SO WEIT. SO KOMISCH.
Ein Leben unter Österreichern
Ein Leben unter Österreichern
Der Joesi.
Von Wolfgang Ambros.
Österreich im Allgemeinen.
Und vor allem im Besonderen.
Leben und gelebt werden.
Biografische Splitter I.
Man spricht nicht nur, wie man ist.
Man wird auch so, wie man redet.
Frauengeschichten.
Biografische Splitter II.
Wir schauen im Fernsehen Menschen zu.
Menschen, die alle nicht fernsehen.
Black.
Outs.
Kurz.
Meldungen.
Schluss.
Wort.
Der Joesi ist schon ein ganz großartiger Kerl. Und ich kann das sagen, weil ich kenne ihn seit fünfundvierzig Jahren.
Was heißt kennen?! Wir sind in dieser ganzen langen Zeit aufs Engste befreundet, und jeder weiß vom anderen mehr oder weniger immer, was er gerade tut.
Wir haben unsere Karrieren gemeinsam begonnen, wir haben zusammen viele Lieder geschrieben – und eine erkleckliche Anzahl von denen ist auch zu ganz ordentlichen Hits geworden, aber was uns über all die Jahre wirklich zusammengehalten hat, das war diese unaussprechliche, durch nichts anderes als ausschließlich im eigenen Inneren begründete, tiefe Sympathie.
Okay, aber das ist ja heute nicht das Thema. Der Joesi hat ein neues Buch verfasst! Und wenn ich sage »neu«, dann ist das auch so, weil in Buchform hat es das so noch nicht gegeben.
Aber, nur um einmal kurz darauf hinzuweisen: Ich habe so ziemlich jedes Kabarett-Programm von ihm gesehen, und da kam mir beim Lesen schon die eine oder andere Episode ein wenig bekannt vor. Es soll ja auch eine Werkschau sein.
Das ist auch sehr gut so, weil es Leute gibt, die sich davor scheuen, sich in oft enge, stickige und sündteure Etablissements zu begeben, um bei fragwürdigen Ton- und Lichtverhältnissen einer Vorstellung des Künstlers beizuwohnen, und die froh sind, wenn sie das alles in Buchform entweder im Garten oder vorm Kamin in aller Ruhe nachlesen können. Und nachlesen und nachlesen ...
So. Also zum Buch: Am Anfang hat’s mich gleich einmal gerissen. Da ist die Rede von »alternden Austro-Pop-Stars« ... Lieber Joesi, du bist grad mal eine Woche älter als ich – von dem anderen gar nicht zu sprechen, der ist ja ein Novize – da sind Meilen dazwischen (siehe Seite 12)!
Aber dann wird es immer amüsanter, man sieht die Beschriebenen so richtig vor sich – ist ja auch eines deiner Haupttalente: die Reichen, die Proleten, das Landvolk, die Frauen – also die »Superspezies« unter den Österreichern – zu enttarnen.
Joesi kriegt so manchmal seinen Zorn. Wenn er also die Bedeutung des Hermann Maier in Österreich mit der von Francis Crick, einem der Entdecker der menschlichen DNA, vergleicht ...
Er zitiert Jelinek und Bernhard und Schneyder – und er hat »unsere« Zeit niemals vergessen. Das rechne ich ihm hoch an! Denn die ist uns trotz aller Trotzigkeit immer im Bewusstsein geblieben.
Es ist überhaupt so, dass wir beide – wenn auch aus grundverschiedenen Gegenden, ja Universen stammend – doch sehr viele Gemeinsamkeiten aufzuweisen haben. Nur, dass er in entfesselter Manier immer dazu fähig war, das Klein- und Spießbürgertum der 60er und 70er Jahre anhand von brillant dargestellten Charakteren dieser Zeit – und deren Entwicklung bis heute – höchst amüsant nachzuzeichnen. Während bei mir immer nur die Wut überwogen hat.
Und dann die ganzen Weibergeschichten – ich hab auch schon einen ganzen Haufen Verrückte gehabt, aber bei ihm … Nun er hat auch die weit ausgeprägtere Beobachtungsgabe, ihm fallen so viele Dinge auf, da ist der ganz normale Mann in aller Regel überfordert – in der Hitze des Gefechtes ...
Ich schreib mir aber nicht noch weiter die Finger wund, damit womöglich noch der Blasicek Karl meint: »Des brauch i ned lesen, weu da Woifal hot ma eh schon gsogt, was drinnensteht.«
Und überhaupt: Ich glaub auch nicht, dass ein Außerirdischer in Böheimkirchen auch nur im Geringsten auffiele (siehe Seite 198).
Wolfgang Ambros, Waidring im Juni 2012
DIE ÖSTERREICHISCHE SEELE wird ambivalent erlebt und erlebt sich auch selbst so. Die Österreicher müssten ein T-Shirt tragen, auf dem vorne draufsteht: Ich bin nicht schizophren.
Und hinten: Ich auch nicht.
