Martin Windrow
Die Eule, die gern aus dem Wasserhahn trank
Mein Leben mit Mumble
Aus dem Englischen von Sabine Hübner
Titel der Originalausgabe:
The Owl Who Liked Sitting on Caesar. Life With A Lovable Tawny Owl
London, Bantam Press (an imprint of Transworld Publishers) 2014
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Copyright © Martin Windrow 2014
Alle Rechte der deutschen Ausgabe:
© 2015 Carl Hanser Verlag München
Internet: http://www.hanser-literaturverlage.de
Herstellung: Thomas Gerhardy
Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich
unter Verwendung einer Fotografie von © plainpicture/Narratives
Illustrationen: Christa Hook
Datenkonvertierung E-Book: Kösel Media, Krugzell
Printed in Germany
ISBN 978-3-446-44328-0
E-Book-ISBN 978-3-446-44327-3
Anmerkung des Autors
Einleitung
1. Mann begegnet Eule – Mann verliert Eule – Mann begegnet der Eule seines Lebens
2. Eulen – wissenschaftliche Fakten und Volksglaube
3. Der blinde Passagier im siebten Stock
4. Das Privatleben der Waldkäuze
5. Wunderbare Mumble
6. Bedienungsanleitung für eine Eule
7. Mumbles Tag
8. Mumbles Jahr
9. Echte Bäume und Mäuse in freier Natur
10. Abschied
Danksagung
Auswahlbibliographie
Den Lesern ist hoffentlich bewusst, dass im Vereinigten Königreich wie in Deutschland sämtliche Raubvogelarten sowie deren Eier und Küken strikt unter Naturschutz stehen. Sollten Sie zufällig auf ein vermeintlich „verlassenes“ Eulenjunges stoßen, geben Sie keinesfalls dem Impuls nach, es zu „retten“ und mit nach Hause zu nehmen. Greifen Sie bitte nur ein, wenn sich das Eulenjunge offensichtlich in Gefahr befindet – etwa wenn es, in Reichweite von Hunden und anderen Fressfeinden, auf dem Boden hockt. In diesem Fall sollten Sie es sanft in beide Hände nehmen und auf einen sicheren Ast setzen; dort werden es dann seine Eltern finden (sie sind meist nicht weit entfernt) – oder es klettert selbst ins Nest zurück, was ihm normalerweise keine Probleme bereiten dürfte. Dass Eulen ihre Jungen angeblich verstoßen, wenn diese „den menschlichen Geruch angenommen haben“, ist ein Mythos. Traditionell wird vermutet, dass Eulen über fast keinen Geruchssinn verfügen; doch ob dies nun zutrifft oder nicht – wenn Euleneltern ihr verirrtes Küken innerhalb von 24 Stunden wiederfinden, werden sie es weiter füttern.
Nur falls das Eulenjunge offensichtlich verletzt ist, sollten Sie es mit nach Hause nehmen. In solchen Fällen ist es wichtig, sich an eine sachkundige Person zu wenden – eine Tierärztin, einen Mitarbeiter des NABU, des Deutschen Tierschutzbundes e.V. oder noch besser an ein Vogelrettungszentrum – und zwar unverzüglich. Setzen Sie das Eulenjunge in einen Karton, der ihm genügend Platz bietet und oben offen ist.
Falls es doch nötig werden sollte, das Küken zu füttern, bevor es in qualifiziertere Hände gelangt, füttern Sie es auf keinen Fall mit Brot und Milch, denn das wäre sein sicherer Tod; Eulen sind reine Fleischfresser, deren Verdauungssystem darauf basiert, dass alle Bestandteile ihrer tierischen Beute verwertet werden. Wenn Sie ein Eulenküken füttern müssen, bieten Sie ihm kleine Klümpchen Rinderhack an (ich wiederhole: Rinderhack – es verträgt nicht alle Fleischsorten), vielleicht in Eigelb getunkt; schieben Sie ihm das Futter in den Schlund, etwa mithilfe eines abgerundeten Streichholzes. Das Küken benötigt unbedingt Raufutter, weshalb sich als Zwischenlösung anbietet, dem Hackfleisch winzige Stückchen einer weichen Feder beizumischen (selbstverständlich nur natürliche Materialien – keine Federn, die womöglich gefärbt oder sonstwie chemisch behandelt sind). Die Ernährungsvorschriften für Eulen sind jedoch komplizierter; machen Sie jemanden ausfindig, der mit der Aufzucht und Pflege von Raubvögeln Erfahrung hat, und holen Sie sich Rat – so schnell wie möglich.
