschen und merkte an; „er hätte nichts gegen die gedruckten; aber seine Hand wäre hoffentlich eben so leserlich, wenn nicht besser als irgend ein Mittel Fraktur Druck.“ Er war kein verdammter Nachdrucker, der das Original hinlegt und oft das Meiste daraus abdruckt: sondern er nahm gar keines zur Hand. Daraus sind zwei Thatsachen vortreflich zu erklären: erstlich die, daß es manchmal mit ihm haperte und daß er z.B. im ganzen Federschen Traktat über Raum und Zeit von nichts handelte als vom Schifs-Raum und der Zeit die man Menses nennt. Die zweite Thatsache ist seine Glaubenssache: da er einige Jahre sein Repositorium auf diese Art voll geschrieben und durch studieret hatte: so nahm er die Meinung an, seine Schreibbücher wären eigentlich die kanonischen Urkunden; und die gedruckten wären bloße Nachstiche seiner geschriebnen; nur das, klagt' er, könn' |378| er – und böten die Leute ihm Balleien dafür an – nicht herauskriegen, wienach und warum der Buchführer das Gedruckte allzeit so sehr interpoliere und umsetze, daß man wahrhaftig schwören sollte, das Gedruckte und das Geschriebne hätten doppelte Verfasser, wüste man's nicht sonst.

Es war einfältig wenn etwa ihm zum Possen ein Autor sein Werk gründlich schrieb, nämlich in Queerfolio – oder witzig, nämlich in Sedez: denn sein Mitmeister Wuz sprang den Augenblick herbei und legte seinen Bogen in die Quere hin oder krempte ihn in Sedezimo ein.

Nur Ein Buch ließ er in sein Haus, den Meßkatalog; denn die besten Inventarienstücke desselben mußte der Senior am Rande mit einer schwarzen Hand bestempeln, damit er sie hurtig genug schreiben konnte, um das Ostermeß-Heu in die Pause [Panse] des Repositoriums hinein zu mähen, eh' das Michaelis-Grummet herausschoß. Ich möchte seine Meisterstücke nicht schreiben. Den größten Schaden hatte der Mann davon – Obstruktion zu halben Wochen und Strangurie auf der andern Seite – wenn der Senior (fein Friedrich Nikolai) zuviel Gutes, das er zu schreiben hatte, anstrich und |379| seine Hand durch die gemalte anspornte; und sein Sohn klagte oft, daß in manchen Jahren sein Vater vor litterarischer Geburtsarbeit kaum niesen konnte, weil er auf einmal Sturms Betrachtungen die verbesserte Auflage, Schillers Räuber und Kants Kritik der reinen Vernunft, der Welt zu schenken hatte. Das geschah bei Tage; Abends mußte der gute Mann nach dem Abendessen noch gar um den Südpol rudern und konnte auf seiner Kookischen Reise kaum drei gescheute Worte zum Sohne nach Deutschland heraufreden. Denn da unser Encyklopädist nie das innere Afrika oder nur einen spanischen Maulesel-Stall betreten oder die Einwohner von beiden gesprochen hatte: so hatt' er desto mehr Zeit und Fähigkeit, von beiden und allen Ländern reichhaltige Reisebeschreibungen zu liefern – ich meine eine solche, worauf der Statistiker, der Menschheits-Geschichtschreiber und ich selber fußen können – erstlich deswegen, weil auch andre Reisejournalisten ihre Beschreibungen, ohne die Reise machen – zweitens auch weil Reisebeschreibungen überhaupt unmöglich auf eine andre Art zu machen sind, angesehen noch kein Reisebeschreiber wirklich vor oder in dem Lande stand, das |380| er silhouettirte: denn so viel hat auch der Dümmste noch aus Leibnitzens vorherbestimmten Harmonie im Kopfe, daß die Seele, z.B. die Seelen eines Forsters, Brydone, Björnstähls – insgesammt seßhaft auf dem Isolierschemmel der versteinerten Zirbeldrüse – ja nichts anders von Südindien oder Europa beschreiben können als was jede sich davon selber erdenkt und was sie, beim gänzlichen Mangel äusserer Eindrücke, aus ihren fünf Kanker-Spinnwarzen vorspinnt und abzwirnt. Wuz zerrete sein Reisejournal auch aus niemand anders als aus sich.