Heimito von Doderer sagte 1945 – man beachte die Jahreszahl: »Dass ich Österreicher bin, ist mir mit einer solchen Fülle widerwärtiger Individuen gemein, dass ich es mir verbieten möchte, lediglich mit Hilfe jenes Begriffes bestimmt zu werden.«
Prof. Dr. Erwin Ringel hat in seiner Rede über Österreich 1983 unter anderem gemeint: »Ich möchte das Verdienst Sigmund Freuds, dieses einmaligen Genies, in keiner Weise schmälern, aber es war nicht schwer, in diesem Land die Neurose zu entdecken.«
Der Österreicher stellt sich in Selbstreflexion ja oft die Frage »No, bin i deppert?«, wartet aber nie, bis ihm jemand diese Frage beantwortet, weil er das im selben Atemzug immer gleich selbst tut: »No, i bin do net deppert!«
Oder wenn sich ein Österreicher verirrt und vollkommen die Orientierung verloren hat, dann fragt er nicht: »Wo bin ich?«
Nein, er setzt voraus, dass das ganze Land mit ihm in die Irre gegangen ist, und fragt: »Wo samma denn?«
Und wenn er dann weiß, wo ma alle san, dann will er gleich wissen: »No, wo komm’ ma denn da hin?«
Wo kummat ma denn da hin, wenn jeder fragt, wo ma hinkummatn und kana gingert und schauert, wo ma hinkummatn, wa ma hingeh’ tätertn?
Ist der Österreicher allerdings mit sich allein, also unbeobachtet, und ertappt sich bei einer veritablen Fehlleistung, dann fragt er sich selbst: »No, bin i denn schon ganz deppert?«
Und lässt diese Frage unwidersprochen im Raum stehen, was die Vermutung nahelegt, dass sich der Österreicher selbst, wenn schon nicht ganz, so zumindest für halb deppert hält.
EINIGE DINGE KANN MAN sich nicht aussuchen, die hat man einfach oder nicht. Die fallen unter »Schicksal«.
Zum Beispiel, bei welchen Eltern man auf die Welt kommt, ob man musikalisch ist, ob man zeichnen kann, sprachbegabt ist oder ob man – dem Zeitgeschmack entsprechend – schön ist und: wo man auf die Welt kommt.
Und eines Tages fällt es einem dann wie Schuppen von den Augen, haut einem ein Aha-Moment voll eine hinein. Man wacht morgens auf und weiß unumstößlich: »Ich bin Österreicher.«
Und dann – wenn die notwendigsten Voraussetzungen für ein geglücktes Leben gegeben sind – macht man sich Gedanken.
Was ist los mit einem Land, das einen Mozart hervorgebracht hat, einen Wittgenstein und einen Karl Popper, dass es kontinuierlich große Mengen von Halbidioten gebiert? Aggressive Halbidioten und über weite Strecken gefährliche Halbidioten, ja Psychopathen?
Selbstverständlich kann ich diese Frage nicht beantworten, weil sie niemand beantworten kann und jemals können wird, es sei denn, er verspinnt sich in Millionen von Theorien und verliert sich in eher trübenden als klärenden Spekulationen.
»Aufwachen in Österreich heißt in eine stickige Atmosphäre der Geistfeindlichkeit und der Gefühllosigkeit hinein aufwachen in Stumpfsinn und Niedertracht.« © Thomas Bernhard
Was sind Österreicher für Wesen, wenn ein Fünftel der Bevölkerung mit den Segnungen der Demokratie nichts anzufangen weiß und ein autoritäres Regime durchaus begrüßen würde. Ein Fünftel! Das sind zwanzig Prozent! Im westeuropäischen Durchschnitt liegt dieser Wert bei fünf bis sieben Prozent. Wo ist der Aufschrei der schweigenden Mehrheit von den rein rechnerisch verbleibenden achtzig Prozent?
Wer schweigt, stimmt zu?!
Oder ist es deswegen so, weil es in Österreich acht Prozent Analphabeten gibt und fünfzig Prozent Sekundäranalphabeten sind, also einen komplexen Satz zwar lesen können, aber am Ende dieses Satzes nicht mehr wissen, was sie am Anfang gelesen haben? Den Satz also gar nicht verstehen können? Oder, weil grundsätzlich politische Mechanismen nicht verstanden werden?
Und wenn man den Österreicher fragt: »Warum ist das so? Ist es der Mangel an Wissen oder Mangel an Interesse?« So antwortet er: »Weiß ich nicht und ist mir auch wurst!«
Bildung, gell.
Übrigens, warum man von Regierungsbildung spricht, ist unklar. Aber das nur nebenbei.
Interessieren die Österreicher politische Inhalte gar nicht? Nur wenn der Lugner furzt, dann rennen alle hin und riechen?
Jugendarbeitslosigkeit, Altersarmut, Eurokrise, Radikalisierung sind dem Österreicher egal, aber wenn zwei alternde Austro-Pop-Diven einander mit Verbal-Müll bewerfen, dann steht das in Balkenlettern in den Schlagzeilen des Boulevards.
Einundzwanzig Prozent unserer Landsleute können sich gut vorstellen, einen starken Führer zu haben! Sechs Prozent hätten am liebsten überhaupt eine Militärregierung.