APRIL 1981
Eine Rasur wird zur Herausforderung mit einer Eule auf der rechten Schulter. Widme ich mich der rechten Halsseite und führe das Rasiermesser nach oben, stößt Mumble mit dem Schnabel nach dem Griff, blitzschnell wie eine Schlange. Bearbeite ich die linke Halsseite, nutzt Mumble – mit ungetrübter Neugier, trotz enttäuschender Erfahrungen – die Chance, von der rechten Seite fürsorglich Seifenschaumklümpchen wegzupicken. Der Geschmack scheint ihr nicht zu behagen; nachdem sie ein paarmal nachdenklich geschmatzt hat, niest sie ein bisschen (Tsnit!), und der Schaum bleibt größtenteils an ihren Schnabelborsten hängen. Dennoch hüpft sie manchmal auf den Waschbeckenrand und betrachtet höchst interessiert den auf dem Wasser schwimmenden Rasierschaum. Es fühlt sich herrlich an, ihr Gefieder an meinem nackten Bauch zu spüren, warm und samtweich.
Ich wollte sie dazu bringen, über meinen Nacken zur linken Schulter zu wandern, wenn ich links mit Rasieren fertig bin, aber Mumble bevorzugt nun mal die rechte Schulter und ist – genau wie ich – so früh am Tag allen Neuerungen abhold. Wir laufen morgens beide auf Autopilot, und diese eingeschränkte Fähigkeit, sich in den ersten Stunden des Tages zu orientieren, verbindet uns.
Der Rasierspiegel reflektiert zwei Augenpaare – eins davon blau und gerötet, das andere glasig schwarz – nebeneinander in einem schmuddeligen Chaos aus nassem Haar, Rasierseife und Federn. In beiden Augenpaaren meine ich die vertraute morgendliche Kombination zu erkennen – Apathie und einen gewissen Argwohn, was der Tag wohl bereithalten mag: für mich unheilvolle braune Sichtfensterkuverts; für Mumble vielleicht eine lästige zerfranste Feder unter den linken Handschwingen. Weshalb sollte ich ihre Probleme vergrößern, indem ich ihr radikale Neuerungen aufzwinge, etwa die, mir beim Rasieren von der linken Schulter aus zu assistieren? Wir kriegen das hin; wir kriegen das so gut hin, dass ich oft gar nicht mehr merke, auf welch bizarre Weise ich mich in den drei Jahren unseres Zusammenlebens angepasst habe.
OKTOBER 2013
Mumble gehörte damals so sehr zu meinem Leben, dass mir das Kuriose unserer Beziehung eigentlich nur noch zu Bewusstsein kam, wenn ich erstaunte Reaktionen erntete. Manch neue Bekanntschaft trat angesichts eines Lektors, der im siebten Stock eines Hochhauses in South London mit einem Waldkauz zusammenlebte, nachdenklich den Rückzug an. Wer Exzentriker hingegen faszinierend fand, fühlte sich angesprochen – teils so sehr, dass ich zu Weihnachten und am Geburtstag jahrelang eine wahre Flut von Eulenkarten erhielt. (Anfangs fand ich das ja rührend, auf lange Sicht war es aber doch etwas ermüdend.) Andere erkundigten sich allerdings durchaus – meiner Meinung nach zuweilen ziemlich schonungslos – nach der Praktikabilität meiner häuslichen Situation. Ich versuchte zwar geduldig zu antworten, fand es aber schwer, die direkte Frage »Ja, aber … warum?« kurz und bündig zu beantworten; meine beste Antwort lautete schlicht: »Warum nicht?«
Es ist mir peinlich, wenn ich daran zurückdenke, dass ich in einer solchen Situation einmal wie ein nerviger Klugscheißer reagiert habe: »Schauen Sie – ich lebe seit zwei Jahren mit ihr zusammen. Sie kostet mich etwa 20 £ im Jahr, alles inklusive. Sie ist außerordentlich hübsch und amüsant. Sie ist anschmiegsam, ohne zu klammern, und sie duftet so gut. Es ist ihr egal, um welche Uhrzeit ich nach Hause komme, sie plappert nicht beim Frühstück, und es passiert eher selten, dass wir uns darüber streiten, wer welchen Teil der Sonntagszeitung kriegt.« Nachdem mir klargeworden war, welche Rückschlüsse derlei Phrasen auf meine Einstellung zu menschlichen Paarbeziehungen zulassen könnten, strich ich sie schnell aus meinem Gesprächsrepertoire.
