Karl May


Der Schut

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Klassiker als ebook bei RUTHeBooks, 2015


ISBN: 978-3-945667-96-5


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Anhang



Mit der letzten Zeile des vorigen Kapitels war unser Ritt zu Ende, und es sollte nun eigentlich das Schlußzeichen zu sehen sein, doch sehe ich mich zu meiner Freude gezwungen, einen Anhang folgen zu lassen.

Ich sage, zu meiner Freude, denn viele Hunderte von Zuschriften aus allen Gegenden des Vater- und auch des Auslandes haben mir bewiesen, welch ein inniges Seelenbündnis sich zwischen meinen Lesern und mir herausgestaltet hat. Was die Zeitungen über die bisherigen sechs Bände schreiben, ist außerordentlich erfreulich und ehrenvoll; weit, weit tiefer aber berührt es mich, aus so vielen Privatbriefen von Alt und Jung, Vornehm und Einfach, Hoch und Niedrig zu vernehmen, daß nicht nur ich der Freund meiner Leser geworden bin, sondern auch meine Gefährten, von denen ich erzählte, sich eine ebenso große wie allseitige Teilnahme erworben haben.

Besonders ist es mein guter, treuer Hadschi Halef Omar, nach dessen späteren Schicksalen und gegenwärtigen Verhältnissen ich gefragt werde. Aus Kreisen, welche dem Throne nahe stehen, und aus der kleinen Arbeiterhütte, aus der teuren Goldfeder des Millionärs und der zitternden Hand der armen Witwe, vom Boudoir der Weltdame ebenso, wie aus der ernsten Klausur des Klosters, von der Schulbank des Kadetten oder Gymnasiasten und aus der Schreibmappe des kleinen, munteren Pensionsbackfischchens habe ich Anfragen erhalten, welche meist den wackeren Hadschi betreffen. Ich kann getrost sagen, daß dieses mir so liebe Kerlchen sich alle Herzen, und nicht etwa bloß das meinige, erobert hat.

Was will man da nicht alles über ihn wissen! Ich könnte Briefe über Briefe schreiben und würde doch nie fertig werden, denn es gehen täglich immer wieder neue Fragen ein. Ich soll noch mehr, viel mehr von ihm erzählen. Ich soll sagen, ob, wann, wo und wie ich wieder mit ihm zusammengetroffen bin und was ich da mit ihm erlebt habe. Ich kann wirklich nicht anders, ich muß diese Bitten, so gut es geht, schon jetzt und hier zu erfüllen suchen und bemerke dabei zugleich, daß in späteren Bänden noch oft und viel von Halef die Rede sein wird. Was diese Bände nicht bringen, soll hier erzählt werden, nämlich mein nächstes Zusammensein mit dem treuen Diener und Begleiter, welcher zugleich mein aufopferungsfähigster Freund gewesen ist.

Dabei werden auch die Wünsche derjenigen erfüllt werden, welche ihre rege Teilnahme auch jenem Wesen schenken, welches meinem Herzen so nahe gestanden hat, obgleich es kein Mensch, sondern nur ein Tier war. Ich meine Rih, meinen unvergleichlichen Rappen, nach welchem sich ja auch so viele Leser erkundigen. Es möge also mein folgendes Erlebnis mit Hadschi Halef Omar und mein letzter Ritt auf meinem Rih nun folgen.

Ich befand mich wieder einmal in Damaskus und hatte die Absicht, von da aus über Aleppo, Diarbekr, Erzerum und die russische Grenze zu gehen, um nach Tiflis zu gelangen. Ein Freund von mir, bekannter Professor und Sprachforscher, hatte es verstanden, mich für die kaukasischen Idiome zu interessieren, und ich hielt es, wie das meine Art und Weise stets gewesen ist, für am vorteilhaftesten, meine Studien nicht daheim, sondern an Ort und Stelle zu machen. Wie sich von selbst versteht, wohnte ich in Damaskus nicht in einem Gasthause, sondern ich war auf der "geraden Straße" bei Jakub Afarah abgestiegen und mit großer Freude aufgenommen worden. Damals hatte ich nicht Zeit gefunden, die Umgebung von Damaskus kennen zu lernen, und so bestrebte ich mich denn jetzt, dieses Versäumnis nachzuholen. Ich machte täglich einen Ausflug und war bald so weit herumgekommen, daß ich nur noch den im Norden der Stadt gelegenen Dschebel Kassium zu besuchen hatte. Dieser Berg ist darum merkwürdig, weil dort nach der morgenländischen Erzählung Kain seinen Bruder Abel erschlagen haben soll.

Ich unternahm diesen Spazierritt ganz allein, um den Anblick der prächtigen Stadt ganz ungestört auf mich wirken zu lassen. Es war noch sehr früh am Tage, und so durfte ich hoffen, nicht belästigt zu werden. Aber als ich auf der Höhe ankam, sah ich, daß ich heute nicht der erste Besucher auf derselben war. Ich erblickte einen jungen Hammar, welcher im Grase neben seinem Tiere lag, und als ich um einige Olivenbüsche bog, sah ich auch den Mann, den der Esel heraufgetragen hatte. Er wendete mir den Rücken zu, seiner Kleidung nach mußte er ein Europäer sein, da unmöglich ein Eingeborener in so einem Anzug stecken konnte.

Ein hoher, grauer Zylinderhut saß auf einem langen, schmalen Kopfe, welcher in Beziehung auf den Haarwuchs noch öder als die Sahara war. Der dürre, bloße Hals ragte aus einem sehr breiten, umgelegten und tadellos geplätteten Hemdenkragen hervor; dann kam ein graukarierter Rock, eine graukarierte Hose, und auch die Gamaschen waren graukariert. Ich sah ihn, wie gesagt, von hinten, konnte aber darauf schwören, daß er auch einen grau karierten Schlips und eine graukarierte Weste trug. Über dem Schlips gab es dann ein langes, dünnes Kinn, einen breiten, dünnlippigen Mund, noch höher hinauf eine Nase, die einmal mit einer riesigen Aleppobeule behaftet gewesen war. Das wußte ich ganz genau, denn ich kannte diesen Mann, der so in sich versunken war, daß er mein Kommen gar nicht gehört hatte.

Ich stieg aus dem Sattel, schlich mich zu ihm hin, legte ihm von hinten her beide Hände auf die Augen und fragte mit verstellter Stimme englisch:

"Wer ist da?"

Er schrak ein wenig zusammen und nannte dann einige englische Namen, jedenfalls von ihm bekannten Personen, welche sich gegenwärtig in Damaskus befanden. Darauf rief ich mit meiner wirklichen Stimme:

"Falsch geraten, Sir! Wollen sehen, ob Ihr mich nun erkennt."

Da antwortete er augenblicklich:

"All devils! Wenn das nicht dieser armselige Kara Ben Nemsi ist, der seinen Rapphengst verschenkt hat, anstatt ihn an mich zu verkaufen, so will ich auf der Stelle gleich selbst ein Rappe sein!"

Er machte sich von meinen Händen frei und drehte sich nach mir um. Seine Augen richteten sich groß auf mich; sein Mund zog sich von einem Ohrläppchen zum andern, und seine bekannte, lange Nase geriet in eine unbeschreibliche Bewegung.