Und das alles im Brustton der Überzeugung. Also scheint es, man kann den geistigen Zustand der Österreicher folgendermaßen zusammenfassen: »Die Anzahl der von Haus aus intellektuell eher geringfügig Stimulierten verringert sich nur unwesentlich.«
Oder: »Die Depperten sterben nicht aus.«
Irgendwo in einer dieser Gegenden von Österreich, wo man glauben könnte, nach der nächsten Kurve beginnt Transsilvanien, wo die Häuser der Straßendörfer geduckt und ein wenig windschief dastehen, wo trotz sichtbar fruchtloser Renovierungs-, ja, Verschönerungs-Verzweiflungstaten nur Furchtbares angerichtet wurde. Wo schmutzige Eternit-Fassaden nicht nur die »Wetterseite« schützen, sondern das ganze Haus in gespenstisch lebloses Grau hüllen.
Wo die Menschen einerseits in gebückter Haltung tonnenschwer an ihrer Leere tragen, mit verständnislosen Gesichtern umherschleichen, viele hinken, manche schlurfen.
Und andererseits Menschen, die eher jungen, die, übertrieben Lebensenergie vortäuschend, vermeintlich festen, aufrechten Schrittes Dasein simulieren, was aber von der durchgängigen Verschlagenheit ihrer Züge als unbewusst verdrängter Todeswunsch enttarnt wird.
In einer dieser Gegenden, von denen es in unserem Land sehr viele gibt, steht ein lieblos zusammengenageltes Gasthaus, das, durch den ihm innewohnenden Verfall und einige linkische Hellholz-Verschönerungen, gewissermaßen im Wachkoma liegt.
Drinnen geht es hoch – oder eher halbhoch – her. Rauchschwaden hängen in der Luft, es riecht nach Bier, obwohl nur etwa acht ungeschlacht-derbe Schnitzrohlinge am Tresen stehen, ist es unverhältnismäßig laut, weil diese einander mit tiefen gutturalen Stimmen anbrüllen. Der Wirt, der sich um anbiedernde Kumpelhaftigkeit in keiner Weise bemühen muss, schenkt unentwegt Bier ein.
Alle sind miteinander per Du.
Das hat sich ja in den letzten 25 Jahren eingebürgert, dass wir untereinander gleich unhinterfragt per Du werden. Im österreichischen Fremdenverkehr hat es sich sogar als flankierende Marketing-Maßnahme etabliert, den Urlaubsgast unaufgefordert zu duzen. Angefangen haben damit seinerzeit inoffiziell die österreichischen Skilehrer.
Ich war einmal im Sommer ordnungsgemäß auf Urlaub in Österreich, in einer Gegend, die so gesund war, dass sie einen Touristen erschießen mussten, um den Friedhof einweihen zu können, und bin mit einem Sessellift auf einen Berg hinaufgefahren. Ich musste bei der Bergfahrt ständig grüßend nicken und aufgesetzt grinsen, weil jeder Dodel, der in einem talwärts fahrenden Sessel saß, mir zurief: »Griaß di!«
In »All-Inclusive«-Beherbergungsbetrieben wird ja mit dem Du-Wort so eine Art Wir-Gefühl erzeugt. Ein mir vollständig unbekannter Rezeptionist sagt: »Servus, ich bin der Sven. Zahlst du bar oder mit Kreditkarte? Wenn du da bitte unterschreibst. Hier sind deine Zimmerschlüssel, dein Zimmer ist im dritten Stock, der Lift ist da drüben!« Ich steige in den Lift, steht der clubeigene Fleischhauer drinnen mit martialisch blutiger Schürze und einer Schweinehälfte auf der Schulter und sagt: »Griaß di, wir kennen uns vom Sessellift!«
Ich betrete zögernd den Lift, aber der muntere Metzgergeselle hat noch einen auf Lager: »Komm eini, für a zweite Sau is no Platz!«
Ich blicke mit gemischten Gefühlen auf seine blutige Schürze und er sagt: »Die hab’ ich vom Nitsch.«
Aber wir sind noch immer in diesem Gasthaus in einer dieser oben beschriebenen zahlreichen Ecken Österreichs. Da fliegt die Tür auf und ein exemplarisch gekleideter Mann zwischen dreißig und fünfzig, Genaueres kann man nicht sagen, mit einem kalten Zigarillo-Stummel im Mundwinkel, betritt die Gaststube und ruft alle anderen übertönend: »Heil Hitler, Genossen!« und salutiert beiläufig.
