Wolfgang Schwarz, MdB, hat gute Chancen, nach der nächsten Wahl Minister zu werden. Doch gegen Schwarz’ Sohn Christian läuft ein Strafverfahren, der Student soll eine Kommilitonin vergewaltigt haben. Und ein Prozess könnte die Karriere des Kandidaten beschädigen.
Da Christian treuherzig versichert, unschuldig zu sein, beauftragt Schwarz den Privatdetektiv Georg Wilsberg, der anscheinend voreingenommenen Polizei auf die Sprünge zu helfen. Tatsächlich stoßen Wilsberg und seine vegane Assistentin Franka bald auf einige Merkwürdigkeiten. Offenbar ist Christian Opfer eines Komplotts, das sich gegen den Minister in spe richtet.
Jürgen Kehrer
Der Minister und das Mädchen
Kriminalroman
© 2013 by GRAFIT Verlag GmbH
Nach den Regeln der neuen deutschen Rechtschreibung korrigierte Fassung des Kriminalromans
Jürgen Kehrer: Der Minister und das Mädchen
© 1998 by GRAFIT Verlag GmbH
Chemnitzer Str. 31, 44139 Dortmund
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Alle Rechte vorbehalten.
Umschlagzeichnung: Peter Bucker
eISBN 978-3-89425-895-5
Jürgen Kehrer, geboren 1956 in Essen, lebt in Münster. Er ist der geistige Vater des Buch- und Fernsehdetektivs Georg Wilsberg. Neben bisher achtzehn Wilsberg-Krimis (zuletzt zus. mit Petra Würth: Todeszauber), verfasste er mehrere Wilsberg-Drehbücher, veröffentlichte historische Kriminalromane, Sachbücher zu realen Verbrechen, den Thriller Fürchte dich nicht! sowie zahlreiche Kurzgeschichten mit und ohne Wilsberg, von denen viele in Wilsbergs Welt nachzulesen sind.
www.juergen-kehrer.de
Angesichts seiner späteren Heiligsprechung hätte Jack (Kennedy) in keinem besseren Augenblick umgelegt werden können.
James Ellroy
Dies ist ein Roman. Handlung und Personen gehören dem Reich der Fiktion an. Oder zweifeln Sie daran?
»Wolfgang Schwarz ist der kommende Mann«, sagte Till Geskamp.
Geskamp musste es wissen, denn er war Schwarz’ Büroleiter, also wahrscheinlich der Mensch, der dem münsterschen Bundestagsabgeordneten am nächsten stand.
Geskamp verschränkte die Arme über dem vorgewölbten Bauch. »Da ist ein Minister drin, oder mindestens ein PS.«
Ich lächelte amüsiert. »Ein PS?«
»Parlamentarischer Staatssekretär, der Stellvertreter des Ministers. Nettes Gehalt plus Bezüge als Bundestagsabgeordneter. Ein PS reist viel herum und hält kluge Reden. Die eigentliche Arbeit im Ministerium macht der beamtete Staatssekretär, weißt du. Der PS ist für die Sahnejobs da. Aber«, die schwabbeligen Wangen flammten auf, Geskamp redete sich in Fahrt, »der PS ist nur die Rückzugslinie, wir bauen voll darauf, dass Wolfgang Minister wird.«
»Für den Fall, dass …«
»Wir werden die Bundestagswahl gewinnen«, unterbrach mich mein Besucher. »Bayern-Wahl hin oder her, es läuft alles nach Plan.«
»… dass Schwarz Minister wird«, fuhr ich fort, »ist für dich wohl auch einiges drin?«
Geskamp formte mit den Lippen ein genießerisches O. »Darauf kannst du einen lassen. Zunächst gehe ich als Persönlicher Referent mit ins Ministerium. So nach ein, zwei Jahren, wenn die Schamfrist vorüber ist, schieben wir einen präsenilen Ministerialdirektor aufs Altenteil, und ich übernehme eine Abteilung. Vielleicht die für Grundsatzfragen, Grundsatzfragen lagen mir schon immer. Mit Chauffeur und Dienstwagen der S-Klasse. Wofür habe ich schließlich jahrelang so hart geschuftet?«
Till Geskamp war plötzlich im Detektivbüro Wilsberg & Partner aufgetaucht. Wir kannten uns flüchtig, so wie man in Münster jeden und jede in einem bestimmten Alter und ab einem gewissen Bildungsgrad flüchtig kennt, weil die Stadt klein genug ist, um sich bei allen möglichen Gelegenheiten über den Weg zu laufen, selbst wenn es nur der Wochenmarkt auf dem Domplatz oder das Stadtteilfest im Kreuzviertel ist.