"Richtig, richtig, ganz richtig!" stieß er dann hervor. "Er ist's; er ist's wirklich, dieser Mensch, der keinen Pfennig von mir angenommen hat, obgleich ich ihm so viel zu verdanken habe! Kommt an mein Herz, Sir! Ich muß Euch an meinen Busen drücken!"

Er schlang die langen Arme wie ein Polyp um mich, quetschte mich fünf-, sechsmal an seine vordere Seite und legte dann, have care!, seinen sich fürchterlich zuspitzenden Mund auf den meinigen, was er nur dadurch fertig brachte, daß er seine Nase eine sehr resolute Seitenschwenkung machen ließ. Dann schob er mich wieder von sich ab und fragte mit frohleuchtenden Augen:

"Mann, Mensch, Kerl, Herzensfreund, wie kommt denn Ihr grad jetzt in diese Gegend, und auf diesen Berg herauf? Ich bin ganz außer mir vor Freude und Erstaunen. Habt Ihr etwa doch meinen Brief bekommen?"

"Welchen Brief, Sir?"

"Von Triest aus. Forderte Euch auf, dorthin zu kommen und mit mir nach Kairo zu fahren."

"Habe keinen Brief erhalten. War gar nicht daheim."

"Also Zufall? Der reine Zufall? Seit wann treibt Ihr Euch denn hier herum?"

"Seit schon elf Tagen."

"Bei mir sind's nur erst vier. Morgen geht's wieder fort. Wo wollt Ihr denn von hier hin?"

"Nach dem Kaukasus."

"Kaukasus? Weshalb?"

"Sprachstudien."

"Unsinn! Ihr schwatzt genug in fremden Zungen. Was habt Ihr davon, Euch mit den Tscherkessen herumzubalgen. Geht mit mir! Soll Euch kein Geld kosten."

"Wohin?"

"Zu den Haddedihn."

"Was?" fragte ich, nun meinerseits erstaunt. "Ihr wollt zu den Haddedihn?"

"Yes," nickte er, und seine Nase nickte auf ihre eigene Rechnung gar dreimal. "Warum nicht? Habt Ihr etwas dagegen?"

"Nicht das Geringste. Aber wie kommt Ihr auf diesen Gedanken? Wollt Ihr etwa wieder nach "Fliegenden Stieren" graben?"

"Haltet den Mund! Braucht mich nicht zu foppen, Sir; bin von diesem Gedanken längst zurückgekommen. Aber Ihr wißt, das ich Mitglied vom Travellerklub, London, Near-Street 47, bin. Habe mich da anheischig gemacht, eine Reise von achttausend Meilen zu machen, ganz egal, wohin. Überlegte mir die Sache. Dachte an unsere früheren Ritte und entschloß mich, die bekannten Orte aufzusuchen und dann von Bagdad nach Indien und China zu gehen. Wollt Ihr mit?"

"Danke! Habe nicht so lange Zeit."

"Dann wenigstens mit zu den Haddedihn. Wollte mir hier einige Führer nehmen; habe sie sogar engagiert; können aber dableiben, wenn Ihr mitgeht."

Der Gedanke, die Haddedihn und namentlich Halef zu besuchen, war mir höchst sympathisch; aber ich hatte nun einmal anders über meine Zeit verfügt und machte Einwendungen. Er hörte dieselben jedoch gar nicht an, schüttelte den Kopf, wobei seine Nase in ein bedenkliches Schlingern kam, wedelte mit den Armen, so daß ich mich durch einige Schritte nach rückwärts in Sicherheit bringen mußte, und ließ eine solche Flut von Einwendungen, Vorwürfen und Ermahnungen über mich los, daß ich schließlich bat:

"Nehmt Eure Stimmwerkzeuge in acht, Sir! Vielleicht habt Ihr sie später auch noch einmal nötig."

"Pshaw! Ich werde so lange reden, bis Ihr sagt, daß Ihr mitmachen wollt."

"Wenn das der Fall ist, so muß ich mich nun freilich mehr über Euch erbarmen als Ihr selbst. Ich reite mit. Doch sage ich Euch, daß ich nicht mehr als einen Monat für Euch haben kann."

"Schön, schön, herrlich, prächtig, Sir! Wenn Ihr nur erst einen Monat sagt, so bin ich ganz zufrieden, denn ich weiß, daß bei Euch sehr leicht ein ganzes Jahr daraus wird."

Er umarmte mich wieder und versuchte, einen zweiten Kuß an den Mann zu bringen, dem ich aber durch eine schlaue Kopfbewegung entging, so daß die drohend zugespitzten Lippen in der Luft auseinander platzten. Darauf erkundigte ich mich, wo er in Damaskus wohnte.

"Beim englischen Konsul, der ein entfernter Verwandter von mir ist," antwortete er. "Und Ihr?"

"Bei Jakub Afarah natürlich. Ich habe dadurch große Freude angerichtet. Warum habt Ihr ihn nicht besucht?"

"Woher wißt Ihr, daß ich nicht bei ihm gewesen bin?"

"Weil er es mir gesagt hätte."

"Well. Dachte, daß er mich gleich dort behalten würde, und Ihr wißt ja, daß ich gern mein eigener Herr bin. Ein Gast ist immer ein gebundener Mann. Doch da ich Euch gefunden habe, will ich Euch zu ihm begleiten. Ich möchte gern das famose Klavier sehen, auf welchem Ihr damals bei ihm ein Konzert gegeben habt."

Kain und Abels Erinnerungsstätte erregte jetzt weniger unsere Aufmerksamkeit; wir ritten bald nach der Stadt zurück. Das war wieder einmal so ein unerwartetes Zusammentreffen, wie ich sie so oft erlebt hatte! Die Folge davon war anstatt der geplanten Reise nach Norden ein Ausflug zu den lieben Haddedihn vom Stamme der Schammar. Zwei Tage später waren wir schon unterwegs, ganz allein, denn Führer konnten uns nur lästig fallen. Was die Vorbereitungen zu diesem Ritte betrifft, so kosteten sie mich keinen Pfennig. Lindsay kaufte drei gute Kamele, eins davon zum Tragen der Vorräte, welche wir mitnahmen. Auch für Geschenke hatte er in höchst anständiger Weise gesorgt. Leider war es mir nicht möglich gewesen, ihn zu bestimmen, seinen schauderhaften, grau karierten Anzug abzulegen. Auf alle meine darauf bezüglichen Vorstellungen gab er immer nur die eine Antwort:

"Laßt mich mit Euren fremden Kleidern in Ruh! Habe einmal in einem kurdischen Anzug gesteckt, einmal und nicht wieder! Bin mir vorgekommen wie ein Löwe in der Eselshaut!"

"Wirklich? Sonderbar!"

"Was, sonderbar?"

"Diese Umkehrung. Die bekannte Fabel spricht doch wohl von einem Esel in der Löwenhaut."

"Sir! Soll das eine Anzüglichkeit bedeuten?"

"Nein, nur eine Richtigstellung."

"Well, sollte Euch auch nicht gut bekommen! Hoffe, Euch beweisen zu können, daß ich keiner fremden Haut bedarf, um den nötigen Mut zu zeigen, wenn sich eine Veranlassung dazu ergeben sollte. Könnt Euch darauf verlassen!"