Die anderen lachen dieses von der letzten homöopathischen Dosis Humanismus befreite Schlachter-Lachen und grölen: »Alles in deutscher Hand, Bertl!«
»Kommt da Ding … da Manfred, der Herr Student, heute, wisst’s ihr was?«, fragt Bertl, wischt den Bierschaum von den Lippen und haut sein Krügl geräuschvoll auf den Tresen. »Weil dem hau i ane auf die Gosch’n!«, bellt er weiter, »weil er meine Alte allweil deppert anred’ und ins Theater einladen tut und so an Schaß. Vor ein paar Tag wollt er s’ auf a Ding … mitnehmen … auf a Dichterlesung … oder so was, sagt mir meine Alte glatt, dass s’ heit nix kochen tät, ich soll kalt essen auf d’ Nacht. Sag i: ›Bist du jetzt schon ganz wuggi, hörst? Heute ist die ›Schlagernacht am Wörthersee‹ im Fernsehn, da willst mi du mit einer patscherten Wurstplatt’n abfüttern? I glaub, dir is’ net guat!‹ Hörst klopft’s: Steht der Manfred vor der Tür mit an Sechser-Tragl und sagt: ›Herr Haberfellner, darf ich Ihnen als Trostpflaster ein paar Bierchen überreichen, weil ich Ihre Frau zu dieser Dichterlesung entführe?‹
Sog i: ›Das Bier können S’ Ihnen g’halt’n, Herr … Ding … und entführen können S’ von mir aus Ihre Urstrumpftant’, aber meine Frau bleibt da, habn S’ mich verstanden?‹
Und meine Frau von hinten: ›Geh Bertl, sei doch net so ein Rüpel, der Herr Margreiter hat eine zweite Karte über gehabt und da war er so nett, dass er mich g’fragt hat, ob …‹
›Du geh eine und koch. Und Sie, Herr Magerl … oder was … Sie schaun, dass weiterkommen, sonst gibt’s eine tschechische Nachspeis’ … Oplatzki!‹
›Bertl!‹, hat meine Frau g’schrien, ›mich so zu blamieren, hörst, entschuldigen Sie, Herr Margreiter, mir ist das Benehmen von meinem Mann sehr peinlich.‹
›No‹, sagt der Herr Student, ›Herr Haberfellner, Sie sind ein primitiver Prolet!‹, hat das 6er-Tragl hing’stellt und ist davong’rennt. Mei’ Frau wollt mir ja dann wirklich nichts kochen, bis ich ihr ein paar Watschen antragen hab, haha.
I hab ma de sechs Bier eineglaat … und wollt dann wieder gut werden mit ihr, aber sie hat net g’hoit’n. Ich war dann aber schon z’ miad, dass i mir s’ herricht’.«
Die Sportsendung ist aus, im Fernsehen – von Andi Borg mit schamlos hergestellter Horuck-Lustigkeit angekündigt – singt Hansi Hinterseer:
Der Himmel öffnet seine Türn,
wann immer wir zwei uns berührn.
Ich liebe diesen Augenblick,
den kleinen Hauch vom großen Glück.
Kann mir nicht vorstellen, wie das wär,
gäbe es dich für mich nicht mehr.
Du bist das Feuer, ich die Flammen
und nur mit dir zusammen
ist das Leben lebenswert.
Kurzes Schweigen im Gasthaus, Bertl fegt sich zuerst den Bierschaum wieder von den Lippen, dann wischt er sich mit abgewandtem Gesicht die Augen und sagt mehr zu sich selbst: »Die kommt schon no in meine Gass’n.«
Wir befinden uns in Strux im Bezirk Stank.
In der Gemeinderatssitzung wurde nach hitzigen Debatten der Antrag des Volksschullehrers, der auch das verantwortungsvolle Amt des Kulturreferenten bekleidet, mit knapper Mehrheit angenommen, beim kommenden Bierzeltfest nicht nur Blasmusik und Zoten zu bieten, sondern auch Kultur!
Der Dichter Johann Wolfgang Gatterweh, ein Vertreter der schöngeistigen Lyrik, sollte eine halbe bis dreiviertel Stunde aus eigenen Werken lesen.
Das, so der Kulturreferent, würde auch die – in Verbindung von Bier und Volkstümlichem auftretenden – Nasen- und Jochbein-Brüche hintanhalten oder doch wesentlich reduzieren.
Das Bierzelt-Fest in Strux ist in vollem Gange. Um diese Zeit haben sich laut Statistik 28,7 Prozent der Gäste teilweise mehrmals übergeben und die Vorräte an Jägermeister sind erschöpft. Genauso wie die drallen Serviererinnen, die ernsthaft erwägen, sich den Hintern amputieren zu lassen, damit die feschen Struxer ins Leere greifen.
In den Köpfen hat sich gerade der Refrain »Dahoam is dahoam« festgesetzt, da spielen die Original fidelen Hinterhiaflacher ein »Prosit auf die Gemütlichkeit« und der von leichtem Zweifel gezeichnete Kulturreferent betritt die Bühne und spricht ungeschickt in ein immer wieder pfeifendes Mikrofon: »Liebe Struxer, meine Damen und Herren.«
Die Damen und vor allem die Herren grölen: »Jetzt geht’s lo-os! Jetzt geht’s lo-os!«
»Unser Herr Bürgermeister und der Gemeinderat haben es möglich gemacht, dass heute der Dichter Johann Wolfgang Gatterweh uns aus seinen Werken vorlesen wird!«
Das Publikum zeigt sich ob dieser kulturellen Sensation begeistert: »Olé, oléolé!«
Johann Wolfgang Gatterweh betritt die Bühne, auf der sich die Original fidelen Hinterhiaflacher rücksichtslos zuprosten!