Meine Bekanntschaft mit Till Geskamp ging zurück auf eine Zeit, in der ich mit Imke eine mehr oder weniger glückliche Ehe führte. Damals war unsere Tochter Sarah gerade ein Jahr alt, und Imke machte sich Sorgen um Sarahs Zukunft als Verkehrsteilnehmerin. Ich war nicht begeistert, aber um des häuslichen Friedens willen gab ich nach, und wir beteiligten uns an den Aktivitäten der Bürgerinitiative für ein verkehrsberuhigtes Kreuzviertel.
Bei den Versammlungen der Initiative führte Till Geskamp das große Wort. Er hatte Politik und Soziologie studiert, plante eine Parteikarriere und wollte die Bürgerinitiative nutzen, um sein Bild möglichst oft in den Tageszeitungen zu sehen. Mir war das vollkommen gleichgültig, denn weder hatte ich eigene Ambitionen noch glaubte ich daran, dass wir mit mehr Einbahnstraßen, breiteren Bürgersteigen und verkehrsbehindernden Schwellen und Grünbuchten dem Paradies auf Erden einen entscheidenden Schritt näher kommen würden.
Die Bürgerinitiative hatte tatsächlich einigen Erfolg gehabt, sie entsprach dem damaligen Zeitgeist und, mit einiger Verzögerung, der Verkehrspolitik der Stadtverwaltung.
Inzwischen wurden die Straßenschwellen und Grüninseln wieder abgerissen. Die heutigen Bürgerinitiativen bestanden aus Kaufleuten und Kneipiers, die sich für den ungehinderten Verkehrsfluss und genügend Parkmöglichkeiten ihrer Kundschaft starkmachten.
Und auch Till Geskamp hatte sich anderen Themen zugewandt. Er war die rechte Hand von Wolfgang Schwarz geworden, einem Strahlemann und Hoffnungsträger seiner Partei, den ich nur von Wahlplakaten und Fernsehsendungen kannte. Auf den Plakaten trug Schwarz einen eleganten, gedeckten Zweireiher, wahrscheinlich gefärbtes Haar und ein blitzendes Tigerlächeln. Außerdem warb er für eine moderne Zukunft. Was auch immer das war.
Mit Till Geskamp war schon die jüngste Vergangenheit nicht allzu gnädig umgegangen. Seit unserer Bürgerinitiativzeit hatte er ungefähr zwanzig Kilo zugelegt, das Haar war ihm bis auf einen strähnigen Rest ausgefallen, das Kinn hatte sich verdoppelt, und die Nickelbrille klemmte auf Fleischwülsten, die, abgesehen von kreisroten Flecken, einen Stich ins Milchig-Ungesunde aufwiesen. Der Job eines Bundestagsassistenten musste ziemlich stressig sein, vor allem, wenn man den cholesterinhaltigen Happen auf allen möglichen Empfängen nicht widerstehen konnte. Ich schätzte Geskamp auf etwa vierzig.
Natürlich glaubte ich nicht, dass er rein zufällig vorbeigekommen war, weil er das Bedürfnis nach einem kleinen Plausch verspürte. Jemand wie Geskamp tat nichts ohne Absicht und Hintergedanken, und schon gar nicht in der Hochphase des Wahlkampfs. Wenn er sich die Zeit nahm, einen so unwichtigen alten Bekannten wie mich zu besuchen, dann lag mindestens ein mittelgroßer Auftrag im Busch. Aber noch hatte er mit keinem Wort angedeutet, was er von mir wollte.