Dieser Bemerkung bedurfte es gar nicht; er hatte ja mehr als zur Genüge bewiesen, daß er Mut besaß; nur hatte er leider dabei die Eigentümlichkeit, alles am verkehrten Ende anzufassen. Das Bild vom Esel in der Löwenhaut war von mir berichtigt worden, weil ich wissen wollte, ob ich noch in der früher zwischen uns gebräuchlichen Weise mit ihm verkehren könne.

Wir benutzten ganz genau denselben Weg, welchen ich damals von den Weideplätzen der Haddedihn nach Damaskus eingeschlagen hatte, und gingen also in der Gegend von Deïr auf Kellekflößen über den Euphrat. Wir hatten bisher nichts erlebt, was besondere Erwähnung verdiente; in Deïr aber erfuhren wir, daß wir von jetzt an vorsichtig sein müßten, weil die Abu-Ferhanaraber, deren Herden jetzt hier und am Ghabur weideten, sich mit den Haddedihn entzweit hatten und uns, die wir mit den letzteren befreundet waren, jedenfalls feindlich behandeln würden. Wir hielten uns also lieber südlich und gingen bei Abu Seraï über den Ghabur. Dort liegen die Ruinen des alten Circesium oder Karchemisch, wo 605 V¨ Chr¨ Nebukadnezar den ägyptischen Necho besiegte. Einen Tag später hatten wir das Gebiet der Abu-Ferhan hinter uns, ohne einem von ihnen begegnet zu sein, und durften darauf rechnen, morgen oder spätestens übermorgen die Haddedihn zu sehen.

Am nächsten Abende machten wir auf der weiten Ebene, welche jetzt einer blumigen Wiese glich, Halt. Lindsay hätte gern ein Feuer angebrannt, doch gab ich das nicht zu. Wir lagerten also im Dunkeln. Gegen Mitternacht hörte ich den schnellen Hufschlag von Pferden, konnte aber die Reiter nicht sehen. Dem Schalle nach zu urteilen, ritten sie ostwärts, also in der Richtung, in welcher wir die Haddedihn suchten. Hätten wir ein Feuer gemacht, so wären wir von diesen Leuten bemerkt und aufgesucht worden.

Als der Tag graute, brachen wir auf. Nachdem wir vielleicht eine Stunde lang geritten waren, erblickten wir zwei Reitertrupps, welche aus Osten kamen; der erste von ihnen, der aus sechs bis acht Personen bestand, hielt sich nördlich, mußte also für uns schnell wieder verschwinden; der zweite zählte nur zwei Personen, welche grad auf uns zukamen. Ich glaubte annehmen zu dürfen, daß diese beiden Trupps zusammengehörten und sich erst vor wenigen Minuten getrennt hatten.

Zunächst konnten wir etwas Deutliches nicht sehen, weil die Leute noch zu fern von uns waren; doch kamen die Beiden uns rasch näher, und da erkannten wir, daß der eine auf einem Schimmel und der andre auf einem Schwarzen saß. Sie sahen uns natürlich ebenso wie wir sie, veränderten aber ihre Richtung nicht, schwangen die Arme, wie um uns ein Zeichen zu geben, und ließen frohe Ausrufe hören, welche aus der Ferne wie "Negah, negah, nefad!" klangen. Wenn ich nicht falsch hörte, so hieß dies soviel wie: "Es ist gelungen, gelungen!" Sie schienen uns für ihresgleichen zu halten.

Dann aber mußten sie die graukarierte Gestalt des Englishman deutlicher sehen; sie stutzten, kamen aber doch dann auf uns zu. Jetzt waren sie ungefähr noch zweihundert Pferdelängen von uns entfernt; da konnte ich einen Ausruf des Erstaunens nicht unterdrücken; ich erkannte die beiden Pferde. Bei dem Engländer war dasselbe der Fall, denn er sagte zu gleicher Zeit:

"Alle Donner, das ist ja unser Rih! Sind diese Leute Haddedihn?"

"Nein, Pferdediebe," antwortete ich leise. "Macht sie mir nicht scheu! Jedenfalls sind es Abu-Ferhans, dieselben, welche gestern Abend an uns vorüberritten. Sie haben die beiden besten Pferde der Haddedihn gestohlen. Haltet an, und steigt ab, Sir! Die Pferde müssen wir haben. Bleibt hier halten, bis ich wiederkomme!"

Wir ließen unsere Kamele niederknien und stiegen ab. Den Bärentöter und den Stutzen ließ ich im Sattel hängen und ging den beiden Reitern mit leeren Händen entgegen. Sie waren auch halten geblieben. Ein Blick nach rückwärts sagte mir, daß Lindsay sein Gewehr in der Hand hielt. Als ich noch ungefähr sechzig Schritte von ihnen entfernt war, rief mir derjenige, welcher auf dem Rapphengst saß, zu:

"Halt, bleib stehen! Wer bist du?"

"Ich bin der Besitzer des Rappen, auf welchem du sitzest," antwortete ich. "Steig ab!"

"Allah verbrenne dich," antwortete er. "Bist du bei Sinnen? Das Pferd ist mein!"

"Das wird sich gleich zeigen."

Ich warf meinen Burnus ab, so daß der Rappe meine Gestalt deutlicher sehen konnte, und rief ihm zu:

"Rih, Rih taijjibi, ta'al, ta'a lahaun, Rih, mein lieber Rih, komm her zu mir!"

Das herrliche Pferd hatte mich sehr lang nicht gesehen; es erkannte mich doch sogleich: ein gewaltiger Satz, mit allen Vieren in die Luft, ein zweiter dann zur Seite, und der Reiter lag im Grase; schon im nächsten Augenblick stand der Rappe, hell aufwiehernd, bei mir. Früher pflegte er mich dadurch zu liebkosen, daß er seinen Kopf an mir rieb oder mich leckte. Jetzt aber war das treue Tier so entzückt, daß ihm das nicht genügte; es nahm meine Schulter in das Maul und ließ dabei einen schnaubenden Freudenlaut hören, welcher so deutlich wie mit menschlichen Worten sagte: "O du lieber, lieber Herr, ich könnte vor Wonne sterben, daß ich dich wieder habe."

Aber es gab keine Zeit zu Zärtlichkeiten. Der Abgeworfene kam schon herbeigesprungen; er hatte sein Messer in der Hand. Und der Andere trieb sein Pferd auch auf mich zu. Ein rascher Sprung, und ich saß im Sattel. Den Revolver ziehend, hielt ich ihn dem Ersten entgegen und gebot:

"Bleib stehen, sonst schieß' ich!"

Er gehorchte.

"Herab vom Pferde!" befahl ich nun dem zweiten. "Sonst schieße ich dich herunter!"

Er hielt den Schimmel an, da er nicht näher zu kommen wagte, rief mir aber zornig entgegen:

"Hund, was hast du uns zu befehlen! Diese Pferde gehören uns, und ich ... "

"Schweig!" unterbrach ich ihn. "Ich bin Hadschi Kara Ben Nemsi Emir, der Freund der Haddedihn, und dieser Rappe ist mein Pferd."

"Kara Ben Nemsi!" schrie er auf. "Der Fremdling mit den Zauberflinten!"

Einen Augenblick starrte er mich wie ratlos an, aber nur einen einzigen Augenblick; dann schoß er auf dem Schimmel fort, schnell wie ein Gedanke auf die Ebene dahin.

"Sir, nehmt den Kerl hier fest!" rief ich dem Engländer zu; dann flog ich hinter dem Reiter her.