Lernten die Leute Mumble dann kennen, bedurfte es meist keiner weiteren Erklärungen mehr. Was für Vorurteile sie auch immer gehegt haben mochten – kaum standen sie zum ersten Mal diesem Käuzchen gegenüber, hellten sich ihre Züge auf und wurden weich. In Mumbles erstem Jahr, als auch Fremde sie noch ohne trennendes Glas oder Drahtgeflecht betrachten konnten, ertönte dann meist ein verwunderter Ausruf (»Oh! … wie wunderschön sie ist!«), und gleichzeitig streckten die Besucher instinktiv – es sei denn, ich hatte daran gedacht, sie zu warnen – die Hand aus, um Mumble zu streicheln.
Weniger erfreulich allerdings war die Erfahrung, dass die betreffende Person, selbst wenn man sich nach Jahren wiedersah, meist spontan sagte: »Aber ja, natürlich – der Eulenmann!« Seitdem tröste ich mich mit dem Gedanken, dass es weit negativere Gründe gibt, Menschen (egal wie vage) in Erinnerung zu bleiben.
* * *
Die Mahnung in der Anmerkung des Autors, niemals impulsiv „ein verlassenes Eulenküken zu retten“, mag in einem Buch, das vom beglückenden Zusammenleben mit einer Eule handelt, heuchlerisch erscheinen; aber meine Rechtfertigung ist, dass Mumble nie in der Natur gelebt hat. Sie ist in Gefangenschaft geschlüpft, von Hand aufgezogen worden und hat nie Artgenossen kennengelernt. Ich konnte ihr besseres Futter bieten und ein wesentlich längeres, weniger gefährliches Leben, als es ihr im Wald beschieden gewesen wäre. Anfangs hatte ich gelegentlich Gewissensbisse, weil ich ihr das „Leben unter freiem Himmel“ versagte, aber schon bald erkannte ich, dass solche Empfindungen im Fall eines Käuzchens viel mit menschlicher Sentimentalität und nicht das Geringste mit der Natur zu tun haben – ein Waldkauz ist keine Feldlerche und kein Wanderfalke, er ist eine geflügelte Katze, die ein gemütliches Zuhause liebt. Die wenigen Male, wo Mumble Gelegenheit gehabt hätte, die freie Natur zu genießen, zeigte sie nicht das geringste Interesse (auch die Person, die Mumbles frühzeitigen Tod verursacht hat, mag von jenem sentimentalen Irrglauben besessen gewesen sein).
Unter anderem lag es an meiner inneren Verfassung nach jenem Ereignis, dass ich, trotz wiederholten Drängens meiner Familie, erst nach vielen Jahren dazu fähig war, all die Notizen und Fotografien auszugraben, die ich während unserer fünfzehn gemeinsamen Jahre gemacht hatte – und mich an den Versuch wagen konnte, sie in dieses Buch zu verwandeln. Seit ich die Mitte der 1990er Jahre weggelegten Notizbücher nun wiederlese, durchlebe ich von Neuem Emotionen, die ich lange Zeit verdrängt hatte – und ich bin froh, dass ich wieder Zugang zu diesen Empfindungen habe.
Vielleicht noch ein Hinweis zu dem Text, der aus diesem Prozess hervorging. Ich behaupte nicht, dass alle „Tagebuch“-Einträge in diesem Buch wortwörtlich Notizen entstammen, die zu jener Zeit entstanden sind, obwohl ich damals viele davon recht detailliert ausgearbeitet habe. Natürlich wurden einige überarbeitet oder weggelassen; alle jedoch zitieren gewissenhaft die kurz nach den Ereignissen entstandenen Aufzeichnungen oder die Gedanken, die sie enthalten.
* * *
Warum ich mich mit Mitte dreißig entschloss, mir zum ersten Mal ein Haustier anzuschaffen – dazu noch eine Eule, obwohl ich bis dahin nicht das geringste Interesse an Ornithologie verspürt hatte –, bleibt eine berechtigte Frage. Und war schon das „Warum“ verwirrend, schien auch das „Wie“ nicht gerade unkompliziert.
In Wirklichkeit war Mumble gar nicht meine erste Eule; und obwohl sie für mich zum Inbegriff und zur Ikone des „Eulenhaften“ wurde, wäre es unaufrichtig, meine erste gescheiterte Beziehung aus den Annalen zu tilgen. Wie die meisten solchen Irrtümer lehrte mich auch jenes Scheitern eine ganze Menge.