Meinerseits sah ich keinen Grund, ihn zu drängen. Mein Arbeitsplan für diesen Tag war überschaubar und ohne jeden Zeitdruck: die Kontoauszüge der letzten Woche verbuchen, mit Franka unseren zurzeit einzigen Fall besprechen, ein paar Lebensmittel einkaufen und, wenn ich dann noch dazu kam, das Badezimmer putzen. Es sei denn, der unbekannte, den Umsatz des Detektivbüros in schwindelerregende Höhen treibende Auftraggeber platzte herein. Oder saß mir bereits gegenüber.
»Du hast dich überhaupt nicht verändert«, sagte Till Geskamp.
Dafür du dich um so mehr, und nicht zu deinem Vorteil, dachte ich.
»Treibst du Sport?«
»No sports«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Es wäre zu deprimierend, meinen joggenden Nachbarn zu begegnen. All diese erfolgreichen Studienräte, Anwälte, Ärzte und ihre weiblichen Entsprechungen, die gegen das Alter ankämpfen. Morgens und abends laufen und ab Freitagnachmittag im knallbunten, hautengen Leibchen die Pedale des dreitausend Mark teuren Rennrads treten, nein, das tue ich mir nicht an.«
»Kann ich verstehen«, grinste Geskamp. Er klopfte sich auf den von einem weinroten Pulli bedeckten Bauch. »Obwohl mir ein bisschen Bewegung guttäte. Und wie läuft das Geschäft?«
»Könnte besser laufen«, erwiderte ich. »Aber ich will nicht klagen. Es gibt Leute, die für weniger Geld mehr schuften müssen.«
»Verstehe.« Er schaute sich um und begutachtete meine aufs Wesentliche konzentrierte Büroeinrichtung. »Du machst das doch schon ziemlich lange, oder?«
»Ja, und die Sonne scheint für alle, ob arm oder reich.«
»Mit anderen Worten: Du hättest gegen eine Auffrischung deines Kontos nichts einzuwenden?«
»Wir nehmen alle Aufträge an, solange sie halbwegs legal sind.«
Geskamp griff in die Hosentasche und legte fünf Tausendmarkscheine auf den Schreibtisch. »Wie sieht das für dich aus?«
Ich nahm einen Tausendmarkschein und hielt ihn gegen das Fenster. »Sieht echt aus.«
Der zukünftige Ministerialdirektor gluckste. »Natürlich sind die echt. Und da, wo sie herkommen, liegen noch mehr herum.«
Ich lehnte mich zurück. »Ich glaube, es ist an der Zeit, dass du mir sagst, was du willst.«
»Ja.« Er nahm die Brille ab und rieb sich mit dem Handrücken das rechte Auge. »Die Sache mit dem Ministerposten für Schwarz hängt an einem Haken. Und dieser Haken heißt Christian.« Er machte eine Pause. »Christian ist der Sohn von Schwarz.«
Ich wartete.
»Vielleicht hast du’s in der Zeitung gelesen?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Es stand nicht in der seriösen Presse, nur in einigen Boulevardblättern.«
Geskamp beugte sich über seine Aktentasche und zog eine zusammengefaltete Zeitung heraus, bei der die Drucker nicht mit Rot und Schwarz gegeizt hatten. »Noch bringen sie es mit Fragezeichen auf der dritten Seite. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Bluthunde zum Angriff übergehen.« Er schlug das Blatt auf und deutete auf einen kleinen Artikel, über dem eine fette, augenfreundliche Überschrift prangte: Politikersohn in Sexskandal verwickelt?