Kein Anderer als ich hätte ihn einzuholen vermocht. Das Pferd, auf welchem er saß, war das schnellste Roß der Haddedihn, jene junge Schimmelstute, von welcher Mohammed Emin zu mir gesagt hatte: "Diese Stute geht nur mit meinem Leben von mir." Er hatte mit ihr den wilden Esel des Sindschar müde gejagt, bis er zusammenbrach. Selbst mein Rih hätte sie nicht einholen können, wenn der rechtmäßige Herr auf ihr gesessen hätte. Dieser Pferdedieb aber kannte ihr Geheimnis nicht und konnte sie also nicht zur Entfaltung ihrer größten Schnelligkeit bringen. Ich aber kannte dasjenige meines Hengstes und war darum des Erfolges sicher.

Ich legte dem Rappen die Hand zwischen die Ohren und rief dreimal "Rih!" Er wieherte laut auf und griff so aus, daß mir hätte schwindelig werden mögen. Schon nach einer halben Minute sah ich, daß ich Raum gewann. Der Dieb blickte hinter sich und bemerkte es auch. Er schlug auf sein Pferd ein, um es anzutreiben, doch war die edle Stute eine solche Behandlung nicht gewöhnt; sie widersetzte sich; das brachte mich ihr rascher näher. Der Kerl gab sich alle Mühe und strengte seine ganze Reitkunst an; er gewann die Herrschaft wieder über das Pferd und flog weiter.

Er war ein vorzüglicher Reiter. Es läßt sich denken, daß wenn ein Stamm die besten Pferde eines andern Stammes stehlen will, nur die besten Reiter dazu verwendet werden. Diese nehmen, um nicht gehindert zu sein, keine langen Waffen, sondern nur das Messer mit. Dafür aber bekommen sie Begleiter, welche sie zu beschützen, zu verteidigen haben. Das war der andere Reitertrupp gewesen, welcher die nördliche Richtung eingeschlagen hatte, um die Verfolgung von den eigentlichen Dieben ab und auf sich zu lenken.

Aber die Geschicklichkeit dieses Mannes half ihm nichts; ich kam ihm näher und immer näher. Nun verlegte er sich auf Finten und wich von der geraden Richtung bald nach rechts, bald nach links, wie ein Fuchs, welcher die Meute hinter sich hat, doch vergeblich. Ich kam an seine Seite.

"Halt an!" gebot ich ihm.

Er schwang sein Messer, stieß ein grimmiges Lachen aus und gehorchte nicht. Ich wäre gern von meinem Pferde aus auf das seinige, um hinter ihn zu kommen, hinübergesprungen, aber das hätte der zarten Stute schaden können. Darum rief ich ihm zu, mich an seiner Seite haltend und den Revolver auf ihn richtend:

"Nochmals, halt an, sonst schieße ich!"

Er lachte wieder. Da zielte ich auf seine Hand, die das Messer hielt und drückte zweimal ab. Die Kugeln saßen. Er stieß einen Schrei aus und ließ das Messer fallen; er war nun waffenlos. Da drängte ich den Rappen hart an den Schimmel, erhob mich in den Bügeln und schlug ihm die Faust gegen den Kopf. Er taumelte und ließ die Zügel aus der Linken fallen. Sofort ergriff ich sie; Pferd und Reiter waren mein. Wir hielten an, nachdem die Tiere noch eine kleine Strecke fortgeschossen waren.

Er war nicht ganz betäubt, wankte aber im Sattel hin und her. Das Blut lief ihm von der rechten Hand.

"Halte dich fest; es geht zurück!" gebot ich ihm. "Wenn du eine Bewegung der Flucht oder des Widerstandes machst, schieße ich dich vollends zu schanden!"

Er sah trotz der Wut, welche ihn beherrschte, ein, daß er sich fügen müsse, und ergab sich in sein Schicksal.

Die Verfolgung hatte wohl kaum fünf Minuten gedauert und doch waren wir weit, sehr weit von dem Engländer fortgekommen. Es verging im Trabe über eine Viertelstunde, ehe ich ihn wiedersah. Er saß bei den Kamelen und hatte den andern Dieb neben sich sitzen.

"Gut, daß Ihr kommt," rief er mir entgegen. "Ist ein verteufelt langweiliger Kerl. Wollte mich mit ihm unterhalten, versteht aber kein Wort englisch."

"Es ist auch wohl kaum nötig, daß ein Lord von Altengland sich mit einem Pferdedieb unterhält," lachte ich. "Wie habt Ihr ihn bekommen?"

"Mit den Händen, mit denen man alles fassen kann, was sich greifen läßt. Wollte fortlaufen, der Halunke; habe aber auch zwei Beine. Well!"

"Aber er hatte doch ein Messer!"

"Ich auch!"

"Hat er sich damit zur Wehr gesetzt?"

"Freilich. Habe ihm aber einen Klapps auf die Nase gegeben, daß sie bald aussehen wird wie damals die meinige, als sie die Aleppobeule hatte. Der da hat wohl auch einen Klapps erhalten?"

Er deutete dabei auf den Dieb, den ich brachte. Der seinige hielt die Nase in beiden Händen.

"Ja," antwortete ich. "Jetzt reiten wir die Pferde, und diese beiden Gentleman mögen sich auf unsere Kamele setzen."

"Wohin geht's nun jetzt?"

"Gar nicht weit. Nur bis dahin, wo die Spitzbuben sich geteilt haben."

"Geteilt? Wieso?"

"Ist sehr einfach, Sir. Die Haddedihn haben den Diebstahl natürlich, sobald es Tag wurde, bemerkt und sich augenblicklich auf die Verfolgung gemacht. Um sie irre zu leiten, sind die Diebe auseinandergegangen, die einen nach Norden und diese beiden hier mit den erbeuteten Pferden westwärts. Wir reiten bis zu dieser Scheidestelle und werden da die Haddedihn bald kommen sehen."

"Well! Werden Augen machen, wenn sie ihre Pferde so bald wiederbekommen, und nun gar von wem!"

Die beiden Abu-Ferhan, denn sie gehörten diesem Stamme wirklich an, mußten auf die Kamele steigen; dann ritten wir weiter, bis ihre Fährte mit derjenigen ihrer Genossen zusammenstieß. Dort stiegen wir wieder ab und setzten uns in das Gras. Die Pferde und Kamele begannen sofort zu weiden. Lindsay rieb sich vor Vergnügen die Hände und sagte:

"Bin doch begierig auf die Gesichter, welche wir sehen werden! Wird ein Hauptspaß werden. Nicht?"

"Ja, eine tüchtige Überraschung. Halef wird einer der Ersten sein, und Amad el Ghandur ist natürlich auch dabei."

Hierbei muß ich bemerken, daß, als ich mit Halef von der Todeskarawane zu den Haddedihn zurückkehrte, Amad el Ghandur noch nicht wieder bei seinem Stamme angekommen war. Wir hielten ihn für verloren. Später aber langte er doch glücklich an. Er hatte den Tod seines Vaters an den Bebbeh-Kurden gerächt, jedoch mehr Zeit dazu gebraucht, als von ihm und auch von mir angenommen worden war.

Er bekleidete jetzt als Nachfolger Mohammed Emins die Stelle eines Scheiks der Haddedihn.