Gatterweh beginnt – wie es sich für das Schöngeistige gehört – leise, einfühlsam und vor allem von niemandem beachtet:
»Wie munter sind Schäfer und Herde,
wie lieblich geblümt ist die Erde!«
Ein Struxer, tief bewegt von der Kraft dieser Verse, schreit: »Gusch, du Seicherl!«
Doch Gatterweh macht unbeirrt weiter, er erhebt die Stimme:
»Aus der Flut die Vogelkirsche
streckt das grüne Reis,
Golden gellt die Dotterblume
aus der Wellen Kreis …«
Eine Struxerin mit lückenhaftem Gebiss kreischt: »Schleich’ di, du Simandl!«
Gatterweh hebt in poetischer Verzückung seine Arme:
»Das Blühen will nicht enden.
Es blüht das fernste, tiefste Tal;
nun muss sich alles wenden – ach,
armes Herz, vergiss die Qual!«
Es bildet sich ein Sprechchor: »Sperrt’s eam ei! Sperrt’s eam ei!«
Gerade als Gatterweh seine ersten Verse beenden will, kommt von hinten ein penibel abgenagter Knochen einer Schweinsstelze geflogen, trifft aber nicht den gemeinten Dichter, sondern landet auf dem grellblond gemeschten Kopf eines grobschlächtigen, rotgesichtigen Struxers, der sich sofort erhebt und dem hinter ihm Sitzenden mit den Worten »Bist deppert oder wüst a Watsch’n?« die Faust ins Antlitz rammt, dass diesem ad hoc die Gesichtszüge entgleisen.
In diesem Augenblick beginnt Gatterweh unerschrocken sein nächstes Werk:
»Oh, holder Friede, steig’ hernieder,
kehr’ in der Menschen Herzen wieder …«
Vor der Bühne schlägt der blond gemeschte Struxer auf den vermeintlichen Werfer des Stelzenknochens – übrigens ein Nicht-Struxer – mit Worten ein wie »Ausweichen is feig!«, als sich ein Rudel Nicht-Struxer ins Gemetzel wirft. Man kann allerdings Freund und Feind nicht mehr unterscheiden, da alle ähnlich bekleidet sind, nämlich mit Kunstleder-Jacken aus dem Versandhandel und vor allem mit weißen Frotteesocken.
Die Struxerin mit lückenhaftem Gebiss zeigt anklagend auf den Dichter: »An oin is nur der Trott’l do schuld mit seine Gedichte.«
Die Kämpfenden lassen voneinander ab und wenden sich schnaufend dem deklamierenden Gatterweh zu.
Der blond gemeschte Struxer sucht am Boden nach dem Stelzenknochen, findet ihn und wirft ihn Richtung Bühne. Just als Gatterweh die traurige Wahrheit –
»In schlechter Zeit
sind Freunde weit!«
– ins Zelt schleudert, schlägt ihm das Schweinebein eine Platzwunde in die Stirn. Gatterweh bricht ab, sieht mit Entsetzen Blut auf seine Manuskripte tropfen und geht – nein taumelt – von der Bühne.
Das Bierzelt quittiert das mit einem einigen: »Retete, retete, heite homma Schäd’lweh! Retete, retete, Schäd’lweh is sche!«
Die Original fidelen Hinterhiaflacher greifen zu ihren Instrumenten und nach einem ermunternden »Juchui! Auf geht’s!« stimmen sie die versöhnliche Weise mit doch hochphilosophischem Titel »Jedes Bacherl hat a Brückerl« an. Die Masse tobt.
Etliche freiwillig diensttuende Sanitäter transportieren vierundsechzig Leicht-, dreiundzwanzig Beträchtlich- sowie einen Schwerverletzten – den ungeliebten Dichter – ab.
Einige Herren vom Gemeinderat sitzen am Stammtisch. Das Gespräch kreist um das gestrige Zeltfest.
»Also, so geht’s net weiter!«
»Eine derartige Gewalttätigkeit war überhaupt no net da!«
»Is ein Wunder? Wann einer so grausliche Sach’n vorlest?«
»Was i immer sag: Es g’hört a starke Hand her!«
»Wie i unlängst in Stank oben war, hat ein Pole auf mein’ Mazda g’spieb’n!«
»Aber geh, wenn das ein Pole g’wes’n wär, der hätt’ ihn g’stohl’n!«
DIE PROVINZ IST IMMER und überall. Je mehr versucht wird sie zu vermeiden, umso mehr wird sie hergestellt … Fashionnight in Söltausteinburgklausenbach, Reggae-Event and Ladies-Night in Hinterstadlesletzbich, Styling-Show in Oberstettwinkelsteinflötzendorf … in Gegenden mit dem gewissen Nichts eröffnen Beauty-Salons, Nice-Price-Shops und die Saturday-Nightlife-Disco und dabei muss man hierher den Fuchs mitbringen, damit er dem Hasen gute Nacht sagen kann.
Aber wundert’s?
Der Neusprech-Kauderwelsch des sowohl Mid-and-upper-Management-Levels und die blödsinnigen Hollywood-Synchron-Anglizismen in Film und Fernsehen werden unhinterfragt nachgeplappert.
Da sagt beispielsweise ein TV-Moderator: »Meine Damen und Herren, was sagen Sie zu meinem Outfit?« Und die Damen und Herren im Publikum applaudieren und zeigen sich erfreut. Denn sie wissen: Ohne Outfit ist man nackt. Und wenn man nackt ist, dann steht der Body unbedeckt da und alle sehen, dass unser Body ein Shaping dringend nötig hätte. Also ziehen wir uns ein pinkes T-Shirt und drüber einen 100 % Cotton Sweater an, wie es die Best-dressed-VIPs und die Charity-Society-Queens im Lifestyle-Magazin presenten. Und dann gehen sie joggen, freeclimben, mountainbiken oder gar bungeejumpen. Yo-Yo für Große.