Ich überflog den kurzen Text. Anscheinend verfügte der Schreiber über keine gesicherte Quelle, denn er kleidete seine Sätze in die Möglichkeitsform, auch vergaß er nicht zu erwähnen, dass es sich um Vermutungen und Gerüchte handelte. Danach ermittelte die Staatsanwaltschaft Münster gegen Christian Schwarz, Sohn des als Ministerkandidaten gehandelten Wolfgang Schwarz, wegen Vergewaltigung. Opfer sei die »bildhübsche Studentin Gudrun B. (25)«, die Christian in ihrem Studentenwohnheimzimmer überfallen habe. Weder die Staatsanwaltschaft noch Wolfgang Schwarz hatten dazu eine Stellungnahme abgegeben.
»Woher haben sie die Information?«, fragte ich.
»Entweder ist bei der Staatsanwaltschaft etwas durchgesickert, oder die Schlampe versucht, mit der Geschichte Kohle zu machen.«
Ich hob eine Augenbraue. »Mit Schlampe meinst du vermutlich das Opfer?«
»Christian schwört Stein und Bein, dass sie ihn abgeschleppt hat und dass die kleine Nummer ihre Idee war.«
»Irgendwelche Beweise?«, hakte ich nach.
Geskamp schlug die Beine übereinander und guckte zum Fenster. »Sie ist ein bisschen gefesselt worden.«
»Toll«, sagte ich. »Ein munterer kleiner Bursche, dieser Christian.«
»Ich weiß, was du denkst. Aber so war es nicht. Hör zu, Georg! Ich kenne Christian jetzt seit vier Jahren. Er ist nicht der Typ für so was.«
»Für was ist er nicht der Typ? Komm schon! Du musst mir die ganze Geschichte erzählen. Sonst kann ich euch nicht helfen.«
»Also gut.« Geskamp entfaltete die Beine und bewegte den Oberkörper in meine Richtung. »Ich erwarte dein absolutes Stillschweigen.«
»Ist garantiert.«
»Kein Wort an Außenstehende. Nicht einmal mit deiner Frau darfst du darüber reden.«
»Wir sind geschieden.«
»Umso schlimmer.«
»Wir reden nicht über meine Arbeit. Meine Exfrau hasst Detektive.«
Geskamp nickte. »Christian war auf einer Party. So ein Massen-Ding an der Uni mit Hunderten von Studenten, die sich gegenseitig anbaggern oder verklemmt in der Ecke stehen. Diese Tussi …«
»Wie ist ihr vollständiger Name?«
»Gudrun Benningdorf. Sie macht sich an Christian ran. Da sie ein schönes Kind ist und Christian kein Feind der Fleischeslust, kommen die beiden ins Geschäft. Gut und schön, sie landen in ihrem Wohnheimzimmer. Nachdem sie sich entkleidet und die ersten Streicheleinheiten absolviert haben, holt sie ein paar handliche Stricke aus der Schublade und sagt, dass sie es gefesselt noch viel geiler finden würde. Christian ist nicht begeistert.«
»Sagt er«, warf ich ein.
»Und ich glaube ihm. Inzwischen hat sie ihn allerdings richtig heiß gemacht, und er möchte endlich zum Schuss kommen, deshalb tut er ihr den Gefallen und bindet ihre Hände und Füße an den Bettpfosten fest. Anschließend schlägt sie vor, dass er sie ein bisschen schlagen soll. Christian gibt ihr ein paar harmlose Klapse.«
»Sie sagt: Fester!«
»Woher weißt du das?«, fragte Geskamp.
»Der Film kommt mir irgendwie bekannt vor.«
»Das ganze Leben ist ein einziges Klischee. Doch genau an dieser Stelle endet in unserem Fall die Übereinstimmung mit Hollywood. Christian verliert die Lust. Sein Ding schrumpelt wie eine vertrocknete Zitrone. Er zieht seine Klamotten an und macht sich fluchtartig aus dem Staub.«
»Ohne sie vorher loszubinden?«
»Wieder falsch. Als er sie verließ, saß sie wohlbehalten und unverletzt in ihrem Zimmer. Hat ihn mit einigen derben Ausdrücken verabschiedet. Der arme Junge war völlig durcheinander. So mies wie in dieser Nacht habe er sich noch nie gefühlt, sagt er.«
»Okay«, sagte ich. »Das ist seine Version. Und wie klingt ihre?«
»Das kannst du dir ja denken. Sie hat ihn mit nach Hause genommen, zu einem harmlosen Gutenachttrunk selbstverständlich. Da ist er plötzlich über sie hergefallen, hat ihr die Kleider vom Leib gerissen, sie gefesselt, geschlagen und eben – vergewaltigt.«
»Somit steht Aussage gegen Aussage«, stellte ich fest.