"Und Omar Ben Sadek mit seiner Schecke," fügte Lindsay hinzu. "Freue mich darauf wie ein Schneesieber auf die Gurkenzeit. Ist doch etwas ganz Andres, wenn man mit Euch reist, Sir. Man erlebt etwas."

"Macht mich nicht stolz, Mylord! Andere Leute haben auch ihre Erlebnisse."

"Aber was für welche! Den Mylord laßt nur weg. Für Euch heiße ich Lindsay, David Lindsay, so wie es früher gewesen ist. Verstanden!"

Die beiden Gefangenen sagten kein Wort; der Eine starrte zur Erde nieder, und der Andere betastete unaufhörlich seine Nase, welche an Farbenreichtum und Ausdehnung sichtlich zunahm. Der Lord mußte ihm einen nicht gewöhnlichen Hieb auf dieselbe gegeben haben.

Da, als wir ungefähr eine Viertelstunde lang gesessen hatten, sahen wir eine ganze Menge Reiter am östlichen Horizonte auftauchen.

"Sie kommen, sie kommen!" lachte Lindsay am ganzen Gesicht. "Ich könnte ihnen gleich tausend Pfund Sterling schenken, so freue ich mich!"

Ja, sie kamen; sie näherten sich schnell, indem sie auf der Spur der Pferdediebe ritten. Sie sahen uns und hielten an, um uns zu betrachten. Sie bemerkten nebst unsern Kamelen einen Schimmel und einen Rappen. Diese Färbung der Pferde stimmte. Konnten es die ihrigen sein? Nein, denn dann wären wir die Diebe gewesen und hätten uns nicht hierher gesetzt und sie so ruhig herankommen lassen.

"Sir," fragte der Engländer, "wer ist der hohe, bärtige Mann, welcher an ihrer Spitze hält?"

"Das ist Amad el Ghandur. Er trägt den Bart ebenso lang wie früher sein Vater, nur daß der seinige schwarz ist und derjenige von Mohammed Emin weiß wie Silber war."

"Und der Alte neben ihm?"

"Ist Scheik Malek von den Ateïbeh, der Großvater von Hanneh, der Herrlichsten unter den Herrlichen."

"Und der kleine Kerl seitwärts von diesem?"

"Unser Hadschi Halef Omar."

"Well! Ihr habt bessere Augen als ich. Hält dort nicht einer auf einem scheckigen Pferde?"

"Ja. Das ist Omar Ben Sadek auf einem Aladschypferde. Sie haben uns noch nicht erkannt; jetzt aber kommen sie."

"Well! Werde mich ihnen gleich in Lebensgröße zeigen."

Er stand auf, streckte seine lange Gestalt womöglich noch länger und schritt ihnen entgegen. Sie stutzten wieder. Die sonderbare, graukarierte Figur frappierte sie. Da aber stieß der kleine Hadschi einen lauten Freudenruf aus, trieb sein Pferd vorwärts und rief dabei, sein Arabisch und Türkisch mit den wenigen deutschen und englischen Brocken, welche er sich gemerkt hatte, bereichernd:

"Maschallah, Wunder Gottes! That's Lord David Lindsay; ich erkenne ihn!"

Er kam hergeritten; der Lord ging ihm entgegen. Als sie sich trafen, sprang Halef vom Pferde und fragte:

"You hier bei uns! Allah 'l Allah! Habt Ihr von meinem guten Sihdi gehört? Wie geht es ihm? Hat er ein Weib genommen oder noch nicht? Was ... ?"

Die Frage blieb ihm im Munde stecken; ich hatte ihm den Rücken halb zugekehrt, stand aber jetzt auf und schritt auf ihn zu. Er bewegte zunächst kein Glied; dann breitete er die Arme aus, als ob er mich schon von weitem umfangen wolle, konnte aber nicht von der Stelle, sondern sank auf die Kniee nieder und bewegte die Lippen. Man sah, daß er sprechen wollte; er brachte aber kein Wort hervor; dabei rannen ihm dicke Tränen aus den Augen und über das Gesicht herab.

Ich war tief, tief gerührt von dieser außerordentlichen Gemütsbewegung, hob ihn empor und zog ihn an meine Brust. Da schlang er die Arme um mich, drückte sein Gesicht an mich und weinte und schluchzte zum Herzbrechen.

Nun wurden auch die Andern lebendig. Sie erkannten uns; sie erkannten auch den Hengst und die Schimmelstute; im nächsten Augenblicke wogte es um uns von Reitern, welche von den Pferden sprangen, von Rufen und Fragen. Aller Hände streckten sich nach uns aus; ich konnte keine einzige drücken, denn ich hatte vollauf mit meinem Halef zu tun, der sich endlich so weit beruhigte, daß er sprechen konnte, aber auch erst nur die Worte:

"Ya Sihdi, hajaji, na'imi, nuri esch schems, ya Allah, ya Allah, o Sihdi, mein Leben, mein Glück, mein Sonnenlicht, o Gott, o Gott!"

Dabei streichelte er mir mit beiden Händen das Gesicht und küßte den Saum meines Burnus. Für ihn war es in diesem Augenblick ganz gleichgültig, ob die beiden kostbaren Pferde gerettet waren oder nicht. Er hatte mich, das war ihm genug.

Um so größer aber war der Jubel der Andern darüber, daß die Tiere sich in Sicherheit befanden. Auch ich hatte Tränen in den Augen über Halefs tiefes Ergriffensein, und dennoch konnte ich nicht anders, ich mußte lächeln über die Art und Weise, in welcher der graukarierte Lord die Haddedihn begrüßte. Er suchte seinen ganzen arabischen und türkischen Wortvorrat zusammen, um ihnen zu sagen, wie sehr er sich über das Wiedersehen freue; er verfügte da über zwanzig oder höchstens dreißig Ausdrücke, und man kann sich denken, welch ein Unsinn dabei zustande kam.

Omar Ben Sadek hatte lange gewartet, um auch an mich zu kommen. Jetzt nahm er Halef einfach bei den Schultern, zog ihn von mir weg und sagte:

"Glaubst du denn, den Sihdi ganz allein für dich behalten zu können? Hier ist auch noch jemand, der ihn begrüßen will!"

Er drückte, ich mochte wehren, so sehr ich wollte, seine Lippen auf meine Hände und ließ nicht eher von mir ab, als bis Amad el Ghandur ihn zur Seite drängte, meine Rechte ergriff und zu mir sagte:

"Allah sei Dank, der dich wieder zu uns führt, Emir! Es wird große Freude sein in unserm Lager und viel Wonne unter unsern Zelten. Unsere Krieger werden euch mit dem La'b el Barud, dem Spiele des Pulvers, empfangen, und aus dem Munde der Frauen und Mädchen wird dein Lobgesang erschallen. Du sollst bei uns willkommen sein, wie noch nie Jemand bewillkommnet worden ist, denn du bist der beste unserer Freunde, und schon dein bloßes Nahen hat uns Heil gebracht. Du hast die zwei edelsten Pferde unseres Stammes gerettet. Willst du uns sagen, wie dir dies gelungen ist?"

Erst durch diese Frage des Scheiks wurde Halef veranlaßt, seine Augen von mir auf den Rappen zu wenden.