Und nachher ins Wellness-Center, denn das ist wiederum wichtig für die Soul. Was heißt für die Soul, für Body and Soul. Weil das Nightlife, mit anschließendem Sexlife mit dem Girl- bzw. Boyfriend, oder gar mit einem Latin Lover nach dem Clubbing, wo man sich am Dancefloor einen weggeshaked hat, das war zwar cool, aber heavy.
But that’s the Business. Denn als Marketing-Product-Group-Supervisor-Assistant kann man sich kein Drop-out im Lifestyle leisten. Denn wenn du ausgepowert bist, dann bist du Off the window, raus aus der Scene and out.
Okeydokey!
Wer kein Winner ist, ist ein Loser. So viel High-Potentials kannst du gar nicht check-ranken, auch in den hippsten Cities nicht. Und schließlich ist das Aging nicht zu stoppen. So oft kannst du dir auf der Beauty-Farm gar kein Peeling machen lassen oder im Whirlpool relaxen. Das ganze Life ist ein Fight und always carefree geht nicht.
Cheeseburger, Chicken McNuggets, Coke, der ganze Fast Food Junk und immer Thousand-Islands-Dressing am Salad? Absolutely impossible! Health food, soft drinks, Marlboro light – that’s it!
Get punch in your lunch!
Man muss einchecken, auschecken, durchchecken und ein bissl vorchecken, denn ganz ohne Networking und Mobbing geht es bei aller Political Correctness nicht. Wer will heute schon ein Job-sharing? No way! Women-sharing, okay. Aber wenn man da ein Burn-Out hat, ist es over mit dem Easy Living, mit den Weekend-Trips und den First-Class-Flights in die Holidays und dem Drink am Beach. Forget it!
Einen Flop kann sich heute keiner mehr leisten. Die Vibes müssen stimmen! Positive Thinking. Money makes the world go round. Das muss man sich einmal auf die Harddisc downloaden. Die Message muss ja voll rüberkommen, denn nur dann hat man vom Feeling her ein gutes Gefühl.
Get to the point … one, two, three, four …
I do dinner cancelling,
outsourcing of marketing.
Surfing, diving, nordic walking,
golfing, clubbing, modern talking.
Coaching, training and incentive,
creative, trendy and expensive,
combination, competition,
unique selling proposition.
Inhale, exhale, point of sale,
funny farm and fairy tale,
dropping, hopping, mobbing, doping,
never stopping happy shopping.
»PFOSAWAHNSINN« ist einer dieser sprachlichen Triebe des Wienerischen. Es ist ein Ausdruck der Verblüffung, aber auch des anerkennenden Erstaunens.
Hochdeutsch und expressis verbis hieße es: »Pfo (unübersetzbar), das ist ein Wahnsinn.«
Gesprochen wird »Pfosawahnsinn« schnell und nebenbei, fast ein wenig wegwerfend.
Also nicht: » P f o s a w a h n s i n n «, sondern »Pfosawahnsinn«.
Legen Sie das Buch jetzt einmal weg und üben Sie, ganz schnell:
»Pfosawahnsinn, Pfosawahnsinn, Pfosawahnsinn.«
So, jetzt nehmen Sie das Buch wieder und bilden Sie kurze Sätze, die mit »Pfosawahnsinn« beginnen. Wie zum Beispiel: »Pfosawahnsinn, die Oide.«
Oder um gesteigerte Verblüffung auszudrücken: »Pfosawahnsinn, des gibt’s net.«
Oder der Gipfel der Verblüffung: »Pfosawahnsinn, s’ pock i net.«
Wenn Sie das ein wenig üben, so dringen Sie sehr schnell in die Gefühlswelt derer ein, die »Pfosawahnsinn« als Synonym für eine ganze Skala von Gemütszuständen benützen. Ja, die es auch einfach, quasi als Mantra, nur so vor sich hinsagen. So wie der Erfinder oder – besser gesagt – Verbreiter, Multiplikator und Kustos des »Pfosawahnsinn«. Nämlich der wahrscheinlich letzte, meist leicht alkoholisierte Radio- und Fernsehmechaniker Karl Pribil aus Wien, Leopoldstadt.
Sein »Geschäft« befindet sich in einer kleinen, schmutzigen, von Hunden verschissenen Gasse im zweiten Wiener Gemeindebezirk und er repariert Fernseher, DVD-Player, ja, sogar Videorecorder aus dem vorigen Jahrhundert.
In bedeutungslosem Braun präsentiert sich das Portal, durch welches wir, zwei abgetretene Stufen überwindend, das »Geschäft« betreten.
Dort sehen wir zunächst – nichts. Denn das Entrée liegt in einem kellerhaften Dunkel. Erst wenn sich unser Auge an die Lichtverhältnisse gewöhnt hat, erkennen wir, dass sich an die Grotte, die wir soeben betreten haben, ein zweiter, weitaus kleinerer Raum anschließt, den eine Funzel fahl beleuchtet.