Geskamp wirkte unglücklich. »Nicht ganz. Es gibt einen Zeugen.«
»Und was bezeugt dieser Zeuge?«
»Es handelt sich um einen alten Bekannten von Gudrun. Ganz zufällig kommt er mitten in der Nacht auf die Idee, die liebe Gudrun zu besuchen. Schon auf dem Flur des Studentenwohnheims hört er ihre Hilferufe. Ebenso zufällig hat er noch einen Schlüssel für ihr Apartment in der Tasche. Er schließt die Tür auf, und da sieht er sie gefesselt auf dem Bett liegen, ihr Körper ist über und über mit blauen Flecken bedeckt, auf ihrer Stirn klafft eine Platzwunde.«
»Oha«, sagte ich. »Dann hat Christian ein Problem.«
»Das ist so wahr wie Helmut Kohl in Rente geht«, stimmte Geskamp gequält zu.
»Ich nehme an, die Verletzungen sind echt?«
»Jedenfalls waren sie noch da, als die Polizei erschien. Und der Polizeiarzt hat alles fein säuberlich protokolliert, einschließlich der Druckspuren, die die Fesseln hinterlassen haben.«
»Was meint die Polizei?«, erkundigte ich mich.
»Die Polizei glaubt ihr. Für meine Begriffe stinkt die Sache mit dem zufällig vorbeikommenden Bekannten zwar zum Himmel, doch die Fakten sprechen leider gegen Christian. Es gibt Zeugen, die die beiden auf der Party gesehen haben, und er bestreitet ja gar nicht, bei ihr gewesen zu sein.«
»Mal angenommen«, dachte ich laut, »Christian sagt die Wahrheit. Warum sollte sich eine biedere Studentin mit etwas ausgefallenen sexuellen Neigungen so viel Mühe geben, eine Vergewaltigung vorzutäuschen?«
»Vielleicht war sie sauer, dass er einfach abgehauen ist.« Er hob die Hand, als er meinen missmutigen Gesichtsausdruck sah. »Klingt nicht sehr glaubwürdig, ich weiß. Möglichkeit zwei: Es war eine von langer Hand geplante Falle. Gudrun wusste, dass Christian der Sohn eines bekannten Politikers ist. Mit so einer Geschichte, exklusiv an eine Illustrierte oder einen Privatsender verkauft, kannst du eine Menge Geld verdienen. Sex und Gewalt bei den Schönen und Mächtigen, das ist der Stoff, der den Speichel aus dem Mund tropfen lässt. Das wollen die Medien haben.«
»Hmm«, brummte ich.
In diesem Moment hörten wir ein Geräusch an der Tür, und Franka kam herein. Sie trug eine zerrissene Jeans, ein fleckiges T-Shirt, jede Menge Ringe in der Nase und in den Augenbrauen und grünrotblau gefärbte Haare.
Franka sagte: »Hi!«
»Hi!«, erwiderte ich. »Das ist Franka Holtgreve. Till Geskamp.«
Die beiden musterten sich skeptisch.
»Wie geht’s Tassilo?«, fragte ich.
»Tassilo geht’s blendend. Die bösen Buben sind in ihrer Höhle geblieben. Was dagegen, wenn ich ein paar Telefongespräche erledige?«
»Ja«, sagte ich. »Ich führe gerade ein Klientengespräch.«
»Dafür haben wir doch ein Besprechungszimmer.« Sie entdeckte die Tausendmarkscheine auf dem Schreibtisch und bekam große Augen. »Scheint ein großer Auftrag zu sein.«
Ich strich die Scheine ein und ließ sie in der Schublade verschwinden. »Möglicherweise. Was hältst du davon, für heute Feierabend zu machen? Wir sehen uns dann morgen früh.«
Mehrere Fragen lagen ihr gleichzeitig auf der Zunge, und ich sah ihr an, dass es sie große Beherrschung kostete, nicht damit herauszuplatzen. Doch sie nahm es wie eine Frau, stieß ein empörtes Zischen aus und drehte sich auf dem Absatz ihrer Gummischuhe. Als Veganerin verabscheute Franka Leder.