"Ja," rief er aus, "noch hat mein Sihdi, der berühmte Hadschi Kara Ben Nemsi, seinen Fuß nicht zu uns gesetzt, so kommt von ihm uns schon das Glück entgegen. O, Sihdi, man hatte mir deinen Rih gestohlen, das Pferd meiner Seele, den Rappen meines Herzens. Welche Schande wäre über mich gekommen, wenn du die Räuber nicht besiegt hättest! Wie hast du es angefangen, sie und die gestohlenen Rosse auf euren langsamen Kamelen einzuholen?"

"Das sollst du gleich erfahren, wenn ich vorher auch diesen kleinen Ben Arab begrüßt habe, von dem ich wohl errate, wer er ist."

Ein etwa achtjähriger Knabe saß auf einem vielleicht dreijährigen Rapphengste; er war nicht abgestiegen und hielt seine großen, dunklen Augen mit einem ganz eigenen Ausdrucke auf mich gerichtet. Ich reichte ihm die Hand und sagte:

"Wir haben uns seit drei Jahren nicht gesehen. Du bist Kara Ben Hadschi Halef, der Sohn meines Namens?"

"Ich bin es," antwortete er, auf sein junges Pferd deutend. "Und dieser Rapphengst ist Assil Ben Rih, der Sohn dessen, den du meinem Vater geschenkt hast."

"Wie? Rih hat einen Sohn?" fragte ich verwundert.

"Einen Sohn und eine Tochter," antwortete Halef. "Durfte so ein Pferd ohne Nachkommen bleiben? Nein. Seine Nachkommen aber sollten ebenso schwarz werden, wie er selber ist; darum erkundigte ich mich nach der besten schwarzen Stute, welche aufzufinden war. Dieses berühmte Pferd wohnte in der arabischen Wüste auf der El Hamad-Ebene, und ich habe große Gefahren zu überwinden gehabt, ehe ich ihren glücklichen Besitzer begrüßen konnte. Diesem gefiel unser Rih, und er ging mit mir einen Vertrag ein. Rih sollte uns einen Sohn und eine Tochter geben; die Tochter sollte ihm, dem Besitzer der Stute, der Sohn aber mir, dem Besitzer des Hengstes, gehören. So ist es auch geschehen. Rih hat unsere Hoffnungen erfüllt und uns das gegeben, was wir von ihm wünschten; die Tochter ist zwei Jahre, der Sohn aber drei Jahre alt; hier siehst du ihn, o Sihdi. Er ist fast edler noch als Rih und trägt schon meinen Knaben, den Sohn der Lieblichsten unter den Schönsten. Sie beide sind Tag und Nacht beisammen, und wir haben ihm schon ein Geheimnis gelehrt, welches ich dir mitteilen werde, denn er ist ja dein Eigentum, wie auch Rih selbst dir gehört."

"Nein, es gehört mir keiner von beiden," antwortete ich. "Sie sind dein Eigentum."

"Nein, das deinige!" behauptete er. "Du hast mir Rih, den herrlichen, anvertraut, weil er nur hier bei uns leben und gedeihen kann. Ich habe ihn gepflegt mit den Reichtümern, welche ich nur durch dich erhalten habe, und ihn während deiner Abwesenheit reiten dürfen; dadurch bin ich überreichlich belohnt für die Mühen, die ich auf ihn verwendet habe. Es sind dies auch gar keine Mühen gewesen, sondern Vorzüge und Wonnen, welche ich genossen habe. Du bist nun zu uns zurückgekehrt und wirst ihn wieder reiten. Ich hoffe nicht, daß du mir diese Bitte abschlagen wirst. Denn wenn dein Recht veraltet wäre, so hast du es dir dadurch aufs neue erworben, daß du das Pferd aus der Hand dieser Diebe errettet hast. Sag also ja, Sihdi; nimm ihn hin; du wirst mir eine große Freude damit bereiten, denn ich kann und mag meinen geliebten Sihdi nicht anders sehen, als auf dem Rücken des Pferdes, welches ihn in so großen Gefahren und zu großen Taten getragen hat."

Es versteht sich ganz von selbst, daß ich ihm diesen Wunsch erfüllen mußte, selbst wenn es nicht meine Absicht gewesen wäre, dies zu tun. Ich nahm Rih also wieder von ihm an, doch, wie ich ihm ausdrücklich bemerkte, nur für die kurze Dauer meiner jetzigen Anwesenheit.

Dann erzählte ich, wie wir uns der beiden Abu-Ferhanaraber bemächtigt hatten. Sie wurden auf die Kamele gebunden, um mitgenommen zu werden. Der Raub so edler Pferde wird mit dem Tode bestraft, doch aus Freude über unsern Besuch versprachen mir Amad el Ghandur, Hadschi Halef und der alte Malek, daß die Ahndung eine weniger schwere sein solle.

Jetzt brachen wir nach dem Weideplatze der Haddedihn auf. Ein Bote wurde vorangeschickt, um die dort Befindlichen über unser Kommen zu unterrichten.

Wir hatten gegen drei Stunden zu reiten. Nach Verlauf dieser Zeit sahen wir eine große Wolke von Reitern, welche uns entgegengaloppiert kam. Sie stürmten mit großem Geschrei herbei, umringten uns und drangen von allen Seiten auf uns ein, so daß es den Anschein hatte, als ob sie uns niederrennen wollten. Sie jagten durcheinander, schrien Heil und Willkommen, rühmten meine Taten und schossen dabei im Jagen ihre Flinten ab, wobei außerordentlich viel Pulver verschwendet wurde. Aus diesem letzteren Grunde wird so ein Empfang, so eine Fantasie, La'b el Barud, Pulverspiel, genannt.

Es dauerte ohne Unterbrechung fort, bis wir die Zelte des Lagers erblickten. Von dorther tönte uns der Willkommgesang der Frauen und Mädchen entgegen. Sie hatten sich am Eingange des Zeltdorfes aufgestellt. An ihrer Spitze standen diejenigen Frauen, mit denen ich früher in Berührung gekommen war, voran die einstige Gebieterin des Scheiks Mohammed Emin mit ihren beiden Nebenfrauen, die ich bei meiner ersten Ankunft mit dem "heiligen" Wasser des Zem-Zem aus Mekka besprengt hatte. Die ehemalige Gebieterin war damals noch jung gewesen, aber unter dem Kummer über den Tod des Scheiks rasch gealtert. Lippen und Augenbrauen waren nicht mehr gefärbt; kein Schönheitspflästerchen lag auf Stirn und Wangen, und auch die großen goldenen Ringe fehlten, welche ihr von der Nase und den Ohren herabgehangen hatten. Ihr Nacken, ihre Knöchel, Arm- und Handgelenke waren frei von den Silberringen, Korallenstücken, Perlen, bunten Steinen und assyrischen Zylindern, welche sie früher geschmückt hatten. Neben ihr stand Amscha, die Heldin, noch immer so ernst und stolz, wie ich sie in der Steppe von Dschidda getroffen hatte, und zu ihrer Rechten Hanneh, Halefs Weib, die ';Lieblichste der Frauen, die Sonne unter den Sternen des weiblichen Geschlechtes';. Sie dünkte mir noch ebenso jung und schön zu sein wie damals, als wir sie meinem braven Hadschi vermählten; ihre dunklen Augen waren mit sichtlicher Zuneigung und Ehrerbietung auf mich gerichtet.