Er schreibt über alles und wenn die gelehrte Welt sich darüber wundert, daß er fünf Wochen nach dem Abdruck der Wertherischen Leiden, einen alten Flederwisch nahm und sich eine harte Spuhle auszog und damit stehendes Fußes sie schrieb, die Leiden, – ganz Deutschland ahmte nachher seine Leiden nach: – so wundert sich niemand weniger über die gelehrte Welt als ich: denn wie kann sie Rousseau's Bekenntnisse gesehen und gelesen haben, die Wuz schrieb und die Dato noch unter seinen Papieren liegen? In diesen spricht aber J.J. Rousseau oder Wuz (das ist einerlei) so von sich, |381| allein mit andern Worten: „Er würde wahrhaftig nicht so dumm seyn, daß er Federn nähme und die besten Werke machte, wenn er nichts brauchte als bloß den Beutel aufzubinden und sie zu erhandeln. Allein er habe nichts darin als zwei schwarze Hemdknöpfe und einen kothigen Kreuzer. Woll' er mithin etwas Gescheutes lesen z.B. aus der praktischen Arzneikunde und aus der Kranken-Universalhistorie: so müss' er sich an seinen triefenden Fensterstock setzen und den Bettel ersinnen. An wen woll' er sich wenden, um den Hintergrund des Freimäurer-Geheimnisses auszuhorchen, an welches Dionysius Ohr mein' er als an seine zwei eigne? Auf diese, an seinen eignen Kopf angeöhrten hör' er sehr und indem er die Freimäurer-Reden, die er schreibe, genau durchlese und zu verstehen trachte: so merk' er zuletzt allerhand Wunderdinge und komme weit und rieche im Ganzen genommen Lunten. Da er von Chemie und Alchemie so viel wisse wie Adam nach dem Fall, als er alles vergessen hatte: so sei ihm ein rechter Gefallen geschehen, daß er sich den annulus Platonis geschmiedet, diesen silbernen Ring um den Blei Saturn, diesen Gyges-Ring, der so vielerlei unsichtbar mache, |382| Gehirne und Metalle; denn aus diesem Buche dürft' er, sollt' ers nur einmal ordentlich begreifen, frappant wissen, wo Barthel Most hole.“ – Jetzt wollen wie [wir] wieder in seine Kindheit zurück.

Im zehnten Jahre verpuppte er sich in einen Mulattenfarbigen Alumnus und obern Quintaner der Stadt Scheerau. Sein Examinater muß mein Zeuge seyn, daß es keine weisse Schminke ist, die ich meinem Helden anstreiche, wenn ichs zu berichten wage, daß er nur noch ein Blatt bis zur vierten Deklination zurück zu legen hatte und daß er die ganze Geschlechts-Exception thorax caudex pulexque vor der Quinta wie ein Wecker abrollte – bloß die Regel wußt' er nicht. Unter allen Nischen des Alumneums war nur eine so gescheuert und geordnet wie die Prunkküche einer Nürnbergerin; das war seine: denn zufriedene Menschen sind die ordentlichsten. Er kaufte sich aus seinem Beutel für zwei Kreuzer Nägel und beschlug seine Zelle damit, um für alle Effekten besondere Nägel zu haben – er schlichtete seine Schreibbücher so lange bis ihre Rücken so bleirecht auf einander lagen wie eine preussische Fronte und er gieng beim Mondenschein aus dem Bette und visirte so lange |383| um seine Schuhe herum bis sie parallel neben einander standen. – War alles metrisch: so rieb er die Hände, riß die Achseln über die Ohren hinauf, sprang empor, schüttelte sich fast den Kopf herab und lachte ungemein.

Eh' ich von ihm weiter beweise, daß er im Alumneum glücklich war: will ich beweisen, daß das kein Spaß war, sondern eine herkulische Arbeit. Hundert ägyptische Plagen hält man für keine, bloß weil sie uns nur in der Jugend heimsuchen, wo moralische Wunden und komplizirte Frakturen so hurtig zuheilen wie physische – grünendes Holz bricht nicht so leicht wie dürres entzwei. Alle Einrichtungen legen's dar, daß ein Alumneum seiner ältesten Bestimmung nach ein protestantisches Knaben-Kloster sein soll; aber dabei sollte man es lassen, man sollte ein solches Präservations-Zuchthaus in kein Lustschloß, ein solches Misanthropin in kein Philanthropin verwandeln wollen. Müssen nicht die glücklichen Inhaftaten einer solchen Fürstenschule die drei Klostergelübde ablegen? Erstlich das des Gehorsams, da der Schüler-Guardian und Novizenmeister seinen schwarzen Novizen das Spornrad der häufigsten, |384| widrigsten Befehle und Mortifikationen in die Seite sticht. Zweitens das der Armuth und der Enthaltsamkeit, da sie nicht Kruditäten und übrige Brocken sondern Hunger von einem Tage zum andern aufheben und übertragen; und Karminati vermöchte ganze Invalidenhäuser mit dem Supernumerär-Magensaft der Konvictorien und Alumneen auszuheilen. Das Gelübde der Keuschheit