Während sie zur Tür stampfte, konnten wir ein größeres Loch am Hinterteil ihrer Jeans bewundern. Durch das Loch blitzte ein weißer Mädchenpo, kaum kaschiert von einer schwarzen Unterhose.
Geskamp starrte ihr mit offenem Mund nach, bis die Tür zugefallen war. »Ist das etwa dein Partner?«
»Nein. Franka arbeitet für mich als Aushilfskraft. Mein Partner war Hjalmar Koslowski. Er ist vor einem Jahr erschossen worden.«
»Und warum steht dann Wilsberg & Partner an der Tür?«
»Ich dachte, das klingt besser.«
Geskamp schüttelte den Kopf. »Mein Gott, wenn meine Tochter so aussehen würde!«
»Hast du eine Tochter?«
»Nein. Meine Frau ist Juristin. Kinder oder Karriere – wir haben uns für Karriere entschieden.« Einen Moment war er weit weg, dann streifte er die lästigen Gedanken ab. »Um auf unseren Fall zurückzukommen: Noch hat die Staatsanwaltschaft keine Anklage erhoben. Aber sobald sie es tut, wird es wie Hundescheiße auf uns herabregnen. Und sollte Christian vom Gericht verurteilt werden, kann Wolfgang den Minister in den Wind schreiben. Die Parteiführung hat ihn schon aufgefordert, die Sache in Ordnung zu bringen.«
»Und du wirst nicht Ministerialdirektor«, kombinierte ich.
»So ist es«, knurrte Geskamp. »Vielleicht könnte sich Wolfgang die nächsten vier Jahre als Hinterbänkler über die Runden retten, trotzdem wäre es für sein gesamtes Team ein Debakel. Georg, du musst uns helfen! Du musst die Wahrheit ans Licht bringen und Christians Unschuld beweisen! He, du warst doch schon immer kritisch eingestellt. Bist du nicht selber ein Opfer der Justiz?«
»Oder meiner eigenen Dummheit«, sagte ich leise. Lauter fügte ich hinzu: »Verstehe ich das richtig: Ich soll ein paar schwarze Flecken auf Gudruns Leibchen finden?«
»Genau. Christians Anwalt muss sie in der Luft zerpflücken können. Wenn es uns gelingt, die Benningdorf und ihren sauberen Freund als die wahren Täter hinzustellen, geht die PR-Rakete in unserem Sinne hoch. Ganz nebenbei: Sobald die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen Christian einstellt oder der Junge freigesprochen wird, legen wir auf die Fünftausend noch einmal die selbe Summe drauf.«
»Und was ist, wenn Gudruns Seele so rein wie die von Schneewittchen ist? Wenn ich herausfinde, dass Christian tatsächlich der Täter ist?«
Geskamp zuckte mit den Achseln. »Dann haben wir eben Pech gehabt. Die Fünftausend kannst du selbstverständlich behalten.«
»Ich nehme an, du möchtest keinen Vertrag?«
»Nein. Eine Quittung reicht mir. Hör zu, Georg: Du darfst dich bei deinen Ermittlungen nicht auf Wolfgang Schwarz oder mich berufen. In diesem Stadium würde die Tatsache, dass wir einen Privatdetektiv engagiert haben, wie ein Schuldeingeständnis ausgelegt. Solltest du Erfolg hast, sieht die Sache natürlich anders aus. Dann werden wir dich als Held präsentieren.« Geskamp schaute auf seine Armbanduhr. »Wolfgang hat heute noch zwei Wahlkampftermine im Münsterland.«
Ich schrieb die Quittung aus. »Als Erstes werde ich mit Christian anfangen.«
Mein Gegenüber langte in seine Aktentasche und legte eine Karte auf den Schreibtisch. »Der Junge weiß Bescheid. Er wartet auf dich.«
Ich brachte ihn zur Tür, und wir schüttelten uns ausgiebig die Hände. Zum Abschied sagte Till Geskamp: »Wir zählen auf dich.«
Es klang wie ein Wahlversprechen.