Als wir unter Sang und Klang in die breite Zeltstraße eingeritten waren, blieben wir halten und stiegen ab und wurden in das größte, beste Zelt geführt, welches schnell für uns zubereitet worden war, nachdem der Bote unsere Ankunft gemeldet hatte. Hier stand Wasser zu unserer Reinigung. Während wir uns wuschen, meinte der Lord:

"Was man gleich tun kann, soll man nicht aufschieben, Sir. Wann wollt Ihr Eure Geschenke verteilen?"

"Meine Geschenke? Ich habe keine."

"Unsinn! Habt sie ja gesehen und mit eingekauft."

"Aber nicht bezahlt; sie gehören Euch."

"Möchte wissen! Sie gehören denen, für die sie bestimmt sind. Gebt sie ihnen!"

"Das zu tun ist Eure Sache."

"Macht keine solchen Einwände! Wie kann ich, David Lindsay, diese arabischen Ladies beschenken!"

"Wenn Ihr nicht dürftet, wäre es mir auch verboten."

"Pshaw! Was Ihr tut, das hat Schick. So etwas steht Euch besser an als mir. Möchte doch wissen, was ich dazu sagen sollte, wie ich mich dabei ausdrücken würde! Will doch lieber einen Löwen jagen als einer Lady ein Geschenk überreichen! Wenn Ihr mir das nicht abnehmen wollt, so werfe ich die dummen Sachen weg!"

Es waren keine dummen Sachen, sondern im Gegenteil recht nützliche, schöne und meist auch kostspielige Gegenstände. Ich entschied:

"Nun wohl, so will ich es für Euch tun, Sir; aber mit fremden Federn schmücke ich mich nicht; ich werde also Euren Namen nennen."

"Nennt, wen Ihr wollt, meinetwegen den König von Portugal oder auch den Kaiser von Lappland und Kaffaria, wenn nur Jeder und Jede bekommt, was er oder sie bekommen soll. Mich aber laßt damit in Ruhe!"

Bald drang ein prächtiger Bratengeruch in unser Zelt. Ich ließ Halef kommen und übergab ihm die Geschenke zum Verteilen. Er selbst erhielt zwei schöne Revolver und ein großes, seidenes Turbantuch und war ganz entzückt darüber. Für Hanneh, die Prächtigste unter den Herrlichen, waren ein rotseidenes Gewand, ein Fingerring, zwei Ohrenreife, eine Halskette und ein aus Gold- und Silbermünzen bestehender Haarschmuck bestimmt. Wir sahen später, daß ihr Entzücken darüber ein außerordentliches war. Andere Frauen erhielten auch Geschenke, und ebenso wurden diejenigen Männer bedacht, welche früher mit uns in nähere Berührung gekommen waren.

Das Festmahl wurde im Freien gehalten. Es bestand meist aus denselben Gerichten, welche von früher her bekannt sind, da ich sie damals beschrieben habe. Nach dem Essen bat uns Amad el Ghandur, mit in sein Zelt zu kommen, wo er uns eine Bitte vorzutragen habe. Es versammelten sich dort die Ältesten des Dorfes. Malek und Halef waren auch dabei. Daß mein Hadschi mit hinzugezogen wurde, freute mich außerordentlich, denn ich ersah hieraus, daß er es verstanden hatte, sich in den Stamm einzuleben und die Achtung desselben zu erwerben.

"Emir," begann der Scheik, "Ihr seid grad in einem wichtigen Augenblicke zu uns gekommen. Kannst du dich noch erinnern, an welchem Tage mein Vater, der Scheik Mohammed Emin der Haddedihn vom Stamme der Schammar, gestorben ist?"

"Sehr genau. Es war am zwölften Tage des Monats Haziran."

"So ist es. Es sind darüber acht Jahre vergangen, und noch ist niemand an seinem Grabe gewesen, um die Gebete der Freundschaft und Verwandtschaft zu verrichten. Das läßt mich nicht länger ruhen. Ich will hinauf in die Berge, meine Pflicht zu tun, und der Stamm hat beschlossen, daß eine Anzahl tapferer Krieger mich begleiten solle, damit die Andacht in der Weise geschehe, wie es eines so berühmten Scheiks würdig ist. Wir wollten heut schon aufbrechen, ich mit zwanzig Mann, nachmittags um die Zeit des Asr; darum feierten wir gestern Abend den Abschied bis in die Nacht hinein; unsere Wächter waren davon ermüdet, und so konnte es den Hunden der Abu-Ferhan glücken, unsere zwei besten Pferde zu stehlen. Nun seid ihr gekommen; die Gastfreundschaft gebietet uns, bei euch zu bleiben, und doch wollten wir am Todestage des Scheiks an seinem Grabe sein. Wir bitten dich, uns einen Rat zu geben, welcher von diesen beiden Pflichten wir folgen sollen."

"Derjenigen, welcher ihr vor unserm Kommen folgen wolltet," antwortete ich, kurz entschlossen.

"Du sagst, wir sollen hinauf in die Berge ziehen? Dann habt ihr nur gewöhnliche Krieger hier, die euch nichts bieten können."

"Du irrst. Wir werden die Besten eures Stammes bei uns haben, nämlich euch."

"Uns? Wieso?"

"Das fragst du noch, Scheik? Ist nicht Mohammed Emin mein Freund und Bruder gewesen? Haben wir nicht nebeneinander gegen die Feinde der Haddedihn gekämpft? Sind wir nicht miteinander geritten wochenlang und haben Freude und Leid, Gefahren und Entbehrungen miteinander geteilt? Bin ich nicht an demselben Tage verwundet worden, an welchem Allah ihn zu sich rief? Habe ich ihn nicht mitbestattet und über seinem Grabe die Sure der Auferstehung gesprochen? Habe ich also nicht ein Recht, mit euch zu ziehen? Ist es nicht meine Pflicht, mit euch den Freund zu besuchen, der mich mit Liebe überschüttete und mir so teuer war?"

"Emir, du willst mit, wirklich mit?" rief da Amad el Ghandur freudig aus.

"Ja. Hoffentlich erlaubt ihr es mir!"

"O Allah, welche Frage! Ob wir dir es erlauben! Wir wagten nur nicht, dich darum zu bitten, da du für uns schon so viel getan hast. Nun können wir sicher sein, daß wir alle Fährlichkeiten überwinden werden."

"Sind deren jetzt ungewöhnliche vorhanden?"

"Nicht mehr als sonst."

"Welchen Weg wollt ihr einschlagen?"

"Denjenigen, welcher dir recht ist. Wir werden uns nach deinem Willen richten. Wir hatten beschlossen, nicht direkt nach der Grabstätte zu reiten. Meine Krieger wollten unsern damaligen Weg kennen lernen, um die Stätten zu betreten, an denen er in seinen letzten Tagen weilte; das glaubten sie, ihm schuldig zu sein, und ich war einverstanden, weil ich dasselbe Bedürfnis fühlte. Darum wollten wir hinüber nach dem Zagrosgebirge, zunächst zu dem Tschimarwalde, an welchem wir Heider Mirlam trafen. Das war die erste Stufe hinauf zu dem hohen Grabmale meines Vaters Mohammed Emin."