Da fällt unser Blick auf ein in grellen Farben von ungelenker Hand »kalligrafiertes« Schild, das man ihm einmal zum Geburtstag als liebevoll-ironische Anspielung auf seine Verlässlichkeit geschenkt hat:
Schnell und prompt,
der KARLI kommt.
Nun bemerken wir auch den klobigen, hässlichen Schreibtisch, der im ersten Raum steht, den vollen Aschenbecher, aus dem es übelriechend qualmt, eine weinrote Plastikschreibunterlage, diverses dubioses Zettelwerk, darunter so manche Räumungsklage, das eine oder andere Versteigerungsedikt und wahrscheinlich ein bis zwei Drohbriefe.
Garniert mit zahllosen verkrusteten Kaffeetassen, klebrigen Longdrink-Gläsern, einer Flasche Bacardi und Coca-Cola-Dosen ist alleine schon dieser Schreibtisch eine Studie, ein Psychogramm seines Benützers.
Es ist – versteht man die Geschichte, die dieser Schreibtisch erzählt – unnötig, noch zu erwähnen, dass der jahrzehntealte Linoleumboden starr ist vor Schmutz, dass auf erschreckenden Stellagen drei bis vier Wracks der Unterhaltungselektronik ihr verstaubtes Leben fristen und dass sich zu dem Aroma des kalten Rauches der scharfsüßliche Duft von Unmengen konsumierten Bacardi-Colas gesellt.
Eingeweihte wissen, dass, wenn Karl Pribil aufgesperrt – fast möchte man sagen ausgesteckt – hat, er dann im zweiten Raum sitzt und sich leicht schwitzend, selbstverständlich rauchend über die Eingeweide eines Fernsehers beugt.
Im zweite Raum wuchern alle möglichen, zum Großteil veralteten technischen Geräte wie Lötkolben, Kabel, die nirgendwo hinführen, Schrauben und Zangen, Röhren, Dioden, Relais, die einzelnen Teile sezierter Radios, DVD-Player, Oszillografen und, und, und. Auf einem vorsintflutlichen Bürosessel sitzt Karl Pribil in einer Haltung, dass man vermeint, Wirbelsäule und Bandscheiben stöhnen zu hören.
Er hebt den Kopf, nimmt mit einer schlaffen Geste die bis zum Filter heruntergerauchte Zigarette aus dem Mund und ruft uns mit einem freundlichen Grinsen ein grüßendes »Pfosawahnsinn« zu.
Er sagt es schnell, so schnell, dass man – wüssten wir nicht längst, was er sagt – nur »Pfswnsn« verstehen würde.
Und er sagt auch nicht »Pfosawauhnsinn«, sagt es also nicht mit steirischem Touch, sondern – was hier quasi onomatopoetisch wiedergegeben ist – spricht sich korrekt eben nicht »au«, dafür wie das »en« in »en vogue« oder wie das »en« in »engagiert«.
Also eher leicht französelnd.
Das nur zur korrekten Aussprache.
Und nun entwickelt sich eine Konversation, wobei es nicht notwendig ist, die Fragen zu überliefern, sie ergeben sich aus den Antworten.
»Pfosawahnsinn, so vü Arbeit.«
»Pfosawahnsinn, i bin neger.«
»Pfosawahnsinn, i war fett gestern.«
Karl Pribil ist ein guter, ein liebenswerter Mensch, ein hervorragender »Techniker«, das muss – nicht als Anbiederung, aber zur notwendigen Abrundung seiner Persönlichkeit – gesagt werden.
Das führt uns zu Pribil selbst.
Zunächst das Äußere.
Karl Pribil ist schlaff, lappig, ungesund blass, kurzatmig. Wäre man boshaft, könnte man mit Fug und Recht sagen, Karl Pribil hat einen typischen Gas-Kot-Bauch. Aber beginnen wir beim Kopf. Obwohl erst Anfang dreißig, ist sein Haar beträchtlich gelichtet und seine stets mit feinen Schweißperlen bevölkerte Stirn zieht sich bis zur Schädelmitte, wo sie sich dann im farblich undefinierbaren, schütteren Gewirr des drahtigen Haupthaars verliert. Seine Gesichtszüge entsprechen denjenigen eines guten Menschen, die, auch wenn sie völlig entspannt scheinen, zu einem täppischen, verbindlichen Grinsen eingekrampft sind. Seine Schultern hängen traurig herab, seine eingefallene Brust geht mit einem trägen Schwung in den bereits erwähnten Gas-Kot-Bauch über. Sein Corpus sitzt auf zwei erstaunlich dünnen Beinen, die, bewegt sich Karl Pribil in kurzen Hosen, wie zwei Bleistifte aus einem Beinkleid hängen.
Jedoch Karl Pribil hat etwas, was nicht jeder hat, obwohl er behauptet, dass es jeder hat, nur bei anderen wird es nicht akut: Karl Pribil hat einen Zwilling.
Einen, den er ständig mit sich herumträgt. Und zwar ungefähr dort, wo das Kreuzbein ins Steißbein mündet.