Ich ließ den Saab, den ich mir gekauft hatte, nachdem mein Alfa Romeo am Max-Clemens-Kanal verendet war, in der Garage stehen und nahm das Fahrrad. Christian Schwarz wohnte in der Hörsterstraße, in nahezu absoluter Innenstadtlage, einer Gegend also, in der Parkplätze überhaupt nicht oder nur zu Wucherpreisen zu haben waren. Außerdem war die Hörsterstraße lediglich wenige Fahrradminuten vom Kreuzviertel entfernt, eine machbare Angelegenheit für einen Privatdetektiv mit bescheidener Kondition.
Unterwegs begegnete mir Wolfgang Schwarz an jedem dritten Laternenpfahl. Noch vor einer Stunde hätte ich mir nicht träumen lassen, dass ich einmal aktiv in die Bildung der neuen Bundesregierung eingreifen würde. Das galt zumindest für den Fall, dass Schwarz’ Partei die Wahl gewinnen würde, und danach sah es im Moment aus. Der Wahlkampf befand sich in einer Phase, die Journalisten gerne Höhepunkt nennen, obwohl sich die Helden auf der politischen Showbühne bemühten, ihre Gegner ein Stück tiefer zu treffen, nämlich knapp unterhalb der Gürtellinie.
In einer solchen Atmosphäre geriet jede kriminelle Affäre, auch wenn sie nur im Umkreis eines Politikers stattfand, rasch zum Medienspektakel. Zwar gehörte Wolfgang Schwarz nicht zur ersten Reihe der Politstars, doch wegen seines smarten Aussehens und seiner Fähigkeit, auch banale Sätze irgendwie bedeutungsvoll klingen zu lassen, war er ein gesuchtes Objekt der Fernsehkameras, wenn die ganz Mächtigen mal gerade nichts sagen wollten. Till Geskamps Befürchtung, dass man Schwarz teeren und federn würde, sobald der missratene Sohn vor Gericht stünde, war deshalb alles andere als übertrieben.
Unter dem Strich sah ich wenig Chancen für Christian. Die Beweise sprachen eindeutig gegen ihn, und sollten sich Gudrun B. und ihr nächtlicher Helfer nicht in Widersprüchen verheddern, bliebe dem Gericht keine andere Wahl, als Schwarz junior ins Gefängnis zu schicken.
Auf der anderen Seite kamen mir und meinem Konto fünftausend Mark gerade recht. Genug Schmerzensgeld jedenfalls, um ein bisschen im Schlamm zu wühlen. Meinem Ruf konnte die Drecksarbeit ohnehin nicht schaden, der war sowieso ruiniert.
Christian Schwarz wohnte in einem der neuen Backsteinhäuser, die das Giebelmuster der Altstadt kopierten. Teure Eigentumswohnungen als Kapitalanlage für Leute, denen Aktienspekulation und Zinssteuerflucht ins Ausland zu sehr an die Nerven gingen.
Bei den Schwarz’ hatte es nur zu einer kleinen Zweizimmerwohnung unter dem Dach gereicht. Christian begrüßte mich mit einem schiefen Grinsen: »Sie sind also der große Detektiv. Ich hab Sie mir eindrucksvoller vorgestellt, so mit schwarzer Lederjacke und Schlapphut.«
»Die Sonnenbrille und den finsteren Gesichtsausdruck nicht zu vergessen. Damit auch jeder merkt, mit wem er es zu tun hat.«
»Sie haben recht«, gab er freundlich zu. »Ein Detektiv, den man sofort erkennt, wäre blöd.«