"Ich bin einverstanden, denn auch ich möchte die Orte einmal wiedersehen, die wir damals berührten. Aber wie steht es mit den Bebbeh-Kurden? Sie waren unsere Feinde; du hast den Tod deines Vaters an ihnen gerächt; darum ist jeder Haddedihn, den sie in ihre Gewalt bekommen können, ihrer Blutrache verfallen. Wir werden uns vor ihnen hüten müssen."

"Ja, das werden wir. Aber bedenke, daß wir ihnen in der jetzigen Jahreszeit leicht ausweichen können und von den andern Kurdenstämmen, durch deren Gebiet wir kommen, nichts zu fürchten haben. Wir werden zudem zwanzig tapfere Männer sein, und da du mit deinen Gewehren bei uns bist, so ist es grad so gut, als ob wir hundert wären."

Da erhob sich mein kleiner Hadschi Halef Omar von seinem Sitze, versuchte, die dreizehn Haare seines dünnen Schnurrbartes martialisch in der Luft zu wirbeln, räusperte sich, was er stets tat, wenn er im Begriffe stand, eine seiner großen, berühmten Reden zu halten, und sprach:

"Hört, ihr Männer, ihr Tapferen, ihr Unüberwindlichen; ich will zu euch reden! Es war am zwölften Tage des Monates Haziran, den mein lieber und berühmter Effendi Kara Ben Nemsi Emir aber Juni nennt, an welchem Mohammed Emin, der große Scheik der Haddedihn, im Kampfe gegen die Bebbehkurden gefallen ist. Sein Ruhm erklingt in allen Ländern der Erde, denn wir haben siegreich an seiner Seite gestritten, wobei mein guter Sihdi einen Lanzenstich, und ich einen Schuß in den rechten Oberschenkel erhielt. Wir haben beschlossen, diesen Todestag feierlich zu begehen, indem wir zum Grabe des Scheiks reiten und an demselben unsere Andacht verrichten. Wir wollen dabei keineswegs Blut vergießen, denn der Tod Mohammed Emins ist schon gerächt worden, und ich habe von meinem Sihdi gelernt, meine Gnade und Barmherzigkeit über meine Feinde walten zu lassen. Unser Ritt soll ein Ritt der Andacht und des Friedens sein. Darum bitte ich euch, denselben so einzurichten, daß wir jede Begegnung mit Leuten, die uns nicht freundlich gesinnt sind, vermeiden und den großen Hadschi Kara Ben Nemsi unsern Führer sein lassen. Er wird uns so leiten, daß jeder Kampf vermieden wird. Indem ich dies sage, glaube ich nicht, von einem von euch für feig gehalten zu werden. Ich wäre bereit, sofort auf Tod und Leben mit ihm zu kämpfen!"

Er setzte sich wieder nieder und ich antwortete:

"Es kann keinem von uns einfallen, den braven Hadschi Halef Omar, welcher seine Tapferkeit so oft erwiesen hat, für mutlos zu halten. Er hat mir aus der Seele gesprochen: Unser Ritt soll ein friedlicher sein. Die große Ehre aber, euer Anführer zu sein, darf ich nicht für mich beanspruchen; ein jeder von euch ist ein ebenso tapferer, erfahrener und umsichtiger Krieger, und Amad el Ghandur ist euer Scheik; ich jedoch bin euer Gast und stelle mich ihm gern unter."

Darauf gingen die Haddedihn aber nicht ein; alle widersprachen mir, und Amad el Ghandur machte die entscheidende Bemerkung:

"Sihdi, du hörst, daß keiner von uns auf diesen deinen Vorschlag eingehen will. Du bist damals unser Führer gewesen und sollst es auch jetzt wieder sein."

"Ich bin aber doch fremd in diesem Lande, und du kennst es viel besser als ich."

"Nein, du bist hier nicht mehr fremd, und dein Verstand findet sogar die Wege aller Gegenden, in denen du noch nie gewesen bist; wir haben das so oft gesehen und erfahren. Rede uns also nicht darein; du sollst uns wieder führen."

Damit war dieser Punkt abgemacht, denn ich widersprach nicht mehr, weil ich dachte, daß es allerdings besser sei, wenn die leicht erregbaren Beduinen mir und nicht ihren eigenen Eingebungen zu folgen hatten.

Die andern weniger wichtigen Punkte waren bald auch besprochen, und wir kamen zu dem Entschlusse, übermorgen früh aufzubrechen. Freilich wollten die Haddedihn die Reise viel lieber zur Zeit des Asr, des Nachmittagsgebetes, antreten, weil dies die Stunde ist, in welcher alle strenggläubigen Mohammedaner ihre Reisen zu beginnen pflegen, doch stimmten sie mir endlich bei, nachdem ich ihnen bewiesen hatte, daß wir nicht in der Lage waren, einen Dreiviertelstag zu versäumen. Wir hatten uns im Gegenteil sehr zu sputen, wenn wir am Todestage Mohammeds an seinem Grabe eintreffen wollten.

Omar Ben Sadek befand sich auch unter denen, welche für diesen Ritt bestimmt waren; er hätte sich auf keinen Fall davon abhalten lassen und war geradezu begeistert darüber, wieder einmal einen solchen Zug mit mir unternehmen zu können. Es braucht wohl kaum erwähnt zu werden, daß er und sein Weib Sahama auch sehr reichlich beschenkt worden waren.

Halef bat mich, in dieser Nacht an meiner Seite schlafen zu können; ich gewährte es dem treuen Kerlchen gern, obgleich ich voraussah, daß vom Schlafe nicht sehr die Rede sein werde. Es kam auch so, wie ich gedacht hatte: ich mußte ihm erzählen, und auch er hatte mir so viel Neues und Interessantes zu berichten, daß wir erst gegen Morgen die Augen schlossen und schon nach einer Stunde durch das erwachende Lagerleben wieder aufgeweckt wurden.

Es gab zum Frühstück einen Kaffee, mit dem wir zufrieden sein konnten, und duftende Kebab, kleine, über dem Feuer geröstete Fleischstücke, welche sehr gut schmeckten. Dann führte Halef mich in sein Zelt, denn Hanneh, die "Lieblichste der Frauen und Töchter", sehnte sich, mich bei sich zu sehen. Sie bereitete uns ein zweites, sehr delikates Frühstück, und der Hadschi war unendlich glücklich, als er sah, mit welcher Achtung und Höflichkeit ich seine ';Schönste unter den Schönen'; behandelte. Nach dem Mahle fragte er mich:

"Sihdi, du hast gestern Kara Ben Halef, meinen Sohn, auf seinem Pferde sitzen sehen. Wie reitet er?"

"Sehr gut," antwortete ich, ihn erwartungsvoll anblickend, denn ich kannte ihn und hatte schon längst bemerkt, daß er etwas Wichtiges auf dem Herzen hatte. Meine Antwort war nicht bloß aus Rücksicht für seinen Vaterstolz gegeben; ich fuhr vielmehr der Wahrheit gemäß fort: "Ich habe noch nie einen Knaben dieses Alters sein Pferd so regieren sehen. Er reitet wirklich wie ein Erwachsener."

Seine und Hannehs Augen leuchteten vor Entzücken; er rief aus:

"Wie stolz du mich mit deinen Worten machst, o Sihdi! Ich selbst bin sein Lehrer gewesen: darum tut dies Wort aus deinem Munde mir zehnfach wohl. Nun sollst du ihn aber auch schießen sehen. Willst du die Güte haben, mit mir hinauszugehen?"