Pribil weiß das erst seit circa drei Jahren, denn damals wurde er akut, sein Zwilling.
Er hatte starke Schmerzen und fuhr ins AKH, wo man ihn untersuchte und ihm eröffnete, das, was so schmerze, sei ein Zwilling. Ein Knorpel, aus dem heraus und wieder in ihn hinein – Pfosawahnsinn – ein Zahn, Haare und Fingernägel wuchsen.
Dieser monströse Knorpel hätte ein zweiter, deckungsgleicher Pribil werden sollen, aber der eine Pribil, nämlich unser »prompter Karli«, hat dem anderen Pribil immer den Mutterkuchen weggenascht, und so konnte sich der arme Pribil II nur zu einem hässlichen, haarigen und verhornten Knorpel auswachsen, der sich nun als Schmerz, den Pribil I verspürte, verwirklichte.
Wird so ein Zwillings-Knorpel akut und ist es nicht möglich, medizinisch zu intervenieren, so kommt es – laut Pribil – zu einer Blutvergiftung und zum Tod des Wirtes.
Welch herrliche Vorlage für einen unappetitlichen Horrorfilm: »Die späte Rache des Zwillings« oder »Nimm mir nicht den Mutterkuchen weg«.
Pribils sonstiges Innenleben ist von außen her so gut wie nicht erkennbar, denn es liegt hinter einem undurchdringlich verfilzten Gestrüpp banaler Neurosen verborgen. Dennoch steht fest: Karl Pribil kann nicht »nein« sagen. Nicht zu sich selbst, aber auch nicht zu anderen, denen er die Reparatur eines – beispielsweise – Fernsehgerätes in kürzester Zeit, quasi als Schnellschuss, verspricht.
Und so kommen wir zu Herrn Titze.
Ein harmloser Mensch aus der Umgebung. Eines Tages machte sein strapazierter Radiorecorder, gerade als Horst Chmela »Mama, hau ma’n Schlüss’l obe, i bin’s, der Horsti, dein Bua …« singt, chchrchrzl – und aus.
Was tat der gute Herr Titze, er dachte zunächst: »Was ist denn, du Klumpertkastl«, schüttelte es, drehte planlos an diversen Knöpfen – nichts. Und dann fiel ihm der unweit seine segensreiche Reparaturtätigkeit ausführende Karl Pribil ein.
»Du, Karl«, sagte er, »der Motschka geht net, geh schau dir des einmal an.«
»Pfosawahnsinn«, antwortete Karl Pribil, »die Hock’n reißt net o.«
Er stellte den Radiorecorder in eine finstere Ecke und sagte, dass er sich bemühen werde, jedoch vor Ende nächster Woche ginge leider gar nichts.
Es vergingen gute vier Wochen, in denen Titze anrief und sich erkundigte, wie es denn seinem Radiorecorder ginge. Hier einige Auskünfte von Karl Pribil in chronologischer Reihenfolge:
»Pfosawahnsinn, da Tonkopf ist hin und die ganze Tastatur, i muss schau’n, wo i die Ersatzteile herkrieg’, sonst muss i’n einschick’n.«
»Pfosawahnsinn, den hob i zum Philips einschick’n müss’n, de ganze Versorgung hat sich total vertschüsst.«
»Heast, was soll i mach’n – Pfosawahnsinn – de zah’n überhaupt net an bei den Philips.« (Hier sehen Sie übrigens eines der seltenen Beispiele, wo »Pfosawahnsinn« nicht am Satzbeginn steht, sondern eine Mittelstellung, quasi als Apposition, innehat.)
»Pfosawahnsinn, grad hab ich mit’n Philips telefoniert, der Motor ist net lagernd, de müss’n sich den aus Eindhoven schick’n lassen, was soll i mach’n, Pfosawahnsinn!« (Das wiederum ist ein Beispiel, wo »Pfosawahnsinn« den Satz einbegleitet und ihn mit nachdrücklichem Hinweis auf die Ungeheuerlichkeit des Gesagten ausklingen lässt. Eine sogenannte Dublette.)
»Heast, ’sawahnsinn, jetzt war i grad beim Philips, die hab’n den falsch’n Motor g’schickt.« (Wie Sie sehen, ist die Silbe »Pfo« kein ehernes Gesetz, sondern kann auch einmal weggelassen werden.)
Und dann hatte Herr Titze seinen Unfall. Einen Autounfall.
Näheres ist zu diesem Vorfall nicht bekannt, außer dass der Unfall so folgenschwer ausging, dass Herr Titze lange Zeit im Krankenhaus und danach noch längere Zeit in einem Rehabilitationszentrum verbringen musste.
So vergingen eineinhalb Jahre.
Eine milde Frühlingssonne küsst die staubige Gasse, in der Karl Pribil sein merkwürdiges Geschäft hat. Er sitzt gerade bei einem kühlen, abgegriffenen und klebrigen Glas Bacardi-Cola, als ein Mensch mit einer Krücke, den Karl Pribil zunächst nicht erkennt, den Laden betritt.
Karl Pribil sagte: »…« (Nein, er sagt es diesmal ausnahmsweise nicht.) Er sagt, während er ein Maul voll Bacardi-Cola überrascht hinunterwürgt: »Jo?«